Arbeitsrecht
| Der Bundesfinanzhof hat entschieden: Kostenerstattungen eines kirchlichen Arbeitgebers an seine Beschäftigten für die Erteilung erweiterter Führungszeugnisse, zu deren Einholung der Arbeitgeber zum Zwecke der Prävention gegen sexualisierte Gewalt kirchenrechtlich verpflichtet ist, führen nicht zu Arbeitslohn. |
Die Einholung der erweiterten Führungszeugnisse durch die Arbeitnehmer erfolgte aufgrund einer nur die kirchlichen Rechtsträger, nicht aber die Arbeitnehmer treffenden (kirchenrechtlichen) Verpflichtung.
Durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasste, zu Lohn führende Zuwendungen erbringt der Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern aber regelmäßig nicht, wenn er ausschließlich eine eigene, insbesondere nicht gegenüber den Arbeitnehmern bestehende Verpflichtung erfüllt.
Die zur Erfüllung einer entsprechenden Verpflichtung entstehenden Kosten wendet der Arbeitgeber in einer solchen Konstellation im eigenen Interesse auf. Sie sind Ausfluss seiner eigenbetrieblichen Tätigkeit.
Beachten Sie | Haben die Arbeitnehmer die vom Arbeitgeber für dessen eigenbetriebliche Tätigkeit zu tragenden Kosten (wie im Streitfall) zunächst aus eigenen Mitteln verauslagt, wendet der Arbeitgeber ihnen mit der Erstattung ihrer Aufwendungen keinen Vorteil zu, der sich im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweisen könnte.
Quelle | BFH, Urteil vom 8.2.2024, IV R 19/22
| Nach dem neuen Partnerschaftsgesetz (hier: § 2 Abs. 1 PartGG), das am 1.1.2024 in Kraft getreten ist, muss der Name der Partnerschaft nur noch den Zusatz „und Partner“ oder „Partnerschaft“ enthalten. Die Aufnahme des Namens mindestens eines Partners ist nicht mehr erforderlich. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Der Zwang zur Benennung mindestens eines Partners ist zum Jahreswechsel entfallen. Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass die grundsätzlich zu schützende Vertrauensbeziehung zwischen Freiberufler und Auftraggeber es jedenfalls aus gesellschaftsrechtlicher Sicht nicht erfordert, dass der Name der Partnerschaftsgesellschaft den Namen mindestens eines Partners enthalten muss. Hinzu kommt, dass die Identifizierung der Partnerschaftsgesellschaft mit dem Namen der Partner weitgehend an Bedeutung verloren hat.
Quelle | BGH, Beschluss vom 6.2.2024, II ZB 23/22
| Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken bestätigte, dass in einer Tageszeitung anlässlich einer damals anstehenden Neuwahl des Ortsvorstehers zulässig über die erstinstanzliche strafrechtliche Verurteilung eines lokalen Bauunternehmers berichtet worden sei, der mit zwei der Kandidaten verwandt ist. |
Das war geschehen
Eine große pfälzische Tageszeitung berichtete in ihrer Online-Ausgabe vom 30.6.2023 und in ihrer Print-Ausgabe vom 1.7.2023 über die damals anstehende Neuwahl eines Ortsvorstehers. Diese war notwendig geworden, weil der bisherige Ortsvorsteher nach diversen Anfeindungen zurückgetreten war.
Im Artikel wurden die drei Kandidaten vorgestellt und dabei erwähnt, dass zwei der Kandidaten mit einem lokalen Bauunternehmer und Landwirt verwandt seien, dem Anwohner vorwerfen, für den stark angestiegenen Lkw-Verkehr im Ort verantwortlich zu sein. Dabei wurde auch berichtet, dass der Bauunternehmer erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung u. a. wegen Beleidigung, Nötigung, Bedrohung und versuchter gefährlicher Körperverletzung von Anwohnern verurteilt worden sei.
Auf eine Abmahnung des Bauunternehmers hin schwärzte die Zeitung das E-Paper und ergänzte den Online-Beitrag um den Hinweis, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig sei. Der Bauunternehmer verlangte hierauf im gerichtlichen Eilverfahren den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Zeitung, wonach sie den ihn betreffenden Bericht unterlassen sollte. Das Landgericht (LG) wies den Antrag zurück. Hiergegen hat der Bauunternehmer sofortige Beschwerde eingelegt. Diese wies das OLG zurück.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG begründete seine Entscheidung damit, dass es schon an der erforderlichen Eilbedürftigkeit für das beschrittene gerichtliche Eilverfahren fehle. Der Bauunternehmer habe mehr als fünf Wochen mit seinem Antrag gewartet und die Zeitung habe den Online-Artikel um den Zusatz, wonach das strafrechtliche Urteil noch nicht rechtskräftig sei, bereits ergänzt.
Zulässige Verdachtsberichterstattung
Unabhängig davon handele es sich um eine zulässige Verdachtsberichterstattung. Zwar könnten anhand der im Artikel genannten Einzelinformationen zumindest die Einwohner des betroffenen Ortsteils den Bauunternehmer identifizieren. Der Bericht beruhe aber auf wahren Tatsachen, nämlich die tatsächliche Verurteilung des Bauunternehmers. Außerdem werde zumindest durch den Zusatz klar, dass die Verurteilung auch noch nicht rechtskräftig sei.
Persönlichkeitsrecht vs. Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit
Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Bauunternehmers stehe nicht außer Verhältnis zum Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Es gehöre gerade zu den Aufgaben der Presse, in Zusammenhang mit demokratischen Prozessen zu berichten. Hierzu gehöre auch die Berichterstattung über den Hintergrund der Kandidaten, insbesondere deren verwandtschaftliche Beziehungen, da diese möglicherweise Einfluss auf zukünftige Entscheidungen der Kandidaten haben könnten. Sowohl der erhöhte Lkw-Verkehr im Ort, als auch die erstinstanzlich abgeurteilten Straftaten des Antragstellers zulasten der Anwohner seien von lokalem Interesse.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.10.2023, 4 W 23/23, PM vom 11.3.2024
| Die Nutzung eines Bootes als schwimmende Bar auf der Havel muss nach einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin umgehend beendet werden. |
Boot = bauliche Anlage?
Der Antragsteller ist Eigentümer eines Bootes, das er überwiegend an Dritte vermietet, im Sommer aber an drei Tagen am Wochenende zum Ausschank von Getränken an Gäste nutzt. Die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt forderte ihn im August 2023 sofort vollziehbar auf, die schwimmende Bar innerhalb einer Woche ab Zugang der Anordnung „zu beseitigen“. Zur Begründung führte die Behörde im Wesentlichen aus, die auf einer Plattform betriebene Bar sei nach dem Berliner Wassergesetz genehmigungsbedürftig; eine Genehmigung werde aber nicht erteilt.
Der Antragsteller hat um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er meint, bei seinem Boot handele es sich weder um eine bauliche Anlage im Wasser noch um eine schwimmende Plattform, sondern um ein zugelassenes Sportboot. Es werde wegen der Vermietung an Dritte auch nicht vorwiegend stationär genutzt.
Während der Woche Sportboot, an Wochenenden Anlage im Gewässer
Das VG hat die Rechtmäßigkeit der Anordnung überwiegend bestätigt. Bei der schwimmenden Bar handele es sich um eine nicht genehmigte Anlage, deren Beseitigung die Wasserbehörde nach dem Berliner Wassergesetz habe anordnen dürfen. Auch wenn das Boot während der Woche als Sportboot einzustufen sei, führe seine wiederkehrende stationäre Nutzung als schwimmende Bar in der Sommersaison von Freitagabend bis Sonntag dazu, dass es in diesem Zeitraum als Anlage im Gewässer einzustufen sei. Diese Nutzung überschreite qualitativ die Grenze der gemeinverträglichen Nutzung des Gewässers und stelle sich damit wie eine Sondernutzung dar.
Strenger Maßstab war anzulegen
Wegen der besonderen Bedeutung, die dem Wasser für die Allgemeinheit wie für den Einzelnen zukomme und mit Rücksicht darauf, dass das Wasser und der Wasserhaushalt gegenüber Verunreinigungen und sonstigen nachteiligen Einwirkungen in besonderer Weise anfällig sei, sei ein strenger Maßstab gerechtfertigt. Daher könne der Antragsteller auch keine Sondernutzungserlaubnis beanspruchen.
Das VG beanstandete den Bescheid allerdings hinsichtlich der zur Durchsetzung der Verfügung angedrohten Ersatzvornahme, da nur der Antragsteller selbst die stationäre Nutzung unterlassen könne und es sich somit um eine unvertretbare Handlung handele.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 19.1.2024, VG 10 L 419.23, PM 4/24
| Prozesskosten zur Erlangung nachehelichen Unterhalts sind privat veranlasste Aufwendungen und keine (vorweggenommenen) Werbungskosten bei den späteren Unterhaltseinkünften i. S. des Einkommensteuergesetzes (hier: § 22 Nr. 1 a EStG). Mit dieser Entscheidung hat der Bundesfinanzhof (BFH) der anderslautenden Sichtweise des Finanzgerichts (FG) Münster (Vorinstanz) widersprochen. |
Hintergrund: Beim begrenzten Realsplitting kann der Unterhaltsverpflichtete die Unterhaltszahlungen bis zu 13.805 Euro im Jahr (zuzüglich der aufgewandten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung als Basisversorgung) als Sonderausgaben abziehen. Dies bedarf allerdings der Zustimmung des Unterhaltsberechtigten, der die Unterhaltszahlungen seinerseits als sonstige Einkünfte versteuern muss.
Erst durch den Antrag und die Zustimmung werden Unterhaltsleistungen in den steuerrelevanten Bereich überführt. Die Umqualifizierung markiert die zeitliche Grenze für das Vorliegen abzugsfähiger Erwerbsaufwendungen; zuvor verursachte Aufwendungen des Unterhaltsempfängers stellen keine Werbungskosten dar.
Beachten Sie | Der BFH hat den Streitfall an das FG Münster zurückverwiesen. Dieses muss nun klären, ob ggf. außergewöhnliche Belastungen vorliegen. Es besteht zwar ein Abzugsverbot für Prozesskosten (§ 33 Abs. 2 S. 4 EStG). Dieses greift aber nicht, wenn die Existenzgrundlage oder lebensnotwendige Bedürfnisse des Steuerpflichtigen betroffen sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 18.10.2023, X R 7/20
| Nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die pauschale Besteuerung (Steuersatz i. H. von 25 %) für Betriebsveranstaltungen auch für Veranstaltungen zulässig, die nicht allen Betriebsangehörigen offenstehen. Nicht so erfreulich ist dagegen ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG), wonach die verspätete Pauschalbesteuerung nicht zur Beitragsfreiheit in der Sozialversicherung führt. |
Hintergrund: Zuwendungen des Arbeitgebers an seinen Arbeitnehmer und dessen Begleitpersonen anlässlich von Veranstaltungen auf betrieblicher Ebene mit gesellschaftlichem Charakter (Betriebsveranstaltung) führen gemäß Einkommensteuergesetz (hier: § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 1 EStG) zu Arbeitslohn.
Soweit die Zuwendungen den Betrag von 110 Euro je Betriebsveranstaltung und teilnehmendem Arbeitnehmer nicht übersteigen, gehören sie jedoch nicht zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, wenn die Teilnahme allen Angehörigen des Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. Dies gilt für bis zu zwei Betriebsveranstaltungen jährlich (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 3 und S. 4 EStG).
Urteil des Bundesfinanzhofs
Ungeklärt war bislang die Frage, ob eine„Betriebsveranstaltung“ auch bei einem geschlossenen Kreis (beispielsweise Vorstands- und Führungskräfte feiern) vorliegt.
Beachten Sie | In diesen Fällen kann zwar kein Freibetrag i. H. von 110 Euro gewährt werden, aber es wäre eine Lohnsteuerpauschalierung (nach § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) mit 25 % möglich.
Auch bei eingeschränktem Kreis: Betriebsveranstaltung
Diese Frage hat der BFH – im Gegensatz zur Vorinstanz – nun zugunsten der Steuerpflichtigen entschieden. Nach der ab dem Veranlagungszeitraum 2015 geltenden Definition im Einkommensteuergesetz (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 1 EStG) kann eine Betriebsveranstaltung auch vorliegen, wenn sie nicht allen Angehörigen eines Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. Und da diese Definition dem Tatbestandsmerkmal „Betriebsveranstaltung“ (gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) entspricht, ist eine pauschale Besteuerung möglich.
Urteil des Bundessozialgerichts
Im Streitfall des BSG ging es auch um Betriebsveranstaltungen – und zwar um die Frage, welche Folgen eine verspätete Lohnsteuerpauschalierung für die Sozialversicherung hat.
Das war geschehen
Ein Unternehmen feierte mit seinen Beschäftigten am 5.9.2015 ein Firmenjubiläum. Am 31.3.2016 zahlte es für September 2015 auf einen Betrag von rund 163.000 Euro die für 162 Arbeitnehmer angemeldete Pauschalsteuer. Nach einer Betriebsprüfung forderte der Rentenversicherungsträger von dem Unternehmen Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen in Höhe von rund 60.000 Euro nach – und zwar zu Recht, wie das BSG entschieden hat (die gegenteiligen Entscheidungen der Vorinstanzen wurden aufgehoben).
Aufwendungen von mehr als 110 Euro je Beschäftigten für eine betriebliche Jubiläumsfeier sind als geldwerter Vorteil in der Sozialversicherung beitragspflichtig, wenn sie nicht mit der Entgeltabrechnung, sondern erst erheblich später pauschal versteuert werden.
Pauschalversteuerung erfolgte zu spät
Es kommt entscheidend darauf an, dass die pauschale Besteuerung „mit der Entgeltabrechnung für den jeweiligen Abrechnungszeitraum“ erfolgt. Dies wäre im konkreten Fall die Entgeltabrechnung für September 2015 gewesen. Tatsächlich wurde die Pauschalbesteuerung aber erst Ende März 2016 durchgeführt und damit sogar nach dem Zeitpunkt, zu dem die Lohnsteuerbescheinigung für das Vorjahr übermittelt werden musste.
Beachten Sie | Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung vertreten im Besprechungsergebnis vom 20.4.2016 (TOP 5) die Auffassung, dass eine nachträgliche Pauschalbesteuerung nur bis zur Erstellung der Lohnsteuerbescheinigung geltend gemacht werden kann, also längstens bis zum 28.2. des Folgejahrs. Dem hat sich das BSG nun im Ergebnis angeschlossen.
Quelle | BFH, Urteil vom 27.3.2024, VI R 5/22; BSG, Urteil vom 23.4.2024, B 12 BA 3/22 R Abruf-Nr. 241172 unter www.iww.de, PM Nr. 15/24 vom 23.4.2024; Spitzenorganisationen der Sozialversicherung, Besprechungsergebnis vom 20.4.2016, TOP 5
| Aufwendungen einer gesunden Steuerpflichtigen für eine durch eine Krankheit des Partners veranlasste Präimplantationsdiagnostik (PID) können als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein. So lautet eine steuerzahlerfreundliche Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH). |
Hintergrund: Bei der PID handelt es sich um ein genetisches Diagnoseverfahren zur vorgeburtlichen Feststellung von Veränderungen des Erbmaterials, die eine Fehl- oder Totgeburt verursachen bzw. zu einer schweren Erkrankung eines lebend geborenen Kindes führen können. Es erfolgt eine zielgerichtete genetische Analyse von Zellen eines durch künstliche Befruchtung entstandenen Embryos vor seiner Übertragung und Einnistung in die Gebärmutter.
Das war geschehen
Bei dem Partner der Steuerpflichtigen lag eine chromosomale Translokation vor. Aufgrund dieser Chromosomenmutation bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein auf natürlichem Weg gezeugtes gemeinsames Kind an schwersten körperlichen oder geistigen Behinderungen leidet und unter Umständen nicht lebensfähig ist. Daher wurde eine PID durchgeführt. Der Großteil der hierfür notwendigen Behandlungen betraf die Steuerpflichtige, die den Abzug der Kosten als außergewöhnliche Belastungen beantragte.
Das Finanzamt lehnte eine Berücksichtigung der Behandlungskosten ab. Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen gab der Klage hinsichtlich der von der Steuerpflichtigen selbst getragenen Aufwendungen hingegen statt.
Bundesfinanzhof: zwangsläufig entstandene Aufwendungen
Der BFH bestätigte nun die Vorentscheidung. Die Aufwendungen für die Behandlung der Steuerpflichtigen sind zwangsläufig entstanden, weil die ärztlichen Maßnahmen in ihrer Gesamtheit dem Zweck dienten, eine durch Krankheit beeinträchtigte körperliche Funktion ihres Partners auszugleichen. Wegen der biologischen Zusammenhänge konnte (anders als bei anderen Erkrankungen) durch eine medizinische Behandlung allein des erkrankten Partners keine Linderung der Krankheit eintreten. Daher steht der Umstand, dass die Steuerpflichtige selbst gesund ist, der Berücksichtigung der Aufwendungen nicht entgegen.
Auch auf den Familienstatus kam es nicht an
Unschädlich war auch, dass die Steuerpflichtige und ihr Partner nicht verheiratet waren – und schließlich war auch das Erfordernis der Übereinstimmung der vorgenommenen Behandlungsschritte mit gesetzlichen Vorschriften (insbesondere dem Embryonenschutzgesetz) erfüllt.
Beachten Sie | Außergewöhnliche Belastungen wirken sich nur steuermindernd aus, wenn sie die im Einkommensteuergesetz (hier: § 33 Abs. 3 EStG) festgelegte zumutbare Belastung übersteigen. Die Höhe der zumutbaren Belastung hängt dabei u. a. vom Gesamtbetrag der Einkünfte ab.
Quelle | BFH, Urteil vom 29.2.2024, VI R 2/22, PM 23/24 vom 10.5.2024
| Das Ordnungsamt darf einen privaten Pkw, der auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellt worden ist, unabhängig davon abschleppen lassen, ob ein Carsharing-Fahrzeug an der Nutzung dieses Parkplatzes konkret gehindert worden ist. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf entschieden und die Klage der Fahrzeugführerin gegen einen Leistungs- und Gebührenbescheid abgewiesen. |
Die Klägerin hatte ihren Pkw auf einer Fläche abgestellt, die durch Verkehrsschilder als Parkplatz für Carsharing-Fahrzeuge gekennzeichnet war. Ein Mitarbeiter der städtischen Verkehrsüberwachung stellte den Verstoß fest und beauftragte einen Abschleppwagen. Kurz vor dessen Eintreffen erschien die Klägerin und entfernte ihr Fahrzeug von dem Parkplatz. Die Stadt machte ihr gegenüber mit Leistungs- und Gebührenbescheid die Kosten der Leerfahrt des Abschleppwagens geltend und setzte eine Verwaltungsgebühr fest. Zur Begründung ihrer Klage gegen diesen Bescheid trug die Klägerin vor, sie habe nur elf Minuten auf dem Carsharing-Platz geparkt und zu dieser Zeit seien noch weitere Parkplätze frei gewesen, sodass ein Abschleppen nicht notwendig gewesen sei.
Das VG: Die Beauftragung des Abschleppwagens war rechtmäßig. Ein Fahrzeug, das auf einem nach der Beschilderung ausschließlich Carsharing-Fahrzeugen vorbehaltenen Parkplatz steht, aber nicht am Carsharing teilnimmt, wird so betrachtet, als wenn es in einem absoluten Halteverbot stünde. Die Abschleppmaßnahme war verhältnismäßig, weil die Funktion der Parkplätze für Carsharing-Fahrzeuge nur gewährleistet ist, wenn sie jederzeit von nicht parkberechtigten Fahrzeugen freigehalten werden. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob die Klägerin durch das verbotswidrige Abstellen konkret ein bevorrechtigtes Carsharing-Fahrzeug am Parken gehindert hat. Das Abschleppen ist auch unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, dass von einem zu Unrecht auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellten Fahrzeug eine negative Vorbildwirkung für andere Kraftfahrer ausgeht.
Quelle | VG Düsseldorf, Urteil vom 20.2.2024, 14 K 491/23, PM vom 28.2.2024
| Die Abschleppunternehmer rechnen üblicherweise nach Einsatzstunden ab, wobei im Stundensatz die Kosten für das Fahrzeug und den Fahrer enthalten sind. Die Preis- und Strukturbefragung des Verbands Bergen und Abschleppen (VBA) differenziert dabei im unteren Segment nach Abschleppfahrzeugen unter und über zwölf Tonnen zulässigem Gesamtgewicht (zGG). Das Amtsgericht (AG) Pforzheim musste einen Fall entscheiden, bei dem der Abschleppunternehmer mit einem 13-Tonner vorgefahren kam. |
Der Versicherer trug vor, bei dem konkreten Gewicht des zu transportierenden Fahrzeugs hätte auch ein 11-Tonner genügt. Auf dieser Grundlage hatte er die Abschleppkosten nur reduziert erstattet.
Das Gericht entschied: Es möge sein, dass ein 11-Tonner genügt hätte. Doch sei dies im Vorhinein nicht abschätzbar.
Quelle | AG Pforzheim, Urteil vom 11.1.2024, 9 C 1207/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat sich in seiner Entscheidung mit der Frage befasst, ob der Klägerin ein Anspruch auf Sterbegeld und Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusteht, nachdem ihr Ehemann einen tödlichen Motorradunfall erlitten hatte. |
Ehemann der Klägerin bei Verkehrsunfall tödlich verletzt
Der Ehemann der Klägerin war Inhaber eines Autohauses in Berlin und als Unternehmer freiwillig bei der beklagten Berufsgenossenschaft versichert. Die Klägerin war in dem Autohaus angestellt tätig. Die gemeinsame Wohnung der Eheleute lag etwa 14 km vom Autohaus entfernt. Am 19.8.2013 reisten beide gemeinsam auf ihrem Motorrad aus einem mehrtägigen Urlaub in Thüringen die rund 400 km lange Strecke zurück nach Berlin, der Ehemann lenkte das Motorrad. Da die Tochter des Ehepaares während des Urlaubs die Geschäfte des Autohauses weitergeführt hatte und wegen eines Zahnarzttermins um 14:00 Uhr auf ihrer Arbeit abgelöst werden sollte, wollten sich die Eheleute aus Thüringen kommend direkt zum Autohaus begeben. Dort sollten von beiden die weiteren Geschäfte aufgenommen werden, ohne zuvor in die Familienwohnung zu fahren. Bereits auf dem Berliner Stadtgebiet, noch bevor sich die Wege zum Autohaus und zur Familienwohnung gabelten, kam es gegen 13:25 Uhr zu einem Verkehrsunfall, bei dem sich die Klägerin erheblich verletzte und ihr Ehemann verstarb.
Berufsgenossenschaft lehnte Sterbegeld ab
Die Berufsgenossenschaft lehnte es ab, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen (Sterbegeld und Witwenrente) zu erbringen. Ihr Ehemann habe sich bei dem Unfall nicht auf einem versicherten Arbeitsweg befunden, sondern lediglich auf einem privat veranlassten Rückweg von einer Urlaubsreise. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin und die Berufung vor dem LSG blieben zunächst ohne Erfolg. Auf die vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassene und von der Klägerin eingelegte Revision hin hat das Bundessozialgericht (BSG) das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache dorthin zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts sowie zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Landessozialgericht spricht Hinterbliebenenleistungen zu
Das LSG hat jetzt entschieden: Der Ehefrau stehen Hinterbliebenenleistungen zu. Der tödliche Motorradunfall stelle für den Ehemann als freiwillig versicherten Unternehmer einen Arbeitsunfall dar.
Zum einen sei der Ehemann versichert gewesen, weil er sich selbst zum Zeitpunkt des Unfalls auf dem direkten Weg zum Autohaus begeben wollte, um dort seiner Arbeit nachzugehen. Zum anderen habe Versicherungsschutz auch deshalb bestanden, weil die objektiven Begleitumstände und die Angaben der Ehefrau darauf schließen ließen, dass der verunglückte Ehemann seine Frau direkt zum Autohaus gefahren habe, damit diese dort die gemeinsame Tochter bei der Arbeit habe ablösen können. Damit liege ein versicherter, sogenannter „Betriebsweg“ vor, der nicht auf das Betriebsgelände beschränkt sei, aber dennoch im unmittelbaren betrieblichen Interesse liege.
Dem Versicherungsschutz stehe nicht entgegen, dass der Weg aus dem Urlaub (von einem „dritten Ort“ aus) angetreten worden sei und mithin erheblich länger gewesen sei, als es die Strecke von der Wohnung zur Arbeit gewesen wäre. Entscheidend sei, dass der zurückgelegte Weg die direkte Strecke zum Autohaus gewesen sei bzw. dass der subjektive Wille in erster Linie auf die Wiederaufnahme der Arbeit gerichtet gewesen sei. Dies hat das LSG anhand der vorliegenden Indizien des Falls bejaht. Insbesondere seien auch der Unfallzeitpunkt (13:25 Uhr) und der Zeitpunkt, zu dem die Tochter im Autohaus abgelöst werden sollte (14:00 Uhr), zeitlich stimmig.
Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.1.2024, L 21 U 202/21, PM vom 1.2.2024
| Mit den Besonderheiten bei der Versicherung historischer Fahrzeuge hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Es entschied: Steigt der Wert eines Oldtimers nach Abschluss der Versicherung an, ist der Betrag der Wertsteigerung womöglich vom Versicherungsschutz ganz oder teilweise nicht erfasst. Der Eigentümer des Fahrzeugs muss selbst darauf achten, den versicherten Wert regelmäßig dem etwa gestiegenen Marktwert anzupassen. Eine auf vollständigen Ersatz gerichtete Klage gegen die Kfz-Versicherung hat das Gericht im zugrundeliegenden Fall wegen Unterdeckung abgewiesen. |
Das war geschehen
Ein Oldtimerfan hatte sein historisches Fahrzeug gegen Beschädigung oder Zerstörung zum jeweils aktuellen Marktwert versichert. Später kam es dazu, dass das Fahrzeug bei einem Brand in einer Tiefgarage erheblich beschädigt worden war.
Die Kfz-Versicherung kam nach eingeholtem Gutachten zu einem Wert des Fahrzeugs am Schadenstag in Höhe von knapp 41.000 Euro und zahlte dem Eigentümer den entsprechenden Geldbetrag aus. Dieser war jedoch davon überzeugt, dass sein Oldtimer deutlich mehr wert gewesen sei und ließ deshalb ein weiteres Gutachten einholen. Dieses kam tatsächlich zu dem Ergebnis, dass das historische Fahrzeug im Wert deutlich gestiegen und fast 8.000 Euro mehr wert war, als von der Versicherung angenommen. Der Mann verlangte nun die Differenz.
Sonderbedingungen des Versicherungsvertrags entscheidend
Das LG verwies, wie auch zuvor bereits die Versicherung, den Oldtimerfan auf die im Versicherungsvertrag enthaltenen Sonderbedingungen für historische Fahrzeuge. Danach werde grundsätzlich ein Schaden bis zur Höhe des aktuellen Marktwerts ersetzt. Die Höchstentschädigung sei aber durch den Marktwert begrenzt, der bei Versicherungsabschluss vereinbart wurde.
Im Fall von Wertsteigerungen könne maximal zehn Prozent mehr als der damals vereinbarte Marktwert verlangt werden. Der habe im konkreten Fall rund 36.000 Euro betragen. Dem Oldtimerbesitzer stehe deshalb keine höhere Entschädigung zu, als von der Versicherung bereits ausgezahlt.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 17.1.2024, 3 O230/23, PM vom 28.2.2024
| Das Amtsgericht (AG) Frankfurt hatte nach der Wegnahme eines Fan-Schals keinen Diebstahl, sondern lediglich eine Nötigung angenommen. Ob ein Diebstahl vorliege, hänge davon ab, ob der Täter den Schal seinem Vermögen einverleiben wolle. |
Wegnahme nach Fußballspiel
Der angeschuldigte Eintracht-Fan soll bei einem Fußballspiel der Frankfurter Eintracht gegen den FC Schalke 04 im Deutsche Bank-Park einem Fan der gegnerischen Mannschaft einen Fan-Schal abgenommen haben. Beim Verlassen des Stadions habe er dem Schalke-Anhänger den Fan-Schal im Vorbeilaufen vom Hals gezogen. Als der Schalke-Fan ihn zur Rückgabe aufforderte, habe er ihn mit beiden Händen weggeschoben.
Staatsanwaltschaft bejahte Diebstahl
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main wertete dies als Diebstahl. Da der Angeschuldigte zudem den Schalke-Fan mit Gewalt weggedrückt habe, um den erbeuteten Schal behalten zu können, erhob sie Anklage wegen räuberischen Diebstahls - einem Verbrechenstatbestand mit einer Mindeststrafe von einem Jahr.
Amtsgericht differenzierte
Das AG sah in der Handlung des Angeschuldigten jedoch keinen Diebstahl. Es fehle an der hierfür notwendigen „Zueignungsabsicht“. Diese liege nur vor, wenn der Täter sich die Sache aneignen, sie also seinem Vermögen zuführen wolle. Nehme der Täter den Schal aber lediglich an sich, um jemanden zu ärgern, fehle es an einer Zueignungsabsicht. Es handele sich dann lediglich um eine straflose „Gebrauchsanmaßung“ und – sofern der Schal anschließend beschädigt würde – um eine Sachbeschädigung.
Da das Gericht keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür sah, dass der Angeschuldigte den Schal behalten wollte, eröffnete es das Hauptverfahren nicht wegen räuberischen Diebstahls, sondern lediglich wegen Nötigung. Diese habe der Angeschuldigte durch das Wegdrücken des Schalke-Fans begangen.
Quelle | AG Frankfurt am Main, Beschluss vom 23.10.2023, 917 Ls 6443 Js 217242/23, PM vom 8.3.2024
| Bei der Zerstörung eines älteren Baumes ist in der Regel keine sog. Naturalrestitution zu leisten, also nicht der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Der Anspruch geht vielmehr auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines jungen Baumes und darüber hinaus einen Ausgleich für eine etwa verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Das Oberlandgericht (OLG) Frankfurt am Main hat ein den eingeklagten Schadenersatzanspruch größtenteils zurückweisendes Urteil des Landgerichts (LG) aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das LG zurückverwiesen. |
Rückschnitt ja, aber nicht so gravierend
Die Parteien sind Nachbarn. Die Klägerin ist Eigentümerin eines großen Grundstücks im Vordertaunus mit rund 70-jährigem Baumbestand. Der Baum- und Strauchbestand wird jährlich mehrfach durch ein Fachunternehmen beschnitten. An den hinteren Gartenbereich grenzt u. a. das Grundstück des Beklagten. Im Abstand von 1,60 m hierzu steht auf dem klägerischen Grundstück eine Birke, im Abstand von 3,35 m ein Kirschbaum. Beide Bäume waren zum Zeitpunkt des Erwerbs des Beklagten schon lange vorhanden. Die Klägerin war einverstanden, dass der Beklagte die auf sein Grundstück herüberhängenden Äste der Gehölze zurückschneidet.
Ende Mai 2020 betrat der Beklagte das klägerische Grundstück in ihrer Abwesenheit und führte gravierende Schnittarbeiten unter anderem an den beiden Bäumen durch. An der Birke verblieb kein einziges Blatt. Der kurz vor der Ernte befindliche Kirschbaum wurde vollständig eingekürzt. Ob sich die Bäume wieder komplett erholen oder die derzeitigen Triebe allein sog. Nottriebe sind, die an dem Absterben nichts ändern, ist zwischen den Parteien streitig.
Landgericht sprach Schadenersatz von 4.000 Euro zu
Das LG hat der auf Zahlung von Schadenersatz von knapp 35.000 Euro gerichteten Klage in Höhe von gut 4.000 Euro stattgegeben. Es führte aus, dass die Wertminderung der Bäume sowie die Kosten für die Entsorgung des Schnittguts zu ersetzen seien.
Oberlandesgericht: Sachverhalt muss aufgeklärt werden
Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LG. Der Sachverhalt sei zur Bemessung des Schadenersatzes weiter aufzuklären, begründete das OLG die Entscheidung.
Bei der Zerstörung eines Baumes sei in der Regel nicht Schadenersatz in Form von Naturalrestitution zu leisten, da die Ersatzbeschaffung in Form der Verpflanzung eines ausgewachsenen Baumes regelmäßig mit besonders hohen und damit unverhältnismäßigen Kosten verbunden sei. Der Schadenersatz richte sich vielmehr üblicherweise auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines neuen jungen Baumes sowie einen Ausgleichsanspruch für die verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Diese Werteinbuße sei zu schätzen. Nach einer möglichen Bewertungsmethode könnten dafür die für die Herstellung des geschädigten Gehölzes bis zu seiner Funktionserfüllung erforderlichen Anschaffungs-, Pflanzungs- und Pflegekosten sowie das Anwachsrisiko berechnet und anschließend kapitalisiert werden. Dieser Wert sei um eine Alterswertminderung, Vorschäden und sonstige wertbeeinflussende Umstände zu bereinigen.
Ausnahmsweise seien die vollen Wiederbeschaffungskosten zuzuerkennen, „wenn Art, Standort und Funktion des Baumes für einen wirtschaftlich vernünftig denkenden Menschen den Ersatz durch einen gleichartigen Baum wenigstens nahelegen würden“, erläutert das OLG weiter. Aufzuklären sei deshalb bei der Bewertung des Schadenersatzes die Funktion der Bäume für das konkrete Grundstück. Zu berücksichtigen sei dabei auch der klägerische Vortrag, wonach es ihr bei der sehr aufwändigen, gleichzeitig naturnahen Gartengestaltung auch darauf angekommen sei, Lebensraum für Vögel und sonstige Tiere zu schaffen und einen Beitrag zur Umwandlung von Kohlenstoffdioxid in Sauerstoff zu leisten.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 6.2.2024, 9 U 35/23, PM 12/24
Impfpflicht: Vorlage eines Masernimmunitätsnachweises für schulpflichtige Kinder
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat in mehreren Eilverfahren die Beschwerden von Eltern schulpflichtiger Kinder gegen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin zurückgewiesen, wonach Gesundheitsämter für den Schulbesuch den Nachweis einer Impfung oder Immunität gegen Masern fordern dürfen, sofern keine Kontraindikation besteht. Für den Fall, dass der Nachweis nicht vorgelegt wird, kann auch ein Zwangsgeld angedroht werden. |
Infektionsschutzgesetz verfassungskonform
Zur Begründung hat das OVG u. a. ausgeführt: Die Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes zur Nachweispflicht seien angesichts der hochansteckenden Viruskrankheit mit möglicherweise schwerwiegenden Komplikationen nicht offenkundig verfassungswidrig. Zwar greife die Nachweispflicht in das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes ein. Die Regelung sei aber verhältnismäßig, weil sie – wie das Bundesverfassungsgericht bereits zur Nachweispflicht bei noch nicht schulpflichtigen Kindern entschieden habe – einen legitimen Zweck verfolge und nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehe.
Impfpflicht besteht
Der Gesetzgeber des Masernschutzgesetzes sei von einer grundsätzlich bestehenden „Impfpflicht“ bzw. „verpflichtenden Impfung“ ausgegangen. Er habe lediglich von deren Durchsetzung im Wege des unmittelbaren Zwangs abgesehen. Andere Zwangsmittel, wie Zwangsgeld und Geldbuße, seien hingegen vorgesehen, um eine tatsächliche Erhöhung der Impfquote in Schulen und sonstigen Gemeinschaftseinrichtungen – und damit letztlich in der gesamten Bevölkerung – zu erreichen.
Die Beschlüsse sind unanfechtbar.
Quelle | OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 28.2.2024, OVG 1 S 80/23 u. a., PM 9/24
| Nach Modernisierungsarbeiten vor Mietbeginn kann der Vermieter eine Miete vereinbaren, die die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 10 % übersteigt. Bestreitet der Mieter die Maßnahmen, ist das unbeachtlich, wenn der Vermieter eine substanziierte Berechnung vorgelegt und Einsicht in sämtliche Unterlagen angeboten hat. Das hat jetzt das Amtsgericht (AG) Berlin-Charlottenburg entschieden. |
Mieter verlangte Rückerstattung überhöhter Miete
Die Miete für eine Wohnung in einem durch Verordnung bestimmten Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt lag bei 1.700 Euro. Unter Berücksichtigung eines zehnprozentigen Zuschlags gemäß Mietspiegel war von einer ortsüblichen Vergleichsmiete von maximal 867,71 Euro auszugehen. Der Mieter forderte die Rückerstattung der überhöht verlangten Miete. Im Prozess nahm der Vermieter detailliert zu den von ihm durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen Stellung und legte dar, in welchem Umfang Abzüge für Instandsetzungsmaßnahmen vorgenommen wurden, insbesondere, dass anrechenbare Modernisierungskosten in Höhe von 441,33 Euro pro Monat entstanden seien.
Klage hatte teilweise Erfolg
Das AG gab der Klage teilweise statt. Bei den Baumaßnahmen des Vermieters handele es sich zwar nicht um eine umfassende Modernisierung im Sinne des § 556 f BGB, sodass der Vermieter die Wohnung nicht preisfrei vermieten durfte. Bei einer umfassenden Modernisierung sei zum einen auf den Investitionsaufwand und zum anderen auf das Ergebnis der Maßnahme, also die qualitativen Auswirkungen auf die Gesamtwohnung, abzustellen. Die aufgewandten Kosten einer reinen Erhaltungsmaßnahme zählten insgesamt nicht zu den Modernisierungskosten. Allein die Höhe des Bauaufwands reiche nicht aus; entscheidend sei das Resultat, also der geschaffene Zustand. Der Begriff „umfassend“ bezeichne nämlich nicht nur ein quantitatives (Kosten-)Element, sondern gleichberechtigt ein qualitatives Kriterium. Zu berücksichtigen seien die qualitativen Auswirkungen der Maßnahmen auf die Gesamtwohnung. Eine solche Auslegung werde dem Gesetzeszweck gerecht, Modernisierungen zu fördern. Durch diesen Aufwand müsse ein Zustand erreicht werden, der einer Neubauwohnung in etwa – nicht notwendig vollständig – entspreche.
Im Fall des AG fehlten Darlegungen des Vermieters, dass durch die Maßnahmen ein Zustand erreicht wurde, der insbesondere in energetischer Hinsicht einem Neubau gleichkommt. Jedoch sei der Vermieter berechtigt, die Kosten für die Modernisierungsmaßnahmen (nach § 556 e Abs. 2 BGB) in Höhe von 441,33 Euro pro Monat anzurechnen. Insgesamt sei daher eine Nettokaltmiete für die Wohnung in Höhe von 1.309,04 Euro berechtigt.
Quelle | AG Berlin-Charlottenburg, Urteil vom 9.6.2023, 209 C 29/22
| Nach dem Wohnungseigentumsgesetz (hier: § 20 Abs. 1 Abs. 2 S. 1 WEG) kann jeder Wohnungseigentümer angemessene bauliche Veränderungen verlangen, die u. a. dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen (sog. privilegierte bauliche Veränderungen). Verlangt ein Wohnungseigentümer eine solche bauliche Veränderung, entscheidet die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer über das „Wie“ der Maßnahme nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung. Der einzelne Wohnungseigentümer hat grundsätzlich keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung. So entschied es das Landgericht (LG) Stuttgart. |
Eigentümer errichtete zunächst Ladesäule
Ein Wohnungseigentümer hatte ein Sondernutzungsrecht an einem Stellplatz im Freien. Seit Jahren versuchte er vergeblich zu erreichen, dass eine Ladesäule für Elektrofahrzeuge an seinem Stellplatz errichtet wird. Schließlich montierte er im Sommer 2019 ohne Gestattung neben seinem Außenstellplatz eine Ladesäule auf einem Betonfundament. Für die Errichtung als „öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur“ erhielt er eine Förderung aus Bundesmitteln. Die Eigentümergemeinschaft verklagte ihn erfolgreich auf Entfernen der Ladestation und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Im Rahmen der Vollstreckung wurde die Ladesäule demontiert.
Dann verlangte er bestimmte bauliche Veränderungen
Der Eigentümer verlangte daraufhin „bauliche Veränderungen, die dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen gemäß (von ihm) vorgelegtem Ladeinfrastrukturkonzept“. Dieser Antrag wurde in der Eigentümerversammlung 2020 nicht beraten und zur Abstimmung gestellt, sondern beschlossen, ein Gesamtkonzept zum Betreiben von Ladepunkten für E-Mobilität erstellen zu lassen. Die Eigentümerversammlung 2021 lehnte das inzwischen vorliegende Gesamtkonzept ab und ebenso die von dem Eigentümer erneut beantragte Genehmigung baulicher Veränderungen gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept, das alternativ eine öffentliche oder nichtöffentliche Nutzung vorsah. Zugleich wurde anderen Wohnungseigentümern auf deren Antrag gestattet, eine Wallbox an insgesamt vier Stellplätzen anzubringen.
Darauf erhob der Eigentümer Beschlussersetzungsklage, gerichtet auf die Gestattung, auf dem Gemeinschaftseigentum neben seinem Stellplatz die zuvor entfernte Ladestation gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept errichten zu dürfen, hilfsweise, ihm die Anbringung einer Wallbox zu gestatten. Damit hatte der Eigentümer in beiden Instanzen keinen Erfolg.
Landgericht: kein Anspruch auf bestimmte Ausführung einer Maßnahme
Der Eigentümer könne die Gestattung der Errichtung einer Ladestation nach dem von ihm entwickelten Ladeinfrastrukturkonzept nicht verlangen. Die Beschlussersetzungsklage diene der gerichtlichen Durchsetzung des Anspruchs des Wohnungseigentümers auf ordnungsmäßige Verwaltung. Die Klage sei daher begründet, wenn der klagende Wohnungseigentümer einen Anspruch auf den seinem Rechtsschutzziel entsprechenden Beschluss habe, weil nur eine Beschlussfassung ordnungsmäßiger Verwaltung entspreche.
Zwar könne jeder Wohnungseigentümer einen Beschluss über das „Ob“ solcher baulichen Veränderungen verlangen, so das LG; dies beinhalte aber keinen Anspruch auf eine bestimmte Art und Weise der Durchführung. Darüber entscheiden die Wohnungseigentümer im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung nach eigenem Ermessen. Der einzelne Wohnungseigentümer habe mithin keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung, solange das Ermessen der Gemeinschaft nicht aufgrund der Einzelfallumstände auf null reduziert sei.
Quelle | LG Stuttgart, Urteil vom 5.7.2023, 10 S 39/21
| Das Finanzministerium Baden-Württemberg stellt einen Ratgeber „Steuertipps für Familien“ zur Verfügung. Der 100 Seiten umfassende Ratgeber gibt neben Informationen rund um das Kindergeld u. a. einen Überblick über die Steuervergünstigungen für Familien und Alleinerziehende.
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden, wann ein Widerspruch vorliegt, durch den ein älteres Testament – ganz oder teilweise – aufgehoben wird. |
Vier handschriftliche Testamente
Die Erblasserin verstarb ledig und kinderlos. Sie hatte zwei Geschwister: eine Schwester und einen Bruder, die beide vorverstorben sind. Insgesamt hinterließ die Erblasserin vier handschriftlich verfasste Testamente.
Im ersten Testament vom 3.4.2007 setzte sie ihre Schwester als Alleinerbin und ihren Bruder als Ersatzerben ein. Dieses Testament änderte sie am 26.4.2009 durch Durchstreichen derart, dass die Ersatzerbenstellung des Bruders aufgehoben wurde mit der Bemerkung, dass er gestorben sei. Im Testament vom 26.4.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Später ergänzte sie den Text mit folgendem unvollständigen Wortlaut: „Für den Fall, dass meine Schwester das Erbe nicht antreten kann, setze ich meine Großnichte als“. Im Testament vom 18.10.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Weiter heißt es in dem Testament: „Für den Fall, dass meine Schwester verstorben ist, setze ich zur Nacherbin meine Großnichte ein.“ Schließlich testierte sie am 27.4.2016 erneut und setzte wiederum ihre Schwester als Alleinerbin ein. In diesem Testament wurde weder eine Ersatzerbschaft noch eine Nacherbschaft angeordnet und die Großnichte wurde nicht mehr erwähnt.
Die Großnichte beantragte einen Alleinerbschein. Dem traten die Kinder des vorverstorbenen Bruder entgegen. Das Nachlassgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, die Erblasserin habe mit ihrer letzten Verfügung von Todes wegen die vorangegangenen Testamente aufgehoben. Der gegen diesen Beschluss durch die Großnichte eingelegten Beschwerde hat das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Akten dem OLG Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat die Beschwerde zurückgewiesen.
So sah es das Oberlandesgericht
Die Großnichte könnte ihre Alleinerbenstellung allein aus dem Testament vom 18.10.2009 herleiten. Diese Stellung sei indes von der Erblasserin vollständig aufgehoben worden, als sie am 27.4.2016 ein neues Testament errichtet habe, in dem die Großnichte nicht mehr als Ersatzerbin berufen sei, so das OLG.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 2258 Abs. 1 BGB) werde durch die Errichtung eines Testaments ein früheres Testament insoweit aufgehoben, als dass das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch stehe. Ein derartiger Widerspruch liege zum einen vor, wenn die Testamente sachlich miteinander nicht vereinbar seien, die getroffenen Anordnungen also nicht nebeneinander Geltung erlangen könnten, sondern sich gegenseitig ausschließen. Ein Widerspruch sei zum anderen (auch) gegeben, wenn die einzelnen Anordnungen einander zwar nicht entgegengesetzt seien, aber die kumulative Geltung der mehreren Verfügungen den in einem späteren Testament zum Ausdruck kommenden Absichten des Erblassers zuwiderliefe. Das sei der Fall, wenn der Erblasser mit dem späteren Testament seine Erbfolge insgesamt, nämlich abschließend und umfassend (ausschließlich) habe neu regeln wollen. So liege der Fall hier.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.12.2023, I-3 Wx 189/23
| Zwei Investoren sind zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von insgesamt 300.000 Euro nebst Zinsen an einen Planungsverband verpflichtet worden, weil sie die Erteilung einer Baugenehmigung zur Realisierung eines Hotelbauvorhabens nicht rechtzeitig beantragt haben. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz. |
Frist für Bebauungsplan vereinbart
Im Dezember 2016 schloss der Planungsverband mit den Investoren einen städtebaulichen Vertrag. In diesem verpflichteten sich die Investoren, binnen 36 Monaten ab Inkrafttreten eines vom Planungsverband aufzustellenden Bebauungsplans einen vollständigen Bauantrag zur Errichtung eines Hotelbaus zu stellen. Unterbleibt eine rechtzeitige Bauantragstellung, ist eine Vertragsstrafe in Höhe von 15.000 Euro monatlich, höchstens in Höhe von 300.000 Euro, vorgesehen.
Frist überschritten: Vertragsstrafe
Weil die Investoren ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen waren, verlangte der Planungsverband zunächst außergerichtlich und dann mit seiner Klage, die vereinbarte Vertragsstrafe zu zahlen. Die Investoren beriefen sich dagegen auf Formfehler beim Zustandekommen des Vertrags und machten geltend, die Stellung eines vollständigen Bauantrags sei ihnen unmöglich gewesen, weil der Planungsverband Gestaltungsvorgaben nicht hinreichend konkret vorgegeben habe. Ferner stünde ein Lärmschutzkonflikt mit den Betreibern der auf dem Plateau vorhandenen Freilichtbühne einer Umsetzung des Hotelkonzepts entgegen.
Anforderungen eingehalten
Die Klage hatte Erfolg. Der Verband habe einen Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe, so das VG. Der Vertrag sei frei von Verfahrens- und Formfehlern zustande gekommen und entspreche den an einen städtebaulichen Vertrag zu stellenden gesetzlichen Anforderungen.
Rechtzeitigkeit wäre möglich gewesen
Den Investoren sei es zudem möglich gewesen, rechtzeitig vollständige Bauantragsunterlagen einzureichen. Insbesondere habe der Lärmschutzkonflikt zwischen dem geplanten Hotelvorhaben und der Freilichtbühne die Vorlage vollständiger Bauantragsunterlagen nicht unmöglich gemacht. Eine Lösung des Konflikts wäre vielmehr im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens herbeizuführen gewesen.
Gegen die Entscheidung wurde Rechtsmittel zum Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz erhoben.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 6.12.2023, 4 K 388/23.KO, PM 1/24
| Die Errichtung von Kleinwindenergieanlagen ist ein im Außenbereich baurechtlich privilegiertes Vorhaben der Nutzung der Windenergie, auch wenn es nicht mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms der öffentlichen Energieversorgung, sondern der Deckung des privaten Verbrauchs dient. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |
Landkreis lehnte Erlass eines Bauvorbescheids ab
Die Kläger beantragten, ihnen einen Bauvorbescheid zur Errichtung von vier Kleinwindenergieanlagen (Gesamthöhe 6,5 m) auf ihrem Grundstück im Außenbereich zu erteilen. Der Landkreis lehnte dies mit der Begründung ab, die Anlagen seien nicht als im Außenbereich privilegierte Vorhaben der Nutzung der Windenergie zu behandeln, da die Privilegierung auf solche Windenergieanlagen zu beschränken sei, die der öffentlichen Versorgung dienten. Zudem stünden öffentliche Belange dem Vorhaben entgegen. Hiergegen erhoben die Kläger Klage. Das Verwaltungsgericht (VG) verpflichtete den beklagten Landkreis, den beantragten Bauvorbescheid zu erteilen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Landkreises wies das OVG zurück.
Privilegiertes Bauvorhaben auch bei Privatnutzung der erzeugten Energie
Das VG habe den Beklagten zu Recht zur Erteilung des beantragten Bauvorbescheids verpflichtet. Bei der Errichtung und dem Betrieb der vier Kleinwindenergieanlagen handele es sich um ein der Nutzung der Windenergie dienendes privilegiertes Vorhaben im Sinne des Baugesetzbuchs (hier: § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB), das im Außenbereich zugelassen werden könne.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ließen sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal herleiten, wonach das Vorhaben nicht nur der Nutzung der Windenergie, sondern – mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms – auch der öffentlichen Energieversorgung dienen müsse. Gegen ein solches ungeschriebenes Erfordernis sprächen auch Sinn und Zweck der Norm. Diese diene letztlich einer umwelt- und ressourcenschonenden Energieversorgung mittels einer verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien, wozu Windenergieanlagen auch dann beitrügen, wenn sie allein zur Deckung eines privaten Verbrauchs errichtet würden. Die überragende Bedeutung dieses Ziels habe der Gesetzgeber mehrfach in seiner weiteren Normsetzung herausgestellt.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus einem Urteil des OVG aus dem Jahr 2018, an dem der dort erkennende Senat in Bezug auf den geforderten öffentlichen Versorgungszweck in einer neueren Entscheidung aus dem Jahr 2023 ersichtlich nicht mehr festhalte.
Keine Gefahr von Wildwuchs
Nicht nachvollziehbar sei die vom Beklagten ferner geltend gemachte Befürchtung, dass bei einer Privilegierung von allein der privaten Versorgung dienenden Kleinwindenergieanlagen ein Wildwuchs derartiger Vorhaben zulasten der Landschaft drohe. Denn die Errichtung einer Kleinwindenergieanlage im Außenbereich komme unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nur in Betracht, wenn der erzeugte Strom entweder durch einen dort in der Nähe der Anlage vorhandenen Verbraucher abgenommen oder ins Stromnetz eingespeist werde. Dies sei jedoch regelmäßig nicht der Fall, da ein Endabnehmer vor Ort im Außenbereich nur in Ausnahmefällen vorhanden sei und der Bau einer Leitung allein zum Zweck der Einspeisung des mit der Kleinanlage erzeugten Stroms in ein öffentliches Netz unter Rentabilitätsaspekten ausscheide. Dem privilegierten Vorhaben stünden auch keine öffentlichen Belange entgegen.
Quelle | OVG Koblenz, Urteil vom 4.4.2024, 1 A 10247/23. OVG, PM 6/24
| Das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz hat die Entlassung eines Polizeikommissars aus dem Beamtenverhältnis auf Probe für rechtmäßig erklärt. |
Das war geschehen
Der Kläger war im Jahr 2021 nach bestandener Laufbahnprüfung in das Probebeamtenverhältnis berufen und als Einsatzsachbearbeiter in einer Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei eingesetzt worden. Bereits zuvor, noch während seines Vorbereitungsdienstes, hatte er über mehrere Monate hinweg wiederholt Bilddateien (sog. Sticker) in verschiedene WhatsApp-Chatgruppen mit diskriminierenden, antisemitischen, rassistischen, menschenverachtenden sowie frauen- und behindertenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Inhalten hochgeladen. Als sein Dienstherr, der Beklagte, hiervon erfuhr, leitete er zunächst ein Disziplinarverfahren und dann ein Entlassungsverfahren ein und entließ den Kläger wegen erheblicher Zweifel an dessen charakterlicher Eignung für den Polizeidienst mit Ablauf des Jahres 2022 aus dem Probebeamtenverhältnis.
Hiergegen erhob der Kläger zunächst Widerspruch und in der Folge Klage. Zur Begründung gab er an, aus dem Kontext der Verwendung der Sticker werde hinreichend deutlich, dass es sich nur um „schwarzen Humor“ handele; der Inhalt der Sticker entspreche in keiner Weise seiner inneren Haltung.
Kläger kein „unbescholtenes Blatt“
Die Klage hatte keinen Erfolg. Der Beklagte sei vielmehr beurteilungsfehlerfrei von der charakterlichen Nichteignung des Klägers für den Polizeidienst ausgegangen. Damit knüpfte das VG an seine bereits im November 2023 getroffenen Beschluss an, mit dem er die vom Kläger beantragte Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussichten seiner Klage abgelehnt hatte. In dem Beschluss hatte das Gericht betont, es sei unerheblich, ob die vom Kläger verwandten „Sticker“ tatsächlich Ausdruck seiner Gesinnung seien. Der Kläger müsse diese so gegen sich gelten lassen, wie sie aus Sicht eines objektiven Betrachters zu verstehen seien. Es werde deutlich, dass der Kläger sich seiner beamtenrechtlichen Pflichten nicht einmal ansatzweise bewusst sei und dass ihm erkennbar die erforderliche charakterliche Reife und Stabilität für das Amt eines Polizeivollzugsbeamten fehle. Außerdem berücksichtigten die Richter, dass der Kläger im Februar 2024 strafrechtlich wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in vier Fällen, in drei Fällen hiervon in Tateinheit mit Volksverhetzung, schuldig gesprochen worden war.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 20.2.2024, 5 K 733/23. KO, PM 5/24
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung einer TV-Moderatorin wirksam ist, die trotz Abmahnungen eine Online-Kolumne für eine im Wettbewerb stehende Tageszeitung verfasst. |
Einschränkungen im Arbeitsvertrag
Die Klägerin war langjährig im Bereich Finanz- und Börsenberichterstattung für die Beklagte tätig, die einen Nachrichtensender mit TV- und Onlineberichterstattung betreibt. Der Arbeitsvertrag schränkt die Möglichkeit von Nebentätigkeiten ein und sieht vor, dass zuvor eine Genehmigung erfolgen muss.
Abmahnung wegen Online-Börsenkolumne
Die Klägerin hat unter anderem am 29.9.2022 eine Online-Börsenkolumne für eine Tageszeitung verfasst, wegen der sie am 4.10.2022 abgemahnt wurde. Dennoch veröffentlichte die Klägerin dort am 1.1.2023 eine weitere Kolumne, aufgrund der die Beklagte die streitgegenständliche Kündigung aussprach.
Zuvor war die Klägerin auch vor dem ArbG Köln in einem einstweiligen Verfügungsverfahren unterlegen, in dem sie ihren Arbeitgeber verpflichten wollte, die Nebentätigkeit zum Verfassen einer wöchentlichen Kolumne zu genehmigen. Hier hatte das ArbG geurteilt, dass die begehrte Nebentätigkeit eine nicht genehmigungsfähige Konkurrenztätigkeit darstelle.
Arbeitsgericht bestätigt Kündigung
Das ArG Köln hat die Kündigung bestätigt. Bei der Online-Kolumne handele es sich um eine Wettbewerbstätigkeit, da sowohl der Arbeitgeber als auch der Zeitungsverlag Unternehmen sind, die sowohl im Bereich der TV- wie auch der Onlineberichterstattung aktiv seien.
Zudem betreffe die Börsenkolumne der Klägerin den fachlichen Kernbereich ihrer Tätigkeit für die Beklagte. Gerade in diesen Themen hat die Klägerin sich in der Vergangenheit eine große Reputation aufgebaut, mit der sie bislang für die Beklagte in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten ist. Ein Arbeitnehmer, der während des bestehenden Arbeitsverhältnisses Wettbewerbstätigkeiten entfaltet, verstoße gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers. Dies könne eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar
Hier sei der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar. Das Vertrauen der Beklagten in einen störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses sei nach den bewussten, fortgesetzten und groben Pflichtverletzungen der Klägerin gänzlich aufgebraucht.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 11.10.2023, 9 Ca 5402/22, PM 11/23
| Ein Busunternehmer steht unter Unfallversicherungsschutz, wenn er im Homeoffice beim Hochdrehen der Heizung durch eine Verpuffung im Heizkessel verletzt wird. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Im Homeoffice Heizkessel überprüft und nach Verpuffung schwer verletzt
Der Kläger war als selbstständiger Busunternehmer bei der beklagten Berufsgenossenschaft pflichtversichert. Er bewohnte ein Haus, dessen Wohnzimmer er als häuslichen Arbeitsplatz (Homeoffice) für Büroarbeiten nutzte. Am Unfalltag holte der Kläger seine Kinder von der Schule ab und arbeitete anschließend an seinem Schreibtisch im Wohnzimmer. Nachdem er festgestellt hatte, dass die Heizkörper im ganzen Haus kalt waren, begab er sich zur Überprüfung der Kesselanlage in den Heizungskeller. Beim Hochdrehen des Temperaturschalters kam es aufgrund eines Defekts der Heizungsanlage zu einer Verpuffung im Heizkessel, in deren Folge der Kläger eine schwere Augenverletzung erlitt.
Bundessozialgericht erkennt Arbeitsunfall an
Die beklagte Berufsgenossenschaft, das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) lehnten einen Arbeitsunfall ab. Das BSG hat dagegen einen Arbeitsunfall anerkannt.
Der Kläger wollte nicht nur seine Kinder, sondern auch seinen häuslichen Arbeitsplatz mit höheren Temperaturen versorgen. Die Benutzung des Temperaturreglers war deshalb unternehmensdienlich, der Heizungsdefekt kein unversichertes privates Risiko.
Quelle | BSG, Urteil vom 21.3.2024, B 2 U 14/21 R, PM 11/24
| Die Zweifelsregelung im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 271 Abs. 2 BGB) gestattet es einem Arbeitgeber nicht, eine dem Arbeitnehmer bisher zustehende jährliche Einmalzahlung wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld kraft einseitiger Entscheidung stattdessen in anteilig umgelegten monatlichen Teilbeträgen zu gewähren, um sie „pro rata temporis“ – also zeitanteilig – auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen zu können. Diese Auffassung vertritt das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg im Streit über die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs durch Sonderzahlungen. |
Das LAG hat die Revision zugelassen.
Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.1.2024, 3 Sa 4/23
| Eine durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Vermögensverschiebung von einer Kapitalgesellschaft an einen Gesellschafter setzt einen Zuwendungswillen voraus – und ein solcher kann aufgrund eines Irrtums des Gesellschafter-Geschäftsführers fehlen. Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs (BFH) ist es insoweit maßgebend, ob der konkrete Gesellschafter-Geschäftsführer einem Irrtum unterlegen ist, nicht hingegen, ob einem ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiter der Irrtum gleichfalls unterlaufen wäre. |
Hintergrund: Bei einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) handelt es sich – vereinfacht – um Vermögensvorteile, die dem Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung gewährt werden. Eine vGA darf den Gewinn der Gesellschaft nicht mindern.
Das war geschehen
Geklagt hatte eine GmbH, deren Stammkapital durch die alleinige Gesellschafter-Geschäftsführerin u. a. durch die Einbringung einer Beteiligung von 100 % an einer weiteren GmbH erbracht werden sollte. Bei der einzubringenden GmbH wurde eine Kapitalerhöhung durchgeführt, die die Gesellschafter-Geschäftsführerin begünstigte. Das Finanzamt sah hierin eine vGA der GmbH an ihre Gesellschafter-Geschäftsführerin. Dagegen argumentierte die GmbH, dass die Zuwendung an die Gesellschafter-Geschäftsführerin irrtümlich wegen eines Versehens bei der notariellen Beurkundung der Kapitalerhöhung erfolgt sei.
So entschieden die gerichtlichen Instanzen
Das Finanzgericht (FG) Schleswig-Holstein wies die Klage ab, weil einem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführer der von der GmbH dargelegte Irrtum nicht unterlaufen wäre. Der BFH hat nun aber klargestellt, dass es für die Frage, ob der für die Annahme einer vGA erforderliche Zuwendungswille vorliegt, allein auf die Person der konkreten Gesellschafter-Geschäftsführerin ankommt. Er verwies den Streitfall deshalb zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurück.
Beachten Sie | In seiner Urteilsbegründung zum Vorliegen einer vGA führt der BFH aber auch Folgendes aus: Der handelnde Gesellschafter muss nicht mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis handeln, er muss den Tatbestand der vGA nicht kennen und er muss das Geschehene auch nicht richtig würdigen. Vielmehr genügt in aller Regel ein persönlich zurechenbares Handeln.
Diese Grundsätze gelten aber nicht uneingeschränkt, da es zur Annahme einer vGA – so wie bei einer offenen Gewinnausschüttung – eines Zuwendungswillens bedarf.
Quelle | BFH, Urteil vom 22.11.2023, I R 9/20, PM 20/24 vom 11.4.2024
| Schweizer Banken können Informationen zu Konten und Depots deutscher Staatsangehöriger an die deutsche Finanzverwaltung übermitteln. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. Er sieht in der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden keine Verletzung der Grundrechte der inländischen Steuerpflichtigen. |
Geklagt hatten Steuerpflichtige, die sich durch Übermittlung der Kontostände ihrer Schweizer Bankkonten in ihren Grundrechten verletzt sahen, vor allem in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Nachdem bereits das Finanzgericht (FG) Köln diese Ansicht nicht teilte, bestätigte nun auch der BFH die Verfassungsmäßigkeit der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden. Jedenfalls ist die Übermittlung der Informationen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung gerechtfertigt.
Beachten Sie | Deutschland sowie mehrere andere Staaten haben sich zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung dazu verpflichtet, Informationen zu Bankkonten auszutauschen, u. a. werden hierfür die Kontostände ausländischer Bankkonten an die deutsche Steuerverwaltung übermittelt. Der automatische Informationsaustausch über Finanzkonten dient der Sicherung der Steuerehrlichkeit und der Verhinderung von Steuerflucht.
Quelle | BFH, Urteil vom 23.1.2024, IX R 36/21, PM 17/24 vom 28.3.2024
| Ohne Betriebssitz kann kein Gelegenheitsverkehr mit Mietwagen betrieben werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin in einem Eilverfahren entschieden. |
Behörde widerrief Erlaubnis
Der Antragsteller ist Inhaber einer vom Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) erteilten Genehmigung für den Gelegenheitsverkehr mit insgesamt zehn Mietwagen nach dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG). Nach den Feststellungen der Behörde fanden sich an der vom Antragsteller angegeben Adresse – anders als von ihm ursprünglich behauptet – weder Büroräume noch reservierte Stellplätze für die Fahrzeuge. Daraufhin widerrief die Behörde die Erlaubnis unter Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Verwaltungsgericht bestätigt Behörde
Das VG hat den hiergegen gerichteten Eilantrag zurückgewiesen. Zu Recht sei die Behörde von einer fehlenden Zuverlässigkeit des Antragstellers ausgegangen. Denn dieser habe gegen eine Kernpflicht des Mietwagenverkehrs verstoßen.
Das wesentliche Merkmal des Mietwagenverkehrs bestehe darin, dass Aufträge nicht an beliebigen Orten, sondern grundsätzlich nur am Betriebssitz entgegengenommen werden dürften; dorthin müssten die Fahrzeuge daher regelmäßig nach Beendigung eines jeden Auftrags zurückkehren. Die Begründung und Unterhaltung eines in der Genehmigung festgeschriebenen Betriebssitzes sei daher Voraussetzung für die Erfüllung der Rückkehrpflicht. Das Rückkehrgebot sei nicht Selbstzweck, sondern solle auf wirksame Weise unterbinden, dass Mietwagen nach Beendigung eines Beförderungsauftrags taxiähnlich auf öffentlichen Straßen und Plätzen bereitgestellt würden und dort Beförderungsaufträge annähmen.
Das VG ließ offen, ob ungeachtet dessen der Widerruf auch auf die fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit des Antragstellers hätte gestützt werden können. Es spreche allerdings einiges dafür, dass dies schon bei der Genehmigungserteilung der Fall gewesen sei. Ein Mietwagenunternehmer müsse über ein angemessenes Eigenkapital verfügen, was hier nicht ersichtlich sei. Der Zeitwert der Fahrzeuge selbst dürfe – anders als von der Behörde bei Genehmigungserteilung fälschlich angenommen – gerade nicht berücksichtigt werden.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 25.3.2024, VG 11 L 53/24, PM vom 2.4.2024
| Die Klausel „Die Mobile Briefmarke ist lediglich als ad-hoc-Frankierung zum sofortigen Gebrauch gedacht. Erworbene Mobile Briefmarken verlieren daher mit Ablauf einer 14-tägigen Frist nach Kaufdatum ihre Gültigkeit. Das maßgebliche Kaufdatum ist in der Auftragsbestätigung genannt. Eine Erstattung des Portos nach Ablauf der Gültigkeit ist ausgeschlossen.“ ist nach § 307 BGB unwirksam. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Köln entschieden. |
Es gab damit der Unterlassungsklage der Verbraucherzentrale statt. Es handele sich bei dem Erwerb einer Briefmarke um einen Kaufvertrag und nicht um einen Frachtvertrag.
Das bürgerliche Recht kenne für Verpflichtungen aus schuldrechtlichen Verträgen im Allgemeinen nur die im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: §§ 194 ff. BGB) geregelten Verjährungsvorschriften, nicht dagegen besondere, von der Frage der Verjährung unabhängige Ausschlussfristen. Es handele sich um eine unangemessene und erhebliche zeitliche Beschränkung des Erfüllungsanspruchs.
Das OLG hob hervor: Durch die Beschränkung der Gültigkeitauf 14 Tage wird der Erfüllungsanspruch auf etwa ein Prozent der gesetzlich vorgesehenen Verjährungsfrist verkürzt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 13.6.2023, I-3 U 148/22
| Im Rahmen einer inländischen doppelten Haushaltsführung ist der Werbungskostenabzug von Unterkunftskosten auf 1.000 Euro monatlich beschränkt. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat nun entschieden, dass unter diesen Höchstbetrag auch eine für die Wohnung am Beschäftigungsort zu entrichtende Zweitwohnungssteuer fällt. |
Hintergrund: Eine beruflich veranlasste doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer außerhalb des Ortes seiner ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Haushalt unterhält (Hauptwohnung) und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnt (Zweitwohnung). In diesen Fällen können Arbeitnehmer Unterkunftskosten bis maximal 1.000 Euro im Monat als Werbungskosten abziehen.
Das war geschehen
Eine Arbeitnehmerin hatte an ihrem Tätigkeitsort in München eine Zweitwohnung gemietet. Die hierfür in den Streitjahren entrichtete Zweitwohnungssteuer i. H. von 896 Euro bzw. 1.157 Euro machte sie neben weiteren Kosten für die Wohnung i. H. von jeweils mehr als 12.000 Euro als Aufwendungen für ihre doppelte Haushaltsführung geltend. Das Finanzamt erkannte die Kosten der Unterkunft am Ort der ersten Tätigkeitsstätte in München jeweils mit dem Höchstbetrag von 12.000 Euro an. Die Zweitwohnungssteuer bei den sonstigen Aufwendungen im Rahmen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigte es nicht.
Die hiergegen gerichtete Klage war erfolgreich. Der BFH hat die Vorentscheidung nun aber aufgehoben.
Was der Höchstbetrag umfasst – und was nicht
Der Höchstbetrag umfasst sämtliche entstehenden Aufwendungen, wie beispielsweise Miete, Betriebskosten sowie Kosten der laufenden Reinigung und Pflege der Zweitwohnung oder -unterkunft; nicht jedoch Aufwendungen für Hausrat, Einrichtungsgegenstände oder Arbeitsmittel, mit denen die Zweitwohnung ausgestattet ist. Aufwendungen für die erforderliche Einrichtung und Ausstattung der Zweitwohnung, soweit sie nicht überhöht sind, können als sonstige notwendige Mehraufwendungen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigt werden.
Die Zweitwohnungssteuer ist Aufwand für die Nutzung der Unterkunft und unterfällt daher bei den Mehraufwendungen für die doppelte Haushaltsführung der Abzugsbeschränkung.
Das Entstehen der Zweitwohnungssteuer knüpft maßgeblich an das Innehaben einer weiteren Wohnung in München neben der Hauptwohnung und so an die damit regelmäßig einhergehende Nutzung dieser Wohnung an. Die Steuer findet als örtliche Aufwandsteuer i. S. von Art. 105 Abs. 2 a des Grundgesetzes (GG) ihre Rechtfertigung darin, dass das Innehaben einer weiteren Wohnung für den persönlichen Lebensbedarf (Zweitwohnung) neben der Hauptwohnung ein Zustand ist, der gewöhnlich die Verwendung von finanziellen Mitteln (Einkommen) erfordert und damit regelmäßig die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Wohnungsinhabers zum Ausdruck bringt.
Beachten Sie | Der BFH hat damit die von der Finanzverwaltung vertretene Rechtsauffassung bestätigt. Noch nicht höchstrichterlich entschieden und derzeit beim BFH anhängig ist die Frage, wie Kosten für einen separat angemieteten Stellplatz zu behandeln sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 13.12.2023, VI R 30/21, PM 18/24 vom 4.4.2024; Stellplatz: Rev. BFH, VI R 4/23
| Zum 1.1.2020 wurde mit § 35 c Einkommensteuergesetz (EStG) eine Steuerermäßigung für energetische Maßnahmen bei zu eigenen Wohnzwecken genutzten Gebäuden eingeführt. Diese komplexe Regelung weist jedoch einige Fragen auf, die das Bundesfinanzministerium (BMF) in einem Schreiben teilweise beantwortet hat. Nun ist nach einem vorinstanzlichen Urteil des Finanzgerichts (FG) München ein Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) zum Heizungstausch anhängig, in dem es darum geht, ob die Steuerermäßigung erst ab der vollständigen Begleichung der Rechnung in Betracht kommt. |
Hintergrund: Begünstigte Aufwendungen/Maßnahmen sind u. a. die Wärmedämmung von Wänden, Dachflächen und Geschossdecken sowie die Erneuerung der Fenster, Außentüren oder der Heizungsanlage.
Je begünstigtem Objekt beträgt der Höchstbetrag der Steuerermäßigung 40.000 Euro, wobei die Ermäßigung nach der Maßgabe des § 35 c Abs. 1 EStG über drei Jahre verteilt wird.
Das war geschehen
Die Steuerpflichtigen ließen 2021 eine neue Heizungsanlage in ihrem selbstgenutzten Gebäude einbauen. Zur Begleichung der Rechnung wurde eine monatliche Ratenzahlung für die Jahre 2021 bis 2024 vereinbart. Fraglich ist nun, ob ein Abschluss der energetischen Maßnahmen bereits mit der ausgeführten Erneuerung der Heizungsanlage (hier im Jahr 2021) oder erst mit der vollständigen Begleichung des Rechnungsbetrags (voraussichtlich im Jahr 2024) vorliegt.
Voraussetzungen für die Steuerermäßigung
Das BMF hat in seinem Schreiben vom 14.1.2021 in der Rn. 43 ausgeführt, dass die Steuerermäßigung erstmalig in dem Veranlagungszeitraum zu gewähren ist, in dem die energetische Maßnahme abgeschlossen wurde. Voraussetzung ist, dass mit der Durchführung der energetischen Maßnahme nach dem 31.12.2019 begonnen wurde und diese vor dem 1.1.2030 abgeschlossen ist.
Die energetische (Einzel-)Maßnahme ist dann abgeschlossen, wenn
- die Leistung tatsächlich erbracht (vollständig durchgeführt) ist,
- der Steuerpflichtige eine Rechnung (Schlussrechnung) erhalten und
- den Rechnungsbetrag auf das Konto des Leistungserbringers eingezahlt hat.
Die Erledigung unwesentlicher Restarbeiten, die für die tatsächliche Reduzierung von Emissionen nicht hinderlich sind, ist unschädlich. Auch, soweit bei einer mehrteiligen Maßnahme für einzelne Teilleistungen Teilrechnungen erstellt und diese beglichen wurden, wird die Steuerermäßigung abweichend vom Abflussprinzip erst ab dem Veranlagungszeitraum des Abschlusses der energetischen Maßnahme gewährt, so das BMF.
Beachten Sie | Da die Revision gegen die Entscheidung anhängig ist, wird nun der BFH entscheiden. Bis dahin können geeignete Fälle mit einem Einspruch offengehalten werden.
Quelle | FG München, Urteil vom 8.12.2023, 8 K 1534/23, Rev. BFH: IX R 31/23; BMF, Schreiben vom 14.1.2021, IV C 1 - S 2296-c/20/10004 :006
| Für Geburten ab dem 1.4.2024 gilt eine neue Einkommensgrenze, ab der der Anspruch auf Elterngeld entfällt. Zudem werden die Möglichkeiten für einen parallelen Bezug von Elterngeld neu gestaltet. Antworten auf wichtige Fragen gibt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). |
Quelle | BMFSFJ, „Neuregelungen beim Elterngeld für Geburten ab 1. April 2024“ vom 28.3.2024
| Der Bezug eines Nutzungsersatzes im Rahmen der reinen Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags nach Widerruf löst keine Einkommensteuer aus. Diese für Verbraucher frohe Kunde kommt vom Bundesfinanzhof (BFH). |
Das war geschehen
Ehegatten schlossen 2008 einen Darlehensvertrag zur Finanzierung einer selbstgenutzten Wohnimmobilie ab. 2016 widerriefen sie den Darlehensvertrag unter Berufung auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung. Auf der Grundlage eines zivilgerichtlichen Vergleichs zahlte die Bank an die Eheleute Nutzungsersatz für bis zum Widerruf erbrachte Zins- undTilgungsleistungen i. H. von 14.500 Euro. Das Finanzamt erfasste den Nutzungsersatz als Einkünfte aus Kapitalvermögen – allerdings zu Unrecht, wie nun der BFH entschieden hat.
Nutzungsersatz: weder Kapitalertrag noch sonstige Einkünfte
Der Nutzungsersatz ist kein Kapitalertrag i. S. des Einkommensteuergesetzes (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG). Die Rückabwicklung eines vom Darlehensnehmer widerrufenen Vertrags vollzieht sich außerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre. Das Rückgewährschuldverhältnis ist ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln. Daher können die einzelnen Ansprüche aus dem Rückgewährschuldverhältnis auch nicht für sich betrachtet – i. S. einer unfreiwilligen Kapitalüberlassung – Teil einer steuerbaren erwerbsgerichteten Tätigkeit sein.
Beachten Sie | Es liegen auch keine sonstigen Einkünfte (§ 22 Nr. 3 EStG) vor.
Verbraucherschutzrecht inzwischen reformiert
Die Entscheidung betrifft „alte“ Verbraucherdarlehensverträge. Der mit der Reform des Verbraucherschutzrechts in das BGB eingefügte § 357 a Abs. 3 S. 1 BGB a. F. (jetzt § 357 b BGB) hat u. a. den Anspruch des Darlehensnehmers auf Nutzungsersatz für die Zukunft beseitigt. Die neue Rechtslage ist auf nach dem 12.6.2014 abgeschlossene Verbraucherdarlehensverträge anwendbar.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.11.2023, VIII R 7/21, PM 16/24 vom 21.3.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über einen Fall entschieden, in dem eine Pkw-Fahrerin an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifuhr und mit einem gerade entleerten Müllcontainer kollidierte. Der BGH hat in diesem Fall einen Verstoß der Fahrerin gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO) bejaht. |
Das war geschehen
Die Klägerin, ein Pflegedienst, macht gegen einen für die Abfallwirtschaft zuständigen kommunalen Zweckverband Schadenersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, bei dem eines ihrer Pflegedienstfahrzeuge beschädigt wurde. Eine Mitarbeiterin der Klägerin fuhr mit diesem Fahrzeug aus der Gegenrichtung kommend an einem Müllabfuhrfahrzeug des beklagtenZweckverbands vorbei, das mit laufendem Motor, laufender Schüttung und eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie Warnblinkanlage in der Straße stand. Dabei kam es zu einer Kollision des klägerischen Fahrzeugs mit einem Müllcontainer, den ein bei dem Beklagten angestellter Müllwerker hinter dem Müllabfuhrfahrzeug quer über die Straße schob.
Mit der Klage hat die Klägerin Erstattung der Fahrzeugreparaturkosten verlangt.
So sahen es die Vorinstanzen
Das Landgericht (LG) hat der Klage gegen den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 zu 50 teilweise stattgegeben.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht (OLG) das Urteil des LG teilweise geändert und den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 75 (Beklagter) zu 25 (Klägerin) zu weiterem Schadenersatz verurteilt. Es ist dabei davon ausgegangen, dass der Fahrerin des Pkw kein Verstoß gegen die StVO anzulasten sei.
So sieht es der Bundesgerichtshof
Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Das Urteil des OLG wurde aufgehoben und die Sache an das OLG zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Der Klägerin steht gegen den Beklagten als Halter des Müllabfuhrfahrzeugs ein Schadenersatzanspruch gemäß StVO (hier: § 7) zu, da das Fahrzeug der Klägerin „bei dem Betrieb“ des Müllabfuhrfahrzeugs beschädigt worden ist. Die Gefahr, die von einer gerade entleerten Mülltonne auf der Straße für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, ist dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs zuzurechnen.
Bei der Entscheidung über die Haftungsverteilung hat das OLG zu Recht dem Müllwerker einen schuldhaften Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorgeworfen, weil er hinter dem Müllabfuhrfahrzeug einen Müllcontainer quer über die Straße schob, ohne auf den Verkehr und das Fahrzeug der Klägerin zu achten, welches für ihn – hätte er den Müllcontainer nicht vor sich hergeschoben – erkennbar gewesen wäre.
Allerdings ist entgegen der Ansicht des OLG auch der Mitarbeiterin der Klägerin als Fahrerin des Pkw ein Verstoß gegen die StVO vorzuwerfen.
Mit dem Verhalten des Müllwerkers konnte gerechnet werden
Das Hauptaugenmerk der mit dem Holen, Entleeren und Zurückbringen von Müllcontainern befassten Müllwerker ist auf ihre Arbeit gerichtet, die sie überwiegend auf der Straße und effizient, also in möglichst kurzer Zeit und auf möglichst kurzen Wegen, zu erledigen haben. Wer an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifährt, das erkennbar im Einsatz ist, darf daher nicht uneingeschränkt auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Müllwerker vertrauen. Er muss damit rechnen, dass Müllwerker plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortreten und unachtsam einige Schritte weiter in den Verkehrsraum tun, bevor sie sich über den Verkehr vergewissern. Auf diese mit dem Einsatz von Müllabfuhrfahrzeugen verbundenen Gefahren hat der vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer sein Fahrverhalten einzurichten. Wenn es nicht möglich ist, einen ausreichenden Seitenabstand zu einem Müllabfuhrfahrzeug einzuhalten, um die Gefahr eines plötzlich auftauchenden Müllwerkers vor oder hinter dem Fahrzeugzu vermeiden, muss die Geschwindigkeit gemäß der Straßenverkehrsordnung (StVO) reduziert werden, sodass der Fahrer sein Fahrzeug bei Bedarf sofort zum Stillstand bringen kann.
Den dargelegten Anforderungen genügte die vom Berufungsgericht festgestellte Fahrweise der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nicht. Bei einem Seitenabstand von maximal 50 cm zum Müllabfuhrfahrzeug war die Ausgangsgeschwindigkeit von 13 km/h zu hoch, als dass die Fahrerin das Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen hätte bringen können.
Quelle | BGH, Urteil vom 12.12.2023, VI ZR 77/23, PM 12/24
| Gibt ein Kunde mittels PushTAN und Verifizierung über eine Gesichtserkennung nach einer Phishing-Nachricht die temporäre Erhöhung seines Überweisungslimits und eine anschließende Überweisung telefonisch frei, handelt er grob fahrlässig. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt. |
Der Bankkunde – ein Rechtsanwalt und Steuerberater in einer internationalen Sozietät – führt bei der beklagten Bank ein Girokonto und forderte erfolglos, eine Überweisung von knapp 50.000 Euro zurückzuerstatten. Das OLG: Die Bank schuldet in einem solchen Fall nicht die Rückerstattung des überwiesenen Betrags. Denn angesichts der fortlaufenden Warnungen der Banken vor Phishing-Mails und der öffentlichen Diskussion hierüber müssten Kunden spätestens bei der telefonischen Aufforderung, Sicherheitsmerkmale preiszugeben, misstrauisch werden. Dies gelte auch, wenn der äußere Rahmen der besuchten Website vertraut erscheint.
Quelle | OLG Frankfurt, Urteil vom 6.12.2023, 3 U 3/23
| Wer an der Grenze zu seinem Nachbargrundstück eine Hecke anlegt, muss nach dem geltenden Nachbarrecht dafür sorgen, dass die Pflanzen je nach Grenzabstand eine bestimmte Höhe nicht überschreiten. Tut er das nicht, kann der Nachbar den Rückschnitt der Hecke verlangen und im Notfall auch gerichtlich durchsetzen. Der Anspruch auf den Rückschnitt kann jedoch nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein, wenn sich der Nachbar selbst regel- und damit treuwidrig verhält. Das hat das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Das war geschehen
Das LG hat mit dieser Begründung die Klage eines Nachbarn auf Rückschnitt einer Hecke an der Grundstücksgrenze abgewiesen. Denn auch einzelne Pflanzen auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn verstießen nach den Feststellungen der Kammer gegen die Regelungen des Nachbarrechts.
Im konkreten Fall hatten zwei Grundbesitzer Streit über die zulässige Höhe einer direkt an der Grundstücksgrenze gepflanzten Hecke, die durchgehend eine Höhe von 2,20 Metern aufweist. Unter Berufung auf das geltende Landesrecht verlangte der Nachbar, dass die Hecke auf einer Höhe von maximal eineinhalb Metern gehalten werde. Dem gab das AG statt und verurteilte den Eigentümer zum entsprechenden Rückschnitt in der Zeit von 1.10. und 15.3. eines jeweiligen Jahres.
Höhe der Hecke zwar einzuhalten, aber …
Die dagegen gerichtete Berufung zum LG hatte jedoch Erfolg. Die Berufungskammer hat dem Nachbarn zwar grundsätzlich zugebilligt, dass die nach dem Nachbarrecht zulässige Höhe der Hecke einzuhalten ist.
… Grundsätze von Treu und Glauben zu beachten
Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis sei aber stark von den sog. Grundsätzen von Treu und Glauben geprägt. Hieraus entspringen Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme, die zu einer Beschränkung bis hin zum Ausschluss nachbarrechtlicher Rechte führen könnten, so das LG. Deshalb müsse berücksichtigt werden, dass auch auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn direkt hinter dem Zaun eine drei bis vier Meter hohe Kugelhecke und eine etwa zweieinhalb Meter hohe Zypresse gepflanzt sei. Dadurch werde ebenfalls gegen das Nachbarrecht verstoßen. Wer sich aber selbst nicht regelgerecht verhalte, sei nach Treu und Glauben von Ansprüchen gegen seinen Nachbarn ausgeschlossen.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 24.1.2024, 2 S 85/23, PM vom 31.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Karlsruhe hat die Klage eines E-Autofahrers gegen die EnBW auf Rückzahlung von Blockiergebühren abgewiesen. |
Überschreiten der zulässigen Standzeit
Die Blockiergebühren in Höhe von insgesamt 19,80 Euro waren wegen Überschreitung der zulässigen Höchststandzeit an Ladesäulen der EnBW an drei verschiedenen Terminen im März 2022 angefallen. Die Blockiergebühr ist nach den Bedingungen des ADAC e-Charge Tarifs, der von der EnBW angeboten wird, ab einer Standzeit von mehr als 240 Minuten fällig. Ab diesem Zeitpunkt sind 12 Cent pro Minute zu zahlen, maximal jedoch 12 Euro. Auf die Blockiergebühr wird sowohl beim Abschluss des Tarifs als auch beim Start des Ladevorgangs hingewiesen. Der Kläger hatte diesen Bedingungen bei Nutzung der App zugestimmt.
Klausel wirksam
Der Kläger hatte argumentiert, die Klausel sei unwirksam. Im Übrigen verlangten andere Anbieter keine Blockiergebühr. Nach Auffassung des AG ist die Klausel jedoch wirksam, da das Interesse der EnBW berechtigt ist, die Ladesäule zeitnah weiteren Kunden zur Verfügung stellen zu können.
Die Entscheidung erging ohne mündliche Verhandlung. Sie ist rechtskräftig.
Quelle | AG Karlsruhe, Urteil vom 4.1.2024, 6 C 184/23, PM vom 24.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Hannover hält ein „französisches Bett“ nicht für ein Doppelbett. Das war in einem Reiserechtsfall entscheidend. |
Ist ein Bett mit einer Breite von 1,40 m ein Doppelbett? Ist es breit genug, um zwei erwachsenen Menschen einen erholsamen Urlaub zu ermöglichen? Das AG hat diese Fragen verneint. Es hat entschieden, dass Reisende jedenfalls in einem Hotel, das der Reiseveranstalter selbst mit fünf „Sonnen“ bewertet, für jeden Reisenden mit einem Schlafplatz von mehr als 70 cm Breite rechnen dürfen.
Im Fall des AG hatten drei erwachsene Personen gemeinsam ein Dreibettzimmer gebucht. Zur Verfügung gestellt wurde ihnen ein Zimmer, das über zwei Betten mit einer Breite von jeweils 1,40 m verfügte. Weil diese Ausstattung nicht der vertraglichen Vereinbarung entsprach, erhalten die beiden Reisenden, die sich ein Bett teilen mussten, nun 15 Prozent des auf sie entfallenden Reisepreises zurück.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 22.2.2024, 471 C 6110/23, PM vom 26.2.2024
| Ein gesetzlich versicherter Patient verlangte von seiner Krankenversicherung, ihm die Kosten für ein Einzelzimmer während eines stationären Krankenhausaufenthalts zu erstatten. Einen solchen Anspruch lehnte das Sozialgericht (SG) Mainz aber ab. |
Patient lag im Einzelzimmer
Ein Patient ließ sich längere Zeit stationär in einem Krankenhaus behandeln. Mit dem Krankenhaus hatte er einen Vertrag über das Unterbringen in einem Einzelzimmer geschlossen.
Krankenkasse wollte Kosten nicht übernehmen
Die dabei entstandenen Kosten wollte die Krankenkasse nicht übernehmen. Der Patient klagte. Seine Argumentation: Aus medizinischen Gründen sei ein Einzelzimmer erforderlich gewesen.
Sozialgericht wies Klage ab
Vor dem SG hatte er jedoch keinen Erfolg. Selbst wenn ein Einzelzimmer erforderlich gewesen sei, hätte das Krankenhaus dafür sorgen müssen, dass der Patient entsprechend untergebracht sei. Die Kosten einer erforderlichen Einzelzimmerbelegung seien dann in den pauschal von der Krankenkasse an das Krankenhaus zu zahlenden Entgelten enthalten. Die Kosten hierfür habe die Krankenkasse bereits gezahlt. Zusätzliche Kosten für ein Einzelzimmer könne der Patient folgerichtig nicht bei seiner Krankenkasse einfordern.
Quelle | SG Mainz, Urteil vom 23.2.2024, S 7 526/20
| Das Mietrecht (hier: § 556 Abs. 3 S. 3 BGB) schließt eine nachträgliche Abrechnung zulasten des Mieters nicht aus, durch die ein Guthaben verringert wird. Das entschied das Landgericht (LG) München. |
Grundsteuer in der Abrechnung vergessen
Der Vermieter hatte über die Betriebskosten abgerechnet und dabei die Grundsteuer vergessen. Bevor er das ursprünglich berechnete Guthaben an den Mieter auszahlte, verstrich die Abrechnungsfrist. Nun korrigierte der Vermieter die Betriebskostenabrechnung und berücksichtigte die Grundsteuer. Dabei ergab sich ein geringeres Guthaben, das er an den Mieter zahlte. Der Mieter klagte auf Rückzahlung des ursprünglich berechneten höheren Guthabens.
Amtsgericht und Landgericht vermieterfreundlich
Das Amtsgericht (AG) sprach jedoch nur das korrigierte geringere Guthaben zu. Es bestünde kein Anspruch des Mieters, weil eine nachträgliche Verringerung des Guthabens vom Gesetz nicht ausgeschlossen sei.
Die Berufung des Mieters blieb erfolglos. Das LG teilte die Rechtsauffassung des AG. § 556 Abs. 3 S. 3 BGB solle den Mieter nur davor schützen, nach Ablauf der Abrechnungsfrist Zahlungen leisten zu müssen, die die Vorauszahlungen übersteigen. Darüber hinaus gewähre das Gesetz keinen Vertrauensschutz für eine zugunsten des Mieters unrichtige Abrechnung.
Der Mieter darf also nicht darauf vertrauen, dass ein Guthaben unveränderlich bleibt. Dies gilt auch, wenn die Korrektur erst nach Ablauf der Abrechnungsfrist erfolgt. Eine weitergehende Schutzwirkung zugunsten des Mieters sieht das Gesetz schon nach dem Wortlaut der Vorschrift („Geltendmachung einer Nachzahlung“) nicht vor.
Die Entscheidung entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 31.10.07, VIII ZR 261/06).
Quelle | LG München I, Beschluss vom 30.11.2023, 31 S 10140/23
| Eine fristlose Kündigung ist auch gegenüber einem psychisch kranken oder schuldunfähigen Mieter möglich, wenn trotz Abmahnung der Hausfrieden systematisch, wiederholt und nachhaltig gestört wird mit der Folge der vorzeitigen Kündigung von anderen Mietern und der Nichtvermietbarkeit angrenzender Wohnungen. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Gesundheitszustand bedarf es dann nicht. So entschied es der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) Sachsen. |
Wiederholte Lärmstörungen
Der Vermieter kündigte nach Abmahnung das Mietverhältnis mit einem psychisch kranken Mieter wegen wiederholten Lärmstörungen fristlos, hilfsweise ordentlich. Andere Mieter hatten wegen des Lärms ihr Mietverhältnis gekündigt und eine Neuvermietung der angrenzenden Wohnung war nicht möglich.
Gegen die erfolgreiche Räumungsklage legte der Mieter Berufung ein, die er nach Hinweisbeschluss des Landgerichts (LG) Dresden zurücknahm. Das LG hatte ausgeführt, dass zwar in der Regel ein schuldhaftes Verhalten des Mieters für die Begründung des Kündigungsgrundes erforderlich sei. Dies gelte aber nicht absolut, da auch bei Schuldlosigkeit das zumutbare Maß und damit die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter überschritten sei und in der Abwägung überwiegen kann. Zwar ergebe sich aus den Wertentscheidungen des Grundgesetzes (hier: Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG) eine erhöhte Toleranzbereitschaft gegenüber nicht oder nur eingeschränkt verantwortlichen Mietern, z. B. Verschlechterung des Gesundheitszustands, Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche oder Suizidgefährdung. Aber auch wenn der Mieter aufgrund der psychischen Erkrankung nicht in der Lage sei, das Unrecht seines Handelns zu erkennen, sei hier die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter deutlich überschritten.
Mieter legte Verfassungsbeschwerde ein
Gegen das Urteil und den Beschluss legte der Mieter Verfassungsbeschwerde ein – doch ohne Erfolg. Die Beschwerde sei unzulässig, sie genüge nicht den Begründungsanforderungen, so der VerfGH. Das LG habe sich umfassend – auch – mit Grundrechten auseinandergesetzt. Eine konkrete Grundrechtsverletzung rüge der Beschwerdeführer nicht.
Quelle | VerfGH Sachsen, Urteil vom 30.8.2023, Vf. 40-IV-23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg ist der Frage nachgegangen, was der mehrdeutige Begriff „vorhandenes Barvermögen“ in einem Vermächtnis bedeutet. |
Die Parteien stritten um die Erfüllung eines Vermächtnisses und hierbei um den Begriff „Barvermögen“. In einem notariellen Testament beschwerte der Erblasser die eingesetzten Erben mit einem Vermächtnis zugunsten einer weiteren Person wie folgt: „Das bei Eintritt des Erbfalls vorhandene Barvermögen soll zu einem 1/3 Anteil an meine Tochter …, geb. am …, ausgezahlt werden“. Die Bedachte hat die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ seine gesamten liquiden Mittel, insbesondere sämtliche Guthaben bei Kreditinstituten, Wertpapiere und Bargeld im engeren Sinne verstanden. Demgegenüber haben die beschwerten Erben die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ lediglich das vorhandene Bargeld verstanden.
Barvermögen = auch unbares Geld, das sofort verfügbar ist
Das Landgericht (LG) hat sich in erster Instanz der Auffassung der Bedachten angeschlossen und die Erben verurteilt, zu zahlen. Aufgrund der gegen dieses Urteil durch die Erben eingelegten Berufung hat das OLG Oldenburg den Begriff wie folgt verstanden: Danach umfasst der Begriff des Barvermögens heutzutage das gesamte Geld, das sofort verfügbar ist, also auch über eine Kartenzahlung. Wertpapiere fallen nicht unter den Begriff des Barvermögens. Vielmehr werden Wertpapiere durch den erweiterten Begriff des Kapitalvermögens mit abgedeckt, der das Barvermögen einschließlich weiterer Kapitalwerte in Geld beschreibt.
Wertpapiere gehörten hier nicht zum Barvermögen
Nach Beweisaufnahme hat das OLG festgestellt, dass die Bedachte nicht habe nachweisen können, dass der Erblasser mit dem Begriff „Barvermögen“ das gesamte Kapitalvermögen, also auch das nicht sofort verfügbare Kapital in der Form von Genossenschaftsanteilen und Wertpapieren gemeint habe. Im Ergebnis habe der vernommene Zeuge – der beurkundende Notar – keine konkreten Aussagen zum Willen des Erblassers in Bezug auf Wertpapiere und dessen Begriffsverständnis vom Begriff „Barvermögen“ machen können.
Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 20.12.2023, 3 U 8/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) München hat entschieden: Ein Tragwerksplaner ist nur verpflichtet, den Prüfbericht des Prüfingenieurs und die diesem beigefügten Bewehrungspläne zu prüfen, wenn eine entsprechende vertragliche Vereinbarung getroffen wurde. |
Wichtige Entscheidung
Diese Aussage ist für das Tagesgeschäft der Tragwerksplanung wichtig, da es in den meisten Fällen für den Tragwerksplaner von Eigeninteresse sein dürfte, Prüfbericht und Prüfeintragungen durchzusehen. Denn der Prüfingenieur könnte ja auch eigene Mängel verhindern helfen. Schwierig wird es, wenn der Prüfingenieur eine andere Auffassung vertritt, aber dennoch kein Planungsfehler vorliegt. Dann muss man abwägen.
Das gehört nicht zuden Aufgaben eines Tragwerksplaners
Das OLG hat auch noch weitere Feststellungen getroffen: Es gehört danach nicht zu den Aufgaben eines Tragwerksplaners, geänderte Ausführungspläne des Architekten an das bauausführende Unternehmen weiterzuleiten. Dies ist ein ständiges Streitthema. Um hier Auseinandersetzungen zu vermeiden, ist es wichtig, zu Planungsbeginn eine Regelung zu treffen, wer welche Pläne an wen weiterleitet. In den meisten Fällen macht es Sinn, dass der Objektplaner hier koordinierend Regelungsvorschläge macht und dafür Sorge trägt, dass seine Pläne an die ausführenden Unternehmen weitergeleitet werden.
Schutzwürdiges Eigeninteresse erforderlich
Außerdem, so das OLG, setze ein Anspruch des Auftraggebers auf Lieferung von Plänen nach Abschluss der Bauarbeiten ein schutzwürdiges Eigeninteresse voraus. Daran fehle es, wenn der Auftraggeber das Bauwerk jahrelang ohne die verlangten Pläne nutzen und verwalten konnte. Hierdurch wird klargestellt, dass Planungsbüros im Regelfall nicht jahrelang als Planarchiv für ehemalige Auftraggeber fungieren müssen.
Quelle | OLG München, Urteil vom 16.5.2023, 9 U 1801/21 Bau
| Die ungenehmigte Nutzung eines Einfamilienwohnhauses als Monteursunterkunft darf nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Neustadt an der Weinstraße untersagt werden. |
Das war geschehen
Die Stadt Ludwigshafen hatte durch ihre Bauaufsichtsbehörde eine Ortsbesichtigung durchgeführt, die ein zur Wohnnutzung genehmigtes Einfamilienhaus betraf. Hierbei stellte sie fest, dass sich in dem Wohnraum im Erdgeschoss zwei Einzelbetten und in einem Wohnraum im Dachgeschoss vier weitere Betten befanden. Insgesamt wohnten dort sechs männliche Personen. Die Stadt untersagte daraufhin gegenüber dem Eigentümer die Nutzung des Hauses für die Zwecke einer „Monteursunterkunft“ bzw. für eine „Beherbergung“ und ordnete hierfür die sofortige Vollziehung an. Dieser legte Widerspruch ein und stellte wegen des Sofortvollzugs zudem einen Eilantrag beim VG. Der Antrag blieb hinsichtlich der Nutzungsuntersagung ohne Erfolg.
So argumentierte das Verwaltungsgericht
Nach der Landesbauordnung Rheinland-Pfalz (hier: § 81 LBauO) könne die Bauaufsichtsbehörde die Benutzung solcher Anlagen untersagen, die gegen baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften über die Errichtung, die Änderung, die Instandhaltung oder die Nutzungsänderung dieser Anlagen verstießen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden könnten.
Dies sei hier der Fall. Die von der Stadt ausgesprochene Nutzungsuntersagungsverfügung sei nicht zu beanstanden, da die tatsächliche Nutzung des Einfamilienhauses als Monteursunterkunft oder sonst als Beherbergungsbetrieb weder genehmigt noch genehmigungsfrei sei. Vorliegend sei nämlich von einer tatsächlich nicht Wohnzwecken dienenden Nutzung des Einfamilienwohnhauses auszugehen.
Definition der „Wohnnutzung“
Eine Wohnnutzung zeichne sich durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts aus. Dies setze bestimmte Ausstattungsmerkmale des Gebäudes voraus. Erforderlich seien insbesondere eine Küche bzw. Kochgelegenheit sowie Toiletten und Waschgelegenheiten, die auch in Gestalt von Gemeinschaftseinrichtungen zur Verfügung stehen könnten.
Der Begriff des Wohnens verlange zudem, dass Aufenthalts- und private Rückzugsräume vorhanden seien, die eine Eigengestaltung des häuslichen Wirkungskreises erst ermöglichten. Auch Wohnheime – etwa Studentenwohnheime – könnten daher als Wohngebäude einzustufen sein, wenn sie nach ihrer Zweckbestimmung und Ausstattung Wohnbedürfnisse erfüllen könnten und sollten. Die Grenzen des Wohnens seien allerdings überschritten, wenn das Gebäude – wie im Fall einer Unterkunft für Monteure – aufgrund seiner spartanischen Ausstattung lediglich als Schlafstätte diene und auch einfache Wohnbedürfnisse nicht befriedige. Dabei spiele zudem die Wohndichte eine Rolle. Der Umstand, dass sich zwei Bewohner einen Schlafraum teilten, spreche zwar nicht zwingend gegen eine Wohnnutzung im Rechtssinne; die dadurch bewirkte Einschränkung der Privatsphäre schließe aber unter Berücksichtigung der hierzulande üblichen Wohnstandards die Annahme einer Wohnnutzung jedenfalls dann regelmäßig aus, wenn zwischen den Bewohnern keine persönliche Bindung bestehe bzw. sich diese Bindung in dem gemeinsamen Interesse an einer möglichst kostengünstigen Unterbringung erschöpfe.
Mindestanforderungen der Wohnnutzung waren zwar erfüllt...
Zwar verfüge das Wohnhaus hier mit zwei Toiletten und einer Küche über die für eine Wohnnutzung erforderlichen Mindestanforderungen. Alle Räume seien aber sehr spartanisch lediglich mit Betten und Schreibtischen eingerichtet.
... Bewohner lebten aber „aus dem Koffer“
Die Bewohner lebten augenscheinlich „aus dem Koffer“, Kleiderschränke oder auch sonstiger Stauraum seien nicht vorhanden. Zudem spreche das Vorbringen des Antragstellers im Eilverfahren, wonach die Bewohner allesamt unter der Woche als Monteure an weit entfernten Orten beschäftigt seien und lediglich am Wochenende oder im Urlaub in dem Haus verweilten, erheblich dafür, dass der Zweck des Zusammenlebens nicht über das Interesse an einer günstigen Unterkunft hinausgehe und tatsächlich kein Interesse an einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit bestehe, sondern das Haus lediglich als Schlafplatz zwischen den Arbeitsaufträgen diene. Insbesondere wegen der Unterbringung in Mehrbettzimmern und des vollständigen Fehlens von Aufenthaltsräumen sei nicht ersichtlich, dass die Unterkunft über den Nutzen als Schlafstätte hinaus Wohnbedürfnisse befriedige.
Quelle | VG Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 4.1.2024, 4 L 1213/23.NW, PM 2/24
| Eine Vorschlagsliste für die Betriebsratswahl, die in ihrem Kennwort ein „Smiley-Symbol“ enthält, ist ungültig. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln in einem Wahlanfechtungsverfahren entschieden. |
Betriebsratswahl angefochten
Fünf Arbeitnehmer eines weltweit tätigen Logistikunternehmens mit einem Betrieb am Flughafen Köln/Bonn und einer weiteren Betriebsstätte im benachbarten Troisdorf hatten die Wahl des 25-köpfigen Betriebsrats angefochten und dies u. a. damit begründet, dass der Wahlvorstand ihren Wahlvorschlag zu Unrecht wegen des verwendeten Listenkennworts zurückgewiesen und stattdessen mit den Familien- und Vornamen der beiden in der Liste an erster Stelle benannten Wahlbewerbern versehen habe.
Die Arbeitnehmer hatten beim Wahlvorstand zunächst einen Wahlvorschlag mit dem Kennwort ,,fair.die“ eingereicht. Nachdem der Wahlvorstand den Vorschlag wegen einer phonetischen Verwechslungsgefahr mit der Gewerkschaft ver.di zurückgewiesen hatte, teilten die Arbeitnehmer mit, dass ihr Wahlvorschlag das Kennwort „FAIR“ (mit dem zusätzlichen „Smiley-Symbol“) die Liste“ tragen solle.
Dieses Kennwort sowie drei weitere Alternativvorschläge, die ebenfalls einen „Smiley“ enthielten, lehnte der Wahlvorstand wiederum ab.
Landesarbeitsgericht: Bildzeichen unzulässig
Wie das LAG entschieden hat, ist ein Bildzeichen als Bestandteil eines Kennworts unzulässig, wenn es wie das „Smiley“ lediglich einen Stimmungs- oder Gefühlszustand ausdrückt, keine eindeutige Wortersatzfunktion hat und demgemäß üblicherweise nicht mit ausgesprochen wird. Zudem hätte auch bei dem oben genannten Kennwort eine Verwechslungsgefahr bestanden, da es lautsprachlich wie „ver.di-Liste“ klingt.
Zudem hat das LAG die Betriebsratswahl für unwirksam erklärt, weil der Wahlvorstand für die Betriebsstätte Troisdorf trotz ihrer räumlichen Nähe zum Hauptbetrieb unzulässigerweise die generelle Briefwahl angeordnet hatte.
Quelle | LAG Köln, Beschluss vom 1.12.2023, 9 TaBV 3/23, PM 13/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat den koordinierten Beschäftigtentausch als Sparmodell für Sozialversicherungsbeiträge für unzulässig erklärt. |
Darum ging es
Ausgangspunkt war die Klage eines niedersächsischen Obstbauern, der einen Betrieb für Apfelanbau führt und an einem weiteren Betrieb für Erdbeeranbau beteiligt ist. Seine Erntehelfer beschäftigt er formal ganzjährig im Apfelanbau. Sie erhalten dort einen festen Monatslohn auf Basis eines Jahresarbeitsstundensolls. In der Zeit von Mai bis Juli wurden die Helfer jedoch im Erdbeerbetrieb eingesetzt. Auf den Lohn dieser Arbeit zahlte der Bauer keine Sozialversicherungsbeiträge, da er die Arbeit als zeitgeringfügige Aushilfstätigkeit betrachtete. Während der Apfelernte im Herbst verfuhr er bei jeweils wechselnder Arbeitsfreistellung mit den Beschäftigten des Erdbeerbetriebs in ähnlicher Weise.
Kurzzeitige Saisonaushilfen oder berufsmäßige Beschäftigte?
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) kam nach einer Betriebsprüfung zu dem Ergebnis, dass die Mitarbeiter nicht nur kurzzeitige Saisonaushilfen seien, sondern berufsmäßig Beschäftigte, für die rd. 58.000 Euro Sozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten seien.
Bauer reklamierte für sich „angepasste Gestaltung“
Hiergegen klagte der Bauer und meinte, dass in rechtlich selbstständigen Betrieben eine Arbeitnehmertätigkeit im Hauptberuf und eine kurzzeitige Beschäftigung bei einem weiteren Arbeitnehmer möglich und erlaubt sei. Steigende Preise und politische Unsicherheiten würden eine angepasste Gestaltung notwendig machen.
Landessozialgericht spricht Klartext
Das LSG hat die Rechtsauffassung der DRV bestätigt. Zur Begründung hat es auf die Berufsmäßigkeit der Helfer abgestellt, die eine Beitragspflicht für die gesamte Tätigkeit auslöse. Das praktizierte Modell verfolge zielgerichtet das Bestreben, über wechselseitige betriebliche Absprachen und mittels langfristig geplanter und aufeinander abgestimmter organisatorischer und vertraglicher Maßnahmen rund ein Drittel des Jahreseinkommens der Arbeitskräfte der Beitragspflicht zur gesetzlichen Sozialversicherung zu entziehen. Die Gefahr der Altersarmut aufseiten der Erntehelfer sei von den Arbeitgebern sehenden Auges hingenommen worden. Die sozialrechtlichen Vorgaben ließen keinen Raum für eine entsprechende Beitragsverkürzung.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.12.2023, L 2 BA 59/23, PM vom 5.2.2024
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung eines Schwerbehinderten in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses diskriminierend im Sinne des Sozialgesetzbuchs IX (hier: § 164 Abs. 2 SGB IX) ist. Sie kann damit unwirksam sein, wenn der Arbeitgeber das Präventionsverfahren nach dem Sozialgesetzbuch (§ 167 Abs. 1 SGB IX) nicht durchgeführt hat. |
Der mit einem Grad der Behinderung von 80 schwerbehinderte Kläger ist seit dem 1.1.2023 bei der beklagten Kommune als „Beschäftigter im Bauhof“ beschäftigt. Der Kläger wurde zwischen dem 2.1. und 14.4.2023 in verschiedenen Kolonnen des Bauhofs eingesetzt und war ab Ende Mai arbeitsunfähig. Am 22.6.2023 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 31.7.2023.
Das ArbG hat entschieden: Die Kündigung verstößt gegen das Diskriminierungsverbot des § 164 Abs. 2 SGB IX und ist damit unwirksam. Der Arbeitgeber sei – entgegen bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) – auch während der Wartezeit gemäß Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 Abs. 1 KSchG) verpflichtet, das o. g. Präventionsverfahren durchzuführen.
§ 167 Abs. 1 SGB IX regelt, dass möglichst frühzeitig als Präventionsmaßnahme die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt einzuschalten sind, wenn Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis eintreten, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können. Dies habe die Arbeitgeberin hier nicht getan. Sie hätte, als sie bemerkte, dass der schwerbehinderte Kläger sich während der Wartezeit – wie sie vorträgt – nicht bewährte bzw. sich nicht ins Team einfügte und ihren Erwartungen nicht entsprach, Präventionsmaßnahmen ergreifen und gegebenenfalls die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt präventiv einschalten müssen.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 20.12.2023, 18 Ca 3954/23, PM 2/24
| Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch verpflichtet. Das Sozialrecht (hier: § 165 S. 3 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX)) sieht die grundsätzliche Einladungspflicht nur für öffentliche Arbeitgeber vor. Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist kein öffentlicher Arbeitgeber. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Schwerbehinderten nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen
Der schwerbehinderte Kläger hatte sich um eine Stelle in der Verwaltung eines Kirchenkreises der Evangelischen Kirche im Rheinland beworben. Trotz Offenlegung seiner Schwerbehinderung wurde er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Seine Bewerbung blieb erfolglos.
Lag Diskriminierung vor?
Nach Ansicht des Klägers wurde er im Auswahlverfahren wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Dies indiziere die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Hierzu sei der Kirchenkreis nach der o. g. Vorschrift verpflichtet gewesen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts gelte er als öffentlicher Arbeitgeber. Mit seiner Klage hat der Kläger deshalb die Zahlung einer Entschädigung verlangt. Der beklagte Kirchenkreis hat dies abgelehnt. Er sei kein öffentlicher Arbeitgeber. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Bundesarbeitsgericht spricht Klartext
Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung dargelegt.
Eine solche kann nicht aufgrund der unterbliebenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch vermutet werden. Hierzu war der beklagte Kirchenkreis nicht verpflichtet. Die Einladungspflicht besteht zwar u. a. für Körperschaften des öffentlichen Rechts. Dies betrifft aber nach dem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Begriffsverständnis nur Körperschaften, die staatliche Aufgaben wahrnehmen. Kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts dienen demgegenüber primär der Erfüllung kirchlicher Aufgaben. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts soll dabei die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgesellschaft unterstützen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Einladungspflicht auf kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts erstrecken wollte. Insoweit stehen sie den ebenfalls staatsfernen privaten Arbeitgebern gleich.
Quelle | BAG, Urteil vom 25.1.2024, 8 AZ R 318/22, PM 2/24
| Bereits im Juli 2023 hatte das Bundesfinanzministerium (BMF) einen Referentenentwurf für ein milliardenschweres Wachstumschancengesetz vorgelegt. Das Ziel: Eine Verabschiedung im Jahr 2023. Bekanntlich wurde daraus nichts. Vielmehr kam das Gesetzgebungsverfahren einem „Possenspiel“ gleich, das durch die Zustimmung des Bundesrats am 22.3.2024 und der Gesetzesverkündung am 27.3.2024 nun beendet ist. |
Das verabschiedete Gesetz enthält im Vergleich zum ursprünglichen Referenten- und Regierungsentwurf viele Änderungen. So wurde u. a. das Entlastungsvolumen reduziert und die Klimaschutz-Investitionsprämie gestrichen.
Zudem wurden zeitkritische Regelungen bereits Ende 2023 durch das Kreditzweitmarktförderungsgesetz umgesetzt, z. B. die Beseitigung von Unsicherheiten bei der Grunderwerbsteuer aufgrund des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts sowie Anpassungen bei der Zinsschrankenregelung.
Dennoch enthält das Gesetzespaket weiterhin zahlreiche Änderungen bzw. Neuregelungen, die im Folgenden auszugsweise vorgestellt werden:
Degressive Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter
Bei beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die nach dem 31.12.2019 und vor dem 1.1.2023 angeschafft oder hergestellt wurden, kann der Steuerpflichtige statt der linearen eine degressive Abschreibung von 25 % (höchstens das 2,5-Fache der linearen Abschreibung) wählen.
Die als Investitionsanreiz gedachte degressive Abschreibung wurde nun wieder eingeführt – und zwar erneut befristet für Anschaffungen oder Herstellungen nach dem 31.3.2024 und vor dem 1.1.2025. Der Abschreibungssatz wurde auf 20 % (höchstens das 2-Fache der linearen Abschreibung) reduziert.
E-Fahrzeuge/Firmenwagen
Die Besteuerung eines Firmenwagens (außerdienstliche Nutzung) kann reduziert werden, indem kein Verbrenner, sondern ein Elektrofahrzeug gewählt wird. Denn hier ist nur ein Viertel des Bruttolistenpreises anzusetzen, wenn der Höchstbetrag von 60.000 Euro eingehalten wird. Dieser wurde für nach dem 31.12.2023 angeschaffte Fahrzeuge auf 70.000 Euro erhöht.
Geschenkegrenze
Geschenke an Geschäftspartner und Kunden sind nur dann steuermindernde Betriebsausgaben, wenn eine Grenze eingehalten wird. Diese wurde für nach dem 31.12.2023 beginnende Wirtschaftsjahre von 35 Euro auf 50 Euro erhöht.
Verlustvortrag
Nach der Regelung des § 10 d Abs. 2 EStG ist ein Verlustvortrag bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1 Mio. Euro (bei Zusammenveranlagung: 2 Mio. Euro) unbeschränkt, darüber hinaus bis zu 60 % des 1 Mio. bzw. 2 Mio. Euro übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte möglich. Ab dem Veranlagungszeitraum 2024 gelten anstelle der 60 % dann 70 % (ab 2028 sind wieder 60 % relevant).
Thesaurierungsbegünstigung
Für bilanzierende Einzel- und Personenunternehmen sieht § 34 a EStG eine steuerliche Begünstigung für nicht entnommene Gewinne vor, die (langfristig) im Unternehmen verbleiben sollen. Da von dieser Begünstigung (nicht zuletzt infolge der Komplexität) bis dato eher selten Gebrauch gemacht wurde, hat der Gesetzgeber § 34 a EStG mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2024 „reformiert“. Ob die Änderungen zu einer höheren „Nachfrage“ bzw. Nutzung führen, bleibt aber abzuwarten.
Option zur Körperschaftsbesteuerung
Nach § 1 a des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) können Personenhandels- und Partnerschaftsgesellschaften im ertragsteuerlichen Bereich wie Körperschaften behandelt werden. Durch einige Änderungen (z. B. können nun auch eingetragene GbRs optieren) soll die Option attraktiver werden.
Elektronische Rechnung
Im Bereich der Umsatzsteuer stellt die Einführung der obligatorischen elektronischen Rechnung für Umsätze zwischen inländischen Unternehmen (B2B) sicherlich die relevanteste Änderung dar.
Die Neuregelung tritt bereits am 1.1.2025 in Kraft. Da die Umsetzung aber einige Zeit beanspruchen wird, können nach den Vorgaben des § 27 Umsatzsteuergesetz (UStG) Übergangsregelungen genutzt werden. Der allgemeine Übergangszeitraum beträgt zwei Jahre (Pflicht somit ab 2027); drei Jahre gelten für Unternehmer mit einem Gesamtumsatz von bis zu 800.000 Euro im Jahr 2026.
Bürokratieabbau bei der Umsatzsteuer
Unter gewissen Voraussetzungen kann die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten (Ist-Besteuerung) berechnet werden, was einen Liquiditätsvorteil ermöglicht. Die relevante Vorjahresumsatzgrenze wurde von 600.000 Euro auf 800.000 Euro erhöht (gilt ab dem Besteuerungszeitraum 2024).
Die Grenze, ab der Unternehmer von der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung befreit werden können, wurde angehoben – und zwar von 1.000 Euro auf 2.000 Euro (gilt ab dem Besteuerungszeitraum 2025).
Grundsätzlich sind Kleinunternehmer (§ 19 UStG) von der Abgabe einer Umsatzsteuererklärung (Nullmeldung) ab dem Besteuerungszeitraum 2024 befreit.
Anhebung von Buchführungsgrenzen
Überschreiten gewerbliche Unternehmer gewisse Buchführungsgrenzen, können sie ihren Gewinn nicht mehr mittels Einnahmen-Überschussrechnung ermitteln, sondern sind zur Bilanzierung verpflichtet. Die in § 141 der Abgabenordnung geregelten Grenzen wurden von 600.000 Euro auf 800.000 Euro (Umsatz) und von 60.000 Euro auf 80.000 Euro (Gewinn) erhöht. Dies gilt für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2023 beginnen (mit Übergangsregelung).
Auch die Buchführungsgrenzen in § 241 a Handelsgesetzbuch (HGB) wurden auf 800.000 Euro (Umsatzerlöse) bzw. 80.000 Euro (Jahresüberschuss) erhöht.
Quelle | Wachstumschancengesetz, BGBl I 2024, Nr. 108
| Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat entschieden: Die von der Stadt Fulda verfügte Schließung von ohne Personal betriebenen Verkaufsmodulen an Sonn- und Feiertagen hat Bestand. |
Das war geschehen
Die Antragstellerin und Inhaberin einer Supermarktkette betreibt im Gebiet der Stadt Fulda Verkaufsmodule, die an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr geöffnet sind und zu denen die Kunden nach einer digitalen Kontrolle Zugang erhalten. Angeboten werden dort Waren des täglichen Bedarfs, die digital bezahlt werden. An Sonn- und Feiertagen wird in diesen Verkaufsmodulen kein Personal eingesetzt.
Die Stadt Fulda hatte gegenüber der Antragstellerin mit sofortiger Wirkung verfügt, die im Stadtgebiet aufgestellten Verkaufsmodule insbesondere an Sonn- und Feiertagen zu schließen. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit einem gerichtlichen Eilantrag, den das Verwaltungsgericht (VG) Kassel ablehnte.
So sieht es der Verwaltungsgerichtshof
Der VGH hat die Entscheidung des VG bestätigt und sich hierbei maßgebend auf die Bestimmungen des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes gestützt. Nach § 3 Abs. 2 dieses Gesetzes müssen Verkaufsstellen unter anderem an Sonn- und Feiertagen für den geschäftlichen Verkehr mit Kundinnen und Kunden geschlossen sein. Verkaufsstellen sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes Ladengeschäfte aller Art, falls in ihnen von einer festen Stelle aus ständig Waren zum Verkauf an jedermann „feilgehalten“ werden.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat der VGH im Wesentlichen ausgeführt, das VG sei zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständlichen Verkaufsmodule Verkaufsstellen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes seien. Das „Feilhalten“ von Waren im Sinne dieser Vorschrift setze nach der gesetzlichen Definition dieses Begriffs keinen persönlichen Kontakt mit einem Verkäufer voraus. Es mache für das „Feilhalten“ von Waren keinen Unterschied, ob der Kunde die begehrte Ware aus einem Automaten oder aus einem Verkaufsregal bzw. von einem Verkaufstisch an sich nehme; der Verkaufsvorgang setze in beiden Fällen ein aktives Handeln des Kunden voraus, dem nicht zwangsläufig ein aktives Tun des Verkäufers gegenüberstehe. Richtig sei zwar das von der Antragstellerin vorgetragene Argument, dass bei einem Verzicht auf den Einsatz von Verkaufspersonal das dem Ladenschlussrecht zugrunde liegende Ziel des Arbeitnehmerschutzes erreicht werde.
Das Hessische Ladenöffnungsgesetz diene allerdings nicht allein dem Arbeitnehmerschutz, sondern auch dem Ziel, die Sonntage und staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erholung zu schützen. Es bestehe auch keine Vergleichbarkeit zwischen dem Einkauf in den streitgegenständlichen Verkaufsmodulen und den auch sonn- und feiertags durchgängig möglichen Onlinebestellungen. Insbesondere habe der Onlinebestellvorgang keinerlei Außenwirkungen und sei daher nicht geeignet, die Sonn- und Feiertagsruhe der übrigen Bevölkerung zu beeinträchtigen.
Der Beschluss ist im verwaltungsgerichtlichen Instanzenzug nicht anfechtbar.
Quelle | VGH Kassel, Beschluss vom 22.12.2023, 8 B 77/22, PM 1/24
| Mehraufwendungen für einen behindertengerechten Um- oder Neubau eines Hauses oder einer Wohnung sind grundsätzlich als außergewöhnliche Belastung abziehbar. Dies gilt auch für eine dadurch ausgelöste Mieterhöhung. Aber: Ein Abzug ist nur zulässig, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Das hat das Finanzgericht (FG) München entschieden. |
Im Streitfall des FG München ging es um die umbaubedingte Erhöhung einer jährlichen Miete, die durch die Errichtung eines behindertengerechten Verbindungsbaus mit Pflegebad zwischen zwei Einfamilienhäusern veranlasst war.
Der Höhe nach hat das FG eine Begrenzung der Abzugsfähigkeit der Aufwendungen gesehen – und zwar im Hinblick darauf, dass es zu den durchgeführten Umbaumaßnahmen eine kostengünstigere Alternative gegeben hätte, die der Behinderung in gleicher Weise Rechnung getragen hätte.
Beachten Sie | Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Revision zugelassen. Er kann nun klären, ob dem Steuerpflichtigen bei der Beurteilung, ob Aufwendungen notwendig und angemessen sind, ein Ermessensspielraum einzuräumen ist. Bis dahin können geeignete Fälle durch einen Einspruch offengehalten werden.
Quelle | FG München, Urteil vom 27.10.2022, 10 K 3292/18, Rev. BFH: VI R 15/23
| Das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg musste jüngst über einen „Wohn-Riester-Fall“ entscheiden. Hierbei ging es um einen Ehemann, der von seiner verstorbenen Frau deren Wohnung und den Darlehensvertrag geerbt hatte. Das Darlehen wollte er tilgen. Deshalb begehrte er, die Entnahme von gefördertem Kapital zur wohnungswirtschaftlichen Verwendung aus einem Altersvorsorgevermögen (gemäß § 92 b Abs. 1 S. 3 Einkommensteuergesetz [EStG]) zu bewilligen. Soviel vorab: Die Entscheidung ging zugunsten des Steuerpflichtigen aus. |
Hintergrund: Durch die sogenannte Riester-Rente sollen mögliche Versorgungslücken im Alter zumindest teilweise aufgefangen werden. Dies geschieht durch den Aufbau einer kapitalgedeckten Versorgung.
Staatlich gefördert wird aber auch der „Wohn-Riester“, eine Variante des Bausparens, bei der Anleger aus dem Vertrag Kapital für den Kauf oder Bau einer Wohnung erhalten. Sie können den „Wohn-Riester“ aber auch nutzen, um ein Immobilien-Darlehen abzutragen.
Das war geschehen
Ein Ehemann erbte als Alleinerbe von seiner Ehefrau eine durch die Ehefrau errichtete und mit dieser gemeinsam bewohnte Wohnung sowie das durch die Ehefrau zur Finanzierung der Wohnung aufgenommene Darlehen. Zur Tilgung des Darlehens begehrte der Ehemann die Bewilligung der Entnahme von gefördertem Kapital zur wohnungswirtschaftlichen Verwendung aus einem Altersvorsorgevermögen.
Ehemann hatte die Wohnung nicht angeschafft, sondern geerbt
Dies wurde ihm allerdings versagt und zwar mit folgender Begründung: Ein nach dem EStG (§ 92 a Abs. 1 S. 1 Nr. 1) für die wohnungswirtschaftliche Verwendung erforderlicher entgeltlicher Anschaffungsvorgang liege in der Person des Ehemanns nicht vor, da er die Wohnung unentgeltlich im Wege der Erbfolge erworben habe. Dies sah der Ehemann aber anders und klagte. Eine gute Entscheidung, denn das FG Berlin-Brandenburg schloss sich seiner Ansicht an.
Ehemann übernahm Tilgung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge
Die Übernahme eines Darlehens als Nachlassverbindlichkeit begründet zwar keine entgeltliche Anschaffung der finanzierten Wohnung durch den Erben. Allerdings ist die Tilgungsvariante gemäß EStG so auszulegen, dass diese auch in Fällen gilt, in denen ein Erbe ein zur Anschaffung oder Herstellung begünstigten Wohnraums aufgenommenes Darlehen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übernimmt.
Der Wortlaut des o. g. Paragrafen im EStG verlangt zwar die Verwendung des Altersvorsorge-Eigenheimbetrags zur Tilgung eines zu diesem Zweck (also zur Anschaffung oder Herstellung) aufgenommenen Darlehens. Jedoch tritt der Gesamtrechtsnachfolger in die Rechtsstellung des Erblassers dergestalt ein, dass ihm die Anschaffung bzw. Herstellung durch den Erblasser zuzurechnen ist.
Mithin besteht eine ununterbrochene Kausalität zwischen der Tilgung des Darlehens und dem ursprünglich für die Anschaffung oder Herstellung aufgewandten Darlehen.
Bundesfinanzhof muss entscheiden
Die Deutsche Rentenversicherung Bund Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen gibt sich mit dem Urteil nicht zufrieden und hat Revision beim Bundesfinanzhof (BFH) eingelegt.
Quelle | FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.12.2023, 15 K 15045/23, Rev. BFH: X R 2/24
| Beim Berliner Testament setzen sich Ehegatten für den ersten Erbfall gegenseitig als Alleinerben ein und bestimmen die Kinder als Schlusserben (z. B. zu gleichen Teilen). Ziel ist die gerechte Verteilung des Nachlasses zwischen den Kindern, aber zunächst die Versorgung des überlebenden Ehegatten. Die Kinder können das Konstrukt jedoch dadurch aus den Angeln heben, dass sie beim Tod des Erstversterbenden ihre Pflichtteilsansprüche geltend machen. Um dies zu verhindern, kann eine Strafklausel aufgenommen werden, z. B. die sog. Jastrowsche Klausel. Über einen solchen Fall musste nun der Bundesfinanzhof (BFH) entscheiden. Das Urteil zeigt, dass derartige Regelungen zumindest aus erbschaftsteuerlicher Sicht nachteilig sein können. |
Das war geschehen
Die Eltern der Klägerin setzten sich gegenseitig als Alleinerben ein, wobei der überlebende Ehegatte über den Nachlass und sein eigenes Vermögen frei verfügen konnte. Als Erben des überlebenden Ehegatten setzten die Eheleute die Klägerin und drei ihrer Schwestern ein. Ein Bruder und eine weitere Schwester wurden enterbt.
Zudem enthielt das Berliner Testament eine Jastrowsche Klausel. Diese regelte, dass für den Fall, dass eines der Kinder nach dem Tod des zuerst sterbenden Elternteils den Pflichtteil verlangt, dieses Kind auch vom Nachlass des zuletzt sterbenden Elternteils nur den Pflichtteil erhalten soll. Diejenigen Erben, die den Pflichtteil beim Tod des Erstverstorbenen nicht fordern, sollten bei Tod des länger lebenden Ehegatten aus dem Nachlass des Erstverstorbenen ein erst beim Tod des länger lebenden Ehegatten fälliges Vermächtnis in Höhe des Pflichtteils erhalten.
Geschwister machten Pflichtteil geltend
Die enterbten Geschwister der Klägerin machten nach dem Tod des erstverstorbenen Vaters ihren Pflichtteil geltend. Die Klägerin erwarb daher beim Tod des Vaters ein entsprechendes Vermächtnis, das mit dem Tod der Mutter fällig wurde.
Nachdem auch die Mutter verstorben war, setzte das Finanzamt gegenüber der Klägerin Erbschaftsteuer für den Erwerb nach der Mutter fest. Das Vermächtnis rechnete es weder dem Erwerb hinzu noch wurde es als Nachlassverbindlichkeit abgezogen. Die Klägerin war hingegen der Ansicht, das Vermächtnis sei bei ihr doppelt hinzugerechnet worden und deshalb als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig. Dies sah der BFH aber anders.
Vermächtnis nach Tod des Vaters entstanden, aber erst nach dem Tod der Mutter fällig
Der Wert des Vermächtnisses wurde zunächst einmal besteuert, nämlich nach dem Tod des Vaters bei der Mutter als dessen Alleinerbin. Da das Vermächtnis zwar damals bereits entstanden war, aber erst bei dem Tod der Mutter fällig wurde, ging der Nachlass des Vaters ungeschmälert (einschließlich des Vermögens, aus dem das Vermächtnis zu erfüllen war) auf die Mutter über. Die Mutter konnte die Vermächtnisverbindlichkeit bei ihrem Erbe nicht abziehen, weil sie diese Schuld mangels Fälligkeit nicht zu begleichen hatte.
Nach dem Tod der Mutter musste die Klägerin das jetzt fällig gewordene Vermächtnis versteuern.
Als Schlusserbin unterlag bei ihr außerdem der Nachlass nach der Mutter der Erbschaftsteuer. Dort konnte sie die dann fällig gewordene Vermächtnisverbindlichkeit als Nachlassverbindlichkeit abziehen. Das Vermächtnis unterlag bei der Klägerin daher nur einmal der Besteuerung.
Dass hinsichtlich des betagten Vermächtnisses im Ergebnis zweimal Erbschaftsteuer entsteht – einmal (ohne Abzugsmöglichkeit als Nachlassverbindlichkeit) bei der Mutter nach dem Tod des Vaters und ein weiteres Mal bei der Klägerin nach dem Tod der Mutter – ist zwar ungünstig, aus rechtlicher Sicht aber nicht zu beanstanden. Es liegt, so der BFH, an der Jastrowschen Klausel, die das Vermächtnis zwar bei Tod des Erstverstorbenen anfallen, aber erst bei Tod des länger lebenden Ehegatten fällig werden lässt.
Beachten Sie | Wer also ein Berliner Testament aufsetzen möchte, sollte nicht nur die zivilrechtlichen Aspekte, sondern auch die erbschaftsteuerlichen Folgen bedenken.
Quelle | BFH-Urteil vom 11.10.2023, II R 34/20, PM 11/24 vom 27.2.2024
| Das Landgericht (LG) Frankenthal hat die gegen eine Gemeinde gerichtete Schadenersatzklage eines Rennradfahrers abgewiesen, der auf einem Radweg aufgrund von Wurzelschäden gestürzt war. Ein Radfahrer müsse seine Fahrweise so einrichten, dass er sichtbare Hindernisse auf einem Radweg rechtzeitig wahrnehmen und vor ihnen anhalten kann, so das LG. |
Grundsätze der Verkehrssicherungspflicht
Grundsätzlich muss der, der eine Gefahrenquelle (z. B. eine aus dem Boden ragende Baumwurzel) schafft oder eine solche andauern lässt, notwendige und zumutbare Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer zu verhindern (sog. „Verkehrssicherungspflicht“). Er muss Gefahren ausräumen oder vor ihnen warnen.
Ausnahmen von der Verkehrssicherungspflicht
Dies gilt jedoch nur, soweit sie für andere trotz aufmerksamen Verhaltens im Straßenverkehr nicht erkennbar oder nicht beherrschbar sind. Die Anforderungen an die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht für einen Radweg bemessen sich an einem normalen Radfahrer mit einer üblichen Geschwindigkeit.
Rennradfahrer muss besonders vorsichtig sein
Ein Rennradfahrer muss von sich aus besonders vorsichtig fahren, da er mit seinen dünnen Reifen bei Unebenheiten im Boden besonders gefährdet ist. Vorliegend seien die Wurzelschäden nach Ansicht der Kammer gut und rechtzeitig erkennbar gewesen.
Wurzelschäden waren sichtbar
Das LG: Der Wegabschnitt habe auch an anderen Stellen Unebenheiten, wie Bodenschwellen, Risse oder eben Wurzelschäden aufgewiesen, sodass Schäden auch an der Unfallstelle nicht überraschend gewesen sein könnten. Ein konzentrierter Radfahrer hätte sein Fahrverhalten an die vorgefundenen Hindernisse anpassen können und müssen. Aufgrund der ausreichenden Erkennbarkeit der Wurzelschäden sei auch eine Warnung bspw. durch ein Hinweisschild nicht erforderlich gewesen.
Auch ein unter Umständen störendes Licht- und Schattenspiel auf dem Radweg wegen eines ungünstigen Sonnenstands, weswegen der Rennradfahrer das Hindernis nicht erkannt haben will, ändere daran nichts. Auf witterungsbedingte Umstände müsse sich ein Radfahrer einstellen und dementsprechend noch vorsichtiger fahren.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 31.8.2023, 3 O 71/22, PM vom 29.12.2023
| Eine Einbahnstraße darf nur in vorgeschriebener Fahrtrichtung befahren werden. Verboten ist auch das Rückwärtsfahren entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung. Lediglich (unmittelbares) Rückwärtseinparken („Rangieren“) ist – ebenso wie Rückwärtseinfahren aus einem Grundstück auf die Straße – kein unzulässiges Rückwärtsfahren auf Richtungsfahrbahnen gegen die Fahrtrichtung. So stellte es der BGH jetzt fest. |
Demgegenüber ist Rückwärtsfahren auch unzulässig, wenn es dazu dient, erst zu einer (freien oder frei werdenden) Parklücke zu gelangen. Entsprechendes gilt, wenn das Rückwärtsfahren dazu dient, einem Fahrzeug die Ausfahrt aus einer Parklücke zu ermöglichen, um anschließend selbst in diese einfahren zu können.
Der Unfall ereignete sich, als der eine Verkehrsteilnehmer rückwärts aus einer Grundstücksausfahrt in die Einbahnstraße einfuhr, während der andere unzulässig die Einbahnstraße rückwärts befuhr. Der Anscheinsbeweis, dass der, der rückwärts aus einer Grundstücksausfahrt fährt, seinen Sorgfaltspflichten nicht genügt habe, wenn es dabei zu einer Kollision kommt, ist nicht anzuwenden. Denn das verbotene Rückwärtsfahren des Unfallgegners hebt das „typische Geschehen“ auf, das für die Anwendung eines Anscheinsbeweis nötig ist. Der Ausfahrt-Ausfahrer muss grundsätzlich nicht mit einem verbotswidrig die Einbahnstraße rückwärts befahrenden Verkehrsteilnehmer rechnen.
Quelle | BGH, Urteil vom 10.10.2023, VI ZR 287/22
| Wird ein Schüler von einer Klassenfahrt ausgeschlossen, weil er dort unzulässigerweise Alkohol erworben hat, können Erziehungsberechtigte zu den Mehrkosten der verfrühten Rückreise heranzogen werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin entschieden. |
Im Juni 2022 fand eine Klassenfahrt einer 10. Klasse eines Gymnasiums nach München statt. Zuvor hatte sich die Beklagte, Mutter eines minderjährigen Schülers, schriftlich verpflichtet, die Kosten einschließlich etwaiger Zusatzkosten bei vorzeitiger Heimreise zu tragen. Während der Fahrt kauften insgesamt sieben Schüler, darunter der Sohn der Beklagten, zwei Wodkaflaschen, woraufhin sie von der Fahrt ausgeschlossen wurden. Die Beklagte zahlte die hierdurch entstandenen Mehrkosten von 143,60 Euro nicht, woraufhin das Land Berlin sie auf Zahlung verklagte.
Die Klage hatte Erfolg. Der Anspruch auf Kostenerstattung ergebe sich aus dem öffentlich-rechtlichen Vertrag, den die Beteiligten miteinander geschlossen hätten. Dieser Vertrag sei wirksam zustande gekommen. Der Ausschluss sei als Ordnungsmaßnahme nach dem Berliner Schulgesetz ergangen und von der Beklagten nicht angegriffen worden, wodurch die vereinbarte Kostenfolge entstanden sei. Die Forderung einschließlich der geltend gemachten Zinsen sei schließlich der Höhe nach nicht zu beanstanden.
Der Gerichtsbescheid ist rechtskräftig.
Quelle | VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 15.11.2023, VG 3 K191/23, PM 2/24
| Das Landgericht (LG) Frankenthal hat die Klage eines Fahrradbesitzers gegen seine Hausratversicherung wegen eines gestohlenen Fahrrads abgewiesen. Das teure Bike war nach seinen Angaben bei einem Einbruch in den Keller seiner Zweitwohnung entwendet worden. |
Das umfasst die Außenversicherung
Das LG hat klargestellt, dass eine Außenversicherung nur Gegenstände in Zweitwohnungen umfasst, die eigentlich in der Hauptwohnung ihren Platz haben und sich nur vorübergehend außerhalb des Hauptwohnsitzes befinden. Als Erweiterung des grundsätzlich an den Versicherungsort gebundenen Versicherungsschutzes sei es dagegen nicht ihr Sinn und Zweck, Gegenstände zu versichern, die üblicherweise in der Zweitwohnung aufbewahrt werden.
Kein versicherter Hausrat
Weil der Mann sein Fahrrad hauptsächlich im Keller der Zweitwohnung abgestellt hatte und nur in mehrwöchigen Urlaubszeiten mit nach Hause nahm, gehört es nicht zum versicherten Hausrat, der tatsächlich nur vorübergehend außerhalb der Hauptwohnung verbracht worden sei, so das LG. Der Radfahrer blieb deshalb auf dem gesamten Diebstahlschaden seines knapp 5.000 Euro teuren Fahrrads sitzen.
Hausratversicherung bestand nur für die Hauptwohnung
Die Hausratversicherung verweigerte nach Auffassung der Kammer zu Recht den Versicherungsschutz, weil der Radbesitzer die Versicherung nur für seine Hauptwohnung besaß. Außerhalb dieser Hauptwohnung befindliche Sachen waren lediglich über einen sog. „Außenversicherungsschutz“ abgedeckt. Eine gesonderte Hausratversicherung für die Zweitwohnung, ein möbliertes Appartement, in dem er sich üblicherweise werktags aufhielt, hatte der Biker nicht abgeschlossen.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 29.3.2023, 3 O 236/22, PM vom 29.11.2023
| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass die operative Therapie eines grauen Stars im Ausland nicht als Notfallbehandlung zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung qualifiziert werden kann. |
Linsenoperation in türkischer Privatklinik wegen grauem Star
Geklagt hatte eine türkischstämmige Frau (geb. 1965) aus Niedersachsen, die seit dem Jahr 2015 an einem beginnenden Katarakt (grauer Star) der Augen litt. Während eines Urlaubs in der Türkei im Jahr 2019 ließ sie an beiden Augen eine Linsenoperation in einer Privatklinik durchführen. Die entstandenen Kosten von rd. 1.600 Euro wollte die Frau von ihrer Krankenkasse erstattet haben.
Die gesetzliche Krankenkasse – und die private Auslandskrankenversicherung – lehnte eine Erstattung ab. Bei vorübergehenden Auslandsaufenthalten könnten nur Notfallbehandlungen übernommen werden. Ein grauer Star sei jedoch ein schleichender Prozess und kein Notfall.
Hiergegen klagte die Frau und schilderte, dass es in der Türkei mit den Augen so schlimm geworden sei, dass sie gestürzt sei. Ihr sei schwarz vor Augen geworden und sie sei in größter Sorge gewesen, das Augenlicht zu verlieren. Es habe sich um einen Notfall gehandelt. Obwohl sie schon länger an grauem Star erkrankt sei, könne ein „plötzlich bemerkter“ Sehverlust mit einem akuten Sehverlust verwechselt werden.
Gericht bestätigt Rechtsauffassung der Krankenkasse
Das LSG hat die Rechtsauffassung der Krankenkasse bestätigt. Der Anspruch scheitere schon deshalb, weil die Klägerin sich als Privatpatientin in einer Privatklinik habe behandeln lassen. Diesbezügliche Behandlungen seien vom Leistungsumfang generell nicht umfasst.
Keine Notfallbehandlung
Unabhängig davon habe bei der Klägerin kein medizinischer Zustand vorgelegen, der während des Türkei-Urlaubs an beiden Augen aufgetreten sei und einer sofortigen Behandlung bedurft hätte. Der behandelnde Augenarzt habe einen senilen Katarakt, d. h. eine Alterserkrankung diagnostiziert. Eine plötzliche Verschlechterung mit dringender Operationsindikation habe er ausgeschlossen. Ein grauer Star sei eine Alterserkrankung, die durch ein schleichendes Fortschreiten gekennzeichnet sei und nicht durch einen plötzlichen Sehverlust im Sinne eines Notfalls.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19.12.2023, L 16 KR 196/23, PM vom 8.1.2024
| Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat den für zwei große Hunde aus dem Landkreis Günzburg angeordneten Leinenzwang bestätigt. Begründet hat es den Leinenzwang u. a. damit, dass die Hunde nach Aussagen mehrerer Betroffener frei herumlaufen würden. Die vom Kläger gegen den Leinenzwang erhobenen Klagen hatte schon das Verwaltungsgericht (VG) Augsburg abgewiesen. Hiergegen stellte der Kläger beim BayVGH Anträge auf Zulassung der Berufung. |
Das war geschehen
Der Kläger ist Halter zweier Hunde. Mit Bescheiden aus dem Monat Februar 2023 hatte die Verwaltungsgemeinschaft als örtlich zuständige Sicherheitsbehörde für die beiden Hunde einen Leinenzwang angeordnet.
Der BayVGH hat die Anträge abgelehnt und die Urteile des VG bestätigt. Gründe, die eine Zulassung der Berufung rechtfertigen würden, lägen nach Ansicht des BayVGH nicht vor. Es bestünden insbesondere keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Urteile des VG.
Gefahr durch große Hunde
Der Einwand des Klägers, die Hunde seien ungefährlich, greife nicht durch. Nach ständiger Rechtsprechung des BayVGH gehe von freilaufenden großen Hunden auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr in der Regel eine konkrete Gefahr für Eigentum und Gesundheit Dritter aus. Der Leinenzwang sei deshalb bereits allein wegen der Größe der Hunde gerechtfertigt. Grund für die Unterscheidung nach der Größe sei, dass es bei großen unangeleinten Hunden in Wohngebieten regelmäßig mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu unvorhergesehenen Reaktionen von Menschen oder Hunden und damit zu erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit kommen könne. Der Feststellung, dass es sich hier um große Hunde mit einer Schulterhöhe von mindestens 50 Zentimetern handele, habe der Kläger nicht in Zweifel gezogen.
Es gab bereits einen Beißvorfall
Ein Einschreiten sei bei einem der Hunde auch deshalb geboten gewesen, weil es im November 2022 zu einem Beißvorfall gekommen sei. Bei beiden Hunden habe somit eine konkrete und nicht bloß abstrakte Gefahr für die Gesundheit Dritter vorgelegen.
Durch die Beschlüsse des BayVGH wurden die Urteile des VG rechtskräftig.
Quelle | BayVGH, Beschlüsse vom 22.1.2024, 10 ZB 23.1558 u. a., PM vom 30.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Hannover hat jetzt klargestellt: Eine Pauschalreise kann mangelhaft sein, wenn der Reiseveranstalter in einer Hotelanlage entweder nur wenige Poolliegen zur Verfügung stellt oder nicht einschreitet, wenn andere Reisegäste Poolliegen etwa mittels eines Handtuchs längere Zeit reservieren, ohne sie tatsächlich zu nutzen. |
Das war geschehen
Der Kläger buchte für sich und seine Familie eine Pauschalreise zum Preis von insgesamt 5.260 Euro. Das gebuchte Hotel verfügte über sechs Swimmingpools und etwa 500 Poolliegen. Nach den ausgeschilderten Verhaltensregeln war es den Badegästen untersagt, Poolliegen für mehr als 30 Minuten zu reservieren, ohne sie zu nutzen. Tatsächlich war es aber so, dass Badegäste Poolliegen auch länger mit ihren Handtüchern reservierten. Leitung und Personal des Hotels unternahmen nichts dagegen. Der Kläger und seine Familie hingegen hielten sich an die vorgegebenen Verhaltensregeln. Der Kläger rügte mehrfach, dass ihm und seiner Familie deswegen keine Liegen zur Verfügung gestanden hätten. Darin sah der Kläger einen Reisemangel und forderte von dem Reiseveranstalter (der Beklagten) u. a. einen Teil des Reisepreises (798,00 Euro) zurück.
Die Beklagte war der Auffassung, dass es sich um ein friedliches Wettrennen um die begehrten Plätze am Pool mit dem besseren Ende für den sprichwörtlichen „frühen Vogel“ gehandelt habe, nicht aber um einen Reisemangel. Möglicherweise hätten sich nur der Kläger und seine Familie an die Poolregeln gehalten, obwohl sie nicht mit Sanktionen hätten rechnen müssen, wenn der Kläger abends oder seine Lebensgefährtin morgens zum Sonnenaufgang sein Handtuch auf eine Liege gelegt hätte.
Amtsgericht: Pflicht des Reiseveranstalters
Das AG hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger einen Betrag von 322,77 Euro zugesprochen. Dabei hat es angenommen, dass der Reiseveranstalter nicht gehalten ist, jedem Hotelgast eine Liege zur Verfügung zu stellen. Vielmehr müsse die Anzahl der Liegen in einem angemessenen Verhältnis zur Auslastung des Hotels und damit zur Anzahl der Hotelgäste stehen. Stünden zwar genug Liegen zur Verfügung, seien diese für den Reisenden aber faktisch nicht nutzbar, weil andere Hotelgäste entgegen den Verhaltensregeln Poolliegen mit eigenen Handtüchern reservierten, ohne sie zu nutzen, sei der Reiseveranstalter zum Einschreiten verpflichtet.
Gäste mussten nichts selbst unternehmen – Reisepreisminderung von 15 Prozent
Es sei in diesem Zusammenhang auch nicht Sache des Reisenden, selbst für Abhilfe zu sorgen, indem er entweder fremde Handtücher eigenmächtig entferne oder seinerseits entgegen den Verhaltensregeln Liegen reserviere. Dies sei unzumutbar, da Streitigkeiten mit anderen Hotelgästen zu befürchten seien, auf die sich kein Reisender einlassen müsse.
Das Gericht gelangte zu der Überzeugung, dass es dem Kläger und seiner Familie mit Ausnahme des letzten Tages nicht möglich gewesen sei, nach dem Frühstück ab etwa 9.00 Uhr Poolliegen zu nutzen, weil diese entweder belegt, durch Handtücher anderer Badegäste „reserviert“ oder aber defekt gewesen seien. Es hat insoweit eine Reisepreisminderung von 15 Prozent des Tagesreisepreises der ab der erstmaligen Rüge des Klägers betroffenen Tage angenommen.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 20.12.2023, 553 C 5141/23, PM vom 4.1.2023
| Das LG Berlin II hat der Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil des Amtsgerichts (AG) Berlin-Mitte teilweise stattgegeben. Dieses hatte eine von der Vermieterin erhobene Räumungsklage mit der Begründung abgewiesen, die von der Vermieterin ausgesprochene Eigenbedarfskündigung sei formunwirksam. Das LG hat die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Vermieterin – anders als zuvor das AG – zwar für wirksam erachtet, jedoch zugleich die Fortsetzung des Mietverhältnisses für die Dauer von zwei Jahren angeordnet. |
Zweijährige Verlängerung der Mietdauer
Die angeordnete Fortsetzung des Mietverhältnisses für die Dauer von zwei Jahren begründete das LG damit, dass es den beklagten Mietern in dem vorliegenden Fall nicht möglich gewesen sei, angemessenen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen zu beschaffen. Demzufolge können Mieter unter Berufung auf die sog. Sozialklausel des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 574 Abs. 1 und 2 BGB) nach Abwägung mit den Vermieterinteressen unter gewissen Voraussetzungen die Fortsetzung ihres Mietverhältnisses verlangen, auch wenn die zuvor ausgesprochene Kündigung wirksam ist.
Mieter fanden keinen Ersatzwohnraum in Berlin
Das LG hat darauf abgestellt, dass sich die Mieter nach Ausspruch der Eigenbedarfskündigung über einen Zeitraum von fast zwei Jahren auf eine Vielzahl von Wohnungen im gesamten Berliner Stadtgebiet beworben haben, jedoch aufgrund der angespannten Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt sowie des nur noch geringen Angebotes freier Wohnungen mit ihren Bewerbungen keinen Erfolg hatten. Zudem hat das LG bei seiner Entscheidung berücksichtigt, dass auch über das sog. Geschützte Marktsegment (GMS) in absehbarer Zeit kein freier Alternativwohnraum in Berlin für die Mieter zur Verfügung stand.
Schließlich hat das LG auch den Umstand, dass das gesamte Stadtgebiet von Berlin durch eine Mietenbegrenzungsverordnung (MietBegrV Bln) als Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt ausgewiesen ist, als weiteren Beleg für die Richtigkeit des Mietervortrags gewertet und außerdem berücksichtigt, dass der von der Vermieterin geltend gemachte Eigenbedarf nicht besonders dringlich war.
Landgericht: Vertragsbedingungen angepasst und Miete angehoben
Das LG hat bei seiner Entscheidung die bisherigen Vertragsbedingungen von Amts wegen geändert und neben der Anordnung der befristeten Fortdauer des Mietverhältnisses auch die von den Mietern bisher geschuldete Nettokaltmiete auf ein marktübliches Niveau angehoben.
Quelle | LG Berlin II, Urteil vom 25.1.2024, 67 S 264/22, PM 5/24
| Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat entschieden: Ein (notarielles) Testament kann sittenwidrig sein, wenn eine Berufsbetreuerin ihre gerichtlich verliehene Stellung und ihren Einfluss auf einen älteren, kranken und alleinstehenden Erblasser dazu benutzt, gezielt auf den leicht beeinflussbaren Erblasser einzuwirken und ihn dazu zu bewegen, vor einem von ihr herangezogenen Notar in ihrem Sinne letztwillig zu verfügen. |
Das war geschehen
Eine 92 Jahre alte Frau, deren einzige noch lebende Angehörige ihre Tochter war, befand sich wegen ihres Gesundheitszustands ab Anfang September 2022 im Krankenhaus. In den letzten Tagen vor dem Tod ihrer Tochter, die sich zuvor um die Angelegenheiten der Mutter gekümmert hatte, teilten die beiden das Krankenzimmer. Zwei Tage nach dem Tod der Tochter – noch im September 2022 – bestellte das Amtsgericht (AG) für die Frau während des Krankenhausaufenthalts eine Berufsbetreuerin.
Anfang Oktober 2022 erfolgte mit Notarztbegleitung die Einweisung in ein anderes Krankenhaus. Nur kurz war die Frau zwischen den beiden Krankenhausaufenthalten in einer Pflegeeinrichtung untergebracht. Während des zweiten Krankenhausaufenthalts beauftragte die Berufsbetreuerin einen Notar mit der Erstellung eines notariellen Testaments für die Frau. Im Krankenhaus beurkundete der Notar ein Testament der Frau, mit dem sie die Berufsbetreuerin zur Alleinerbin einsetzte. Den Wert des Vermögens gab sie mit 350.000 Euro an. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus – Mitte Oktober 2022 – nahm die Berufsbetreuerin die Frau bei sich zu Hause auf. Vier Tage danach starb die Frau dort eines natürlichen Todes.
Verstoß gegen die guten Sitten
§ 138 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) lautet: Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. Das OLG ist hier davon ausgegangen, dass das notarielle Testament sittenwidrig und damit nichtig ist und die Berufsbetreuerin deshalb hieraus für sich keine Rechte herleiten und insbesondere keinen Erbschein ausgestellt erhalten kann.
Das OLG: Ein notarielles Testament zugunsten einer Berufsbetreuerin kann sittenwidrig sein. Hier sei dies aufgrund des hohen Alters der Erblasserin, ihrer schlechten gesundheitlichen Verfassung, ihrem Gemütszustand nach dem Tod ihrer Tochter, den Umständen im Zusammenhang mit der notariellen Beurkundung sowie dem engen zeitlichen Ablauf zwischen Einrichtung der Betreuung und der Testierung der Fall.
Der Beschluss ist rechtskräftig.
Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 9.1.2024, 6 W 175/23, PM vom 25.1.2024
| Öffnungen in Brandwänden sind unzulässig und deshalb auf Aufforderung der Bauaufsichtsbehörde auch zu verschließen, wenn der angrenzende Nachbar sich mit diesen einverstanden erklärt hat und die Behörde erst nach längerer Zeit gegen den baurechtswidrigen Zustand vorgeht. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Mainz. |
Nachbar stimmte Einbau von Fenstern zu
Das Wohngebäude der klagenden Grundstückseigentümer steht auf der Grenze zum Nachbargrundstück. Die grenzständige Brandwand des Gebäudes wies zunächst an zwei Stellen Glasbauflächen auf. Im Jahr 2009 wurde eine Glasbaufläche durch ein öffenbares Fenster ersetzt, einige Jahre später kam es an der zweiten Stelle zu einem Fenstereinbau. Daraufhin gab der Beklagte, die Bauaufsichtsbehörde, den Klägern auf, die Fenster zu beseitigen und die dabei entstehenden Öffnungen feuerbeständig zu verschließen. Die Kläger wandten sich gegen die Anordnung und machten geltend, der unmittelbar angrenzende Grundstücksnachbar habe schriftlich erklärt, mit den Fenstern einverstanden zu sein. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid im Wesentlichen zurückgewiesen, verlangte aber nur noch einen hochfeuerhemmenden Abschluss der Brandwand. Die Kläger verfolgten die Aufhebung der Anordnung mit einer Klage weiter. Sie führten zusätzlich an, infolge der Zustimmung des Nachbarn und des jahrelangen Nichteinschreitens der Bauaufsichtsbehörde sei bei ihnen ein Vertrauenstatbestand entstanden, der eine baubehördliche Anordnung ausschließe. Das VG wies die Klage ab.
Brandwände: Öffnungen unzulässig
In Brandwänden seien Öffnungen von Gesetzes wegen unzulässig. Von der gesetzlichen Vorgabe dürfe nur ausnahmsweise unter Beachtung des öffentlichen Interesses des Schutzes der Allgemeinheit vor Brandgefahr und des Bauinteresses des Bauherrn abgewichen werden. Das Einverständnis eines Nachbarn zur Abweichung von dem Öffnungsverbot allein mindere das allgemeine Brandschutzbedürfnis nicht, zumal wenn – wie hier – ein weiterer Nachbar durch die betreffende Brandschutzwand gesetzlich geschützt werde, dieser der Baumaßnahme aber nicht zugestimmt habe.
Der Beklagte habe seine Befugnis zum Einschreiten gegen den baurechtswidrigen Zustand auch nicht verwirkt, weil er trotz dessen Kenntnis über längere Zeit hinweg nicht eingeschritten sei. Eingriffsbefugnisse auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr unterlägen nicht der Verwirkung durch die Verwaltung. Die bloße Untätigkeit der Bauaufsichtsbehörde könne auch kein Vertrauen beim Bauherrn begründen, dass die Behörde nicht mehr gegen die rechtswidrige Baumaßnahme vorgehen werde. Die Kläger könnten sich deshalb auch nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen, weil sie eigenmächtig die Glasbausteine durch Fenster ersetzt hätten, ohne zuvor den notwendigen Bauantrag gestellt oder die Baubehörde sonst einbezogen zu haben.
Quelle | VG Mainz, Urteil vom 6.12.2023, 3 K 39/23.MZ, PM 1/24
| Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken hat entschieden: Ein Bauunternehmen kann die zu einem Festpreis vereinbarte Errichtung eines Massivhauses nicht unter Verweis auf unvorhersehbare Materialpreissteigerungen verweigern, wenn es eine Formularklausel in den Bauvertrag eingebracht hat, die ihm eine unbegrenzte einseitige Anpassung der Vergütung ermöglicht. |
Bauvertrag des Bauunternehmens unterzeichnet
Das klagende Ehepaar und das beklagte Bauunternehmen schlossen im Dezember 2020 einen Vertrag, in dem sich das Unternehmen dazu verpflichtete, auf dem Grundstück der Kläger ein Massivhaus zu einem Pauschalpreis von rund 300.000 Euro zu errichten. Hierzu verwendeten die Parteien ein Vertragsmuster des Unternehmens, in dem es heißt, dass beide Seiten bis zum Ablauf eines Jahres ab Vertragsunterzeichnung an den vereinbarten Preis gebunden seien, wenn innerhalb von drei Monaten nach Vertragsschluss mit den Bauarbeiten begonnen werde. Unter Verweis auf diese Bestimmung teilte das Unternehmen den Eheleuten im Juni 2021 mit, dass sich der vereinbarte Preis um etwa 50.000 Euro erhöhe. Es begründete den Schritt mit außerordentlichen und nicht vorhersehbaren Preissteigerungen beim Baumaterial.
Bauherren akzeptierten Preiserhöhung nicht
Das Ehepaar akzeptierte die Preiserhöhung nicht und forderte das Unternehmen seinerseits auf, mit den Bauarbeiten zu beginnen. Auf die Weigerung des Unternehmens erklärten die Eheleute die Vertragskündigung und beauftragten ein anderes Bauunternehmen mit der Errichtung eines Massivhauses zu einem höheren als dem mit der Beklagten vereinbarten Festpreis.
Wer trägt Mehrkosten?
Mit ihrer Klage haben die Eheleute verlangt, festzustellen, dass das beklagte Bauunternehmen verpflichtet ist, ihnen Mehrkosten bei der Errichtung des Hauses zu ersetzen, die deshalb entstehen, weil das Unternehmen sich geweigert hat, den Vertrag zum vereinbarten Preis zu erfüllen.
So entschieden die gerichtlichen Instanzen
Das Landgericht (LG) hat der Klage stattgegeben. Hiergegen hat das Bauunternehmen Berufung eingelegt. Es hat im Wesentlichen geltend gemacht, dass eine Errichtung des Hauses zum ursprünglich vereinbarten Preis existenzbedrohend und ihm daher nicht zumutbar gewesen sei.
Das OLG hat das Bauunternehmen auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung hingewiesen, woraufhin es sein Rechtsmittel zurückgenommen hat. Zur Begründung hat das OLG ausgeführt, dass den Eheleuten der geltend gemachte Ersatz zustehe. Die Weigerung des Unternehmens, zum vereinbarten Preis zu erfüllen, habe sie zur Vertragskündigung und zur Beauftragung eines anderen Unternehmens veranlasst. Hierauf zurückzuführende Mehrkosten des Baus müsse das Unternehmen ersetzen.
Bauunternehmen schuldete den Hausbau zum Festpreis
Das Bauunternehmen habe den Bau des Hauses zum vereinbarten Festpreis geschuldet. Die Preisanpassungsklausel im Vertrag sei unwirksam gewesen. Sie benachteilige die Kunden des Unternehmens unangemessen, wenn es die vereinbarte Vergütung durch die Festlegung der Listenpreise ohne Begrenzung einseitig anheben könne. Die Kunden könnten der Bestimmung bei Vertragsschluss nicht entnehmen, mit Preissteigerungen welchen Umfangs sie zu rechnen hätten.
Bauunternehmen hatte Risikoabsicherung in der Hand
Gerade Besteller eines Neubaus seien darauf aber in besonderem Maße angewiesen. Häufig sei die Finanzierung auf den Festpreis ausgerichtet, sodass schon vermeintlich geringfügige Änderungen die Kunden an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bringen könnten. Das Unternehmen habe die Vertragserfüllung zum vereinbarten Preis auch nicht verweigern dürfen, weil sich die Vertragsgrundlage aufgrund unvorhersehbarer Materialpreissteigerungen geändert habe, denn es habe bei Vertragsschluss die Möglichkeit gehabt, sich mit einer Bestimmung gegen dieses Risiko abzusichern, die auch den Interessen seiner Kunden Rechnung getragen hätte.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 13.7.2023, 5 U 188/22, PM vom 15.2.2024
| Nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) haben Betriebsräte Anspruch auf für die Betriebsratsarbeit erforderlichen Schulungen, deren Kosten der Arbeitgeber tragen muss. Davon können Übernachtungs- und Verpflegungskosten für ein auswärtiges Präsenzseminar auch dann erfasst sein, wenn derselbe Schulungsträger ein inhaltsgleiches Webinar anbietet. So entschied es das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Arbeitgeberin verweigerte Erstattung von Übernachtungs- und Verpflegungskosten
Bei der Arbeitgeberin – einer Fluggesellschaft – ist durch Tarifvertrag eine Personalvertretung (PV) errichtet, deren Schulungsanspruch sich nach dem BetrVG richtet. Die PV entsandte zwei ihrer Mitglieder zu einer mehrtägigen betriebsverfassungsrechtlichen Grundlagenschulung Ende August 2021 in Potsdam. Hierfür zahlte die Arbeitgeberin die Seminargebühr, verweigerte aber die Übernahme der Übernachtungs- und Verpflegungskosten.
Dies begründete sie vor allem damit, die Mitglieder der PV hätten an einem zeit- und inhaltsgleich angebotenen mehrtägigen Webinar desselben Schulungsanbieters teilnehmen können. In dem von der PV eingeleiteten Verfahren hat diese geltend gemacht, dass die Arbeitgeberin auch die Übernachtungs- und Verpflegungskosten tragen muss. Hierzu haben die Vorinstanzen die Arbeitgeberin verpflichtet.
Bundesarbeitsgericht: Betriebsrat hat Spielraum
Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Ebenso wie ein Betriebsrat hat die PV bei der Beurteilung, zu welchen Schulungen sie ihre Mitglieder entsendet, einen gewissen Spielraum. Dieser umfasst grundsätzlich auch das Schulungsformat. Dem steht nicht von vornherein entgegen, dass bei einem Präsenzseminar im Hinblick auf die Übernachtung und Verpflegung der Schulungsteilnehmer regelmäßig höhere Kosten anfallen als bei einem Webinar.
Quelle | BAG, Beschluss vom 7.2.2024, 7 ABR 8/23, PM 5/24
| Wer mit einem äußerst scharfen Filetiermesser hantiert, muss besonders sorgfältig agieren, um Verletzungen von Kollegen auszuschließen. Nicht jeder Fehlgebrauch rechtfertigt aber eine Kündigung ohne vorherige einschlägige Abmahnung. Dies hat – wie bereits zuvor das Arbeitsgericht (ArbG) Lübeck – auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein entschieden. |
Kollegin Messer an den Hals gehalten
Der 29-jährige Kläger ist bei der Beklagten seit Juni 2019 als Industriemechaniker beschäftigt. Am 1.6.2022 arbeitete er mit einer Mitarbeiterin und einem Mitarbeiter an einem Probierstand. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger der Mitarbeiterin ein Filetiermesser mit einer Klingenlänge von 20 cm mit einem Abstand von 10 bis 20 cm an den Hals hielt und damit deren Leib und Leben bedrohte. Die Beklagte kündigte dem Kläger daraufhin am 14.7.2022 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.10.2022.
Kündigungsschutzklage erfolgreich
Die Kündigungsschutzklage des Klägers war in zwei Instanzen erfolgreich. Sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung waren unwirksam. Es fehlte an einem hinreichenden Kündigungsgrund. Zwar kommt eine ernstliche Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben u. a. von Arbeitskollegen als „an sich“ wichtiger Grund für eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung in Betracht. Dies setzt aber voraus, dass der Arbeitnehmer mit dem Willen handelt, dass der Kollege die Drohung zur Kenntnis nimmt und als ernst gemeint auffasst.
Vorsatz war nicht nachzuweisen
Selbst den Vortrag der Beklagten als zutreffend unterstellt, konnte jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts auf einen bedingten Vorsatz beim Kläger geschlossen werden. Vielmehr war es auch möglich, dass der Kläger das Messer schlicht in der rechten Hand haltend sich mit dem Oberkörper zur Mitarbeiterin gedreht hat und bei dieser Drehbewegung dessen rechte Hand mit dem Messer nahe an deren Hals gelangt ist.
Verhältnismäßigkeit muss gewahrt werden
Die Kündigungen konnten auch nicht darauf gestützt werden, dass der Kläger allein durch das Hantieren mit dem Messer Leib und Leben der Mitarbeiterin objektiv und fahrlässig gefährdet hat. Der unsachgemäße Umgang mit einem Messer stellt zwar eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar. Diese hätte nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz den Ausspruch einer fristlosen oder fristgerechten Kündigung nur gerechtfertigt, wenn der Kläger zuvor wegen einer ähnlichen Pflichtverletzung abgemahnt worden wäre. Insbesondere steht auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht zur Überzeugung des Landesarbeitsgerichts fest, dass der Kläger das Messer bewusst und aktiv an den Hals der Mitarbeiterin gehalten hat.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 13.7.2023, 5 Sa 5/23
| Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gekündigt worden, ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. So sieht es das Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 KSchG) vor. Diesen Grundsatz hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf jetzt noch einmal bekräftigt. |
Das war geschehen
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 1.2.2012 beschäftigt. Die Beklagte beschäftigte in ihrem einzigen Betrieb zuletzt knapp 600 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Am 1.3.2022 wurde über das Vermögen der Beklagten das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet. Der Sachwalter und der Gläubigerausschuss stimmten der Einstellung der Geschäftstätigkeit zum 31.12.2022 zu.
Nachdem die Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs am 24.11.2022 durch Spruch der Einigungsstelle für gescheitert erklärt wurden, stellte die Beklagte am 28.11.2022 Anträge auf behördliche Zustimmungen zur betriebsbedingten Kündigung nach dem SGB IX (schwerbehinderte Menschen) und BEEG (Elternzeit). Den Beschäftigten wurde die Gelegenheit eingeräumt, in eine Transfergesellschaft zu wechseln. Im Dezember 2022 sprach die Beklagte gegenüber allen Beschäftigten betriebsbedingte Beendigungskündigungen aus, soweit das Ende des Arbeitsverhältnisses nicht aus anderen Gründen feststand.
Alle Mitarbeitenden, auch der Kläger, wurden ab dem 1.1.2023 unwiderruflich freigestellt. Ausgenommen waren die Beschäftigten des Abwicklungsteams, das ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Anlage 53 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer umfasste, wobei gegenüber dreizehn Personen Kündigungen zum 31.3.2023 und gegenüber den übrigen vierzig Personen Kündigungen zum 30.6.2023 ausgesprochen wurden. Das Arbeitsverhältnis des Klägers kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 16.12.2022 zum 31.3.2023.
Erfolgreiche Kündigungsschutzklage nicht aufgrund Gesetzeslage ...
Die vom Kläger hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hatte vor dem LAG Düsseldorf ebenso wie zuvor beim Arbeitsgericht (ArbG) Solingen Erfolg. Dies folgte zwar nicht aus § 17 KSchG i. V. m. § 134 BGB wegen einer nicht ordnungsgemäßen Massenentlassungszeige. Etwaige Fehler in diesem Zusammenhang stellen keinen Unwirksamkeitsgrund dar, weil Zweck der Anzeige nicht der Individualschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist.
...sondern aufgrund fehlerhafter Sozialauswahl
Die Kündigung war indes aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) rechtsunwirksam, wie es bereits das ArbG zutreffend ausgeführt hatte. Bei einer etappenweisen Betriebsstillegung hat der Arbeitgeber keine freie Auswahl, wem er früher oder später kündigt. Es sind grundsätzlich die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit den Abwicklungsarbeiten zu beschäftigen.
Fehlerhafte Vergleichsgruppen
Die Beklagte hatte hier die Sozialauswahl methodisch fehlerhaft durchgeführt, weil sie die Vergleichsgruppen fehlerhaft gebildet hatte. So hatte sie diese u. a. anhand der ursprünglich ausgeübten Tätigkeiten gebildet. Sie hätte die soziale Auswahl stattdessen anhand der noch im Abwicklungsteam anfallenden Tätigkeiten vornehmen müssen, zu denen die Beklagte nur unvollständig vorgetragen hatte. Es fehlte weitgehend an Vortrag dazu, welche Aufgaben mit welcher Dauer im Abwicklungsteam anfielen, welche Anforderungsprofile dafür erforderlich waren und wie auf dieser Grundlage ein Vergleich vorgenommen werden soll. Die daraus folgende Vermutung der fehlerhaften Sozialauswahl hatte die Beklagte auch in zweiter Instanz nicht widerlegt.
Das LAG hat die Revision nicht zugelassen.
Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 9.1.2024, 3 Sa 529/23, PM 2/24
| Oft müssen sich die Gerichte mit den Voraussetzungen für einen Investitionsabzugsbetrag (IAB nach § 7 g Einkommensteuergesetz [EStG]) beschäftigen. Jüngst haben es zwei Verfahren (Vorinstanz: Finanzgericht (FG) Niedersachsen) mit dieser Frage bis vor den Bundesfinanzhof (BFH) geschafft: Ist für die Gewinngrenze der Steuerbilanzgewinn oder ein um außerbilanzielle Effekte (wie nichtabziehbare Betriebsausgaben sowie einkommensteuerfreie Einnahmen) korrigierter Gewinn relevant? |
Gewinngrenze von 200.000 Euro
Hintergrund: Für die künftige (Investitionszeitraum von drei Jahren) Anschaffung oder Herstellung von abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens (beispielsweise Maschinen) können bis zu 50 % der voraussichtlichen Anschaffungs-/Herstellungskosten gewinnmindernd abgezogen werden. Da der Gesetzgeber durch diese Steuerstundungsmöglichkeit vor allem Investitionen von kleinen und mittleren Betrieben erleichtern will, darf der Gewinn 200.000 Euro nicht überschreiten.
Das war geschehen
In einem Fall des FG Niedersachsen betrug der Bilanzgewinn 189.821 Euro und lag damit unter der (in § 7 g EStG normierten) Grenze von 200.000 Euro. Dennoch versagte das Finanzamt die Bildung eines IAB, da es nach der Hinzurechnung der Gewerbesteuer (vgl. hierzu § 4 Abs. 5 b EStG) von 25.722 Euro auf einen über dem Grenzbetrag liegenden Gewinn von 215.543 Euro kam.
Unterschiedliche Sichtweisen
Die Frage, wie der Gewinn (nach § 7 g Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG) zu ermitteln ist, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt. Hierzu werden (vereinfacht) zwei Meinungen vertreten:
Bundesfinanzministerium: keine Berücksichtigung von Abzügen und Hinzurechnungen
Für das Bundesfinanzministerium (BMF) ist Gewinn der Betrag, der ohne Berücksichtigung von Abzügen und Hinzurechnungen (gemäß § 7 g Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 EStG) der Besteuerung zugrunde zu legen ist; außerbilanzielle Korrekturen der Steuerbilanz sowie Hinzu-/Abrechnungen bei der Einnahmen-Überschussrechnung sind zu berücksichtigen.
Gegenteilige Position: allein steuerbilanzieller Gewinn „zählt“
Teile des Schrifttums vertreten indes die Position, dass allein auf den steuerbilanziellen Gewinn abzustellen ist, was im Streitfall zu einem günstigeren Ergebnis führen würde. Auch für das FG Baden-Württemberg ist der Steuerbilanzgewinn relevant – und nicht der Gewinn i. S. des § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG. Eine Korrektur um außerbilanzielle Positionen findet nicht statt.
Beachten Sie | Das FG Niedersachsen hat sich der Ansicht des BMF angeschlossen. Weil hiergegen die Revision anhängig ist, können Steuerpflichtige in geeigneten Fällen Einspruch einlegen.
Quelle | FG Niedersachsen, Urteile vom 9.5.2023, 2 K 202/22, Rev. BFH: X R 16/23 und 2 K 203/22, Rev. BFH: X R 17/23; BMF-Schreiben vom 15.6.2022, IV C 6 - S 2139-b/21/10001 :001; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 2.5.2023, 10 K 1873/22, Rev. BFH: III R 38/23
| Zwei unterschiedliche Urteile zum Schadenersatz für immaterielle Schäden bei verspäteter Auskunft nach der Datenschutz-Grundverordnung (hier: Art. 15 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 12 DS-GVO) lassen aufhorchen. So hat das Arbeitsgericht (ArbG) jetzt verbraucherfreundlich entschieden, während das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf unternehmensfreundlich war. |
Arbeitsgericht Duisburg: „Unverzüglichkeit“ entscheidend
Das ArbG Duisburg entschied, dass einem Kläger, der sich am 14.3.2017 auf eine Stelle bei dem beklagten Unternehmen beworben und über sechs Jahre später (am 18.5.2023) erstmals Auskunft über ihn dort gespeicherte personenbezogene Daten verlangt hat, eine Geldentschädigung von 750 Euro (verlangt waren 2.000 Euro) zusteht. Dies geschah, obwohl das Unternehmen schon am 5.6.2023 die Auskunft in Form eines Negativattests erteilte – also innerhalb der gesetzlichen Monatsfrist (gemäß Art. 12 Abs. 3 DS-GVO).
Das ArbG sah die Auskunft nicht als „unverzüglich“ im Sinne dieser Vorschrift an. Die dortige Monatsfrist sei nicht als Regel- sondern als Höchstfrist zu verstehen. Sie dürfe nicht routinemäßig, sondern nur in schwierigen Fällen und bei Hinzutreten besonderer Umstände ausgeschöpft werden.
Hier habe das Unternehmen auch keine konkreten Anhaltspunkte vorgetragen, die eine Überschreitung dieser Zeitspanne rechtfertigen würden. Bei der Schadenersatzbemessung hat das ArbG berücksichtigt, dass die gesetzliche Frist nicht erheblich überschritten sei. Eine objektive Dringlichkeit der Anfrage sechs Jahre nach der Bewerbung sei unerheblich.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf: keine datenschutzrechtsverletzende Datenverarbeitung
Da LAG Düsseldorf sieht dies jedoch anders: Es sprach einem Anspruchsteller trotz verspäteter Auskunft durch Überschreiten der Monatsfrist einen Schadenersatzanspruch ab.
Ein Verstoß gegen Art. 15 DS-GVO falle schon nicht in den Anwendungsbereich des Art. 82 DS-GVO. Es fehle an einer gegen die DS-GVO verstoßenden Datenverarbeitung bei einer rein verzögerten Datenauskunft oder einer anfänglich unvollständigen Erfüllung des Auskunftsbegehrens. Darüber hinaus liege allein in der schlagwortartigen Behauptung eines solchen „Kontrollverlusts“ über personenbezogene Daten auch keine Darlegung eines immateriellen Schadens.
Quelle | ArbG Duisburg, Urteil vom 3.11.2023, 5 Ca 877/23; LAG Düsseldorf, Urteil vom 28.11.2023, 3 Sa 285/23, PM 29/23
| Das Landgericht (LG) München hat ein Handelsunternehmen für Getränke dazu verurteilt, es zu unterlassen, das von ihm vertriebene Bier als WUNDERBRAEU zu bezeichnen, wenn dies in Zusammenhang mit einer auf der Bierflasche abgedruckten Münchner Adresse geschieht, an der das Bier jedoch nicht gebraut wird. Dies stelle eine Herkunftstäuschung dar. Zudem muss das beklagte Unternehmen in Zukunft die Bewerbung des Biers mit „CO2 positiv“ bzw. „klimaneutrale Herstellung“ auf der Bierflasche unterlassen. Die Bewertungsmaßstäbe, aufgrund derer diese Äußerungen getroffen würden, seien auf den Etiketten der Flaschen nicht hinreichend transparent offengelegt. |
Irreführende Bezeichnung des Biers
Die Beklagte hatte argumentiert, dass die Bezeichnung „WUNDERBRAEU“ für sich nicht irreführend sei. Zudem habe sie ihren Verwaltungssitz an der angegebenen Münchner Adresse und es sei gesetzlich vorgeschrieben, die Adresse auf der Flasche abzudrucken.
Dem folgte das LG nicht. Die für sich gesehen nicht eindeutige Bezeichnung „WUNDERBRAEU“ sei jedenfalls mit der auf dem rückwärtigen Etikett enthaltenen Adresse einer für Brauereien bekannten Straße in München irreführend. Durch die fragliche Aufschrift werde ein Bezug des Produkts mit einer Anschrift in München hergestellt, obwohl dort unstreitig nicht die Produktionsstätte, sondern allein der Sitz des Handelsunternehmens sei. Zwar möge die Bezeichnung für sich gesehen auch für die Beklagte als Vertriebsunternehmen zulässig sein und die Angabe auch insgesamt den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Das ändere aber nichts daran, dass die Aufschrift im Zusammenhang den Eindruck erwecke, die angegebene Anschrift bezeichne den Herkunftsort des Produktes selbst. Dies sei unzulässig.
Eine Täuschung über die Herkunft des Bieres sei auch geeignet, die Entscheidung der Verbraucherinnen und Verbraucher zu beeinflussen.
Diese Bezeichnung mit Klimabezug ist verboten
Die weiteren, von dem klagenden Verband beanstandeten Angaben „CO2 positiv“ und „klimaneutrale Herstellung“ stellen laut Gericht ebenfalls eine unzulässige Irreführung dar und wurden dem beklagten Unternehmen deshalb, so wie es die Angaben verwendet hatte, verboten.
Die Beklagtenseite hatte angeführt, dass ein QR-Code auf der Flasche zu den gewünschten Informationen über die Bedeutung der beanstandeten Angaben zur Klimabilanz führe. Dies reichte dem LG nicht aus. Gerade in der heutigen Zeit, in der Unternehmen in den Verdacht des sogenannten „Greenwashing“ kämen und in dem Ausgleichsmaßnahmen kontrovers diskutiert würden, sei es wichtig, die Verbraucher über die Grundlagen der jeweiligen werbenden Behauptung aufzuklären. Verbraucher hätten daher ein maßgebliches Interesse daran, inwieweit behauptete Klimaneutralität durch Einsparungen oder durch Ausgleichsmaßnahmen und, wenn ja, durch welche Ausgleichsmaßnahmen erreicht würden. Daher müssten den Verbrauchern die Bewertungsmaßstäbe für die werbenden Angaben „CO2 positiv“ und „klimaneutrale Herstellung“ auf der Bierflasche offengelegt werden.
Letztendlich bestünden zudem erhebliche Zweifel daran, ob die auf der Website des beklagten Unternehmens aufgeführten Informationen ausreichend wären. Denn genaue Angaben zur berechneten Klimabilanz und Angaben darüber, in welchem Umfang die Klimaneutralität durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werden sollen und in welchem Umfang durch Einsparung, fänden sich dort gerade nicht.
Quelle | LG München I, Urteil vom 8.12.2023, 37 O 2041/23, PM 32/23
| Der Anleger eines Investmentfonds muss als Investmentertrag u. a. die Vorabpauschale nach § 18 des Investmentsteuergesetzes (InvStG) versteuern. Geregelt ist dies in § 16 Abs. 1 Nr. 2 InvStG. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nun den Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale 2024 veröffentlicht. |
Hintergrund: Nach § 16 Abs. 1 InvStG sind Erträge aus Investmentfonds (Investmenterträge)
- Ausschüttungen des Investmentfonds,
- Vorabpauschalen und
- Gewinne aus der Veräußerung von Investmentanteilen.
Die Vorabpauschale ist der Betrag, um den die Ausschüttungen eines Investmentfonds innerhalb eines Kalenderjahrs den Basisertrag für dieses Kalenderjahr unterschreiten. Die Vorabpauschale gilt (nach § 18 Abs. 3 InvStG) beim Anleger am ersten Werktag des folgenden Kalenderjahrs als zugeflossen.
Der Basiszins ist aus der langfristig erzielbaren Rendite öffentlicher Anleihen abzuleiten. Dabei ist auf den Zinssatz abzustellen, den die Deutsche Bundesbank anhand der Zinsstrukturdaten jeweils auf den ersten Börsentag des Jahres errechnet. Das BMF muss den maßgebenden Zinssatz im Bundessteuerblatt veröffentlichen. Der Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale für das Jahr 2024 beträgt 2,29 %.
Ob es infolge der Vorabpauschale tatsächlich zu einer Steuerbelastung kommt, hängt von mehreren Faktoren ab. Beispielsweise ist ein erteilter Freistellungsauftrag für Kapitalerträge (maximal 1.000 Euro; bei Zusammenveranlagung von Ehegatten: 2.000 Euro) zu berücksichtigen.
Eine Steuerbelastung setzt ferner voraus, dass der Basiszins positiv ist. Aufgrund des negativen Basiszinses für die Jahre 2021 und für 2022 wurde insoweit auch keine Vorabpauschale erhoben.
Beachten Sie | Der ermittelte Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale für das Jahr 2023 beträgt 2,55 %. Eine etwaige steuerliche Belastung erfolgte zum Jahresbeginn 2024.
Quelle | BMF, Schreiben vom 5.1.2024, IV C 1 - S 1980-1/19/10038 :008; BMF, Schreiben vom 4.1.2023, IV C 1 - S 1980-1/19/10038: 007
| Das Bundeszentralamt für Steuern hat am 7.2.2024 mitgeteilt, dass das Zuwendungsempfängerregister ab sofort online zur Verfügung steht. |
Das Zuwendungsempfängerregister umfasst alle Organisationen, die berechtigt sind, ihren Spendern Zuwendungsbestätigungen auszustellen. Somit bietet das Register u. a. eine einfache Möglichkeit, sich über den Gemeinnützigkeitsstatus von Organisationen zu informieren.
| In Betriebsprüfungen gibt es oft Streit, ob Fahrtenbücher als ordnungsgemäß anzuerkennen sind. Aktuell hat das Finanzgericht (FG) Düsseldorf Folgendes entschieden: Ein elektronisches Fahrtenbuch erfüllt nicht die Anforderungen an den Nachweis des tatsächlichen Umfangs der Privatnutzung eines betrieblichen Kfz, wenn nachträgliche Veränderungen an den zu einem früheren Zeitpunkt eingegebenen Daten nicht in der Datei selbst, sondern in externen Protokolldateien dokumentiert werden. Dem Erfordernis des zeitnahen Führens eines Fahrtenbuchs wird nicht genügt, wenn die – zwischenzeitlich auf Notizzetteln festgehaltenen – Eintragungen erst mehrere Tage oder Wochen nach Abschluss der betreffenden Fahrten vorgenommen werden. |
Quelle | FG Düsseldorf, Urteil vom 24.11.2023, 3 K 1887/22 H[L]
| Zu den Werbungskosten zählt auch die zur vorzeitigen Ablösung eines Darlehens gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung, soweit die Schuldzinsen mit den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Dieser Zusammenhang besteht, wenn bereits im Zeitpunkt der Veräußerung eines Grundstücks anhand objektiver Umstände der endgültige Entschluss feststellbar ist, mit dem nach der vorzeitigen Darlehensablösung verbleibenden Verkaufserlös wiederum konkret bestimmtes Grundvermögen mit dem Ziel anzuschaffen, hieraus Vermietungseinkünfte zu erzielen. Dies hat das Finanzgericht (FG) Köln entschieden. |
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ergibt sich ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit den Vermietungseinkünften aus einem neuen Objekt allenfalls dann, wenn der Steuerpflichtige bereits bei der Veräußerung – z. B. im Kaufvertrag selbst oder zumindest beim Abschluss des Kaufvertrags – im Vorhinein so unwiderruflich über den verbleibenden Restkaufpreis verfügt, dass er ihn unmittelbar zum Erzielen von Vermietungseinkünften mit einem bestimmten Objekt festlegt.
Beachten Sie | Verbleibende Zweifel gehen zulasten des Steuerpflichtigen, denn er trägt die Feststellungslast für die den Steueranspruch mindernden Tatsachen.
Infolge dieser restriktiven Rechtsprechung kam im Streitfall des FG Köln kein Werbungskostenabzug in Betracht. Denn der Steuerpflichtige hatte den überschießenden Verkaufserlös (also Verkaufspreis abzüglich abzulösendes Darlehen) zunächst selbst vereinnahmt und dann zur Teilrückführung einzelner Darlehen verwendet.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | FG Köln, Urteil vom 19.10.2023, 11 K 1802/22
| Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen hat sich mit der Frage befasst, ob eine Influencerin Aufwendungen für Kleidung und Accessoires steuerlich geltend machen kann. Die Entscheidung fiel zu ungunsten der Steuerpflichtigen aus. |
Das war geschehen
Eine Steuerpflichtige betrieb auf verschiedenen Social-Media-Kanälen und über eine Website einen Mode- und Lifestyleblog und erstellte hierzu Fotos und Stories. Zusätzlich zu den Waren, die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit von verschiedenen Firmen erhalten hatte, um sie zu bewerben, erwarb sie diverse Kleidungsstücke und Accessoires (beispielsweise Handtaschen namhafter Marken). Die Influencerin wollte die Aufwendungen für die Kleidungsstücke und Accessoires als Betriebsausgaben bei ihrer gewerblichen Tätigkeit berücksichtigen.
Argumentation: Keine Abgrenzung zwischen privater und betrieblicher Nutzung möglich
Das Finanzamt verwehrte den Betriebsausgabenabzug mit der Begründung, dass sämtliche Gegenstände auch privat genutzt werden können und eine Abgrenzung der privaten zur betrieblichen Sphäre nicht möglich sei. Insbesondere habe die Steuerpflichtige nicht dargelegt, in welchem Umfang sie die Kleidungsstücke und Accessoires jeweils für private oder betriebliche Zwecke genutzt hatte.
Die hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos.
Finanzgericht: Abzugsverbot für Aufwendungen zur Lebensführung
Das FG Niedersachsen war ebenfalls der Meinung, dass eine Trennung zwischen privater und betrieblicher Sphäre bei gewöhnlicher bürgerlicher Kleidung und Mode-Accessoires nicht möglich ist. Gemäß Einkommensteuergesetz (§ 12 Nr. 1 EStG) folgt insoweit ein Abzugsverbot für Aufwendungen für die Lebensführung der Steuerpflichtigen, die ihre wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung mit sich bringt, auch wenn die Aufwendungen zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit der Steuerpflichtigen erfolgen.
Beachten Sie | Es kommt nicht darauf an, wie die Steuerpflichtige die Gegenstände konkret genutzt hat. Allein die naheliegende Möglichkeit der Privatnutzung von bürgerlicher Kleidung und Mode-Accessoires führt dazu, dass eine steuerliche Berücksichtigung ausgeschlossen ist.
Zudem handelt es sich bei den von der Influencerin erworbenen Gegenständen nicht um typische Berufskleidung, für die ein Betriebsausgabenabzug möglich ist. Hierunter fallen nur solche Kleidungsstücke, die nach ihrer Beschaffenheit objektiv nahezu ausschließlich für die berufliche Nutzung bestimmt und geeignet und wegen der Eigenart des Berufs nötig sind, bzw. bei denen die berufliche Verwendungsbestimmung bereits aus ihrer Beschaffenheit entweder durch ihre Unterscheidungsfunktion oder durch ihre Schutzfunktion (z. B bei Arbeitsschuhen) folgt.
Beachten Sie | Der Beruf einer Influencerin bzw. Bloggerin ist insoweit nicht anders zu beurteilen als sonstige Berufe. Ob die Kleidungsstücke und Mode-Accessoires tatsächlich ausschließlich betrieblich genutzt werden, ist unbeachtlich. Somit war die Aufklärung des Umfangs der tatsächlichen privaten Nutzung der Kleidung nicht entscheidend.
Quelle | FG Niedersachsen, Urteil vom 13.11.2023, 3 K 11195/21
| Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Bei einem Unfall, der in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Einfahren von einer Parkbucht in den Straßenverkehr stattfindet, gilt das einfahrende Fahrzeug als Verursacher, wenn eine weitere Aufklärung nicht möglich ist. |
Der Fahrer eines zuvor in einer Parkbucht am Straßenrand stehenden Fahrzeugs ist mit diesem in den Straßenverkehr eingefahren. Hierauf kam es zu einer Kollision mit einem dort in gleicher Richtung fahrenden Wagen. Über den Unfallhergang machten die Beteiligten jeweils unterschiedliche Angaben.
Das AG hat entschieden, dass der Verkehrsunfall vollständig von dem einfahrenden Fahrzeug verursacht wurde. Zwar ließ sich das Geschehen überwiegend nicht mehr aufklären, allerdings habe derjenige, der vom Straßenrand in den Verkehr einfährt, nach der Straßenverkehrsordnung besonders darauf zu achten, dass er andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet.
Aufgrund der zeitlichen und örtlichen Nähe des Unfallgeschehens zu dem Einfahren des parkenden Fahrzeugs in den Straßenverkehr bestehe daher der Anschein, dass dessen Fahrer nicht ausreichend auf den Verkehr geachtet und somit den Unfall herbeigeführt habe. Dafür spreche zudem, dasss eine Version des Unfallgeschehens, er sei bereits einige Zeit auf der Straße gefahren, mit dem Schadensbild nicht in Einklang zu bringen sei. Zudem habe der Fahrer selbst erklärt, das andere Fahrzeug erst durch den Anstoß bemerkt zu haben, was darauf hinweise, dass er das Verkehrsgeschehen beim Losfahren von dem Parkplatz nicht ausreichend beobachtet habe.
Quelle | AG Hanau, Urteil vom 5.6.2023, 39 C 329/21 (19)
| Kindergeld für sich selbst können Kinder nur erhalten, wenn sie Vollwaise sind oder den Aufenthalt der Eltern nicht kennen. Kein Kindergeld beanspruchen kann ein Kind, wenn es gelegentlich mit seiner Mutter im Ausland telefonieren und sich dabei nach ihrem Aufenthaltsort erkundigen kann. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) jetzt entschieden. |
Regelmäßige Telefonate
Der Kläger hatte Kindergeld für sich selbst beansprucht mit der Begründung, er kenne den Aufenthalt seiner Mutter nicht. Diese hatte sich Ende 2017 auf die Flucht begeben und zunächst jeweils nur für kurze Dauer an verschiedenen Orten in Syrien gelebt, zuletzt in der Nähe von Damaskus. Allerdings hatte der Kläger in seinem Kindergeldantrag angegeben, zwei- bis dreimal monatlich mit ihr zu telefonieren. Dadurch hatte er zumindest die zumutbare Möglichkeit, sich nach dem aktuellen Aufenthaltsort seiner Mutter zu erkundigen.
Voraussetzungen der Aufenthaltskenntnis
Ein Kind kennt den Aufenthalt seiner Eltern, wenn es weiß, an welchem für ihn bestimmbaren Ort sich seine Eltern oder zumindest ein Elternteil aufhalten. Auf die Kenntnis einer postalischen Adresse oder eines „verstetigten“ Aufenthalts kommt es dagegen nicht an, weil sich seit Einführung des Kindergelds für „alleinstehende Kinder“ im Jahr 1986 die Kommunikationsmöglichkeiten und -gewohnheiten durch Internet und Mobilfunk grundlegend verändert haben. Für die erforderliche Aufenthaltskenntnis genügt es zudem, wenn aus Sicht des Kindes die zumutbare Möglichkeit besteht, innerhalb eines angemessenen Zeitraums Kontakt mit seinen Eltern aufzunehmen. Die Kenntnis fehlt erst, wenn Dauer und Ausmaß der Unkenntnis über den Verbleib der Eltern den endgültigen Verlust der Eltern-Kind-Beziehung wie bei einer Vollwaise befürchten lassen.
Quelle | BSG, Urteil vom 14.12.2023, B 10 KG 1/22 R, PM 46/23
| Ein Versicherungsnehmer, der nach einer verbalen Auseinandersetzung im Straßenverkehr einem anderen, für ihn erkennbar schwerbeschädigten Verkehrsteilnehmer in den Rücken schlägt und diesen dadurch zu Fall bringt, nimmt regelmäßig dessen schwere Gesundheitsbeschädigung in Kauf. Als Folge kann sich sein Haftpflichtversicherer auf einen Leistungsausschluss berufen. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Dresden entschieden. |
Auseinandersetzung im Straßenverkehr
Auseinandersetzungen im Straßenverkehr enden immer häufiger damit, dass ein oder mehrere Beteiligte verletzt werden. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung regelt das nicht unbedingt die Haftpflichtversicherung.
Versicherung darf Leistung verweigern
Der Versicherer ist nämlich nach dem Versicherungsvertragsgesetz (hier: § 103 VVG) nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen Schaden herbeigeführt hat.
Einzelfall entscheidend
Ob die Versicherung tatsächlich leistungsfrei ist, entscheidet sich anhand des jeweiligen Einzelfalls. Dazu muss vorgetragen werden, wie sich der Vorfall ereignete und was genau Auslöser der schadenstiftenden Handlung war. Es ist nämlich ein Unterschied, ob es sich um eine Angriffs- oder Verteidigungshandlung handelte.
Quelle | OLG Dresden, Urteil vom 29.6.2023, 4 U 2626/22
| Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das einen Fluggast im Voraus darüber unterrichtet hat, dass es ihm gegen seinen Willen die Beförderung auf einem Flug verweigern werde, für den er über eine bestätigte Buchung verfügt, muss diesem einen Ausgleich zahlen. Das gilt selbst, wenn er sich nicht unter den in der Fluggastrechteverordnung (hier: Art. 3 Abs. 2 FluggastrechteVO) genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden hat. So sieht es der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). |
Fluggast ohne Information umgebucht
Der EuGH zeigt sich damit – wieder einmal – verbraucherfreundlich. Im konkreten Fall hatte die Fluggesellschaft einen Fluggast umgebucht, ihn aber nicht darüber informiert. Auf seine Rückfrage wurde ihm zugleich mitgeteilt, dass er für den gebuchten Rückflug gesperrt sei, weil er zum umgebuchten Flug nicht erschienen sei. Es sei nicht mehr möglich, den Rückflug anzutreten.
Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung
Der EuGH hat darüber hinaus entschieden, dass dem Fluggast zwar bei Annullierung eines Flugs u. U. kein Ausgleichsanspruch zusteht. Dies gelte aber nicht, wenn ein Fluggast – wie im Fall des EuGH für den Rückflug – mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit darüber unterrichtet wurde, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen ihn gegen seinen Willen nicht befördern werde. Ihm steht dann ein Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung i. S. d. Art. 4 der FluggastrechteVO zu.
Quelle | EuGH, Urteil vom 26.10.2023, C-238/22
| Das Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat der Verfassungsbeschwerde eines verbeamteten Lehrers stattgegeben, die sich gegen eine Durchsuchungsanordnung richtete. |
Das war geschehen
Gegen den Lehrer wurde wegen des Verdachts der Beleidigung von zwei Polizeibeamten ermittelt. Um Informationen über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu erlangen, ordnete das Amtsgericht (AG) an, seine Wohnung zu durchsuchen. Der Lehrer gewährte den die Durchsuchungsanordnung vollziehenden Beamten Eintritt in seine Wohnung und übergab ihnen verschiedene Unterlagen. Das Strafverfahren endete mit einer Einstellung gegen Zahlung einer Geldauflage.
Verletzung von Grundrechten
Die Anordnung der Durchsuchung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach dem Grundgesetz (Art. 13 Abs. 1 GG). Sie war unverhältnismäßig. Angesichts grundrechtsschonender, alternativer Ermittlungshandlungen stand eine Durchsuchung außer Verhältnis zur Schwere der verfolgten Straftat.
Zwar war die Durchsuchung nicht bereits deshalb unzulässig, weil lediglich die Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers ermittelt werden sollten. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft müssen sich nämlich auch auf Umstände beziehen, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind. Dazu zählen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten zwecks Bestimmung der Tagessatzhöhe.
Lehrer hätte zuerst befragt werden müssen
Naheliegend und grundrechtsschonend wäre es gewesen, zunächst den Beschwerdeführer über seinen Verteidiger zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu befragen. Eine solche Nachfrage hätte im Streitfall mit realistischer Wahrscheinlichkeit dazu geführt, ausreichende Informationen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu erlangen. Auch die Gefahr eines Beweismittelverlustes bestand nicht.
Anfrage an Besoldungsstelle als Alternative
Als naheliegende und grundrechtsschonende Alternative zu einer Wohnungsdurchsuchung wäre aber auch eine Anfrage bei der Besoldungsstelle des Beschwerdeführers nach dem von dort bezogenen Einkommen in Betracht gekommen. Durch eine solche Anfrage sind zwar nicht zwingend Informationen zu allen Einkünften zu erlangen. Das Strafgesetzbuch (hier: § 40 Abs. 3 StGB) erfordert aber – zumal in Fällen der kleineren Kriminalität – auch nicht die Ausschöpfung aller Beweismittel, wenn ansonsten die fachrechtlichen Voraussetzungen für eine Schätzung der Einkünfte vorliegen. Durchsuchungen zur Ermittlung der für die Bestimmung der Tagessatzhöhe entscheidenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten sind daher grundsätzlich nur verhältnismäßig, wenn anhand der übrigen zur Verfügung stehenden Beweismittel keine Schätzung möglich ist.
Weitere alternative Anfragen möglich
Hätten sich Staatsanwaltschaft und AG mit den durch die genannten Maßnahmen zu erlangenden Informationen zum Einkommen des Beschwerdeführers nicht begnügen wollen, wären darüber hinaus eine Abfrage bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und anschließende Bankanfragen in Betracht gekommen. Auch insoweit handelt es sich im Vergleich zur angeordneten Durchsuchung um eine meist weniger grundrechtsintensive Maßnahme.
Quelle | BVerfG, Beschluss vom 15.11.2023, 1 BvR 52/23, PM 115/23
| In einem Nachbarschaftsstreit sah das Amtsgericht (AG) München in dem Aufstellen einer Kamera auf dem Nachbargrundstück eine Persönlichkeitsrechtsverletzung und untersagte dies der Antragsgegnerin. |
Überwachungs- oder Wildkamera?
Die Parteien sind unmittelbare Nachbarn in München und stritten über eine im April 2022 auf der Terrasse der Antragsgegnerin aufgestellte Wildüberwachungskamera, die von der Terrasse der Antragstellerin aus sichtbar war. Die Antragstellerin wehrte sich hiergegen unter Verweis auf ihre Persönlichkeitsrechte und forderte die Antragsgegnerin im Juli 2022 u. a. auf, die Videoüberwachung zu beenden und künftig zu unterlassen. Die Antragsgegnerin verweigerte dies mit der Begründung, dass es sich nicht um eine Videoüberwachung, sondern um eine sogenannte Wild-Kamera handeln würde. Es ginge ausschließlich um die Kontrolle des eigenen Gartens.
Kamera musste entfernt werden
Zunächst erließ das AG im einstweiligen Rechtsschutz auf Antrag der Antragstellerin eine einstweilige Verfügung. Danach wurde es dieser untersagt, auf ihrem Grundstück eine Überwachungskamera aufzustellen, die die Terrasse oder den Garten der Antragstellerin erfasst oder erfassen kann oder den Eindruck hiervon erweckt. Anschließend entfernte die Antragsgegnerin die Kamera.
Einstweilige Verfügung war rechtens
Auf Antrag der Antragstellerin bestätigte das AG dann mit einem Urteil die einstweilige Verfügung. Die vormals aufgestellte Kamera habe die Antragstellerin in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Kamera tatsächlich ausschließlich den Bereich der Antragsgegnerin erfasst hat oder nicht. Denn es komme insoweit auf die Umstände des Einzelfalls an. Die Befürchtung, durch vorhandene Überwachungsgeräte überwacht zu werden, sei gerechtfertigt, wenn sie aufgrund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit oder aufgrund objektiv Verdacht erregender Umstände. Lägen solche Umstände vor, könne das Persönlichkeitsrecht des (vermeintlich) Überwachten schon wegen der Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch Videokameras und ähnliche Überwachungsgeräte beeinträchtige hingegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen nicht, die dadurch betroffen sein könnten.
Hypothetische Möglichkeit der Überwachung ausreichend für Beseitigungsanspruch
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs habe die Antragstellerin einen Anspruch auf Beseitigung der Kamera und entsprechende Unterlassung der etwaigen weiteren Installation einer vergleichbaren Kamera. Nach Ansicht der Lichtbilder sei das Gericht der Überzeugung, dass die Antragstellerin zu der Ansicht gelangen konnte, dass ihr Grundstück von der Kamera erfasst werde. Es handelte sich nicht mehr um die rein hypothetische Möglichkeit der Überwachung.
Der Sachverhalt habe sich zwar mittlerweile maßgeblich verändert, da die Kamera entfernt worden sei. Weiterhin habe die Antragsgegnerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass sie nicht die Absicht habe, eine weitere Kamera aufzustellen. Dieser Umstand allein kann aber nicht ausreichen, eine Wiederholungsgefahr aufzuheben.
Quelle | AG München, Urteil vom 1.2.2023, 171 C 11188/22, PM 43/23
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über die Frage entschieden, ob ein Anspruch des Mieters auf Gestattung der Gebrauchsüberlassung an einen Dritten (Untervermietung) auch im Fall einer Einzimmerwohnung gegeben sein kann. Er hat den Anspruch des Mieters bestätigt. |
Das war geschehen
Der Mieter einer in Berlin gelegenen Einzimmerwohnung bat mit Schreiben von März 2021 seinen Vermieter wegen eines beruflichen Auslandsaufenthalts um die Gestattung der Untervermietung an eine namentlich benannte Person vom 15.6.2021 bis zum 30.11.2022. Die Vermieter lehnten dies ab.
Mit der im Mai 2021 erhobenen, auf die Erlaubnis der Untervermietung „eines Teils der Wohnung“ an den bezeichneten Untermieter gerichteten Klage hat der Mieter vorgetragen, er wolle für die Dauer seiner berufsbedingten Abwesenheit einen Teil der Wohnung an die benannte Person untervermieten, jedoch persönliche Gegenstände weiter in der Wohnung lagern. Während seines Auslandaufenthalts lagere er seine in der (untervermieteten) Wohnung verbliebenen persönlichen Gegenstände dort in einem Schrank und einer Kommode sowie in einem am Ende des Flurs gelegenen, durch einen Vorhang abgetrennten, nur von ihm zu nutzenden Bereich von der Größe eines Quadratmeters. Ferner blieb er im Besitz eines Wohnungsschlüssels.
Die Klage hatte beim Amtsgericht (AG) keinen Erfolg. Auf die Berufung des Mieters hat das Landgericht (LG) die Vermieter antragsgemäß verurteilt, die Untervermietung „eines Teils der Wohnung“ an die vom Mieter benannte Person zu gestatten. Mit der Revision begehren die Vermieter die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
So entschied der Bundesgerichtshof
Die Revision der Vermieter hatte keinen Erfolg. Der BGH hat entschieden, dass dem Mieter ein Anspruch auf Gestattung der befristeten, teilweisen Gebrauchsüberlassung an den von ihm benannten Dritten zusteht.
Wie der Senat in der Vergangenheit bereits (zu Wohnungen mit mehreren Zimmern) entschieden hat, stellt das Bürgerliche Gesetzbuch (hier: § 553 Abs. 1 BGB) weder quantitative Vorgaben hinsichtlich des beim Mieter verbleibenden Anteils des Wohnraums noch qualitative Anforderungen bezüglich dessen weiterer Nutzung durch den Mieter auf. Von einer Überlassung eines Teils des Wohnraums an einen Dritten im Sinne des § 553 Abs. 1 BGB ist daher regelmäßig bereits auszugehen, wenn der Mieter den Gewahrsam an dem Wohnraum nicht vollständig aufgibt.
Danach kann ein Anspruch des Mieters gegen den Vermieter auf Gestattung der Gebrauchsüberlassung an einen Dritten auch bei einer Einzimmerwohnung gegeben sein. Ein Ausschluss von Einzimmerwohnungen aus dem Anwendungsbereich des § 553 Abs. 1 BGB ergibt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut, der Gesetzesgeschichte noch aus dem mieterschützenden Zweck der Vorschrift. Letzterer liefe für Mieter einer Einzimmerwohnung andernfalls gänzlich leer. Sachgerechte Gründe dafür, solche Mieter insoweit als weniger schutzwürdig anzusehen als Mieter einer Mehrzimmerwohnung, erschließen sich indes nicht, denn auch dem Mieter einer Einzimmerwohnung kann es, namentlich bei – wie hier – befristeter Abwesenheit, darum gehen, sich den Wohnraum zu erhalten.
Die Beurteilung des LG, dass der Mieter dem Untermieter die Einzimmerwohnung nur teilweise überlassen wollte, ist laut BGH nicht zu beanstanden. Der Mieter hat seinen Gewahrsam an der Wohnung nicht vollständig aufgegeben. Denn er hat persönliche Gegenstände in der Wohnung in Bereichen zurückgelassen, die seiner alleinigen Nutzung vorbehalten waren, und sich den Zugriff hierauf zudem durch Zurückbehaltung eines Wohnungsschlüssels gesichert. Hinzu tritt der Wille des Mieters, die Wohnung nur für die Zeit seines Auslandsaufenthalts teilweise einem Dritten zu überlassen.
Quelle | BGH, Urteil vom 13.9.2023, VIII ZR 109/22, PM 158/2023 vom 14.9.2023
| Eine Grabbeigabe (Goldkette und Eheringe) durch den Testamentsvollstrecker ist auch bei einer Auswirkung auf ein Vermächtnis nicht grob pflichtwidrig. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. |
Testamentsvollstrecker kam Wunsch der Erblasserin nach
Die Erblasserin errichtete mit ihrem verstorbenen Ehemann ein gemeinschaftliches Testament. Sie setzten unter anderem ihre gemeinsamen Kinder, die Beteiligten zu 1) bis 3), als Erben zu gleichen Teilen ein und vermachten der Beteiligten zu 3) vorab den Schmuck der Erblasserin. Später ordnete die Erblasserin in einer notariellen Ergänzung Testamentsvollstreckung an und bestimmte den Beteiligten zu 2) zum Testamentsvollstrecker.
Der Beteiligte zu 2) legte der Erblasserin – seiner Behauptung zufolge auf deren Wunsch – die Eheringe der Erblasserin und ihres Ehemannes an einer Goldkette mit ins Grab, obwohl sich die Beteiligten zu 1)und zu 3) mit der Grabbeigabe der Goldkette zuvor nicht einverstanden erklärt hatten. Dies veranlasste den Beteiligten zu 1), die Entlassung des Beteiligten zu 2) aus dem Amt des Testamentsvollstreckers zu beantragen. Das Nachlassgericht hat den Antrag nach Vernehmung verschiedener Zeugen zurückgewiesen.
So sah es das Oberlandesgericht
Die hiergegen eingelegte Beschwerde hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Ein Testamentsvollstrecker begeht keine grobe Pflichtverletzung, sofern er die Eheringe und eine Kette der Erblasserin auf deren Wunsch ihr mit ins Grab legt, auch wenn er dadurch einem angeordneten Vermächtnis teilweise nicht nachkommen kann. Das OLG hat die Beschwerde einer Tochter der Erblasserin zurückgewiesen.
Zu Recht habe das Amtsgericht (AG) eine als grob zu wertende Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers verneint. Es fehle bereits an dem Nachweis einer Pflichtverletzung. Der Beteiligte zu 1) habe nicht nachweisen können, dass die Grabbeilage nicht auf Wunsch der Erblasserin erfolgt sei. Die Erblasserin sei nicht gehindert gewesen, noch zu ihren Lebzeiten einer Vertrauensperson den rechtsverbindlichen Auftrag zu erteilen, die Goldkette nebst den Eheringen nach ihrem Tod als Grabbeigabe zu verwenden. Dieser insoweit als gegeben zu unterstellende geäußerte Wunsch der Erblasserin sei als – wirksamer – Auftrag zu deren Lebzeiten an den Beteiligten zu 2) zu verstehen. Diesen Auftrag hätten allenfalls alle drei Erben widerrufen können. Dies sei nicht geschehen.
Es lag eine Pflichtenkollision vor
Die aus dem Vermächtnis einerseits und dem Auftrag der Erblasserin andererseits resultierende Pflichtenkollision habe der Testamentsvollstrecker zugunsten einer Grabbeigabe entscheiden können, ohne dass dies als objektiv pflichtwidriger Verstoß gegen die Pflichten als Testamentsvollstrecker zu werten ist. Darüber hinaus sei selbst eine unterstellte Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers nicht schwerwiegend.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 19.12.2023, 21 W 120/23, PM 77/23
| Der Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Wohngebäudes an der Grundstücksgrenze fehlt es an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse, wenn eine Baulast im Baulastenverzeichnis eingetragen ist, die für den Grenzbereich die Freihaltung von jeglicher Bebauung regelt. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Mainz. |
Baulast seit 40 Jahren eingetragen
Die Klägerin stellte einen Bauantrag zur Errichtung eines Wohngebäudes an der Grenze zum Nachbargrundstück. Im Baulastenverzeichnis ist seit mehr als 40 Jahren eine Baulast eingetragen, nach der das Baugrundstück der Klägerin in der Länge eines (seinerzeit geplanten und genehmigten) Anbaus an ein Wohngebäude auf dem Nachbargrundstück und in einer Breite von drei Metern von jeglicher Bebauung freizuhalten ist.
Unter Hinweis auf diese Baulastregelung lehnte der Beklagte, die Baugenehmigungsbehörde, den im vereinfachten Genehmigungsverfahren gestellten Bauantrag ab. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage, mit der sie u. a. die Erteilung der Baugenehmigung beanspruchte. Sie machte im Wesentlichen geltend, die Baulast sei hinsichtlich der Länge der freizuhaltenden Fläche unbestimmt und deshalb unwirksam. Jedenfalls sei die Baulast in dem Baulastenverzeichnis zu löschen, weil zwischenzeitlich in der Umgebung nahezu auf allen Grundstücken grenzständige Bauten entstanden seien. Das VG wies die Klage ab.
Kein Rechtsschutzbedürfnis gegeben
Es fehle der Klage an einem sog. Rechtsschutzinteresse. Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren sei der Prüfungsumfang der Bauaufsichtsbehörde gesetzlich beschränkt. So seien Vorschriften nach der Landesbauordnung grundsätzlich nicht zu prüfen. Dementsprechend blieben auch eingetragene Baulasten generell unberücksichtigt.
Baulast war unmissverständlich
Gleichwohl sei die Baubehörde im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht verpflichtet, bauordnungsrechtliche Fragen gänzlich auszublenden. So dürfe sie im vereinfachten Verfahren die Erteilung einer Baugenehmigung versagen, wenn das Bauvorhaben offensichtlich gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften verstoße und deshalb nicht verwirklicht werden könne. So sei es hier. Die in Rede stehende Baulast enthalte die unmissverständliche Aussage, dass der Grenzbereich auf dem Klägergrundstück, auf dem das geplante Wohngebäude zu stehen kommen solle, von jeglicher Bebauung freizuhalten sei. Unter verständiger objektiver Würdigung sei auch bestimmbar, in welcher Länge das Bauverbot gelte: Diese ergebe sich aus den seinerzeitigen Baugenehmigungsunterlagen zu dem Nachbaranbau. Sei eine Baulast in das Baulastenverzeichnis eingetragen, entfalte sie ihre Wirksamkeit. Sie sei – anders als bei einer hier nicht gegebenen Nichtigkeit – nicht ständig auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen.
Bauantragsteller muss handeln
Erst im Fall der Eintragung eines (allerdings in einem eigenem Verwaltungsverfahren nach Wegfall eines öffentlichen Interesses durch die Bauaufsichtsbehörde auszusprechenden) Verzichts auf die Baulast entfalle ihre Wirksamkeit. Es sei Sache des Bauantragstellers, ein solches Verzichtsverfahren (ggf. nach zivilrechtlicher Abklärung von Nachbarrechtspositionen) anzustoßen. Die Baugenehmigungsbehörde sei indes nicht verpflichtet, mit der Bescheidung eines Bauantrags zuzuwarten, bis der Erteilung der Baugenehmigung entgegenstehende Hindernisse ausgeräumt seien.
Quelle | VG Mainz, Urteil vom 6.12.2023, 3 K 47/23.MZ, PM 2/24
| Die Naturschutzbehörden sind grundsätzlich befugt, gegenüber Betreibern bestandskräftig genehmigter Windenergieanlagen nachträgliche Anordnungen zur Verhinderung von Verstößen gegen das artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsverbot gemäß des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) zu treffen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage nach Genehmigungserteilung wesentlich geändert hat. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden. |
Zeitweise Abschaltung der Anlage
Die Klägerin wendet sich gegen nachträgliche zeitliche Beschränkungen des Betriebs ihrer bestandskräftig genehmigten Windenergieanlagen, die die Beklagte gestützt aus Gründen des Fledermausschutzes angeordnet hat. Die im Jahr 2006 erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung enthält keine Betriebsbeschränkungen zum Schutz von Fledermäusen. Nachdem später Totfunde verschiedener Fledermausarten im Bereich der Anlagen gemeldet und Bestandserfassungen zu Fledermäusen angestellt worden waren, verfügte die Beklagte unter näheren Maßgaben zu meteorologischen Rahmenbedingungen eine nächtliche Abschaltung der Anlagen vom 15. April bis zum 31. August eines Jahres. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen.
Wenn sich die Sach-oder Rechtslage ändert, sind nachträgliche Anordnungen möglich
Das BVerwG hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Eine bestandskräftige immissionsschutzrechtliche Genehmigung steht nachträglichen artenschutzrechtlichen Anordnungen auf der gesetzlichen Grundlage (hier: § 3 Abs. 2 BNatSchG) nicht generell entgegen. Das BNatSchG (§ 44 Abs. 1 Nr. 1) begründet eine unmittelbare und dauerhafte Verhaltenspflicht, die auch bei Errichtung und Betrieb immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Windenergieanlagen zu beachten ist.
Zwar ist aufgrund der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung der Anlagenbetrieb auch als rechtmäßig anzusehen. Das gilt aber nur in den Grenzen der auf den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung bezogenen Feststellungswirkung der Genehmigung, wonach die genehmigte Anlage mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar ist. Aufgrund der Anknüpfung an den Genehmigungszeitpunkt erstreckt sich diese Feststellungswirkung nicht auf nachträgliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage, wie im vorliegenden Fall. Die streitige Anordnung bewirkt auch keine – der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörde vorbehaltene – (Teil-)Aufhebung der Genehmigung.
Es war rechtlich auch einwandfrei, so das BVerwG, dass das OVG hier einen Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG bejaht hat, weil durch den Betrieb der Windenergieanlagen das Tötungs- und Verletzungsrisiko von Exemplaren der besonders geschützten Fledermausarten signifikant erhöht sei.
Quelle | BVerwG, Urteil vom 19.12.2023, 7 C 4.22, PM 95/23
| Stiehlt ein Polizist nach einem Verkehrsunfall Käse, ist er aus dem Dienst zu entfernen. So entschied es das Verwaltungsgericht (VG) Trier. |
Das war geschehen
Ein Lkw hatte einen Unfall. Der Polizeibeamte, der eine Uniform und eine Dienstwaffe trug, verlangte von der Bergungsfirma, aus der verunfallten Ladung neun unbeschädigte Packungen Käse herauszugeben. So geschah es. Diese Pakete verlud der Polizist mit einer Kollegin in einen Einsatzbus und deckte sie ab. U. a. ein knappes Viertel des Käses fand sich später in der Polizeistation des Beamten. Seine Erklärung: Der Gutachter der Versicherung habe den Käse freigegeben. Es habe sich quasi um Müll gehandelt. Was er verschwieg: Der Käse wurde später noch zum Restwert verkauft.
Verwaltungsgericht „kennt keine Gnade“
Der Polizist kam zwar vor dem Strafgericht „mit einem blauen Auge“ davon. Das VG, bei dem es um disziplinarische Maßnahmen gegen den Beamten ging, entfernte ihn aus dem Dienst. Er habe während der Dienstzeit in Uniform einen Diebstahl mit Waffen begangen. Das VG verhängte daher die Höchstmaßnahme. Das VG betonte: Einem Polizisten, der in Uniform stiehlt, könne man nicht mehr glauben, dass er sich an Recht und Gesetz hält.
Das VG bewertete es als besonders negativ, dass der Beamte das Vertrauen in die Polizei ausgenutzt hatte, indem er der Bergungsfirma falsche Tatsachen vorgespiegelt hatte. Hinzu kamen Lügen gegenüber seinen Vorgesetzten. Unerheblich sei es, falls der Käse nur als Geschenk an Kollegen dienen sollte.
Quelle | VG Trier, Urteil vom 18.1.2024, 3 K 1752/23 TR
| Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern hat jetzt klargestellt: Beschreibt der Arbeitgeber das Arbeitsumfeld als „jung und dynamisch“, bezieht sich dies auf den Arbeitsplatz. Es wird kein Bewerber wegen seines Alters ausgeschlossen.|
Ein Tankstellenpächter suchte in einem Zeitungsinserat wie folgt nach einem neuen Mitarbeiter: „Wir sind ein junges und dynamisches Team mit Benzin im Blut und suchen Verstärkung.“ Anschließend folgten Einzelheiten zu Anforderungen und Gehalt. Die konkreten Arbeitsbedingungen wurden beschrieben. Der 50-jährige Kläger bewarb sich erfolglos. Eingestellt wurde ein 48-jähriger Mann. Der Kläger forderte eine Entschädigung. Die Stellenanzeige enthalte eine Altersdiskriminierung. Damit scheiterte er in erster und zweiter Instanz.
Das LAG stellte fest: Das Inserat formulierte keine Anforderungen, die den Kläger wegen seines Alters von einer Bewerbung hätte abhalten sollen. Hier lag vielmehr eine werbende Eigendarstellung vor. Es handele sich um eine überspitzte, ironische, nicht ernsthaft gemeinte, in der Form eines Werbeslogans gehaltene Beschreibung des Arbeitsumfeldes. Das LAG: Einzelne Begriffe, z. B. „jung“, herauszupicken und auf sich selbst zu beziehen, sei nicht zulässig, zumal die konkreten Anforderungen an die Bewerber im Inserat deutlich beschrieben wurden.
Quelle | LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 17.10.2023, 2 Sa 61/23
| Der Kläger war seit dem 1.7.2018 als Rezeptionist in einem Beherbergungsbetrieb tätig und regelmäßig in der Spätschicht eingesetzt. Er hatte am 12.1.2022 sein Hybridauto vor der Herberge geparkt und über ein Ladekabel an einer 220 Volt-Steckdose im Flur des Seminartrakts aufgeladen. Nachdem die Beklagte dies entdeckt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis am 14.1.2022 fristlos. Hiergegen hatte der Kläger sich mit seiner Kündigungsschutzklage gewandt und in erster Instanz obsiegt. In dem vom Arbeitgeber angestrengten Berufungsverfahren haben die Parteien ihren Streit vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf nun per Vergleich beigelegt. |
Unerlaubtes Laden an sich ein Kündigungsgrund
In der mündlichen Verhandlung bestätigte das LAG, dass das unerlaubte Laden des Privatfahrzeugs auf Kosten des Arbeitgebers an sich ein Kündigungsgrund ist. Dies gilt erst recht, wenn das Laden an einer 220 Volt-Steckdose und nicht an einer Wallbox oder eingerichteten Ladestation erfolgt.
Erteilte Erlaubnis war unklar
Das LAG hatte allerdings bereits Zweifel, ob von einem unerlaubten Laden auszugehen sei. Dazu hätte ggf. die Beweisaufnahme erster Instanz zur Frage der gegenüber dem Kläger erteilten Erlaubnis wiederholt werden müssen.
Hier hätte Abmahnung ausgereicht
Unabhängig davon sprach nach Ansicht des LAG mehr dafür, dass hier eine Abmahnung ausgereicht hätte. Eine Kündigung wäre wohl unverhältnismäßig gewesen.
„Schaden“ von rund 40 Cent
So lagen die Kosten für den Ladevorgang am 12.1.2022 bei lediglich 0,4076 Euro. Ein Verbot zum Laden von Elektromotoren für die Mitarbeitenden existierte nicht. Die Hausordnung, die dies vorsah, richtete sich ausdrücklich nur an Gäste. Das Laden anderer elektronischer Geräte, z. B. Handys, durch Mitarbeitende wurde geduldet. Auch wenn dies wertungsmäßig etwas anderes als das Laden eines Hybridautos ist, hätte im konkreten Fall angesichts der bislang beanstandungsfreien Beschäftigungszeit eine Abmahnung genügt.
Am Ende verglichen sich die Parteien
Auf Vorschlag des Gerichts haben sich die Parteien u. a. auf eine ordentliche Kündigung zum 28.2.2022 und eine Abfindung von 8.000 Euro brutto geeinigt.
Quelle | LAG Düsseldorf, Vergleich vom 19.12.2023, 8 Sa 244/23, PM 32/23
| Der Beweiswert von (Folge-)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann erschüttert sein, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen, und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun klargestellt. |
War der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert?
Der Kläger war seit März 2021 als Helfer bei der Beklagten beschäftigt. Er legte am Montag, dem 2.5.2022, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 2. bis zum 6.5.2022 vor. Anfang Mai kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.5.2022. Mit Folgebescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 wurde Arbeitsunfähigkeit bis zum 20.5.2022 und bis zum 31.5.2022 (einem Dienstag) bescheinigt. Ab dem 1.6.2022 war der Kläger wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung auf. Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Beweiswert der vorgelegten AU-Bescheinigungen sei erschüttert. Dem widersprach der Kläger, weil die Arbeitsunfähigkeit bereits vor dem Zugang der Kündigung bestanden habe. Die Vorinstanzen haben der auf Entgeltfortzahlung gerichteten Klage für die Zeit vom 1. bis zum 31.5.2022 stattgegeben.
Gesetzliches Beweismittel
Die Revision der Beklagten hatte teilweise – bezogen auf den Zeitraum vom 7. bis zum 31.5.2022 – Erfolg. Ein Arbeitnehmer kann die von ihm behauptete Arbeitsunfähigkeit mit ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachweisen. Diese sind das gesetzlich vorgesehene Beweismittel.
Arbeitgeber kann Beweiswert erschüttern
Deren Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die nach einer Gesamtbetrachtung Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geben. Hiervon ausgehend ist das Landesarbeitsgericht (LAG) bei der Prüfung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die während einer laufenden Kündigungsfrist ausgestellt werden, zutreffend davon ausgegangen, dass für die Erschütterung des Beweiswerts dieser Bescheinigungen nicht entscheidend ist, ob es sich um eine Kündigung des Arbeitnehmers oder eine Kündigung des Arbeitgebers handelt und ob für den Beweis der Arbeitsunfähigkeit eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden.
Einzelfall ist zu würdigen
Stets erforderlich ist allerdings eine einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände. Hiernach hat das Berufungsgericht richtig erkannt, dass der Beweiswert für die Bescheinigung vom 2.5.2022 nicht erschüttert ist. Eine zeitliche Koinzidenz zwischen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und dem Zugang der Kündigung ist nicht gegeben. Der Kläger hatte zum Zeitpunkt der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine Kenntnis von der beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses, etwa durch eine Anhörung des Betriebsrats. Weitere Umstände hat die Beklagte nicht dargelegt. Bezüglich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 ist der Beweiswert dagegen erschüttert. Das LAG hatte insoweit nicht ausreichend berücksichtigt, dass zwischen der in den Folgebescheinigungen festgestellten passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestand und der Kläger unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen hat. Dies hat zur Folge, dass der Kläger nun für die Zeit vom 7.5.bis zum 31.5.2022 die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch trägt.
Da das LAG – aus seiner Sicht konsequent – hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückzuverweisen.
Quelle | BAG, Urteil vom 13.12.2023, 5 AZ R 137/23, PM 45/23
Baurecht
| Der Bundesfinanzhof hat entschieden: Kostenerstattungen eines kirchlichen Arbeitgebers an seine Beschäftigten für die Erteilung erweiterter Führungszeugnisse, zu deren Einholung der Arbeitgeber zum Zwecke der Prävention gegen sexualisierte Gewalt kirchenrechtlich verpflichtet ist, führen nicht zu Arbeitslohn. |
Die Einholung der erweiterten Führungszeugnisse durch die Arbeitnehmer erfolgte aufgrund einer nur die kirchlichen Rechtsträger, nicht aber die Arbeitnehmer treffenden (kirchenrechtlichen) Verpflichtung.
Durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasste, zu Lohn führende Zuwendungen erbringt der Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern aber regelmäßig nicht, wenn er ausschließlich eine eigene, insbesondere nicht gegenüber den Arbeitnehmern bestehende Verpflichtung erfüllt.
Die zur Erfüllung einer entsprechenden Verpflichtung entstehenden Kosten wendet der Arbeitgeber in einer solchen Konstellation im eigenen Interesse auf. Sie sind Ausfluss seiner eigenbetrieblichen Tätigkeit.
Beachten Sie | Haben die Arbeitnehmer die vom Arbeitgeber für dessen eigenbetriebliche Tätigkeit zu tragenden Kosten (wie im Streitfall) zunächst aus eigenen Mitteln verauslagt, wendet der Arbeitgeber ihnen mit der Erstattung ihrer Aufwendungen keinen Vorteil zu, der sich im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweisen könnte.
Quelle | BFH, Urteil vom 8.2.2024, IV R 19/22
| Nach dem neuen Partnerschaftsgesetz (hier: § 2 Abs. 1 PartGG), das am 1.1.2024 in Kraft getreten ist, muss der Name der Partnerschaft nur noch den Zusatz „und Partner“ oder „Partnerschaft“ enthalten. Die Aufnahme des Namens mindestens eines Partners ist nicht mehr erforderlich. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Der Zwang zur Benennung mindestens eines Partners ist zum Jahreswechsel entfallen. Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass die grundsätzlich zu schützende Vertrauensbeziehung zwischen Freiberufler und Auftraggeber es jedenfalls aus gesellschaftsrechtlicher Sicht nicht erfordert, dass der Name der Partnerschaftsgesellschaft den Namen mindestens eines Partners enthalten muss. Hinzu kommt, dass die Identifizierung der Partnerschaftsgesellschaft mit dem Namen der Partner weitgehend an Bedeutung verloren hat.
Quelle | BGH, Beschluss vom 6.2.2024, II ZB 23/22
| Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken bestätigte, dass in einer Tageszeitung anlässlich einer damals anstehenden Neuwahl des Ortsvorstehers zulässig über die erstinstanzliche strafrechtliche Verurteilung eines lokalen Bauunternehmers berichtet worden sei, der mit zwei der Kandidaten verwandt ist. |
Das war geschehen
Eine große pfälzische Tageszeitung berichtete in ihrer Online-Ausgabe vom 30.6.2023 und in ihrer Print-Ausgabe vom 1.7.2023 über die damals anstehende Neuwahl eines Ortsvorstehers. Diese war notwendig geworden, weil der bisherige Ortsvorsteher nach diversen Anfeindungen zurückgetreten war.
Im Artikel wurden die drei Kandidaten vorgestellt und dabei erwähnt, dass zwei der Kandidaten mit einem lokalen Bauunternehmer und Landwirt verwandt seien, dem Anwohner vorwerfen, für den stark angestiegenen Lkw-Verkehr im Ort verantwortlich zu sein. Dabei wurde auch berichtet, dass der Bauunternehmer erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung u. a. wegen Beleidigung, Nötigung, Bedrohung und versuchter gefährlicher Körperverletzung von Anwohnern verurteilt worden sei.
Auf eine Abmahnung des Bauunternehmers hin schwärzte die Zeitung das E-Paper und ergänzte den Online-Beitrag um den Hinweis, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig sei. Der Bauunternehmer verlangte hierauf im gerichtlichen Eilverfahren den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Zeitung, wonach sie den ihn betreffenden Bericht unterlassen sollte. Das Landgericht (LG) wies den Antrag zurück. Hiergegen hat der Bauunternehmer sofortige Beschwerde eingelegt. Diese wies das OLG zurück.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG begründete seine Entscheidung damit, dass es schon an der erforderlichen Eilbedürftigkeit für das beschrittene gerichtliche Eilverfahren fehle. Der Bauunternehmer habe mehr als fünf Wochen mit seinem Antrag gewartet und die Zeitung habe den Online-Artikel um den Zusatz, wonach das strafrechtliche Urteil noch nicht rechtskräftig sei, bereits ergänzt.
Zulässige Verdachtsberichterstattung
Unabhängig davon handele es sich um eine zulässige Verdachtsberichterstattung. Zwar könnten anhand der im Artikel genannten Einzelinformationen zumindest die Einwohner des betroffenen Ortsteils den Bauunternehmer identifizieren. Der Bericht beruhe aber auf wahren Tatsachen, nämlich die tatsächliche Verurteilung des Bauunternehmers. Außerdem werde zumindest durch den Zusatz klar, dass die Verurteilung auch noch nicht rechtskräftig sei.
Persönlichkeitsrecht vs. Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit
Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Bauunternehmers stehe nicht außer Verhältnis zum Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Es gehöre gerade zu den Aufgaben der Presse, in Zusammenhang mit demokratischen Prozessen zu berichten. Hierzu gehöre auch die Berichterstattung über den Hintergrund der Kandidaten, insbesondere deren verwandtschaftliche Beziehungen, da diese möglicherweise Einfluss auf zukünftige Entscheidungen der Kandidaten haben könnten. Sowohl der erhöhte Lkw-Verkehr im Ort, als auch die erstinstanzlich abgeurteilten Straftaten des Antragstellers zulasten der Anwohner seien von lokalem Interesse.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.10.2023, 4 W 23/23, PM vom 11.3.2024
| Die Nutzung eines Bootes als schwimmende Bar auf der Havel muss nach einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin umgehend beendet werden. |
Boot = bauliche Anlage?
Der Antragsteller ist Eigentümer eines Bootes, das er überwiegend an Dritte vermietet, im Sommer aber an drei Tagen am Wochenende zum Ausschank von Getränken an Gäste nutzt. Die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt forderte ihn im August 2023 sofort vollziehbar auf, die schwimmende Bar innerhalb einer Woche ab Zugang der Anordnung „zu beseitigen“. Zur Begründung führte die Behörde im Wesentlichen aus, die auf einer Plattform betriebene Bar sei nach dem Berliner Wassergesetz genehmigungsbedürftig; eine Genehmigung werde aber nicht erteilt.
Der Antragsteller hat um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er meint, bei seinem Boot handele es sich weder um eine bauliche Anlage im Wasser noch um eine schwimmende Plattform, sondern um ein zugelassenes Sportboot. Es werde wegen der Vermietung an Dritte auch nicht vorwiegend stationär genutzt.
Während der Woche Sportboot, an Wochenenden Anlage im Gewässer
Das VG hat die Rechtmäßigkeit der Anordnung überwiegend bestätigt. Bei der schwimmenden Bar handele es sich um eine nicht genehmigte Anlage, deren Beseitigung die Wasserbehörde nach dem Berliner Wassergesetz habe anordnen dürfen. Auch wenn das Boot während der Woche als Sportboot einzustufen sei, führe seine wiederkehrende stationäre Nutzung als schwimmende Bar in der Sommersaison von Freitagabend bis Sonntag dazu, dass es in diesem Zeitraum als Anlage im Gewässer einzustufen sei. Diese Nutzung überschreite qualitativ die Grenze der gemeinverträglichen Nutzung des Gewässers und stelle sich damit wie eine Sondernutzung dar.
Strenger Maßstab war anzulegen
Wegen der besonderen Bedeutung, die dem Wasser für die Allgemeinheit wie für den Einzelnen zukomme und mit Rücksicht darauf, dass das Wasser und der Wasserhaushalt gegenüber Verunreinigungen und sonstigen nachteiligen Einwirkungen in besonderer Weise anfällig sei, sei ein strenger Maßstab gerechtfertigt. Daher könne der Antragsteller auch keine Sondernutzungserlaubnis beanspruchen.
Das VG beanstandete den Bescheid allerdings hinsichtlich der zur Durchsetzung der Verfügung angedrohten Ersatzvornahme, da nur der Antragsteller selbst die stationäre Nutzung unterlassen könne und es sich somit um eine unvertretbare Handlung handele.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 19.1.2024, VG 10 L 419.23, PM 4/24
| Prozesskosten zur Erlangung nachehelichen Unterhalts sind privat veranlasste Aufwendungen und keine (vorweggenommenen) Werbungskosten bei den späteren Unterhaltseinkünften i. S. des Einkommensteuergesetzes (hier: § 22 Nr. 1 a EStG). Mit dieser Entscheidung hat der Bundesfinanzhof (BFH) der anderslautenden Sichtweise des Finanzgerichts (FG) Münster (Vorinstanz) widersprochen. |
Hintergrund: Beim begrenzten Realsplitting kann der Unterhaltsverpflichtete die Unterhaltszahlungen bis zu 13.805 Euro im Jahr (zuzüglich der aufgewandten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung als Basisversorgung) als Sonderausgaben abziehen. Dies bedarf allerdings der Zustimmung des Unterhaltsberechtigten, der die Unterhaltszahlungen seinerseits als sonstige Einkünfte versteuern muss.
Erst durch den Antrag und die Zustimmung werden Unterhaltsleistungen in den steuerrelevanten Bereich überführt. Die Umqualifizierung markiert die zeitliche Grenze für das Vorliegen abzugsfähiger Erwerbsaufwendungen; zuvor verursachte Aufwendungen des Unterhaltsempfängers stellen keine Werbungskosten dar.
Beachten Sie | Der BFH hat den Streitfall an das FG Münster zurückverwiesen. Dieses muss nun klären, ob ggf. außergewöhnliche Belastungen vorliegen. Es besteht zwar ein Abzugsverbot für Prozesskosten (§ 33 Abs. 2 S. 4 EStG). Dieses greift aber nicht, wenn die Existenzgrundlage oder lebensnotwendige Bedürfnisse des Steuerpflichtigen betroffen sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 18.10.2023, X R 7/20
| Nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die pauschale Besteuerung (Steuersatz i. H. von 25 %) für Betriebsveranstaltungen auch für Veranstaltungen zulässig, die nicht allen Betriebsangehörigen offenstehen. Nicht so erfreulich ist dagegen ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG), wonach die verspätete Pauschalbesteuerung nicht zur Beitragsfreiheit in der Sozialversicherung führt. |
Hintergrund: Zuwendungen des Arbeitgebers an seinen Arbeitnehmer und dessen Begleitpersonen anlässlich von Veranstaltungen auf betrieblicher Ebene mit gesellschaftlichem Charakter (Betriebsveranstaltung) führen gemäß Einkommensteuergesetz (hier: § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 1 EStG) zu Arbeitslohn.
Soweit die Zuwendungen den Betrag von 110 Euro je Betriebsveranstaltung und teilnehmendem Arbeitnehmer nicht übersteigen, gehören sie jedoch nicht zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, wenn die Teilnahme allen Angehörigen des Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. Dies gilt für bis zu zwei Betriebsveranstaltungen jährlich (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 3 und S. 4 EStG).
Urteil des Bundesfinanzhofs
Ungeklärt war bislang die Frage, ob eine„Betriebsveranstaltung“ auch bei einem geschlossenen Kreis (beispielsweise Vorstands- und Führungskräfte feiern) vorliegt.
Beachten Sie | In diesen Fällen kann zwar kein Freibetrag i. H. von 110 Euro gewährt werden, aber es wäre eine Lohnsteuerpauschalierung (nach § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) mit 25 % möglich.
Auch bei eingeschränktem Kreis: Betriebsveranstaltung
Diese Frage hat der BFH – im Gegensatz zur Vorinstanz – nun zugunsten der Steuerpflichtigen entschieden. Nach der ab dem Veranlagungszeitraum 2015 geltenden Definition im Einkommensteuergesetz (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 1 EStG) kann eine Betriebsveranstaltung auch vorliegen, wenn sie nicht allen Angehörigen eines Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. Und da diese Definition dem Tatbestandsmerkmal „Betriebsveranstaltung“ (gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) entspricht, ist eine pauschale Besteuerung möglich.
Urteil des Bundessozialgerichts
Im Streitfall des BSG ging es auch um Betriebsveranstaltungen – und zwar um die Frage, welche Folgen eine verspätete Lohnsteuerpauschalierung für die Sozialversicherung hat.
Das war geschehen
Ein Unternehmen feierte mit seinen Beschäftigten am 5.9.2015 ein Firmenjubiläum. Am 31.3.2016 zahlte es für September 2015 auf einen Betrag von rund 163.000 Euro die für 162 Arbeitnehmer angemeldete Pauschalsteuer. Nach einer Betriebsprüfung forderte der Rentenversicherungsträger von dem Unternehmen Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen in Höhe von rund 60.000 Euro nach – und zwar zu Recht, wie das BSG entschieden hat (die gegenteiligen Entscheidungen der Vorinstanzen wurden aufgehoben).
Aufwendungen von mehr als 110 Euro je Beschäftigten für eine betriebliche Jubiläumsfeier sind als geldwerter Vorteil in der Sozialversicherung beitragspflichtig, wenn sie nicht mit der Entgeltabrechnung, sondern erst erheblich später pauschal versteuert werden.
Pauschalversteuerung erfolgte zu spät
Es kommt entscheidend darauf an, dass die pauschale Besteuerung „mit der Entgeltabrechnung für den jeweiligen Abrechnungszeitraum“ erfolgt. Dies wäre im konkreten Fall die Entgeltabrechnung für September 2015 gewesen. Tatsächlich wurde die Pauschalbesteuerung aber erst Ende März 2016 durchgeführt und damit sogar nach dem Zeitpunkt, zu dem die Lohnsteuerbescheinigung für das Vorjahr übermittelt werden musste.
Beachten Sie | Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung vertreten im Besprechungsergebnis vom 20.4.2016 (TOP 5) die Auffassung, dass eine nachträgliche Pauschalbesteuerung nur bis zur Erstellung der Lohnsteuerbescheinigung geltend gemacht werden kann, also längstens bis zum 28.2. des Folgejahrs. Dem hat sich das BSG nun im Ergebnis angeschlossen.
Quelle | BFH, Urteil vom 27.3.2024, VI R 5/22; BSG, Urteil vom 23.4.2024, B 12 BA 3/22 R Abruf-Nr. 241172 unter www.iww.de, PM Nr. 15/24 vom 23.4.2024; Spitzenorganisationen der Sozialversicherung, Besprechungsergebnis vom 20.4.2016, TOP 5
| Aufwendungen einer gesunden Steuerpflichtigen für eine durch eine Krankheit des Partners veranlasste Präimplantationsdiagnostik (PID) können als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein. So lautet eine steuerzahlerfreundliche Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH). |
Hintergrund: Bei der PID handelt es sich um ein genetisches Diagnoseverfahren zur vorgeburtlichen Feststellung von Veränderungen des Erbmaterials, die eine Fehl- oder Totgeburt verursachen bzw. zu einer schweren Erkrankung eines lebend geborenen Kindes führen können. Es erfolgt eine zielgerichtete genetische Analyse von Zellen eines durch künstliche Befruchtung entstandenen Embryos vor seiner Übertragung und Einnistung in die Gebärmutter.
Das war geschehen
Bei dem Partner der Steuerpflichtigen lag eine chromosomale Translokation vor. Aufgrund dieser Chromosomenmutation bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein auf natürlichem Weg gezeugtes gemeinsames Kind an schwersten körperlichen oder geistigen Behinderungen leidet und unter Umständen nicht lebensfähig ist. Daher wurde eine PID durchgeführt. Der Großteil der hierfür notwendigen Behandlungen betraf die Steuerpflichtige, die den Abzug der Kosten als außergewöhnliche Belastungen beantragte.
Das Finanzamt lehnte eine Berücksichtigung der Behandlungskosten ab. Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen gab der Klage hinsichtlich der von der Steuerpflichtigen selbst getragenen Aufwendungen hingegen statt.
Bundesfinanzhof: zwangsläufig entstandene Aufwendungen
Der BFH bestätigte nun die Vorentscheidung. Die Aufwendungen für die Behandlung der Steuerpflichtigen sind zwangsläufig entstanden, weil die ärztlichen Maßnahmen in ihrer Gesamtheit dem Zweck dienten, eine durch Krankheit beeinträchtigte körperliche Funktion ihres Partners auszugleichen. Wegen der biologischen Zusammenhänge konnte (anders als bei anderen Erkrankungen) durch eine medizinische Behandlung allein des erkrankten Partners keine Linderung der Krankheit eintreten. Daher steht der Umstand, dass die Steuerpflichtige selbst gesund ist, der Berücksichtigung der Aufwendungen nicht entgegen.
Auch auf den Familienstatus kam es nicht an
Unschädlich war auch, dass die Steuerpflichtige und ihr Partner nicht verheiratet waren – und schließlich war auch das Erfordernis der Übereinstimmung der vorgenommenen Behandlungsschritte mit gesetzlichen Vorschriften (insbesondere dem Embryonenschutzgesetz) erfüllt.
Beachten Sie | Außergewöhnliche Belastungen wirken sich nur steuermindernd aus, wenn sie die im Einkommensteuergesetz (hier: § 33 Abs. 3 EStG) festgelegte zumutbare Belastung übersteigen. Die Höhe der zumutbaren Belastung hängt dabei u. a. vom Gesamtbetrag der Einkünfte ab.
Quelle | BFH, Urteil vom 29.2.2024, VI R 2/22, PM 23/24 vom 10.5.2024
| Das Ordnungsamt darf einen privaten Pkw, der auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellt worden ist, unabhängig davon abschleppen lassen, ob ein Carsharing-Fahrzeug an der Nutzung dieses Parkplatzes konkret gehindert worden ist. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf entschieden und die Klage der Fahrzeugführerin gegen einen Leistungs- und Gebührenbescheid abgewiesen. |
Die Klägerin hatte ihren Pkw auf einer Fläche abgestellt, die durch Verkehrsschilder als Parkplatz für Carsharing-Fahrzeuge gekennzeichnet war. Ein Mitarbeiter der städtischen Verkehrsüberwachung stellte den Verstoß fest und beauftragte einen Abschleppwagen. Kurz vor dessen Eintreffen erschien die Klägerin und entfernte ihr Fahrzeug von dem Parkplatz. Die Stadt machte ihr gegenüber mit Leistungs- und Gebührenbescheid die Kosten der Leerfahrt des Abschleppwagens geltend und setzte eine Verwaltungsgebühr fest. Zur Begründung ihrer Klage gegen diesen Bescheid trug die Klägerin vor, sie habe nur elf Minuten auf dem Carsharing-Platz geparkt und zu dieser Zeit seien noch weitere Parkplätze frei gewesen, sodass ein Abschleppen nicht notwendig gewesen sei.
Das VG: Die Beauftragung des Abschleppwagens war rechtmäßig. Ein Fahrzeug, das auf einem nach der Beschilderung ausschließlich Carsharing-Fahrzeugen vorbehaltenen Parkplatz steht, aber nicht am Carsharing teilnimmt, wird so betrachtet, als wenn es in einem absoluten Halteverbot stünde. Die Abschleppmaßnahme war verhältnismäßig, weil die Funktion der Parkplätze für Carsharing-Fahrzeuge nur gewährleistet ist, wenn sie jederzeit von nicht parkberechtigten Fahrzeugen freigehalten werden. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob die Klägerin durch das verbotswidrige Abstellen konkret ein bevorrechtigtes Carsharing-Fahrzeug am Parken gehindert hat. Das Abschleppen ist auch unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, dass von einem zu Unrecht auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellten Fahrzeug eine negative Vorbildwirkung für andere Kraftfahrer ausgeht.
Quelle | VG Düsseldorf, Urteil vom 20.2.2024, 14 K 491/23, PM vom 28.2.2024
| Die Abschleppunternehmer rechnen üblicherweise nach Einsatzstunden ab, wobei im Stundensatz die Kosten für das Fahrzeug und den Fahrer enthalten sind. Die Preis- und Strukturbefragung des Verbands Bergen und Abschleppen (VBA) differenziert dabei im unteren Segment nach Abschleppfahrzeugen unter und über zwölf Tonnen zulässigem Gesamtgewicht (zGG). Das Amtsgericht (AG) Pforzheim musste einen Fall entscheiden, bei dem der Abschleppunternehmer mit einem 13-Tonner vorgefahren kam. |
Der Versicherer trug vor, bei dem konkreten Gewicht des zu transportierenden Fahrzeugs hätte auch ein 11-Tonner genügt. Auf dieser Grundlage hatte er die Abschleppkosten nur reduziert erstattet.
Das Gericht entschied: Es möge sein, dass ein 11-Tonner genügt hätte. Doch sei dies im Vorhinein nicht abschätzbar.
Quelle | AG Pforzheim, Urteil vom 11.1.2024, 9 C 1207/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat sich in seiner Entscheidung mit der Frage befasst, ob der Klägerin ein Anspruch auf Sterbegeld und Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusteht, nachdem ihr Ehemann einen tödlichen Motorradunfall erlitten hatte. |
Ehemann der Klägerin bei Verkehrsunfall tödlich verletzt
Der Ehemann der Klägerin war Inhaber eines Autohauses in Berlin und als Unternehmer freiwillig bei der beklagten Berufsgenossenschaft versichert. Die Klägerin war in dem Autohaus angestellt tätig. Die gemeinsame Wohnung der Eheleute lag etwa 14 km vom Autohaus entfernt. Am 19.8.2013 reisten beide gemeinsam auf ihrem Motorrad aus einem mehrtägigen Urlaub in Thüringen die rund 400 km lange Strecke zurück nach Berlin, der Ehemann lenkte das Motorrad. Da die Tochter des Ehepaares während des Urlaubs die Geschäfte des Autohauses weitergeführt hatte und wegen eines Zahnarzttermins um 14:00 Uhr auf ihrer Arbeit abgelöst werden sollte, wollten sich die Eheleute aus Thüringen kommend direkt zum Autohaus begeben. Dort sollten von beiden die weiteren Geschäfte aufgenommen werden, ohne zuvor in die Familienwohnung zu fahren. Bereits auf dem Berliner Stadtgebiet, noch bevor sich die Wege zum Autohaus und zur Familienwohnung gabelten, kam es gegen 13:25 Uhr zu einem Verkehrsunfall, bei dem sich die Klägerin erheblich verletzte und ihr Ehemann verstarb.
Berufsgenossenschaft lehnte Sterbegeld ab
Die Berufsgenossenschaft lehnte es ab, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen (Sterbegeld und Witwenrente) zu erbringen. Ihr Ehemann habe sich bei dem Unfall nicht auf einem versicherten Arbeitsweg befunden, sondern lediglich auf einem privat veranlassten Rückweg von einer Urlaubsreise. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin und die Berufung vor dem LSG blieben zunächst ohne Erfolg. Auf die vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassene und von der Klägerin eingelegte Revision hin hat das Bundessozialgericht (BSG) das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache dorthin zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts sowie zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Landessozialgericht spricht Hinterbliebenenleistungen zu
Das LSG hat jetzt entschieden: Der Ehefrau stehen Hinterbliebenenleistungen zu. Der tödliche Motorradunfall stelle für den Ehemann als freiwillig versicherten Unternehmer einen Arbeitsunfall dar.
Zum einen sei der Ehemann versichert gewesen, weil er sich selbst zum Zeitpunkt des Unfalls auf dem direkten Weg zum Autohaus begeben wollte, um dort seiner Arbeit nachzugehen. Zum anderen habe Versicherungsschutz auch deshalb bestanden, weil die objektiven Begleitumstände und die Angaben der Ehefrau darauf schließen ließen, dass der verunglückte Ehemann seine Frau direkt zum Autohaus gefahren habe, damit diese dort die gemeinsame Tochter bei der Arbeit habe ablösen können. Damit liege ein versicherter, sogenannter „Betriebsweg“ vor, der nicht auf das Betriebsgelände beschränkt sei, aber dennoch im unmittelbaren betrieblichen Interesse liege.
Dem Versicherungsschutz stehe nicht entgegen, dass der Weg aus dem Urlaub (von einem „dritten Ort“ aus) angetreten worden sei und mithin erheblich länger gewesen sei, als es die Strecke von der Wohnung zur Arbeit gewesen wäre. Entscheidend sei, dass der zurückgelegte Weg die direkte Strecke zum Autohaus gewesen sei bzw. dass der subjektive Wille in erster Linie auf die Wiederaufnahme der Arbeit gerichtet gewesen sei. Dies hat das LSG anhand der vorliegenden Indizien des Falls bejaht. Insbesondere seien auch der Unfallzeitpunkt (13:25 Uhr) und der Zeitpunkt, zu dem die Tochter im Autohaus abgelöst werden sollte (14:00 Uhr), zeitlich stimmig.
Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.1.2024, L 21 U 202/21, PM vom 1.2.2024
| Mit den Besonderheiten bei der Versicherung historischer Fahrzeuge hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Es entschied: Steigt der Wert eines Oldtimers nach Abschluss der Versicherung an, ist der Betrag der Wertsteigerung womöglich vom Versicherungsschutz ganz oder teilweise nicht erfasst. Der Eigentümer des Fahrzeugs muss selbst darauf achten, den versicherten Wert regelmäßig dem etwa gestiegenen Marktwert anzupassen. Eine auf vollständigen Ersatz gerichtete Klage gegen die Kfz-Versicherung hat das Gericht im zugrundeliegenden Fall wegen Unterdeckung abgewiesen. |
Das war geschehen
Ein Oldtimerfan hatte sein historisches Fahrzeug gegen Beschädigung oder Zerstörung zum jeweils aktuellen Marktwert versichert. Später kam es dazu, dass das Fahrzeug bei einem Brand in einer Tiefgarage erheblich beschädigt worden war.
Die Kfz-Versicherung kam nach eingeholtem Gutachten zu einem Wert des Fahrzeugs am Schadenstag in Höhe von knapp 41.000 Euro und zahlte dem Eigentümer den entsprechenden Geldbetrag aus. Dieser war jedoch davon überzeugt, dass sein Oldtimer deutlich mehr wert gewesen sei und ließ deshalb ein weiteres Gutachten einholen. Dieses kam tatsächlich zu dem Ergebnis, dass das historische Fahrzeug im Wert deutlich gestiegen und fast 8.000 Euro mehr wert war, als von der Versicherung angenommen. Der Mann verlangte nun die Differenz.
Sonderbedingungen des Versicherungsvertrags entscheidend
Das LG verwies, wie auch zuvor bereits die Versicherung, den Oldtimerfan auf die im Versicherungsvertrag enthaltenen Sonderbedingungen für historische Fahrzeuge. Danach werde grundsätzlich ein Schaden bis zur Höhe des aktuellen Marktwerts ersetzt. Die Höchstentschädigung sei aber durch den Marktwert begrenzt, der bei Versicherungsabschluss vereinbart wurde.
Im Fall von Wertsteigerungen könne maximal zehn Prozent mehr als der damals vereinbarte Marktwert verlangt werden. Der habe im konkreten Fall rund 36.000 Euro betragen. Dem Oldtimerbesitzer stehe deshalb keine höhere Entschädigung zu, als von der Versicherung bereits ausgezahlt.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 17.1.2024, 3 O230/23, PM vom 28.2.2024
| Das Amtsgericht (AG) Frankfurt hatte nach der Wegnahme eines Fan-Schals keinen Diebstahl, sondern lediglich eine Nötigung angenommen. Ob ein Diebstahl vorliege, hänge davon ab, ob der Täter den Schal seinem Vermögen einverleiben wolle. |
Wegnahme nach Fußballspiel
Der angeschuldigte Eintracht-Fan soll bei einem Fußballspiel der Frankfurter Eintracht gegen den FC Schalke 04 im Deutsche Bank-Park einem Fan der gegnerischen Mannschaft einen Fan-Schal abgenommen haben. Beim Verlassen des Stadions habe er dem Schalke-Anhänger den Fan-Schal im Vorbeilaufen vom Hals gezogen. Als der Schalke-Fan ihn zur Rückgabe aufforderte, habe er ihn mit beiden Händen weggeschoben.
Staatsanwaltschaft bejahte Diebstahl
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main wertete dies als Diebstahl. Da der Angeschuldigte zudem den Schalke-Fan mit Gewalt weggedrückt habe, um den erbeuteten Schal behalten zu können, erhob sie Anklage wegen räuberischen Diebstahls - einem Verbrechenstatbestand mit einer Mindeststrafe von einem Jahr.
Amtsgericht differenzierte
Das AG sah in der Handlung des Angeschuldigten jedoch keinen Diebstahl. Es fehle an der hierfür notwendigen „Zueignungsabsicht“. Diese liege nur vor, wenn der Täter sich die Sache aneignen, sie also seinem Vermögen zuführen wolle. Nehme der Täter den Schal aber lediglich an sich, um jemanden zu ärgern, fehle es an einer Zueignungsabsicht. Es handele sich dann lediglich um eine straflose „Gebrauchsanmaßung“ und – sofern der Schal anschließend beschädigt würde – um eine Sachbeschädigung.
Da das Gericht keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür sah, dass der Angeschuldigte den Schal behalten wollte, eröffnete es das Hauptverfahren nicht wegen räuberischen Diebstahls, sondern lediglich wegen Nötigung. Diese habe der Angeschuldigte durch das Wegdrücken des Schalke-Fans begangen.
Quelle | AG Frankfurt am Main, Beschluss vom 23.10.2023, 917 Ls 6443 Js 217242/23, PM vom 8.3.2024
| Bei der Zerstörung eines älteren Baumes ist in der Regel keine sog. Naturalrestitution zu leisten, also nicht der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Der Anspruch geht vielmehr auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines jungen Baumes und darüber hinaus einen Ausgleich für eine etwa verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Das Oberlandgericht (OLG) Frankfurt am Main hat ein den eingeklagten Schadenersatzanspruch größtenteils zurückweisendes Urteil des Landgerichts (LG) aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das LG zurückverwiesen. |
Rückschnitt ja, aber nicht so gravierend
Die Parteien sind Nachbarn. Die Klägerin ist Eigentümerin eines großen Grundstücks im Vordertaunus mit rund 70-jährigem Baumbestand. Der Baum- und Strauchbestand wird jährlich mehrfach durch ein Fachunternehmen beschnitten. An den hinteren Gartenbereich grenzt u. a. das Grundstück des Beklagten. Im Abstand von 1,60 m hierzu steht auf dem klägerischen Grundstück eine Birke, im Abstand von 3,35 m ein Kirschbaum. Beide Bäume waren zum Zeitpunkt des Erwerbs des Beklagten schon lange vorhanden. Die Klägerin war einverstanden, dass der Beklagte die auf sein Grundstück herüberhängenden Äste der Gehölze zurückschneidet.
Ende Mai 2020 betrat der Beklagte das klägerische Grundstück in ihrer Abwesenheit und führte gravierende Schnittarbeiten unter anderem an den beiden Bäumen durch. An der Birke verblieb kein einziges Blatt. Der kurz vor der Ernte befindliche Kirschbaum wurde vollständig eingekürzt. Ob sich die Bäume wieder komplett erholen oder die derzeitigen Triebe allein sog. Nottriebe sind, die an dem Absterben nichts ändern, ist zwischen den Parteien streitig.
Landgericht sprach Schadenersatz von 4.000 Euro zu
Das LG hat der auf Zahlung von Schadenersatz von knapp 35.000 Euro gerichteten Klage in Höhe von gut 4.000 Euro stattgegeben. Es führte aus, dass die Wertminderung der Bäume sowie die Kosten für die Entsorgung des Schnittguts zu ersetzen seien.
Oberlandesgericht: Sachverhalt muss aufgeklärt werden
Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LG. Der Sachverhalt sei zur Bemessung des Schadenersatzes weiter aufzuklären, begründete das OLG die Entscheidung.
Bei der Zerstörung eines Baumes sei in der Regel nicht Schadenersatz in Form von Naturalrestitution zu leisten, da die Ersatzbeschaffung in Form der Verpflanzung eines ausgewachsenen Baumes regelmäßig mit besonders hohen und damit unverhältnismäßigen Kosten verbunden sei. Der Schadenersatz richte sich vielmehr üblicherweise auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines neuen jungen Baumes sowie einen Ausgleichsanspruch für die verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Diese Werteinbuße sei zu schätzen. Nach einer möglichen Bewertungsmethode könnten dafür die für die Herstellung des geschädigten Gehölzes bis zu seiner Funktionserfüllung erforderlichen Anschaffungs-, Pflanzungs- und Pflegekosten sowie das Anwachsrisiko berechnet und anschließend kapitalisiert werden. Dieser Wert sei um eine Alterswertminderung, Vorschäden und sonstige wertbeeinflussende Umstände zu bereinigen.
Ausnahmsweise seien die vollen Wiederbeschaffungskosten zuzuerkennen, „wenn Art, Standort und Funktion des Baumes für einen wirtschaftlich vernünftig denkenden Menschen den Ersatz durch einen gleichartigen Baum wenigstens nahelegen würden“, erläutert das OLG weiter. Aufzuklären sei deshalb bei der Bewertung des Schadenersatzes die Funktion der Bäume für das konkrete Grundstück. Zu berücksichtigen sei dabei auch der klägerische Vortrag, wonach es ihr bei der sehr aufwändigen, gleichzeitig naturnahen Gartengestaltung auch darauf angekommen sei, Lebensraum für Vögel und sonstige Tiere zu schaffen und einen Beitrag zur Umwandlung von Kohlenstoffdioxid in Sauerstoff zu leisten.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 6.2.2024, 9 U 35/23, PM 12/24
Impfpflicht: Vorlage eines Masernimmunitätsnachweises für schulpflichtige Kinder
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat in mehreren Eilverfahren die Beschwerden von Eltern schulpflichtiger Kinder gegen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin zurückgewiesen, wonach Gesundheitsämter für den Schulbesuch den Nachweis einer Impfung oder Immunität gegen Masern fordern dürfen, sofern keine Kontraindikation besteht. Für den Fall, dass der Nachweis nicht vorgelegt wird, kann auch ein Zwangsgeld angedroht werden. |
Infektionsschutzgesetz verfassungskonform
Zur Begründung hat das OVG u. a. ausgeführt: Die Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes zur Nachweispflicht seien angesichts der hochansteckenden Viruskrankheit mit möglicherweise schwerwiegenden Komplikationen nicht offenkundig verfassungswidrig. Zwar greife die Nachweispflicht in das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes ein. Die Regelung sei aber verhältnismäßig, weil sie – wie das Bundesverfassungsgericht bereits zur Nachweispflicht bei noch nicht schulpflichtigen Kindern entschieden habe – einen legitimen Zweck verfolge und nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehe.
Impfpflicht besteht
Der Gesetzgeber des Masernschutzgesetzes sei von einer grundsätzlich bestehenden „Impfpflicht“ bzw. „verpflichtenden Impfung“ ausgegangen. Er habe lediglich von deren Durchsetzung im Wege des unmittelbaren Zwangs abgesehen. Andere Zwangsmittel, wie Zwangsgeld und Geldbuße, seien hingegen vorgesehen, um eine tatsächliche Erhöhung der Impfquote in Schulen und sonstigen Gemeinschaftseinrichtungen – und damit letztlich in der gesamten Bevölkerung – zu erreichen.
Die Beschlüsse sind unanfechtbar.
Quelle | OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 28.2.2024, OVG 1 S 80/23 u. a., PM 9/24
| Nach Modernisierungsarbeiten vor Mietbeginn kann der Vermieter eine Miete vereinbaren, die die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 10 % übersteigt. Bestreitet der Mieter die Maßnahmen, ist das unbeachtlich, wenn der Vermieter eine substanziierte Berechnung vorgelegt und Einsicht in sämtliche Unterlagen angeboten hat. Das hat jetzt das Amtsgericht (AG) Berlin-Charlottenburg entschieden. |
Mieter verlangte Rückerstattung überhöhter Miete
Die Miete für eine Wohnung in einem durch Verordnung bestimmten Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt lag bei 1.700 Euro. Unter Berücksichtigung eines zehnprozentigen Zuschlags gemäß Mietspiegel war von einer ortsüblichen Vergleichsmiete von maximal 867,71 Euro auszugehen. Der Mieter forderte die Rückerstattung der überhöht verlangten Miete. Im Prozess nahm der Vermieter detailliert zu den von ihm durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen Stellung und legte dar, in welchem Umfang Abzüge für Instandsetzungsmaßnahmen vorgenommen wurden, insbesondere, dass anrechenbare Modernisierungskosten in Höhe von 441,33 Euro pro Monat entstanden seien.
Klage hatte teilweise Erfolg
Das AG gab der Klage teilweise statt. Bei den Baumaßnahmen des Vermieters handele es sich zwar nicht um eine umfassende Modernisierung im Sinne des § 556 f BGB, sodass der Vermieter die Wohnung nicht preisfrei vermieten durfte. Bei einer umfassenden Modernisierung sei zum einen auf den Investitionsaufwand und zum anderen auf das Ergebnis der Maßnahme, also die qualitativen Auswirkungen auf die Gesamtwohnung, abzustellen. Die aufgewandten Kosten einer reinen Erhaltungsmaßnahme zählten insgesamt nicht zu den Modernisierungskosten. Allein die Höhe des Bauaufwands reiche nicht aus; entscheidend sei das Resultat, also der geschaffene Zustand. Der Begriff „umfassend“ bezeichne nämlich nicht nur ein quantitatives (Kosten-)Element, sondern gleichberechtigt ein qualitatives Kriterium. Zu berücksichtigen seien die qualitativen Auswirkungen der Maßnahmen auf die Gesamtwohnung. Eine solche Auslegung werde dem Gesetzeszweck gerecht, Modernisierungen zu fördern. Durch diesen Aufwand müsse ein Zustand erreicht werden, der einer Neubauwohnung in etwa – nicht notwendig vollständig – entspreche.
Im Fall des AG fehlten Darlegungen des Vermieters, dass durch die Maßnahmen ein Zustand erreicht wurde, der insbesondere in energetischer Hinsicht einem Neubau gleichkommt. Jedoch sei der Vermieter berechtigt, die Kosten für die Modernisierungsmaßnahmen (nach § 556 e Abs. 2 BGB) in Höhe von 441,33 Euro pro Monat anzurechnen. Insgesamt sei daher eine Nettokaltmiete für die Wohnung in Höhe von 1.309,04 Euro berechtigt.
Quelle | AG Berlin-Charlottenburg, Urteil vom 9.6.2023, 209 C 29/22
| Nach dem Wohnungseigentumsgesetz (hier: § 20 Abs. 1 Abs. 2 S. 1 WEG) kann jeder Wohnungseigentümer angemessene bauliche Veränderungen verlangen, die u. a. dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen (sog. privilegierte bauliche Veränderungen). Verlangt ein Wohnungseigentümer eine solche bauliche Veränderung, entscheidet die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer über das „Wie“ der Maßnahme nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung. Der einzelne Wohnungseigentümer hat grundsätzlich keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung. So entschied es das Landgericht (LG) Stuttgart. |
Eigentümer errichtete zunächst Ladesäule
Ein Wohnungseigentümer hatte ein Sondernutzungsrecht an einem Stellplatz im Freien. Seit Jahren versuchte er vergeblich zu erreichen, dass eine Ladesäule für Elektrofahrzeuge an seinem Stellplatz errichtet wird. Schließlich montierte er im Sommer 2019 ohne Gestattung neben seinem Außenstellplatz eine Ladesäule auf einem Betonfundament. Für die Errichtung als „öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur“ erhielt er eine Förderung aus Bundesmitteln. Die Eigentümergemeinschaft verklagte ihn erfolgreich auf Entfernen der Ladestation und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Im Rahmen der Vollstreckung wurde die Ladesäule demontiert.
Dann verlangte er bestimmte bauliche Veränderungen
Der Eigentümer verlangte daraufhin „bauliche Veränderungen, die dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen gemäß (von ihm) vorgelegtem Ladeinfrastrukturkonzept“. Dieser Antrag wurde in der Eigentümerversammlung 2020 nicht beraten und zur Abstimmung gestellt, sondern beschlossen, ein Gesamtkonzept zum Betreiben von Ladepunkten für E-Mobilität erstellen zu lassen. Die Eigentümerversammlung 2021 lehnte das inzwischen vorliegende Gesamtkonzept ab und ebenso die von dem Eigentümer erneut beantragte Genehmigung baulicher Veränderungen gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept, das alternativ eine öffentliche oder nichtöffentliche Nutzung vorsah. Zugleich wurde anderen Wohnungseigentümern auf deren Antrag gestattet, eine Wallbox an insgesamt vier Stellplätzen anzubringen.
Darauf erhob der Eigentümer Beschlussersetzungsklage, gerichtet auf die Gestattung, auf dem Gemeinschaftseigentum neben seinem Stellplatz die zuvor entfernte Ladestation gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept errichten zu dürfen, hilfsweise, ihm die Anbringung einer Wallbox zu gestatten. Damit hatte der Eigentümer in beiden Instanzen keinen Erfolg.
Landgericht: kein Anspruch auf bestimmte Ausführung einer Maßnahme
Der Eigentümer könne die Gestattung der Errichtung einer Ladestation nach dem von ihm entwickelten Ladeinfrastrukturkonzept nicht verlangen. Die Beschlussersetzungsklage diene der gerichtlichen Durchsetzung des Anspruchs des Wohnungseigentümers auf ordnungsmäßige Verwaltung. Die Klage sei daher begründet, wenn der klagende Wohnungseigentümer einen Anspruch auf den seinem Rechtsschutzziel entsprechenden Beschluss habe, weil nur eine Beschlussfassung ordnungsmäßiger Verwaltung entspreche.
Zwar könne jeder Wohnungseigentümer einen Beschluss über das „Ob“ solcher baulichen Veränderungen verlangen, so das LG; dies beinhalte aber keinen Anspruch auf eine bestimmte Art und Weise der Durchführung. Darüber entscheiden die Wohnungseigentümer im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung nach eigenem Ermessen. Der einzelne Wohnungseigentümer habe mithin keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung, solange das Ermessen der Gemeinschaft nicht aufgrund der Einzelfallumstände auf null reduziert sei.
Quelle | LG Stuttgart, Urteil vom 5.7.2023, 10 S 39/21
| Das Finanzministerium Baden-Württemberg stellt einen Ratgeber „Steuertipps für Familien“ zur Verfügung. Der 100 Seiten umfassende Ratgeber gibt neben Informationen rund um das Kindergeld u. a. einen Überblick über die Steuervergünstigungen für Familien und Alleinerziehende.
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden, wann ein Widerspruch vorliegt, durch den ein älteres Testament – ganz oder teilweise – aufgehoben wird. |
Vier handschriftliche Testamente
Die Erblasserin verstarb ledig und kinderlos. Sie hatte zwei Geschwister: eine Schwester und einen Bruder, die beide vorverstorben sind. Insgesamt hinterließ die Erblasserin vier handschriftlich verfasste Testamente.
Im ersten Testament vom 3.4.2007 setzte sie ihre Schwester als Alleinerbin und ihren Bruder als Ersatzerben ein. Dieses Testament änderte sie am 26.4.2009 durch Durchstreichen derart, dass die Ersatzerbenstellung des Bruders aufgehoben wurde mit der Bemerkung, dass er gestorben sei. Im Testament vom 26.4.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Später ergänzte sie den Text mit folgendem unvollständigen Wortlaut: „Für den Fall, dass meine Schwester das Erbe nicht antreten kann, setze ich meine Großnichte als“. Im Testament vom 18.10.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Weiter heißt es in dem Testament: „Für den Fall, dass meine Schwester verstorben ist, setze ich zur Nacherbin meine Großnichte ein.“ Schließlich testierte sie am 27.4.2016 erneut und setzte wiederum ihre Schwester als Alleinerbin ein. In diesem Testament wurde weder eine Ersatzerbschaft noch eine Nacherbschaft angeordnet und die Großnichte wurde nicht mehr erwähnt.
Die Großnichte beantragte einen Alleinerbschein. Dem traten die Kinder des vorverstorbenen Bruder entgegen. Das Nachlassgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, die Erblasserin habe mit ihrer letzten Verfügung von Todes wegen die vorangegangenen Testamente aufgehoben. Der gegen diesen Beschluss durch die Großnichte eingelegten Beschwerde hat das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Akten dem OLG Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat die Beschwerde zurückgewiesen.
So sah es das Oberlandesgericht
Die Großnichte könnte ihre Alleinerbenstellung allein aus dem Testament vom 18.10.2009 herleiten. Diese Stellung sei indes von der Erblasserin vollständig aufgehoben worden, als sie am 27.4.2016 ein neues Testament errichtet habe, in dem die Großnichte nicht mehr als Ersatzerbin berufen sei, so das OLG.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 2258 Abs. 1 BGB) werde durch die Errichtung eines Testaments ein früheres Testament insoweit aufgehoben, als dass das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch stehe. Ein derartiger Widerspruch liege zum einen vor, wenn die Testamente sachlich miteinander nicht vereinbar seien, die getroffenen Anordnungen also nicht nebeneinander Geltung erlangen könnten, sondern sich gegenseitig ausschließen. Ein Widerspruch sei zum anderen (auch) gegeben, wenn die einzelnen Anordnungen einander zwar nicht entgegengesetzt seien, aber die kumulative Geltung der mehreren Verfügungen den in einem späteren Testament zum Ausdruck kommenden Absichten des Erblassers zuwiderliefe. Das sei der Fall, wenn der Erblasser mit dem späteren Testament seine Erbfolge insgesamt, nämlich abschließend und umfassend (ausschließlich) habe neu regeln wollen. So liege der Fall hier.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.12.2023, I-3 Wx 189/23
| Zwei Investoren sind zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von insgesamt 300.000 Euro nebst Zinsen an einen Planungsverband verpflichtet worden, weil sie die Erteilung einer Baugenehmigung zur Realisierung eines Hotelbauvorhabens nicht rechtzeitig beantragt haben. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz. |
Frist für Bebauungsplan vereinbart
Im Dezember 2016 schloss der Planungsverband mit den Investoren einen städtebaulichen Vertrag. In diesem verpflichteten sich die Investoren, binnen 36 Monaten ab Inkrafttreten eines vom Planungsverband aufzustellenden Bebauungsplans einen vollständigen Bauantrag zur Errichtung eines Hotelbaus zu stellen. Unterbleibt eine rechtzeitige Bauantragstellung, ist eine Vertragsstrafe in Höhe von 15.000 Euro monatlich, höchstens in Höhe von 300.000 Euro, vorgesehen.
Frist überschritten: Vertragsstrafe
Weil die Investoren ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen waren, verlangte der Planungsverband zunächst außergerichtlich und dann mit seiner Klage, die vereinbarte Vertragsstrafe zu zahlen. Die Investoren beriefen sich dagegen auf Formfehler beim Zustandekommen des Vertrags und machten geltend, die Stellung eines vollständigen Bauantrags sei ihnen unmöglich gewesen, weil der Planungsverband Gestaltungsvorgaben nicht hinreichend konkret vorgegeben habe. Ferner stünde ein Lärmschutzkonflikt mit den Betreibern der auf dem Plateau vorhandenen Freilichtbühne einer Umsetzung des Hotelkonzepts entgegen.
Anforderungen eingehalten
Die Klage hatte Erfolg. Der Verband habe einen Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe, so das VG. Der Vertrag sei frei von Verfahrens- und Formfehlern zustande gekommen und entspreche den an einen städtebaulichen Vertrag zu stellenden gesetzlichen Anforderungen.
Rechtzeitigkeit wäre möglich gewesen
Den Investoren sei es zudem möglich gewesen, rechtzeitig vollständige Bauantragsunterlagen einzureichen. Insbesondere habe der Lärmschutzkonflikt zwischen dem geplanten Hotelvorhaben und der Freilichtbühne die Vorlage vollständiger Bauantragsunterlagen nicht unmöglich gemacht. Eine Lösung des Konflikts wäre vielmehr im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens herbeizuführen gewesen.
Gegen die Entscheidung wurde Rechtsmittel zum Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz erhoben.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 6.12.2023, 4 K 388/23.KO, PM 1/24
| Die Errichtung von Kleinwindenergieanlagen ist ein im Außenbereich baurechtlich privilegiertes Vorhaben der Nutzung der Windenergie, auch wenn es nicht mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms der öffentlichen Energieversorgung, sondern der Deckung des privaten Verbrauchs dient. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |
Landkreis lehnte Erlass eines Bauvorbescheids ab
Die Kläger beantragten, ihnen einen Bauvorbescheid zur Errichtung von vier Kleinwindenergieanlagen (Gesamthöhe 6,5 m) auf ihrem Grundstück im Außenbereich zu erteilen. Der Landkreis lehnte dies mit der Begründung ab, die Anlagen seien nicht als im Außenbereich privilegierte Vorhaben der Nutzung der Windenergie zu behandeln, da die Privilegierung auf solche Windenergieanlagen zu beschränken sei, die der öffentlichen Versorgung dienten. Zudem stünden öffentliche Belange dem Vorhaben entgegen. Hiergegen erhoben die Kläger Klage. Das Verwaltungsgericht (VG) verpflichtete den beklagten Landkreis, den beantragten Bauvorbescheid zu erteilen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Landkreises wies das OVG zurück.
Privilegiertes Bauvorhaben auch bei Privatnutzung der erzeugten Energie
Das VG habe den Beklagten zu Recht zur Erteilung des beantragten Bauvorbescheids verpflichtet. Bei der Errichtung und dem Betrieb der vier Kleinwindenergieanlagen handele es sich um ein der Nutzung der Windenergie dienendes privilegiertes Vorhaben im Sinne des Baugesetzbuchs (hier: § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB), das im Außenbereich zugelassen werden könne.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ließen sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal herleiten, wonach das Vorhaben nicht nur der Nutzung der Windenergie, sondern – mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms – auch der öffentlichen Energieversorgung dienen müsse. Gegen ein solches ungeschriebenes Erfordernis sprächen auch Sinn und Zweck der Norm. Diese diene letztlich einer umwelt- und ressourcenschonenden Energieversorgung mittels einer verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien, wozu Windenergieanlagen auch dann beitrügen, wenn sie allein zur Deckung eines privaten Verbrauchs errichtet würden. Die überragende Bedeutung dieses Ziels habe der Gesetzgeber mehrfach in seiner weiteren Normsetzung herausgestellt.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus einem Urteil des OVG aus dem Jahr 2018, an dem der dort erkennende Senat in Bezug auf den geforderten öffentlichen Versorgungszweck in einer neueren Entscheidung aus dem Jahr 2023 ersichtlich nicht mehr festhalte.
Keine Gefahr von Wildwuchs
Nicht nachvollziehbar sei die vom Beklagten ferner geltend gemachte Befürchtung, dass bei einer Privilegierung von allein der privaten Versorgung dienenden Kleinwindenergieanlagen ein Wildwuchs derartiger Vorhaben zulasten der Landschaft drohe. Denn die Errichtung einer Kleinwindenergieanlage im Außenbereich komme unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nur in Betracht, wenn der erzeugte Strom entweder durch einen dort in der Nähe der Anlage vorhandenen Verbraucher abgenommen oder ins Stromnetz eingespeist werde. Dies sei jedoch regelmäßig nicht der Fall, da ein Endabnehmer vor Ort im Außenbereich nur in Ausnahmefällen vorhanden sei und der Bau einer Leitung allein zum Zweck der Einspeisung des mit der Kleinanlage erzeugten Stroms in ein öffentliches Netz unter Rentabilitätsaspekten ausscheide. Dem privilegierten Vorhaben stünden auch keine öffentlichen Belange entgegen.
Quelle | OVG Koblenz, Urteil vom 4.4.2024, 1 A 10247/23. OVG, PM 6/24
| Das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz hat die Entlassung eines Polizeikommissars aus dem Beamtenverhältnis auf Probe für rechtmäßig erklärt. |
Das war geschehen
Der Kläger war im Jahr 2021 nach bestandener Laufbahnprüfung in das Probebeamtenverhältnis berufen und als Einsatzsachbearbeiter in einer Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei eingesetzt worden. Bereits zuvor, noch während seines Vorbereitungsdienstes, hatte er über mehrere Monate hinweg wiederholt Bilddateien (sog. Sticker) in verschiedene WhatsApp-Chatgruppen mit diskriminierenden, antisemitischen, rassistischen, menschenverachtenden sowie frauen- und behindertenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Inhalten hochgeladen. Als sein Dienstherr, der Beklagte, hiervon erfuhr, leitete er zunächst ein Disziplinarverfahren und dann ein Entlassungsverfahren ein und entließ den Kläger wegen erheblicher Zweifel an dessen charakterlicher Eignung für den Polizeidienst mit Ablauf des Jahres 2022 aus dem Probebeamtenverhältnis.
Hiergegen erhob der Kläger zunächst Widerspruch und in der Folge Klage. Zur Begründung gab er an, aus dem Kontext der Verwendung der Sticker werde hinreichend deutlich, dass es sich nur um „schwarzen Humor“ handele; der Inhalt der Sticker entspreche in keiner Weise seiner inneren Haltung.
Kläger kein „unbescholtenes Blatt“
Die Klage hatte keinen Erfolg. Der Beklagte sei vielmehr beurteilungsfehlerfrei von der charakterlichen Nichteignung des Klägers für den Polizeidienst ausgegangen. Damit knüpfte das VG an seine bereits im November 2023 getroffenen Beschluss an, mit dem er die vom Kläger beantragte Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussichten seiner Klage abgelehnt hatte. In dem Beschluss hatte das Gericht betont, es sei unerheblich, ob die vom Kläger verwandten „Sticker“ tatsächlich Ausdruck seiner Gesinnung seien. Der Kläger müsse diese so gegen sich gelten lassen, wie sie aus Sicht eines objektiven Betrachters zu verstehen seien. Es werde deutlich, dass der Kläger sich seiner beamtenrechtlichen Pflichten nicht einmal ansatzweise bewusst sei und dass ihm erkennbar die erforderliche charakterliche Reife und Stabilität für das Amt eines Polizeivollzugsbeamten fehle. Außerdem berücksichtigten die Richter, dass der Kläger im Februar 2024 strafrechtlich wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in vier Fällen, in drei Fällen hiervon in Tateinheit mit Volksverhetzung, schuldig gesprochen worden war.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 20.2.2024, 5 K 733/23. KO, PM 5/24
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung einer TV-Moderatorin wirksam ist, die trotz Abmahnungen eine Online-Kolumne für eine im Wettbewerb stehende Tageszeitung verfasst. |
Einschränkungen im Arbeitsvertrag
Die Klägerin war langjährig im Bereich Finanz- und Börsenberichterstattung für die Beklagte tätig, die einen Nachrichtensender mit TV- und Onlineberichterstattung betreibt. Der Arbeitsvertrag schränkt die Möglichkeit von Nebentätigkeiten ein und sieht vor, dass zuvor eine Genehmigung erfolgen muss.
Abmahnung wegen Online-Börsenkolumne
Die Klägerin hat unter anderem am 29.9.2022 eine Online-Börsenkolumne für eine Tageszeitung verfasst, wegen der sie am 4.10.2022 abgemahnt wurde. Dennoch veröffentlichte die Klägerin dort am 1.1.2023 eine weitere Kolumne, aufgrund der die Beklagte die streitgegenständliche Kündigung aussprach.
Zuvor war die Klägerin auch vor dem ArbG Köln in einem einstweiligen Verfügungsverfahren unterlegen, in dem sie ihren Arbeitgeber verpflichten wollte, die Nebentätigkeit zum Verfassen einer wöchentlichen Kolumne zu genehmigen. Hier hatte das ArbG geurteilt, dass die begehrte Nebentätigkeit eine nicht genehmigungsfähige Konkurrenztätigkeit darstelle.
Arbeitsgericht bestätigt Kündigung
Das ArG Köln hat die Kündigung bestätigt. Bei der Online-Kolumne handele es sich um eine Wettbewerbstätigkeit, da sowohl der Arbeitgeber als auch der Zeitungsverlag Unternehmen sind, die sowohl im Bereich der TV- wie auch der Onlineberichterstattung aktiv seien.
Zudem betreffe die Börsenkolumne der Klägerin den fachlichen Kernbereich ihrer Tätigkeit für die Beklagte. Gerade in diesen Themen hat die Klägerin sich in der Vergangenheit eine große Reputation aufgebaut, mit der sie bislang für die Beklagte in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten ist. Ein Arbeitnehmer, der während des bestehenden Arbeitsverhältnisses Wettbewerbstätigkeiten entfaltet, verstoße gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers. Dies könne eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar
Hier sei der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar. Das Vertrauen der Beklagten in einen störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses sei nach den bewussten, fortgesetzten und groben Pflichtverletzungen der Klägerin gänzlich aufgebraucht.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 11.10.2023, 9 Ca 5402/22, PM 11/23
| Ein Busunternehmer steht unter Unfallversicherungsschutz, wenn er im Homeoffice beim Hochdrehen der Heizung durch eine Verpuffung im Heizkessel verletzt wird. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Im Homeoffice Heizkessel überprüft und nach Verpuffung schwer verletzt
Der Kläger war als selbstständiger Busunternehmer bei der beklagten Berufsgenossenschaft pflichtversichert. Er bewohnte ein Haus, dessen Wohnzimmer er als häuslichen Arbeitsplatz (Homeoffice) für Büroarbeiten nutzte. Am Unfalltag holte der Kläger seine Kinder von der Schule ab und arbeitete anschließend an seinem Schreibtisch im Wohnzimmer. Nachdem er festgestellt hatte, dass die Heizkörper im ganzen Haus kalt waren, begab er sich zur Überprüfung der Kesselanlage in den Heizungskeller. Beim Hochdrehen des Temperaturschalters kam es aufgrund eines Defekts der Heizungsanlage zu einer Verpuffung im Heizkessel, in deren Folge der Kläger eine schwere Augenverletzung erlitt.
Bundessozialgericht erkennt Arbeitsunfall an
Die beklagte Berufsgenossenschaft, das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) lehnten einen Arbeitsunfall ab. Das BSG hat dagegen einen Arbeitsunfall anerkannt.
Der Kläger wollte nicht nur seine Kinder, sondern auch seinen häuslichen Arbeitsplatz mit höheren Temperaturen versorgen. Die Benutzung des Temperaturreglers war deshalb unternehmensdienlich, der Heizungsdefekt kein unversichertes privates Risiko.
Quelle | BSG, Urteil vom 21.3.2024, B 2 U 14/21 R, PM 11/24
| Die Zweifelsregelung im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 271 Abs. 2 BGB) gestattet es einem Arbeitgeber nicht, eine dem Arbeitnehmer bisher zustehende jährliche Einmalzahlung wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld kraft einseitiger Entscheidung stattdessen in anteilig umgelegten monatlichen Teilbeträgen zu gewähren, um sie „pro rata temporis“ – also zeitanteilig – auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen zu können. Diese Auffassung vertritt das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg im Streit über die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs durch Sonderzahlungen. |
Das LAG hat die Revision zugelassen.
Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.1.2024, 3 Sa 4/23
| Eine durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Vermögensverschiebung von einer Kapitalgesellschaft an einen Gesellschafter setzt einen Zuwendungswillen voraus – und ein solcher kann aufgrund eines Irrtums des Gesellschafter-Geschäftsführers fehlen. Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs (BFH) ist es insoweit maßgebend, ob der konkrete Gesellschafter-Geschäftsführer einem Irrtum unterlegen ist, nicht hingegen, ob einem ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiter der Irrtum gleichfalls unterlaufen wäre. |
Hintergrund: Bei einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) handelt es sich – vereinfacht – um Vermögensvorteile, die dem Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung gewährt werden. Eine vGA darf den Gewinn der Gesellschaft nicht mindern.
Das war geschehen
Geklagt hatte eine GmbH, deren Stammkapital durch die alleinige Gesellschafter-Geschäftsführerin u. a. durch die Einbringung einer Beteiligung von 100 % an einer weiteren GmbH erbracht werden sollte. Bei der einzubringenden GmbH wurde eine Kapitalerhöhung durchgeführt, die die Gesellschafter-Geschäftsführerin begünstigte. Das Finanzamt sah hierin eine vGA der GmbH an ihre Gesellschafter-Geschäftsführerin. Dagegen argumentierte die GmbH, dass die Zuwendung an die Gesellschafter-Geschäftsführerin irrtümlich wegen eines Versehens bei der notariellen Beurkundung der Kapitalerhöhung erfolgt sei.
So entschieden die gerichtlichen Instanzen
Das Finanzgericht (FG) Schleswig-Holstein wies die Klage ab, weil einem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführer der von der GmbH dargelegte Irrtum nicht unterlaufen wäre. Der BFH hat nun aber klargestellt, dass es für die Frage, ob der für die Annahme einer vGA erforderliche Zuwendungswille vorliegt, allein auf die Person der konkreten Gesellschafter-Geschäftsführerin ankommt. Er verwies den Streitfall deshalb zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurück.
Beachten Sie | In seiner Urteilsbegründung zum Vorliegen einer vGA führt der BFH aber auch Folgendes aus: Der handelnde Gesellschafter muss nicht mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis handeln, er muss den Tatbestand der vGA nicht kennen und er muss das Geschehene auch nicht richtig würdigen. Vielmehr genügt in aller Regel ein persönlich zurechenbares Handeln.
Diese Grundsätze gelten aber nicht uneingeschränkt, da es zur Annahme einer vGA – so wie bei einer offenen Gewinnausschüttung – eines Zuwendungswillens bedarf.
Quelle | BFH, Urteil vom 22.11.2023, I R 9/20, PM 20/24 vom 11.4.2024
| Schweizer Banken können Informationen zu Konten und Depots deutscher Staatsangehöriger an die deutsche Finanzverwaltung übermitteln. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. Er sieht in der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden keine Verletzung der Grundrechte der inländischen Steuerpflichtigen. |
Geklagt hatten Steuerpflichtige, die sich durch Übermittlung der Kontostände ihrer Schweizer Bankkonten in ihren Grundrechten verletzt sahen, vor allem in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Nachdem bereits das Finanzgericht (FG) Köln diese Ansicht nicht teilte, bestätigte nun auch der BFH die Verfassungsmäßigkeit der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden. Jedenfalls ist die Übermittlung der Informationen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung gerechtfertigt.
Beachten Sie | Deutschland sowie mehrere andere Staaten haben sich zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung dazu verpflichtet, Informationen zu Bankkonten auszutauschen, u. a. werden hierfür die Kontostände ausländischer Bankkonten an die deutsche Steuerverwaltung übermittelt. Der automatische Informationsaustausch über Finanzkonten dient der Sicherung der Steuerehrlichkeit und der Verhinderung von Steuerflucht.
Quelle | BFH, Urteil vom 23.1.2024, IX R 36/21, PM 17/24 vom 28.3.2024
| Ohne Betriebssitz kann kein Gelegenheitsverkehr mit Mietwagen betrieben werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin in einem Eilverfahren entschieden. |
Behörde widerrief Erlaubnis
Der Antragsteller ist Inhaber einer vom Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) erteilten Genehmigung für den Gelegenheitsverkehr mit insgesamt zehn Mietwagen nach dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG). Nach den Feststellungen der Behörde fanden sich an der vom Antragsteller angegeben Adresse – anders als von ihm ursprünglich behauptet – weder Büroräume noch reservierte Stellplätze für die Fahrzeuge. Daraufhin widerrief die Behörde die Erlaubnis unter Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Verwaltungsgericht bestätigt Behörde
Das VG hat den hiergegen gerichteten Eilantrag zurückgewiesen. Zu Recht sei die Behörde von einer fehlenden Zuverlässigkeit des Antragstellers ausgegangen. Denn dieser habe gegen eine Kernpflicht des Mietwagenverkehrs verstoßen.
Das wesentliche Merkmal des Mietwagenverkehrs bestehe darin, dass Aufträge nicht an beliebigen Orten, sondern grundsätzlich nur am Betriebssitz entgegengenommen werden dürften; dorthin müssten die Fahrzeuge daher regelmäßig nach Beendigung eines jeden Auftrags zurückkehren. Die Begründung und Unterhaltung eines in der Genehmigung festgeschriebenen Betriebssitzes sei daher Voraussetzung für die Erfüllung der Rückkehrpflicht. Das Rückkehrgebot sei nicht Selbstzweck, sondern solle auf wirksame Weise unterbinden, dass Mietwagen nach Beendigung eines Beförderungsauftrags taxiähnlich auf öffentlichen Straßen und Plätzen bereitgestellt würden und dort Beförderungsaufträge annähmen.
Das VG ließ offen, ob ungeachtet dessen der Widerruf auch auf die fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit des Antragstellers hätte gestützt werden können. Es spreche allerdings einiges dafür, dass dies schon bei der Genehmigungserteilung der Fall gewesen sei. Ein Mietwagenunternehmer müsse über ein angemessenes Eigenkapital verfügen, was hier nicht ersichtlich sei. Der Zeitwert der Fahrzeuge selbst dürfe – anders als von der Behörde bei Genehmigungserteilung fälschlich angenommen – gerade nicht berücksichtigt werden.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 25.3.2024, VG 11 L 53/24, PM vom 2.4.2024
| Die Klausel „Die Mobile Briefmarke ist lediglich als ad-hoc-Frankierung zum sofortigen Gebrauch gedacht. Erworbene Mobile Briefmarken verlieren daher mit Ablauf einer 14-tägigen Frist nach Kaufdatum ihre Gültigkeit. Das maßgebliche Kaufdatum ist in der Auftragsbestätigung genannt. Eine Erstattung des Portos nach Ablauf der Gültigkeit ist ausgeschlossen.“ ist nach § 307 BGB unwirksam. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Köln entschieden. |
Es gab damit der Unterlassungsklage der Verbraucherzentrale statt. Es handele sich bei dem Erwerb einer Briefmarke um einen Kaufvertrag und nicht um einen Frachtvertrag.
Das bürgerliche Recht kenne für Verpflichtungen aus schuldrechtlichen Verträgen im Allgemeinen nur die im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: §§ 194 ff. BGB) geregelten Verjährungsvorschriften, nicht dagegen besondere, von der Frage der Verjährung unabhängige Ausschlussfristen. Es handele sich um eine unangemessene und erhebliche zeitliche Beschränkung des Erfüllungsanspruchs.
Das OLG hob hervor: Durch die Beschränkung der Gültigkeitauf 14 Tage wird der Erfüllungsanspruch auf etwa ein Prozent der gesetzlich vorgesehenen Verjährungsfrist verkürzt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 13.6.2023, I-3 U 148/22
| Im Rahmen einer inländischen doppelten Haushaltsführung ist der Werbungskostenabzug von Unterkunftskosten auf 1.000 Euro monatlich beschränkt. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat nun entschieden, dass unter diesen Höchstbetrag auch eine für die Wohnung am Beschäftigungsort zu entrichtende Zweitwohnungssteuer fällt. |
Hintergrund: Eine beruflich veranlasste doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer außerhalb des Ortes seiner ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Haushalt unterhält (Hauptwohnung) und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnt (Zweitwohnung). In diesen Fällen können Arbeitnehmer Unterkunftskosten bis maximal 1.000 Euro im Monat als Werbungskosten abziehen.
Das war geschehen
Eine Arbeitnehmerin hatte an ihrem Tätigkeitsort in München eine Zweitwohnung gemietet. Die hierfür in den Streitjahren entrichtete Zweitwohnungssteuer i. H. von 896 Euro bzw. 1.157 Euro machte sie neben weiteren Kosten für die Wohnung i. H. von jeweils mehr als 12.000 Euro als Aufwendungen für ihre doppelte Haushaltsführung geltend. Das Finanzamt erkannte die Kosten der Unterkunft am Ort der ersten Tätigkeitsstätte in München jeweils mit dem Höchstbetrag von 12.000 Euro an. Die Zweitwohnungssteuer bei den sonstigen Aufwendungen im Rahmen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigte es nicht.
Die hiergegen gerichtete Klage war erfolgreich. Der BFH hat die Vorentscheidung nun aber aufgehoben.
Was der Höchstbetrag umfasst – und was nicht
Der Höchstbetrag umfasst sämtliche entstehenden Aufwendungen, wie beispielsweise Miete, Betriebskosten sowie Kosten der laufenden Reinigung und Pflege der Zweitwohnung oder -unterkunft; nicht jedoch Aufwendungen für Hausrat, Einrichtungsgegenstände oder Arbeitsmittel, mit denen die Zweitwohnung ausgestattet ist. Aufwendungen für die erforderliche Einrichtung und Ausstattung der Zweitwohnung, soweit sie nicht überhöht sind, können als sonstige notwendige Mehraufwendungen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigt werden.
Die Zweitwohnungssteuer ist Aufwand für die Nutzung der Unterkunft und unterfällt daher bei den Mehraufwendungen für die doppelte Haushaltsführung der Abzugsbeschränkung.
Das Entstehen der Zweitwohnungssteuer knüpft maßgeblich an das Innehaben einer weiteren Wohnung in München neben der Hauptwohnung und so an die damit regelmäßig einhergehende Nutzung dieser Wohnung an. Die Steuer findet als örtliche Aufwandsteuer i. S. von Art. 105 Abs. 2 a des Grundgesetzes (GG) ihre Rechtfertigung darin, dass das Innehaben einer weiteren Wohnung für den persönlichen Lebensbedarf (Zweitwohnung) neben der Hauptwohnung ein Zustand ist, der gewöhnlich die Verwendung von finanziellen Mitteln (Einkommen) erfordert und damit regelmäßig die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Wohnungsinhabers zum Ausdruck bringt.
Beachten Sie | Der BFH hat damit die von der Finanzverwaltung vertretene Rechtsauffassung bestätigt. Noch nicht höchstrichterlich entschieden und derzeit beim BFH anhängig ist die Frage, wie Kosten für einen separat angemieteten Stellplatz zu behandeln sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 13.12.2023, VI R 30/21, PM 18/24 vom 4.4.2024; Stellplatz: Rev. BFH, VI R 4/23
| Zum 1.1.2020 wurde mit § 35 c Einkommensteuergesetz (EStG) eine Steuerermäßigung für energetische Maßnahmen bei zu eigenen Wohnzwecken genutzten Gebäuden eingeführt. Diese komplexe Regelung weist jedoch einige Fragen auf, die das Bundesfinanzministerium (BMF) in einem Schreiben teilweise beantwortet hat. Nun ist nach einem vorinstanzlichen Urteil des Finanzgerichts (FG) München ein Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) zum Heizungstausch anhängig, in dem es darum geht, ob die Steuerermäßigung erst ab der vollständigen Begleichung der Rechnung in Betracht kommt. |
Hintergrund: Begünstigte Aufwendungen/Maßnahmen sind u. a. die Wärmedämmung von Wänden, Dachflächen und Geschossdecken sowie die Erneuerung der Fenster, Außentüren oder der Heizungsanlage.
Je begünstigtem Objekt beträgt der Höchstbetrag der Steuerermäßigung 40.000 Euro, wobei die Ermäßigung nach der Maßgabe des § 35 c Abs. 1 EStG über drei Jahre verteilt wird.
Das war geschehen
Die Steuerpflichtigen ließen 2021 eine neue Heizungsanlage in ihrem selbstgenutzten Gebäude einbauen. Zur Begleichung der Rechnung wurde eine monatliche Ratenzahlung für die Jahre 2021 bis 2024 vereinbart. Fraglich ist nun, ob ein Abschluss der energetischen Maßnahmen bereits mit der ausgeführten Erneuerung der Heizungsanlage (hier im Jahr 2021) oder erst mit der vollständigen Begleichung des Rechnungsbetrags (voraussichtlich im Jahr 2024) vorliegt.
Voraussetzungen für die Steuerermäßigung
Das BMF hat in seinem Schreiben vom 14.1.2021 in der Rn. 43 ausgeführt, dass die Steuerermäßigung erstmalig in dem Veranlagungszeitraum zu gewähren ist, in dem die energetische Maßnahme abgeschlossen wurde. Voraussetzung ist, dass mit der Durchführung der energetischen Maßnahme nach dem 31.12.2019 begonnen wurde und diese vor dem 1.1.2030 abgeschlossen ist.
Die energetische (Einzel-)Maßnahme ist dann abgeschlossen, wenn
- die Leistung tatsächlich erbracht (vollständig durchgeführt) ist,
- der Steuerpflichtige eine Rechnung (Schlussrechnung) erhalten und
- den Rechnungsbetrag auf das Konto des Leistungserbringers eingezahlt hat.
Die Erledigung unwesentlicher Restarbeiten, die für die tatsächliche Reduzierung von Emissionen nicht hinderlich sind, ist unschädlich. Auch, soweit bei einer mehrteiligen Maßnahme für einzelne Teilleistungen Teilrechnungen erstellt und diese beglichen wurden, wird die Steuerermäßigung abweichend vom Abflussprinzip erst ab dem Veranlagungszeitraum des Abschlusses der energetischen Maßnahme gewährt, so das BMF.
Beachten Sie | Da die Revision gegen die Entscheidung anhängig ist, wird nun der BFH entscheiden. Bis dahin können geeignete Fälle mit einem Einspruch offengehalten werden.
Quelle | FG München, Urteil vom 8.12.2023, 8 K 1534/23, Rev. BFH: IX R 31/23; BMF, Schreiben vom 14.1.2021, IV C 1 - S 2296-c/20/10004 :006
| Für Geburten ab dem 1.4.2024 gilt eine neue Einkommensgrenze, ab der der Anspruch auf Elterngeld entfällt. Zudem werden die Möglichkeiten für einen parallelen Bezug von Elterngeld neu gestaltet. Antworten auf wichtige Fragen gibt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). |
Quelle | BMFSFJ, „Neuregelungen beim Elterngeld für Geburten ab 1. April 2024“ vom 28.3.2024
| Der Bezug eines Nutzungsersatzes im Rahmen der reinen Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags nach Widerruf löst keine Einkommensteuer aus. Diese für Verbraucher frohe Kunde kommt vom Bundesfinanzhof (BFH). |
Das war geschehen
Ehegatten schlossen 2008 einen Darlehensvertrag zur Finanzierung einer selbstgenutzten Wohnimmobilie ab. 2016 widerriefen sie den Darlehensvertrag unter Berufung auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung. Auf der Grundlage eines zivilgerichtlichen Vergleichs zahlte die Bank an die Eheleute Nutzungsersatz für bis zum Widerruf erbrachte Zins- undTilgungsleistungen i. H. von 14.500 Euro. Das Finanzamt erfasste den Nutzungsersatz als Einkünfte aus Kapitalvermögen – allerdings zu Unrecht, wie nun der BFH entschieden hat.
Nutzungsersatz: weder Kapitalertrag noch sonstige Einkünfte
Der Nutzungsersatz ist kein Kapitalertrag i. S. des Einkommensteuergesetzes (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG). Die Rückabwicklung eines vom Darlehensnehmer widerrufenen Vertrags vollzieht sich außerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre. Das Rückgewährschuldverhältnis ist ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln. Daher können die einzelnen Ansprüche aus dem Rückgewährschuldverhältnis auch nicht für sich betrachtet – i. S. einer unfreiwilligen Kapitalüberlassung – Teil einer steuerbaren erwerbsgerichteten Tätigkeit sein.
Beachten Sie | Es liegen auch keine sonstigen Einkünfte (§ 22 Nr. 3 EStG) vor.
Verbraucherschutzrecht inzwischen reformiert
Die Entscheidung betrifft „alte“ Verbraucherdarlehensverträge. Der mit der Reform des Verbraucherschutzrechts in das BGB eingefügte § 357 a Abs. 3 S. 1 BGB a. F. (jetzt § 357 b BGB) hat u. a. den Anspruch des Darlehensnehmers auf Nutzungsersatz für die Zukunft beseitigt. Die neue Rechtslage ist auf nach dem 12.6.2014 abgeschlossene Verbraucherdarlehensverträge anwendbar.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.11.2023, VIII R 7/21, PM 16/24 vom 21.3.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über einen Fall entschieden, in dem eine Pkw-Fahrerin an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifuhr und mit einem gerade entleerten Müllcontainer kollidierte. Der BGH hat in diesem Fall einen Verstoß der Fahrerin gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO) bejaht. |
Das war geschehen
Die Klägerin, ein Pflegedienst, macht gegen einen für die Abfallwirtschaft zuständigen kommunalen Zweckverband Schadenersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, bei dem eines ihrer Pflegedienstfahrzeuge beschädigt wurde. Eine Mitarbeiterin der Klägerin fuhr mit diesem Fahrzeug aus der Gegenrichtung kommend an einem Müllabfuhrfahrzeug des beklagtenZweckverbands vorbei, das mit laufendem Motor, laufender Schüttung und eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie Warnblinkanlage in der Straße stand. Dabei kam es zu einer Kollision des klägerischen Fahrzeugs mit einem Müllcontainer, den ein bei dem Beklagten angestellter Müllwerker hinter dem Müllabfuhrfahrzeug quer über die Straße schob.
Mit der Klage hat die Klägerin Erstattung der Fahrzeugreparaturkosten verlangt.
So sahen es die Vorinstanzen
Das Landgericht (LG) hat der Klage gegen den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 zu 50 teilweise stattgegeben.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht (OLG) das Urteil des LG teilweise geändert und den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 75 (Beklagter) zu 25 (Klägerin) zu weiterem Schadenersatz verurteilt. Es ist dabei davon ausgegangen, dass der Fahrerin des Pkw kein Verstoß gegen die StVO anzulasten sei.
So sieht es der Bundesgerichtshof
Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Das Urteil des OLG wurde aufgehoben und die Sache an das OLG zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Der Klägerin steht gegen den Beklagten als Halter des Müllabfuhrfahrzeugs ein Schadenersatzanspruch gemäß StVO (hier: § 7) zu, da das Fahrzeug der Klägerin „bei dem Betrieb“ des Müllabfuhrfahrzeugs beschädigt worden ist. Die Gefahr, die von einer gerade entleerten Mülltonne auf der Straße für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, ist dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs zuzurechnen.
Bei der Entscheidung über die Haftungsverteilung hat das OLG zu Recht dem Müllwerker einen schuldhaften Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorgeworfen, weil er hinter dem Müllabfuhrfahrzeug einen Müllcontainer quer über die Straße schob, ohne auf den Verkehr und das Fahrzeug der Klägerin zu achten, welches für ihn – hätte er den Müllcontainer nicht vor sich hergeschoben – erkennbar gewesen wäre.
Allerdings ist entgegen der Ansicht des OLG auch der Mitarbeiterin der Klägerin als Fahrerin des Pkw ein Verstoß gegen die StVO vorzuwerfen.
Mit dem Verhalten des Müllwerkers konnte gerechnet werden
Das Hauptaugenmerk der mit dem Holen, Entleeren und Zurückbringen von Müllcontainern befassten Müllwerker ist auf ihre Arbeit gerichtet, die sie überwiegend auf der Straße und effizient, also in möglichst kurzer Zeit und auf möglichst kurzen Wegen, zu erledigen haben. Wer an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifährt, das erkennbar im Einsatz ist, darf daher nicht uneingeschränkt auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Müllwerker vertrauen. Er muss damit rechnen, dass Müllwerker plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortreten und unachtsam einige Schritte weiter in den Verkehrsraum tun, bevor sie sich über den Verkehr vergewissern. Auf diese mit dem Einsatz von Müllabfuhrfahrzeugen verbundenen Gefahren hat der vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer sein Fahrverhalten einzurichten. Wenn es nicht möglich ist, einen ausreichenden Seitenabstand zu einem Müllabfuhrfahrzeug einzuhalten, um die Gefahr eines plötzlich auftauchenden Müllwerkers vor oder hinter dem Fahrzeugzu vermeiden, muss die Geschwindigkeit gemäß der Straßenverkehrsordnung (StVO) reduziert werden, sodass der Fahrer sein Fahrzeug bei Bedarf sofort zum Stillstand bringen kann.
Den dargelegten Anforderungen genügte die vom Berufungsgericht festgestellte Fahrweise der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nicht. Bei einem Seitenabstand von maximal 50 cm zum Müllabfuhrfahrzeug war die Ausgangsgeschwindigkeit von 13 km/h zu hoch, als dass die Fahrerin das Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen hätte bringen können.
Quelle | BGH, Urteil vom 12.12.2023, VI ZR 77/23, PM 12/24
| Gibt ein Kunde mittels PushTAN und Verifizierung über eine Gesichtserkennung nach einer Phishing-Nachricht die temporäre Erhöhung seines Überweisungslimits und eine anschließende Überweisung telefonisch frei, handelt er grob fahrlässig. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt. |
Der Bankkunde – ein Rechtsanwalt und Steuerberater in einer internationalen Sozietät – führt bei der beklagten Bank ein Girokonto und forderte erfolglos, eine Überweisung von knapp 50.000 Euro zurückzuerstatten. Das OLG: Die Bank schuldet in einem solchen Fall nicht die Rückerstattung des überwiesenen Betrags. Denn angesichts der fortlaufenden Warnungen der Banken vor Phishing-Mails und der öffentlichen Diskussion hierüber müssten Kunden spätestens bei der telefonischen Aufforderung, Sicherheitsmerkmale preiszugeben, misstrauisch werden. Dies gelte auch, wenn der äußere Rahmen der besuchten Website vertraut erscheint.
Quelle | OLG Frankfurt, Urteil vom 6.12.2023, 3 U 3/23
| Wer an der Grenze zu seinem Nachbargrundstück eine Hecke anlegt, muss nach dem geltenden Nachbarrecht dafür sorgen, dass die Pflanzen je nach Grenzabstand eine bestimmte Höhe nicht überschreiten. Tut er das nicht, kann der Nachbar den Rückschnitt der Hecke verlangen und im Notfall auch gerichtlich durchsetzen. Der Anspruch auf den Rückschnitt kann jedoch nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein, wenn sich der Nachbar selbst regel- und damit treuwidrig verhält. Das hat das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Das war geschehen
Das LG hat mit dieser Begründung die Klage eines Nachbarn auf Rückschnitt einer Hecke an der Grundstücksgrenze abgewiesen. Denn auch einzelne Pflanzen auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn verstießen nach den Feststellungen der Kammer gegen die Regelungen des Nachbarrechts.
Im konkreten Fall hatten zwei Grundbesitzer Streit über die zulässige Höhe einer direkt an der Grundstücksgrenze gepflanzten Hecke, die durchgehend eine Höhe von 2,20 Metern aufweist. Unter Berufung auf das geltende Landesrecht verlangte der Nachbar, dass die Hecke auf einer Höhe von maximal eineinhalb Metern gehalten werde. Dem gab das AG statt und verurteilte den Eigentümer zum entsprechenden Rückschnitt in der Zeit von 1.10. und 15.3. eines jeweiligen Jahres.
Höhe der Hecke zwar einzuhalten, aber …
Die dagegen gerichtete Berufung zum LG hatte jedoch Erfolg. Die Berufungskammer hat dem Nachbarn zwar grundsätzlich zugebilligt, dass die nach dem Nachbarrecht zulässige Höhe der Hecke einzuhalten ist.
… Grundsätze von Treu und Glauben zu beachten
Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis sei aber stark von den sog. Grundsätzen von Treu und Glauben geprägt. Hieraus entspringen Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme, die zu einer Beschränkung bis hin zum Ausschluss nachbarrechtlicher Rechte führen könnten, so das LG. Deshalb müsse berücksichtigt werden, dass auch auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn direkt hinter dem Zaun eine drei bis vier Meter hohe Kugelhecke und eine etwa zweieinhalb Meter hohe Zypresse gepflanzt sei. Dadurch werde ebenfalls gegen das Nachbarrecht verstoßen. Wer sich aber selbst nicht regelgerecht verhalte, sei nach Treu und Glauben von Ansprüchen gegen seinen Nachbarn ausgeschlossen.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 24.1.2024, 2 S 85/23, PM vom 31.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Karlsruhe hat die Klage eines E-Autofahrers gegen die EnBW auf Rückzahlung von Blockiergebühren abgewiesen. |
Überschreiten der zulässigen Standzeit
Die Blockiergebühren in Höhe von insgesamt 19,80 Euro waren wegen Überschreitung der zulässigen Höchststandzeit an Ladesäulen der EnBW an drei verschiedenen Terminen im März 2022 angefallen. Die Blockiergebühr ist nach den Bedingungen des ADAC e-Charge Tarifs, der von der EnBW angeboten wird, ab einer Standzeit von mehr als 240 Minuten fällig. Ab diesem Zeitpunkt sind 12 Cent pro Minute zu zahlen, maximal jedoch 12 Euro. Auf die Blockiergebühr wird sowohl beim Abschluss des Tarifs als auch beim Start des Ladevorgangs hingewiesen. Der Kläger hatte diesen Bedingungen bei Nutzung der App zugestimmt.
Klausel wirksam
Der Kläger hatte argumentiert, die Klausel sei unwirksam. Im Übrigen verlangten andere Anbieter keine Blockiergebühr. Nach Auffassung des AG ist die Klausel jedoch wirksam, da das Interesse der EnBW berechtigt ist, die Ladesäule zeitnah weiteren Kunden zur Verfügung stellen zu können.
Die Entscheidung erging ohne mündliche Verhandlung. Sie ist rechtskräftig.
Quelle | AG Karlsruhe, Urteil vom 4.1.2024, 6 C 184/23, PM vom 24.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Hannover hält ein „französisches Bett“ nicht für ein Doppelbett. Das war in einem Reiserechtsfall entscheidend. |
Ist ein Bett mit einer Breite von 1,40 m ein Doppelbett? Ist es breit genug, um zwei erwachsenen Menschen einen erholsamen Urlaub zu ermöglichen? Das AG hat diese Fragen verneint. Es hat entschieden, dass Reisende jedenfalls in einem Hotel, das der Reiseveranstalter selbst mit fünf „Sonnen“ bewertet, für jeden Reisenden mit einem Schlafplatz von mehr als 70 cm Breite rechnen dürfen.
Im Fall des AG hatten drei erwachsene Personen gemeinsam ein Dreibettzimmer gebucht. Zur Verfügung gestellt wurde ihnen ein Zimmer, das über zwei Betten mit einer Breite von jeweils 1,40 m verfügte. Weil diese Ausstattung nicht der vertraglichen Vereinbarung entsprach, erhalten die beiden Reisenden, die sich ein Bett teilen mussten, nun 15 Prozent des auf sie entfallenden Reisepreises zurück.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 22.2.2024, 471 C 6110/23, PM vom 26.2.2024
| Ein gesetzlich versicherter Patient verlangte von seiner Krankenversicherung, ihm die Kosten für ein Einzelzimmer während eines stationären Krankenhausaufenthalts zu erstatten. Einen solchen Anspruch lehnte das Sozialgericht (SG) Mainz aber ab. |
Patient lag im Einzelzimmer
Ein Patient ließ sich längere Zeit stationär in einem Krankenhaus behandeln. Mit dem Krankenhaus hatte er einen Vertrag über das Unterbringen in einem Einzelzimmer geschlossen.
Krankenkasse wollte Kosten nicht übernehmen
Die dabei entstandenen Kosten wollte die Krankenkasse nicht übernehmen. Der Patient klagte. Seine Argumentation: Aus medizinischen Gründen sei ein Einzelzimmer erforderlich gewesen.
Sozialgericht wies Klage ab
Vor dem SG hatte er jedoch keinen Erfolg. Selbst wenn ein Einzelzimmer erforderlich gewesen sei, hätte das Krankenhaus dafür sorgen müssen, dass der Patient entsprechend untergebracht sei. Die Kosten einer erforderlichen Einzelzimmerbelegung seien dann in den pauschal von der Krankenkasse an das Krankenhaus zu zahlenden Entgelten enthalten. Die Kosten hierfür habe die Krankenkasse bereits gezahlt. Zusätzliche Kosten für ein Einzelzimmer könne der Patient folgerichtig nicht bei seiner Krankenkasse einfordern.
Quelle | SG Mainz, Urteil vom 23.2.2024, S 7 526/20
| Das Mietrecht (hier: § 556 Abs. 3 S. 3 BGB) schließt eine nachträgliche Abrechnung zulasten des Mieters nicht aus, durch die ein Guthaben verringert wird. Das entschied das Landgericht (LG) München. |
Grundsteuer in der Abrechnung vergessen
Der Vermieter hatte über die Betriebskosten abgerechnet und dabei die Grundsteuer vergessen. Bevor er das ursprünglich berechnete Guthaben an den Mieter auszahlte, verstrich die Abrechnungsfrist. Nun korrigierte der Vermieter die Betriebskostenabrechnung und berücksichtigte die Grundsteuer. Dabei ergab sich ein geringeres Guthaben, das er an den Mieter zahlte. Der Mieter klagte auf Rückzahlung des ursprünglich berechneten höheren Guthabens.
Amtsgericht und Landgericht vermieterfreundlich
Das Amtsgericht (AG) sprach jedoch nur das korrigierte geringere Guthaben zu. Es bestünde kein Anspruch des Mieters, weil eine nachträgliche Verringerung des Guthabens vom Gesetz nicht ausgeschlossen sei.
Die Berufung des Mieters blieb erfolglos. Das LG teilte die Rechtsauffassung des AG. § 556 Abs. 3 S. 3 BGB solle den Mieter nur davor schützen, nach Ablauf der Abrechnungsfrist Zahlungen leisten zu müssen, die die Vorauszahlungen übersteigen. Darüber hinaus gewähre das Gesetz keinen Vertrauensschutz für eine zugunsten des Mieters unrichtige Abrechnung.
Der Mieter darf also nicht darauf vertrauen, dass ein Guthaben unveränderlich bleibt. Dies gilt auch, wenn die Korrektur erst nach Ablauf der Abrechnungsfrist erfolgt. Eine weitergehende Schutzwirkung zugunsten des Mieters sieht das Gesetz schon nach dem Wortlaut der Vorschrift („Geltendmachung einer Nachzahlung“) nicht vor.
Die Entscheidung entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 31.10.07, VIII ZR 261/06).
Quelle | LG München I, Beschluss vom 30.11.2023, 31 S 10140/23
| Eine fristlose Kündigung ist auch gegenüber einem psychisch kranken oder schuldunfähigen Mieter möglich, wenn trotz Abmahnung der Hausfrieden systematisch, wiederholt und nachhaltig gestört wird mit der Folge der vorzeitigen Kündigung von anderen Mietern und der Nichtvermietbarkeit angrenzender Wohnungen. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Gesundheitszustand bedarf es dann nicht. So entschied es der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) Sachsen. |
Wiederholte Lärmstörungen
Der Vermieter kündigte nach Abmahnung das Mietverhältnis mit einem psychisch kranken Mieter wegen wiederholten Lärmstörungen fristlos, hilfsweise ordentlich. Andere Mieter hatten wegen des Lärms ihr Mietverhältnis gekündigt und eine Neuvermietung der angrenzenden Wohnung war nicht möglich.
Gegen die erfolgreiche Räumungsklage legte der Mieter Berufung ein, die er nach Hinweisbeschluss des Landgerichts (LG) Dresden zurücknahm. Das LG hatte ausgeführt, dass zwar in der Regel ein schuldhaftes Verhalten des Mieters für die Begründung des Kündigungsgrundes erforderlich sei. Dies gelte aber nicht absolut, da auch bei Schuldlosigkeit das zumutbare Maß und damit die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter überschritten sei und in der Abwägung überwiegen kann. Zwar ergebe sich aus den Wertentscheidungen des Grundgesetzes (hier: Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG) eine erhöhte Toleranzbereitschaft gegenüber nicht oder nur eingeschränkt verantwortlichen Mietern, z. B. Verschlechterung des Gesundheitszustands, Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche oder Suizidgefährdung. Aber auch wenn der Mieter aufgrund der psychischen Erkrankung nicht in der Lage sei, das Unrecht seines Handelns zu erkennen, sei hier die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter deutlich überschritten.
Mieter legte Verfassungsbeschwerde ein
Gegen das Urteil und den Beschluss legte der Mieter Verfassungsbeschwerde ein – doch ohne Erfolg. Die Beschwerde sei unzulässig, sie genüge nicht den Begründungsanforderungen, so der VerfGH. Das LG habe sich umfassend – auch – mit Grundrechten auseinandergesetzt. Eine konkrete Grundrechtsverletzung rüge der Beschwerdeführer nicht.
Quelle | VerfGH Sachsen, Urteil vom 30.8.2023, Vf. 40-IV-23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg ist der Frage nachgegangen, was der mehrdeutige Begriff „vorhandenes Barvermögen“ in einem Vermächtnis bedeutet. |
Die Parteien stritten um die Erfüllung eines Vermächtnisses und hierbei um den Begriff „Barvermögen“. In einem notariellen Testament beschwerte der Erblasser die eingesetzten Erben mit einem Vermächtnis zugunsten einer weiteren Person wie folgt: „Das bei Eintritt des Erbfalls vorhandene Barvermögen soll zu einem 1/3 Anteil an meine Tochter …, geb. am …, ausgezahlt werden“. Die Bedachte hat die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ seine gesamten liquiden Mittel, insbesondere sämtliche Guthaben bei Kreditinstituten, Wertpapiere und Bargeld im engeren Sinne verstanden. Demgegenüber haben die beschwerten Erben die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ lediglich das vorhandene Bargeld verstanden.
Barvermögen = auch unbares Geld, das sofort verfügbar ist
Das Landgericht (LG) hat sich in erster Instanz der Auffassung der Bedachten angeschlossen und die Erben verurteilt, zu zahlen. Aufgrund der gegen dieses Urteil durch die Erben eingelegten Berufung hat das OLG Oldenburg den Begriff wie folgt verstanden: Danach umfasst der Begriff des Barvermögens heutzutage das gesamte Geld, das sofort verfügbar ist, also auch über eine Kartenzahlung. Wertpapiere fallen nicht unter den Begriff des Barvermögens. Vielmehr werden Wertpapiere durch den erweiterten Begriff des Kapitalvermögens mit abgedeckt, der das Barvermögen einschließlich weiterer Kapitalwerte in Geld beschreibt.
Wertpapiere gehörten hier nicht zum Barvermögen
Nach Beweisaufnahme hat das OLG festgestellt, dass die Bedachte nicht habe nachweisen können, dass der Erblasser mit dem Begriff „Barvermögen“ das gesamte Kapitalvermögen, also auch das nicht sofort verfügbare Kapital in der Form von Genossenschaftsanteilen und Wertpapieren gemeint habe. Im Ergebnis habe der vernommene Zeuge – der beurkundende Notar – keine konkreten Aussagen zum Willen des Erblassers in Bezug auf Wertpapiere und dessen Begriffsverständnis vom Begriff „Barvermögen“ machen können.
Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 20.12.2023, 3 U 8/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) München hat entschieden: Ein Tragwerksplaner ist nur verpflichtet, den Prüfbericht des Prüfingenieurs und die diesem beigefügten Bewehrungspläne zu prüfen, wenn eine entsprechende vertragliche Vereinbarung getroffen wurde. |
Wichtige Entscheidung
Diese Aussage ist für das Tagesgeschäft der Tragwerksplanung wichtig, da es in den meisten Fällen für den Tragwerksplaner von Eigeninteresse sein dürfte, Prüfbericht und Prüfeintragungen durchzusehen. Denn der Prüfingenieur könnte ja auch eigene Mängel verhindern helfen. Schwierig wird es, wenn der Prüfingenieur eine andere Auffassung vertritt, aber dennoch kein Planungsfehler vorliegt. Dann muss man abwägen.
Das gehört nicht zuden Aufgaben eines Tragwerksplaners
Das OLG hat auch noch weitere Feststellungen getroffen: Es gehört danach nicht zu den Aufgaben eines Tragwerksplaners, geänderte Ausführungspläne des Architekten an das bauausführende Unternehmen weiterzuleiten. Dies ist ein ständiges Streitthema. Um hier Auseinandersetzungen zu vermeiden, ist es wichtig, zu Planungsbeginn eine Regelung zu treffen, wer welche Pläne an wen weiterleitet. In den meisten Fällen macht es Sinn, dass der Objektplaner hier koordinierend Regelungsvorschläge macht und dafür Sorge trägt, dass seine Pläne an die ausführenden Unternehmen weitergeleitet werden.
Schutzwürdiges Eigeninteresse erforderlich
Außerdem, so das OLG, setze ein Anspruch des Auftraggebers auf Lieferung von Plänen nach Abschluss der Bauarbeiten ein schutzwürdiges Eigeninteresse voraus. Daran fehle es, wenn der Auftraggeber das Bauwerk jahrelang ohne die verlangten Pläne nutzen und verwalten konnte. Hierdurch wird klargestellt, dass Planungsbüros im Regelfall nicht jahrelang als Planarchiv für ehemalige Auftraggeber fungieren müssen.
Quelle | OLG München, Urteil vom 16.5.2023, 9 U 1801/21 Bau
| Die ungenehmigte Nutzung eines Einfamilienwohnhauses als Monteursunterkunft darf nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Neustadt an der Weinstraße untersagt werden. |
Das war geschehen
Die Stadt Ludwigshafen hatte durch ihre Bauaufsichtsbehörde eine Ortsbesichtigung durchgeführt, die ein zur Wohnnutzung genehmigtes Einfamilienhaus betraf. Hierbei stellte sie fest, dass sich in dem Wohnraum im Erdgeschoss zwei Einzelbetten und in einem Wohnraum im Dachgeschoss vier weitere Betten befanden. Insgesamt wohnten dort sechs männliche Personen. Die Stadt untersagte daraufhin gegenüber dem Eigentümer die Nutzung des Hauses für die Zwecke einer „Monteursunterkunft“ bzw. für eine „Beherbergung“ und ordnete hierfür die sofortige Vollziehung an. Dieser legte Widerspruch ein und stellte wegen des Sofortvollzugs zudem einen Eilantrag beim VG. Der Antrag blieb hinsichtlich der Nutzungsuntersagung ohne Erfolg.
So argumentierte das Verwaltungsgericht
Nach der Landesbauordnung Rheinland-Pfalz (hier: § 81 LBauO) könne die Bauaufsichtsbehörde die Benutzung solcher Anlagen untersagen, die gegen baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften über die Errichtung, die Änderung, die Instandhaltung oder die Nutzungsänderung dieser Anlagen verstießen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden könnten.
Dies sei hier der Fall. Die von der Stadt ausgesprochene Nutzungsuntersagungsverfügung sei nicht zu beanstanden, da die tatsächliche Nutzung des Einfamilienhauses als Monteursunterkunft oder sonst als Beherbergungsbetrieb weder genehmigt noch genehmigungsfrei sei. Vorliegend sei nämlich von einer tatsächlich nicht Wohnzwecken dienenden Nutzung des Einfamilienwohnhauses auszugehen.
Definition der „Wohnnutzung“
Eine Wohnnutzung zeichne sich durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts aus. Dies setze bestimmte Ausstattungsmerkmale des Gebäudes voraus. Erforderlich seien insbesondere eine Küche bzw. Kochgelegenheit sowie Toiletten und Waschgelegenheiten, die auch in Gestalt von Gemeinschaftseinrichtungen zur Verfügung stehen könnten.
Der Begriff des Wohnens verlange zudem, dass Aufenthalts- und private Rückzugsräume vorhanden seien, die eine Eigengestaltung des häuslichen Wirkungskreises erst ermöglichten. Auch Wohnheime – etwa Studentenwohnheime – könnten daher als Wohngebäude einzustufen sein, wenn sie nach ihrer Zweckbestimmung und Ausstattung Wohnbedürfnisse erfüllen könnten und sollten. Die Grenzen des Wohnens seien allerdings überschritten, wenn das Gebäude – wie im Fall einer Unterkunft für Monteure – aufgrund seiner spartanischen Ausstattung lediglich als Schlafstätte diene und auch einfache Wohnbedürfnisse nicht befriedige. Dabei spiele zudem die Wohndichte eine Rolle. Der Umstand, dass sich zwei Bewohner einen Schlafraum teilten, spreche zwar nicht zwingend gegen eine Wohnnutzung im Rechtssinne; die dadurch bewirkte Einschränkung der Privatsphäre schließe aber unter Berücksichtigung der hierzulande üblichen Wohnstandards die Annahme einer Wohnnutzung jedenfalls dann regelmäßig aus, wenn zwischen den Bewohnern keine persönliche Bindung bestehe bzw. sich diese Bindung in dem gemeinsamen Interesse an einer möglichst kostengünstigen Unterbringung erschöpfe.
Mindestanforderungen der Wohnnutzung waren zwar erfüllt...
Zwar verfüge das Wohnhaus hier mit zwei Toiletten und einer Küche über die für eine Wohnnutzung erforderlichen Mindestanforderungen. Alle Räume seien aber sehr spartanisch lediglich mit Betten und Schreibtischen eingerichtet.
... Bewohner lebten aber „aus dem Koffer“
Die Bewohner lebten augenscheinlich „aus dem Koffer“, Kleiderschränke oder auch sonstiger Stauraum seien nicht vorhanden. Zudem spreche das Vorbringen des Antragstellers im Eilverfahren, wonach die Bewohner allesamt unter der Woche als Monteure an weit entfernten Orten beschäftigt seien und lediglich am Wochenende oder im Urlaub in dem Haus verweilten, erheblich dafür, dass der Zweck des Zusammenlebens nicht über das Interesse an einer günstigen Unterkunft hinausgehe und tatsächlich kein Interesse an einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit bestehe, sondern das Haus lediglich als Schlafplatz zwischen den Arbeitsaufträgen diene. Insbesondere wegen der Unterbringung in Mehrbettzimmern und des vollständigen Fehlens von Aufenthaltsräumen sei nicht ersichtlich, dass die Unterkunft über den Nutzen als Schlafstätte hinaus Wohnbedürfnisse befriedige.
Quelle | VG Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 4.1.2024, 4 L 1213/23.NW, PM 2/24
| Eine Vorschlagsliste für die Betriebsratswahl, die in ihrem Kennwort ein „Smiley-Symbol“ enthält, ist ungültig. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln in einem Wahlanfechtungsverfahren entschieden. |
Betriebsratswahl angefochten
Fünf Arbeitnehmer eines weltweit tätigen Logistikunternehmens mit einem Betrieb am Flughafen Köln/Bonn und einer weiteren Betriebsstätte im benachbarten Troisdorf hatten die Wahl des 25-köpfigen Betriebsrats angefochten und dies u. a. damit begründet, dass der Wahlvorstand ihren Wahlvorschlag zu Unrecht wegen des verwendeten Listenkennworts zurückgewiesen und stattdessen mit den Familien- und Vornamen der beiden in der Liste an erster Stelle benannten Wahlbewerbern versehen habe.
Die Arbeitnehmer hatten beim Wahlvorstand zunächst einen Wahlvorschlag mit dem Kennwort ,,fair.die“ eingereicht. Nachdem der Wahlvorstand den Vorschlag wegen einer phonetischen Verwechslungsgefahr mit der Gewerkschaft ver.di zurückgewiesen hatte, teilten die Arbeitnehmer mit, dass ihr Wahlvorschlag das Kennwort „FAIR“ (mit dem zusätzlichen „Smiley-Symbol“) die Liste“ tragen solle.
Dieses Kennwort sowie drei weitere Alternativvorschläge, die ebenfalls einen „Smiley“ enthielten, lehnte der Wahlvorstand wiederum ab.
Landesarbeitsgericht: Bildzeichen unzulässig
Wie das LAG entschieden hat, ist ein Bildzeichen als Bestandteil eines Kennworts unzulässig, wenn es wie das „Smiley“ lediglich einen Stimmungs- oder Gefühlszustand ausdrückt, keine eindeutige Wortersatzfunktion hat und demgemäß üblicherweise nicht mit ausgesprochen wird. Zudem hätte auch bei dem oben genannten Kennwort eine Verwechslungsgefahr bestanden, da es lautsprachlich wie „ver.di-Liste“ klingt.
Zudem hat das LAG die Betriebsratswahl für unwirksam erklärt, weil der Wahlvorstand für die Betriebsstätte Troisdorf trotz ihrer räumlichen Nähe zum Hauptbetrieb unzulässigerweise die generelle Briefwahl angeordnet hatte.
Quelle | LAG Köln, Beschluss vom 1.12.2023, 9 TaBV 3/23, PM 13/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat den koordinierten Beschäftigtentausch als Sparmodell für Sozialversicherungsbeiträge für unzulässig erklärt. |
Darum ging es
Ausgangspunkt war die Klage eines niedersächsischen Obstbauern, der einen Betrieb für Apfelanbau führt und an einem weiteren Betrieb für Erdbeeranbau beteiligt ist. Seine Erntehelfer beschäftigt er formal ganzjährig im Apfelanbau. Sie erhalten dort einen festen Monatslohn auf Basis eines Jahresarbeitsstundensolls. In der Zeit von Mai bis Juli wurden die Helfer jedoch im Erdbeerbetrieb eingesetzt. Auf den Lohn dieser Arbeit zahlte der Bauer keine Sozialversicherungsbeiträge, da er die Arbeit als zeitgeringfügige Aushilfstätigkeit betrachtete. Während der Apfelernte im Herbst verfuhr er bei jeweils wechselnder Arbeitsfreistellung mit den Beschäftigten des Erdbeerbetriebs in ähnlicher Weise.
Kurzzeitige Saisonaushilfen oder berufsmäßige Beschäftigte?
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) kam nach einer Betriebsprüfung zu dem Ergebnis, dass die Mitarbeiter nicht nur kurzzeitige Saisonaushilfen seien, sondern berufsmäßig Beschäftigte, für die rd. 58.000 Euro Sozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten seien.
Bauer reklamierte für sich „angepasste Gestaltung“
Hiergegen klagte der Bauer und meinte, dass in rechtlich selbstständigen Betrieben eine Arbeitnehmertätigkeit im Hauptberuf und eine kurzzeitige Beschäftigung bei einem weiteren Arbeitnehmer möglich und erlaubt sei. Steigende Preise und politische Unsicherheiten würden eine angepasste Gestaltung notwendig machen.
Landessozialgericht spricht Klartext
Das LSG hat die Rechtsauffassung der DRV bestätigt. Zur Begründung hat es auf die Berufsmäßigkeit der Helfer abgestellt, die eine Beitragspflicht für die gesamte Tätigkeit auslöse. Das praktizierte Modell verfolge zielgerichtet das Bestreben, über wechselseitige betriebliche Absprachen und mittels langfristig geplanter und aufeinander abgestimmter organisatorischer und vertraglicher Maßnahmen rund ein Drittel des Jahreseinkommens der Arbeitskräfte der Beitragspflicht zur gesetzlichen Sozialversicherung zu entziehen. Die Gefahr der Altersarmut aufseiten der Erntehelfer sei von den Arbeitgebern sehenden Auges hingenommen worden. Die sozialrechtlichen Vorgaben ließen keinen Raum für eine entsprechende Beitragsverkürzung.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.12.2023, L 2 BA 59/23, PM vom 5.2.2024
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung eines Schwerbehinderten in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses diskriminierend im Sinne des Sozialgesetzbuchs IX (hier: § 164 Abs. 2 SGB IX) ist. Sie kann damit unwirksam sein, wenn der Arbeitgeber das Präventionsverfahren nach dem Sozialgesetzbuch (§ 167 Abs. 1 SGB IX) nicht durchgeführt hat. |
Der mit einem Grad der Behinderung von 80 schwerbehinderte Kläger ist seit dem 1.1.2023 bei der beklagten Kommune als „Beschäftigter im Bauhof“ beschäftigt. Der Kläger wurde zwischen dem 2.1. und 14.4.2023 in verschiedenen Kolonnen des Bauhofs eingesetzt und war ab Ende Mai arbeitsunfähig. Am 22.6.2023 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 31.7.2023.
Das ArbG hat entschieden: Die Kündigung verstößt gegen das Diskriminierungsverbot des § 164 Abs. 2 SGB IX und ist damit unwirksam. Der Arbeitgeber sei – entgegen bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) – auch während der Wartezeit gemäß Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 Abs. 1 KSchG) verpflichtet, das o. g. Präventionsverfahren durchzuführen.
§ 167 Abs. 1 SGB IX regelt, dass möglichst frühzeitig als Präventionsmaßnahme die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt einzuschalten sind, wenn Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis eintreten, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können. Dies habe die Arbeitgeberin hier nicht getan. Sie hätte, als sie bemerkte, dass der schwerbehinderte Kläger sich während der Wartezeit – wie sie vorträgt – nicht bewährte bzw. sich nicht ins Team einfügte und ihren Erwartungen nicht entsprach, Präventionsmaßnahmen ergreifen und gegebenenfalls die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt präventiv einschalten müssen.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 20.12.2023, 18 Ca 3954/23, PM 2/24
| Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch verpflichtet. Das Sozialrecht (hier: § 165 S. 3 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX)) sieht die grundsätzliche Einladungspflicht nur für öffentliche Arbeitgeber vor. Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist kein öffentlicher Arbeitgeber. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Schwerbehinderten nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen
Der schwerbehinderte Kläger hatte sich um eine Stelle in der Verwaltung eines Kirchenkreises der Evangelischen Kirche im Rheinland beworben. Trotz Offenlegung seiner Schwerbehinderung wurde er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Seine Bewerbung blieb erfolglos.
Lag Diskriminierung vor?
Nach Ansicht des Klägers wurde er im Auswahlverfahren wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Dies indiziere die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Hierzu sei der Kirchenkreis nach der o. g. Vorschrift verpflichtet gewesen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts gelte er als öffentlicher Arbeitgeber. Mit seiner Klage hat der Kläger deshalb die Zahlung einer Entschädigung verlangt. Der beklagte Kirchenkreis hat dies abgelehnt. Er sei kein öffentlicher Arbeitgeber. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Bundesarbeitsgericht spricht Klartext
Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung dargelegt.
Eine solche kann nicht aufgrund der unterbliebenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch vermutet werden. Hierzu war der beklagte Kirchenkreis nicht verpflichtet. Die Einladungspflicht besteht zwar u. a. für Körperschaften des öffentlichen Rechts. Dies betrifft aber nach dem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Begriffsverständnis nur Körperschaften, die staatliche Aufgaben wahrnehmen. Kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts dienen demgegenüber primär der Erfüllung kirchlicher Aufgaben. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts soll dabei die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgesellschaft unterstützen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Einladungspflicht auf kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts erstrecken wollte. Insoweit stehen sie den ebenfalls staatsfernen privaten Arbeitgebern gleich.
Quelle | BAG, Urteil vom 25.1.2024, 8 AZ R 318/22, PM 2/24
| Bereits im Juli 2023 hatte das Bundesfinanzministerium (BMF) einen Referentenentwurf für ein milliardenschweres Wachstumschancengesetz vorgelegt. Das Ziel: Eine Verabschiedung im Jahr 2023. Bekanntlich wurde daraus nichts. Vielmehr kam das Gesetzgebungsverfahren einem „Possenspiel“ gleich, das durch die Zustimmung des Bundesrats am 22.3.2024 und der Gesetzesverkündung am 27.3.2024 nun beendet ist. |
Das verabschiedete Gesetz enthält im Vergleich zum ursprünglichen Referenten- und Regierungsentwurf viele Änderungen. So wurde u. a. das Entlastungsvolumen reduziert und die Klimaschutz-Investitionsprämie gestrichen.
Zudem wurden zeitkritische Regelungen bereits Ende 2023 durch das Kreditzweitmarktförderungsgesetz umgesetzt, z. B. die Beseitigung von Unsicherheiten bei der Grunderwerbsteuer aufgrund des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts sowie Anpassungen bei der Zinsschrankenregelung.
Dennoch enthält das Gesetzespaket weiterhin zahlreiche Änderungen bzw. Neuregelungen, die im Folgenden auszugsweise vorgestellt werden:
Degressive Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter
Bei beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die nach dem 31.12.2019 und vor dem 1.1.2023 angeschafft oder hergestellt wurden, kann der Steuerpflichtige statt der linearen eine degressive Abschreibung von 25 % (höchstens das 2,5-Fache der linearen Abschreibung) wählen.
Die als Investitionsanreiz gedachte degressive Abschreibung wurde nun wieder eingeführt – und zwar erneut befristet für Anschaffungen oder Herstellungen nach dem 31.3.2024 und vor dem 1.1.2025. Der Abschreibungssatz wurde auf 20 % (höchstens das 2-Fache der linearen Abschreibung) reduziert.
E-Fahrzeuge/Firmenwagen
Die Besteuerung eines Firmenwagens (außerdienstliche Nutzung) kann reduziert werden, indem kein Verbrenner, sondern ein Elektrofahrzeug gewählt wird. Denn hier ist nur ein Viertel des Bruttolistenpreises anzusetzen, wenn der Höchstbetrag von 60.000 Euro eingehalten wird. Dieser wurde für nach dem 31.12.2023 angeschaffte Fahrzeuge auf 70.000 Euro erhöht.
Geschenkegrenze
Geschenke an Geschäftspartner und Kunden sind nur dann steuermindernde Betriebsausgaben, wenn eine Grenze eingehalten wird. Diese wurde für nach dem 31.12.2023 beginnende Wirtschaftsjahre von 35 Euro auf 50 Euro erhöht.
Verlustvortrag
Nach der Regelung des § 10 d Abs. 2 EStG ist ein Verlustvortrag bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1 Mio. Euro (bei Zusammenveranlagung: 2 Mio. Euro) unbeschränkt, darüber hinaus bis zu 60 % des 1 Mio. bzw. 2 Mio. Euro übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte möglich. Ab dem Veranlagungszeitraum 2024 gelten anstelle der 60 % dann 70 % (ab 2028 sind wieder 60 % relevant).
Thesaurierungsbegünstigung
Für bilanzierende Einzel- und Personenunternehmen sieht § 34 a EStG eine steuerliche Begünstigung für nicht entnommene Gewinne vor, die (langfristig) im Unternehmen verbleiben sollen. Da von dieser Begünstigung (nicht zuletzt infolge der Komplexität) bis dato eher selten Gebrauch gemacht wurde, hat der Gesetzgeber § 34 a EStG mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2024 „reformiert“. Ob die Änderungen zu einer höheren „Nachfrage“ bzw. Nutzung führen, bleibt aber abzuwarten.
Option zur Körperschaftsbesteuerung
Nach § 1 a des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) können Personenhandels- und Partnerschaftsgesellschaften im ertragsteuerlichen Bereich wie Körperschaften behandelt werden. Durch einige Änderungen (z. B. können nun auch eingetragene GbRs optieren) soll die Option attraktiver werden.
Elektronische Rechnung
Im Bereich der Umsatzsteuer stellt die Einführung der obligatorischen elektronischen Rechnung für Umsätze zwischen inländischen Unternehmen (B2B) sicherlich die relevanteste Änderung dar.
Die Neuregelung tritt bereits am 1.1.2025 in Kraft. Da die Umsetzung aber einige Zeit beanspruchen wird, können nach den Vorgaben des § 27 Umsatzsteuergesetz (UStG) Übergangsregelungen genutzt werden. Der allgemeine Übergangszeitraum beträgt zwei Jahre (Pflicht somit ab 2027); drei Jahre gelten für Unternehmer mit einem Gesamtumsatz von bis zu 800.000 Euro im Jahr 2026.
Bürokratieabbau bei der Umsatzsteuer
Unter gewissen Voraussetzungen kann die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten (Ist-Besteuerung) berechnet werden, was einen Liquiditätsvorteil ermöglicht. Die relevante Vorjahresumsatzgrenze wurde von 600.000 Euro auf 800.000 Euro erhöht (gilt ab dem Besteuerungszeitraum 2024).
Die Grenze, ab der Unternehmer von der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung befreit werden können, wurde angehoben – und zwar von 1.000 Euro auf 2.000 Euro (gilt ab dem Besteuerungszeitraum 2025).
Grundsätzlich sind Kleinunternehmer (§ 19 UStG) von der Abgabe einer Umsatzsteuererklärung (Nullmeldung) ab dem Besteuerungszeitraum 2024 befreit.
Anhebung von Buchführungsgrenzen
Überschreiten gewerbliche Unternehmer gewisse Buchführungsgrenzen, können sie ihren Gewinn nicht mehr mittels Einnahmen-Überschussrechnung ermitteln, sondern sind zur Bilanzierung verpflichtet. Die in § 141 der Abgabenordnung geregelten Grenzen wurden von 600.000 Euro auf 800.000 Euro (Umsatz) und von 60.000 Euro auf 80.000 Euro (Gewinn) erhöht. Dies gilt für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2023 beginnen (mit Übergangsregelung).
Auch die Buchführungsgrenzen in § 241 a Handelsgesetzbuch (HGB) wurden auf 800.000 Euro (Umsatzerlöse) bzw. 80.000 Euro (Jahresüberschuss) erhöht.
Quelle | Wachstumschancengesetz, BGBl I 2024, Nr. 108
| Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat entschieden: Die von der Stadt Fulda verfügte Schließung von ohne Personal betriebenen Verkaufsmodulen an Sonn- und Feiertagen hat Bestand. |
Das war geschehen
Die Antragstellerin und Inhaberin einer Supermarktkette betreibt im Gebiet der Stadt Fulda Verkaufsmodule, die an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr geöffnet sind und zu denen die Kunden nach einer digitalen Kontrolle Zugang erhalten. Angeboten werden dort Waren des täglichen Bedarfs, die digital bezahlt werden. An Sonn- und Feiertagen wird in diesen Verkaufsmodulen kein Personal eingesetzt.
Die Stadt Fulda hatte gegenüber der Antragstellerin mit sofortiger Wirkung verfügt, die im Stadtgebiet aufgestellten Verkaufsmodule insbesondere an Sonn- und Feiertagen zu schließen. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit einem gerichtlichen Eilantrag, den das Verwaltungsgericht (VG) Kassel ablehnte.
So sieht es der Verwaltungsgerichtshof
Der VGH hat die Entscheidung des VG bestätigt und sich hierbei maßgebend auf die Bestimmungen des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes gestützt. Nach § 3 Abs. 2 dieses Gesetzes müssen Verkaufsstellen unter anderem an Sonn- und Feiertagen für den geschäftlichen Verkehr mit Kundinnen und Kunden geschlossen sein. Verkaufsstellen sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes Ladengeschäfte aller Art, falls in ihnen von einer festen Stelle aus ständig Waren zum Verkauf an jedermann „feilgehalten“ werden.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat der VGH im Wesentlichen ausgeführt, das VG sei zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständlichen Verkaufsmodule Verkaufsstellen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes seien. Das „Feilhalten“ von Waren im Sinne dieser Vorschrift setze nach der gesetzlichen Definition dieses Begriffs keinen persönlichen Kontakt mit einem Verkäufer voraus. Es mache für das „Feilhalten“ von Waren keinen Unterschied, ob der Kunde die begehrte Ware aus einem Automaten oder aus einem Verkaufsregal bzw. von einem Verkaufstisch an sich nehme; der Verkaufsvorgang setze in beiden Fällen ein aktives Handeln des Kunden voraus, dem nicht zwangsläufig ein aktives Tun des Verkäufers gegenüberstehe. Richtig sei zwar das von der Antragstellerin vorgetragene Argument, dass bei einem Verzicht auf den Einsatz von Verkaufspersonal das dem Ladenschlussrecht zugrunde liegende Ziel des Arbeitnehmerschutzes erreicht werde.
Das Hessische Ladenöffnungsgesetz diene allerdings nicht allein dem Arbeitnehmerschutz, sondern auch dem Ziel, die Sonntage und staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erholung zu schützen. Es bestehe auch keine Vergleichbarkeit zwischen dem Einkauf in den streitgegenständlichen Verkaufsmodulen und den auch sonn- und feiertags durchgängig möglichen Onlinebestellungen. Insbesondere habe der Onlinebestellvorgang keinerlei Außenwirkungen und sei daher nicht geeignet, die Sonn- und Feiertagsruhe der übrigen Bevölkerung zu beeinträchtigen.
Der Beschluss ist im verwaltungsgerichtlichen Instanzenzug nicht anfechtbar.
Quelle | VGH Kassel, Beschluss vom 22.12.2023, 8 B 77/22, PM 1/24
| Mehraufwendungen für einen behindertengerechten Um- oder Neubau eines Hauses oder einer Wohnung sind grundsätzlich als außergewöhnliche Belastung abziehbar. Dies gilt auch für eine dadurch ausgelöste Mieterhöhung. Aber: Ein Abzug ist nur zulässig, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Das hat das Finanzgericht (FG) München entschieden. |
Im Streitfall des FG München ging es um die umbaubedingte Erhöhung einer jährlichen Miete, die durch die Errichtung eines behindertengerechten Verbindungsbaus mit Pflegebad zwischen zwei Einfamilienhäusern veranlasst war.
Der Höhe nach hat das FG eine Begrenzung der Abzugsfähigkeit der Aufwendungen gesehen – und zwar im Hinblick darauf, dass es zu den durchgeführten Umbaumaßnahmen eine kostengünstigere Alternative gegeben hätte, die der Behinderung in gleicher Weise Rechnung getragen hätte.
Beachten Sie | Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Revision zugelassen. Er kann nun klären, ob dem Steuerpflichtigen bei der Beurteilung, ob Aufwendungen notwendig und angemessen sind, ein Ermessensspielraum einzuräumen ist. Bis dahin können geeignete Fälle durch einen Einspruch offengehalten werden.
Quelle | FG München, Urteil vom 27.10.2022, 10 K 3292/18, Rev. BFH: VI R 15/23
| Das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg musste jüngst über einen „Wohn-Riester-Fall“ entscheiden. Hierbei ging es um einen Ehemann, der von seiner verstorbenen Frau deren Wohnung und den Darlehensvertrag geerbt hatte. Das Darlehen wollte er tilgen. Deshalb begehrte er, die Entnahme von gefördertem Kapital zur wohnungswirtschaftlichen Verwendung aus einem Altersvorsorgevermögen (gemäß § 92 b Abs. 1 S. 3 Einkommensteuergesetz [EStG]) zu bewilligen. Soviel vorab: Die Entscheidung ging zugunsten des Steuerpflichtigen aus. |
Hintergrund: Durch die sogenannte Riester-Rente sollen mögliche Versorgungslücken im Alter zumindest teilweise aufgefangen werden. Dies geschieht durch den Aufbau einer kapitalgedeckten Versorgung.
Staatlich gefördert wird aber auch der „Wohn-Riester“, eine Variante des Bausparens, bei der Anleger aus dem Vertrag Kapital für den Kauf oder Bau einer Wohnung erhalten. Sie können den „Wohn-Riester“ aber auch nutzen, um ein Immobilien-Darlehen abzutragen.
Das war geschehen
Ein Ehemann erbte als Alleinerbe von seiner Ehefrau eine durch die Ehefrau errichtete und mit dieser gemeinsam bewohnte Wohnung sowie das durch die Ehefrau zur Finanzierung der Wohnung aufgenommene Darlehen. Zur Tilgung des Darlehens begehrte der Ehemann die Bewilligung der Entnahme von gefördertem Kapital zur wohnungswirtschaftlichen Verwendung aus einem Altersvorsorgevermögen.
Ehemann hatte die Wohnung nicht angeschafft, sondern geerbt
Dies wurde ihm allerdings versagt und zwar mit folgender Begründung: Ein nach dem EStG (§ 92 a Abs. 1 S. 1 Nr. 1) für die wohnungswirtschaftliche Verwendung erforderlicher entgeltlicher Anschaffungsvorgang liege in der Person des Ehemanns nicht vor, da er die Wohnung unentgeltlich im Wege der Erbfolge erworben habe. Dies sah der Ehemann aber anders und klagte. Eine gute Entscheidung, denn das FG Berlin-Brandenburg schloss sich seiner Ansicht an.
Ehemann übernahm Tilgung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge
Die Übernahme eines Darlehens als Nachlassverbindlichkeit begründet zwar keine entgeltliche Anschaffung der finanzierten Wohnung durch den Erben. Allerdings ist die Tilgungsvariante gemäß EStG so auszulegen, dass diese auch in Fällen gilt, in denen ein Erbe ein zur Anschaffung oder Herstellung begünstigten Wohnraums aufgenommenes Darlehen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übernimmt.
Der Wortlaut des o. g. Paragrafen im EStG verlangt zwar die Verwendung des Altersvorsorge-Eigenheimbetrags zur Tilgung eines zu diesem Zweck (also zur Anschaffung oder Herstellung) aufgenommenen Darlehens. Jedoch tritt der Gesamtrechtsnachfolger in die Rechtsstellung des Erblassers dergestalt ein, dass ihm die Anschaffung bzw. Herstellung durch den Erblasser zuzurechnen ist.
Mithin besteht eine ununterbrochene Kausalität zwischen der Tilgung des Darlehens und dem ursprünglich für die Anschaffung oder Herstellung aufgewandten Darlehen.
Bundesfinanzhof muss entscheiden
Die Deutsche Rentenversicherung Bund Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen gibt sich mit dem Urteil nicht zufrieden und hat Revision beim Bundesfinanzhof (BFH) eingelegt.
Quelle | FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.12.2023, 15 K 15045/23, Rev. BFH: X R 2/24
| Beim Berliner Testament setzen sich Ehegatten für den ersten Erbfall gegenseitig als Alleinerben ein und bestimmen die Kinder als Schlusserben (z. B. zu gleichen Teilen). Ziel ist die gerechte Verteilung des Nachlasses zwischen den Kindern, aber zunächst die Versorgung des überlebenden Ehegatten. Die Kinder können das Konstrukt jedoch dadurch aus den Angeln heben, dass sie beim Tod des Erstversterbenden ihre Pflichtteilsansprüche geltend machen. Um dies zu verhindern, kann eine Strafklausel aufgenommen werden, z. B. die sog. Jastrowsche Klausel. Über einen solchen Fall musste nun der Bundesfinanzhof (BFH) entscheiden. Das Urteil zeigt, dass derartige Regelungen zumindest aus erbschaftsteuerlicher Sicht nachteilig sein können. |
Das war geschehen
Die Eltern der Klägerin setzten sich gegenseitig als Alleinerben ein, wobei der überlebende Ehegatte über den Nachlass und sein eigenes Vermögen frei verfügen konnte. Als Erben des überlebenden Ehegatten setzten die Eheleute die Klägerin und drei ihrer Schwestern ein. Ein Bruder und eine weitere Schwester wurden enterbt.
Zudem enthielt das Berliner Testament eine Jastrowsche Klausel. Diese regelte, dass für den Fall, dass eines der Kinder nach dem Tod des zuerst sterbenden Elternteils den Pflichtteil verlangt, dieses Kind auch vom Nachlass des zuletzt sterbenden Elternteils nur den Pflichtteil erhalten soll. Diejenigen Erben, die den Pflichtteil beim Tod des Erstverstorbenen nicht fordern, sollten bei Tod des länger lebenden Ehegatten aus dem Nachlass des Erstverstorbenen ein erst beim Tod des länger lebenden Ehegatten fälliges Vermächtnis in Höhe des Pflichtteils erhalten.
Geschwister machten Pflichtteil geltend
Die enterbten Geschwister der Klägerin machten nach dem Tod des erstverstorbenen Vaters ihren Pflichtteil geltend. Die Klägerin erwarb daher beim Tod des Vaters ein entsprechendes Vermächtnis, das mit dem Tod der Mutter fällig wurde.
Nachdem auch die Mutter verstorben war, setzte das Finanzamt gegenüber der Klägerin Erbschaftsteuer für den Erwerb nach der Mutter fest. Das Vermächtnis rechnete es weder dem Erwerb hinzu noch wurde es als Nachlassverbindlichkeit abgezogen. Die Klägerin war hingegen der Ansicht, das Vermächtnis sei bei ihr doppelt hinzugerechnet worden und deshalb als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig. Dies sah der BFH aber anders.
Vermächtnis nach Tod des Vaters entstanden, aber erst nach dem Tod der Mutter fällig
Der Wert des Vermächtnisses wurde zunächst einmal besteuert, nämlich nach dem Tod des Vaters bei der Mutter als dessen Alleinerbin. Da das Vermächtnis zwar damals bereits entstanden war, aber erst bei dem Tod der Mutter fällig wurde, ging der Nachlass des Vaters ungeschmälert (einschließlich des Vermögens, aus dem das Vermächtnis zu erfüllen war) auf die Mutter über. Die Mutter konnte die Vermächtnisverbindlichkeit bei ihrem Erbe nicht abziehen, weil sie diese Schuld mangels Fälligkeit nicht zu begleichen hatte.
Nach dem Tod der Mutter musste die Klägerin das jetzt fällig gewordene Vermächtnis versteuern.
Als Schlusserbin unterlag bei ihr außerdem der Nachlass nach der Mutter der Erbschaftsteuer. Dort konnte sie die dann fällig gewordene Vermächtnisverbindlichkeit als Nachlassverbindlichkeit abziehen. Das Vermächtnis unterlag bei der Klägerin daher nur einmal der Besteuerung.
Dass hinsichtlich des betagten Vermächtnisses im Ergebnis zweimal Erbschaftsteuer entsteht – einmal (ohne Abzugsmöglichkeit als Nachlassverbindlichkeit) bei der Mutter nach dem Tod des Vaters und ein weiteres Mal bei der Klägerin nach dem Tod der Mutter – ist zwar ungünstig, aus rechtlicher Sicht aber nicht zu beanstanden. Es liegt, so der BFH, an der Jastrowschen Klausel, die das Vermächtnis zwar bei Tod des Erstverstorbenen anfallen, aber erst bei Tod des länger lebenden Ehegatten fällig werden lässt.
Beachten Sie | Wer also ein Berliner Testament aufsetzen möchte, sollte nicht nur die zivilrechtlichen Aspekte, sondern auch die erbschaftsteuerlichen Folgen bedenken.
Quelle | BFH-Urteil vom 11.10.2023, II R 34/20, PM 11/24 vom 27.2.2024
| Das Landgericht (LG) Frankenthal hat die gegen eine Gemeinde gerichtete Schadenersatzklage eines Rennradfahrers abgewiesen, der auf einem Radweg aufgrund von Wurzelschäden gestürzt war. Ein Radfahrer müsse seine Fahrweise so einrichten, dass er sichtbare Hindernisse auf einem Radweg rechtzeitig wahrnehmen und vor ihnen anhalten kann, so das LG. |
Grundsätze der Verkehrssicherungspflicht
Grundsätzlich muss der, der eine Gefahrenquelle (z. B. eine aus dem Boden ragende Baumwurzel) schafft oder eine solche andauern lässt, notwendige und zumutbare Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer zu verhindern (sog. „Verkehrssicherungspflicht“). Er muss Gefahren ausräumen oder vor ihnen warnen.
Ausnahmen von der Verkehrssicherungspflicht
Dies gilt jedoch nur, soweit sie für andere trotz aufmerksamen Verhaltens im Straßenverkehr nicht erkennbar oder nicht beherrschbar sind. Die Anforderungen an die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht für einen Radweg bemessen sich an einem normalen Radfahrer mit einer üblichen Geschwindigkeit.
Rennradfahrer muss besonders vorsichtig sein
Ein Rennradfahrer muss von sich aus besonders vorsichtig fahren, da er mit seinen dünnen Reifen bei Unebenheiten im Boden besonders gefährdet ist. Vorliegend seien die Wurzelschäden nach Ansicht der Kammer gut und rechtzeitig erkennbar gewesen.
Wurzelschäden waren sichtbar
Das LG: Der Wegabschnitt habe auch an anderen Stellen Unebenheiten, wie Bodenschwellen, Risse oder eben Wurzelschäden aufgewiesen, sodass Schäden auch an der Unfallstelle nicht überraschend gewesen sein könnten. Ein konzentrierter Radfahrer hätte sein Fahrverhalten an die vorgefundenen Hindernisse anpassen können und müssen. Aufgrund der ausreichenden Erkennbarkeit der Wurzelschäden sei auch eine Warnung bspw. durch ein Hinweisschild nicht erforderlich gewesen.
Auch ein unter Umständen störendes Licht- und Schattenspiel auf dem Radweg wegen eines ungünstigen Sonnenstands, weswegen der Rennradfahrer das Hindernis nicht erkannt haben will, ändere daran nichts. Auf witterungsbedingte Umstände müsse sich ein Radfahrer einstellen und dementsprechend noch vorsichtiger fahren.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 31.8.2023, 3 O 71/22, PM vom 29.12.2023
| Eine Einbahnstraße darf nur in vorgeschriebener Fahrtrichtung befahren werden. Verboten ist auch das Rückwärtsfahren entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung. Lediglich (unmittelbares) Rückwärtseinparken („Rangieren“) ist – ebenso wie Rückwärtseinfahren aus einem Grundstück auf die Straße – kein unzulässiges Rückwärtsfahren auf Richtungsfahrbahnen gegen die Fahrtrichtung. So stellte es der BGH jetzt fest. |
Demgegenüber ist Rückwärtsfahren auch unzulässig, wenn es dazu dient, erst zu einer (freien oder frei werdenden) Parklücke zu gelangen. Entsprechendes gilt, wenn das Rückwärtsfahren dazu dient, einem Fahrzeug die Ausfahrt aus einer Parklücke zu ermöglichen, um anschließend selbst in diese einfahren zu können.
Der Unfall ereignete sich, als der eine Verkehrsteilnehmer rückwärts aus einer Grundstücksausfahrt in die Einbahnstraße einfuhr, während der andere unzulässig die Einbahnstraße rückwärts befuhr. Der Anscheinsbeweis, dass der, der rückwärts aus einer Grundstücksausfahrt fährt, seinen Sorgfaltspflichten nicht genügt habe, wenn es dabei zu einer Kollision kommt, ist nicht anzuwenden. Denn das verbotene Rückwärtsfahren des Unfallgegners hebt das „typische Geschehen“ auf, das für die Anwendung eines Anscheinsbeweis nötig ist. Der Ausfahrt-Ausfahrer muss grundsätzlich nicht mit einem verbotswidrig die Einbahnstraße rückwärts befahrenden Verkehrsteilnehmer rechnen.
Quelle | BGH, Urteil vom 10.10.2023, VI ZR 287/22
| Wird ein Schüler von einer Klassenfahrt ausgeschlossen, weil er dort unzulässigerweise Alkohol erworben hat, können Erziehungsberechtigte zu den Mehrkosten der verfrühten Rückreise heranzogen werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin entschieden. |
Im Juni 2022 fand eine Klassenfahrt einer 10. Klasse eines Gymnasiums nach München statt. Zuvor hatte sich die Beklagte, Mutter eines minderjährigen Schülers, schriftlich verpflichtet, die Kosten einschließlich etwaiger Zusatzkosten bei vorzeitiger Heimreise zu tragen. Während der Fahrt kauften insgesamt sieben Schüler, darunter der Sohn der Beklagten, zwei Wodkaflaschen, woraufhin sie von der Fahrt ausgeschlossen wurden. Die Beklagte zahlte die hierdurch entstandenen Mehrkosten von 143,60 Euro nicht, woraufhin das Land Berlin sie auf Zahlung verklagte.
Die Klage hatte Erfolg. Der Anspruch auf Kostenerstattung ergebe sich aus dem öffentlich-rechtlichen Vertrag, den die Beteiligten miteinander geschlossen hätten. Dieser Vertrag sei wirksam zustande gekommen. Der Ausschluss sei als Ordnungsmaßnahme nach dem Berliner Schulgesetz ergangen und von der Beklagten nicht angegriffen worden, wodurch die vereinbarte Kostenfolge entstanden sei. Die Forderung einschließlich der geltend gemachten Zinsen sei schließlich der Höhe nach nicht zu beanstanden.
Der Gerichtsbescheid ist rechtskräftig.
Quelle | VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 15.11.2023, VG 3 K191/23, PM 2/24
| Das Landgericht (LG) Frankenthal hat die Klage eines Fahrradbesitzers gegen seine Hausratversicherung wegen eines gestohlenen Fahrrads abgewiesen. Das teure Bike war nach seinen Angaben bei einem Einbruch in den Keller seiner Zweitwohnung entwendet worden. |
Das umfasst die Außenversicherung
Das LG hat klargestellt, dass eine Außenversicherung nur Gegenstände in Zweitwohnungen umfasst, die eigentlich in der Hauptwohnung ihren Platz haben und sich nur vorübergehend außerhalb des Hauptwohnsitzes befinden. Als Erweiterung des grundsätzlich an den Versicherungsort gebundenen Versicherungsschutzes sei es dagegen nicht ihr Sinn und Zweck, Gegenstände zu versichern, die üblicherweise in der Zweitwohnung aufbewahrt werden.
Kein versicherter Hausrat
Weil der Mann sein Fahrrad hauptsächlich im Keller der Zweitwohnung abgestellt hatte und nur in mehrwöchigen Urlaubszeiten mit nach Hause nahm, gehört es nicht zum versicherten Hausrat, der tatsächlich nur vorübergehend außerhalb der Hauptwohnung verbracht worden sei, so das LG. Der Radfahrer blieb deshalb auf dem gesamten Diebstahlschaden seines knapp 5.000 Euro teuren Fahrrads sitzen.
Hausratversicherung bestand nur für die Hauptwohnung
Die Hausratversicherung verweigerte nach Auffassung der Kammer zu Recht den Versicherungsschutz, weil der Radbesitzer die Versicherung nur für seine Hauptwohnung besaß. Außerhalb dieser Hauptwohnung befindliche Sachen waren lediglich über einen sog. „Außenversicherungsschutz“ abgedeckt. Eine gesonderte Hausratversicherung für die Zweitwohnung, ein möbliertes Appartement, in dem er sich üblicherweise werktags aufhielt, hatte der Biker nicht abgeschlossen.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 29.3.2023, 3 O 236/22, PM vom 29.11.2023
| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass die operative Therapie eines grauen Stars im Ausland nicht als Notfallbehandlung zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung qualifiziert werden kann. |
Linsenoperation in türkischer Privatklinik wegen grauem Star
Geklagt hatte eine türkischstämmige Frau (geb. 1965) aus Niedersachsen, die seit dem Jahr 2015 an einem beginnenden Katarakt (grauer Star) der Augen litt. Während eines Urlaubs in der Türkei im Jahr 2019 ließ sie an beiden Augen eine Linsenoperation in einer Privatklinik durchführen. Die entstandenen Kosten von rd. 1.600 Euro wollte die Frau von ihrer Krankenkasse erstattet haben.
Die gesetzliche Krankenkasse – und die private Auslandskrankenversicherung – lehnte eine Erstattung ab. Bei vorübergehenden Auslandsaufenthalten könnten nur Notfallbehandlungen übernommen werden. Ein grauer Star sei jedoch ein schleichender Prozess und kein Notfall.
Hiergegen klagte die Frau und schilderte, dass es in der Türkei mit den Augen so schlimm geworden sei, dass sie gestürzt sei. Ihr sei schwarz vor Augen geworden und sie sei in größter Sorge gewesen, das Augenlicht zu verlieren. Es habe sich um einen Notfall gehandelt. Obwohl sie schon länger an grauem Star erkrankt sei, könne ein „plötzlich bemerkter“ Sehverlust mit einem akuten Sehverlust verwechselt werden.
Gericht bestätigt Rechtsauffassung der Krankenkasse
Das LSG hat die Rechtsauffassung der Krankenkasse bestätigt. Der Anspruch scheitere schon deshalb, weil die Klägerin sich als Privatpatientin in einer Privatklinik habe behandeln lassen. Diesbezügliche Behandlungen seien vom Leistungsumfang generell nicht umfasst.
Keine Notfallbehandlung
Unabhängig davon habe bei der Klägerin kein medizinischer Zustand vorgelegen, der während des Türkei-Urlaubs an beiden Augen aufgetreten sei und einer sofortigen Behandlung bedurft hätte. Der behandelnde Augenarzt habe einen senilen Katarakt, d. h. eine Alterserkrankung diagnostiziert. Eine plötzliche Verschlechterung mit dringender Operationsindikation habe er ausgeschlossen. Ein grauer Star sei eine Alterserkrankung, die durch ein schleichendes Fortschreiten gekennzeichnet sei und nicht durch einen plötzlichen Sehverlust im Sinne eines Notfalls.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19.12.2023, L 16 KR 196/23, PM vom 8.1.2024
| Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat den für zwei große Hunde aus dem Landkreis Günzburg angeordneten Leinenzwang bestätigt. Begründet hat es den Leinenzwang u. a. damit, dass die Hunde nach Aussagen mehrerer Betroffener frei herumlaufen würden. Die vom Kläger gegen den Leinenzwang erhobenen Klagen hatte schon das Verwaltungsgericht (VG) Augsburg abgewiesen. Hiergegen stellte der Kläger beim BayVGH Anträge auf Zulassung der Berufung. |
Das war geschehen
Der Kläger ist Halter zweier Hunde. Mit Bescheiden aus dem Monat Februar 2023 hatte die Verwaltungsgemeinschaft als örtlich zuständige Sicherheitsbehörde für die beiden Hunde einen Leinenzwang angeordnet.
Der BayVGH hat die Anträge abgelehnt und die Urteile des VG bestätigt. Gründe, die eine Zulassung der Berufung rechtfertigen würden, lägen nach Ansicht des BayVGH nicht vor. Es bestünden insbesondere keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Urteile des VG.
Gefahr durch große Hunde
Der Einwand des Klägers, die Hunde seien ungefährlich, greife nicht durch. Nach ständiger Rechtsprechung des BayVGH gehe von freilaufenden großen Hunden auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr in der Regel eine konkrete Gefahr für Eigentum und Gesundheit Dritter aus. Der Leinenzwang sei deshalb bereits allein wegen der Größe der Hunde gerechtfertigt. Grund für die Unterscheidung nach der Größe sei, dass es bei großen unangeleinten Hunden in Wohngebieten regelmäßig mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu unvorhergesehenen Reaktionen von Menschen oder Hunden und damit zu erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit kommen könne. Der Feststellung, dass es sich hier um große Hunde mit einer Schulterhöhe von mindestens 50 Zentimetern handele, habe der Kläger nicht in Zweifel gezogen.
Es gab bereits einen Beißvorfall
Ein Einschreiten sei bei einem der Hunde auch deshalb geboten gewesen, weil es im November 2022 zu einem Beißvorfall gekommen sei. Bei beiden Hunden habe somit eine konkrete und nicht bloß abstrakte Gefahr für die Gesundheit Dritter vorgelegen.
Durch die Beschlüsse des BayVGH wurden die Urteile des VG rechtskräftig.
Quelle | BayVGH, Beschlüsse vom 22.1.2024, 10 ZB 23.1558 u. a., PM vom 30.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Hannover hat jetzt klargestellt: Eine Pauschalreise kann mangelhaft sein, wenn der Reiseveranstalter in einer Hotelanlage entweder nur wenige Poolliegen zur Verfügung stellt oder nicht einschreitet, wenn andere Reisegäste Poolliegen etwa mittels eines Handtuchs längere Zeit reservieren, ohne sie tatsächlich zu nutzen. |
Das war geschehen
Der Kläger buchte für sich und seine Familie eine Pauschalreise zum Preis von insgesamt 5.260 Euro. Das gebuchte Hotel verfügte über sechs Swimmingpools und etwa 500 Poolliegen. Nach den ausgeschilderten Verhaltensregeln war es den Badegästen untersagt, Poolliegen für mehr als 30 Minuten zu reservieren, ohne sie zu nutzen. Tatsächlich war es aber so, dass Badegäste Poolliegen auch länger mit ihren Handtüchern reservierten. Leitung und Personal des Hotels unternahmen nichts dagegen. Der Kläger und seine Familie hingegen hielten sich an die vorgegebenen Verhaltensregeln. Der Kläger rügte mehrfach, dass ihm und seiner Familie deswegen keine Liegen zur Verfügung gestanden hätten. Darin sah der Kläger einen Reisemangel und forderte von dem Reiseveranstalter (der Beklagten) u. a. einen Teil des Reisepreises (798,00 Euro) zurück.
Die Beklagte war der Auffassung, dass es sich um ein friedliches Wettrennen um die begehrten Plätze am Pool mit dem besseren Ende für den sprichwörtlichen „frühen Vogel“ gehandelt habe, nicht aber um einen Reisemangel. Möglicherweise hätten sich nur der Kläger und seine Familie an die Poolregeln gehalten, obwohl sie nicht mit Sanktionen hätten rechnen müssen, wenn der Kläger abends oder seine Lebensgefährtin morgens zum Sonnenaufgang sein Handtuch auf eine Liege gelegt hätte.
Amtsgericht: Pflicht des Reiseveranstalters
Das AG hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger einen Betrag von 322,77 Euro zugesprochen. Dabei hat es angenommen, dass der Reiseveranstalter nicht gehalten ist, jedem Hotelgast eine Liege zur Verfügung zu stellen. Vielmehr müsse die Anzahl der Liegen in einem angemessenen Verhältnis zur Auslastung des Hotels und damit zur Anzahl der Hotelgäste stehen. Stünden zwar genug Liegen zur Verfügung, seien diese für den Reisenden aber faktisch nicht nutzbar, weil andere Hotelgäste entgegen den Verhaltensregeln Poolliegen mit eigenen Handtüchern reservierten, ohne sie zu nutzen, sei der Reiseveranstalter zum Einschreiten verpflichtet.
Gäste mussten nichts selbst unternehmen – Reisepreisminderung von 15 Prozent
Es sei in diesem Zusammenhang auch nicht Sache des Reisenden, selbst für Abhilfe zu sorgen, indem er entweder fremde Handtücher eigenmächtig entferne oder seinerseits entgegen den Verhaltensregeln Liegen reserviere. Dies sei unzumutbar, da Streitigkeiten mit anderen Hotelgästen zu befürchten seien, auf die sich kein Reisender einlassen müsse.
Das Gericht gelangte zu der Überzeugung, dass es dem Kläger und seiner Familie mit Ausnahme des letzten Tages nicht möglich gewesen sei, nach dem Frühstück ab etwa 9.00 Uhr Poolliegen zu nutzen, weil diese entweder belegt, durch Handtücher anderer Badegäste „reserviert“ oder aber defekt gewesen seien. Es hat insoweit eine Reisepreisminderung von 15 Prozent des Tagesreisepreises der ab der erstmaligen Rüge des Klägers betroffenen Tage angenommen.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 20.12.2023, 553 C 5141/23, PM vom 4.1.2023
| Das LG Berlin II hat der Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil des Amtsgerichts (AG) Berlin-Mitte teilweise stattgegeben. Dieses hatte eine von der Vermieterin erhobene Räumungsklage mit der Begründung abgewiesen, die von der Vermieterin ausgesprochene Eigenbedarfskündigung sei formunwirksam. Das LG hat die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Vermieterin – anders als zuvor das AG – zwar für wirksam erachtet, jedoch zugleich die Fortsetzung des Mietverhältnisses für die Dauer von zwei Jahren angeordnet. |
Zweijährige Verlängerung der Mietdauer
Die angeordnete Fortsetzung des Mietverhältnisses für die Dauer von zwei Jahren begründete das LG damit, dass es den beklagten Mietern in dem vorliegenden Fall nicht möglich gewesen sei, angemessenen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen zu beschaffen. Demzufolge können Mieter unter Berufung auf die sog. Sozialklausel des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 574 Abs. 1 und 2 BGB) nach Abwägung mit den Vermieterinteressen unter gewissen Voraussetzungen die Fortsetzung ihres Mietverhältnisses verlangen, auch wenn die zuvor ausgesprochene Kündigung wirksam ist.
Mieter fanden keinen Ersatzwohnraum in Berlin
Das LG hat darauf abgestellt, dass sich die Mieter nach Ausspruch der Eigenbedarfskündigung über einen Zeitraum von fast zwei Jahren auf eine Vielzahl von Wohnungen im gesamten Berliner Stadtgebiet beworben haben, jedoch aufgrund der angespannten Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt sowie des nur noch geringen Angebotes freier Wohnungen mit ihren Bewerbungen keinen Erfolg hatten. Zudem hat das LG bei seiner Entscheidung berücksichtigt, dass auch über das sog. Geschützte Marktsegment (GMS) in absehbarer Zeit kein freier Alternativwohnraum in Berlin für die Mieter zur Verfügung stand.
Schließlich hat das LG auch den Umstand, dass das gesamte Stadtgebiet von Berlin durch eine Mietenbegrenzungsverordnung (MietBegrV Bln) als Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt ausgewiesen ist, als weiteren Beleg für die Richtigkeit des Mietervortrags gewertet und außerdem berücksichtigt, dass der von der Vermieterin geltend gemachte Eigenbedarf nicht besonders dringlich war.
Landgericht: Vertragsbedingungen angepasst und Miete angehoben
Das LG hat bei seiner Entscheidung die bisherigen Vertragsbedingungen von Amts wegen geändert und neben der Anordnung der befristeten Fortdauer des Mietverhältnisses auch die von den Mietern bisher geschuldete Nettokaltmiete auf ein marktübliches Niveau angehoben.
Quelle | LG Berlin II, Urteil vom 25.1.2024, 67 S 264/22, PM 5/24
| Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat entschieden: Ein (notarielles) Testament kann sittenwidrig sein, wenn eine Berufsbetreuerin ihre gerichtlich verliehene Stellung und ihren Einfluss auf einen älteren, kranken und alleinstehenden Erblasser dazu benutzt, gezielt auf den leicht beeinflussbaren Erblasser einzuwirken und ihn dazu zu bewegen, vor einem von ihr herangezogenen Notar in ihrem Sinne letztwillig zu verfügen. |
Das war geschehen
Eine 92 Jahre alte Frau, deren einzige noch lebende Angehörige ihre Tochter war, befand sich wegen ihres Gesundheitszustands ab Anfang September 2022 im Krankenhaus. In den letzten Tagen vor dem Tod ihrer Tochter, die sich zuvor um die Angelegenheiten der Mutter gekümmert hatte, teilten die beiden das Krankenzimmer. Zwei Tage nach dem Tod der Tochter – noch im September 2022 – bestellte das Amtsgericht (AG) für die Frau während des Krankenhausaufenthalts eine Berufsbetreuerin.
Anfang Oktober 2022 erfolgte mit Notarztbegleitung die Einweisung in ein anderes Krankenhaus. Nur kurz war die Frau zwischen den beiden Krankenhausaufenthalten in einer Pflegeeinrichtung untergebracht. Während des zweiten Krankenhausaufenthalts beauftragte die Berufsbetreuerin einen Notar mit der Erstellung eines notariellen Testaments für die Frau. Im Krankenhaus beurkundete der Notar ein Testament der Frau, mit dem sie die Berufsbetreuerin zur Alleinerbin einsetzte. Den Wert des Vermögens gab sie mit 350.000 Euro an. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus – Mitte Oktober 2022 – nahm die Berufsbetreuerin die Frau bei sich zu Hause auf. Vier Tage danach starb die Frau dort eines natürlichen Todes.
Verstoß gegen die guten Sitten
§ 138 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) lautet: Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. Das OLG ist hier davon ausgegangen, dass das notarielle Testament sittenwidrig und damit nichtig ist und die Berufsbetreuerin deshalb hieraus für sich keine Rechte herleiten und insbesondere keinen Erbschein ausgestellt erhalten kann.
Das OLG: Ein notarielles Testament zugunsten einer Berufsbetreuerin kann sittenwidrig sein. Hier sei dies aufgrund des hohen Alters der Erblasserin, ihrer schlechten gesundheitlichen Verfassung, ihrem Gemütszustand nach dem Tod ihrer Tochter, den Umständen im Zusammenhang mit der notariellen Beurkundung sowie dem engen zeitlichen Ablauf zwischen Einrichtung der Betreuung und der Testierung der Fall.
Der Beschluss ist rechtskräftig.
Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 9.1.2024, 6 W 175/23, PM vom 25.1.2024
| Öffnungen in Brandwänden sind unzulässig und deshalb auf Aufforderung der Bauaufsichtsbehörde auch zu verschließen, wenn der angrenzende Nachbar sich mit diesen einverstanden erklärt hat und die Behörde erst nach längerer Zeit gegen den baurechtswidrigen Zustand vorgeht. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Mainz. |
Nachbar stimmte Einbau von Fenstern zu
Das Wohngebäude der klagenden Grundstückseigentümer steht auf der Grenze zum Nachbargrundstück. Die grenzständige Brandwand des Gebäudes wies zunächst an zwei Stellen Glasbauflächen auf. Im Jahr 2009 wurde eine Glasbaufläche durch ein öffenbares Fenster ersetzt, einige Jahre später kam es an der zweiten Stelle zu einem Fenstereinbau. Daraufhin gab der Beklagte, die Bauaufsichtsbehörde, den Klägern auf, die Fenster zu beseitigen und die dabei entstehenden Öffnungen feuerbeständig zu verschließen. Die Kläger wandten sich gegen die Anordnung und machten geltend, der unmittelbar angrenzende Grundstücksnachbar habe schriftlich erklärt, mit den Fenstern einverstanden zu sein. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid im Wesentlichen zurückgewiesen, verlangte aber nur noch einen hochfeuerhemmenden Abschluss der Brandwand. Die Kläger verfolgten die Aufhebung der Anordnung mit einer Klage weiter. Sie führten zusätzlich an, infolge der Zustimmung des Nachbarn und des jahrelangen Nichteinschreitens der Bauaufsichtsbehörde sei bei ihnen ein Vertrauenstatbestand entstanden, der eine baubehördliche Anordnung ausschließe. Das VG wies die Klage ab.
Brandwände: Öffnungen unzulässig
In Brandwänden seien Öffnungen von Gesetzes wegen unzulässig. Von der gesetzlichen Vorgabe dürfe nur ausnahmsweise unter Beachtung des öffentlichen Interesses des Schutzes der Allgemeinheit vor Brandgefahr und des Bauinteresses des Bauherrn abgewichen werden. Das Einverständnis eines Nachbarn zur Abweichung von dem Öffnungsverbot allein mindere das allgemeine Brandschutzbedürfnis nicht, zumal wenn – wie hier – ein weiterer Nachbar durch die betreffende Brandschutzwand gesetzlich geschützt werde, dieser der Baumaßnahme aber nicht zugestimmt habe.
Der Beklagte habe seine Befugnis zum Einschreiten gegen den baurechtswidrigen Zustand auch nicht verwirkt, weil er trotz dessen Kenntnis über längere Zeit hinweg nicht eingeschritten sei. Eingriffsbefugnisse auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr unterlägen nicht der Verwirkung durch die Verwaltung. Die bloße Untätigkeit der Bauaufsichtsbehörde könne auch kein Vertrauen beim Bauherrn begründen, dass die Behörde nicht mehr gegen die rechtswidrige Baumaßnahme vorgehen werde. Die Kläger könnten sich deshalb auch nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen, weil sie eigenmächtig die Glasbausteine durch Fenster ersetzt hätten, ohne zuvor den notwendigen Bauantrag gestellt oder die Baubehörde sonst einbezogen zu haben.
Quelle | VG Mainz, Urteil vom 6.12.2023, 3 K 39/23.MZ, PM 1/24
| Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken hat entschieden: Ein Bauunternehmen kann die zu einem Festpreis vereinbarte Errichtung eines Massivhauses nicht unter Verweis auf unvorhersehbare Materialpreissteigerungen verweigern, wenn es eine Formularklausel in den Bauvertrag eingebracht hat, die ihm eine unbegrenzte einseitige Anpassung der Vergütung ermöglicht. |
Bauvertrag des Bauunternehmens unterzeichnet
Das klagende Ehepaar und das beklagte Bauunternehmen schlossen im Dezember 2020 einen Vertrag, in dem sich das Unternehmen dazu verpflichtete, auf dem Grundstück der Kläger ein Massivhaus zu einem Pauschalpreis von rund 300.000 Euro zu errichten. Hierzu verwendeten die Parteien ein Vertragsmuster des Unternehmens, in dem es heißt, dass beide Seiten bis zum Ablauf eines Jahres ab Vertragsunterzeichnung an den vereinbarten Preis gebunden seien, wenn innerhalb von drei Monaten nach Vertragsschluss mit den Bauarbeiten begonnen werde. Unter Verweis auf diese Bestimmung teilte das Unternehmen den Eheleuten im Juni 2021 mit, dass sich der vereinbarte Preis um etwa 50.000 Euro erhöhe. Es begründete den Schritt mit außerordentlichen und nicht vorhersehbaren Preissteigerungen beim Baumaterial.
Bauherren akzeptierten Preiserhöhung nicht
Das Ehepaar akzeptierte die Preiserhöhung nicht und forderte das Unternehmen seinerseits auf, mit den Bauarbeiten zu beginnen. Auf die Weigerung des Unternehmens erklärten die Eheleute die Vertragskündigung und beauftragten ein anderes Bauunternehmen mit der Errichtung eines Massivhauses zu einem höheren als dem mit der Beklagten vereinbarten Festpreis.
Wer trägt Mehrkosten?
Mit ihrer Klage haben die Eheleute verlangt, festzustellen, dass das beklagte Bauunternehmen verpflichtet ist, ihnen Mehrkosten bei der Errichtung des Hauses zu ersetzen, die deshalb entstehen, weil das Unternehmen sich geweigert hat, den Vertrag zum vereinbarten Preis zu erfüllen.
So entschieden die gerichtlichen Instanzen
Das Landgericht (LG) hat der Klage stattgegeben. Hiergegen hat das Bauunternehmen Berufung eingelegt. Es hat im Wesentlichen geltend gemacht, dass eine Errichtung des Hauses zum ursprünglich vereinbarten Preis existenzbedrohend und ihm daher nicht zumutbar gewesen sei.
Das OLG hat das Bauunternehmen auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung hingewiesen, woraufhin es sein Rechtsmittel zurückgenommen hat. Zur Begründung hat das OLG ausgeführt, dass den Eheleuten der geltend gemachte Ersatz zustehe. Die Weigerung des Unternehmens, zum vereinbarten Preis zu erfüllen, habe sie zur Vertragskündigung und zur Beauftragung eines anderen Unternehmens veranlasst. Hierauf zurückzuführende Mehrkosten des Baus müsse das Unternehmen ersetzen.
Bauunternehmen schuldete den Hausbau zum Festpreis
Das Bauunternehmen habe den Bau des Hauses zum vereinbarten Festpreis geschuldet. Die Preisanpassungsklausel im Vertrag sei unwirksam gewesen. Sie benachteilige die Kunden des Unternehmens unangemessen, wenn es die vereinbarte Vergütung durch die Festlegung der Listenpreise ohne Begrenzung einseitig anheben könne. Die Kunden könnten der Bestimmung bei Vertragsschluss nicht entnehmen, mit Preissteigerungen welchen Umfangs sie zu rechnen hätten.
Bauunternehmen hatte Risikoabsicherung in der Hand
Gerade Besteller eines Neubaus seien darauf aber in besonderem Maße angewiesen. Häufig sei die Finanzierung auf den Festpreis ausgerichtet, sodass schon vermeintlich geringfügige Änderungen die Kunden an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bringen könnten. Das Unternehmen habe die Vertragserfüllung zum vereinbarten Preis auch nicht verweigern dürfen, weil sich die Vertragsgrundlage aufgrund unvorhersehbarer Materialpreissteigerungen geändert habe, denn es habe bei Vertragsschluss die Möglichkeit gehabt, sich mit einer Bestimmung gegen dieses Risiko abzusichern, die auch den Interessen seiner Kunden Rechnung getragen hätte.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 13.7.2023, 5 U 188/22, PM vom 15.2.2024
| Nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) haben Betriebsräte Anspruch auf für die Betriebsratsarbeit erforderlichen Schulungen, deren Kosten der Arbeitgeber tragen muss. Davon können Übernachtungs- und Verpflegungskosten für ein auswärtiges Präsenzseminar auch dann erfasst sein, wenn derselbe Schulungsträger ein inhaltsgleiches Webinar anbietet. So entschied es das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Arbeitgeberin verweigerte Erstattung von Übernachtungs- und Verpflegungskosten
Bei der Arbeitgeberin – einer Fluggesellschaft – ist durch Tarifvertrag eine Personalvertretung (PV) errichtet, deren Schulungsanspruch sich nach dem BetrVG richtet. Die PV entsandte zwei ihrer Mitglieder zu einer mehrtägigen betriebsverfassungsrechtlichen Grundlagenschulung Ende August 2021 in Potsdam. Hierfür zahlte die Arbeitgeberin die Seminargebühr, verweigerte aber die Übernahme der Übernachtungs- und Verpflegungskosten.
Dies begründete sie vor allem damit, die Mitglieder der PV hätten an einem zeit- und inhaltsgleich angebotenen mehrtägigen Webinar desselben Schulungsanbieters teilnehmen können. In dem von der PV eingeleiteten Verfahren hat diese geltend gemacht, dass die Arbeitgeberin auch die Übernachtungs- und Verpflegungskosten tragen muss. Hierzu haben die Vorinstanzen die Arbeitgeberin verpflichtet.
Bundesarbeitsgericht: Betriebsrat hat Spielraum
Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Ebenso wie ein Betriebsrat hat die PV bei der Beurteilung, zu welchen Schulungen sie ihre Mitglieder entsendet, einen gewissen Spielraum. Dieser umfasst grundsätzlich auch das Schulungsformat. Dem steht nicht von vornherein entgegen, dass bei einem Präsenzseminar im Hinblick auf die Übernachtung und Verpflegung der Schulungsteilnehmer regelmäßig höhere Kosten anfallen als bei einem Webinar.
Quelle | BAG, Beschluss vom 7.2.2024, 7 ABR 8/23, PM 5/24
| Wer mit einem äußerst scharfen Filetiermesser hantiert, muss besonders sorgfältig agieren, um Verletzungen von Kollegen auszuschließen. Nicht jeder Fehlgebrauch rechtfertigt aber eine Kündigung ohne vorherige einschlägige Abmahnung. Dies hat – wie bereits zuvor das Arbeitsgericht (ArbG) Lübeck – auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein entschieden. |
Kollegin Messer an den Hals gehalten
Der 29-jährige Kläger ist bei der Beklagten seit Juni 2019 als Industriemechaniker beschäftigt. Am 1.6.2022 arbeitete er mit einer Mitarbeiterin und einem Mitarbeiter an einem Probierstand. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger der Mitarbeiterin ein Filetiermesser mit einer Klingenlänge von 20 cm mit einem Abstand von 10 bis 20 cm an den Hals hielt und damit deren Leib und Leben bedrohte. Die Beklagte kündigte dem Kläger daraufhin am 14.7.2022 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.10.2022.
Kündigungsschutzklage erfolgreich
Die Kündigungsschutzklage des Klägers war in zwei Instanzen erfolgreich. Sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung waren unwirksam. Es fehlte an einem hinreichenden Kündigungsgrund. Zwar kommt eine ernstliche Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben u. a. von Arbeitskollegen als „an sich“ wichtiger Grund für eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung in Betracht. Dies setzt aber voraus, dass der Arbeitnehmer mit dem Willen handelt, dass der Kollege die Drohung zur Kenntnis nimmt und als ernst gemeint auffasst.
Vorsatz war nicht nachzuweisen
Selbst den Vortrag der Beklagten als zutreffend unterstellt, konnte jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts auf einen bedingten Vorsatz beim Kläger geschlossen werden. Vielmehr war es auch möglich, dass der Kläger das Messer schlicht in der rechten Hand haltend sich mit dem Oberkörper zur Mitarbeiterin gedreht hat und bei dieser Drehbewegung dessen rechte Hand mit dem Messer nahe an deren Hals gelangt ist.
Verhältnismäßigkeit muss gewahrt werden
Die Kündigungen konnten auch nicht darauf gestützt werden, dass der Kläger allein durch das Hantieren mit dem Messer Leib und Leben der Mitarbeiterin objektiv und fahrlässig gefährdet hat. Der unsachgemäße Umgang mit einem Messer stellt zwar eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar. Diese hätte nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz den Ausspruch einer fristlosen oder fristgerechten Kündigung nur gerechtfertigt, wenn der Kläger zuvor wegen einer ähnlichen Pflichtverletzung abgemahnt worden wäre. Insbesondere steht auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht zur Überzeugung des Landesarbeitsgerichts fest, dass der Kläger das Messer bewusst und aktiv an den Hals der Mitarbeiterin gehalten hat.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 13.7.2023, 5 Sa 5/23
| Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gekündigt worden, ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. So sieht es das Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 KSchG) vor. Diesen Grundsatz hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf jetzt noch einmal bekräftigt. |
Das war geschehen
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 1.2.2012 beschäftigt. Die Beklagte beschäftigte in ihrem einzigen Betrieb zuletzt knapp 600 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Am 1.3.2022 wurde über das Vermögen der Beklagten das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet. Der Sachwalter und der Gläubigerausschuss stimmten der Einstellung der Geschäftstätigkeit zum 31.12.2022 zu.
Nachdem die Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs am 24.11.2022 durch Spruch der Einigungsstelle für gescheitert erklärt wurden, stellte die Beklagte am 28.11.2022 Anträge auf behördliche Zustimmungen zur betriebsbedingten Kündigung nach dem SGB IX (schwerbehinderte Menschen) und BEEG (Elternzeit). Den Beschäftigten wurde die Gelegenheit eingeräumt, in eine Transfergesellschaft zu wechseln. Im Dezember 2022 sprach die Beklagte gegenüber allen Beschäftigten betriebsbedingte Beendigungskündigungen aus, soweit das Ende des Arbeitsverhältnisses nicht aus anderen Gründen feststand.
Alle Mitarbeitenden, auch der Kläger, wurden ab dem 1.1.2023 unwiderruflich freigestellt. Ausgenommen waren die Beschäftigten des Abwicklungsteams, das ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Anlage 53 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer umfasste, wobei gegenüber dreizehn Personen Kündigungen zum 31.3.2023 und gegenüber den übrigen vierzig Personen Kündigungen zum 30.6.2023 ausgesprochen wurden. Das Arbeitsverhältnis des Klägers kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 16.12.2022 zum 31.3.2023.
Erfolgreiche Kündigungsschutzklage nicht aufgrund Gesetzeslage ...
Die vom Kläger hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hatte vor dem LAG Düsseldorf ebenso wie zuvor beim Arbeitsgericht (ArbG) Solingen Erfolg. Dies folgte zwar nicht aus § 17 KSchG i. V. m. § 134 BGB wegen einer nicht ordnungsgemäßen Massenentlassungszeige. Etwaige Fehler in diesem Zusammenhang stellen keinen Unwirksamkeitsgrund dar, weil Zweck der Anzeige nicht der Individualschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist.
...sondern aufgrund fehlerhafter Sozialauswahl
Die Kündigung war indes aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) rechtsunwirksam, wie es bereits das ArbG zutreffend ausgeführt hatte. Bei einer etappenweisen Betriebsstillegung hat der Arbeitgeber keine freie Auswahl, wem er früher oder später kündigt. Es sind grundsätzlich die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit den Abwicklungsarbeiten zu beschäftigen.
Fehlerhafte Vergleichsgruppen
Die Beklagte hatte hier die Sozialauswahl methodisch fehlerhaft durchgeführt, weil sie die Vergleichsgruppen fehlerhaft gebildet hatte. So hatte sie diese u. a. anhand der ursprünglich ausgeübten Tätigkeiten gebildet. Sie hätte die soziale Auswahl stattdessen anhand der noch im Abwicklungsteam anfallenden Tätigkeiten vornehmen müssen, zu denen die Beklagte nur unvollständig vorgetragen hatte. Es fehlte weitgehend an Vortrag dazu, welche Aufgaben mit welcher Dauer im Abwicklungsteam anfielen, welche Anforderungsprofile dafür erforderlich waren und wie auf dieser Grundlage ein Vergleich vorgenommen werden soll. Die daraus folgende Vermutung der fehlerhaften Sozialauswahl hatte die Beklagte auch in zweiter Instanz nicht widerlegt.
Das LAG hat die Revision nicht zugelassen.
Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 9.1.2024, 3 Sa 529/23, PM 2/24
| Oft müssen sich die Gerichte mit den Voraussetzungen für einen Investitionsabzugsbetrag (IAB nach § 7 g Einkommensteuergesetz [EStG]) beschäftigen. Jüngst haben es zwei Verfahren (Vorinstanz: Finanzgericht (FG) Niedersachsen) mit dieser Frage bis vor den Bundesfinanzhof (BFH) geschafft: Ist für die Gewinngrenze der Steuerbilanzgewinn oder ein um außerbilanzielle Effekte (wie nichtabziehbare Betriebsausgaben sowie einkommensteuerfreie Einnahmen) korrigierter Gewinn relevant? |
Gewinngrenze von 200.000 Euro
Hintergrund: Für die künftige (Investitionszeitraum von drei Jahren) Anschaffung oder Herstellung von abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens (beispielsweise Maschinen) können bis zu 50 % der voraussichtlichen Anschaffungs-/Herstellungskosten gewinnmindernd abgezogen werden. Da der Gesetzgeber durch diese Steuerstundungsmöglichkeit vor allem Investitionen von kleinen und mittleren Betrieben erleichtern will, darf der Gewinn 200.000 Euro nicht überschreiten.
Das war geschehen
In einem Fall des FG Niedersachsen betrug der Bilanzgewinn 189.821 Euro und lag damit unter der (in § 7 g EStG normierten) Grenze von 200.000 Euro. Dennoch versagte das Finanzamt die Bildung eines IAB, da es nach der Hinzurechnung der Gewerbesteuer (vgl. hierzu § 4 Abs. 5 b EStG) von 25.722 Euro auf einen über dem Grenzbetrag liegenden Gewinn von 215.543 Euro kam.
Unterschiedliche Sichtweisen
Die Frage, wie der Gewinn (nach § 7 g Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG) zu ermitteln ist, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt. Hierzu werden (vereinfacht) zwei Meinungen vertreten:
Bundesfinanzministerium: keine Berücksichtigung von Abzügen und Hinzurechnungen
Für das Bundesfinanzministerium (BMF) ist Gewinn der Betrag, der ohne Berücksichtigung von Abzügen und Hinzurechnungen (gemäß § 7 g Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 EStG) der Besteuerung zugrunde zu legen ist; außerbilanzielle Korrekturen der Steuerbilanz sowie Hinzu-/Abrechnungen bei der Einnahmen-Überschussrechnung sind zu berücksichtigen.
Gegenteilige Position: allein steuerbilanzieller Gewinn „zählt“
Teile des Schrifttums vertreten indes die Position, dass allein auf den steuerbilanziellen Gewinn abzustellen ist, was im Streitfall zu einem günstigeren Ergebnis führen würde. Auch für das FG Baden-Württemberg ist der Steuerbilanzgewinn relevant – und nicht der Gewinn i. S. des § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG. Eine Korrektur um außerbilanzielle Positionen findet nicht statt.
Beachten Sie | Das FG Niedersachsen hat sich der Ansicht des BMF angeschlossen. Weil hiergegen die Revision anhängig ist, können Steuerpflichtige in geeigneten Fällen Einspruch einlegen.
Quelle | FG Niedersachsen, Urteile vom 9.5.2023, 2 K 202/22, Rev. BFH: X R 16/23 und 2 K 203/22, Rev. BFH: X R 17/23; BMF-Schreiben vom 15.6.2022, IV C 6 - S 2139-b/21/10001 :001; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 2.5.2023, 10 K 1873/22, Rev. BFH: III R 38/23
| Zwei unterschiedliche Urteile zum Schadenersatz für immaterielle Schäden bei verspäteter Auskunft nach der Datenschutz-Grundverordnung (hier: Art. 15 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 12 DS-GVO) lassen aufhorchen. So hat das Arbeitsgericht (ArbG) jetzt verbraucherfreundlich entschieden, während das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf unternehmensfreundlich war. |
Arbeitsgericht Duisburg: „Unverzüglichkeit“ entscheidend
Das ArbG Duisburg entschied, dass einem Kläger, der sich am 14.3.2017 auf eine Stelle bei dem beklagten Unternehmen beworben und über sechs Jahre später (am 18.5.2023) erstmals Auskunft über ihn dort gespeicherte personenbezogene Daten verlangt hat, eine Geldentschädigung von 750 Euro (verlangt waren 2.000 Euro) zusteht. Dies geschah, obwohl das Unternehmen schon am 5.6.2023 die Auskunft in Form eines Negativattests erteilte – also innerhalb der gesetzlichen Monatsfrist (gemäß Art. 12 Abs. 3 DS-GVO).
Das ArbG sah die Auskunft nicht als „unverzüglich“ im Sinne dieser Vorschrift an. Die dortige Monatsfrist sei nicht als Regel- sondern als Höchstfrist zu verstehen. Sie dürfe nicht routinemäßig, sondern nur in schwierigen Fällen und bei Hinzutreten besonderer Umstände ausgeschöpft werden.
Hier habe das Unternehmen auch keine konkreten Anhaltspunkte vorgetragen, die eine Überschreitung dieser Zeitspanne rechtfertigen würden. Bei der Schadenersatzbemessung hat das ArbG berücksichtigt, dass die gesetzliche Frist nicht erheblich überschritten sei. Eine objektive Dringlichkeit der Anfrage sechs Jahre nach der Bewerbung sei unerheblich.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf: keine datenschutzrechtsverletzende Datenverarbeitung
Da LAG Düsseldorf sieht dies jedoch anders: Es sprach einem Anspruchsteller trotz verspäteter Auskunft durch Überschreiten der Monatsfrist einen Schadenersatzanspruch ab.
Ein Verstoß gegen Art. 15 DS-GVO falle schon nicht in den Anwendungsbereich des Art. 82 DS-GVO. Es fehle an einer gegen die DS-GVO verstoßenden Datenverarbeitung bei einer rein verzögerten Datenauskunft oder einer anfänglich unvollständigen Erfüllung des Auskunftsbegehrens. Darüber hinaus liege allein in der schlagwortartigen Behauptung eines solchen „Kontrollverlusts“ über personenbezogene Daten auch keine Darlegung eines immateriellen Schadens.
Quelle | ArbG Duisburg, Urteil vom 3.11.2023, 5 Ca 877/23; LAG Düsseldorf, Urteil vom 28.11.2023, 3 Sa 285/23, PM 29/23
| Das Landgericht (LG) München hat ein Handelsunternehmen für Getränke dazu verurteilt, es zu unterlassen, das von ihm vertriebene Bier als WUNDERBRAEU zu bezeichnen, wenn dies in Zusammenhang mit einer auf der Bierflasche abgedruckten Münchner Adresse geschieht, an der das Bier jedoch nicht gebraut wird. Dies stelle eine Herkunftstäuschung dar. Zudem muss das beklagte Unternehmen in Zukunft die Bewerbung des Biers mit „CO2 positiv“ bzw. „klimaneutrale Herstellung“ auf der Bierflasche unterlassen. Die Bewertungsmaßstäbe, aufgrund derer diese Äußerungen getroffen würden, seien auf den Etiketten der Flaschen nicht hinreichend transparent offengelegt. |
Irreführende Bezeichnung des Biers
Die Beklagte hatte argumentiert, dass die Bezeichnung „WUNDERBRAEU“ für sich nicht irreführend sei. Zudem habe sie ihren Verwaltungssitz an der angegebenen Münchner Adresse und es sei gesetzlich vorgeschrieben, die Adresse auf der Flasche abzudrucken.
Dem folgte das LG nicht. Die für sich gesehen nicht eindeutige Bezeichnung „WUNDERBRAEU“ sei jedenfalls mit der auf dem rückwärtigen Etikett enthaltenen Adresse einer für Brauereien bekannten Straße in München irreführend. Durch die fragliche Aufschrift werde ein Bezug des Produkts mit einer Anschrift in München hergestellt, obwohl dort unstreitig nicht die Produktionsstätte, sondern allein der Sitz des Handelsunternehmens sei. Zwar möge die Bezeichnung für sich gesehen auch für die Beklagte als Vertriebsunternehmen zulässig sein und die Angabe auch insgesamt den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Das ändere aber nichts daran, dass die Aufschrift im Zusammenhang den Eindruck erwecke, die angegebene Anschrift bezeichne den Herkunftsort des Produktes selbst. Dies sei unzulässig.
Eine Täuschung über die Herkunft des Bieres sei auch geeignet, die Entscheidung der Verbraucherinnen und Verbraucher zu beeinflussen.
Diese Bezeichnung mit Klimabezug ist verboten
Die weiteren, von dem klagenden Verband beanstandeten Angaben „CO2 positiv“ und „klimaneutrale Herstellung“ stellen laut Gericht ebenfalls eine unzulässige Irreführung dar und wurden dem beklagten Unternehmen deshalb, so wie es die Angaben verwendet hatte, verboten.
Die Beklagtenseite hatte angeführt, dass ein QR-Code auf der Flasche zu den gewünschten Informationen über die Bedeutung der beanstandeten Angaben zur Klimabilanz führe. Dies reichte dem LG nicht aus. Gerade in der heutigen Zeit, in der Unternehmen in den Verdacht des sogenannten „Greenwashing“ kämen und in dem Ausgleichsmaßnahmen kontrovers diskutiert würden, sei es wichtig, die Verbraucher über die Grundlagen der jeweiligen werbenden Behauptung aufzuklären. Verbraucher hätten daher ein maßgebliches Interesse daran, inwieweit behauptete Klimaneutralität durch Einsparungen oder durch Ausgleichsmaßnahmen und, wenn ja, durch welche Ausgleichsmaßnahmen erreicht würden. Daher müssten den Verbrauchern die Bewertungsmaßstäbe für die werbenden Angaben „CO2 positiv“ und „klimaneutrale Herstellung“ auf der Bierflasche offengelegt werden.
Letztendlich bestünden zudem erhebliche Zweifel daran, ob die auf der Website des beklagten Unternehmens aufgeführten Informationen ausreichend wären. Denn genaue Angaben zur berechneten Klimabilanz und Angaben darüber, in welchem Umfang die Klimaneutralität durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werden sollen und in welchem Umfang durch Einsparung, fänden sich dort gerade nicht.
Quelle | LG München I, Urteil vom 8.12.2023, 37 O 2041/23, PM 32/23
| Der Anleger eines Investmentfonds muss als Investmentertrag u. a. die Vorabpauschale nach § 18 des Investmentsteuergesetzes (InvStG) versteuern. Geregelt ist dies in § 16 Abs. 1 Nr. 2 InvStG. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nun den Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale 2024 veröffentlicht. |
Hintergrund: Nach § 16 Abs. 1 InvStG sind Erträge aus Investmentfonds (Investmenterträge)
- Ausschüttungen des Investmentfonds,
- Vorabpauschalen und
- Gewinne aus der Veräußerung von Investmentanteilen.
Die Vorabpauschale ist der Betrag, um den die Ausschüttungen eines Investmentfonds innerhalb eines Kalenderjahrs den Basisertrag für dieses Kalenderjahr unterschreiten. Die Vorabpauschale gilt (nach § 18 Abs. 3 InvStG) beim Anleger am ersten Werktag des folgenden Kalenderjahrs als zugeflossen.
Der Basiszins ist aus der langfristig erzielbaren Rendite öffentlicher Anleihen abzuleiten. Dabei ist auf den Zinssatz abzustellen, den die Deutsche Bundesbank anhand der Zinsstrukturdaten jeweils auf den ersten Börsentag des Jahres errechnet. Das BMF muss den maßgebenden Zinssatz im Bundessteuerblatt veröffentlichen. Der Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale für das Jahr 2024 beträgt 2,29 %.
Ob es infolge der Vorabpauschale tatsächlich zu einer Steuerbelastung kommt, hängt von mehreren Faktoren ab. Beispielsweise ist ein erteilter Freistellungsauftrag für Kapitalerträge (maximal 1.000 Euro; bei Zusammenveranlagung von Ehegatten: 2.000 Euro) zu berücksichtigen.
Eine Steuerbelastung setzt ferner voraus, dass der Basiszins positiv ist. Aufgrund des negativen Basiszinses für die Jahre 2021 und für 2022 wurde insoweit auch keine Vorabpauschale erhoben.
Beachten Sie | Der ermittelte Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale für das Jahr 2023 beträgt 2,55 %. Eine etwaige steuerliche Belastung erfolgte zum Jahresbeginn 2024.
Quelle | BMF, Schreiben vom 5.1.2024, IV C 1 - S 1980-1/19/10038 :008; BMF, Schreiben vom 4.1.2023, IV C 1 - S 1980-1/19/10038: 007
| Das Bundeszentralamt für Steuern hat am 7.2.2024 mitgeteilt, dass das Zuwendungsempfängerregister ab sofort online zur Verfügung steht. |
Das Zuwendungsempfängerregister umfasst alle Organisationen, die berechtigt sind, ihren Spendern Zuwendungsbestätigungen auszustellen. Somit bietet das Register u. a. eine einfache Möglichkeit, sich über den Gemeinnützigkeitsstatus von Organisationen zu informieren.
| In Betriebsprüfungen gibt es oft Streit, ob Fahrtenbücher als ordnungsgemäß anzuerkennen sind. Aktuell hat das Finanzgericht (FG) Düsseldorf Folgendes entschieden: Ein elektronisches Fahrtenbuch erfüllt nicht die Anforderungen an den Nachweis des tatsächlichen Umfangs der Privatnutzung eines betrieblichen Kfz, wenn nachträgliche Veränderungen an den zu einem früheren Zeitpunkt eingegebenen Daten nicht in der Datei selbst, sondern in externen Protokolldateien dokumentiert werden. Dem Erfordernis des zeitnahen Führens eines Fahrtenbuchs wird nicht genügt, wenn die – zwischenzeitlich auf Notizzetteln festgehaltenen – Eintragungen erst mehrere Tage oder Wochen nach Abschluss der betreffenden Fahrten vorgenommen werden. |
Quelle | FG Düsseldorf, Urteil vom 24.11.2023, 3 K 1887/22 H[L]
| Zu den Werbungskosten zählt auch die zur vorzeitigen Ablösung eines Darlehens gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung, soweit die Schuldzinsen mit den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Dieser Zusammenhang besteht, wenn bereits im Zeitpunkt der Veräußerung eines Grundstücks anhand objektiver Umstände der endgültige Entschluss feststellbar ist, mit dem nach der vorzeitigen Darlehensablösung verbleibenden Verkaufserlös wiederum konkret bestimmtes Grundvermögen mit dem Ziel anzuschaffen, hieraus Vermietungseinkünfte zu erzielen. Dies hat das Finanzgericht (FG) Köln entschieden. |
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ergibt sich ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit den Vermietungseinkünften aus einem neuen Objekt allenfalls dann, wenn der Steuerpflichtige bereits bei der Veräußerung – z. B. im Kaufvertrag selbst oder zumindest beim Abschluss des Kaufvertrags – im Vorhinein so unwiderruflich über den verbleibenden Restkaufpreis verfügt, dass er ihn unmittelbar zum Erzielen von Vermietungseinkünften mit einem bestimmten Objekt festlegt.
Beachten Sie | Verbleibende Zweifel gehen zulasten des Steuerpflichtigen, denn er trägt die Feststellungslast für die den Steueranspruch mindernden Tatsachen.
Infolge dieser restriktiven Rechtsprechung kam im Streitfall des FG Köln kein Werbungskostenabzug in Betracht. Denn der Steuerpflichtige hatte den überschießenden Verkaufserlös (also Verkaufspreis abzüglich abzulösendes Darlehen) zunächst selbst vereinnahmt und dann zur Teilrückführung einzelner Darlehen verwendet.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | FG Köln, Urteil vom 19.10.2023, 11 K 1802/22
| Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen hat sich mit der Frage befasst, ob eine Influencerin Aufwendungen für Kleidung und Accessoires steuerlich geltend machen kann. Die Entscheidung fiel zu ungunsten der Steuerpflichtigen aus. |
Das war geschehen
Eine Steuerpflichtige betrieb auf verschiedenen Social-Media-Kanälen und über eine Website einen Mode- und Lifestyleblog und erstellte hierzu Fotos und Stories. Zusätzlich zu den Waren, die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit von verschiedenen Firmen erhalten hatte, um sie zu bewerben, erwarb sie diverse Kleidungsstücke und Accessoires (beispielsweise Handtaschen namhafter Marken). Die Influencerin wollte die Aufwendungen für die Kleidungsstücke und Accessoires als Betriebsausgaben bei ihrer gewerblichen Tätigkeit berücksichtigen.
Argumentation: Keine Abgrenzung zwischen privater und betrieblicher Nutzung möglich
Das Finanzamt verwehrte den Betriebsausgabenabzug mit der Begründung, dass sämtliche Gegenstände auch privat genutzt werden können und eine Abgrenzung der privaten zur betrieblichen Sphäre nicht möglich sei. Insbesondere habe die Steuerpflichtige nicht dargelegt, in welchem Umfang sie die Kleidungsstücke und Accessoires jeweils für private oder betriebliche Zwecke genutzt hatte.
Die hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos.
Finanzgericht: Abzugsverbot für Aufwendungen zur Lebensführung
Das FG Niedersachsen war ebenfalls der Meinung, dass eine Trennung zwischen privater und betrieblicher Sphäre bei gewöhnlicher bürgerlicher Kleidung und Mode-Accessoires nicht möglich ist. Gemäß Einkommensteuergesetz (§ 12 Nr. 1 EStG) folgt insoweit ein Abzugsverbot für Aufwendungen für die Lebensführung der Steuerpflichtigen, die ihre wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung mit sich bringt, auch wenn die Aufwendungen zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit der Steuerpflichtigen erfolgen.
Beachten Sie | Es kommt nicht darauf an, wie die Steuerpflichtige die Gegenstände konkret genutzt hat. Allein die naheliegende Möglichkeit der Privatnutzung von bürgerlicher Kleidung und Mode-Accessoires führt dazu, dass eine steuerliche Berücksichtigung ausgeschlossen ist.
Zudem handelt es sich bei den von der Influencerin erworbenen Gegenständen nicht um typische Berufskleidung, für die ein Betriebsausgabenabzug möglich ist. Hierunter fallen nur solche Kleidungsstücke, die nach ihrer Beschaffenheit objektiv nahezu ausschließlich für die berufliche Nutzung bestimmt und geeignet und wegen der Eigenart des Berufs nötig sind, bzw. bei denen die berufliche Verwendungsbestimmung bereits aus ihrer Beschaffenheit entweder durch ihre Unterscheidungsfunktion oder durch ihre Schutzfunktion (z. B bei Arbeitsschuhen) folgt.
Beachten Sie | Der Beruf einer Influencerin bzw. Bloggerin ist insoweit nicht anders zu beurteilen als sonstige Berufe. Ob die Kleidungsstücke und Mode-Accessoires tatsächlich ausschließlich betrieblich genutzt werden, ist unbeachtlich. Somit war die Aufklärung des Umfangs der tatsächlichen privaten Nutzung der Kleidung nicht entscheidend.
Quelle | FG Niedersachsen, Urteil vom 13.11.2023, 3 K 11195/21
| Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Bei einem Unfall, der in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Einfahren von einer Parkbucht in den Straßenverkehr stattfindet, gilt das einfahrende Fahrzeug als Verursacher, wenn eine weitere Aufklärung nicht möglich ist. |
Der Fahrer eines zuvor in einer Parkbucht am Straßenrand stehenden Fahrzeugs ist mit diesem in den Straßenverkehr eingefahren. Hierauf kam es zu einer Kollision mit einem dort in gleicher Richtung fahrenden Wagen. Über den Unfallhergang machten die Beteiligten jeweils unterschiedliche Angaben.
Das AG hat entschieden, dass der Verkehrsunfall vollständig von dem einfahrenden Fahrzeug verursacht wurde. Zwar ließ sich das Geschehen überwiegend nicht mehr aufklären, allerdings habe derjenige, der vom Straßenrand in den Verkehr einfährt, nach der Straßenverkehrsordnung besonders darauf zu achten, dass er andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet.
Aufgrund der zeitlichen und örtlichen Nähe des Unfallgeschehens zu dem Einfahren des parkenden Fahrzeugs in den Straßenverkehr bestehe daher der Anschein, dass dessen Fahrer nicht ausreichend auf den Verkehr geachtet und somit den Unfall herbeigeführt habe. Dafür spreche zudem, dasss eine Version des Unfallgeschehens, er sei bereits einige Zeit auf der Straße gefahren, mit dem Schadensbild nicht in Einklang zu bringen sei. Zudem habe der Fahrer selbst erklärt, das andere Fahrzeug erst durch den Anstoß bemerkt zu haben, was darauf hinweise, dass er das Verkehrsgeschehen beim Losfahren von dem Parkplatz nicht ausreichend beobachtet habe.
Quelle | AG Hanau, Urteil vom 5.6.2023, 39 C 329/21 (19)
| Kindergeld für sich selbst können Kinder nur erhalten, wenn sie Vollwaise sind oder den Aufenthalt der Eltern nicht kennen. Kein Kindergeld beanspruchen kann ein Kind, wenn es gelegentlich mit seiner Mutter im Ausland telefonieren und sich dabei nach ihrem Aufenthaltsort erkundigen kann. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) jetzt entschieden. |
Regelmäßige Telefonate
Der Kläger hatte Kindergeld für sich selbst beansprucht mit der Begründung, er kenne den Aufenthalt seiner Mutter nicht. Diese hatte sich Ende 2017 auf die Flucht begeben und zunächst jeweils nur für kurze Dauer an verschiedenen Orten in Syrien gelebt, zuletzt in der Nähe von Damaskus. Allerdings hatte der Kläger in seinem Kindergeldantrag angegeben, zwei- bis dreimal monatlich mit ihr zu telefonieren. Dadurch hatte er zumindest die zumutbare Möglichkeit, sich nach dem aktuellen Aufenthaltsort seiner Mutter zu erkundigen.
Voraussetzungen der Aufenthaltskenntnis
Ein Kind kennt den Aufenthalt seiner Eltern, wenn es weiß, an welchem für ihn bestimmbaren Ort sich seine Eltern oder zumindest ein Elternteil aufhalten. Auf die Kenntnis einer postalischen Adresse oder eines „verstetigten“ Aufenthalts kommt es dagegen nicht an, weil sich seit Einführung des Kindergelds für „alleinstehende Kinder“ im Jahr 1986 die Kommunikationsmöglichkeiten und -gewohnheiten durch Internet und Mobilfunk grundlegend verändert haben. Für die erforderliche Aufenthaltskenntnis genügt es zudem, wenn aus Sicht des Kindes die zumutbare Möglichkeit besteht, innerhalb eines angemessenen Zeitraums Kontakt mit seinen Eltern aufzunehmen. Die Kenntnis fehlt erst, wenn Dauer und Ausmaß der Unkenntnis über den Verbleib der Eltern den endgültigen Verlust der Eltern-Kind-Beziehung wie bei einer Vollwaise befürchten lassen.
Quelle | BSG, Urteil vom 14.12.2023, B 10 KG 1/22 R, PM 46/23
| Ein Versicherungsnehmer, der nach einer verbalen Auseinandersetzung im Straßenverkehr einem anderen, für ihn erkennbar schwerbeschädigten Verkehrsteilnehmer in den Rücken schlägt und diesen dadurch zu Fall bringt, nimmt regelmäßig dessen schwere Gesundheitsbeschädigung in Kauf. Als Folge kann sich sein Haftpflichtversicherer auf einen Leistungsausschluss berufen. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Dresden entschieden. |
Auseinandersetzung im Straßenverkehr
Auseinandersetzungen im Straßenverkehr enden immer häufiger damit, dass ein oder mehrere Beteiligte verletzt werden. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung regelt das nicht unbedingt die Haftpflichtversicherung.
Versicherung darf Leistung verweigern
Der Versicherer ist nämlich nach dem Versicherungsvertragsgesetz (hier: § 103 VVG) nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen Schaden herbeigeführt hat.
Einzelfall entscheidend
Ob die Versicherung tatsächlich leistungsfrei ist, entscheidet sich anhand des jeweiligen Einzelfalls. Dazu muss vorgetragen werden, wie sich der Vorfall ereignete und was genau Auslöser der schadenstiftenden Handlung war. Es ist nämlich ein Unterschied, ob es sich um eine Angriffs- oder Verteidigungshandlung handelte.
Quelle | OLG Dresden, Urteil vom 29.6.2023, 4 U 2626/22
| Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das einen Fluggast im Voraus darüber unterrichtet hat, dass es ihm gegen seinen Willen die Beförderung auf einem Flug verweigern werde, für den er über eine bestätigte Buchung verfügt, muss diesem einen Ausgleich zahlen. Das gilt selbst, wenn er sich nicht unter den in der Fluggastrechteverordnung (hier: Art. 3 Abs. 2 FluggastrechteVO) genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden hat. So sieht es der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). |
Fluggast ohne Information umgebucht
Der EuGH zeigt sich damit – wieder einmal – verbraucherfreundlich. Im konkreten Fall hatte die Fluggesellschaft einen Fluggast umgebucht, ihn aber nicht darüber informiert. Auf seine Rückfrage wurde ihm zugleich mitgeteilt, dass er für den gebuchten Rückflug gesperrt sei, weil er zum umgebuchten Flug nicht erschienen sei. Es sei nicht mehr möglich, den Rückflug anzutreten.
Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung
Der EuGH hat darüber hinaus entschieden, dass dem Fluggast zwar bei Annullierung eines Flugs u. U. kein Ausgleichsanspruch zusteht. Dies gelte aber nicht, wenn ein Fluggast – wie im Fall des EuGH für den Rückflug – mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit darüber unterrichtet wurde, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen ihn gegen seinen Willen nicht befördern werde. Ihm steht dann ein Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung i. S. d. Art. 4 der FluggastrechteVO zu.
Quelle | EuGH, Urteil vom 26.10.2023, C-238/22
| Das Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat der Verfassungsbeschwerde eines verbeamteten Lehrers stattgegeben, die sich gegen eine Durchsuchungsanordnung richtete. |
Das war geschehen
Gegen den Lehrer wurde wegen des Verdachts der Beleidigung von zwei Polizeibeamten ermittelt. Um Informationen über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu erlangen, ordnete das Amtsgericht (AG) an, seine Wohnung zu durchsuchen. Der Lehrer gewährte den die Durchsuchungsanordnung vollziehenden Beamten Eintritt in seine Wohnung und übergab ihnen verschiedene Unterlagen. Das Strafverfahren endete mit einer Einstellung gegen Zahlung einer Geldauflage.
Verletzung von Grundrechten
Die Anordnung der Durchsuchung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach dem Grundgesetz (Art. 13 Abs. 1 GG). Sie war unverhältnismäßig. Angesichts grundrechtsschonender, alternativer Ermittlungshandlungen stand eine Durchsuchung außer Verhältnis zur Schwere der verfolgten Straftat.
Zwar war die Durchsuchung nicht bereits deshalb unzulässig, weil lediglich die Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers ermittelt werden sollten. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft müssen sich nämlich auch auf Umstände beziehen, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind. Dazu zählen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten zwecks Bestimmung der Tagessatzhöhe.
Lehrer hätte zuerst befragt werden müssen
Naheliegend und grundrechtsschonend wäre es gewesen, zunächst den Beschwerdeführer über seinen Verteidiger zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu befragen. Eine solche Nachfrage hätte im Streitfall mit realistischer Wahrscheinlichkeit dazu geführt, ausreichende Informationen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu erlangen. Auch die Gefahr eines Beweismittelverlustes bestand nicht.
Anfrage an Besoldungsstelle als Alternative
Als naheliegende und grundrechtsschonende Alternative zu einer Wohnungsdurchsuchung wäre aber auch eine Anfrage bei der Besoldungsstelle des Beschwerdeführers nach dem von dort bezogenen Einkommen in Betracht gekommen. Durch eine solche Anfrage sind zwar nicht zwingend Informationen zu allen Einkünften zu erlangen. Das Strafgesetzbuch (hier: § 40 Abs. 3 StGB) erfordert aber – zumal in Fällen der kleineren Kriminalität – auch nicht die Ausschöpfung aller Beweismittel, wenn ansonsten die fachrechtlichen Voraussetzungen für eine Schätzung der Einkünfte vorliegen. Durchsuchungen zur Ermittlung der für die Bestimmung der Tagessatzhöhe entscheidenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten sind daher grundsätzlich nur verhältnismäßig, wenn anhand der übrigen zur Verfügung stehenden Beweismittel keine Schätzung möglich ist.
Weitere alternative Anfragen möglich
Hätten sich Staatsanwaltschaft und AG mit den durch die genannten Maßnahmen zu erlangenden Informationen zum Einkommen des Beschwerdeführers nicht begnügen wollen, wären darüber hinaus eine Abfrage bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und anschließende Bankanfragen in Betracht gekommen. Auch insoweit handelt es sich im Vergleich zur angeordneten Durchsuchung um eine meist weniger grundrechtsintensive Maßnahme.
Quelle | BVerfG, Beschluss vom 15.11.2023, 1 BvR 52/23, PM 115/23
| In einem Nachbarschaftsstreit sah das Amtsgericht (AG) München in dem Aufstellen einer Kamera auf dem Nachbargrundstück eine Persönlichkeitsrechtsverletzung und untersagte dies der Antragsgegnerin. |
Überwachungs- oder Wildkamera?
Die Parteien sind unmittelbare Nachbarn in München und stritten über eine im April 2022 auf der Terrasse der Antragsgegnerin aufgestellte Wildüberwachungskamera, die von der Terrasse der Antragstellerin aus sichtbar war. Die Antragstellerin wehrte sich hiergegen unter Verweis auf ihre Persönlichkeitsrechte und forderte die Antragsgegnerin im Juli 2022 u. a. auf, die Videoüberwachung zu beenden und künftig zu unterlassen. Die Antragsgegnerin verweigerte dies mit der Begründung, dass es sich nicht um eine Videoüberwachung, sondern um eine sogenannte Wild-Kamera handeln würde. Es ginge ausschließlich um die Kontrolle des eigenen Gartens.
Kamera musste entfernt werden
Zunächst erließ das AG im einstweiligen Rechtsschutz auf Antrag der Antragstellerin eine einstweilige Verfügung. Danach wurde es dieser untersagt, auf ihrem Grundstück eine Überwachungskamera aufzustellen, die die Terrasse oder den Garten der Antragstellerin erfasst oder erfassen kann oder den Eindruck hiervon erweckt. Anschließend entfernte die Antragsgegnerin die Kamera.
Einstweilige Verfügung war rechtens
Auf Antrag der Antragstellerin bestätigte das AG dann mit einem Urteil die einstweilige Verfügung. Die vormals aufgestellte Kamera habe die Antragstellerin in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Kamera tatsächlich ausschließlich den Bereich der Antragsgegnerin erfasst hat oder nicht. Denn es komme insoweit auf die Umstände des Einzelfalls an. Die Befürchtung, durch vorhandene Überwachungsgeräte überwacht zu werden, sei gerechtfertigt, wenn sie aufgrund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit oder aufgrund objektiv Verdacht erregender Umstände. Lägen solche Umstände vor, könne das Persönlichkeitsrecht des (vermeintlich) Überwachten schon wegen der Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch Videokameras und ähnliche Überwachungsgeräte beeinträchtige hingegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen nicht, die dadurch betroffen sein könnten.
Hypothetische Möglichkeit der Überwachung ausreichend für Beseitigungsanspruch
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs habe die Antragstellerin einen Anspruch auf Beseitigung der Kamera und entsprechende Unterlassung der etwaigen weiteren Installation einer vergleichbaren Kamera. Nach Ansicht der Lichtbilder sei das Gericht der Überzeugung, dass die Antragstellerin zu der Ansicht gelangen konnte, dass ihr Grundstück von der Kamera erfasst werde. Es handelte sich nicht mehr um die rein hypothetische Möglichkeit der Überwachung.
Der Sachverhalt habe sich zwar mittlerweile maßgeblich verändert, da die Kamera entfernt worden sei. Weiterhin habe die Antragsgegnerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass sie nicht die Absicht habe, eine weitere Kamera aufzustellen. Dieser Umstand allein kann aber nicht ausreichen, eine Wiederholungsgefahr aufzuheben.
Quelle | AG München, Urteil vom 1.2.2023, 171 C 11188/22, PM 43/23
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über die Frage entschieden, ob ein Anspruch des Mieters auf Gestattung der Gebrauchsüberlassung an einen Dritten (Untervermietung) auch im Fall einer Einzimmerwohnung gegeben sein kann. Er hat den Anspruch des Mieters bestätigt. |
Das war geschehen
Der Mieter einer in Berlin gelegenen Einzimmerwohnung bat mit Schreiben von März 2021 seinen Vermieter wegen eines beruflichen Auslandsaufenthalts um die Gestattung der Untervermietung an eine namentlich benannte Person vom 15.6.2021 bis zum 30.11.2022. Die Vermieter lehnten dies ab.
Mit der im Mai 2021 erhobenen, auf die Erlaubnis der Untervermietung „eines Teils der Wohnung“ an den bezeichneten Untermieter gerichteten Klage hat der Mieter vorgetragen, er wolle für die Dauer seiner berufsbedingten Abwesenheit einen Teil der Wohnung an die benannte Person untervermieten, jedoch persönliche Gegenstände weiter in der Wohnung lagern. Während seines Auslandaufenthalts lagere er seine in der (untervermieteten) Wohnung verbliebenen persönlichen Gegenstände dort in einem Schrank und einer Kommode sowie in einem am Ende des Flurs gelegenen, durch einen Vorhang abgetrennten, nur von ihm zu nutzenden Bereich von der Größe eines Quadratmeters. Ferner blieb er im Besitz eines Wohnungsschlüssels.
Die Klage hatte beim Amtsgericht (AG) keinen Erfolg. Auf die Berufung des Mieters hat das Landgericht (LG) die Vermieter antragsgemäß verurteilt, die Untervermietung „eines Teils der Wohnung“ an die vom Mieter benannte Person zu gestatten. Mit der Revision begehren die Vermieter die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
So entschied der Bundesgerichtshof
Die Revision der Vermieter hatte keinen Erfolg. Der BGH hat entschieden, dass dem Mieter ein Anspruch auf Gestattung der befristeten, teilweisen Gebrauchsüberlassung an den von ihm benannten Dritten zusteht.
Wie der Senat in der Vergangenheit bereits (zu Wohnungen mit mehreren Zimmern) entschieden hat, stellt das Bürgerliche Gesetzbuch (hier: § 553 Abs. 1 BGB) weder quantitative Vorgaben hinsichtlich des beim Mieter verbleibenden Anteils des Wohnraums noch qualitative Anforderungen bezüglich dessen weiterer Nutzung durch den Mieter auf. Von einer Überlassung eines Teils des Wohnraums an einen Dritten im Sinne des § 553 Abs. 1 BGB ist daher regelmäßig bereits auszugehen, wenn der Mieter den Gewahrsam an dem Wohnraum nicht vollständig aufgibt.
Danach kann ein Anspruch des Mieters gegen den Vermieter auf Gestattung der Gebrauchsüberlassung an einen Dritten auch bei einer Einzimmerwohnung gegeben sein. Ein Ausschluss von Einzimmerwohnungen aus dem Anwendungsbereich des § 553 Abs. 1 BGB ergibt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut, der Gesetzesgeschichte noch aus dem mieterschützenden Zweck der Vorschrift. Letzterer liefe für Mieter einer Einzimmerwohnung andernfalls gänzlich leer. Sachgerechte Gründe dafür, solche Mieter insoweit als weniger schutzwürdig anzusehen als Mieter einer Mehrzimmerwohnung, erschließen sich indes nicht, denn auch dem Mieter einer Einzimmerwohnung kann es, namentlich bei – wie hier – befristeter Abwesenheit, darum gehen, sich den Wohnraum zu erhalten.
Die Beurteilung des LG, dass der Mieter dem Untermieter die Einzimmerwohnung nur teilweise überlassen wollte, ist laut BGH nicht zu beanstanden. Der Mieter hat seinen Gewahrsam an der Wohnung nicht vollständig aufgegeben. Denn er hat persönliche Gegenstände in der Wohnung in Bereichen zurückgelassen, die seiner alleinigen Nutzung vorbehalten waren, und sich den Zugriff hierauf zudem durch Zurückbehaltung eines Wohnungsschlüssels gesichert. Hinzu tritt der Wille des Mieters, die Wohnung nur für die Zeit seines Auslandsaufenthalts teilweise einem Dritten zu überlassen.
Quelle | BGH, Urteil vom 13.9.2023, VIII ZR 109/22, PM 158/2023 vom 14.9.2023
| Eine Grabbeigabe (Goldkette und Eheringe) durch den Testamentsvollstrecker ist auch bei einer Auswirkung auf ein Vermächtnis nicht grob pflichtwidrig. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. |
Testamentsvollstrecker kam Wunsch der Erblasserin nach
Die Erblasserin errichtete mit ihrem verstorbenen Ehemann ein gemeinschaftliches Testament. Sie setzten unter anderem ihre gemeinsamen Kinder, die Beteiligten zu 1) bis 3), als Erben zu gleichen Teilen ein und vermachten der Beteiligten zu 3) vorab den Schmuck der Erblasserin. Später ordnete die Erblasserin in einer notariellen Ergänzung Testamentsvollstreckung an und bestimmte den Beteiligten zu 2) zum Testamentsvollstrecker.
Der Beteiligte zu 2) legte der Erblasserin – seiner Behauptung zufolge auf deren Wunsch – die Eheringe der Erblasserin und ihres Ehemannes an einer Goldkette mit ins Grab, obwohl sich die Beteiligten zu 1)und zu 3) mit der Grabbeigabe der Goldkette zuvor nicht einverstanden erklärt hatten. Dies veranlasste den Beteiligten zu 1), die Entlassung des Beteiligten zu 2) aus dem Amt des Testamentsvollstreckers zu beantragen. Das Nachlassgericht hat den Antrag nach Vernehmung verschiedener Zeugen zurückgewiesen.
So sah es das Oberlandesgericht
Die hiergegen eingelegte Beschwerde hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Ein Testamentsvollstrecker begeht keine grobe Pflichtverletzung, sofern er die Eheringe und eine Kette der Erblasserin auf deren Wunsch ihr mit ins Grab legt, auch wenn er dadurch einem angeordneten Vermächtnis teilweise nicht nachkommen kann. Das OLG hat die Beschwerde einer Tochter der Erblasserin zurückgewiesen.
Zu Recht habe das Amtsgericht (AG) eine als grob zu wertende Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers verneint. Es fehle bereits an dem Nachweis einer Pflichtverletzung. Der Beteiligte zu 1) habe nicht nachweisen können, dass die Grabbeilage nicht auf Wunsch der Erblasserin erfolgt sei. Die Erblasserin sei nicht gehindert gewesen, noch zu ihren Lebzeiten einer Vertrauensperson den rechtsverbindlichen Auftrag zu erteilen, die Goldkette nebst den Eheringen nach ihrem Tod als Grabbeigabe zu verwenden. Dieser insoweit als gegeben zu unterstellende geäußerte Wunsch der Erblasserin sei als – wirksamer – Auftrag zu deren Lebzeiten an den Beteiligten zu 2) zu verstehen. Diesen Auftrag hätten allenfalls alle drei Erben widerrufen können. Dies sei nicht geschehen.
Es lag eine Pflichtenkollision vor
Die aus dem Vermächtnis einerseits und dem Auftrag der Erblasserin andererseits resultierende Pflichtenkollision habe der Testamentsvollstrecker zugunsten einer Grabbeigabe entscheiden können, ohne dass dies als objektiv pflichtwidriger Verstoß gegen die Pflichten als Testamentsvollstrecker zu werten ist. Darüber hinaus sei selbst eine unterstellte Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers nicht schwerwiegend.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 19.12.2023, 21 W 120/23, PM 77/23
| Der Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Wohngebäudes an der Grundstücksgrenze fehlt es an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse, wenn eine Baulast im Baulastenverzeichnis eingetragen ist, die für den Grenzbereich die Freihaltung von jeglicher Bebauung regelt. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Mainz. |
Baulast seit 40 Jahren eingetragen
Die Klägerin stellte einen Bauantrag zur Errichtung eines Wohngebäudes an der Grenze zum Nachbargrundstück. Im Baulastenverzeichnis ist seit mehr als 40 Jahren eine Baulast eingetragen, nach der das Baugrundstück der Klägerin in der Länge eines (seinerzeit geplanten und genehmigten) Anbaus an ein Wohngebäude auf dem Nachbargrundstück und in einer Breite von drei Metern von jeglicher Bebauung freizuhalten ist.
Unter Hinweis auf diese Baulastregelung lehnte der Beklagte, die Baugenehmigungsbehörde, den im vereinfachten Genehmigungsverfahren gestellten Bauantrag ab. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage, mit der sie u. a. die Erteilung der Baugenehmigung beanspruchte. Sie machte im Wesentlichen geltend, die Baulast sei hinsichtlich der Länge der freizuhaltenden Fläche unbestimmt und deshalb unwirksam. Jedenfalls sei die Baulast in dem Baulastenverzeichnis zu löschen, weil zwischenzeitlich in der Umgebung nahezu auf allen Grundstücken grenzständige Bauten entstanden seien. Das VG wies die Klage ab.
Kein Rechtsschutzbedürfnis gegeben
Es fehle der Klage an einem sog. Rechtsschutzinteresse. Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren sei der Prüfungsumfang der Bauaufsichtsbehörde gesetzlich beschränkt. So seien Vorschriften nach der Landesbauordnung grundsätzlich nicht zu prüfen. Dementsprechend blieben auch eingetragene Baulasten generell unberücksichtigt.
Baulast war unmissverständlich
Gleichwohl sei die Baubehörde im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht verpflichtet, bauordnungsrechtliche Fragen gänzlich auszublenden. So dürfe sie im vereinfachten Verfahren die Erteilung einer Baugenehmigung versagen, wenn das Bauvorhaben offensichtlich gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften verstoße und deshalb nicht verwirklicht werden könne. So sei es hier. Die in Rede stehende Baulast enthalte die unmissverständliche Aussage, dass der Grenzbereich auf dem Klägergrundstück, auf dem das geplante Wohngebäude zu stehen kommen solle, von jeglicher Bebauung freizuhalten sei. Unter verständiger objektiver Würdigung sei auch bestimmbar, in welcher Länge das Bauverbot gelte: Diese ergebe sich aus den seinerzeitigen Baugenehmigungsunterlagen zu dem Nachbaranbau. Sei eine Baulast in das Baulastenverzeichnis eingetragen, entfalte sie ihre Wirksamkeit. Sie sei – anders als bei einer hier nicht gegebenen Nichtigkeit – nicht ständig auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen.
Bauantragsteller muss handeln
Erst im Fall der Eintragung eines (allerdings in einem eigenem Verwaltungsverfahren nach Wegfall eines öffentlichen Interesses durch die Bauaufsichtsbehörde auszusprechenden) Verzichts auf die Baulast entfalle ihre Wirksamkeit. Es sei Sache des Bauantragstellers, ein solches Verzichtsverfahren (ggf. nach zivilrechtlicher Abklärung von Nachbarrechtspositionen) anzustoßen. Die Baugenehmigungsbehörde sei indes nicht verpflichtet, mit der Bescheidung eines Bauantrags zuzuwarten, bis der Erteilung der Baugenehmigung entgegenstehende Hindernisse ausgeräumt seien.
Quelle | VG Mainz, Urteil vom 6.12.2023, 3 K 47/23.MZ, PM 2/24
| Die Naturschutzbehörden sind grundsätzlich befugt, gegenüber Betreibern bestandskräftig genehmigter Windenergieanlagen nachträgliche Anordnungen zur Verhinderung von Verstößen gegen das artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsverbot gemäß des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) zu treffen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage nach Genehmigungserteilung wesentlich geändert hat. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden. |
Zeitweise Abschaltung der Anlage
Die Klägerin wendet sich gegen nachträgliche zeitliche Beschränkungen des Betriebs ihrer bestandskräftig genehmigten Windenergieanlagen, die die Beklagte gestützt aus Gründen des Fledermausschutzes angeordnet hat. Die im Jahr 2006 erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung enthält keine Betriebsbeschränkungen zum Schutz von Fledermäusen. Nachdem später Totfunde verschiedener Fledermausarten im Bereich der Anlagen gemeldet und Bestandserfassungen zu Fledermäusen angestellt worden waren, verfügte die Beklagte unter näheren Maßgaben zu meteorologischen Rahmenbedingungen eine nächtliche Abschaltung der Anlagen vom 15. April bis zum 31. August eines Jahres. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen.
Wenn sich die Sach-oder Rechtslage ändert, sind nachträgliche Anordnungen möglich
Das BVerwG hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Eine bestandskräftige immissionsschutzrechtliche Genehmigung steht nachträglichen artenschutzrechtlichen Anordnungen auf der gesetzlichen Grundlage (hier: § 3 Abs. 2 BNatSchG) nicht generell entgegen. Das BNatSchG (§ 44 Abs. 1 Nr. 1) begründet eine unmittelbare und dauerhafte Verhaltenspflicht, die auch bei Errichtung und Betrieb immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Windenergieanlagen zu beachten ist.
Zwar ist aufgrund der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung der Anlagenbetrieb auch als rechtmäßig anzusehen. Das gilt aber nur in den Grenzen der auf den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung bezogenen Feststellungswirkung der Genehmigung, wonach die genehmigte Anlage mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar ist. Aufgrund der Anknüpfung an den Genehmigungszeitpunkt erstreckt sich diese Feststellungswirkung nicht auf nachträgliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage, wie im vorliegenden Fall. Die streitige Anordnung bewirkt auch keine – der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörde vorbehaltene – (Teil-)Aufhebung der Genehmigung.
Es war rechtlich auch einwandfrei, so das BVerwG, dass das OVG hier einen Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG bejaht hat, weil durch den Betrieb der Windenergieanlagen das Tötungs- und Verletzungsrisiko von Exemplaren der besonders geschützten Fledermausarten signifikant erhöht sei.
Quelle | BVerwG, Urteil vom 19.12.2023, 7 C 4.22, PM 95/23
| Stiehlt ein Polizist nach einem Verkehrsunfall Käse, ist er aus dem Dienst zu entfernen. So entschied es das Verwaltungsgericht (VG) Trier. |
Das war geschehen
Ein Lkw hatte einen Unfall. Der Polizeibeamte, der eine Uniform und eine Dienstwaffe trug, verlangte von der Bergungsfirma, aus der verunfallten Ladung neun unbeschädigte Packungen Käse herauszugeben. So geschah es. Diese Pakete verlud der Polizist mit einer Kollegin in einen Einsatzbus und deckte sie ab. U. a. ein knappes Viertel des Käses fand sich später in der Polizeistation des Beamten. Seine Erklärung: Der Gutachter der Versicherung habe den Käse freigegeben. Es habe sich quasi um Müll gehandelt. Was er verschwieg: Der Käse wurde später noch zum Restwert verkauft.
Verwaltungsgericht „kennt keine Gnade“
Der Polizist kam zwar vor dem Strafgericht „mit einem blauen Auge“ davon. Das VG, bei dem es um disziplinarische Maßnahmen gegen den Beamten ging, entfernte ihn aus dem Dienst. Er habe während der Dienstzeit in Uniform einen Diebstahl mit Waffen begangen. Das VG verhängte daher die Höchstmaßnahme. Das VG betonte: Einem Polizisten, der in Uniform stiehlt, könne man nicht mehr glauben, dass er sich an Recht und Gesetz hält.
Das VG bewertete es als besonders negativ, dass der Beamte das Vertrauen in die Polizei ausgenutzt hatte, indem er der Bergungsfirma falsche Tatsachen vorgespiegelt hatte. Hinzu kamen Lügen gegenüber seinen Vorgesetzten. Unerheblich sei es, falls der Käse nur als Geschenk an Kollegen dienen sollte.
Quelle | VG Trier, Urteil vom 18.1.2024, 3 K 1752/23 TR
| Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern hat jetzt klargestellt: Beschreibt der Arbeitgeber das Arbeitsumfeld als „jung und dynamisch“, bezieht sich dies auf den Arbeitsplatz. Es wird kein Bewerber wegen seines Alters ausgeschlossen.|
Ein Tankstellenpächter suchte in einem Zeitungsinserat wie folgt nach einem neuen Mitarbeiter: „Wir sind ein junges und dynamisches Team mit Benzin im Blut und suchen Verstärkung.“ Anschließend folgten Einzelheiten zu Anforderungen und Gehalt. Die konkreten Arbeitsbedingungen wurden beschrieben. Der 50-jährige Kläger bewarb sich erfolglos. Eingestellt wurde ein 48-jähriger Mann. Der Kläger forderte eine Entschädigung. Die Stellenanzeige enthalte eine Altersdiskriminierung. Damit scheiterte er in erster und zweiter Instanz.
Das LAG stellte fest: Das Inserat formulierte keine Anforderungen, die den Kläger wegen seines Alters von einer Bewerbung hätte abhalten sollen. Hier lag vielmehr eine werbende Eigendarstellung vor. Es handele sich um eine überspitzte, ironische, nicht ernsthaft gemeinte, in der Form eines Werbeslogans gehaltene Beschreibung des Arbeitsumfeldes. Das LAG: Einzelne Begriffe, z. B. „jung“, herauszupicken und auf sich selbst zu beziehen, sei nicht zulässig, zumal die konkreten Anforderungen an die Bewerber im Inserat deutlich beschrieben wurden.
Quelle | LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 17.10.2023, 2 Sa 61/23
| Der Kläger war seit dem 1.7.2018 als Rezeptionist in einem Beherbergungsbetrieb tätig und regelmäßig in der Spätschicht eingesetzt. Er hatte am 12.1.2022 sein Hybridauto vor der Herberge geparkt und über ein Ladekabel an einer 220 Volt-Steckdose im Flur des Seminartrakts aufgeladen. Nachdem die Beklagte dies entdeckt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis am 14.1.2022 fristlos. Hiergegen hatte der Kläger sich mit seiner Kündigungsschutzklage gewandt und in erster Instanz obsiegt. In dem vom Arbeitgeber angestrengten Berufungsverfahren haben die Parteien ihren Streit vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf nun per Vergleich beigelegt. |
Unerlaubtes Laden an sich ein Kündigungsgrund
In der mündlichen Verhandlung bestätigte das LAG, dass das unerlaubte Laden des Privatfahrzeugs auf Kosten des Arbeitgebers an sich ein Kündigungsgrund ist. Dies gilt erst recht, wenn das Laden an einer 220 Volt-Steckdose und nicht an einer Wallbox oder eingerichteten Ladestation erfolgt.
Erteilte Erlaubnis war unklar
Das LAG hatte allerdings bereits Zweifel, ob von einem unerlaubten Laden auszugehen sei. Dazu hätte ggf. die Beweisaufnahme erster Instanz zur Frage der gegenüber dem Kläger erteilten Erlaubnis wiederholt werden müssen.
Hier hätte Abmahnung ausgereicht
Unabhängig davon sprach nach Ansicht des LAG mehr dafür, dass hier eine Abmahnung ausgereicht hätte. Eine Kündigung wäre wohl unverhältnismäßig gewesen.
„Schaden“ von rund 40 Cent
So lagen die Kosten für den Ladevorgang am 12.1.2022 bei lediglich 0,4076 Euro. Ein Verbot zum Laden von Elektromotoren für die Mitarbeitenden existierte nicht. Die Hausordnung, die dies vorsah, richtete sich ausdrücklich nur an Gäste. Das Laden anderer elektronischer Geräte, z. B. Handys, durch Mitarbeitende wurde geduldet. Auch wenn dies wertungsmäßig etwas anderes als das Laden eines Hybridautos ist, hätte im konkreten Fall angesichts der bislang beanstandungsfreien Beschäftigungszeit eine Abmahnung genügt.
Am Ende verglichen sich die Parteien
Auf Vorschlag des Gerichts haben sich die Parteien u. a. auf eine ordentliche Kündigung zum 28.2.2022 und eine Abfindung von 8.000 Euro brutto geeinigt.
Quelle | LAG Düsseldorf, Vergleich vom 19.12.2023, 8 Sa 244/23, PM 32/23
| Der Beweiswert von (Folge-)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann erschüttert sein, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen, und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun klargestellt. |
War der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert?
Der Kläger war seit März 2021 als Helfer bei der Beklagten beschäftigt. Er legte am Montag, dem 2.5.2022, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 2. bis zum 6.5.2022 vor. Anfang Mai kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.5.2022. Mit Folgebescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 wurde Arbeitsunfähigkeit bis zum 20.5.2022 und bis zum 31.5.2022 (einem Dienstag) bescheinigt. Ab dem 1.6.2022 war der Kläger wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung auf. Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Beweiswert der vorgelegten AU-Bescheinigungen sei erschüttert. Dem widersprach der Kläger, weil die Arbeitsunfähigkeit bereits vor dem Zugang der Kündigung bestanden habe. Die Vorinstanzen haben der auf Entgeltfortzahlung gerichteten Klage für die Zeit vom 1. bis zum 31.5.2022 stattgegeben.
Gesetzliches Beweismittel
Die Revision der Beklagten hatte teilweise – bezogen auf den Zeitraum vom 7. bis zum 31.5.2022 – Erfolg. Ein Arbeitnehmer kann die von ihm behauptete Arbeitsunfähigkeit mit ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachweisen. Diese sind das gesetzlich vorgesehene Beweismittel.
Arbeitgeber kann Beweiswert erschüttern
Deren Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die nach einer Gesamtbetrachtung Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geben. Hiervon ausgehend ist das Landesarbeitsgericht (LAG) bei der Prüfung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die während einer laufenden Kündigungsfrist ausgestellt werden, zutreffend davon ausgegangen, dass für die Erschütterung des Beweiswerts dieser Bescheinigungen nicht entscheidend ist, ob es sich um eine Kündigung des Arbeitnehmers oder eine Kündigung des Arbeitgebers handelt und ob für den Beweis der Arbeitsunfähigkeit eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden.
Einzelfall ist zu würdigen
Stets erforderlich ist allerdings eine einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände. Hiernach hat das Berufungsgericht richtig erkannt, dass der Beweiswert für die Bescheinigung vom 2.5.2022 nicht erschüttert ist. Eine zeitliche Koinzidenz zwischen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und dem Zugang der Kündigung ist nicht gegeben. Der Kläger hatte zum Zeitpunkt der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine Kenntnis von der beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses, etwa durch eine Anhörung des Betriebsrats. Weitere Umstände hat die Beklagte nicht dargelegt. Bezüglich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 ist der Beweiswert dagegen erschüttert. Das LAG hatte insoweit nicht ausreichend berücksichtigt, dass zwischen der in den Folgebescheinigungen festgestellten passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestand und der Kläger unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen hat. Dies hat zur Folge, dass der Kläger nun für die Zeit vom 7.5.bis zum 31.5.2022 die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch trägt.
Da das LAG – aus seiner Sicht konsequent – hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückzuverweisen.
Quelle | BAG, Urteil vom 13.12.2023, 5 AZ R 137/23, PM 45/23
Erbrecht
| Der Bundesfinanzhof hat entschieden: Kostenerstattungen eines kirchlichen Arbeitgebers an seine Beschäftigten für die Erteilung erweiterter Führungszeugnisse, zu deren Einholung der Arbeitgeber zum Zwecke der Prävention gegen sexualisierte Gewalt kirchenrechtlich verpflichtet ist, führen nicht zu Arbeitslohn. |
Die Einholung der erweiterten Führungszeugnisse durch die Arbeitnehmer erfolgte aufgrund einer nur die kirchlichen Rechtsträger, nicht aber die Arbeitnehmer treffenden (kirchenrechtlichen) Verpflichtung.
Durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasste, zu Lohn führende Zuwendungen erbringt der Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern aber regelmäßig nicht, wenn er ausschließlich eine eigene, insbesondere nicht gegenüber den Arbeitnehmern bestehende Verpflichtung erfüllt.
Die zur Erfüllung einer entsprechenden Verpflichtung entstehenden Kosten wendet der Arbeitgeber in einer solchen Konstellation im eigenen Interesse auf. Sie sind Ausfluss seiner eigenbetrieblichen Tätigkeit.
Beachten Sie | Haben die Arbeitnehmer die vom Arbeitgeber für dessen eigenbetriebliche Tätigkeit zu tragenden Kosten (wie im Streitfall) zunächst aus eigenen Mitteln verauslagt, wendet der Arbeitgeber ihnen mit der Erstattung ihrer Aufwendungen keinen Vorteil zu, der sich im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweisen könnte.
Quelle | BFH, Urteil vom 8.2.2024, IV R 19/22
| Nach dem neuen Partnerschaftsgesetz (hier: § 2 Abs. 1 PartGG), das am 1.1.2024 in Kraft getreten ist, muss der Name der Partnerschaft nur noch den Zusatz „und Partner“ oder „Partnerschaft“ enthalten. Die Aufnahme des Namens mindestens eines Partners ist nicht mehr erforderlich. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Der Zwang zur Benennung mindestens eines Partners ist zum Jahreswechsel entfallen. Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass die grundsätzlich zu schützende Vertrauensbeziehung zwischen Freiberufler und Auftraggeber es jedenfalls aus gesellschaftsrechtlicher Sicht nicht erfordert, dass der Name der Partnerschaftsgesellschaft den Namen mindestens eines Partners enthalten muss. Hinzu kommt, dass die Identifizierung der Partnerschaftsgesellschaft mit dem Namen der Partner weitgehend an Bedeutung verloren hat.
Quelle | BGH, Beschluss vom 6.2.2024, II ZB 23/22
| Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken bestätigte, dass in einer Tageszeitung anlässlich einer damals anstehenden Neuwahl des Ortsvorstehers zulässig über die erstinstanzliche strafrechtliche Verurteilung eines lokalen Bauunternehmers berichtet worden sei, der mit zwei der Kandidaten verwandt ist. |
Das war geschehen
Eine große pfälzische Tageszeitung berichtete in ihrer Online-Ausgabe vom 30.6.2023 und in ihrer Print-Ausgabe vom 1.7.2023 über die damals anstehende Neuwahl eines Ortsvorstehers. Diese war notwendig geworden, weil der bisherige Ortsvorsteher nach diversen Anfeindungen zurückgetreten war.
Im Artikel wurden die drei Kandidaten vorgestellt und dabei erwähnt, dass zwei der Kandidaten mit einem lokalen Bauunternehmer und Landwirt verwandt seien, dem Anwohner vorwerfen, für den stark angestiegenen Lkw-Verkehr im Ort verantwortlich zu sein. Dabei wurde auch berichtet, dass der Bauunternehmer erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung u. a. wegen Beleidigung, Nötigung, Bedrohung und versuchter gefährlicher Körperverletzung von Anwohnern verurteilt worden sei.
Auf eine Abmahnung des Bauunternehmers hin schwärzte die Zeitung das E-Paper und ergänzte den Online-Beitrag um den Hinweis, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig sei. Der Bauunternehmer verlangte hierauf im gerichtlichen Eilverfahren den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Zeitung, wonach sie den ihn betreffenden Bericht unterlassen sollte. Das Landgericht (LG) wies den Antrag zurück. Hiergegen hat der Bauunternehmer sofortige Beschwerde eingelegt. Diese wies das OLG zurück.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG begründete seine Entscheidung damit, dass es schon an der erforderlichen Eilbedürftigkeit für das beschrittene gerichtliche Eilverfahren fehle. Der Bauunternehmer habe mehr als fünf Wochen mit seinem Antrag gewartet und die Zeitung habe den Online-Artikel um den Zusatz, wonach das strafrechtliche Urteil noch nicht rechtskräftig sei, bereits ergänzt.
Zulässige Verdachtsberichterstattung
Unabhängig davon handele es sich um eine zulässige Verdachtsberichterstattung. Zwar könnten anhand der im Artikel genannten Einzelinformationen zumindest die Einwohner des betroffenen Ortsteils den Bauunternehmer identifizieren. Der Bericht beruhe aber auf wahren Tatsachen, nämlich die tatsächliche Verurteilung des Bauunternehmers. Außerdem werde zumindest durch den Zusatz klar, dass die Verurteilung auch noch nicht rechtskräftig sei.
Persönlichkeitsrecht vs. Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit
Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Bauunternehmers stehe nicht außer Verhältnis zum Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Es gehöre gerade zu den Aufgaben der Presse, in Zusammenhang mit demokratischen Prozessen zu berichten. Hierzu gehöre auch die Berichterstattung über den Hintergrund der Kandidaten, insbesondere deren verwandtschaftliche Beziehungen, da diese möglicherweise Einfluss auf zukünftige Entscheidungen der Kandidaten haben könnten. Sowohl der erhöhte Lkw-Verkehr im Ort, als auch die erstinstanzlich abgeurteilten Straftaten des Antragstellers zulasten der Anwohner seien von lokalem Interesse.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.10.2023, 4 W 23/23, PM vom 11.3.2024
| Die Nutzung eines Bootes als schwimmende Bar auf der Havel muss nach einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin umgehend beendet werden. |
Boot = bauliche Anlage?
Der Antragsteller ist Eigentümer eines Bootes, das er überwiegend an Dritte vermietet, im Sommer aber an drei Tagen am Wochenende zum Ausschank von Getränken an Gäste nutzt. Die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt forderte ihn im August 2023 sofort vollziehbar auf, die schwimmende Bar innerhalb einer Woche ab Zugang der Anordnung „zu beseitigen“. Zur Begründung führte die Behörde im Wesentlichen aus, die auf einer Plattform betriebene Bar sei nach dem Berliner Wassergesetz genehmigungsbedürftig; eine Genehmigung werde aber nicht erteilt.
Der Antragsteller hat um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er meint, bei seinem Boot handele es sich weder um eine bauliche Anlage im Wasser noch um eine schwimmende Plattform, sondern um ein zugelassenes Sportboot. Es werde wegen der Vermietung an Dritte auch nicht vorwiegend stationär genutzt.
Während der Woche Sportboot, an Wochenenden Anlage im Gewässer
Das VG hat die Rechtmäßigkeit der Anordnung überwiegend bestätigt. Bei der schwimmenden Bar handele es sich um eine nicht genehmigte Anlage, deren Beseitigung die Wasserbehörde nach dem Berliner Wassergesetz habe anordnen dürfen. Auch wenn das Boot während der Woche als Sportboot einzustufen sei, führe seine wiederkehrende stationäre Nutzung als schwimmende Bar in der Sommersaison von Freitagabend bis Sonntag dazu, dass es in diesem Zeitraum als Anlage im Gewässer einzustufen sei. Diese Nutzung überschreite qualitativ die Grenze der gemeinverträglichen Nutzung des Gewässers und stelle sich damit wie eine Sondernutzung dar.
Strenger Maßstab war anzulegen
Wegen der besonderen Bedeutung, die dem Wasser für die Allgemeinheit wie für den Einzelnen zukomme und mit Rücksicht darauf, dass das Wasser und der Wasserhaushalt gegenüber Verunreinigungen und sonstigen nachteiligen Einwirkungen in besonderer Weise anfällig sei, sei ein strenger Maßstab gerechtfertigt. Daher könne der Antragsteller auch keine Sondernutzungserlaubnis beanspruchen.
Das VG beanstandete den Bescheid allerdings hinsichtlich der zur Durchsetzung der Verfügung angedrohten Ersatzvornahme, da nur der Antragsteller selbst die stationäre Nutzung unterlassen könne und es sich somit um eine unvertretbare Handlung handele.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 19.1.2024, VG 10 L 419.23, PM 4/24
| Prozesskosten zur Erlangung nachehelichen Unterhalts sind privat veranlasste Aufwendungen und keine (vorweggenommenen) Werbungskosten bei den späteren Unterhaltseinkünften i. S. des Einkommensteuergesetzes (hier: § 22 Nr. 1 a EStG). Mit dieser Entscheidung hat der Bundesfinanzhof (BFH) der anderslautenden Sichtweise des Finanzgerichts (FG) Münster (Vorinstanz) widersprochen. |
Hintergrund: Beim begrenzten Realsplitting kann der Unterhaltsverpflichtete die Unterhaltszahlungen bis zu 13.805 Euro im Jahr (zuzüglich der aufgewandten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung als Basisversorgung) als Sonderausgaben abziehen. Dies bedarf allerdings der Zustimmung des Unterhaltsberechtigten, der die Unterhaltszahlungen seinerseits als sonstige Einkünfte versteuern muss.
Erst durch den Antrag und die Zustimmung werden Unterhaltsleistungen in den steuerrelevanten Bereich überführt. Die Umqualifizierung markiert die zeitliche Grenze für das Vorliegen abzugsfähiger Erwerbsaufwendungen; zuvor verursachte Aufwendungen des Unterhaltsempfängers stellen keine Werbungskosten dar.
Beachten Sie | Der BFH hat den Streitfall an das FG Münster zurückverwiesen. Dieses muss nun klären, ob ggf. außergewöhnliche Belastungen vorliegen. Es besteht zwar ein Abzugsverbot für Prozesskosten (§ 33 Abs. 2 S. 4 EStG). Dieses greift aber nicht, wenn die Existenzgrundlage oder lebensnotwendige Bedürfnisse des Steuerpflichtigen betroffen sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 18.10.2023, X R 7/20
| Nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die pauschale Besteuerung (Steuersatz i. H. von 25 %) für Betriebsveranstaltungen auch für Veranstaltungen zulässig, die nicht allen Betriebsangehörigen offenstehen. Nicht so erfreulich ist dagegen ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG), wonach die verspätete Pauschalbesteuerung nicht zur Beitragsfreiheit in der Sozialversicherung führt. |
Hintergrund: Zuwendungen des Arbeitgebers an seinen Arbeitnehmer und dessen Begleitpersonen anlässlich von Veranstaltungen auf betrieblicher Ebene mit gesellschaftlichem Charakter (Betriebsveranstaltung) führen gemäß Einkommensteuergesetz (hier: § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 1 EStG) zu Arbeitslohn.
Soweit die Zuwendungen den Betrag von 110 Euro je Betriebsveranstaltung und teilnehmendem Arbeitnehmer nicht übersteigen, gehören sie jedoch nicht zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, wenn die Teilnahme allen Angehörigen des Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. Dies gilt für bis zu zwei Betriebsveranstaltungen jährlich (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 3 und S. 4 EStG).
Urteil des Bundesfinanzhofs
Ungeklärt war bislang die Frage, ob eine„Betriebsveranstaltung“ auch bei einem geschlossenen Kreis (beispielsweise Vorstands- und Führungskräfte feiern) vorliegt.
Beachten Sie | In diesen Fällen kann zwar kein Freibetrag i. H. von 110 Euro gewährt werden, aber es wäre eine Lohnsteuerpauschalierung (nach § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) mit 25 % möglich.
Auch bei eingeschränktem Kreis: Betriebsveranstaltung
Diese Frage hat der BFH – im Gegensatz zur Vorinstanz – nun zugunsten der Steuerpflichtigen entschieden. Nach der ab dem Veranlagungszeitraum 2015 geltenden Definition im Einkommensteuergesetz (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 1 EStG) kann eine Betriebsveranstaltung auch vorliegen, wenn sie nicht allen Angehörigen eines Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. Und da diese Definition dem Tatbestandsmerkmal „Betriebsveranstaltung“ (gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) entspricht, ist eine pauschale Besteuerung möglich.
Urteil des Bundessozialgerichts
Im Streitfall des BSG ging es auch um Betriebsveranstaltungen – und zwar um die Frage, welche Folgen eine verspätete Lohnsteuerpauschalierung für die Sozialversicherung hat.
Das war geschehen
Ein Unternehmen feierte mit seinen Beschäftigten am 5.9.2015 ein Firmenjubiläum. Am 31.3.2016 zahlte es für September 2015 auf einen Betrag von rund 163.000 Euro die für 162 Arbeitnehmer angemeldete Pauschalsteuer. Nach einer Betriebsprüfung forderte der Rentenversicherungsträger von dem Unternehmen Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen in Höhe von rund 60.000 Euro nach – und zwar zu Recht, wie das BSG entschieden hat (die gegenteiligen Entscheidungen der Vorinstanzen wurden aufgehoben).
Aufwendungen von mehr als 110 Euro je Beschäftigten für eine betriebliche Jubiläumsfeier sind als geldwerter Vorteil in der Sozialversicherung beitragspflichtig, wenn sie nicht mit der Entgeltabrechnung, sondern erst erheblich später pauschal versteuert werden.
Pauschalversteuerung erfolgte zu spät
Es kommt entscheidend darauf an, dass die pauschale Besteuerung „mit der Entgeltabrechnung für den jeweiligen Abrechnungszeitraum“ erfolgt. Dies wäre im konkreten Fall die Entgeltabrechnung für September 2015 gewesen. Tatsächlich wurde die Pauschalbesteuerung aber erst Ende März 2016 durchgeführt und damit sogar nach dem Zeitpunkt, zu dem die Lohnsteuerbescheinigung für das Vorjahr übermittelt werden musste.
Beachten Sie | Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung vertreten im Besprechungsergebnis vom 20.4.2016 (TOP 5) die Auffassung, dass eine nachträgliche Pauschalbesteuerung nur bis zur Erstellung der Lohnsteuerbescheinigung geltend gemacht werden kann, also längstens bis zum 28.2. des Folgejahrs. Dem hat sich das BSG nun im Ergebnis angeschlossen.
Quelle | BFH, Urteil vom 27.3.2024, VI R 5/22; BSG, Urteil vom 23.4.2024, B 12 BA 3/22 R Abruf-Nr. 241172 unter www.iww.de, PM Nr. 15/24 vom 23.4.2024; Spitzenorganisationen der Sozialversicherung, Besprechungsergebnis vom 20.4.2016, TOP 5
| Aufwendungen einer gesunden Steuerpflichtigen für eine durch eine Krankheit des Partners veranlasste Präimplantationsdiagnostik (PID) können als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein. So lautet eine steuerzahlerfreundliche Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH). |
Hintergrund: Bei der PID handelt es sich um ein genetisches Diagnoseverfahren zur vorgeburtlichen Feststellung von Veränderungen des Erbmaterials, die eine Fehl- oder Totgeburt verursachen bzw. zu einer schweren Erkrankung eines lebend geborenen Kindes führen können. Es erfolgt eine zielgerichtete genetische Analyse von Zellen eines durch künstliche Befruchtung entstandenen Embryos vor seiner Übertragung und Einnistung in die Gebärmutter.
Das war geschehen
Bei dem Partner der Steuerpflichtigen lag eine chromosomale Translokation vor. Aufgrund dieser Chromosomenmutation bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein auf natürlichem Weg gezeugtes gemeinsames Kind an schwersten körperlichen oder geistigen Behinderungen leidet und unter Umständen nicht lebensfähig ist. Daher wurde eine PID durchgeführt. Der Großteil der hierfür notwendigen Behandlungen betraf die Steuerpflichtige, die den Abzug der Kosten als außergewöhnliche Belastungen beantragte.
Das Finanzamt lehnte eine Berücksichtigung der Behandlungskosten ab. Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen gab der Klage hinsichtlich der von der Steuerpflichtigen selbst getragenen Aufwendungen hingegen statt.
Bundesfinanzhof: zwangsläufig entstandene Aufwendungen
Der BFH bestätigte nun die Vorentscheidung. Die Aufwendungen für die Behandlung der Steuerpflichtigen sind zwangsläufig entstanden, weil die ärztlichen Maßnahmen in ihrer Gesamtheit dem Zweck dienten, eine durch Krankheit beeinträchtigte körperliche Funktion ihres Partners auszugleichen. Wegen der biologischen Zusammenhänge konnte (anders als bei anderen Erkrankungen) durch eine medizinische Behandlung allein des erkrankten Partners keine Linderung der Krankheit eintreten. Daher steht der Umstand, dass die Steuerpflichtige selbst gesund ist, der Berücksichtigung der Aufwendungen nicht entgegen.
Auch auf den Familienstatus kam es nicht an
Unschädlich war auch, dass die Steuerpflichtige und ihr Partner nicht verheiratet waren – und schließlich war auch das Erfordernis der Übereinstimmung der vorgenommenen Behandlungsschritte mit gesetzlichen Vorschriften (insbesondere dem Embryonenschutzgesetz) erfüllt.
Beachten Sie | Außergewöhnliche Belastungen wirken sich nur steuermindernd aus, wenn sie die im Einkommensteuergesetz (hier: § 33 Abs. 3 EStG) festgelegte zumutbare Belastung übersteigen. Die Höhe der zumutbaren Belastung hängt dabei u. a. vom Gesamtbetrag der Einkünfte ab.
Quelle | BFH, Urteil vom 29.2.2024, VI R 2/22, PM 23/24 vom 10.5.2024
| Das Ordnungsamt darf einen privaten Pkw, der auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellt worden ist, unabhängig davon abschleppen lassen, ob ein Carsharing-Fahrzeug an der Nutzung dieses Parkplatzes konkret gehindert worden ist. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf entschieden und die Klage der Fahrzeugführerin gegen einen Leistungs- und Gebührenbescheid abgewiesen. |
Die Klägerin hatte ihren Pkw auf einer Fläche abgestellt, die durch Verkehrsschilder als Parkplatz für Carsharing-Fahrzeuge gekennzeichnet war. Ein Mitarbeiter der städtischen Verkehrsüberwachung stellte den Verstoß fest und beauftragte einen Abschleppwagen. Kurz vor dessen Eintreffen erschien die Klägerin und entfernte ihr Fahrzeug von dem Parkplatz. Die Stadt machte ihr gegenüber mit Leistungs- und Gebührenbescheid die Kosten der Leerfahrt des Abschleppwagens geltend und setzte eine Verwaltungsgebühr fest. Zur Begründung ihrer Klage gegen diesen Bescheid trug die Klägerin vor, sie habe nur elf Minuten auf dem Carsharing-Platz geparkt und zu dieser Zeit seien noch weitere Parkplätze frei gewesen, sodass ein Abschleppen nicht notwendig gewesen sei.
Das VG: Die Beauftragung des Abschleppwagens war rechtmäßig. Ein Fahrzeug, das auf einem nach der Beschilderung ausschließlich Carsharing-Fahrzeugen vorbehaltenen Parkplatz steht, aber nicht am Carsharing teilnimmt, wird so betrachtet, als wenn es in einem absoluten Halteverbot stünde. Die Abschleppmaßnahme war verhältnismäßig, weil die Funktion der Parkplätze für Carsharing-Fahrzeuge nur gewährleistet ist, wenn sie jederzeit von nicht parkberechtigten Fahrzeugen freigehalten werden. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob die Klägerin durch das verbotswidrige Abstellen konkret ein bevorrechtigtes Carsharing-Fahrzeug am Parken gehindert hat. Das Abschleppen ist auch unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, dass von einem zu Unrecht auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellten Fahrzeug eine negative Vorbildwirkung für andere Kraftfahrer ausgeht.
Quelle | VG Düsseldorf, Urteil vom 20.2.2024, 14 K 491/23, PM vom 28.2.2024
| Die Abschleppunternehmer rechnen üblicherweise nach Einsatzstunden ab, wobei im Stundensatz die Kosten für das Fahrzeug und den Fahrer enthalten sind. Die Preis- und Strukturbefragung des Verbands Bergen und Abschleppen (VBA) differenziert dabei im unteren Segment nach Abschleppfahrzeugen unter und über zwölf Tonnen zulässigem Gesamtgewicht (zGG). Das Amtsgericht (AG) Pforzheim musste einen Fall entscheiden, bei dem der Abschleppunternehmer mit einem 13-Tonner vorgefahren kam. |
Der Versicherer trug vor, bei dem konkreten Gewicht des zu transportierenden Fahrzeugs hätte auch ein 11-Tonner genügt. Auf dieser Grundlage hatte er die Abschleppkosten nur reduziert erstattet.
Das Gericht entschied: Es möge sein, dass ein 11-Tonner genügt hätte. Doch sei dies im Vorhinein nicht abschätzbar.
Quelle | AG Pforzheim, Urteil vom 11.1.2024, 9 C 1207/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat sich in seiner Entscheidung mit der Frage befasst, ob der Klägerin ein Anspruch auf Sterbegeld und Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusteht, nachdem ihr Ehemann einen tödlichen Motorradunfall erlitten hatte. |
Ehemann der Klägerin bei Verkehrsunfall tödlich verletzt
Der Ehemann der Klägerin war Inhaber eines Autohauses in Berlin und als Unternehmer freiwillig bei der beklagten Berufsgenossenschaft versichert. Die Klägerin war in dem Autohaus angestellt tätig. Die gemeinsame Wohnung der Eheleute lag etwa 14 km vom Autohaus entfernt. Am 19.8.2013 reisten beide gemeinsam auf ihrem Motorrad aus einem mehrtägigen Urlaub in Thüringen die rund 400 km lange Strecke zurück nach Berlin, der Ehemann lenkte das Motorrad. Da die Tochter des Ehepaares während des Urlaubs die Geschäfte des Autohauses weitergeführt hatte und wegen eines Zahnarzttermins um 14:00 Uhr auf ihrer Arbeit abgelöst werden sollte, wollten sich die Eheleute aus Thüringen kommend direkt zum Autohaus begeben. Dort sollten von beiden die weiteren Geschäfte aufgenommen werden, ohne zuvor in die Familienwohnung zu fahren. Bereits auf dem Berliner Stadtgebiet, noch bevor sich die Wege zum Autohaus und zur Familienwohnung gabelten, kam es gegen 13:25 Uhr zu einem Verkehrsunfall, bei dem sich die Klägerin erheblich verletzte und ihr Ehemann verstarb.
Berufsgenossenschaft lehnte Sterbegeld ab
Die Berufsgenossenschaft lehnte es ab, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen (Sterbegeld und Witwenrente) zu erbringen. Ihr Ehemann habe sich bei dem Unfall nicht auf einem versicherten Arbeitsweg befunden, sondern lediglich auf einem privat veranlassten Rückweg von einer Urlaubsreise. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin und die Berufung vor dem LSG blieben zunächst ohne Erfolg. Auf die vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassene und von der Klägerin eingelegte Revision hin hat das Bundessozialgericht (BSG) das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache dorthin zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts sowie zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Landessozialgericht spricht Hinterbliebenenleistungen zu
Das LSG hat jetzt entschieden: Der Ehefrau stehen Hinterbliebenenleistungen zu. Der tödliche Motorradunfall stelle für den Ehemann als freiwillig versicherten Unternehmer einen Arbeitsunfall dar.
Zum einen sei der Ehemann versichert gewesen, weil er sich selbst zum Zeitpunkt des Unfalls auf dem direkten Weg zum Autohaus begeben wollte, um dort seiner Arbeit nachzugehen. Zum anderen habe Versicherungsschutz auch deshalb bestanden, weil die objektiven Begleitumstände und die Angaben der Ehefrau darauf schließen ließen, dass der verunglückte Ehemann seine Frau direkt zum Autohaus gefahren habe, damit diese dort die gemeinsame Tochter bei der Arbeit habe ablösen können. Damit liege ein versicherter, sogenannter „Betriebsweg“ vor, der nicht auf das Betriebsgelände beschränkt sei, aber dennoch im unmittelbaren betrieblichen Interesse liege.
Dem Versicherungsschutz stehe nicht entgegen, dass der Weg aus dem Urlaub (von einem „dritten Ort“ aus) angetreten worden sei und mithin erheblich länger gewesen sei, als es die Strecke von der Wohnung zur Arbeit gewesen wäre. Entscheidend sei, dass der zurückgelegte Weg die direkte Strecke zum Autohaus gewesen sei bzw. dass der subjektive Wille in erster Linie auf die Wiederaufnahme der Arbeit gerichtet gewesen sei. Dies hat das LSG anhand der vorliegenden Indizien des Falls bejaht. Insbesondere seien auch der Unfallzeitpunkt (13:25 Uhr) und der Zeitpunkt, zu dem die Tochter im Autohaus abgelöst werden sollte (14:00 Uhr), zeitlich stimmig.
Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.1.2024, L 21 U 202/21, PM vom 1.2.2024
| Mit den Besonderheiten bei der Versicherung historischer Fahrzeuge hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Es entschied: Steigt der Wert eines Oldtimers nach Abschluss der Versicherung an, ist der Betrag der Wertsteigerung womöglich vom Versicherungsschutz ganz oder teilweise nicht erfasst. Der Eigentümer des Fahrzeugs muss selbst darauf achten, den versicherten Wert regelmäßig dem etwa gestiegenen Marktwert anzupassen. Eine auf vollständigen Ersatz gerichtete Klage gegen die Kfz-Versicherung hat das Gericht im zugrundeliegenden Fall wegen Unterdeckung abgewiesen. |
Das war geschehen
Ein Oldtimerfan hatte sein historisches Fahrzeug gegen Beschädigung oder Zerstörung zum jeweils aktuellen Marktwert versichert. Später kam es dazu, dass das Fahrzeug bei einem Brand in einer Tiefgarage erheblich beschädigt worden war.
Die Kfz-Versicherung kam nach eingeholtem Gutachten zu einem Wert des Fahrzeugs am Schadenstag in Höhe von knapp 41.000 Euro und zahlte dem Eigentümer den entsprechenden Geldbetrag aus. Dieser war jedoch davon überzeugt, dass sein Oldtimer deutlich mehr wert gewesen sei und ließ deshalb ein weiteres Gutachten einholen. Dieses kam tatsächlich zu dem Ergebnis, dass das historische Fahrzeug im Wert deutlich gestiegen und fast 8.000 Euro mehr wert war, als von der Versicherung angenommen. Der Mann verlangte nun die Differenz.
Sonderbedingungen des Versicherungsvertrags entscheidend
Das LG verwies, wie auch zuvor bereits die Versicherung, den Oldtimerfan auf die im Versicherungsvertrag enthaltenen Sonderbedingungen für historische Fahrzeuge. Danach werde grundsätzlich ein Schaden bis zur Höhe des aktuellen Marktwerts ersetzt. Die Höchstentschädigung sei aber durch den Marktwert begrenzt, der bei Versicherungsabschluss vereinbart wurde.
Im Fall von Wertsteigerungen könne maximal zehn Prozent mehr als der damals vereinbarte Marktwert verlangt werden. Der habe im konkreten Fall rund 36.000 Euro betragen. Dem Oldtimerbesitzer stehe deshalb keine höhere Entschädigung zu, als von der Versicherung bereits ausgezahlt.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 17.1.2024, 3 O230/23, PM vom 28.2.2024
| Das Amtsgericht (AG) Frankfurt hatte nach der Wegnahme eines Fan-Schals keinen Diebstahl, sondern lediglich eine Nötigung angenommen. Ob ein Diebstahl vorliege, hänge davon ab, ob der Täter den Schal seinem Vermögen einverleiben wolle. |
Wegnahme nach Fußballspiel
Der angeschuldigte Eintracht-Fan soll bei einem Fußballspiel der Frankfurter Eintracht gegen den FC Schalke 04 im Deutsche Bank-Park einem Fan der gegnerischen Mannschaft einen Fan-Schal abgenommen haben. Beim Verlassen des Stadions habe er dem Schalke-Anhänger den Fan-Schal im Vorbeilaufen vom Hals gezogen. Als der Schalke-Fan ihn zur Rückgabe aufforderte, habe er ihn mit beiden Händen weggeschoben.
Staatsanwaltschaft bejahte Diebstahl
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main wertete dies als Diebstahl. Da der Angeschuldigte zudem den Schalke-Fan mit Gewalt weggedrückt habe, um den erbeuteten Schal behalten zu können, erhob sie Anklage wegen räuberischen Diebstahls - einem Verbrechenstatbestand mit einer Mindeststrafe von einem Jahr.
Amtsgericht differenzierte
Das AG sah in der Handlung des Angeschuldigten jedoch keinen Diebstahl. Es fehle an der hierfür notwendigen „Zueignungsabsicht“. Diese liege nur vor, wenn der Täter sich die Sache aneignen, sie also seinem Vermögen zuführen wolle. Nehme der Täter den Schal aber lediglich an sich, um jemanden zu ärgern, fehle es an einer Zueignungsabsicht. Es handele sich dann lediglich um eine straflose „Gebrauchsanmaßung“ und – sofern der Schal anschließend beschädigt würde – um eine Sachbeschädigung.
Da das Gericht keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür sah, dass der Angeschuldigte den Schal behalten wollte, eröffnete es das Hauptverfahren nicht wegen räuberischen Diebstahls, sondern lediglich wegen Nötigung. Diese habe der Angeschuldigte durch das Wegdrücken des Schalke-Fans begangen.
Quelle | AG Frankfurt am Main, Beschluss vom 23.10.2023, 917 Ls 6443 Js 217242/23, PM vom 8.3.2024
| Bei der Zerstörung eines älteren Baumes ist in der Regel keine sog. Naturalrestitution zu leisten, also nicht der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Der Anspruch geht vielmehr auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines jungen Baumes und darüber hinaus einen Ausgleich für eine etwa verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Das Oberlandgericht (OLG) Frankfurt am Main hat ein den eingeklagten Schadenersatzanspruch größtenteils zurückweisendes Urteil des Landgerichts (LG) aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das LG zurückverwiesen. |
Rückschnitt ja, aber nicht so gravierend
Die Parteien sind Nachbarn. Die Klägerin ist Eigentümerin eines großen Grundstücks im Vordertaunus mit rund 70-jährigem Baumbestand. Der Baum- und Strauchbestand wird jährlich mehrfach durch ein Fachunternehmen beschnitten. An den hinteren Gartenbereich grenzt u. a. das Grundstück des Beklagten. Im Abstand von 1,60 m hierzu steht auf dem klägerischen Grundstück eine Birke, im Abstand von 3,35 m ein Kirschbaum. Beide Bäume waren zum Zeitpunkt des Erwerbs des Beklagten schon lange vorhanden. Die Klägerin war einverstanden, dass der Beklagte die auf sein Grundstück herüberhängenden Äste der Gehölze zurückschneidet.
Ende Mai 2020 betrat der Beklagte das klägerische Grundstück in ihrer Abwesenheit und führte gravierende Schnittarbeiten unter anderem an den beiden Bäumen durch. An der Birke verblieb kein einziges Blatt. Der kurz vor der Ernte befindliche Kirschbaum wurde vollständig eingekürzt. Ob sich die Bäume wieder komplett erholen oder die derzeitigen Triebe allein sog. Nottriebe sind, die an dem Absterben nichts ändern, ist zwischen den Parteien streitig.
Landgericht sprach Schadenersatz von 4.000 Euro zu
Das LG hat der auf Zahlung von Schadenersatz von knapp 35.000 Euro gerichteten Klage in Höhe von gut 4.000 Euro stattgegeben. Es führte aus, dass die Wertminderung der Bäume sowie die Kosten für die Entsorgung des Schnittguts zu ersetzen seien.
Oberlandesgericht: Sachverhalt muss aufgeklärt werden
Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LG. Der Sachverhalt sei zur Bemessung des Schadenersatzes weiter aufzuklären, begründete das OLG die Entscheidung.
Bei der Zerstörung eines Baumes sei in der Regel nicht Schadenersatz in Form von Naturalrestitution zu leisten, da die Ersatzbeschaffung in Form der Verpflanzung eines ausgewachsenen Baumes regelmäßig mit besonders hohen und damit unverhältnismäßigen Kosten verbunden sei. Der Schadenersatz richte sich vielmehr üblicherweise auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines neuen jungen Baumes sowie einen Ausgleichsanspruch für die verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Diese Werteinbuße sei zu schätzen. Nach einer möglichen Bewertungsmethode könnten dafür die für die Herstellung des geschädigten Gehölzes bis zu seiner Funktionserfüllung erforderlichen Anschaffungs-, Pflanzungs- und Pflegekosten sowie das Anwachsrisiko berechnet und anschließend kapitalisiert werden. Dieser Wert sei um eine Alterswertminderung, Vorschäden und sonstige wertbeeinflussende Umstände zu bereinigen.
Ausnahmsweise seien die vollen Wiederbeschaffungskosten zuzuerkennen, „wenn Art, Standort und Funktion des Baumes für einen wirtschaftlich vernünftig denkenden Menschen den Ersatz durch einen gleichartigen Baum wenigstens nahelegen würden“, erläutert das OLG weiter. Aufzuklären sei deshalb bei der Bewertung des Schadenersatzes die Funktion der Bäume für das konkrete Grundstück. Zu berücksichtigen sei dabei auch der klägerische Vortrag, wonach es ihr bei der sehr aufwändigen, gleichzeitig naturnahen Gartengestaltung auch darauf angekommen sei, Lebensraum für Vögel und sonstige Tiere zu schaffen und einen Beitrag zur Umwandlung von Kohlenstoffdioxid in Sauerstoff zu leisten.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 6.2.2024, 9 U 35/23, PM 12/24
Impfpflicht: Vorlage eines Masernimmunitätsnachweises für schulpflichtige Kinder
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat in mehreren Eilverfahren die Beschwerden von Eltern schulpflichtiger Kinder gegen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin zurückgewiesen, wonach Gesundheitsämter für den Schulbesuch den Nachweis einer Impfung oder Immunität gegen Masern fordern dürfen, sofern keine Kontraindikation besteht. Für den Fall, dass der Nachweis nicht vorgelegt wird, kann auch ein Zwangsgeld angedroht werden. |
Infektionsschutzgesetz verfassungskonform
Zur Begründung hat das OVG u. a. ausgeführt: Die Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes zur Nachweispflicht seien angesichts der hochansteckenden Viruskrankheit mit möglicherweise schwerwiegenden Komplikationen nicht offenkundig verfassungswidrig. Zwar greife die Nachweispflicht in das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes ein. Die Regelung sei aber verhältnismäßig, weil sie – wie das Bundesverfassungsgericht bereits zur Nachweispflicht bei noch nicht schulpflichtigen Kindern entschieden habe – einen legitimen Zweck verfolge und nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehe.
Impfpflicht besteht
Der Gesetzgeber des Masernschutzgesetzes sei von einer grundsätzlich bestehenden „Impfpflicht“ bzw. „verpflichtenden Impfung“ ausgegangen. Er habe lediglich von deren Durchsetzung im Wege des unmittelbaren Zwangs abgesehen. Andere Zwangsmittel, wie Zwangsgeld und Geldbuße, seien hingegen vorgesehen, um eine tatsächliche Erhöhung der Impfquote in Schulen und sonstigen Gemeinschaftseinrichtungen – und damit letztlich in der gesamten Bevölkerung – zu erreichen.
Die Beschlüsse sind unanfechtbar.
Quelle | OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 28.2.2024, OVG 1 S 80/23 u. a., PM 9/24
| Nach Modernisierungsarbeiten vor Mietbeginn kann der Vermieter eine Miete vereinbaren, die die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 10 % übersteigt. Bestreitet der Mieter die Maßnahmen, ist das unbeachtlich, wenn der Vermieter eine substanziierte Berechnung vorgelegt und Einsicht in sämtliche Unterlagen angeboten hat. Das hat jetzt das Amtsgericht (AG) Berlin-Charlottenburg entschieden. |
Mieter verlangte Rückerstattung überhöhter Miete
Die Miete für eine Wohnung in einem durch Verordnung bestimmten Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt lag bei 1.700 Euro. Unter Berücksichtigung eines zehnprozentigen Zuschlags gemäß Mietspiegel war von einer ortsüblichen Vergleichsmiete von maximal 867,71 Euro auszugehen. Der Mieter forderte die Rückerstattung der überhöht verlangten Miete. Im Prozess nahm der Vermieter detailliert zu den von ihm durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen Stellung und legte dar, in welchem Umfang Abzüge für Instandsetzungsmaßnahmen vorgenommen wurden, insbesondere, dass anrechenbare Modernisierungskosten in Höhe von 441,33 Euro pro Monat entstanden seien.
Klage hatte teilweise Erfolg
Das AG gab der Klage teilweise statt. Bei den Baumaßnahmen des Vermieters handele es sich zwar nicht um eine umfassende Modernisierung im Sinne des § 556 f BGB, sodass der Vermieter die Wohnung nicht preisfrei vermieten durfte. Bei einer umfassenden Modernisierung sei zum einen auf den Investitionsaufwand und zum anderen auf das Ergebnis der Maßnahme, also die qualitativen Auswirkungen auf die Gesamtwohnung, abzustellen. Die aufgewandten Kosten einer reinen Erhaltungsmaßnahme zählten insgesamt nicht zu den Modernisierungskosten. Allein die Höhe des Bauaufwands reiche nicht aus; entscheidend sei das Resultat, also der geschaffene Zustand. Der Begriff „umfassend“ bezeichne nämlich nicht nur ein quantitatives (Kosten-)Element, sondern gleichberechtigt ein qualitatives Kriterium. Zu berücksichtigen seien die qualitativen Auswirkungen der Maßnahmen auf die Gesamtwohnung. Eine solche Auslegung werde dem Gesetzeszweck gerecht, Modernisierungen zu fördern. Durch diesen Aufwand müsse ein Zustand erreicht werden, der einer Neubauwohnung in etwa – nicht notwendig vollständig – entspreche.
Im Fall des AG fehlten Darlegungen des Vermieters, dass durch die Maßnahmen ein Zustand erreicht wurde, der insbesondere in energetischer Hinsicht einem Neubau gleichkommt. Jedoch sei der Vermieter berechtigt, die Kosten für die Modernisierungsmaßnahmen (nach § 556 e Abs. 2 BGB) in Höhe von 441,33 Euro pro Monat anzurechnen. Insgesamt sei daher eine Nettokaltmiete für die Wohnung in Höhe von 1.309,04 Euro berechtigt.
Quelle | AG Berlin-Charlottenburg, Urteil vom 9.6.2023, 209 C 29/22
| Nach dem Wohnungseigentumsgesetz (hier: § 20 Abs. 1 Abs. 2 S. 1 WEG) kann jeder Wohnungseigentümer angemessene bauliche Veränderungen verlangen, die u. a. dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen (sog. privilegierte bauliche Veränderungen). Verlangt ein Wohnungseigentümer eine solche bauliche Veränderung, entscheidet die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer über das „Wie“ der Maßnahme nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung. Der einzelne Wohnungseigentümer hat grundsätzlich keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung. So entschied es das Landgericht (LG) Stuttgart. |
Eigentümer errichtete zunächst Ladesäule
Ein Wohnungseigentümer hatte ein Sondernutzungsrecht an einem Stellplatz im Freien. Seit Jahren versuchte er vergeblich zu erreichen, dass eine Ladesäule für Elektrofahrzeuge an seinem Stellplatz errichtet wird. Schließlich montierte er im Sommer 2019 ohne Gestattung neben seinem Außenstellplatz eine Ladesäule auf einem Betonfundament. Für die Errichtung als „öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur“ erhielt er eine Förderung aus Bundesmitteln. Die Eigentümergemeinschaft verklagte ihn erfolgreich auf Entfernen der Ladestation und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Im Rahmen der Vollstreckung wurde die Ladesäule demontiert.
Dann verlangte er bestimmte bauliche Veränderungen
Der Eigentümer verlangte daraufhin „bauliche Veränderungen, die dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen gemäß (von ihm) vorgelegtem Ladeinfrastrukturkonzept“. Dieser Antrag wurde in der Eigentümerversammlung 2020 nicht beraten und zur Abstimmung gestellt, sondern beschlossen, ein Gesamtkonzept zum Betreiben von Ladepunkten für E-Mobilität erstellen zu lassen. Die Eigentümerversammlung 2021 lehnte das inzwischen vorliegende Gesamtkonzept ab und ebenso die von dem Eigentümer erneut beantragte Genehmigung baulicher Veränderungen gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept, das alternativ eine öffentliche oder nichtöffentliche Nutzung vorsah. Zugleich wurde anderen Wohnungseigentümern auf deren Antrag gestattet, eine Wallbox an insgesamt vier Stellplätzen anzubringen.
Darauf erhob der Eigentümer Beschlussersetzungsklage, gerichtet auf die Gestattung, auf dem Gemeinschaftseigentum neben seinem Stellplatz die zuvor entfernte Ladestation gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept errichten zu dürfen, hilfsweise, ihm die Anbringung einer Wallbox zu gestatten. Damit hatte der Eigentümer in beiden Instanzen keinen Erfolg.
Landgericht: kein Anspruch auf bestimmte Ausführung einer Maßnahme
Der Eigentümer könne die Gestattung der Errichtung einer Ladestation nach dem von ihm entwickelten Ladeinfrastrukturkonzept nicht verlangen. Die Beschlussersetzungsklage diene der gerichtlichen Durchsetzung des Anspruchs des Wohnungseigentümers auf ordnungsmäßige Verwaltung. Die Klage sei daher begründet, wenn der klagende Wohnungseigentümer einen Anspruch auf den seinem Rechtsschutzziel entsprechenden Beschluss habe, weil nur eine Beschlussfassung ordnungsmäßiger Verwaltung entspreche.
Zwar könne jeder Wohnungseigentümer einen Beschluss über das „Ob“ solcher baulichen Veränderungen verlangen, so das LG; dies beinhalte aber keinen Anspruch auf eine bestimmte Art und Weise der Durchführung. Darüber entscheiden die Wohnungseigentümer im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung nach eigenem Ermessen. Der einzelne Wohnungseigentümer habe mithin keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung, solange das Ermessen der Gemeinschaft nicht aufgrund der Einzelfallumstände auf null reduziert sei.
Quelle | LG Stuttgart, Urteil vom 5.7.2023, 10 S 39/21
| Das Finanzministerium Baden-Württemberg stellt einen Ratgeber „Steuertipps für Familien“ zur Verfügung. Der 100 Seiten umfassende Ratgeber gibt neben Informationen rund um das Kindergeld u. a. einen Überblick über die Steuervergünstigungen für Familien und Alleinerziehende.
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden, wann ein Widerspruch vorliegt, durch den ein älteres Testament – ganz oder teilweise – aufgehoben wird. |
Vier handschriftliche Testamente
Die Erblasserin verstarb ledig und kinderlos. Sie hatte zwei Geschwister: eine Schwester und einen Bruder, die beide vorverstorben sind. Insgesamt hinterließ die Erblasserin vier handschriftlich verfasste Testamente.
Im ersten Testament vom 3.4.2007 setzte sie ihre Schwester als Alleinerbin und ihren Bruder als Ersatzerben ein. Dieses Testament änderte sie am 26.4.2009 durch Durchstreichen derart, dass die Ersatzerbenstellung des Bruders aufgehoben wurde mit der Bemerkung, dass er gestorben sei. Im Testament vom 26.4.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Später ergänzte sie den Text mit folgendem unvollständigen Wortlaut: „Für den Fall, dass meine Schwester das Erbe nicht antreten kann, setze ich meine Großnichte als“. Im Testament vom 18.10.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Weiter heißt es in dem Testament: „Für den Fall, dass meine Schwester verstorben ist, setze ich zur Nacherbin meine Großnichte ein.“ Schließlich testierte sie am 27.4.2016 erneut und setzte wiederum ihre Schwester als Alleinerbin ein. In diesem Testament wurde weder eine Ersatzerbschaft noch eine Nacherbschaft angeordnet und die Großnichte wurde nicht mehr erwähnt.
Die Großnichte beantragte einen Alleinerbschein. Dem traten die Kinder des vorverstorbenen Bruder entgegen. Das Nachlassgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, die Erblasserin habe mit ihrer letzten Verfügung von Todes wegen die vorangegangenen Testamente aufgehoben. Der gegen diesen Beschluss durch die Großnichte eingelegten Beschwerde hat das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Akten dem OLG Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat die Beschwerde zurückgewiesen.
So sah es das Oberlandesgericht
Die Großnichte könnte ihre Alleinerbenstellung allein aus dem Testament vom 18.10.2009 herleiten. Diese Stellung sei indes von der Erblasserin vollständig aufgehoben worden, als sie am 27.4.2016 ein neues Testament errichtet habe, in dem die Großnichte nicht mehr als Ersatzerbin berufen sei, so das OLG.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 2258 Abs. 1 BGB) werde durch die Errichtung eines Testaments ein früheres Testament insoweit aufgehoben, als dass das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch stehe. Ein derartiger Widerspruch liege zum einen vor, wenn die Testamente sachlich miteinander nicht vereinbar seien, die getroffenen Anordnungen also nicht nebeneinander Geltung erlangen könnten, sondern sich gegenseitig ausschließen. Ein Widerspruch sei zum anderen (auch) gegeben, wenn die einzelnen Anordnungen einander zwar nicht entgegengesetzt seien, aber die kumulative Geltung der mehreren Verfügungen den in einem späteren Testament zum Ausdruck kommenden Absichten des Erblassers zuwiderliefe. Das sei der Fall, wenn der Erblasser mit dem späteren Testament seine Erbfolge insgesamt, nämlich abschließend und umfassend (ausschließlich) habe neu regeln wollen. So liege der Fall hier.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.12.2023, I-3 Wx 189/23
| Zwei Investoren sind zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von insgesamt 300.000 Euro nebst Zinsen an einen Planungsverband verpflichtet worden, weil sie die Erteilung einer Baugenehmigung zur Realisierung eines Hotelbauvorhabens nicht rechtzeitig beantragt haben. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz. |
Frist für Bebauungsplan vereinbart
Im Dezember 2016 schloss der Planungsverband mit den Investoren einen städtebaulichen Vertrag. In diesem verpflichteten sich die Investoren, binnen 36 Monaten ab Inkrafttreten eines vom Planungsverband aufzustellenden Bebauungsplans einen vollständigen Bauantrag zur Errichtung eines Hotelbaus zu stellen. Unterbleibt eine rechtzeitige Bauantragstellung, ist eine Vertragsstrafe in Höhe von 15.000 Euro monatlich, höchstens in Höhe von 300.000 Euro, vorgesehen.
Frist überschritten: Vertragsstrafe
Weil die Investoren ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen waren, verlangte der Planungsverband zunächst außergerichtlich und dann mit seiner Klage, die vereinbarte Vertragsstrafe zu zahlen. Die Investoren beriefen sich dagegen auf Formfehler beim Zustandekommen des Vertrags und machten geltend, die Stellung eines vollständigen Bauantrags sei ihnen unmöglich gewesen, weil der Planungsverband Gestaltungsvorgaben nicht hinreichend konkret vorgegeben habe. Ferner stünde ein Lärmschutzkonflikt mit den Betreibern der auf dem Plateau vorhandenen Freilichtbühne einer Umsetzung des Hotelkonzepts entgegen.
Anforderungen eingehalten
Die Klage hatte Erfolg. Der Verband habe einen Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe, so das VG. Der Vertrag sei frei von Verfahrens- und Formfehlern zustande gekommen und entspreche den an einen städtebaulichen Vertrag zu stellenden gesetzlichen Anforderungen.
Rechtzeitigkeit wäre möglich gewesen
Den Investoren sei es zudem möglich gewesen, rechtzeitig vollständige Bauantragsunterlagen einzureichen. Insbesondere habe der Lärmschutzkonflikt zwischen dem geplanten Hotelvorhaben und der Freilichtbühne die Vorlage vollständiger Bauantragsunterlagen nicht unmöglich gemacht. Eine Lösung des Konflikts wäre vielmehr im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens herbeizuführen gewesen.
Gegen die Entscheidung wurde Rechtsmittel zum Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz erhoben.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 6.12.2023, 4 K 388/23.KO, PM 1/24
| Die Errichtung von Kleinwindenergieanlagen ist ein im Außenbereich baurechtlich privilegiertes Vorhaben der Nutzung der Windenergie, auch wenn es nicht mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms der öffentlichen Energieversorgung, sondern der Deckung des privaten Verbrauchs dient. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |
Landkreis lehnte Erlass eines Bauvorbescheids ab
Die Kläger beantragten, ihnen einen Bauvorbescheid zur Errichtung von vier Kleinwindenergieanlagen (Gesamthöhe 6,5 m) auf ihrem Grundstück im Außenbereich zu erteilen. Der Landkreis lehnte dies mit der Begründung ab, die Anlagen seien nicht als im Außenbereich privilegierte Vorhaben der Nutzung der Windenergie zu behandeln, da die Privilegierung auf solche Windenergieanlagen zu beschränken sei, die der öffentlichen Versorgung dienten. Zudem stünden öffentliche Belange dem Vorhaben entgegen. Hiergegen erhoben die Kläger Klage. Das Verwaltungsgericht (VG) verpflichtete den beklagten Landkreis, den beantragten Bauvorbescheid zu erteilen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Landkreises wies das OVG zurück.
Privilegiertes Bauvorhaben auch bei Privatnutzung der erzeugten Energie
Das VG habe den Beklagten zu Recht zur Erteilung des beantragten Bauvorbescheids verpflichtet. Bei der Errichtung und dem Betrieb der vier Kleinwindenergieanlagen handele es sich um ein der Nutzung der Windenergie dienendes privilegiertes Vorhaben im Sinne des Baugesetzbuchs (hier: § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB), das im Außenbereich zugelassen werden könne.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ließen sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal herleiten, wonach das Vorhaben nicht nur der Nutzung der Windenergie, sondern – mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms – auch der öffentlichen Energieversorgung dienen müsse. Gegen ein solches ungeschriebenes Erfordernis sprächen auch Sinn und Zweck der Norm. Diese diene letztlich einer umwelt- und ressourcenschonenden Energieversorgung mittels einer verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien, wozu Windenergieanlagen auch dann beitrügen, wenn sie allein zur Deckung eines privaten Verbrauchs errichtet würden. Die überragende Bedeutung dieses Ziels habe der Gesetzgeber mehrfach in seiner weiteren Normsetzung herausgestellt.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus einem Urteil des OVG aus dem Jahr 2018, an dem der dort erkennende Senat in Bezug auf den geforderten öffentlichen Versorgungszweck in einer neueren Entscheidung aus dem Jahr 2023 ersichtlich nicht mehr festhalte.
Keine Gefahr von Wildwuchs
Nicht nachvollziehbar sei die vom Beklagten ferner geltend gemachte Befürchtung, dass bei einer Privilegierung von allein der privaten Versorgung dienenden Kleinwindenergieanlagen ein Wildwuchs derartiger Vorhaben zulasten der Landschaft drohe. Denn die Errichtung einer Kleinwindenergieanlage im Außenbereich komme unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nur in Betracht, wenn der erzeugte Strom entweder durch einen dort in der Nähe der Anlage vorhandenen Verbraucher abgenommen oder ins Stromnetz eingespeist werde. Dies sei jedoch regelmäßig nicht der Fall, da ein Endabnehmer vor Ort im Außenbereich nur in Ausnahmefällen vorhanden sei und der Bau einer Leitung allein zum Zweck der Einspeisung des mit der Kleinanlage erzeugten Stroms in ein öffentliches Netz unter Rentabilitätsaspekten ausscheide. Dem privilegierten Vorhaben stünden auch keine öffentlichen Belange entgegen.
Quelle | OVG Koblenz, Urteil vom 4.4.2024, 1 A 10247/23. OVG, PM 6/24
| Das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz hat die Entlassung eines Polizeikommissars aus dem Beamtenverhältnis auf Probe für rechtmäßig erklärt. |
Das war geschehen
Der Kläger war im Jahr 2021 nach bestandener Laufbahnprüfung in das Probebeamtenverhältnis berufen und als Einsatzsachbearbeiter in einer Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei eingesetzt worden. Bereits zuvor, noch während seines Vorbereitungsdienstes, hatte er über mehrere Monate hinweg wiederholt Bilddateien (sog. Sticker) in verschiedene WhatsApp-Chatgruppen mit diskriminierenden, antisemitischen, rassistischen, menschenverachtenden sowie frauen- und behindertenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Inhalten hochgeladen. Als sein Dienstherr, der Beklagte, hiervon erfuhr, leitete er zunächst ein Disziplinarverfahren und dann ein Entlassungsverfahren ein und entließ den Kläger wegen erheblicher Zweifel an dessen charakterlicher Eignung für den Polizeidienst mit Ablauf des Jahres 2022 aus dem Probebeamtenverhältnis.
Hiergegen erhob der Kläger zunächst Widerspruch und in der Folge Klage. Zur Begründung gab er an, aus dem Kontext der Verwendung der Sticker werde hinreichend deutlich, dass es sich nur um „schwarzen Humor“ handele; der Inhalt der Sticker entspreche in keiner Weise seiner inneren Haltung.
Kläger kein „unbescholtenes Blatt“
Die Klage hatte keinen Erfolg. Der Beklagte sei vielmehr beurteilungsfehlerfrei von der charakterlichen Nichteignung des Klägers für den Polizeidienst ausgegangen. Damit knüpfte das VG an seine bereits im November 2023 getroffenen Beschluss an, mit dem er die vom Kläger beantragte Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussichten seiner Klage abgelehnt hatte. In dem Beschluss hatte das Gericht betont, es sei unerheblich, ob die vom Kläger verwandten „Sticker“ tatsächlich Ausdruck seiner Gesinnung seien. Der Kläger müsse diese so gegen sich gelten lassen, wie sie aus Sicht eines objektiven Betrachters zu verstehen seien. Es werde deutlich, dass der Kläger sich seiner beamtenrechtlichen Pflichten nicht einmal ansatzweise bewusst sei und dass ihm erkennbar die erforderliche charakterliche Reife und Stabilität für das Amt eines Polizeivollzugsbeamten fehle. Außerdem berücksichtigten die Richter, dass der Kläger im Februar 2024 strafrechtlich wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in vier Fällen, in drei Fällen hiervon in Tateinheit mit Volksverhetzung, schuldig gesprochen worden war.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 20.2.2024, 5 K 733/23. KO, PM 5/24
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung einer TV-Moderatorin wirksam ist, die trotz Abmahnungen eine Online-Kolumne für eine im Wettbewerb stehende Tageszeitung verfasst. |
Einschränkungen im Arbeitsvertrag
Die Klägerin war langjährig im Bereich Finanz- und Börsenberichterstattung für die Beklagte tätig, die einen Nachrichtensender mit TV- und Onlineberichterstattung betreibt. Der Arbeitsvertrag schränkt die Möglichkeit von Nebentätigkeiten ein und sieht vor, dass zuvor eine Genehmigung erfolgen muss.
Abmahnung wegen Online-Börsenkolumne
Die Klägerin hat unter anderem am 29.9.2022 eine Online-Börsenkolumne für eine Tageszeitung verfasst, wegen der sie am 4.10.2022 abgemahnt wurde. Dennoch veröffentlichte die Klägerin dort am 1.1.2023 eine weitere Kolumne, aufgrund der die Beklagte die streitgegenständliche Kündigung aussprach.
Zuvor war die Klägerin auch vor dem ArbG Köln in einem einstweiligen Verfügungsverfahren unterlegen, in dem sie ihren Arbeitgeber verpflichten wollte, die Nebentätigkeit zum Verfassen einer wöchentlichen Kolumne zu genehmigen. Hier hatte das ArbG geurteilt, dass die begehrte Nebentätigkeit eine nicht genehmigungsfähige Konkurrenztätigkeit darstelle.
Arbeitsgericht bestätigt Kündigung
Das ArG Köln hat die Kündigung bestätigt. Bei der Online-Kolumne handele es sich um eine Wettbewerbstätigkeit, da sowohl der Arbeitgeber als auch der Zeitungsverlag Unternehmen sind, die sowohl im Bereich der TV- wie auch der Onlineberichterstattung aktiv seien.
Zudem betreffe die Börsenkolumne der Klägerin den fachlichen Kernbereich ihrer Tätigkeit für die Beklagte. Gerade in diesen Themen hat die Klägerin sich in der Vergangenheit eine große Reputation aufgebaut, mit der sie bislang für die Beklagte in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten ist. Ein Arbeitnehmer, der während des bestehenden Arbeitsverhältnisses Wettbewerbstätigkeiten entfaltet, verstoße gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers. Dies könne eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar
Hier sei der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar. Das Vertrauen der Beklagten in einen störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses sei nach den bewussten, fortgesetzten und groben Pflichtverletzungen der Klägerin gänzlich aufgebraucht.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 11.10.2023, 9 Ca 5402/22, PM 11/23
| Ein Busunternehmer steht unter Unfallversicherungsschutz, wenn er im Homeoffice beim Hochdrehen der Heizung durch eine Verpuffung im Heizkessel verletzt wird. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Im Homeoffice Heizkessel überprüft und nach Verpuffung schwer verletzt
Der Kläger war als selbstständiger Busunternehmer bei der beklagten Berufsgenossenschaft pflichtversichert. Er bewohnte ein Haus, dessen Wohnzimmer er als häuslichen Arbeitsplatz (Homeoffice) für Büroarbeiten nutzte. Am Unfalltag holte der Kläger seine Kinder von der Schule ab und arbeitete anschließend an seinem Schreibtisch im Wohnzimmer. Nachdem er festgestellt hatte, dass die Heizkörper im ganzen Haus kalt waren, begab er sich zur Überprüfung der Kesselanlage in den Heizungskeller. Beim Hochdrehen des Temperaturschalters kam es aufgrund eines Defekts der Heizungsanlage zu einer Verpuffung im Heizkessel, in deren Folge der Kläger eine schwere Augenverletzung erlitt.
Bundessozialgericht erkennt Arbeitsunfall an
Die beklagte Berufsgenossenschaft, das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) lehnten einen Arbeitsunfall ab. Das BSG hat dagegen einen Arbeitsunfall anerkannt.
Der Kläger wollte nicht nur seine Kinder, sondern auch seinen häuslichen Arbeitsplatz mit höheren Temperaturen versorgen. Die Benutzung des Temperaturreglers war deshalb unternehmensdienlich, der Heizungsdefekt kein unversichertes privates Risiko.
Quelle | BSG, Urteil vom 21.3.2024, B 2 U 14/21 R, PM 11/24
| Die Zweifelsregelung im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 271 Abs. 2 BGB) gestattet es einem Arbeitgeber nicht, eine dem Arbeitnehmer bisher zustehende jährliche Einmalzahlung wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld kraft einseitiger Entscheidung stattdessen in anteilig umgelegten monatlichen Teilbeträgen zu gewähren, um sie „pro rata temporis“ – also zeitanteilig – auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen zu können. Diese Auffassung vertritt das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg im Streit über die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs durch Sonderzahlungen. |
Das LAG hat die Revision zugelassen.
Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.1.2024, 3 Sa 4/23
| Eine durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Vermögensverschiebung von einer Kapitalgesellschaft an einen Gesellschafter setzt einen Zuwendungswillen voraus – und ein solcher kann aufgrund eines Irrtums des Gesellschafter-Geschäftsführers fehlen. Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs (BFH) ist es insoweit maßgebend, ob der konkrete Gesellschafter-Geschäftsführer einem Irrtum unterlegen ist, nicht hingegen, ob einem ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiter der Irrtum gleichfalls unterlaufen wäre. |
Hintergrund: Bei einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) handelt es sich – vereinfacht – um Vermögensvorteile, die dem Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung gewährt werden. Eine vGA darf den Gewinn der Gesellschaft nicht mindern.
Das war geschehen
Geklagt hatte eine GmbH, deren Stammkapital durch die alleinige Gesellschafter-Geschäftsführerin u. a. durch die Einbringung einer Beteiligung von 100 % an einer weiteren GmbH erbracht werden sollte. Bei der einzubringenden GmbH wurde eine Kapitalerhöhung durchgeführt, die die Gesellschafter-Geschäftsführerin begünstigte. Das Finanzamt sah hierin eine vGA der GmbH an ihre Gesellschafter-Geschäftsführerin. Dagegen argumentierte die GmbH, dass die Zuwendung an die Gesellschafter-Geschäftsführerin irrtümlich wegen eines Versehens bei der notariellen Beurkundung der Kapitalerhöhung erfolgt sei.
So entschieden die gerichtlichen Instanzen
Das Finanzgericht (FG) Schleswig-Holstein wies die Klage ab, weil einem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführer der von der GmbH dargelegte Irrtum nicht unterlaufen wäre. Der BFH hat nun aber klargestellt, dass es für die Frage, ob der für die Annahme einer vGA erforderliche Zuwendungswille vorliegt, allein auf die Person der konkreten Gesellschafter-Geschäftsführerin ankommt. Er verwies den Streitfall deshalb zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurück.
Beachten Sie | In seiner Urteilsbegründung zum Vorliegen einer vGA führt der BFH aber auch Folgendes aus: Der handelnde Gesellschafter muss nicht mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis handeln, er muss den Tatbestand der vGA nicht kennen und er muss das Geschehene auch nicht richtig würdigen. Vielmehr genügt in aller Regel ein persönlich zurechenbares Handeln.
Diese Grundsätze gelten aber nicht uneingeschränkt, da es zur Annahme einer vGA – so wie bei einer offenen Gewinnausschüttung – eines Zuwendungswillens bedarf.
Quelle | BFH, Urteil vom 22.11.2023, I R 9/20, PM 20/24 vom 11.4.2024
| Schweizer Banken können Informationen zu Konten und Depots deutscher Staatsangehöriger an die deutsche Finanzverwaltung übermitteln. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. Er sieht in der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden keine Verletzung der Grundrechte der inländischen Steuerpflichtigen. |
Geklagt hatten Steuerpflichtige, die sich durch Übermittlung der Kontostände ihrer Schweizer Bankkonten in ihren Grundrechten verletzt sahen, vor allem in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Nachdem bereits das Finanzgericht (FG) Köln diese Ansicht nicht teilte, bestätigte nun auch der BFH die Verfassungsmäßigkeit der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden. Jedenfalls ist die Übermittlung der Informationen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung gerechtfertigt.
Beachten Sie | Deutschland sowie mehrere andere Staaten haben sich zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung dazu verpflichtet, Informationen zu Bankkonten auszutauschen, u. a. werden hierfür die Kontostände ausländischer Bankkonten an die deutsche Steuerverwaltung übermittelt. Der automatische Informationsaustausch über Finanzkonten dient der Sicherung der Steuerehrlichkeit und der Verhinderung von Steuerflucht.
Quelle | BFH, Urteil vom 23.1.2024, IX R 36/21, PM 17/24 vom 28.3.2024
| Ohne Betriebssitz kann kein Gelegenheitsverkehr mit Mietwagen betrieben werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin in einem Eilverfahren entschieden. |
Behörde widerrief Erlaubnis
Der Antragsteller ist Inhaber einer vom Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) erteilten Genehmigung für den Gelegenheitsverkehr mit insgesamt zehn Mietwagen nach dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG). Nach den Feststellungen der Behörde fanden sich an der vom Antragsteller angegeben Adresse – anders als von ihm ursprünglich behauptet – weder Büroräume noch reservierte Stellplätze für die Fahrzeuge. Daraufhin widerrief die Behörde die Erlaubnis unter Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Verwaltungsgericht bestätigt Behörde
Das VG hat den hiergegen gerichteten Eilantrag zurückgewiesen. Zu Recht sei die Behörde von einer fehlenden Zuverlässigkeit des Antragstellers ausgegangen. Denn dieser habe gegen eine Kernpflicht des Mietwagenverkehrs verstoßen.
Das wesentliche Merkmal des Mietwagenverkehrs bestehe darin, dass Aufträge nicht an beliebigen Orten, sondern grundsätzlich nur am Betriebssitz entgegengenommen werden dürften; dorthin müssten die Fahrzeuge daher regelmäßig nach Beendigung eines jeden Auftrags zurückkehren. Die Begründung und Unterhaltung eines in der Genehmigung festgeschriebenen Betriebssitzes sei daher Voraussetzung für die Erfüllung der Rückkehrpflicht. Das Rückkehrgebot sei nicht Selbstzweck, sondern solle auf wirksame Weise unterbinden, dass Mietwagen nach Beendigung eines Beförderungsauftrags taxiähnlich auf öffentlichen Straßen und Plätzen bereitgestellt würden und dort Beförderungsaufträge annähmen.
Das VG ließ offen, ob ungeachtet dessen der Widerruf auch auf die fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit des Antragstellers hätte gestützt werden können. Es spreche allerdings einiges dafür, dass dies schon bei der Genehmigungserteilung der Fall gewesen sei. Ein Mietwagenunternehmer müsse über ein angemessenes Eigenkapital verfügen, was hier nicht ersichtlich sei. Der Zeitwert der Fahrzeuge selbst dürfe – anders als von der Behörde bei Genehmigungserteilung fälschlich angenommen – gerade nicht berücksichtigt werden.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 25.3.2024, VG 11 L 53/24, PM vom 2.4.2024
| Die Klausel „Die Mobile Briefmarke ist lediglich als ad-hoc-Frankierung zum sofortigen Gebrauch gedacht. Erworbene Mobile Briefmarken verlieren daher mit Ablauf einer 14-tägigen Frist nach Kaufdatum ihre Gültigkeit. Das maßgebliche Kaufdatum ist in der Auftragsbestätigung genannt. Eine Erstattung des Portos nach Ablauf der Gültigkeit ist ausgeschlossen.“ ist nach § 307 BGB unwirksam. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Köln entschieden. |
Es gab damit der Unterlassungsklage der Verbraucherzentrale statt. Es handele sich bei dem Erwerb einer Briefmarke um einen Kaufvertrag und nicht um einen Frachtvertrag.
Das bürgerliche Recht kenne für Verpflichtungen aus schuldrechtlichen Verträgen im Allgemeinen nur die im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: §§ 194 ff. BGB) geregelten Verjährungsvorschriften, nicht dagegen besondere, von der Frage der Verjährung unabhängige Ausschlussfristen. Es handele sich um eine unangemessene und erhebliche zeitliche Beschränkung des Erfüllungsanspruchs.
Das OLG hob hervor: Durch die Beschränkung der Gültigkeitauf 14 Tage wird der Erfüllungsanspruch auf etwa ein Prozent der gesetzlich vorgesehenen Verjährungsfrist verkürzt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 13.6.2023, I-3 U 148/22
| Im Rahmen einer inländischen doppelten Haushaltsführung ist der Werbungskostenabzug von Unterkunftskosten auf 1.000 Euro monatlich beschränkt. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat nun entschieden, dass unter diesen Höchstbetrag auch eine für die Wohnung am Beschäftigungsort zu entrichtende Zweitwohnungssteuer fällt. |
Hintergrund: Eine beruflich veranlasste doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer außerhalb des Ortes seiner ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Haushalt unterhält (Hauptwohnung) und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnt (Zweitwohnung). In diesen Fällen können Arbeitnehmer Unterkunftskosten bis maximal 1.000 Euro im Monat als Werbungskosten abziehen.
Das war geschehen
Eine Arbeitnehmerin hatte an ihrem Tätigkeitsort in München eine Zweitwohnung gemietet. Die hierfür in den Streitjahren entrichtete Zweitwohnungssteuer i. H. von 896 Euro bzw. 1.157 Euro machte sie neben weiteren Kosten für die Wohnung i. H. von jeweils mehr als 12.000 Euro als Aufwendungen für ihre doppelte Haushaltsführung geltend. Das Finanzamt erkannte die Kosten der Unterkunft am Ort der ersten Tätigkeitsstätte in München jeweils mit dem Höchstbetrag von 12.000 Euro an. Die Zweitwohnungssteuer bei den sonstigen Aufwendungen im Rahmen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigte es nicht.
Die hiergegen gerichtete Klage war erfolgreich. Der BFH hat die Vorentscheidung nun aber aufgehoben.
Was der Höchstbetrag umfasst – und was nicht
Der Höchstbetrag umfasst sämtliche entstehenden Aufwendungen, wie beispielsweise Miete, Betriebskosten sowie Kosten der laufenden Reinigung und Pflege der Zweitwohnung oder -unterkunft; nicht jedoch Aufwendungen für Hausrat, Einrichtungsgegenstände oder Arbeitsmittel, mit denen die Zweitwohnung ausgestattet ist. Aufwendungen für die erforderliche Einrichtung und Ausstattung der Zweitwohnung, soweit sie nicht überhöht sind, können als sonstige notwendige Mehraufwendungen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigt werden.
Die Zweitwohnungssteuer ist Aufwand für die Nutzung der Unterkunft und unterfällt daher bei den Mehraufwendungen für die doppelte Haushaltsführung der Abzugsbeschränkung.
Das Entstehen der Zweitwohnungssteuer knüpft maßgeblich an das Innehaben einer weiteren Wohnung in München neben der Hauptwohnung und so an die damit regelmäßig einhergehende Nutzung dieser Wohnung an. Die Steuer findet als örtliche Aufwandsteuer i. S. von Art. 105 Abs. 2 a des Grundgesetzes (GG) ihre Rechtfertigung darin, dass das Innehaben einer weiteren Wohnung für den persönlichen Lebensbedarf (Zweitwohnung) neben der Hauptwohnung ein Zustand ist, der gewöhnlich die Verwendung von finanziellen Mitteln (Einkommen) erfordert und damit regelmäßig die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Wohnungsinhabers zum Ausdruck bringt.
Beachten Sie | Der BFH hat damit die von der Finanzverwaltung vertretene Rechtsauffassung bestätigt. Noch nicht höchstrichterlich entschieden und derzeit beim BFH anhängig ist die Frage, wie Kosten für einen separat angemieteten Stellplatz zu behandeln sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 13.12.2023, VI R 30/21, PM 18/24 vom 4.4.2024; Stellplatz: Rev. BFH, VI R 4/23
| Zum 1.1.2020 wurde mit § 35 c Einkommensteuergesetz (EStG) eine Steuerermäßigung für energetische Maßnahmen bei zu eigenen Wohnzwecken genutzten Gebäuden eingeführt. Diese komplexe Regelung weist jedoch einige Fragen auf, die das Bundesfinanzministerium (BMF) in einem Schreiben teilweise beantwortet hat. Nun ist nach einem vorinstanzlichen Urteil des Finanzgerichts (FG) München ein Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) zum Heizungstausch anhängig, in dem es darum geht, ob die Steuerermäßigung erst ab der vollständigen Begleichung der Rechnung in Betracht kommt. |
Hintergrund: Begünstigte Aufwendungen/Maßnahmen sind u. a. die Wärmedämmung von Wänden, Dachflächen und Geschossdecken sowie die Erneuerung der Fenster, Außentüren oder der Heizungsanlage.
Je begünstigtem Objekt beträgt der Höchstbetrag der Steuerermäßigung 40.000 Euro, wobei die Ermäßigung nach der Maßgabe des § 35 c Abs. 1 EStG über drei Jahre verteilt wird.
Das war geschehen
Die Steuerpflichtigen ließen 2021 eine neue Heizungsanlage in ihrem selbstgenutzten Gebäude einbauen. Zur Begleichung der Rechnung wurde eine monatliche Ratenzahlung für die Jahre 2021 bis 2024 vereinbart. Fraglich ist nun, ob ein Abschluss der energetischen Maßnahmen bereits mit der ausgeführten Erneuerung der Heizungsanlage (hier im Jahr 2021) oder erst mit der vollständigen Begleichung des Rechnungsbetrags (voraussichtlich im Jahr 2024) vorliegt.
Voraussetzungen für die Steuerermäßigung
Das BMF hat in seinem Schreiben vom 14.1.2021 in der Rn. 43 ausgeführt, dass die Steuerermäßigung erstmalig in dem Veranlagungszeitraum zu gewähren ist, in dem die energetische Maßnahme abgeschlossen wurde. Voraussetzung ist, dass mit der Durchführung der energetischen Maßnahme nach dem 31.12.2019 begonnen wurde und diese vor dem 1.1.2030 abgeschlossen ist.
Die energetische (Einzel-)Maßnahme ist dann abgeschlossen, wenn
- die Leistung tatsächlich erbracht (vollständig durchgeführt) ist,
- der Steuerpflichtige eine Rechnung (Schlussrechnung) erhalten und
- den Rechnungsbetrag auf das Konto des Leistungserbringers eingezahlt hat.
Die Erledigung unwesentlicher Restarbeiten, die für die tatsächliche Reduzierung von Emissionen nicht hinderlich sind, ist unschädlich. Auch, soweit bei einer mehrteiligen Maßnahme für einzelne Teilleistungen Teilrechnungen erstellt und diese beglichen wurden, wird die Steuerermäßigung abweichend vom Abflussprinzip erst ab dem Veranlagungszeitraum des Abschlusses der energetischen Maßnahme gewährt, so das BMF.
Beachten Sie | Da die Revision gegen die Entscheidung anhängig ist, wird nun der BFH entscheiden. Bis dahin können geeignete Fälle mit einem Einspruch offengehalten werden.
Quelle | FG München, Urteil vom 8.12.2023, 8 K 1534/23, Rev. BFH: IX R 31/23; BMF, Schreiben vom 14.1.2021, IV C 1 - S 2296-c/20/10004 :006
| Für Geburten ab dem 1.4.2024 gilt eine neue Einkommensgrenze, ab der der Anspruch auf Elterngeld entfällt. Zudem werden die Möglichkeiten für einen parallelen Bezug von Elterngeld neu gestaltet. Antworten auf wichtige Fragen gibt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). |
Quelle | BMFSFJ, „Neuregelungen beim Elterngeld für Geburten ab 1. April 2024“ vom 28.3.2024
| Der Bezug eines Nutzungsersatzes im Rahmen der reinen Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags nach Widerruf löst keine Einkommensteuer aus. Diese für Verbraucher frohe Kunde kommt vom Bundesfinanzhof (BFH). |
Das war geschehen
Ehegatten schlossen 2008 einen Darlehensvertrag zur Finanzierung einer selbstgenutzten Wohnimmobilie ab. 2016 widerriefen sie den Darlehensvertrag unter Berufung auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung. Auf der Grundlage eines zivilgerichtlichen Vergleichs zahlte die Bank an die Eheleute Nutzungsersatz für bis zum Widerruf erbrachte Zins- undTilgungsleistungen i. H. von 14.500 Euro. Das Finanzamt erfasste den Nutzungsersatz als Einkünfte aus Kapitalvermögen – allerdings zu Unrecht, wie nun der BFH entschieden hat.
Nutzungsersatz: weder Kapitalertrag noch sonstige Einkünfte
Der Nutzungsersatz ist kein Kapitalertrag i. S. des Einkommensteuergesetzes (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG). Die Rückabwicklung eines vom Darlehensnehmer widerrufenen Vertrags vollzieht sich außerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre. Das Rückgewährschuldverhältnis ist ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln. Daher können die einzelnen Ansprüche aus dem Rückgewährschuldverhältnis auch nicht für sich betrachtet – i. S. einer unfreiwilligen Kapitalüberlassung – Teil einer steuerbaren erwerbsgerichteten Tätigkeit sein.
Beachten Sie | Es liegen auch keine sonstigen Einkünfte (§ 22 Nr. 3 EStG) vor.
Verbraucherschutzrecht inzwischen reformiert
Die Entscheidung betrifft „alte“ Verbraucherdarlehensverträge. Der mit der Reform des Verbraucherschutzrechts in das BGB eingefügte § 357 a Abs. 3 S. 1 BGB a. F. (jetzt § 357 b BGB) hat u. a. den Anspruch des Darlehensnehmers auf Nutzungsersatz für die Zukunft beseitigt. Die neue Rechtslage ist auf nach dem 12.6.2014 abgeschlossene Verbraucherdarlehensverträge anwendbar.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.11.2023, VIII R 7/21, PM 16/24 vom 21.3.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über einen Fall entschieden, in dem eine Pkw-Fahrerin an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifuhr und mit einem gerade entleerten Müllcontainer kollidierte. Der BGH hat in diesem Fall einen Verstoß der Fahrerin gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO) bejaht. |
Das war geschehen
Die Klägerin, ein Pflegedienst, macht gegen einen für die Abfallwirtschaft zuständigen kommunalen Zweckverband Schadenersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, bei dem eines ihrer Pflegedienstfahrzeuge beschädigt wurde. Eine Mitarbeiterin der Klägerin fuhr mit diesem Fahrzeug aus der Gegenrichtung kommend an einem Müllabfuhrfahrzeug des beklagtenZweckverbands vorbei, das mit laufendem Motor, laufender Schüttung und eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie Warnblinkanlage in der Straße stand. Dabei kam es zu einer Kollision des klägerischen Fahrzeugs mit einem Müllcontainer, den ein bei dem Beklagten angestellter Müllwerker hinter dem Müllabfuhrfahrzeug quer über die Straße schob.
Mit der Klage hat die Klägerin Erstattung der Fahrzeugreparaturkosten verlangt.
So sahen es die Vorinstanzen
Das Landgericht (LG) hat der Klage gegen den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 zu 50 teilweise stattgegeben.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht (OLG) das Urteil des LG teilweise geändert und den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 75 (Beklagter) zu 25 (Klägerin) zu weiterem Schadenersatz verurteilt. Es ist dabei davon ausgegangen, dass der Fahrerin des Pkw kein Verstoß gegen die StVO anzulasten sei.
So sieht es der Bundesgerichtshof
Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Das Urteil des OLG wurde aufgehoben und die Sache an das OLG zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Der Klägerin steht gegen den Beklagten als Halter des Müllabfuhrfahrzeugs ein Schadenersatzanspruch gemäß StVO (hier: § 7) zu, da das Fahrzeug der Klägerin „bei dem Betrieb“ des Müllabfuhrfahrzeugs beschädigt worden ist. Die Gefahr, die von einer gerade entleerten Mülltonne auf der Straße für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, ist dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs zuzurechnen.
Bei der Entscheidung über die Haftungsverteilung hat das OLG zu Recht dem Müllwerker einen schuldhaften Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorgeworfen, weil er hinter dem Müllabfuhrfahrzeug einen Müllcontainer quer über die Straße schob, ohne auf den Verkehr und das Fahrzeug der Klägerin zu achten, welches für ihn – hätte er den Müllcontainer nicht vor sich hergeschoben – erkennbar gewesen wäre.
Allerdings ist entgegen der Ansicht des OLG auch der Mitarbeiterin der Klägerin als Fahrerin des Pkw ein Verstoß gegen die StVO vorzuwerfen.
Mit dem Verhalten des Müllwerkers konnte gerechnet werden
Das Hauptaugenmerk der mit dem Holen, Entleeren und Zurückbringen von Müllcontainern befassten Müllwerker ist auf ihre Arbeit gerichtet, die sie überwiegend auf der Straße und effizient, also in möglichst kurzer Zeit und auf möglichst kurzen Wegen, zu erledigen haben. Wer an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifährt, das erkennbar im Einsatz ist, darf daher nicht uneingeschränkt auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Müllwerker vertrauen. Er muss damit rechnen, dass Müllwerker plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortreten und unachtsam einige Schritte weiter in den Verkehrsraum tun, bevor sie sich über den Verkehr vergewissern. Auf diese mit dem Einsatz von Müllabfuhrfahrzeugen verbundenen Gefahren hat der vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer sein Fahrverhalten einzurichten. Wenn es nicht möglich ist, einen ausreichenden Seitenabstand zu einem Müllabfuhrfahrzeug einzuhalten, um die Gefahr eines plötzlich auftauchenden Müllwerkers vor oder hinter dem Fahrzeugzu vermeiden, muss die Geschwindigkeit gemäß der Straßenverkehrsordnung (StVO) reduziert werden, sodass der Fahrer sein Fahrzeug bei Bedarf sofort zum Stillstand bringen kann.
Den dargelegten Anforderungen genügte die vom Berufungsgericht festgestellte Fahrweise der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nicht. Bei einem Seitenabstand von maximal 50 cm zum Müllabfuhrfahrzeug war die Ausgangsgeschwindigkeit von 13 km/h zu hoch, als dass die Fahrerin das Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen hätte bringen können.
Quelle | BGH, Urteil vom 12.12.2023, VI ZR 77/23, PM 12/24
| Gibt ein Kunde mittels PushTAN und Verifizierung über eine Gesichtserkennung nach einer Phishing-Nachricht die temporäre Erhöhung seines Überweisungslimits und eine anschließende Überweisung telefonisch frei, handelt er grob fahrlässig. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt. |
Der Bankkunde – ein Rechtsanwalt und Steuerberater in einer internationalen Sozietät – führt bei der beklagten Bank ein Girokonto und forderte erfolglos, eine Überweisung von knapp 50.000 Euro zurückzuerstatten. Das OLG: Die Bank schuldet in einem solchen Fall nicht die Rückerstattung des überwiesenen Betrags. Denn angesichts der fortlaufenden Warnungen der Banken vor Phishing-Mails und der öffentlichen Diskussion hierüber müssten Kunden spätestens bei der telefonischen Aufforderung, Sicherheitsmerkmale preiszugeben, misstrauisch werden. Dies gelte auch, wenn der äußere Rahmen der besuchten Website vertraut erscheint.
Quelle | OLG Frankfurt, Urteil vom 6.12.2023, 3 U 3/23
| Wer an der Grenze zu seinem Nachbargrundstück eine Hecke anlegt, muss nach dem geltenden Nachbarrecht dafür sorgen, dass die Pflanzen je nach Grenzabstand eine bestimmte Höhe nicht überschreiten. Tut er das nicht, kann der Nachbar den Rückschnitt der Hecke verlangen und im Notfall auch gerichtlich durchsetzen. Der Anspruch auf den Rückschnitt kann jedoch nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein, wenn sich der Nachbar selbst regel- und damit treuwidrig verhält. Das hat das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Das war geschehen
Das LG hat mit dieser Begründung die Klage eines Nachbarn auf Rückschnitt einer Hecke an der Grundstücksgrenze abgewiesen. Denn auch einzelne Pflanzen auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn verstießen nach den Feststellungen der Kammer gegen die Regelungen des Nachbarrechts.
Im konkreten Fall hatten zwei Grundbesitzer Streit über die zulässige Höhe einer direkt an der Grundstücksgrenze gepflanzten Hecke, die durchgehend eine Höhe von 2,20 Metern aufweist. Unter Berufung auf das geltende Landesrecht verlangte der Nachbar, dass die Hecke auf einer Höhe von maximal eineinhalb Metern gehalten werde. Dem gab das AG statt und verurteilte den Eigentümer zum entsprechenden Rückschnitt in der Zeit von 1.10. und 15.3. eines jeweiligen Jahres.
Höhe der Hecke zwar einzuhalten, aber …
Die dagegen gerichtete Berufung zum LG hatte jedoch Erfolg. Die Berufungskammer hat dem Nachbarn zwar grundsätzlich zugebilligt, dass die nach dem Nachbarrecht zulässige Höhe der Hecke einzuhalten ist.
… Grundsätze von Treu und Glauben zu beachten
Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis sei aber stark von den sog. Grundsätzen von Treu und Glauben geprägt. Hieraus entspringen Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme, die zu einer Beschränkung bis hin zum Ausschluss nachbarrechtlicher Rechte führen könnten, so das LG. Deshalb müsse berücksichtigt werden, dass auch auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn direkt hinter dem Zaun eine drei bis vier Meter hohe Kugelhecke und eine etwa zweieinhalb Meter hohe Zypresse gepflanzt sei. Dadurch werde ebenfalls gegen das Nachbarrecht verstoßen. Wer sich aber selbst nicht regelgerecht verhalte, sei nach Treu und Glauben von Ansprüchen gegen seinen Nachbarn ausgeschlossen.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 24.1.2024, 2 S 85/23, PM vom 31.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Karlsruhe hat die Klage eines E-Autofahrers gegen die EnBW auf Rückzahlung von Blockiergebühren abgewiesen. |
Überschreiten der zulässigen Standzeit
Die Blockiergebühren in Höhe von insgesamt 19,80 Euro waren wegen Überschreitung der zulässigen Höchststandzeit an Ladesäulen der EnBW an drei verschiedenen Terminen im März 2022 angefallen. Die Blockiergebühr ist nach den Bedingungen des ADAC e-Charge Tarifs, der von der EnBW angeboten wird, ab einer Standzeit von mehr als 240 Minuten fällig. Ab diesem Zeitpunkt sind 12 Cent pro Minute zu zahlen, maximal jedoch 12 Euro. Auf die Blockiergebühr wird sowohl beim Abschluss des Tarifs als auch beim Start des Ladevorgangs hingewiesen. Der Kläger hatte diesen Bedingungen bei Nutzung der App zugestimmt.
Klausel wirksam
Der Kläger hatte argumentiert, die Klausel sei unwirksam. Im Übrigen verlangten andere Anbieter keine Blockiergebühr. Nach Auffassung des AG ist die Klausel jedoch wirksam, da das Interesse der EnBW berechtigt ist, die Ladesäule zeitnah weiteren Kunden zur Verfügung stellen zu können.
Die Entscheidung erging ohne mündliche Verhandlung. Sie ist rechtskräftig.
Quelle | AG Karlsruhe, Urteil vom 4.1.2024, 6 C 184/23, PM vom 24.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Hannover hält ein „französisches Bett“ nicht für ein Doppelbett. Das war in einem Reiserechtsfall entscheidend. |
Ist ein Bett mit einer Breite von 1,40 m ein Doppelbett? Ist es breit genug, um zwei erwachsenen Menschen einen erholsamen Urlaub zu ermöglichen? Das AG hat diese Fragen verneint. Es hat entschieden, dass Reisende jedenfalls in einem Hotel, das der Reiseveranstalter selbst mit fünf „Sonnen“ bewertet, für jeden Reisenden mit einem Schlafplatz von mehr als 70 cm Breite rechnen dürfen.
Im Fall des AG hatten drei erwachsene Personen gemeinsam ein Dreibettzimmer gebucht. Zur Verfügung gestellt wurde ihnen ein Zimmer, das über zwei Betten mit einer Breite von jeweils 1,40 m verfügte. Weil diese Ausstattung nicht der vertraglichen Vereinbarung entsprach, erhalten die beiden Reisenden, die sich ein Bett teilen mussten, nun 15 Prozent des auf sie entfallenden Reisepreises zurück.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 22.2.2024, 471 C 6110/23, PM vom 26.2.2024
| Ein gesetzlich versicherter Patient verlangte von seiner Krankenversicherung, ihm die Kosten für ein Einzelzimmer während eines stationären Krankenhausaufenthalts zu erstatten. Einen solchen Anspruch lehnte das Sozialgericht (SG) Mainz aber ab. |
Patient lag im Einzelzimmer
Ein Patient ließ sich längere Zeit stationär in einem Krankenhaus behandeln. Mit dem Krankenhaus hatte er einen Vertrag über das Unterbringen in einem Einzelzimmer geschlossen.
Krankenkasse wollte Kosten nicht übernehmen
Die dabei entstandenen Kosten wollte die Krankenkasse nicht übernehmen. Der Patient klagte. Seine Argumentation: Aus medizinischen Gründen sei ein Einzelzimmer erforderlich gewesen.
Sozialgericht wies Klage ab
Vor dem SG hatte er jedoch keinen Erfolg. Selbst wenn ein Einzelzimmer erforderlich gewesen sei, hätte das Krankenhaus dafür sorgen müssen, dass der Patient entsprechend untergebracht sei. Die Kosten einer erforderlichen Einzelzimmerbelegung seien dann in den pauschal von der Krankenkasse an das Krankenhaus zu zahlenden Entgelten enthalten. Die Kosten hierfür habe die Krankenkasse bereits gezahlt. Zusätzliche Kosten für ein Einzelzimmer könne der Patient folgerichtig nicht bei seiner Krankenkasse einfordern.
Quelle | SG Mainz, Urteil vom 23.2.2024, S 7 526/20
| Das Mietrecht (hier: § 556 Abs. 3 S. 3 BGB) schließt eine nachträgliche Abrechnung zulasten des Mieters nicht aus, durch die ein Guthaben verringert wird. Das entschied das Landgericht (LG) München. |
Grundsteuer in der Abrechnung vergessen
Der Vermieter hatte über die Betriebskosten abgerechnet und dabei die Grundsteuer vergessen. Bevor er das ursprünglich berechnete Guthaben an den Mieter auszahlte, verstrich die Abrechnungsfrist. Nun korrigierte der Vermieter die Betriebskostenabrechnung und berücksichtigte die Grundsteuer. Dabei ergab sich ein geringeres Guthaben, das er an den Mieter zahlte. Der Mieter klagte auf Rückzahlung des ursprünglich berechneten höheren Guthabens.
Amtsgericht und Landgericht vermieterfreundlich
Das Amtsgericht (AG) sprach jedoch nur das korrigierte geringere Guthaben zu. Es bestünde kein Anspruch des Mieters, weil eine nachträgliche Verringerung des Guthabens vom Gesetz nicht ausgeschlossen sei.
Die Berufung des Mieters blieb erfolglos. Das LG teilte die Rechtsauffassung des AG. § 556 Abs. 3 S. 3 BGB solle den Mieter nur davor schützen, nach Ablauf der Abrechnungsfrist Zahlungen leisten zu müssen, die die Vorauszahlungen übersteigen. Darüber hinaus gewähre das Gesetz keinen Vertrauensschutz für eine zugunsten des Mieters unrichtige Abrechnung.
Der Mieter darf also nicht darauf vertrauen, dass ein Guthaben unveränderlich bleibt. Dies gilt auch, wenn die Korrektur erst nach Ablauf der Abrechnungsfrist erfolgt. Eine weitergehende Schutzwirkung zugunsten des Mieters sieht das Gesetz schon nach dem Wortlaut der Vorschrift („Geltendmachung einer Nachzahlung“) nicht vor.
Die Entscheidung entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 31.10.07, VIII ZR 261/06).
Quelle | LG München I, Beschluss vom 30.11.2023, 31 S 10140/23
| Eine fristlose Kündigung ist auch gegenüber einem psychisch kranken oder schuldunfähigen Mieter möglich, wenn trotz Abmahnung der Hausfrieden systematisch, wiederholt und nachhaltig gestört wird mit der Folge der vorzeitigen Kündigung von anderen Mietern und der Nichtvermietbarkeit angrenzender Wohnungen. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Gesundheitszustand bedarf es dann nicht. So entschied es der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) Sachsen. |
Wiederholte Lärmstörungen
Der Vermieter kündigte nach Abmahnung das Mietverhältnis mit einem psychisch kranken Mieter wegen wiederholten Lärmstörungen fristlos, hilfsweise ordentlich. Andere Mieter hatten wegen des Lärms ihr Mietverhältnis gekündigt und eine Neuvermietung der angrenzenden Wohnung war nicht möglich.
Gegen die erfolgreiche Räumungsklage legte der Mieter Berufung ein, die er nach Hinweisbeschluss des Landgerichts (LG) Dresden zurücknahm. Das LG hatte ausgeführt, dass zwar in der Regel ein schuldhaftes Verhalten des Mieters für die Begründung des Kündigungsgrundes erforderlich sei. Dies gelte aber nicht absolut, da auch bei Schuldlosigkeit das zumutbare Maß und damit die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter überschritten sei und in der Abwägung überwiegen kann. Zwar ergebe sich aus den Wertentscheidungen des Grundgesetzes (hier: Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG) eine erhöhte Toleranzbereitschaft gegenüber nicht oder nur eingeschränkt verantwortlichen Mietern, z. B. Verschlechterung des Gesundheitszustands, Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche oder Suizidgefährdung. Aber auch wenn der Mieter aufgrund der psychischen Erkrankung nicht in der Lage sei, das Unrecht seines Handelns zu erkennen, sei hier die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter deutlich überschritten.
Mieter legte Verfassungsbeschwerde ein
Gegen das Urteil und den Beschluss legte der Mieter Verfassungsbeschwerde ein – doch ohne Erfolg. Die Beschwerde sei unzulässig, sie genüge nicht den Begründungsanforderungen, so der VerfGH. Das LG habe sich umfassend – auch – mit Grundrechten auseinandergesetzt. Eine konkrete Grundrechtsverletzung rüge der Beschwerdeführer nicht.
Quelle | VerfGH Sachsen, Urteil vom 30.8.2023, Vf. 40-IV-23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg ist der Frage nachgegangen, was der mehrdeutige Begriff „vorhandenes Barvermögen“ in einem Vermächtnis bedeutet. |
Die Parteien stritten um die Erfüllung eines Vermächtnisses und hierbei um den Begriff „Barvermögen“. In einem notariellen Testament beschwerte der Erblasser die eingesetzten Erben mit einem Vermächtnis zugunsten einer weiteren Person wie folgt: „Das bei Eintritt des Erbfalls vorhandene Barvermögen soll zu einem 1/3 Anteil an meine Tochter …, geb. am …, ausgezahlt werden“. Die Bedachte hat die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ seine gesamten liquiden Mittel, insbesondere sämtliche Guthaben bei Kreditinstituten, Wertpapiere und Bargeld im engeren Sinne verstanden. Demgegenüber haben die beschwerten Erben die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ lediglich das vorhandene Bargeld verstanden.
Barvermögen = auch unbares Geld, das sofort verfügbar ist
Das Landgericht (LG) hat sich in erster Instanz der Auffassung der Bedachten angeschlossen und die Erben verurteilt, zu zahlen. Aufgrund der gegen dieses Urteil durch die Erben eingelegten Berufung hat das OLG Oldenburg den Begriff wie folgt verstanden: Danach umfasst der Begriff des Barvermögens heutzutage das gesamte Geld, das sofort verfügbar ist, also auch über eine Kartenzahlung. Wertpapiere fallen nicht unter den Begriff des Barvermögens. Vielmehr werden Wertpapiere durch den erweiterten Begriff des Kapitalvermögens mit abgedeckt, der das Barvermögen einschließlich weiterer Kapitalwerte in Geld beschreibt.
Wertpapiere gehörten hier nicht zum Barvermögen
Nach Beweisaufnahme hat das OLG festgestellt, dass die Bedachte nicht habe nachweisen können, dass der Erblasser mit dem Begriff „Barvermögen“ das gesamte Kapitalvermögen, also auch das nicht sofort verfügbare Kapital in der Form von Genossenschaftsanteilen und Wertpapieren gemeint habe. Im Ergebnis habe der vernommene Zeuge – der beurkundende Notar – keine konkreten Aussagen zum Willen des Erblassers in Bezug auf Wertpapiere und dessen Begriffsverständnis vom Begriff „Barvermögen“ machen können.
Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 20.12.2023, 3 U 8/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) München hat entschieden: Ein Tragwerksplaner ist nur verpflichtet, den Prüfbericht des Prüfingenieurs und die diesem beigefügten Bewehrungspläne zu prüfen, wenn eine entsprechende vertragliche Vereinbarung getroffen wurde. |
Wichtige Entscheidung
Diese Aussage ist für das Tagesgeschäft der Tragwerksplanung wichtig, da es in den meisten Fällen für den Tragwerksplaner von Eigeninteresse sein dürfte, Prüfbericht und Prüfeintragungen durchzusehen. Denn der Prüfingenieur könnte ja auch eigene Mängel verhindern helfen. Schwierig wird es, wenn der Prüfingenieur eine andere Auffassung vertritt, aber dennoch kein Planungsfehler vorliegt. Dann muss man abwägen.
Das gehört nicht zuden Aufgaben eines Tragwerksplaners
Das OLG hat auch noch weitere Feststellungen getroffen: Es gehört danach nicht zu den Aufgaben eines Tragwerksplaners, geänderte Ausführungspläne des Architekten an das bauausführende Unternehmen weiterzuleiten. Dies ist ein ständiges Streitthema. Um hier Auseinandersetzungen zu vermeiden, ist es wichtig, zu Planungsbeginn eine Regelung zu treffen, wer welche Pläne an wen weiterleitet. In den meisten Fällen macht es Sinn, dass der Objektplaner hier koordinierend Regelungsvorschläge macht und dafür Sorge trägt, dass seine Pläne an die ausführenden Unternehmen weitergeleitet werden.
Schutzwürdiges Eigeninteresse erforderlich
Außerdem, so das OLG, setze ein Anspruch des Auftraggebers auf Lieferung von Plänen nach Abschluss der Bauarbeiten ein schutzwürdiges Eigeninteresse voraus. Daran fehle es, wenn der Auftraggeber das Bauwerk jahrelang ohne die verlangten Pläne nutzen und verwalten konnte. Hierdurch wird klargestellt, dass Planungsbüros im Regelfall nicht jahrelang als Planarchiv für ehemalige Auftraggeber fungieren müssen.
Quelle | OLG München, Urteil vom 16.5.2023, 9 U 1801/21 Bau
| Die ungenehmigte Nutzung eines Einfamilienwohnhauses als Monteursunterkunft darf nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Neustadt an der Weinstraße untersagt werden. |
Das war geschehen
Die Stadt Ludwigshafen hatte durch ihre Bauaufsichtsbehörde eine Ortsbesichtigung durchgeführt, die ein zur Wohnnutzung genehmigtes Einfamilienhaus betraf. Hierbei stellte sie fest, dass sich in dem Wohnraum im Erdgeschoss zwei Einzelbetten und in einem Wohnraum im Dachgeschoss vier weitere Betten befanden. Insgesamt wohnten dort sechs männliche Personen. Die Stadt untersagte daraufhin gegenüber dem Eigentümer die Nutzung des Hauses für die Zwecke einer „Monteursunterkunft“ bzw. für eine „Beherbergung“ und ordnete hierfür die sofortige Vollziehung an. Dieser legte Widerspruch ein und stellte wegen des Sofortvollzugs zudem einen Eilantrag beim VG. Der Antrag blieb hinsichtlich der Nutzungsuntersagung ohne Erfolg.
So argumentierte das Verwaltungsgericht
Nach der Landesbauordnung Rheinland-Pfalz (hier: § 81 LBauO) könne die Bauaufsichtsbehörde die Benutzung solcher Anlagen untersagen, die gegen baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften über die Errichtung, die Änderung, die Instandhaltung oder die Nutzungsänderung dieser Anlagen verstießen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden könnten.
Dies sei hier der Fall. Die von der Stadt ausgesprochene Nutzungsuntersagungsverfügung sei nicht zu beanstanden, da die tatsächliche Nutzung des Einfamilienhauses als Monteursunterkunft oder sonst als Beherbergungsbetrieb weder genehmigt noch genehmigungsfrei sei. Vorliegend sei nämlich von einer tatsächlich nicht Wohnzwecken dienenden Nutzung des Einfamilienwohnhauses auszugehen.
Definition der „Wohnnutzung“
Eine Wohnnutzung zeichne sich durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts aus. Dies setze bestimmte Ausstattungsmerkmale des Gebäudes voraus. Erforderlich seien insbesondere eine Küche bzw. Kochgelegenheit sowie Toiletten und Waschgelegenheiten, die auch in Gestalt von Gemeinschaftseinrichtungen zur Verfügung stehen könnten.
Der Begriff des Wohnens verlange zudem, dass Aufenthalts- und private Rückzugsräume vorhanden seien, die eine Eigengestaltung des häuslichen Wirkungskreises erst ermöglichten. Auch Wohnheime – etwa Studentenwohnheime – könnten daher als Wohngebäude einzustufen sein, wenn sie nach ihrer Zweckbestimmung und Ausstattung Wohnbedürfnisse erfüllen könnten und sollten. Die Grenzen des Wohnens seien allerdings überschritten, wenn das Gebäude – wie im Fall einer Unterkunft für Monteure – aufgrund seiner spartanischen Ausstattung lediglich als Schlafstätte diene und auch einfache Wohnbedürfnisse nicht befriedige. Dabei spiele zudem die Wohndichte eine Rolle. Der Umstand, dass sich zwei Bewohner einen Schlafraum teilten, spreche zwar nicht zwingend gegen eine Wohnnutzung im Rechtssinne; die dadurch bewirkte Einschränkung der Privatsphäre schließe aber unter Berücksichtigung der hierzulande üblichen Wohnstandards die Annahme einer Wohnnutzung jedenfalls dann regelmäßig aus, wenn zwischen den Bewohnern keine persönliche Bindung bestehe bzw. sich diese Bindung in dem gemeinsamen Interesse an einer möglichst kostengünstigen Unterbringung erschöpfe.
Mindestanforderungen der Wohnnutzung waren zwar erfüllt...
Zwar verfüge das Wohnhaus hier mit zwei Toiletten und einer Küche über die für eine Wohnnutzung erforderlichen Mindestanforderungen. Alle Räume seien aber sehr spartanisch lediglich mit Betten und Schreibtischen eingerichtet.
... Bewohner lebten aber „aus dem Koffer“
Die Bewohner lebten augenscheinlich „aus dem Koffer“, Kleiderschränke oder auch sonstiger Stauraum seien nicht vorhanden. Zudem spreche das Vorbringen des Antragstellers im Eilverfahren, wonach die Bewohner allesamt unter der Woche als Monteure an weit entfernten Orten beschäftigt seien und lediglich am Wochenende oder im Urlaub in dem Haus verweilten, erheblich dafür, dass der Zweck des Zusammenlebens nicht über das Interesse an einer günstigen Unterkunft hinausgehe und tatsächlich kein Interesse an einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit bestehe, sondern das Haus lediglich als Schlafplatz zwischen den Arbeitsaufträgen diene. Insbesondere wegen der Unterbringung in Mehrbettzimmern und des vollständigen Fehlens von Aufenthaltsräumen sei nicht ersichtlich, dass die Unterkunft über den Nutzen als Schlafstätte hinaus Wohnbedürfnisse befriedige.
Quelle | VG Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 4.1.2024, 4 L 1213/23.NW, PM 2/24
| Eine Vorschlagsliste für die Betriebsratswahl, die in ihrem Kennwort ein „Smiley-Symbol“ enthält, ist ungültig. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln in einem Wahlanfechtungsverfahren entschieden. |
Betriebsratswahl angefochten
Fünf Arbeitnehmer eines weltweit tätigen Logistikunternehmens mit einem Betrieb am Flughafen Köln/Bonn und einer weiteren Betriebsstätte im benachbarten Troisdorf hatten die Wahl des 25-köpfigen Betriebsrats angefochten und dies u. a. damit begründet, dass der Wahlvorstand ihren Wahlvorschlag zu Unrecht wegen des verwendeten Listenkennworts zurückgewiesen und stattdessen mit den Familien- und Vornamen der beiden in der Liste an erster Stelle benannten Wahlbewerbern versehen habe.
Die Arbeitnehmer hatten beim Wahlvorstand zunächst einen Wahlvorschlag mit dem Kennwort ,,fair.die“ eingereicht. Nachdem der Wahlvorstand den Vorschlag wegen einer phonetischen Verwechslungsgefahr mit der Gewerkschaft ver.di zurückgewiesen hatte, teilten die Arbeitnehmer mit, dass ihr Wahlvorschlag das Kennwort „FAIR“ (mit dem zusätzlichen „Smiley-Symbol“) die Liste“ tragen solle.
Dieses Kennwort sowie drei weitere Alternativvorschläge, die ebenfalls einen „Smiley“ enthielten, lehnte der Wahlvorstand wiederum ab.
Landesarbeitsgericht: Bildzeichen unzulässig
Wie das LAG entschieden hat, ist ein Bildzeichen als Bestandteil eines Kennworts unzulässig, wenn es wie das „Smiley“ lediglich einen Stimmungs- oder Gefühlszustand ausdrückt, keine eindeutige Wortersatzfunktion hat und demgemäß üblicherweise nicht mit ausgesprochen wird. Zudem hätte auch bei dem oben genannten Kennwort eine Verwechslungsgefahr bestanden, da es lautsprachlich wie „ver.di-Liste“ klingt.
Zudem hat das LAG die Betriebsratswahl für unwirksam erklärt, weil der Wahlvorstand für die Betriebsstätte Troisdorf trotz ihrer räumlichen Nähe zum Hauptbetrieb unzulässigerweise die generelle Briefwahl angeordnet hatte.
Quelle | LAG Köln, Beschluss vom 1.12.2023, 9 TaBV 3/23, PM 13/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat den koordinierten Beschäftigtentausch als Sparmodell für Sozialversicherungsbeiträge für unzulässig erklärt. |
Darum ging es
Ausgangspunkt war die Klage eines niedersächsischen Obstbauern, der einen Betrieb für Apfelanbau führt und an einem weiteren Betrieb für Erdbeeranbau beteiligt ist. Seine Erntehelfer beschäftigt er formal ganzjährig im Apfelanbau. Sie erhalten dort einen festen Monatslohn auf Basis eines Jahresarbeitsstundensolls. In der Zeit von Mai bis Juli wurden die Helfer jedoch im Erdbeerbetrieb eingesetzt. Auf den Lohn dieser Arbeit zahlte der Bauer keine Sozialversicherungsbeiträge, da er die Arbeit als zeitgeringfügige Aushilfstätigkeit betrachtete. Während der Apfelernte im Herbst verfuhr er bei jeweils wechselnder Arbeitsfreistellung mit den Beschäftigten des Erdbeerbetriebs in ähnlicher Weise.
Kurzzeitige Saisonaushilfen oder berufsmäßige Beschäftigte?
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) kam nach einer Betriebsprüfung zu dem Ergebnis, dass die Mitarbeiter nicht nur kurzzeitige Saisonaushilfen seien, sondern berufsmäßig Beschäftigte, für die rd. 58.000 Euro Sozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten seien.
Bauer reklamierte für sich „angepasste Gestaltung“
Hiergegen klagte der Bauer und meinte, dass in rechtlich selbstständigen Betrieben eine Arbeitnehmertätigkeit im Hauptberuf und eine kurzzeitige Beschäftigung bei einem weiteren Arbeitnehmer möglich und erlaubt sei. Steigende Preise und politische Unsicherheiten würden eine angepasste Gestaltung notwendig machen.
Landessozialgericht spricht Klartext
Das LSG hat die Rechtsauffassung der DRV bestätigt. Zur Begründung hat es auf die Berufsmäßigkeit der Helfer abgestellt, die eine Beitragspflicht für die gesamte Tätigkeit auslöse. Das praktizierte Modell verfolge zielgerichtet das Bestreben, über wechselseitige betriebliche Absprachen und mittels langfristig geplanter und aufeinander abgestimmter organisatorischer und vertraglicher Maßnahmen rund ein Drittel des Jahreseinkommens der Arbeitskräfte der Beitragspflicht zur gesetzlichen Sozialversicherung zu entziehen. Die Gefahr der Altersarmut aufseiten der Erntehelfer sei von den Arbeitgebern sehenden Auges hingenommen worden. Die sozialrechtlichen Vorgaben ließen keinen Raum für eine entsprechende Beitragsverkürzung.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.12.2023, L 2 BA 59/23, PM vom 5.2.2024
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung eines Schwerbehinderten in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses diskriminierend im Sinne des Sozialgesetzbuchs IX (hier: § 164 Abs. 2 SGB IX) ist. Sie kann damit unwirksam sein, wenn der Arbeitgeber das Präventionsverfahren nach dem Sozialgesetzbuch (§ 167 Abs. 1 SGB IX) nicht durchgeführt hat. |
Der mit einem Grad der Behinderung von 80 schwerbehinderte Kläger ist seit dem 1.1.2023 bei der beklagten Kommune als „Beschäftigter im Bauhof“ beschäftigt. Der Kläger wurde zwischen dem 2.1. und 14.4.2023 in verschiedenen Kolonnen des Bauhofs eingesetzt und war ab Ende Mai arbeitsunfähig. Am 22.6.2023 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 31.7.2023.
Das ArbG hat entschieden: Die Kündigung verstößt gegen das Diskriminierungsverbot des § 164 Abs. 2 SGB IX und ist damit unwirksam. Der Arbeitgeber sei – entgegen bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) – auch während der Wartezeit gemäß Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 Abs. 1 KSchG) verpflichtet, das o. g. Präventionsverfahren durchzuführen.
§ 167 Abs. 1 SGB IX regelt, dass möglichst frühzeitig als Präventionsmaßnahme die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt einzuschalten sind, wenn Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis eintreten, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können. Dies habe die Arbeitgeberin hier nicht getan. Sie hätte, als sie bemerkte, dass der schwerbehinderte Kläger sich während der Wartezeit – wie sie vorträgt – nicht bewährte bzw. sich nicht ins Team einfügte und ihren Erwartungen nicht entsprach, Präventionsmaßnahmen ergreifen und gegebenenfalls die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt präventiv einschalten müssen.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 20.12.2023, 18 Ca 3954/23, PM 2/24
| Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch verpflichtet. Das Sozialrecht (hier: § 165 S. 3 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX)) sieht die grundsätzliche Einladungspflicht nur für öffentliche Arbeitgeber vor. Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist kein öffentlicher Arbeitgeber. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Schwerbehinderten nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen
Der schwerbehinderte Kläger hatte sich um eine Stelle in der Verwaltung eines Kirchenkreises der Evangelischen Kirche im Rheinland beworben. Trotz Offenlegung seiner Schwerbehinderung wurde er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Seine Bewerbung blieb erfolglos.
Lag Diskriminierung vor?
Nach Ansicht des Klägers wurde er im Auswahlverfahren wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Dies indiziere die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Hierzu sei der Kirchenkreis nach der o. g. Vorschrift verpflichtet gewesen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts gelte er als öffentlicher Arbeitgeber. Mit seiner Klage hat der Kläger deshalb die Zahlung einer Entschädigung verlangt. Der beklagte Kirchenkreis hat dies abgelehnt. Er sei kein öffentlicher Arbeitgeber. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Bundesarbeitsgericht spricht Klartext
Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung dargelegt.
Eine solche kann nicht aufgrund der unterbliebenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch vermutet werden. Hierzu war der beklagte Kirchenkreis nicht verpflichtet. Die Einladungspflicht besteht zwar u. a. für Körperschaften des öffentlichen Rechts. Dies betrifft aber nach dem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Begriffsverständnis nur Körperschaften, die staatliche Aufgaben wahrnehmen. Kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts dienen demgegenüber primär der Erfüllung kirchlicher Aufgaben. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts soll dabei die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgesellschaft unterstützen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Einladungspflicht auf kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts erstrecken wollte. Insoweit stehen sie den ebenfalls staatsfernen privaten Arbeitgebern gleich.
Quelle | BAG, Urteil vom 25.1.2024, 8 AZ R 318/22, PM 2/24
| Bereits im Juli 2023 hatte das Bundesfinanzministerium (BMF) einen Referentenentwurf für ein milliardenschweres Wachstumschancengesetz vorgelegt. Das Ziel: Eine Verabschiedung im Jahr 2023. Bekanntlich wurde daraus nichts. Vielmehr kam das Gesetzgebungsverfahren einem „Possenspiel“ gleich, das durch die Zustimmung des Bundesrats am 22.3.2024 und der Gesetzesverkündung am 27.3.2024 nun beendet ist. |
Das verabschiedete Gesetz enthält im Vergleich zum ursprünglichen Referenten- und Regierungsentwurf viele Änderungen. So wurde u. a. das Entlastungsvolumen reduziert und die Klimaschutz-Investitionsprämie gestrichen.
Zudem wurden zeitkritische Regelungen bereits Ende 2023 durch das Kreditzweitmarktförderungsgesetz umgesetzt, z. B. die Beseitigung von Unsicherheiten bei der Grunderwerbsteuer aufgrund des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts sowie Anpassungen bei der Zinsschrankenregelung.
Dennoch enthält das Gesetzespaket weiterhin zahlreiche Änderungen bzw. Neuregelungen, die im Folgenden auszugsweise vorgestellt werden:
Degressive Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter
Bei beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die nach dem 31.12.2019 und vor dem 1.1.2023 angeschafft oder hergestellt wurden, kann der Steuerpflichtige statt der linearen eine degressive Abschreibung von 25 % (höchstens das 2,5-Fache der linearen Abschreibung) wählen.
Die als Investitionsanreiz gedachte degressive Abschreibung wurde nun wieder eingeführt – und zwar erneut befristet für Anschaffungen oder Herstellungen nach dem 31.3.2024 und vor dem 1.1.2025. Der Abschreibungssatz wurde auf 20 % (höchstens das 2-Fache der linearen Abschreibung) reduziert.
E-Fahrzeuge/Firmenwagen
Die Besteuerung eines Firmenwagens (außerdienstliche Nutzung) kann reduziert werden, indem kein Verbrenner, sondern ein Elektrofahrzeug gewählt wird. Denn hier ist nur ein Viertel des Bruttolistenpreises anzusetzen, wenn der Höchstbetrag von 60.000 Euro eingehalten wird. Dieser wurde für nach dem 31.12.2023 angeschaffte Fahrzeuge auf 70.000 Euro erhöht.
Geschenkegrenze
Geschenke an Geschäftspartner und Kunden sind nur dann steuermindernde Betriebsausgaben, wenn eine Grenze eingehalten wird. Diese wurde für nach dem 31.12.2023 beginnende Wirtschaftsjahre von 35 Euro auf 50 Euro erhöht.
Verlustvortrag
Nach der Regelung des § 10 d Abs. 2 EStG ist ein Verlustvortrag bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1 Mio. Euro (bei Zusammenveranlagung: 2 Mio. Euro) unbeschränkt, darüber hinaus bis zu 60 % des 1 Mio. bzw. 2 Mio. Euro übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte möglich. Ab dem Veranlagungszeitraum 2024 gelten anstelle der 60 % dann 70 % (ab 2028 sind wieder 60 % relevant).
Thesaurierungsbegünstigung
Für bilanzierende Einzel- und Personenunternehmen sieht § 34 a EStG eine steuerliche Begünstigung für nicht entnommene Gewinne vor, die (langfristig) im Unternehmen verbleiben sollen. Da von dieser Begünstigung (nicht zuletzt infolge der Komplexität) bis dato eher selten Gebrauch gemacht wurde, hat der Gesetzgeber § 34 a EStG mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2024 „reformiert“. Ob die Änderungen zu einer höheren „Nachfrage“ bzw. Nutzung führen, bleibt aber abzuwarten.
Option zur Körperschaftsbesteuerung
Nach § 1 a des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) können Personenhandels- und Partnerschaftsgesellschaften im ertragsteuerlichen Bereich wie Körperschaften behandelt werden. Durch einige Änderungen (z. B. können nun auch eingetragene GbRs optieren) soll die Option attraktiver werden.
Elektronische Rechnung
Im Bereich der Umsatzsteuer stellt die Einführung der obligatorischen elektronischen Rechnung für Umsätze zwischen inländischen Unternehmen (B2B) sicherlich die relevanteste Änderung dar.
Die Neuregelung tritt bereits am 1.1.2025 in Kraft. Da die Umsetzung aber einige Zeit beanspruchen wird, können nach den Vorgaben des § 27 Umsatzsteuergesetz (UStG) Übergangsregelungen genutzt werden. Der allgemeine Übergangszeitraum beträgt zwei Jahre (Pflicht somit ab 2027); drei Jahre gelten für Unternehmer mit einem Gesamtumsatz von bis zu 800.000 Euro im Jahr 2026.
Bürokratieabbau bei der Umsatzsteuer
Unter gewissen Voraussetzungen kann die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten (Ist-Besteuerung) berechnet werden, was einen Liquiditätsvorteil ermöglicht. Die relevante Vorjahresumsatzgrenze wurde von 600.000 Euro auf 800.000 Euro erhöht (gilt ab dem Besteuerungszeitraum 2024).
Die Grenze, ab der Unternehmer von der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung befreit werden können, wurde angehoben – und zwar von 1.000 Euro auf 2.000 Euro (gilt ab dem Besteuerungszeitraum 2025).
Grundsätzlich sind Kleinunternehmer (§ 19 UStG) von der Abgabe einer Umsatzsteuererklärung (Nullmeldung) ab dem Besteuerungszeitraum 2024 befreit.
Anhebung von Buchführungsgrenzen
Überschreiten gewerbliche Unternehmer gewisse Buchführungsgrenzen, können sie ihren Gewinn nicht mehr mittels Einnahmen-Überschussrechnung ermitteln, sondern sind zur Bilanzierung verpflichtet. Die in § 141 der Abgabenordnung geregelten Grenzen wurden von 600.000 Euro auf 800.000 Euro (Umsatz) und von 60.000 Euro auf 80.000 Euro (Gewinn) erhöht. Dies gilt für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2023 beginnen (mit Übergangsregelung).
Auch die Buchführungsgrenzen in § 241 a Handelsgesetzbuch (HGB) wurden auf 800.000 Euro (Umsatzerlöse) bzw. 80.000 Euro (Jahresüberschuss) erhöht.
Quelle | Wachstumschancengesetz, BGBl I 2024, Nr. 108
| Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat entschieden: Die von der Stadt Fulda verfügte Schließung von ohne Personal betriebenen Verkaufsmodulen an Sonn- und Feiertagen hat Bestand. |
Das war geschehen
Die Antragstellerin und Inhaberin einer Supermarktkette betreibt im Gebiet der Stadt Fulda Verkaufsmodule, die an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr geöffnet sind und zu denen die Kunden nach einer digitalen Kontrolle Zugang erhalten. Angeboten werden dort Waren des täglichen Bedarfs, die digital bezahlt werden. An Sonn- und Feiertagen wird in diesen Verkaufsmodulen kein Personal eingesetzt.
Die Stadt Fulda hatte gegenüber der Antragstellerin mit sofortiger Wirkung verfügt, die im Stadtgebiet aufgestellten Verkaufsmodule insbesondere an Sonn- und Feiertagen zu schließen. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit einem gerichtlichen Eilantrag, den das Verwaltungsgericht (VG) Kassel ablehnte.
So sieht es der Verwaltungsgerichtshof
Der VGH hat die Entscheidung des VG bestätigt und sich hierbei maßgebend auf die Bestimmungen des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes gestützt. Nach § 3 Abs. 2 dieses Gesetzes müssen Verkaufsstellen unter anderem an Sonn- und Feiertagen für den geschäftlichen Verkehr mit Kundinnen und Kunden geschlossen sein. Verkaufsstellen sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes Ladengeschäfte aller Art, falls in ihnen von einer festen Stelle aus ständig Waren zum Verkauf an jedermann „feilgehalten“ werden.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat der VGH im Wesentlichen ausgeführt, das VG sei zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständlichen Verkaufsmodule Verkaufsstellen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes seien. Das „Feilhalten“ von Waren im Sinne dieser Vorschrift setze nach der gesetzlichen Definition dieses Begriffs keinen persönlichen Kontakt mit einem Verkäufer voraus. Es mache für das „Feilhalten“ von Waren keinen Unterschied, ob der Kunde die begehrte Ware aus einem Automaten oder aus einem Verkaufsregal bzw. von einem Verkaufstisch an sich nehme; der Verkaufsvorgang setze in beiden Fällen ein aktives Handeln des Kunden voraus, dem nicht zwangsläufig ein aktives Tun des Verkäufers gegenüberstehe. Richtig sei zwar das von der Antragstellerin vorgetragene Argument, dass bei einem Verzicht auf den Einsatz von Verkaufspersonal das dem Ladenschlussrecht zugrunde liegende Ziel des Arbeitnehmerschutzes erreicht werde.
Das Hessische Ladenöffnungsgesetz diene allerdings nicht allein dem Arbeitnehmerschutz, sondern auch dem Ziel, die Sonntage und staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erholung zu schützen. Es bestehe auch keine Vergleichbarkeit zwischen dem Einkauf in den streitgegenständlichen Verkaufsmodulen und den auch sonn- und feiertags durchgängig möglichen Onlinebestellungen. Insbesondere habe der Onlinebestellvorgang keinerlei Außenwirkungen und sei daher nicht geeignet, die Sonn- und Feiertagsruhe der übrigen Bevölkerung zu beeinträchtigen.
Der Beschluss ist im verwaltungsgerichtlichen Instanzenzug nicht anfechtbar.
Quelle | VGH Kassel, Beschluss vom 22.12.2023, 8 B 77/22, PM 1/24
| Mehraufwendungen für einen behindertengerechten Um- oder Neubau eines Hauses oder einer Wohnung sind grundsätzlich als außergewöhnliche Belastung abziehbar. Dies gilt auch für eine dadurch ausgelöste Mieterhöhung. Aber: Ein Abzug ist nur zulässig, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Das hat das Finanzgericht (FG) München entschieden. |
Im Streitfall des FG München ging es um die umbaubedingte Erhöhung einer jährlichen Miete, die durch die Errichtung eines behindertengerechten Verbindungsbaus mit Pflegebad zwischen zwei Einfamilienhäusern veranlasst war.
Der Höhe nach hat das FG eine Begrenzung der Abzugsfähigkeit der Aufwendungen gesehen – und zwar im Hinblick darauf, dass es zu den durchgeführten Umbaumaßnahmen eine kostengünstigere Alternative gegeben hätte, die der Behinderung in gleicher Weise Rechnung getragen hätte.
Beachten Sie | Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Revision zugelassen. Er kann nun klären, ob dem Steuerpflichtigen bei der Beurteilung, ob Aufwendungen notwendig und angemessen sind, ein Ermessensspielraum einzuräumen ist. Bis dahin können geeignete Fälle durch einen Einspruch offengehalten werden.
Quelle | FG München, Urteil vom 27.10.2022, 10 K 3292/18, Rev. BFH: VI R 15/23
| Das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg musste jüngst über einen „Wohn-Riester-Fall“ entscheiden. Hierbei ging es um einen Ehemann, der von seiner verstorbenen Frau deren Wohnung und den Darlehensvertrag geerbt hatte. Das Darlehen wollte er tilgen. Deshalb begehrte er, die Entnahme von gefördertem Kapital zur wohnungswirtschaftlichen Verwendung aus einem Altersvorsorgevermögen (gemäß § 92 b Abs. 1 S. 3 Einkommensteuergesetz [EStG]) zu bewilligen. Soviel vorab: Die Entscheidung ging zugunsten des Steuerpflichtigen aus. |
Hintergrund: Durch die sogenannte Riester-Rente sollen mögliche Versorgungslücken im Alter zumindest teilweise aufgefangen werden. Dies geschieht durch den Aufbau einer kapitalgedeckten Versorgung.
Staatlich gefördert wird aber auch der „Wohn-Riester“, eine Variante des Bausparens, bei der Anleger aus dem Vertrag Kapital für den Kauf oder Bau einer Wohnung erhalten. Sie können den „Wohn-Riester“ aber auch nutzen, um ein Immobilien-Darlehen abzutragen.
Das war geschehen
Ein Ehemann erbte als Alleinerbe von seiner Ehefrau eine durch die Ehefrau errichtete und mit dieser gemeinsam bewohnte Wohnung sowie das durch die Ehefrau zur Finanzierung der Wohnung aufgenommene Darlehen. Zur Tilgung des Darlehens begehrte der Ehemann die Bewilligung der Entnahme von gefördertem Kapital zur wohnungswirtschaftlichen Verwendung aus einem Altersvorsorgevermögen.
Ehemann hatte die Wohnung nicht angeschafft, sondern geerbt
Dies wurde ihm allerdings versagt und zwar mit folgender Begründung: Ein nach dem EStG (§ 92 a Abs. 1 S. 1 Nr. 1) für die wohnungswirtschaftliche Verwendung erforderlicher entgeltlicher Anschaffungsvorgang liege in der Person des Ehemanns nicht vor, da er die Wohnung unentgeltlich im Wege der Erbfolge erworben habe. Dies sah der Ehemann aber anders und klagte. Eine gute Entscheidung, denn das FG Berlin-Brandenburg schloss sich seiner Ansicht an.
Ehemann übernahm Tilgung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge
Die Übernahme eines Darlehens als Nachlassverbindlichkeit begründet zwar keine entgeltliche Anschaffung der finanzierten Wohnung durch den Erben. Allerdings ist die Tilgungsvariante gemäß EStG so auszulegen, dass diese auch in Fällen gilt, in denen ein Erbe ein zur Anschaffung oder Herstellung begünstigten Wohnraums aufgenommenes Darlehen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übernimmt.
Der Wortlaut des o. g. Paragrafen im EStG verlangt zwar die Verwendung des Altersvorsorge-Eigenheimbetrags zur Tilgung eines zu diesem Zweck (also zur Anschaffung oder Herstellung) aufgenommenen Darlehens. Jedoch tritt der Gesamtrechtsnachfolger in die Rechtsstellung des Erblassers dergestalt ein, dass ihm die Anschaffung bzw. Herstellung durch den Erblasser zuzurechnen ist.
Mithin besteht eine ununterbrochene Kausalität zwischen der Tilgung des Darlehens und dem ursprünglich für die Anschaffung oder Herstellung aufgewandten Darlehen.
Bundesfinanzhof muss entscheiden
Die Deutsche Rentenversicherung Bund Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen gibt sich mit dem Urteil nicht zufrieden und hat Revision beim Bundesfinanzhof (BFH) eingelegt.
Quelle | FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.12.2023, 15 K 15045/23, Rev. BFH: X R 2/24
| Beim Berliner Testament setzen sich Ehegatten für den ersten Erbfall gegenseitig als Alleinerben ein und bestimmen die Kinder als Schlusserben (z. B. zu gleichen Teilen). Ziel ist die gerechte Verteilung des Nachlasses zwischen den Kindern, aber zunächst die Versorgung des überlebenden Ehegatten. Die Kinder können das Konstrukt jedoch dadurch aus den Angeln heben, dass sie beim Tod des Erstversterbenden ihre Pflichtteilsansprüche geltend machen. Um dies zu verhindern, kann eine Strafklausel aufgenommen werden, z. B. die sog. Jastrowsche Klausel. Über einen solchen Fall musste nun der Bundesfinanzhof (BFH) entscheiden. Das Urteil zeigt, dass derartige Regelungen zumindest aus erbschaftsteuerlicher Sicht nachteilig sein können. |
Das war geschehen
Die Eltern der Klägerin setzten sich gegenseitig als Alleinerben ein, wobei der überlebende Ehegatte über den Nachlass und sein eigenes Vermögen frei verfügen konnte. Als Erben des überlebenden Ehegatten setzten die Eheleute die Klägerin und drei ihrer Schwestern ein. Ein Bruder und eine weitere Schwester wurden enterbt.
Zudem enthielt das Berliner Testament eine Jastrowsche Klausel. Diese regelte, dass für den Fall, dass eines der Kinder nach dem Tod des zuerst sterbenden Elternteils den Pflichtteil verlangt, dieses Kind auch vom Nachlass des zuletzt sterbenden Elternteils nur den Pflichtteil erhalten soll. Diejenigen Erben, die den Pflichtteil beim Tod des Erstverstorbenen nicht fordern, sollten bei Tod des länger lebenden Ehegatten aus dem Nachlass des Erstverstorbenen ein erst beim Tod des länger lebenden Ehegatten fälliges Vermächtnis in Höhe des Pflichtteils erhalten.
Geschwister machten Pflichtteil geltend
Die enterbten Geschwister der Klägerin machten nach dem Tod des erstverstorbenen Vaters ihren Pflichtteil geltend. Die Klägerin erwarb daher beim Tod des Vaters ein entsprechendes Vermächtnis, das mit dem Tod der Mutter fällig wurde.
Nachdem auch die Mutter verstorben war, setzte das Finanzamt gegenüber der Klägerin Erbschaftsteuer für den Erwerb nach der Mutter fest. Das Vermächtnis rechnete es weder dem Erwerb hinzu noch wurde es als Nachlassverbindlichkeit abgezogen. Die Klägerin war hingegen der Ansicht, das Vermächtnis sei bei ihr doppelt hinzugerechnet worden und deshalb als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig. Dies sah der BFH aber anders.
Vermächtnis nach Tod des Vaters entstanden, aber erst nach dem Tod der Mutter fällig
Der Wert des Vermächtnisses wurde zunächst einmal besteuert, nämlich nach dem Tod des Vaters bei der Mutter als dessen Alleinerbin. Da das Vermächtnis zwar damals bereits entstanden war, aber erst bei dem Tod der Mutter fällig wurde, ging der Nachlass des Vaters ungeschmälert (einschließlich des Vermögens, aus dem das Vermächtnis zu erfüllen war) auf die Mutter über. Die Mutter konnte die Vermächtnisverbindlichkeit bei ihrem Erbe nicht abziehen, weil sie diese Schuld mangels Fälligkeit nicht zu begleichen hatte.
Nach dem Tod der Mutter musste die Klägerin das jetzt fällig gewordene Vermächtnis versteuern.
Als Schlusserbin unterlag bei ihr außerdem der Nachlass nach der Mutter der Erbschaftsteuer. Dort konnte sie die dann fällig gewordene Vermächtnisverbindlichkeit als Nachlassverbindlichkeit abziehen. Das Vermächtnis unterlag bei der Klägerin daher nur einmal der Besteuerung.
Dass hinsichtlich des betagten Vermächtnisses im Ergebnis zweimal Erbschaftsteuer entsteht – einmal (ohne Abzugsmöglichkeit als Nachlassverbindlichkeit) bei der Mutter nach dem Tod des Vaters und ein weiteres Mal bei der Klägerin nach dem Tod der Mutter – ist zwar ungünstig, aus rechtlicher Sicht aber nicht zu beanstanden. Es liegt, so der BFH, an der Jastrowschen Klausel, die das Vermächtnis zwar bei Tod des Erstverstorbenen anfallen, aber erst bei Tod des länger lebenden Ehegatten fällig werden lässt.
Beachten Sie | Wer also ein Berliner Testament aufsetzen möchte, sollte nicht nur die zivilrechtlichen Aspekte, sondern auch die erbschaftsteuerlichen Folgen bedenken.
Quelle | BFH-Urteil vom 11.10.2023, II R 34/20, PM 11/24 vom 27.2.2024
| Das Landgericht (LG) Frankenthal hat die gegen eine Gemeinde gerichtete Schadenersatzklage eines Rennradfahrers abgewiesen, der auf einem Radweg aufgrund von Wurzelschäden gestürzt war. Ein Radfahrer müsse seine Fahrweise so einrichten, dass er sichtbare Hindernisse auf einem Radweg rechtzeitig wahrnehmen und vor ihnen anhalten kann, so das LG. |
Grundsätze der Verkehrssicherungspflicht
Grundsätzlich muss der, der eine Gefahrenquelle (z. B. eine aus dem Boden ragende Baumwurzel) schafft oder eine solche andauern lässt, notwendige und zumutbare Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer zu verhindern (sog. „Verkehrssicherungspflicht“). Er muss Gefahren ausräumen oder vor ihnen warnen.
Ausnahmen von der Verkehrssicherungspflicht
Dies gilt jedoch nur, soweit sie für andere trotz aufmerksamen Verhaltens im Straßenverkehr nicht erkennbar oder nicht beherrschbar sind. Die Anforderungen an die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht für einen Radweg bemessen sich an einem normalen Radfahrer mit einer üblichen Geschwindigkeit.
Rennradfahrer muss besonders vorsichtig sein
Ein Rennradfahrer muss von sich aus besonders vorsichtig fahren, da er mit seinen dünnen Reifen bei Unebenheiten im Boden besonders gefährdet ist. Vorliegend seien die Wurzelschäden nach Ansicht der Kammer gut und rechtzeitig erkennbar gewesen.
Wurzelschäden waren sichtbar
Das LG: Der Wegabschnitt habe auch an anderen Stellen Unebenheiten, wie Bodenschwellen, Risse oder eben Wurzelschäden aufgewiesen, sodass Schäden auch an der Unfallstelle nicht überraschend gewesen sein könnten. Ein konzentrierter Radfahrer hätte sein Fahrverhalten an die vorgefundenen Hindernisse anpassen können und müssen. Aufgrund der ausreichenden Erkennbarkeit der Wurzelschäden sei auch eine Warnung bspw. durch ein Hinweisschild nicht erforderlich gewesen.
Auch ein unter Umständen störendes Licht- und Schattenspiel auf dem Radweg wegen eines ungünstigen Sonnenstands, weswegen der Rennradfahrer das Hindernis nicht erkannt haben will, ändere daran nichts. Auf witterungsbedingte Umstände müsse sich ein Radfahrer einstellen und dementsprechend noch vorsichtiger fahren.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 31.8.2023, 3 O 71/22, PM vom 29.12.2023
| Eine Einbahnstraße darf nur in vorgeschriebener Fahrtrichtung befahren werden. Verboten ist auch das Rückwärtsfahren entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung. Lediglich (unmittelbares) Rückwärtseinparken („Rangieren“) ist – ebenso wie Rückwärtseinfahren aus einem Grundstück auf die Straße – kein unzulässiges Rückwärtsfahren auf Richtungsfahrbahnen gegen die Fahrtrichtung. So stellte es der BGH jetzt fest. |
Demgegenüber ist Rückwärtsfahren auch unzulässig, wenn es dazu dient, erst zu einer (freien oder frei werdenden) Parklücke zu gelangen. Entsprechendes gilt, wenn das Rückwärtsfahren dazu dient, einem Fahrzeug die Ausfahrt aus einer Parklücke zu ermöglichen, um anschließend selbst in diese einfahren zu können.
Der Unfall ereignete sich, als der eine Verkehrsteilnehmer rückwärts aus einer Grundstücksausfahrt in die Einbahnstraße einfuhr, während der andere unzulässig die Einbahnstraße rückwärts befuhr. Der Anscheinsbeweis, dass der, der rückwärts aus einer Grundstücksausfahrt fährt, seinen Sorgfaltspflichten nicht genügt habe, wenn es dabei zu einer Kollision kommt, ist nicht anzuwenden. Denn das verbotene Rückwärtsfahren des Unfallgegners hebt das „typische Geschehen“ auf, das für die Anwendung eines Anscheinsbeweis nötig ist. Der Ausfahrt-Ausfahrer muss grundsätzlich nicht mit einem verbotswidrig die Einbahnstraße rückwärts befahrenden Verkehrsteilnehmer rechnen.
Quelle | BGH, Urteil vom 10.10.2023, VI ZR 287/22
| Wird ein Schüler von einer Klassenfahrt ausgeschlossen, weil er dort unzulässigerweise Alkohol erworben hat, können Erziehungsberechtigte zu den Mehrkosten der verfrühten Rückreise heranzogen werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin entschieden. |
Im Juni 2022 fand eine Klassenfahrt einer 10. Klasse eines Gymnasiums nach München statt. Zuvor hatte sich die Beklagte, Mutter eines minderjährigen Schülers, schriftlich verpflichtet, die Kosten einschließlich etwaiger Zusatzkosten bei vorzeitiger Heimreise zu tragen. Während der Fahrt kauften insgesamt sieben Schüler, darunter der Sohn der Beklagten, zwei Wodkaflaschen, woraufhin sie von der Fahrt ausgeschlossen wurden. Die Beklagte zahlte die hierdurch entstandenen Mehrkosten von 143,60 Euro nicht, woraufhin das Land Berlin sie auf Zahlung verklagte.
Die Klage hatte Erfolg. Der Anspruch auf Kostenerstattung ergebe sich aus dem öffentlich-rechtlichen Vertrag, den die Beteiligten miteinander geschlossen hätten. Dieser Vertrag sei wirksam zustande gekommen. Der Ausschluss sei als Ordnungsmaßnahme nach dem Berliner Schulgesetz ergangen und von der Beklagten nicht angegriffen worden, wodurch die vereinbarte Kostenfolge entstanden sei. Die Forderung einschließlich der geltend gemachten Zinsen sei schließlich der Höhe nach nicht zu beanstanden.
Der Gerichtsbescheid ist rechtskräftig.
Quelle | VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 15.11.2023, VG 3 K191/23, PM 2/24
| Das Landgericht (LG) Frankenthal hat die Klage eines Fahrradbesitzers gegen seine Hausratversicherung wegen eines gestohlenen Fahrrads abgewiesen. Das teure Bike war nach seinen Angaben bei einem Einbruch in den Keller seiner Zweitwohnung entwendet worden. |
Das umfasst die Außenversicherung
Das LG hat klargestellt, dass eine Außenversicherung nur Gegenstände in Zweitwohnungen umfasst, die eigentlich in der Hauptwohnung ihren Platz haben und sich nur vorübergehend außerhalb des Hauptwohnsitzes befinden. Als Erweiterung des grundsätzlich an den Versicherungsort gebundenen Versicherungsschutzes sei es dagegen nicht ihr Sinn und Zweck, Gegenstände zu versichern, die üblicherweise in der Zweitwohnung aufbewahrt werden.
Kein versicherter Hausrat
Weil der Mann sein Fahrrad hauptsächlich im Keller der Zweitwohnung abgestellt hatte und nur in mehrwöchigen Urlaubszeiten mit nach Hause nahm, gehört es nicht zum versicherten Hausrat, der tatsächlich nur vorübergehend außerhalb der Hauptwohnung verbracht worden sei, so das LG. Der Radfahrer blieb deshalb auf dem gesamten Diebstahlschaden seines knapp 5.000 Euro teuren Fahrrads sitzen.
Hausratversicherung bestand nur für die Hauptwohnung
Die Hausratversicherung verweigerte nach Auffassung der Kammer zu Recht den Versicherungsschutz, weil der Radbesitzer die Versicherung nur für seine Hauptwohnung besaß. Außerhalb dieser Hauptwohnung befindliche Sachen waren lediglich über einen sog. „Außenversicherungsschutz“ abgedeckt. Eine gesonderte Hausratversicherung für die Zweitwohnung, ein möbliertes Appartement, in dem er sich üblicherweise werktags aufhielt, hatte der Biker nicht abgeschlossen.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 29.3.2023, 3 O 236/22, PM vom 29.11.2023
| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass die operative Therapie eines grauen Stars im Ausland nicht als Notfallbehandlung zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung qualifiziert werden kann. |
Linsenoperation in türkischer Privatklinik wegen grauem Star
Geklagt hatte eine türkischstämmige Frau (geb. 1965) aus Niedersachsen, die seit dem Jahr 2015 an einem beginnenden Katarakt (grauer Star) der Augen litt. Während eines Urlaubs in der Türkei im Jahr 2019 ließ sie an beiden Augen eine Linsenoperation in einer Privatklinik durchführen. Die entstandenen Kosten von rd. 1.600 Euro wollte die Frau von ihrer Krankenkasse erstattet haben.
Die gesetzliche Krankenkasse – und die private Auslandskrankenversicherung – lehnte eine Erstattung ab. Bei vorübergehenden Auslandsaufenthalten könnten nur Notfallbehandlungen übernommen werden. Ein grauer Star sei jedoch ein schleichender Prozess und kein Notfall.
Hiergegen klagte die Frau und schilderte, dass es in der Türkei mit den Augen so schlimm geworden sei, dass sie gestürzt sei. Ihr sei schwarz vor Augen geworden und sie sei in größter Sorge gewesen, das Augenlicht zu verlieren. Es habe sich um einen Notfall gehandelt. Obwohl sie schon länger an grauem Star erkrankt sei, könne ein „plötzlich bemerkter“ Sehverlust mit einem akuten Sehverlust verwechselt werden.
Gericht bestätigt Rechtsauffassung der Krankenkasse
Das LSG hat die Rechtsauffassung der Krankenkasse bestätigt. Der Anspruch scheitere schon deshalb, weil die Klägerin sich als Privatpatientin in einer Privatklinik habe behandeln lassen. Diesbezügliche Behandlungen seien vom Leistungsumfang generell nicht umfasst.
Keine Notfallbehandlung
Unabhängig davon habe bei der Klägerin kein medizinischer Zustand vorgelegen, der während des Türkei-Urlaubs an beiden Augen aufgetreten sei und einer sofortigen Behandlung bedurft hätte. Der behandelnde Augenarzt habe einen senilen Katarakt, d. h. eine Alterserkrankung diagnostiziert. Eine plötzliche Verschlechterung mit dringender Operationsindikation habe er ausgeschlossen. Ein grauer Star sei eine Alterserkrankung, die durch ein schleichendes Fortschreiten gekennzeichnet sei und nicht durch einen plötzlichen Sehverlust im Sinne eines Notfalls.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19.12.2023, L 16 KR 196/23, PM vom 8.1.2024
| Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat den für zwei große Hunde aus dem Landkreis Günzburg angeordneten Leinenzwang bestätigt. Begründet hat es den Leinenzwang u. a. damit, dass die Hunde nach Aussagen mehrerer Betroffener frei herumlaufen würden. Die vom Kläger gegen den Leinenzwang erhobenen Klagen hatte schon das Verwaltungsgericht (VG) Augsburg abgewiesen. Hiergegen stellte der Kläger beim BayVGH Anträge auf Zulassung der Berufung. |
Das war geschehen
Der Kläger ist Halter zweier Hunde. Mit Bescheiden aus dem Monat Februar 2023 hatte die Verwaltungsgemeinschaft als örtlich zuständige Sicherheitsbehörde für die beiden Hunde einen Leinenzwang angeordnet.
Der BayVGH hat die Anträge abgelehnt und die Urteile des VG bestätigt. Gründe, die eine Zulassung der Berufung rechtfertigen würden, lägen nach Ansicht des BayVGH nicht vor. Es bestünden insbesondere keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Urteile des VG.
Gefahr durch große Hunde
Der Einwand des Klägers, die Hunde seien ungefährlich, greife nicht durch. Nach ständiger Rechtsprechung des BayVGH gehe von freilaufenden großen Hunden auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr in der Regel eine konkrete Gefahr für Eigentum und Gesundheit Dritter aus. Der Leinenzwang sei deshalb bereits allein wegen der Größe der Hunde gerechtfertigt. Grund für die Unterscheidung nach der Größe sei, dass es bei großen unangeleinten Hunden in Wohngebieten regelmäßig mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu unvorhergesehenen Reaktionen von Menschen oder Hunden und damit zu erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit kommen könne. Der Feststellung, dass es sich hier um große Hunde mit einer Schulterhöhe von mindestens 50 Zentimetern handele, habe der Kläger nicht in Zweifel gezogen.
Es gab bereits einen Beißvorfall
Ein Einschreiten sei bei einem der Hunde auch deshalb geboten gewesen, weil es im November 2022 zu einem Beißvorfall gekommen sei. Bei beiden Hunden habe somit eine konkrete und nicht bloß abstrakte Gefahr für die Gesundheit Dritter vorgelegen.
Durch die Beschlüsse des BayVGH wurden die Urteile des VG rechtskräftig.
Quelle | BayVGH, Beschlüsse vom 22.1.2024, 10 ZB 23.1558 u. a., PM vom 30.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Hannover hat jetzt klargestellt: Eine Pauschalreise kann mangelhaft sein, wenn der Reiseveranstalter in einer Hotelanlage entweder nur wenige Poolliegen zur Verfügung stellt oder nicht einschreitet, wenn andere Reisegäste Poolliegen etwa mittels eines Handtuchs längere Zeit reservieren, ohne sie tatsächlich zu nutzen. |
Das war geschehen
Der Kläger buchte für sich und seine Familie eine Pauschalreise zum Preis von insgesamt 5.260 Euro. Das gebuchte Hotel verfügte über sechs Swimmingpools und etwa 500 Poolliegen. Nach den ausgeschilderten Verhaltensregeln war es den Badegästen untersagt, Poolliegen für mehr als 30 Minuten zu reservieren, ohne sie zu nutzen. Tatsächlich war es aber so, dass Badegäste Poolliegen auch länger mit ihren Handtüchern reservierten. Leitung und Personal des Hotels unternahmen nichts dagegen. Der Kläger und seine Familie hingegen hielten sich an die vorgegebenen Verhaltensregeln. Der Kläger rügte mehrfach, dass ihm und seiner Familie deswegen keine Liegen zur Verfügung gestanden hätten. Darin sah der Kläger einen Reisemangel und forderte von dem Reiseveranstalter (der Beklagten) u. a. einen Teil des Reisepreises (798,00 Euro) zurück.
Die Beklagte war der Auffassung, dass es sich um ein friedliches Wettrennen um die begehrten Plätze am Pool mit dem besseren Ende für den sprichwörtlichen „frühen Vogel“ gehandelt habe, nicht aber um einen Reisemangel. Möglicherweise hätten sich nur der Kläger und seine Familie an die Poolregeln gehalten, obwohl sie nicht mit Sanktionen hätten rechnen müssen, wenn der Kläger abends oder seine Lebensgefährtin morgens zum Sonnenaufgang sein Handtuch auf eine Liege gelegt hätte.
Amtsgericht: Pflicht des Reiseveranstalters
Das AG hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger einen Betrag von 322,77 Euro zugesprochen. Dabei hat es angenommen, dass der Reiseveranstalter nicht gehalten ist, jedem Hotelgast eine Liege zur Verfügung zu stellen. Vielmehr müsse die Anzahl der Liegen in einem angemessenen Verhältnis zur Auslastung des Hotels und damit zur Anzahl der Hotelgäste stehen. Stünden zwar genug Liegen zur Verfügung, seien diese für den Reisenden aber faktisch nicht nutzbar, weil andere Hotelgäste entgegen den Verhaltensregeln Poolliegen mit eigenen Handtüchern reservierten, ohne sie zu nutzen, sei der Reiseveranstalter zum Einschreiten verpflichtet.
Gäste mussten nichts selbst unternehmen – Reisepreisminderung von 15 Prozent
Es sei in diesem Zusammenhang auch nicht Sache des Reisenden, selbst für Abhilfe zu sorgen, indem er entweder fremde Handtücher eigenmächtig entferne oder seinerseits entgegen den Verhaltensregeln Liegen reserviere. Dies sei unzumutbar, da Streitigkeiten mit anderen Hotelgästen zu befürchten seien, auf die sich kein Reisender einlassen müsse.
Das Gericht gelangte zu der Überzeugung, dass es dem Kläger und seiner Familie mit Ausnahme des letzten Tages nicht möglich gewesen sei, nach dem Frühstück ab etwa 9.00 Uhr Poolliegen zu nutzen, weil diese entweder belegt, durch Handtücher anderer Badegäste „reserviert“ oder aber defekt gewesen seien. Es hat insoweit eine Reisepreisminderung von 15 Prozent des Tagesreisepreises der ab der erstmaligen Rüge des Klägers betroffenen Tage angenommen.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 20.12.2023, 553 C 5141/23, PM vom 4.1.2023
| Das LG Berlin II hat der Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil des Amtsgerichts (AG) Berlin-Mitte teilweise stattgegeben. Dieses hatte eine von der Vermieterin erhobene Räumungsklage mit der Begründung abgewiesen, die von der Vermieterin ausgesprochene Eigenbedarfskündigung sei formunwirksam. Das LG hat die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Vermieterin – anders als zuvor das AG – zwar für wirksam erachtet, jedoch zugleich die Fortsetzung des Mietverhältnisses für die Dauer von zwei Jahren angeordnet. |
Zweijährige Verlängerung der Mietdauer
Die angeordnete Fortsetzung des Mietverhältnisses für die Dauer von zwei Jahren begründete das LG damit, dass es den beklagten Mietern in dem vorliegenden Fall nicht möglich gewesen sei, angemessenen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen zu beschaffen. Demzufolge können Mieter unter Berufung auf die sog. Sozialklausel des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 574 Abs. 1 und 2 BGB) nach Abwägung mit den Vermieterinteressen unter gewissen Voraussetzungen die Fortsetzung ihres Mietverhältnisses verlangen, auch wenn die zuvor ausgesprochene Kündigung wirksam ist.
Mieter fanden keinen Ersatzwohnraum in Berlin
Das LG hat darauf abgestellt, dass sich die Mieter nach Ausspruch der Eigenbedarfskündigung über einen Zeitraum von fast zwei Jahren auf eine Vielzahl von Wohnungen im gesamten Berliner Stadtgebiet beworben haben, jedoch aufgrund der angespannten Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt sowie des nur noch geringen Angebotes freier Wohnungen mit ihren Bewerbungen keinen Erfolg hatten. Zudem hat das LG bei seiner Entscheidung berücksichtigt, dass auch über das sog. Geschützte Marktsegment (GMS) in absehbarer Zeit kein freier Alternativwohnraum in Berlin für die Mieter zur Verfügung stand.
Schließlich hat das LG auch den Umstand, dass das gesamte Stadtgebiet von Berlin durch eine Mietenbegrenzungsverordnung (MietBegrV Bln) als Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt ausgewiesen ist, als weiteren Beleg für die Richtigkeit des Mietervortrags gewertet und außerdem berücksichtigt, dass der von der Vermieterin geltend gemachte Eigenbedarf nicht besonders dringlich war.
Landgericht: Vertragsbedingungen angepasst und Miete angehoben
Das LG hat bei seiner Entscheidung die bisherigen Vertragsbedingungen von Amts wegen geändert und neben der Anordnung der befristeten Fortdauer des Mietverhältnisses auch die von den Mietern bisher geschuldete Nettokaltmiete auf ein marktübliches Niveau angehoben.
Quelle | LG Berlin II, Urteil vom 25.1.2024, 67 S 264/22, PM 5/24
| Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat entschieden: Ein (notarielles) Testament kann sittenwidrig sein, wenn eine Berufsbetreuerin ihre gerichtlich verliehene Stellung und ihren Einfluss auf einen älteren, kranken und alleinstehenden Erblasser dazu benutzt, gezielt auf den leicht beeinflussbaren Erblasser einzuwirken und ihn dazu zu bewegen, vor einem von ihr herangezogenen Notar in ihrem Sinne letztwillig zu verfügen. |
Das war geschehen
Eine 92 Jahre alte Frau, deren einzige noch lebende Angehörige ihre Tochter war, befand sich wegen ihres Gesundheitszustands ab Anfang September 2022 im Krankenhaus. In den letzten Tagen vor dem Tod ihrer Tochter, die sich zuvor um die Angelegenheiten der Mutter gekümmert hatte, teilten die beiden das Krankenzimmer. Zwei Tage nach dem Tod der Tochter – noch im September 2022 – bestellte das Amtsgericht (AG) für die Frau während des Krankenhausaufenthalts eine Berufsbetreuerin.
Anfang Oktober 2022 erfolgte mit Notarztbegleitung die Einweisung in ein anderes Krankenhaus. Nur kurz war die Frau zwischen den beiden Krankenhausaufenthalten in einer Pflegeeinrichtung untergebracht. Während des zweiten Krankenhausaufenthalts beauftragte die Berufsbetreuerin einen Notar mit der Erstellung eines notariellen Testaments für die Frau. Im Krankenhaus beurkundete der Notar ein Testament der Frau, mit dem sie die Berufsbetreuerin zur Alleinerbin einsetzte. Den Wert des Vermögens gab sie mit 350.000 Euro an. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus – Mitte Oktober 2022 – nahm die Berufsbetreuerin die Frau bei sich zu Hause auf. Vier Tage danach starb die Frau dort eines natürlichen Todes.
Verstoß gegen die guten Sitten
§ 138 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) lautet: Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. Das OLG ist hier davon ausgegangen, dass das notarielle Testament sittenwidrig und damit nichtig ist und die Berufsbetreuerin deshalb hieraus für sich keine Rechte herleiten und insbesondere keinen Erbschein ausgestellt erhalten kann.
Das OLG: Ein notarielles Testament zugunsten einer Berufsbetreuerin kann sittenwidrig sein. Hier sei dies aufgrund des hohen Alters der Erblasserin, ihrer schlechten gesundheitlichen Verfassung, ihrem Gemütszustand nach dem Tod ihrer Tochter, den Umständen im Zusammenhang mit der notariellen Beurkundung sowie dem engen zeitlichen Ablauf zwischen Einrichtung der Betreuung und der Testierung der Fall.
Der Beschluss ist rechtskräftig.
Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 9.1.2024, 6 W 175/23, PM vom 25.1.2024
| Öffnungen in Brandwänden sind unzulässig und deshalb auf Aufforderung der Bauaufsichtsbehörde auch zu verschließen, wenn der angrenzende Nachbar sich mit diesen einverstanden erklärt hat und die Behörde erst nach längerer Zeit gegen den baurechtswidrigen Zustand vorgeht. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Mainz. |
Nachbar stimmte Einbau von Fenstern zu
Das Wohngebäude der klagenden Grundstückseigentümer steht auf der Grenze zum Nachbargrundstück. Die grenzständige Brandwand des Gebäudes wies zunächst an zwei Stellen Glasbauflächen auf. Im Jahr 2009 wurde eine Glasbaufläche durch ein öffenbares Fenster ersetzt, einige Jahre später kam es an der zweiten Stelle zu einem Fenstereinbau. Daraufhin gab der Beklagte, die Bauaufsichtsbehörde, den Klägern auf, die Fenster zu beseitigen und die dabei entstehenden Öffnungen feuerbeständig zu verschließen. Die Kläger wandten sich gegen die Anordnung und machten geltend, der unmittelbar angrenzende Grundstücksnachbar habe schriftlich erklärt, mit den Fenstern einverstanden zu sein. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid im Wesentlichen zurückgewiesen, verlangte aber nur noch einen hochfeuerhemmenden Abschluss der Brandwand. Die Kläger verfolgten die Aufhebung der Anordnung mit einer Klage weiter. Sie führten zusätzlich an, infolge der Zustimmung des Nachbarn und des jahrelangen Nichteinschreitens der Bauaufsichtsbehörde sei bei ihnen ein Vertrauenstatbestand entstanden, der eine baubehördliche Anordnung ausschließe. Das VG wies die Klage ab.
Brandwände: Öffnungen unzulässig
In Brandwänden seien Öffnungen von Gesetzes wegen unzulässig. Von der gesetzlichen Vorgabe dürfe nur ausnahmsweise unter Beachtung des öffentlichen Interesses des Schutzes der Allgemeinheit vor Brandgefahr und des Bauinteresses des Bauherrn abgewichen werden. Das Einverständnis eines Nachbarn zur Abweichung von dem Öffnungsverbot allein mindere das allgemeine Brandschutzbedürfnis nicht, zumal wenn – wie hier – ein weiterer Nachbar durch die betreffende Brandschutzwand gesetzlich geschützt werde, dieser der Baumaßnahme aber nicht zugestimmt habe.
Der Beklagte habe seine Befugnis zum Einschreiten gegen den baurechtswidrigen Zustand auch nicht verwirkt, weil er trotz dessen Kenntnis über längere Zeit hinweg nicht eingeschritten sei. Eingriffsbefugnisse auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr unterlägen nicht der Verwirkung durch die Verwaltung. Die bloße Untätigkeit der Bauaufsichtsbehörde könne auch kein Vertrauen beim Bauherrn begründen, dass die Behörde nicht mehr gegen die rechtswidrige Baumaßnahme vorgehen werde. Die Kläger könnten sich deshalb auch nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen, weil sie eigenmächtig die Glasbausteine durch Fenster ersetzt hätten, ohne zuvor den notwendigen Bauantrag gestellt oder die Baubehörde sonst einbezogen zu haben.
Quelle | VG Mainz, Urteil vom 6.12.2023, 3 K 39/23.MZ, PM 1/24
| Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken hat entschieden: Ein Bauunternehmen kann die zu einem Festpreis vereinbarte Errichtung eines Massivhauses nicht unter Verweis auf unvorhersehbare Materialpreissteigerungen verweigern, wenn es eine Formularklausel in den Bauvertrag eingebracht hat, die ihm eine unbegrenzte einseitige Anpassung der Vergütung ermöglicht. |
Bauvertrag des Bauunternehmens unterzeichnet
Das klagende Ehepaar und das beklagte Bauunternehmen schlossen im Dezember 2020 einen Vertrag, in dem sich das Unternehmen dazu verpflichtete, auf dem Grundstück der Kläger ein Massivhaus zu einem Pauschalpreis von rund 300.000 Euro zu errichten. Hierzu verwendeten die Parteien ein Vertragsmuster des Unternehmens, in dem es heißt, dass beide Seiten bis zum Ablauf eines Jahres ab Vertragsunterzeichnung an den vereinbarten Preis gebunden seien, wenn innerhalb von drei Monaten nach Vertragsschluss mit den Bauarbeiten begonnen werde. Unter Verweis auf diese Bestimmung teilte das Unternehmen den Eheleuten im Juni 2021 mit, dass sich der vereinbarte Preis um etwa 50.000 Euro erhöhe. Es begründete den Schritt mit außerordentlichen und nicht vorhersehbaren Preissteigerungen beim Baumaterial.
Bauherren akzeptierten Preiserhöhung nicht
Das Ehepaar akzeptierte die Preiserhöhung nicht und forderte das Unternehmen seinerseits auf, mit den Bauarbeiten zu beginnen. Auf die Weigerung des Unternehmens erklärten die Eheleute die Vertragskündigung und beauftragten ein anderes Bauunternehmen mit der Errichtung eines Massivhauses zu einem höheren als dem mit der Beklagten vereinbarten Festpreis.
Wer trägt Mehrkosten?
Mit ihrer Klage haben die Eheleute verlangt, festzustellen, dass das beklagte Bauunternehmen verpflichtet ist, ihnen Mehrkosten bei der Errichtung des Hauses zu ersetzen, die deshalb entstehen, weil das Unternehmen sich geweigert hat, den Vertrag zum vereinbarten Preis zu erfüllen.
So entschieden die gerichtlichen Instanzen
Das Landgericht (LG) hat der Klage stattgegeben. Hiergegen hat das Bauunternehmen Berufung eingelegt. Es hat im Wesentlichen geltend gemacht, dass eine Errichtung des Hauses zum ursprünglich vereinbarten Preis existenzbedrohend und ihm daher nicht zumutbar gewesen sei.
Das OLG hat das Bauunternehmen auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung hingewiesen, woraufhin es sein Rechtsmittel zurückgenommen hat. Zur Begründung hat das OLG ausgeführt, dass den Eheleuten der geltend gemachte Ersatz zustehe. Die Weigerung des Unternehmens, zum vereinbarten Preis zu erfüllen, habe sie zur Vertragskündigung und zur Beauftragung eines anderen Unternehmens veranlasst. Hierauf zurückzuführende Mehrkosten des Baus müsse das Unternehmen ersetzen.
Bauunternehmen schuldete den Hausbau zum Festpreis
Das Bauunternehmen habe den Bau des Hauses zum vereinbarten Festpreis geschuldet. Die Preisanpassungsklausel im Vertrag sei unwirksam gewesen. Sie benachteilige die Kunden des Unternehmens unangemessen, wenn es die vereinbarte Vergütung durch die Festlegung der Listenpreise ohne Begrenzung einseitig anheben könne. Die Kunden könnten der Bestimmung bei Vertragsschluss nicht entnehmen, mit Preissteigerungen welchen Umfangs sie zu rechnen hätten.
Bauunternehmen hatte Risikoabsicherung in der Hand
Gerade Besteller eines Neubaus seien darauf aber in besonderem Maße angewiesen. Häufig sei die Finanzierung auf den Festpreis ausgerichtet, sodass schon vermeintlich geringfügige Änderungen die Kunden an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bringen könnten. Das Unternehmen habe die Vertragserfüllung zum vereinbarten Preis auch nicht verweigern dürfen, weil sich die Vertragsgrundlage aufgrund unvorhersehbarer Materialpreissteigerungen geändert habe, denn es habe bei Vertragsschluss die Möglichkeit gehabt, sich mit einer Bestimmung gegen dieses Risiko abzusichern, die auch den Interessen seiner Kunden Rechnung getragen hätte.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 13.7.2023, 5 U 188/22, PM vom 15.2.2024
| Nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) haben Betriebsräte Anspruch auf für die Betriebsratsarbeit erforderlichen Schulungen, deren Kosten der Arbeitgeber tragen muss. Davon können Übernachtungs- und Verpflegungskosten für ein auswärtiges Präsenzseminar auch dann erfasst sein, wenn derselbe Schulungsträger ein inhaltsgleiches Webinar anbietet. So entschied es das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Arbeitgeberin verweigerte Erstattung von Übernachtungs- und Verpflegungskosten
Bei der Arbeitgeberin – einer Fluggesellschaft – ist durch Tarifvertrag eine Personalvertretung (PV) errichtet, deren Schulungsanspruch sich nach dem BetrVG richtet. Die PV entsandte zwei ihrer Mitglieder zu einer mehrtägigen betriebsverfassungsrechtlichen Grundlagenschulung Ende August 2021 in Potsdam. Hierfür zahlte die Arbeitgeberin die Seminargebühr, verweigerte aber die Übernahme der Übernachtungs- und Verpflegungskosten.
Dies begründete sie vor allem damit, die Mitglieder der PV hätten an einem zeit- und inhaltsgleich angebotenen mehrtägigen Webinar desselben Schulungsanbieters teilnehmen können. In dem von der PV eingeleiteten Verfahren hat diese geltend gemacht, dass die Arbeitgeberin auch die Übernachtungs- und Verpflegungskosten tragen muss. Hierzu haben die Vorinstanzen die Arbeitgeberin verpflichtet.
Bundesarbeitsgericht: Betriebsrat hat Spielraum
Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Ebenso wie ein Betriebsrat hat die PV bei der Beurteilung, zu welchen Schulungen sie ihre Mitglieder entsendet, einen gewissen Spielraum. Dieser umfasst grundsätzlich auch das Schulungsformat. Dem steht nicht von vornherein entgegen, dass bei einem Präsenzseminar im Hinblick auf die Übernachtung und Verpflegung der Schulungsteilnehmer regelmäßig höhere Kosten anfallen als bei einem Webinar.
Quelle | BAG, Beschluss vom 7.2.2024, 7 ABR 8/23, PM 5/24
| Wer mit einem äußerst scharfen Filetiermesser hantiert, muss besonders sorgfältig agieren, um Verletzungen von Kollegen auszuschließen. Nicht jeder Fehlgebrauch rechtfertigt aber eine Kündigung ohne vorherige einschlägige Abmahnung. Dies hat – wie bereits zuvor das Arbeitsgericht (ArbG) Lübeck – auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein entschieden. |
Kollegin Messer an den Hals gehalten
Der 29-jährige Kläger ist bei der Beklagten seit Juni 2019 als Industriemechaniker beschäftigt. Am 1.6.2022 arbeitete er mit einer Mitarbeiterin und einem Mitarbeiter an einem Probierstand. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger der Mitarbeiterin ein Filetiermesser mit einer Klingenlänge von 20 cm mit einem Abstand von 10 bis 20 cm an den Hals hielt und damit deren Leib und Leben bedrohte. Die Beklagte kündigte dem Kläger daraufhin am 14.7.2022 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.10.2022.
Kündigungsschutzklage erfolgreich
Die Kündigungsschutzklage des Klägers war in zwei Instanzen erfolgreich. Sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung waren unwirksam. Es fehlte an einem hinreichenden Kündigungsgrund. Zwar kommt eine ernstliche Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben u. a. von Arbeitskollegen als „an sich“ wichtiger Grund für eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung in Betracht. Dies setzt aber voraus, dass der Arbeitnehmer mit dem Willen handelt, dass der Kollege die Drohung zur Kenntnis nimmt und als ernst gemeint auffasst.
Vorsatz war nicht nachzuweisen
Selbst den Vortrag der Beklagten als zutreffend unterstellt, konnte jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts auf einen bedingten Vorsatz beim Kläger geschlossen werden. Vielmehr war es auch möglich, dass der Kläger das Messer schlicht in der rechten Hand haltend sich mit dem Oberkörper zur Mitarbeiterin gedreht hat und bei dieser Drehbewegung dessen rechte Hand mit dem Messer nahe an deren Hals gelangt ist.
Verhältnismäßigkeit muss gewahrt werden
Die Kündigungen konnten auch nicht darauf gestützt werden, dass der Kläger allein durch das Hantieren mit dem Messer Leib und Leben der Mitarbeiterin objektiv und fahrlässig gefährdet hat. Der unsachgemäße Umgang mit einem Messer stellt zwar eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar. Diese hätte nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz den Ausspruch einer fristlosen oder fristgerechten Kündigung nur gerechtfertigt, wenn der Kläger zuvor wegen einer ähnlichen Pflichtverletzung abgemahnt worden wäre. Insbesondere steht auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht zur Überzeugung des Landesarbeitsgerichts fest, dass der Kläger das Messer bewusst und aktiv an den Hals der Mitarbeiterin gehalten hat.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 13.7.2023, 5 Sa 5/23
| Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gekündigt worden, ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. So sieht es das Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 KSchG) vor. Diesen Grundsatz hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf jetzt noch einmal bekräftigt. |
Das war geschehen
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 1.2.2012 beschäftigt. Die Beklagte beschäftigte in ihrem einzigen Betrieb zuletzt knapp 600 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Am 1.3.2022 wurde über das Vermögen der Beklagten das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet. Der Sachwalter und der Gläubigerausschuss stimmten der Einstellung der Geschäftstätigkeit zum 31.12.2022 zu.
Nachdem die Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs am 24.11.2022 durch Spruch der Einigungsstelle für gescheitert erklärt wurden, stellte die Beklagte am 28.11.2022 Anträge auf behördliche Zustimmungen zur betriebsbedingten Kündigung nach dem SGB IX (schwerbehinderte Menschen) und BEEG (Elternzeit). Den Beschäftigten wurde die Gelegenheit eingeräumt, in eine Transfergesellschaft zu wechseln. Im Dezember 2022 sprach die Beklagte gegenüber allen Beschäftigten betriebsbedingte Beendigungskündigungen aus, soweit das Ende des Arbeitsverhältnisses nicht aus anderen Gründen feststand.
Alle Mitarbeitenden, auch der Kläger, wurden ab dem 1.1.2023 unwiderruflich freigestellt. Ausgenommen waren die Beschäftigten des Abwicklungsteams, das ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Anlage 53 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer umfasste, wobei gegenüber dreizehn Personen Kündigungen zum 31.3.2023 und gegenüber den übrigen vierzig Personen Kündigungen zum 30.6.2023 ausgesprochen wurden. Das Arbeitsverhältnis des Klägers kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 16.12.2022 zum 31.3.2023.
Erfolgreiche Kündigungsschutzklage nicht aufgrund Gesetzeslage ...
Die vom Kläger hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hatte vor dem LAG Düsseldorf ebenso wie zuvor beim Arbeitsgericht (ArbG) Solingen Erfolg. Dies folgte zwar nicht aus § 17 KSchG i. V. m. § 134 BGB wegen einer nicht ordnungsgemäßen Massenentlassungszeige. Etwaige Fehler in diesem Zusammenhang stellen keinen Unwirksamkeitsgrund dar, weil Zweck der Anzeige nicht der Individualschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist.
...sondern aufgrund fehlerhafter Sozialauswahl
Die Kündigung war indes aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) rechtsunwirksam, wie es bereits das ArbG zutreffend ausgeführt hatte. Bei einer etappenweisen Betriebsstillegung hat der Arbeitgeber keine freie Auswahl, wem er früher oder später kündigt. Es sind grundsätzlich die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit den Abwicklungsarbeiten zu beschäftigen.
Fehlerhafte Vergleichsgruppen
Die Beklagte hatte hier die Sozialauswahl methodisch fehlerhaft durchgeführt, weil sie die Vergleichsgruppen fehlerhaft gebildet hatte. So hatte sie diese u. a. anhand der ursprünglich ausgeübten Tätigkeiten gebildet. Sie hätte die soziale Auswahl stattdessen anhand der noch im Abwicklungsteam anfallenden Tätigkeiten vornehmen müssen, zu denen die Beklagte nur unvollständig vorgetragen hatte. Es fehlte weitgehend an Vortrag dazu, welche Aufgaben mit welcher Dauer im Abwicklungsteam anfielen, welche Anforderungsprofile dafür erforderlich waren und wie auf dieser Grundlage ein Vergleich vorgenommen werden soll. Die daraus folgende Vermutung der fehlerhaften Sozialauswahl hatte die Beklagte auch in zweiter Instanz nicht widerlegt.
Das LAG hat die Revision nicht zugelassen.
Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 9.1.2024, 3 Sa 529/23, PM 2/24
| Oft müssen sich die Gerichte mit den Voraussetzungen für einen Investitionsabzugsbetrag (IAB nach § 7 g Einkommensteuergesetz [EStG]) beschäftigen. Jüngst haben es zwei Verfahren (Vorinstanz: Finanzgericht (FG) Niedersachsen) mit dieser Frage bis vor den Bundesfinanzhof (BFH) geschafft: Ist für die Gewinngrenze der Steuerbilanzgewinn oder ein um außerbilanzielle Effekte (wie nichtabziehbare Betriebsausgaben sowie einkommensteuerfreie Einnahmen) korrigierter Gewinn relevant? |
Gewinngrenze von 200.000 Euro
Hintergrund: Für die künftige (Investitionszeitraum von drei Jahren) Anschaffung oder Herstellung von abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens (beispielsweise Maschinen) können bis zu 50 % der voraussichtlichen Anschaffungs-/Herstellungskosten gewinnmindernd abgezogen werden. Da der Gesetzgeber durch diese Steuerstundungsmöglichkeit vor allem Investitionen von kleinen und mittleren Betrieben erleichtern will, darf der Gewinn 200.000 Euro nicht überschreiten.
Das war geschehen
In einem Fall des FG Niedersachsen betrug der Bilanzgewinn 189.821 Euro und lag damit unter der (in § 7 g EStG normierten) Grenze von 200.000 Euro. Dennoch versagte das Finanzamt die Bildung eines IAB, da es nach der Hinzurechnung der Gewerbesteuer (vgl. hierzu § 4 Abs. 5 b EStG) von 25.722 Euro auf einen über dem Grenzbetrag liegenden Gewinn von 215.543 Euro kam.
Unterschiedliche Sichtweisen
Die Frage, wie der Gewinn (nach § 7 g Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG) zu ermitteln ist, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt. Hierzu werden (vereinfacht) zwei Meinungen vertreten:
Bundesfinanzministerium: keine Berücksichtigung von Abzügen und Hinzurechnungen
Für das Bundesfinanzministerium (BMF) ist Gewinn der Betrag, der ohne Berücksichtigung von Abzügen und Hinzurechnungen (gemäß § 7 g Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 EStG) der Besteuerung zugrunde zu legen ist; außerbilanzielle Korrekturen der Steuerbilanz sowie Hinzu-/Abrechnungen bei der Einnahmen-Überschussrechnung sind zu berücksichtigen.
Gegenteilige Position: allein steuerbilanzieller Gewinn „zählt“
Teile des Schrifttums vertreten indes die Position, dass allein auf den steuerbilanziellen Gewinn abzustellen ist, was im Streitfall zu einem günstigeren Ergebnis führen würde. Auch für das FG Baden-Württemberg ist der Steuerbilanzgewinn relevant – und nicht der Gewinn i. S. des § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG. Eine Korrektur um außerbilanzielle Positionen findet nicht statt.
Beachten Sie | Das FG Niedersachsen hat sich der Ansicht des BMF angeschlossen. Weil hiergegen die Revision anhängig ist, können Steuerpflichtige in geeigneten Fällen Einspruch einlegen.
Quelle | FG Niedersachsen, Urteile vom 9.5.2023, 2 K 202/22, Rev. BFH: X R 16/23 und 2 K 203/22, Rev. BFH: X R 17/23; BMF-Schreiben vom 15.6.2022, IV C 6 - S 2139-b/21/10001 :001; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 2.5.2023, 10 K 1873/22, Rev. BFH: III R 38/23
| Zwei unterschiedliche Urteile zum Schadenersatz für immaterielle Schäden bei verspäteter Auskunft nach der Datenschutz-Grundverordnung (hier: Art. 15 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 12 DS-GVO) lassen aufhorchen. So hat das Arbeitsgericht (ArbG) jetzt verbraucherfreundlich entschieden, während das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf unternehmensfreundlich war. |
Arbeitsgericht Duisburg: „Unverzüglichkeit“ entscheidend
Das ArbG Duisburg entschied, dass einem Kläger, der sich am 14.3.2017 auf eine Stelle bei dem beklagten Unternehmen beworben und über sechs Jahre später (am 18.5.2023) erstmals Auskunft über ihn dort gespeicherte personenbezogene Daten verlangt hat, eine Geldentschädigung von 750 Euro (verlangt waren 2.000 Euro) zusteht. Dies geschah, obwohl das Unternehmen schon am 5.6.2023 die Auskunft in Form eines Negativattests erteilte – also innerhalb der gesetzlichen Monatsfrist (gemäß Art. 12 Abs. 3 DS-GVO).
Das ArbG sah die Auskunft nicht als „unverzüglich“ im Sinne dieser Vorschrift an. Die dortige Monatsfrist sei nicht als Regel- sondern als Höchstfrist zu verstehen. Sie dürfe nicht routinemäßig, sondern nur in schwierigen Fällen und bei Hinzutreten besonderer Umstände ausgeschöpft werden.
Hier habe das Unternehmen auch keine konkreten Anhaltspunkte vorgetragen, die eine Überschreitung dieser Zeitspanne rechtfertigen würden. Bei der Schadenersatzbemessung hat das ArbG berücksichtigt, dass die gesetzliche Frist nicht erheblich überschritten sei. Eine objektive Dringlichkeit der Anfrage sechs Jahre nach der Bewerbung sei unerheblich.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf: keine datenschutzrechtsverletzende Datenverarbeitung
Da LAG Düsseldorf sieht dies jedoch anders: Es sprach einem Anspruchsteller trotz verspäteter Auskunft durch Überschreiten der Monatsfrist einen Schadenersatzanspruch ab.
Ein Verstoß gegen Art. 15 DS-GVO falle schon nicht in den Anwendungsbereich des Art. 82 DS-GVO. Es fehle an einer gegen die DS-GVO verstoßenden Datenverarbeitung bei einer rein verzögerten Datenauskunft oder einer anfänglich unvollständigen Erfüllung des Auskunftsbegehrens. Darüber hinaus liege allein in der schlagwortartigen Behauptung eines solchen „Kontrollverlusts“ über personenbezogene Daten auch keine Darlegung eines immateriellen Schadens.
Quelle | ArbG Duisburg, Urteil vom 3.11.2023, 5 Ca 877/23; LAG Düsseldorf, Urteil vom 28.11.2023, 3 Sa 285/23, PM 29/23
| Das Landgericht (LG) München hat ein Handelsunternehmen für Getränke dazu verurteilt, es zu unterlassen, das von ihm vertriebene Bier als WUNDERBRAEU zu bezeichnen, wenn dies in Zusammenhang mit einer auf der Bierflasche abgedruckten Münchner Adresse geschieht, an der das Bier jedoch nicht gebraut wird. Dies stelle eine Herkunftstäuschung dar. Zudem muss das beklagte Unternehmen in Zukunft die Bewerbung des Biers mit „CO2 positiv“ bzw. „klimaneutrale Herstellung“ auf der Bierflasche unterlassen. Die Bewertungsmaßstäbe, aufgrund derer diese Äußerungen getroffen würden, seien auf den Etiketten der Flaschen nicht hinreichend transparent offengelegt. |
Irreführende Bezeichnung des Biers
Die Beklagte hatte argumentiert, dass die Bezeichnung „WUNDERBRAEU“ für sich nicht irreführend sei. Zudem habe sie ihren Verwaltungssitz an der angegebenen Münchner Adresse und es sei gesetzlich vorgeschrieben, die Adresse auf der Flasche abzudrucken.
Dem folgte das LG nicht. Die für sich gesehen nicht eindeutige Bezeichnung „WUNDERBRAEU“ sei jedenfalls mit der auf dem rückwärtigen Etikett enthaltenen Adresse einer für Brauereien bekannten Straße in München irreführend. Durch die fragliche Aufschrift werde ein Bezug des Produkts mit einer Anschrift in München hergestellt, obwohl dort unstreitig nicht die Produktionsstätte, sondern allein der Sitz des Handelsunternehmens sei. Zwar möge die Bezeichnung für sich gesehen auch für die Beklagte als Vertriebsunternehmen zulässig sein und die Angabe auch insgesamt den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Das ändere aber nichts daran, dass die Aufschrift im Zusammenhang den Eindruck erwecke, die angegebene Anschrift bezeichne den Herkunftsort des Produktes selbst. Dies sei unzulässig.
Eine Täuschung über die Herkunft des Bieres sei auch geeignet, die Entscheidung der Verbraucherinnen und Verbraucher zu beeinflussen.
Diese Bezeichnung mit Klimabezug ist verboten
Die weiteren, von dem klagenden Verband beanstandeten Angaben „CO2 positiv“ und „klimaneutrale Herstellung“ stellen laut Gericht ebenfalls eine unzulässige Irreführung dar und wurden dem beklagten Unternehmen deshalb, so wie es die Angaben verwendet hatte, verboten.
Die Beklagtenseite hatte angeführt, dass ein QR-Code auf der Flasche zu den gewünschten Informationen über die Bedeutung der beanstandeten Angaben zur Klimabilanz führe. Dies reichte dem LG nicht aus. Gerade in der heutigen Zeit, in der Unternehmen in den Verdacht des sogenannten „Greenwashing“ kämen und in dem Ausgleichsmaßnahmen kontrovers diskutiert würden, sei es wichtig, die Verbraucher über die Grundlagen der jeweiligen werbenden Behauptung aufzuklären. Verbraucher hätten daher ein maßgebliches Interesse daran, inwieweit behauptete Klimaneutralität durch Einsparungen oder durch Ausgleichsmaßnahmen und, wenn ja, durch welche Ausgleichsmaßnahmen erreicht würden. Daher müssten den Verbrauchern die Bewertungsmaßstäbe für die werbenden Angaben „CO2 positiv“ und „klimaneutrale Herstellung“ auf der Bierflasche offengelegt werden.
Letztendlich bestünden zudem erhebliche Zweifel daran, ob die auf der Website des beklagten Unternehmens aufgeführten Informationen ausreichend wären. Denn genaue Angaben zur berechneten Klimabilanz und Angaben darüber, in welchem Umfang die Klimaneutralität durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werden sollen und in welchem Umfang durch Einsparung, fänden sich dort gerade nicht.
Quelle | LG München I, Urteil vom 8.12.2023, 37 O 2041/23, PM 32/23
| Der Anleger eines Investmentfonds muss als Investmentertrag u. a. die Vorabpauschale nach § 18 des Investmentsteuergesetzes (InvStG) versteuern. Geregelt ist dies in § 16 Abs. 1 Nr. 2 InvStG. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nun den Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale 2024 veröffentlicht. |
Hintergrund: Nach § 16 Abs. 1 InvStG sind Erträge aus Investmentfonds (Investmenterträge)
- Ausschüttungen des Investmentfonds,
- Vorabpauschalen und
- Gewinne aus der Veräußerung von Investmentanteilen.
Die Vorabpauschale ist der Betrag, um den die Ausschüttungen eines Investmentfonds innerhalb eines Kalenderjahrs den Basisertrag für dieses Kalenderjahr unterschreiten. Die Vorabpauschale gilt (nach § 18 Abs. 3 InvStG) beim Anleger am ersten Werktag des folgenden Kalenderjahrs als zugeflossen.
Der Basiszins ist aus der langfristig erzielbaren Rendite öffentlicher Anleihen abzuleiten. Dabei ist auf den Zinssatz abzustellen, den die Deutsche Bundesbank anhand der Zinsstrukturdaten jeweils auf den ersten Börsentag des Jahres errechnet. Das BMF muss den maßgebenden Zinssatz im Bundessteuerblatt veröffentlichen. Der Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale für das Jahr 2024 beträgt 2,29 %.
Ob es infolge der Vorabpauschale tatsächlich zu einer Steuerbelastung kommt, hängt von mehreren Faktoren ab. Beispielsweise ist ein erteilter Freistellungsauftrag für Kapitalerträge (maximal 1.000 Euro; bei Zusammenveranlagung von Ehegatten: 2.000 Euro) zu berücksichtigen.
Eine Steuerbelastung setzt ferner voraus, dass der Basiszins positiv ist. Aufgrund des negativen Basiszinses für die Jahre 2021 und für 2022 wurde insoweit auch keine Vorabpauschale erhoben.
Beachten Sie | Der ermittelte Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale für das Jahr 2023 beträgt 2,55 %. Eine etwaige steuerliche Belastung erfolgte zum Jahresbeginn 2024.
Quelle | BMF, Schreiben vom 5.1.2024, IV C 1 - S 1980-1/19/10038 :008; BMF, Schreiben vom 4.1.2023, IV C 1 - S 1980-1/19/10038: 007
| Das Bundeszentralamt für Steuern hat am 7.2.2024 mitgeteilt, dass das Zuwendungsempfängerregister ab sofort online zur Verfügung steht. |
Das Zuwendungsempfängerregister umfasst alle Organisationen, die berechtigt sind, ihren Spendern Zuwendungsbestätigungen auszustellen. Somit bietet das Register u. a. eine einfache Möglichkeit, sich über den Gemeinnützigkeitsstatus von Organisationen zu informieren.
| In Betriebsprüfungen gibt es oft Streit, ob Fahrtenbücher als ordnungsgemäß anzuerkennen sind. Aktuell hat das Finanzgericht (FG) Düsseldorf Folgendes entschieden: Ein elektronisches Fahrtenbuch erfüllt nicht die Anforderungen an den Nachweis des tatsächlichen Umfangs der Privatnutzung eines betrieblichen Kfz, wenn nachträgliche Veränderungen an den zu einem früheren Zeitpunkt eingegebenen Daten nicht in der Datei selbst, sondern in externen Protokolldateien dokumentiert werden. Dem Erfordernis des zeitnahen Führens eines Fahrtenbuchs wird nicht genügt, wenn die – zwischenzeitlich auf Notizzetteln festgehaltenen – Eintragungen erst mehrere Tage oder Wochen nach Abschluss der betreffenden Fahrten vorgenommen werden. |
Quelle | FG Düsseldorf, Urteil vom 24.11.2023, 3 K 1887/22 H[L]
| Zu den Werbungskosten zählt auch die zur vorzeitigen Ablösung eines Darlehens gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung, soweit die Schuldzinsen mit den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Dieser Zusammenhang besteht, wenn bereits im Zeitpunkt der Veräußerung eines Grundstücks anhand objektiver Umstände der endgültige Entschluss feststellbar ist, mit dem nach der vorzeitigen Darlehensablösung verbleibenden Verkaufserlös wiederum konkret bestimmtes Grundvermögen mit dem Ziel anzuschaffen, hieraus Vermietungseinkünfte zu erzielen. Dies hat das Finanzgericht (FG) Köln entschieden. |
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ergibt sich ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit den Vermietungseinkünften aus einem neuen Objekt allenfalls dann, wenn der Steuerpflichtige bereits bei der Veräußerung – z. B. im Kaufvertrag selbst oder zumindest beim Abschluss des Kaufvertrags – im Vorhinein so unwiderruflich über den verbleibenden Restkaufpreis verfügt, dass er ihn unmittelbar zum Erzielen von Vermietungseinkünften mit einem bestimmten Objekt festlegt.
Beachten Sie | Verbleibende Zweifel gehen zulasten des Steuerpflichtigen, denn er trägt die Feststellungslast für die den Steueranspruch mindernden Tatsachen.
Infolge dieser restriktiven Rechtsprechung kam im Streitfall des FG Köln kein Werbungskostenabzug in Betracht. Denn der Steuerpflichtige hatte den überschießenden Verkaufserlös (also Verkaufspreis abzüglich abzulösendes Darlehen) zunächst selbst vereinnahmt und dann zur Teilrückführung einzelner Darlehen verwendet.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | FG Köln, Urteil vom 19.10.2023, 11 K 1802/22
| Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen hat sich mit der Frage befasst, ob eine Influencerin Aufwendungen für Kleidung und Accessoires steuerlich geltend machen kann. Die Entscheidung fiel zu ungunsten der Steuerpflichtigen aus. |
Das war geschehen
Eine Steuerpflichtige betrieb auf verschiedenen Social-Media-Kanälen und über eine Website einen Mode- und Lifestyleblog und erstellte hierzu Fotos und Stories. Zusätzlich zu den Waren, die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit von verschiedenen Firmen erhalten hatte, um sie zu bewerben, erwarb sie diverse Kleidungsstücke und Accessoires (beispielsweise Handtaschen namhafter Marken). Die Influencerin wollte die Aufwendungen für die Kleidungsstücke und Accessoires als Betriebsausgaben bei ihrer gewerblichen Tätigkeit berücksichtigen.
Argumentation: Keine Abgrenzung zwischen privater und betrieblicher Nutzung möglich
Das Finanzamt verwehrte den Betriebsausgabenabzug mit der Begründung, dass sämtliche Gegenstände auch privat genutzt werden können und eine Abgrenzung der privaten zur betrieblichen Sphäre nicht möglich sei. Insbesondere habe die Steuerpflichtige nicht dargelegt, in welchem Umfang sie die Kleidungsstücke und Accessoires jeweils für private oder betriebliche Zwecke genutzt hatte.
Die hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos.
Finanzgericht: Abzugsverbot für Aufwendungen zur Lebensführung
Das FG Niedersachsen war ebenfalls der Meinung, dass eine Trennung zwischen privater und betrieblicher Sphäre bei gewöhnlicher bürgerlicher Kleidung und Mode-Accessoires nicht möglich ist. Gemäß Einkommensteuergesetz (§ 12 Nr. 1 EStG) folgt insoweit ein Abzugsverbot für Aufwendungen für die Lebensführung der Steuerpflichtigen, die ihre wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung mit sich bringt, auch wenn die Aufwendungen zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit der Steuerpflichtigen erfolgen.
Beachten Sie | Es kommt nicht darauf an, wie die Steuerpflichtige die Gegenstände konkret genutzt hat. Allein die naheliegende Möglichkeit der Privatnutzung von bürgerlicher Kleidung und Mode-Accessoires führt dazu, dass eine steuerliche Berücksichtigung ausgeschlossen ist.
Zudem handelt es sich bei den von der Influencerin erworbenen Gegenständen nicht um typische Berufskleidung, für die ein Betriebsausgabenabzug möglich ist. Hierunter fallen nur solche Kleidungsstücke, die nach ihrer Beschaffenheit objektiv nahezu ausschließlich für die berufliche Nutzung bestimmt und geeignet und wegen der Eigenart des Berufs nötig sind, bzw. bei denen die berufliche Verwendungsbestimmung bereits aus ihrer Beschaffenheit entweder durch ihre Unterscheidungsfunktion oder durch ihre Schutzfunktion (z. B bei Arbeitsschuhen) folgt.
Beachten Sie | Der Beruf einer Influencerin bzw. Bloggerin ist insoweit nicht anders zu beurteilen als sonstige Berufe. Ob die Kleidungsstücke und Mode-Accessoires tatsächlich ausschließlich betrieblich genutzt werden, ist unbeachtlich. Somit war die Aufklärung des Umfangs der tatsächlichen privaten Nutzung der Kleidung nicht entscheidend.
Quelle | FG Niedersachsen, Urteil vom 13.11.2023, 3 K 11195/21
| Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Bei einem Unfall, der in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Einfahren von einer Parkbucht in den Straßenverkehr stattfindet, gilt das einfahrende Fahrzeug als Verursacher, wenn eine weitere Aufklärung nicht möglich ist. |
Der Fahrer eines zuvor in einer Parkbucht am Straßenrand stehenden Fahrzeugs ist mit diesem in den Straßenverkehr eingefahren. Hierauf kam es zu einer Kollision mit einem dort in gleicher Richtung fahrenden Wagen. Über den Unfallhergang machten die Beteiligten jeweils unterschiedliche Angaben.
Das AG hat entschieden, dass der Verkehrsunfall vollständig von dem einfahrenden Fahrzeug verursacht wurde. Zwar ließ sich das Geschehen überwiegend nicht mehr aufklären, allerdings habe derjenige, der vom Straßenrand in den Verkehr einfährt, nach der Straßenverkehrsordnung besonders darauf zu achten, dass er andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet.
Aufgrund der zeitlichen und örtlichen Nähe des Unfallgeschehens zu dem Einfahren des parkenden Fahrzeugs in den Straßenverkehr bestehe daher der Anschein, dass dessen Fahrer nicht ausreichend auf den Verkehr geachtet und somit den Unfall herbeigeführt habe. Dafür spreche zudem, dasss eine Version des Unfallgeschehens, er sei bereits einige Zeit auf der Straße gefahren, mit dem Schadensbild nicht in Einklang zu bringen sei. Zudem habe der Fahrer selbst erklärt, das andere Fahrzeug erst durch den Anstoß bemerkt zu haben, was darauf hinweise, dass er das Verkehrsgeschehen beim Losfahren von dem Parkplatz nicht ausreichend beobachtet habe.
Quelle | AG Hanau, Urteil vom 5.6.2023, 39 C 329/21 (19)
| Kindergeld für sich selbst können Kinder nur erhalten, wenn sie Vollwaise sind oder den Aufenthalt der Eltern nicht kennen. Kein Kindergeld beanspruchen kann ein Kind, wenn es gelegentlich mit seiner Mutter im Ausland telefonieren und sich dabei nach ihrem Aufenthaltsort erkundigen kann. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) jetzt entschieden. |
Regelmäßige Telefonate
Der Kläger hatte Kindergeld für sich selbst beansprucht mit der Begründung, er kenne den Aufenthalt seiner Mutter nicht. Diese hatte sich Ende 2017 auf die Flucht begeben und zunächst jeweils nur für kurze Dauer an verschiedenen Orten in Syrien gelebt, zuletzt in der Nähe von Damaskus. Allerdings hatte der Kläger in seinem Kindergeldantrag angegeben, zwei- bis dreimal monatlich mit ihr zu telefonieren. Dadurch hatte er zumindest die zumutbare Möglichkeit, sich nach dem aktuellen Aufenthaltsort seiner Mutter zu erkundigen.
Voraussetzungen der Aufenthaltskenntnis
Ein Kind kennt den Aufenthalt seiner Eltern, wenn es weiß, an welchem für ihn bestimmbaren Ort sich seine Eltern oder zumindest ein Elternteil aufhalten. Auf die Kenntnis einer postalischen Adresse oder eines „verstetigten“ Aufenthalts kommt es dagegen nicht an, weil sich seit Einführung des Kindergelds für „alleinstehende Kinder“ im Jahr 1986 die Kommunikationsmöglichkeiten und -gewohnheiten durch Internet und Mobilfunk grundlegend verändert haben. Für die erforderliche Aufenthaltskenntnis genügt es zudem, wenn aus Sicht des Kindes die zumutbare Möglichkeit besteht, innerhalb eines angemessenen Zeitraums Kontakt mit seinen Eltern aufzunehmen. Die Kenntnis fehlt erst, wenn Dauer und Ausmaß der Unkenntnis über den Verbleib der Eltern den endgültigen Verlust der Eltern-Kind-Beziehung wie bei einer Vollwaise befürchten lassen.
Quelle | BSG, Urteil vom 14.12.2023, B 10 KG 1/22 R, PM 46/23
| Ein Versicherungsnehmer, der nach einer verbalen Auseinandersetzung im Straßenverkehr einem anderen, für ihn erkennbar schwerbeschädigten Verkehrsteilnehmer in den Rücken schlägt und diesen dadurch zu Fall bringt, nimmt regelmäßig dessen schwere Gesundheitsbeschädigung in Kauf. Als Folge kann sich sein Haftpflichtversicherer auf einen Leistungsausschluss berufen. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Dresden entschieden. |
Auseinandersetzung im Straßenverkehr
Auseinandersetzungen im Straßenverkehr enden immer häufiger damit, dass ein oder mehrere Beteiligte verletzt werden. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung regelt das nicht unbedingt die Haftpflichtversicherung.
Versicherung darf Leistung verweigern
Der Versicherer ist nämlich nach dem Versicherungsvertragsgesetz (hier: § 103 VVG) nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen Schaden herbeigeführt hat.
Einzelfall entscheidend
Ob die Versicherung tatsächlich leistungsfrei ist, entscheidet sich anhand des jeweiligen Einzelfalls. Dazu muss vorgetragen werden, wie sich der Vorfall ereignete und was genau Auslöser der schadenstiftenden Handlung war. Es ist nämlich ein Unterschied, ob es sich um eine Angriffs- oder Verteidigungshandlung handelte.
Quelle | OLG Dresden, Urteil vom 29.6.2023, 4 U 2626/22
| Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das einen Fluggast im Voraus darüber unterrichtet hat, dass es ihm gegen seinen Willen die Beförderung auf einem Flug verweigern werde, für den er über eine bestätigte Buchung verfügt, muss diesem einen Ausgleich zahlen. Das gilt selbst, wenn er sich nicht unter den in der Fluggastrechteverordnung (hier: Art. 3 Abs. 2 FluggastrechteVO) genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden hat. So sieht es der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). |
Fluggast ohne Information umgebucht
Der EuGH zeigt sich damit – wieder einmal – verbraucherfreundlich. Im konkreten Fall hatte die Fluggesellschaft einen Fluggast umgebucht, ihn aber nicht darüber informiert. Auf seine Rückfrage wurde ihm zugleich mitgeteilt, dass er für den gebuchten Rückflug gesperrt sei, weil er zum umgebuchten Flug nicht erschienen sei. Es sei nicht mehr möglich, den Rückflug anzutreten.
Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung
Der EuGH hat darüber hinaus entschieden, dass dem Fluggast zwar bei Annullierung eines Flugs u. U. kein Ausgleichsanspruch zusteht. Dies gelte aber nicht, wenn ein Fluggast – wie im Fall des EuGH für den Rückflug – mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit darüber unterrichtet wurde, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen ihn gegen seinen Willen nicht befördern werde. Ihm steht dann ein Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung i. S. d. Art. 4 der FluggastrechteVO zu.
Quelle | EuGH, Urteil vom 26.10.2023, C-238/22
| Das Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat der Verfassungsbeschwerde eines verbeamteten Lehrers stattgegeben, die sich gegen eine Durchsuchungsanordnung richtete. |
Das war geschehen
Gegen den Lehrer wurde wegen des Verdachts der Beleidigung von zwei Polizeibeamten ermittelt. Um Informationen über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu erlangen, ordnete das Amtsgericht (AG) an, seine Wohnung zu durchsuchen. Der Lehrer gewährte den die Durchsuchungsanordnung vollziehenden Beamten Eintritt in seine Wohnung und übergab ihnen verschiedene Unterlagen. Das Strafverfahren endete mit einer Einstellung gegen Zahlung einer Geldauflage.
Verletzung von Grundrechten
Die Anordnung der Durchsuchung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach dem Grundgesetz (Art. 13 Abs. 1 GG). Sie war unverhältnismäßig. Angesichts grundrechtsschonender, alternativer Ermittlungshandlungen stand eine Durchsuchung außer Verhältnis zur Schwere der verfolgten Straftat.
Zwar war die Durchsuchung nicht bereits deshalb unzulässig, weil lediglich die Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers ermittelt werden sollten. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft müssen sich nämlich auch auf Umstände beziehen, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind. Dazu zählen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten zwecks Bestimmung der Tagessatzhöhe.
Lehrer hätte zuerst befragt werden müssen
Naheliegend und grundrechtsschonend wäre es gewesen, zunächst den Beschwerdeführer über seinen Verteidiger zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu befragen. Eine solche Nachfrage hätte im Streitfall mit realistischer Wahrscheinlichkeit dazu geführt, ausreichende Informationen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu erlangen. Auch die Gefahr eines Beweismittelverlustes bestand nicht.
Anfrage an Besoldungsstelle als Alternative
Als naheliegende und grundrechtsschonende Alternative zu einer Wohnungsdurchsuchung wäre aber auch eine Anfrage bei der Besoldungsstelle des Beschwerdeführers nach dem von dort bezogenen Einkommen in Betracht gekommen. Durch eine solche Anfrage sind zwar nicht zwingend Informationen zu allen Einkünften zu erlangen. Das Strafgesetzbuch (hier: § 40 Abs. 3 StGB) erfordert aber – zumal in Fällen der kleineren Kriminalität – auch nicht die Ausschöpfung aller Beweismittel, wenn ansonsten die fachrechtlichen Voraussetzungen für eine Schätzung der Einkünfte vorliegen. Durchsuchungen zur Ermittlung der für die Bestimmung der Tagessatzhöhe entscheidenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten sind daher grundsätzlich nur verhältnismäßig, wenn anhand der übrigen zur Verfügung stehenden Beweismittel keine Schätzung möglich ist.
Weitere alternative Anfragen möglich
Hätten sich Staatsanwaltschaft und AG mit den durch die genannten Maßnahmen zu erlangenden Informationen zum Einkommen des Beschwerdeführers nicht begnügen wollen, wären darüber hinaus eine Abfrage bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und anschließende Bankanfragen in Betracht gekommen. Auch insoweit handelt es sich im Vergleich zur angeordneten Durchsuchung um eine meist weniger grundrechtsintensive Maßnahme.
Quelle | BVerfG, Beschluss vom 15.11.2023, 1 BvR 52/23, PM 115/23
| In einem Nachbarschaftsstreit sah das Amtsgericht (AG) München in dem Aufstellen einer Kamera auf dem Nachbargrundstück eine Persönlichkeitsrechtsverletzung und untersagte dies der Antragsgegnerin. |
Überwachungs- oder Wildkamera?
Die Parteien sind unmittelbare Nachbarn in München und stritten über eine im April 2022 auf der Terrasse der Antragsgegnerin aufgestellte Wildüberwachungskamera, die von der Terrasse der Antragstellerin aus sichtbar war. Die Antragstellerin wehrte sich hiergegen unter Verweis auf ihre Persönlichkeitsrechte und forderte die Antragsgegnerin im Juli 2022 u. a. auf, die Videoüberwachung zu beenden und künftig zu unterlassen. Die Antragsgegnerin verweigerte dies mit der Begründung, dass es sich nicht um eine Videoüberwachung, sondern um eine sogenannte Wild-Kamera handeln würde. Es ginge ausschließlich um die Kontrolle des eigenen Gartens.
Kamera musste entfernt werden
Zunächst erließ das AG im einstweiligen Rechtsschutz auf Antrag der Antragstellerin eine einstweilige Verfügung. Danach wurde es dieser untersagt, auf ihrem Grundstück eine Überwachungskamera aufzustellen, die die Terrasse oder den Garten der Antragstellerin erfasst oder erfassen kann oder den Eindruck hiervon erweckt. Anschließend entfernte die Antragsgegnerin die Kamera.
Einstweilige Verfügung war rechtens
Auf Antrag der Antragstellerin bestätigte das AG dann mit einem Urteil die einstweilige Verfügung. Die vormals aufgestellte Kamera habe die Antragstellerin in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Kamera tatsächlich ausschließlich den Bereich der Antragsgegnerin erfasst hat oder nicht. Denn es komme insoweit auf die Umstände des Einzelfalls an. Die Befürchtung, durch vorhandene Überwachungsgeräte überwacht zu werden, sei gerechtfertigt, wenn sie aufgrund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit oder aufgrund objektiv Verdacht erregender Umstände. Lägen solche Umstände vor, könne das Persönlichkeitsrecht des (vermeintlich) Überwachten schon wegen der Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch Videokameras und ähnliche Überwachungsgeräte beeinträchtige hingegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen nicht, die dadurch betroffen sein könnten.
Hypothetische Möglichkeit der Überwachung ausreichend für Beseitigungsanspruch
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs habe die Antragstellerin einen Anspruch auf Beseitigung der Kamera und entsprechende Unterlassung der etwaigen weiteren Installation einer vergleichbaren Kamera. Nach Ansicht der Lichtbilder sei das Gericht der Überzeugung, dass die Antragstellerin zu der Ansicht gelangen konnte, dass ihr Grundstück von der Kamera erfasst werde. Es handelte sich nicht mehr um die rein hypothetische Möglichkeit der Überwachung.
Der Sachverhalt habe sich zwar mittlerweile maßgeblich verändert, da die Kamera entfernt worden sei. Weiterhin habe die Antragsgegnerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass sie nicht die Absicht habe, eine weitere Kamera aufzustellen. Dieser Umstand allein kann aber nicht ausreichen, eine Wiederholungsgefahr aufzuheben.
Quelle | AG München, Urteil vom 1.2.2023, 171 C 11188/22, PM 43/23
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über die Frage entschieden, ob ein Anspruch des Mieters auf Gestattung der Gebrauchsüberlassung an einen Dritten (Untervermietung) auch im Fall einer Einzimmerwohnung gegeben sein kann. Er hat den Anspruch des Mieters bestätigt. |
Das war geschehen
Der Mieter einer in Berlin gelegenen Einzimmerwohnung bat mit Schreiben von März 2021 seinen Vermieter wegen eines beruflichen Auslandsaufenthalts um die Gestattung der Untervermietung an eine namentlich benannte Person vom 15.6.2021 bis zum 30.11.2022. Die Vermieter lehnten dies ab.
Mit der im Mai 2021 erhobenen, auf die Erlaubnis der Untervermietung „eines Teils der Wohnung“ an den bezeichneten Untermieter gerichteten Klage hat der Mieter vorgetragen, er wolle für die Dauer seiner berufsbedingten Abwesenheit einen Teil der Wohnung an die benannte Person untervermieten, jedoch persönliche Gegenstände weiter in der Wohnung lagern. Während seines Auslandaufenthalts lagere er seine in der (untervermieteten) Wohnung verbliebenen persönlichen Gegenstände dort in einem Schrank und einer Kommode sowie in einem am Ende des Flurs gelegenen, durch einen Vorhang abgetrennten, nur von ihm zu nutzenden Bereich von der Größe eines Quadratmeters. Ferner blieb er im Besitz eines Wohnungsschlüssels.
Die Klage hatte beim Amtsgericht (AG) keinen Erfolg. Auf die Berufung des Mieters hat das Landgericht (LG) die Vermieter antragsgemäß verurteilt, die Untervermietung „eines Teils der Wohnung“ an die vom Mieter benannte Person zu gestatten. Mit der Revision begehren die Vermieter die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
So entschied der Bundesgerichtshof
Die Revision der Vermieter hatte keinen Erfolg. Der BGH hat entschieden, dass dem Mieter ein Anspruch auf Gestattung der befristeten, teilweisen Gebrauchsüberlassung an den von ihm benannten Dritten zusteht.
Wie der Senat in der Vergangenheit bereits (zu Wohnungen mit mehreren Zimmern) entschieden hat, stellt das Bürgerliche Gesetzbuch (hier: § 553 Abs. 1 BGB) weder quantitative Vorgaben hinsichtlich des beim Mieter verbleibenden Anteils des Wohnraums noch qualitative Anforderungen bezüglich dessen weiterer Nutzung durch den Mieter auf. Von einer Überlassung eines Teils des Wohnraums an einen Dritten im Sinne des § 553 Abs. 1 BGB ist daher regelmäßig bereits auszugehen, wenn der Mieter den Gewahrsam an dem Wohnraum nicht vollständig aufgibt.
Danach kann ein Anspruch des Mieters gegen den Vermieter auf Gestattung der Gebrauchsüberlassung an einen Dritten auch bei einer Einzimmerwohnung gegeben sein. Ein Ausschluss von Einzimmerwohnungen aus dem Anwendungsbereich des § 553 Abs. 1 BGB ergibt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut, der Gesetzesgeschichte noch aus dem mieterschützenden Zweck der Vorschrift. Letzterer liefe für Mieter einer Einzimmerwohnung andernfalls gänzlich leer. Sachgerechte Gründe dafür, solche Mieter insoweit als weniger schutzwürdig anzusehen als Mieter einer Mehrzimmerwohnung, erschließen sich indes nicht, denn auch dem Mieter einer Einzimmerwohnung kann es, namentlich bei – wie hier – befristeter Abwesenheit, darum gehen, sich den Wohnraum zu erhalten.
Die Beurteilung des LG, dass der Mieter dem Untermieter die Einzimmerwohnung nur teilweise überlassen wollte, ist laut BGH nicht zu beanstanden. Der Mieter hat seinen Gewahrsam an der Wohnung nicht vollständig aufgegeben. Denn er hat persönliche Gegenstände in der Wohnung in Bereichen zurückgelassen, die seiner alleinigen Nutzung vorbehalten waren, und sich den Zugriff hierauf zudem durch Zurückbehaltung eines Wohnungsschlüssels gesichert. Hinzu tritt der Wille des Mieters, die Wohnung nur für die Zeit seines Auslandsaufenthalts teilweise einem Dritten zu überlassen.
Quelle | BGH, Urteil vom 13.9.2023, VIII ZR 109/22, PM 158/2023 vom 14.9.2023
| Eine Grabbeigabe (Goldkette und Eheringe) durch den Testamentsvollstrecker ist auch bei einer Auswirkung auf ein Vermächtnis nicht grob pflichtwidrig. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. |
Testamentsvollstrecker kam Wunsch der Erblasserin nach
Die Erblasserin errichtete mit ihrem verstorbenen Ehemann ein gemeinschaftliches Testament. Sie setzten unter anderem ihre gemeinsamen Kinder, die Beteiligten zu 1) bis 3), als Erben zu gleichen Teilen ein und vermachten der Beteiligten zu 3) vorab den Schmuck der Erblasserin. Später ordnete die Erblasserin in einer notariellen Ergänzung Testamentsvollstreckung an und bestimmte den Beteiligten zu 2) zum Testamentsvollstrecker.
Der Beteiligte zu 2) legte der Erblasserin – seiner Behauptung zufolge auf deren Wunsch – die Eheringe der Erblasserin und ihres Ehemannes an einer Goldkette mit ins Grab, obwohl sich die Beteiligten zu 1)und zu 3) mit der Grabbeigabe der Goldkette zuvor nicht einverstanden erklärt hatten. Dies veranlasste den Beteiligten zu 1), die Entlassung des Beteiligten zu 2) aus dem Amt des Testamentsvollstreckers zu beantragen. Das Nachlassgericht hat den Antrag nach Vernehmung verschiedener Zeugen zurückgewiesen.
So sah es das Oberlandesgericht
Die hiergegen eingelegte Beschwerde hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Ein Testamentsvollstrecker begeht keine grobe Pflichtverletzung, sofern er die Eheringe und eine Kette der Erblasserin auf deren Wunsch ihr mit ins Grab legt, auch wenn er dadurch einem angeordneten Vermächtnis teilweise nicht nachkommen kann. Das OLG hat die Beschwerde einer Tochter der Erblasserin zurückgewiesen.
Zu Recht habe das Amtsgericht (AG) eine als grob zu wertende Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers verneint. Es fehle bereits an dem Nachweis einer Pflichtverletzung. Der Beteiligte zu 1) habe nicht nachweisen können, dass die Grabbeilage nicht auf Wunsch der Erblasserin erfolgt sei. Die Erblasserin sei nicht gehindert gewesen, noch zu ihren Lebzeiten einer Vertrauensperson den rechtsverbindlichen Auftrag zu erteilen, die Goldkette nebst den Eheringen nach ihrem Tod als Grabbeigabe zu verwenden. Dieser insoweit als gegeben zu unterstellende geäußerte Wunsch der Erblasserin sei als – wirksamer – Auftrag zu deren Lebzeiten an den Beteiligten zu 2) zu verstehen. Diesen Auftrag hätten allenfalls alle drei Erben widerrufen können. Dies sei nicht geschehen.
Es lag eine Pflichtenkollision vor
Die aus dem Vermächtnis einerseits und dem Auftrag der Erblasserin andererseits resultierende Pflichtenkollision habe der Testamentsvollstrecker zugunsten einer Grabbeigabe entscheiden können, ohne dass dies als objektiv pflichtwidriger Verstoß gegen die Pflichten als Testamentsvollstrecker zu werten ist. Darüber hinaus sei selbst eine unterstellte Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers nicht schwerwiegend.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 19.12.2023, 21 W 120/23, PM 77/23
| Der Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Wohngebäudes an der Grundstücksgrenze fehlt es an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse, wenn eine Baulast im Baulastenverzeichnis eingetragen ist, die für den Grenzbereich die Freihaltung von jeglicher Bebauung regelt. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Mainz. |
Baulast seit 40 Jahren eingetragen
Die Klägerin stellte einen Bauantrag zur Errichtung eines Wohngebäudes an der Grenze zum Nachbargrundstück. Im Baulastenverzeichnis ist seit mehr als 40 Jahren eine Baulast eingetragen, nach der das Baugrundstück der Klägerin in der Länge eines (seinerzeit geplanten und genehmigten) Anbaus an ein Wohngebäude auf dem Nachbargrundstück und in einer Breite von drei Metern von jeglicher Bebauung freizuhalten ist.
Unter Hinweis auf diese Baulastregelung lehnte der Beklagte, die Baugenehmigungsbehörde, den im vereinfachten Genehmigungsverfahren gestellten Bauantrag ab. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage, mit der sie u. a. die Erteilung der Baugenehmigung beanspruchte. Sie machte im Wesentlichen geltend, die Baulast sei hinsichtlich der Länge der freizuhaltenden Fläche unbestimmt und deshalb unwirksam. Jedenfalls sei die Baulast in dem Baulastenverzeichnis zu löschen, weil zwischenzeitlich in der Umgebung nahezu auf allen Grundstücken grenzständige Bauten entstanden seien. Das VG wies die Klage ab.
Kein Rechtsschutzbedürfnis gegeben
Es fehle der Klage an einem sog. Rechtsschutzinteresse. Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren sei der Prüfungsumfang der Bauaufsichtsbehörde gesetzlich beschränkt. So seien Vorschriften nach der Landesbauordnung grundsätzlich nicht zu prüfen. Dementsprechend blieben auch eingetragene Baulasten generell unberücksichtigt.
Baulast war unmissverständlich
Gleichwohl sei die Baubehörde im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht verpflichtet, bauordnungsrechtliche Fragen gänzlich auszublenden. So dürfe sie im vereinfachten Verfahren die Erteilung einer Baugenehmigung versagen, wenn das Bauvorhaben offensichtlich gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften verstoße und deshalb nicht verwirklicht werden könne. So sei es hier. Die in Rede stehende Baulast enthalte die unmissverständliche Aussage, dass der Grenzbereich auf dem Klägergrundstück, auf dem das geplante Wohngebäude zu stehen kommen solle, von jeglicher Bebauung freizuhalten sei. Unter verständiger objektiver Würdigung sei auch bestimmbar, in welcher Länge das Bauverbot gelte: Diese ergebe sich aus den seinerzeitigen Baugenehmigungsunterlagen zu dem Nachbaranbau. Sei eine Baulast in das Baulastenverzeichnis eingetragen, entfalte sie ihre Wirksamkeit. Sie sei – anders als bei einer hier nicht gegebenen Nichtigkeit – nicht ständig auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen.
Bauantragsteller muss handeln
Erst im Fall der Eintragung eines (allerdings in einem eigenem Verwaltungsverfahren nach Wegfall eines öffentlichen Interesses durch die Bauaufsichtsbehörde auszusprechenden) Verzichts auf die Baulast entfalle ihre Wirksamkeit. Es sei Sache des Bauantragstellers, ein solches Verzichtsverfahren (ggf. nach zivilrechtlicher Abklärung von Nachbarrechtspositionen) anzustoßen. Die Baugenehmigungsbehörde sei indes nicht verpflichtet, mit der Bescheidung eines Bauantrags zuzuwarten, bis der Erteilung der Baugenehmigung entgegenstehende Hindernisse ausgeräumt seien.
Quelle | VG Mainz, Urteil vom 6.12.2023, 3 K 47/23.MZ, PM 2/24
| Die Naturschutzbehörden sind grundsätzlich befugt, gegenüber Betreibern bestandskräftig genehmigter Windenergieanlagen nachträgliche Anordnungen zur Verhinderung von Verstößen gegen das artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsverbot gemäß des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) zu treffen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage nach Genehmigungserteilung wesentlich geändert hat. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden. |
Zeitweise Abschaltung der Anlage
Die Klägerin wendet sich gegen nachträgliche zeitliche Beschränkungen des Betriebs ihrer bestandskräftig genehmigten Windenergieanlagen, die die Beklagte gestützt aus Gründen des Fledermausschutzes angeordnet hat. Die im Jahr 2006 erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung enthält keine Betriebsbeschränkungen zum Schutz von Fledermäusen. Nachdem später Totfunde verschiedener Fledermausarten im Bereich der Anlagen gemeldet und Bestandserfassungen zu Fledermäusen angestellt worden waren, verfügte die Beklagte unter näheren Maßgaben zu meteorologischen Rahmenbedingungen eine nächtliche Abschaltung der Anlagen vom 15. April bis zum 31. August eines Jahres. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen.
Wenn sich die Sach-oder Rechtslage ändert, sind nachträgliche Anordnungen möglich
Das BVerwG hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Eine bestandskräftige immissionsschutzrechtliche Genehmigung steht nachträglichen artenschutzrechtlichen Anordnungen auf der gesetzlichen Grundlage (hier: § 3 Abs. 2 BNatSchG) nicht generell entgegen. Das BNatSchG (§ 44 Abs. 1 Nr. 1) begründet eine unmittelbare und dauerhafte Verhaltenspflicht, die auch bei Errichtung und Betrieb immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Windenergieanlagen zu beachten ist.
Zwar ist aufgrund der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung der Anlagenbetrieb auch als rechtmäßig anzusehen. Das gilt aber nur in den Grenzen der auf den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung bezogenen Feststellungswirkung der Genehmigung, wonach die genehmigte Anlage mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar ist. Aufgrund der Anknüpfung an den Genehmigungszeitpunkt erstreckt sich diese Feststellungswirkung nicht auf nachträgliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage, wie im vorliegenden Fall. Die streitige Anordnung bewirkt auch keine – der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörde vorbehaltene – (Teil-)Aufhebung der Genehmigung.
Es war rechtlich auch einwandfrei, so das BVerwG, dass das OVG hier einen Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG bejaht hat, weil durch den Betrieb der Windenergieanlagen das Tötungs- und Verletzungsrisiko von Exemplaren der besonders geschützten Fledermausarten signifikant erhöht sei.
Quelle | BVerwG, Urteil vom 19.12.2023, 7 C 4.22, PM 95/23
| Stiehlt ein Polizist nach einem Verkehrsunfall Käse, ist er aus dem Dienst zu entfernen. So entschied es das Verwaltungsgericht (VG) Trier. |
Das war geschehen
Ein Lkw hatte einen Unfall. Der Polizeibeamte, der eine Uniform und eine Dienstwaffe trug, verlangte von der Bergungsfirma, aus der verunfallten Ladung neun unbeschädigte Packungen Käse herauszugeben. So geschah es. Diese Pakete verlud der Polizist mit einer Kollegin in einen Einsatzbus und deckte sie ab. U. a. ein knappes Viertel des Käses fand sich später in der Polizeistation des Beamten. Seine Erklärung: Der Gutachter der Versicherung habe den Käse freigegeben. Es habe sich quasi um Müll gehandelt. Was er verschwieg: Der Käse wurde später noch zum Restwert verkauft.
Verwaltungsgericht „kennt keine Gnade“
Der Polizist kam zwar vor dem Strafgericht „mit einem blauen Auge“ davon. Das VG, bei dem es um disziplinarische Maßnahmen gegen den Beamten ging, entfernte ihn aus dem Dienst. Er habe während der Dienstzeit in Uniform einen Diebstahl mit Waffen begangen. Das VG verhängte daher die Höchstmaßnahme. Das VG betonte: Einem Polizisten, der in Uniform stiehlt, könne man nicht mehr glauben, dass er sich an Recht und Gesetz hält.
Das VG bewertete es als besonders negativ, dass der Beamte das Vertrauen in die Polizei ausgenutzt hatte, indem er der Bergungsfirma falsche Tatsachen vorgespiegelt hatte. Hinzu kamen Lügen gegenüber seinen Vorgesetzten. Unerheblich sei es, falls der Käse nur als Geschenk an Kollegen dienen sollte.
Quelle | VG Trier, Urteil vom 18.1.2024, 3 K 1752/23 TR
| Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern hat jetzt klargestellt: Beschreibt der Arbeitgeber das Arbeitsumfeld als „jung und dynamisch“, bezieht sich dies auf den Arbeitsplatz. Es wird kein Bewerber wegen seines Alters ausgeschlossen.|
Ein Tankstellenpächter suchte in einem Zeitungsinserat wie folgt nach einem neuen Mitarbeiter: „Wir sind ein junges und dynamisches Team mit Benzin im Blut und suchen Verstärkung.“ Anschließend folgten Einzelheiten zu Anforderungen und Gehalt. Die konkreten Arbeitsbedingungen wurden beschrieben. Der 50-jährige Kläger bewarb sich erfolglos. Eingestellt wurde ein 48-jähriger Mann. Der Kläger forderte eine Entschädigung. Die Stellenanzeige enthalte eine Altersdiskriminierung. Damit scheiterte er in erster und zweiter Instanz.
Das LAG stellte fest: Das Inserat formulierte keine Anforderungen, die den Kläger wegen seines Alters von einer Bewerbung hätte abhalten sollen. Hier lag vielmehr eine werbende Eigendarstellung vor. Es handele sich um eine überspitzte, ironische, nicht ernsthaft gemeinte, in der Form eines Werbeslogans gehaltene Beschreibung des Arbeitsumfeldes. Das LAG: Einzelne Begriffe, z. B. „jung“, herauszupicken und auf sich selbst zu beziehen, sei nicht zulässig, zumal die konkreten Anforderungen an die Bewerber im Inserat deutlich beschrieben wurden.
Quelle | LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 17.10.2023, 2 Sa 61/23
| Der Kläger war seit dem 1.7.2018 als Rezeptionist in einem Beherbergungsbetrieb tätig und regelmäßig in der Spätschicht eingesetzt. Er hatte am 12.1.2022 sein Hybridauto vor der Herberge geparkt und über ein Ladekabel an einer 220 Volt-Steckdose im Flur des Seminartrakts aufgeladen. Nachdem die Beklagte dies entdeckt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis am 14.1.2022 fristlos. Hiergegen hatte der Kläger sich mit seiner Kündigungsschutzklage gewandt und in erster Instanz obsiegt. In dem vom Arbeitgeber angestrengten Berufungsverfahren haben die Parteien ihren Streit vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf nun per Vergleich beigelegt. |
Unerlaubtes Laden an sich ein Kündigungsgrund
In der mündlichen Verhandlung bestätigte das LAG, dass das unerlaubte Laden des Privatfahrzeugs auf Kosten des Arbeitgebers an sich ein Kündigungsgrund ist. Dies gilt erst recht, wenn das Laden an einer 220 Volt-Steckdose und nicht an einer Wallbox oder eingerichteten Ladestation erfolgt.
Erteilte Erlaubnis war unklar
Das LAG hatte allerdings bereits Zweifel, ob von einem unerlaubten Laden auszugehen sei. Dazu hätte ggf. die Beweisaufnahme erster Instanz zur Frage der gegenüber dem Kläger erteilten Erlaubnis wiederholt werden müssen.
Hier hätte Abmahnung ausgereicht
Unabhängig davon sprach nach Ansicht des LAG mehr dafür, dass hier eine Abmahnung ausgereicht hätte. Eine Kündigung wäre wohl unverhältnismäßig gewesen.
„Schaden“ von rund 40 Cent
So lagen die Kosten für den Ladevorgang am 12.1.2022 bei lediglich 0,4076 Euro. Ein Verbot zum Laden von Elektromotoren für die Mitarbeitenden existierte nicht. Die Hausordnung, die dies vorsah, richtete sich ausdrücklich nur an Gäste. Das Laden anderer elektronischer Geräte, z. B. Handys, durch Mitarbeitende wurde geduldet. Auch wenn dies wertungsmäßig etwas anderes als das Laden eines Hybridautos ist, hätte im konkreten Fall angesichts der bislang beanstandungsfreien Beschäftigungszeit eine Abmahnung genügt.
Am Ende verglichen sich die Parteien
Auf Vorschlag des Gerichts haben sich die Parteien u. a. auf eine ordentliche Kündigung zum 28.2.2022 und eine Abfindung von 8.000 Euro brutto geeinigt.
Quelle | LAG Düsseldorf, Vergleich vom 19.12.2023, 8 Sa 244/23, PM 32/23
| Der Beweiswert von (Folge-)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann erschüttert sein, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen, und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun klargestellt. |
War der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert?
Der Kläger war seit März 2021 als Helfer bei der Beklagten beschäftigt. Er legte am Montag, dem 2.5.2022, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 2. bis zum 6.5.2022 vor. Anfang Mai kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.5.2022. Mit Folgebescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 wurde Arbeitsunfähigkeit bis zum 20.5.2022 und bis zum 31.5.2022 (einem Dienstag) bescheinigt. Ab dem 1.6.2022 war der Kläger wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung auf. Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Beweiswert der vorgelegten AU-Bescheinigungen sei erschüttert. Dem widersprach der Kläger, weil die Arbeitsunfähigkeit bereits vor dem Zugang der Kündigung bestanden habe. Die Vorinstanzen haben der auf Entgeltfortzahlung gerichteten Klage für die Zeit vom 1. bis zum 31.5.2022 stattgegeben.
Gesetzliches Beweismittel
Die Revision der Beklagten hatte teilweise – bezogen auf den Zeitraum vom 7. bis zum 31.5.2022 – Erfolg. Ein Arbeitnehmer kann die von ihm behauptete Arbeitsunfähigkeit mit ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachweisen. Diese sind das gesetzlich vorgesehene Beweismittel.
Arbeitgeber kann Beweiswert erschüttern
Deren Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die nach einer Gesamtbetrachtung Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geben. Hiervon ausgehend ist das Landesarbeitsgericht (LAG) bei der Prüfung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die während einer laufenden Kündigungsfrist ausgestellt werden, zutreffend davon ausgegangen, dass für die Erschütterung des Beweiswerts dieser Bescheinigungen nicht entscheidend ist, ob es sich um eine Kündigung des Arbeitnehmers oder eine Kündigung des Arbeitgebers handelt und ob für den Beweis der Arbeitsunfähigkeit eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden.
Einzelfall ist zu würdigen
Stets erforderlich ist allerdings eine einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände. Hiernach hat das Berufungsgericht richtig erkannt, dass der Beweiswert für die Bescheinigung vom 2.5.2022 nicht erschüttert ist. Eine zeitliche Koinzidenz zwischen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und dem Zugang der Kündigung ist nicht gegeben. Der Kläger hatte zum Zeitpunkt der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine Kenntnis von der beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses, etwa durch eine Anhörung des Betriebsrats. Weitere Umstände hat die Beklagte nicht dargelegt. Bezüglich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 ist der Beweiswert dagegen erschüttert. Das LAG hatte insoweit nicht ausreichend berücksichtigt, dass zwischen der in den Folgebescheinigungen festgestellten passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestand und der Kläger unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen hat. Dies hat zur Folge, dass der Kläger nun für die Zeit vom 7.5.bis zum 31.5.2022 die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch trägt.
Da das LAG – aus seiner Sicht konsequent – hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückzuverweisen.
Quelle | BAG, Urteil vom 13.12.2023, 5 AZ R 137/23, PM 45/23
Mietrecht
| Der Bundesfinanzhof hat entschieden: Kostenerstattungen eines kirchlichen Arbeitgebers an seine Beschäftigten für die Erteilung erweiterter Führungszeugnisse, zu deren Einholung der Arbeitgeber zum Zwecke der Prävention gegen sexualisierte Gewalt kirchenrechtlich verpflichtet ist, führen nicht zu Arbeitslohn. |
Die Einholung der erweiterten Führungszeugnisse durch die Arbeitnehmer erfolgte aufgrund einer nur die kirchlichen Rechtsträger, nicht aber die Arbeitnehmer treffenden (kirchenrechtlichen) Verpflichtung.
Durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasste, zu Lohn führende Zuwendungen erbringt der Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern aber regelmäßig nicht, wenn er ausschließlich eine eigene, insbesondere nicht gegenüber den Arbeitnehmern bestehende Verpflichtung erfüllt.
Die zur Erfüllung einer entsprechenden Verpflichtung entstehenden Kosten wendet der Arbeitgeber in einer solchen Konstellation im eigenen Interesse auf. Sie sind Ausfluss seiner eigenbetrieblichen Tätigkeit.
Beachten Sie | Haben die Arbeitnehmer die vom Arbeitgeber für dessen eigenbetriebliche Tätigkeit zu tragenden Kosten (wie im Streitfall) zunächst aus eigenen Mitteln verauslagt, wendet der Arbeitgeber ihnen mit der Erstattung ihrer Aufwendungen keinen Vorteil zu, der sich im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweisen könnte.
Quelle | BFH, Urteil vom 8.2.2024, IV R 19/22
| Nach dem neuen Partnerschaftsgesetz (hier: § 2 Abs. 1 PartGG), das am 1.1.2024 in Kraft getreten ist, muss der Name der Partnerschaft nur noch den Zusatz „und Partner“ oder „Partnerschaft“ enthalten. Die Aufnahme des Namens mindestens eines Partners ist nicht mehr erforderlich. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Der Zwang zur Benennung mindestens eines Partners ist zum Jahreswechsel entfallen. Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass die grundsätzlich zu schützende Vertrauensbeziehung zwischen Freiberufler und Auftraggeber es jedenfalls aus gesellschaftsrechtlicher Sicht nicht erfordert, dass der Name der Partnerschaftsgesellschaft den Namen mindestens eines Partners enthalten muss. Hinzu kommt, dass die Identifizierung der Partnerschaftsgesellschaft mit dem Namen der Partner weitgehend an Bedeutung verloren hat.
Quelle | BGH, Beschluss vom 6.2.2024, II ZB 23/22
| Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken bestätigte, dass in einer Tageszeitung anlässlich einer damals anstehenden Neuwahl des Ortsvorstehers zulässig über die erstinstanzliche strafrechtliche Verurteilung eines lokalen Bauunternehmers berichtet worden sei, der mit zwei der Kandidaten verwandt ist. |
Das war geschehen
Eine große pfälzische Tageszeitung berichtete in ihrer Online-Ausgabe vom 30.6.2023 und in ihrer Print-Ausgabe vom 1.7.2023 über die damals anstehende Neuwahl eines Ortsvorstehers. Diese war notwendig geworden, weil der bisherige Ortsvorsteher nach diversen Anfeindungen zurückgetreten war.
Im Artikel wurden die drei Kandidaten vorgestellt und dabei erwähnt, dass zwei der Kandidaten mit einem lokalen Bauunternehmer und Landwirt verwandt seien, dem Anwohner vorwerfen, für den stark angestiegenen Lkw-Verkehr im Ort verantwortlich zu sein. Dabei wurde auch berichtet, dass der Bauunternehmer erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung u. a. wegen Beleidigung, Nötigung, Bedrohung und versuchter gefährlicher Körperverletzung von Anwohnern verurteilt worden sei.
Auf eine Abmahnung des Bauunternehmers hin schwärzte die Zeitung das E-Paper und ergänzte den Online-Beitrag um den Hinweis, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig sei. Der Bauunternehmer verlangte hierauf im gerichtlichen Eilverfahren den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Zeitung, wonach sie den ihn betreffenden Bericht unterlassen sollte. Das Landgericht (LG) wies den Antrag zurück. Hiergegen hat der Bauunternehmer sofortige Beschwerde eingelegt. Diese wies das OLG zurück.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG begründete seine Entscheidung damit, dass es schon an der erforderlichen Eilbedürftigkeit für das beschrittene gerichtliche Eilverfahren fehle. Der Bauunternehmer habe mehr als fünf Wochen mit seinem Antrag gewartet und die Zeitung habe den Online-Artikel um den Zusatz, wonach das strafrechtliche Urteil noch nicht rechtskräftig sei, bereits ergänzt.
Zulässige Verdachtsberichterstattung
Unabhängig davon handele es sich um eine zulässige Verdachtsberichterstattung. Zwar könnten anhand der im Artikel genannten Einzelinformationen zumindest die Einwohner des betroffenen Ortsteils den Bauunternehmer identifizieren. Der Bericht beruhe aber auf wahren Tatsachen, nämlich die tatsächliche Verurteilung des Bauunternehmers. Außerdem werde zumindest durch den Zusatz klar, dass die Verurteilung auch noch nicht rechtskräftig sei.
Persönlichkeitsrecht vs. Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit
Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Bauunternehmers stehe nicht außer Verhältnis zum Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Es gehöre gerade zu den Aufgaben der Presse, in Zusammenhang mit demokratischen Prozessen zu berichten. Hierzu gehöre auch die Berichterstattung über den Hintergrund der Kandidaten, insbesondere deren verwandtschaftliche Beziehungen, da diese möglicherweise Einfluss auf zukünftige Entscheidungen der Kandidaten haben könnten. Sowohl der erhöhte Lkw-Verkehr im Ort, als auch die erstinstanzlich abgeurteilten Straftaten des Antragstellers zulasten der Anwohner seien von lokalem Interesse.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.10.2023, 4 W 23/23, PM vom 11.3.2024
| Die Nutzung eines Bootes als schwimmende Bar auf der Havel muss nach einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin umgehend beendet werden. |
Boot = bauliche Anlage?
Der Antragsteller ist Eigentümer eines Bootes, das er überwiegend an Dritte vermietet, im Sommer aber an drei Tagen am Wochenende zum Ausschank von Getränken an Gäste nutzt. Die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt forderte ihn im August 2023 sofort vollziehbar auf, die schwimmende Bar innerhalb einer Woche ab Zugang der Anordnung „zu beseitigen“. Zur Begründung führte die Behörde im Wesentlichen aus, die auf einer Plattform betriebene Bar sei nach dem Berliner Wassergesetz genehmigungsbedürftig; eine Genehmigung werde aber nicht erteilt.
Der Antragsteller hat um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er meint, bei seinem Boot handele es sich weder um eine bauliche Anlage im Wasser noch um eine schwimmende Plattform, sondern um ein zugelassenes Sportboot. Es werde wegen der Vermietung an Dritte auch nicht vorwiegend stationär genutzt.
Während der Woche Sportboot, an Wochenenden Anlage im Gewässer
Das VG hat die Rechtmäßigkeit der Anordnung überwiegend bestätigt. Bei der schwimmenden Bar handele es sich um eine nicht genehmigte Anlage, deren Beseitigung die Wasserbehörde nach dem Berliner Wassergesetz habe anordnen dürfen. Auch wenn das Boot während der Woche als Sportboot einzustufen sei, führe seine wiederkehrende stationäre Nutzung als schwimmende Bar in der Sommersaison von Freitagabend bis Sonntag dazu, dass es in diesem Zeitraum als Anlage im Gewässer einzustufen sei. Diese Nutzung überschreite qualitativ die Grenze der gemeinverträglichen Nutzung des Gewässers und stelle sich damit wie eine Sondernutzung dar.
Strenger Maßstab war anzulegen
Wegen der besonderen Bedeutung, die dem Wasser für die Allgemeinheit wie für den Einzelnen zukomme und mit Rücksicht darauf, dass das Wasser und der Wasserhaushalt gegenüber Verunreinigungen und sonstigen nachteiligen Einwirkungen in besonderer Weise anfällig sei, sei ein strenger Maßstab gerechtfertigt. Daher könne der Antragsteller auch keine Sondernutzungserlaubnis beanspruchen.
Das VG beanstandete den Bescheid allerdings hinsichtlich der zur Durchsetzung der Verfügung angedrohten Ersatzvornahme, da nur der Antragsteller selbst die stationäre Nutzung unterlassen könne und es sich somit um eine unvertretbare Handlung handele.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 19.1.2024, VG 10 L 419.23, PM 4/24
| Prozesskosten zur Erlangung nachehelichen Unterhalts sind privat veranlasste Aufwendungen und keine (vorweggenommenen) Werbungskosten bei den späteren Unterhaltseinkünften i. S. des Einkommensteuergesetzes (hier: § 22 Nr. 1 a EStG). Mit dieser Entscheidung hat der Bundesfinanzhof (BFH) der anderslautenden Sichtweise des Finanzgerichts (FG) Münster (Vorinstanz) widersprochen. |
Hintergrund: Beim begrenzten Realsplitting kann der Unterhaltsverpflichtete die Unterhaltszahlungen bis zu 13.805 Euro im Jahr (zuzüglich der aufgewandten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung als Basisversorgung) als Sonderausgaben abziehen. Dies bedarf allerdings der Zustimmung des Unterhaltsberechtigten, der die Unterhaltszahlungen seinerseits als sonstige Einkünfte versteuern muss.
Erst durch den Antrag und die Zustimmung werden Unterhaltsleistungen in den steuerrelevanten Bereich überführt. Die Umqualifizierung markiert die zeitliche Grenze für das Vorliegen abzugsfähiger Erwerbsaufwendungen; zuvor verursachte Aufwendungen des Unterhaltsempfängers stellen keine Werbungskosten dar.
Beachten Sie | Der BFH hat den Streitfall an das FG Münster zurückverwiesen. Dieses muss nun klären, ob ggf. außergewöhnliche Belastungen vorliegen. Es besteht zwar ein Abzugsverbot für Prozesskosten (§ 33 Abs. 2 S. 4 EStG). Dieses greift aber nicht, wenn die Existenzgrundlage oder lebensnotwendige Bedürfnisse des Steuerpflichtigen betroffen sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 18.10.2023, X R 7/20
| Nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die pauschale Besteuerung (Steuersatz i. H. von 25 %) für Betriebsveranstaltungen auch für Veranstaltungen zulässig, die nicht allen Betriebsangehörigen offenstehen. Nicht so erfreulich ist dagegen ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG), wonach die verspätete Pauschalbesteuerung nicht zur Beitragsfreiheit in der Sozialversicherung führt. |
Hintergrund: Zuwendungen des Arbeitgebers an seinen Arbeitnehmer und dessen Begleitpersonen anlässlich von Veranstaltungen auf betrieblicher Ebene mit gesellschaftlichem Charakter (Betriebsveranstaltung) führen gemäß Einkommensteuergesetz (hier: § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 1 EStG) zu Arbeitslohn.
Soweit die Zuwendungen den Betrag von 110 Euro je Betriebsveranstaltung und teilnehmendem Arbeitnehmer nicht übersteigen, gehören sie jedoch nicht zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, wenn die Teilnahme allen Angehörigen des Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. Dies gilt für bis zu zwei Betriebsveranstaltungen jährlich (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 3 und S. 4 EStG).
Urteil des Bundesfinanzhofs
Ungeklärt war bislang die Frage, ob eine„Betriebsveranstaltung“ auch bei einem geschlossenen Kreis (beispielsweise Vorstands- und Führungskräfte feiern) vorliegt.
Beachten Sie | In diesen Fällen kann zwar kein Freibetrag i. H. von 110 Euro gewährt werden, aber es wäre eine Lohnsteuerpauschalierung (nach § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) mit 25 % möglich.
Auch bei eingeschränktem Kreis: Betriebsveranstaltung
Diese Frage hat der BFH – im Gegensatz zur Vorinstanz – nun zugunsten der Steuerpflichtigen entschieden. Nach der ab dem Veranlagungszeitraum 2015 geltenden Definition im Einkommensteuergesetz (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 1 EStG) kann eine Betriebsveranstaltung auch vorliegen, wenn sie nicht allen Angehörigen eines Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. Und da diese Definition dem Tatbestandsmerkmal „Betriebsveranstaltung“ (gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) entspricht, ist eine pauschale Besteuerung möglich.
Urteil des Bundessozialgerichts
Im Streitfall des BSG ging es auch um Betriebsveranstaltungen – und zwar um die Frage, welche Folgen eine verspätete Lohnsteuerpauschalierung für die Sozialversicherung hat.
Das war geschehen
Ein Unternehmen feierte mit seinen Beschäftigten am 5.9.2015 ein Firmenjubiläum. Am 31.3.2016 zahlte es für September 2015 auf einen Betrag von rund 163.000 Euro die für 162 Arbeitnehmer angemeldete Pauschalsteuer. Nach einer Betriebsprüfung forderte der Rentenversicherungsträger von dem Unternehmen Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen in Höhe von rund 60.000 Euro nach – und zwar zu Recht, wie das BSG entschieden hat (die gegenteiligen Entscheidungen der Vorinstanzen wurden aufgehoben).
Aufwendungen von mehr als 110 Euro je Beschäftigten für eine betriebliche Jubiläumsfeier sind als geldwerter Vorteil in der Sozialversicherung beitragspflichtig, wenn sie nicht mit der Entgeltabrechnung, sondern erst erheblich später pauschal versteuert werden.
Pauschalversteuerung erfolgte zu spät
Es kommt entscheidend darauf an, dass die pauschale Besteuerung „mit der Entgeltabrechnung für den jeweiligen Abrechnungszeitraum“ erfolgt. Dies wäre im konkreten Fall die Entgeltabrechnung für September 2015 gewesen. Tatsächlich wurde die Pauschalbesteuerung aber erst Ende März 2016 durchgeführt und damit sogar nach dem Zeitpunkt, zu dem die Lohnsteuerbescheinigung für das Vorjahr übermittelt werden musste.
Beachten Sie | Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung vertreten im Besprechungsergebnis vom 20.4.2016 (TOP 5) die Auffassung, dass eine nachträgliche Pauschalbesteuerung nur bis zur Erstellung der Lohnsteuerbescheinigung geltend gemacht werden kann, also längstens bis zum 28.2. des Folgejahrs. Dem hat sich das BSG nun im Ergebnis angeschlossen.
Quelle | BFH, Urteil vom 27.3.2024, VI R 5/22; BSG, Urteil vom 23.4.2024, B 12 BA 3/22 R Abruf-Nr. 241172 unter www.iww.de, PM Nr. 15/24 vom 23.4.2024; Spitzenorganisationen der Sozialversicherung, Besprechungsergebnis vom 20.4.2016, TOP 5
| Aufwendungen einer gesunden Steuerpflichtigen für eine durch eine Krankheit des Partners veranlasste Präimplantationsdiagnostik (PID) können als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein. So lautet eine steuerzahlerfreundliche Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH). |
Hintergrund: Bei der PID handelt es sich um ein genetisches Diagnoseverfahren zur vorgeburtlichen Feststellung von Veränderungen des Erbmaterials, die eine Fehl- oder Totgeburt verursachen bzw. zu einer schweren Erkrankung eines lebend geborenen Kindes führen können. Es erfolgt eine zielgerichtete genetische Analyse von Zellen eines durch künstliche Befruchtung entstandenen Embryos vor seiner Übertragung und Einnistung in die Gebärmutter.
Das war geschehen
Bei dem Partner der Steuerpflichtigen lag eine chromosomale Translokation vor. Aufgrund dieser Chromosomenmutation bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein auf natürlichem Weg gezeugtes gemeinsames Kind an schwersten körperlichen oder geistigen Behinderungen leidet und unter Umständen nicht lebensfähig ist. Daher wurde eine PID durchgeführt. Der Großteil der hierfür notwendigen Behandlungen betraf die Steuerpflichtige, die den Abzug der Kosten als außergewöhnliche Belastungen beantragte.
Das Finanzamt lehnte eine Berücksichtigung der Behandlungskosten ab. Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen gab der Klage hinsichtlich der von der Steuerpflichtigen selbst getragenen Aufwendungen hingegen statt.
Bundesfinanzhof: zwangsläufig entstandene Aufwendungen
Der BFH bestätigte nun die Vorentscheidung. Die Aufwendungen für die Behandlung der Steuerpflichtigen sind zwangsläufig entstanden, weil die ärztlichen Maßnahmen in ihrer Gesamtheit dem Zweck dienten, eine durch Krankheit beeinträchtigte körperliche Funktion ihres Partners auszugleichen. Wegen der biologischen Zusammenhänge konnte (anders als bei anderen Erkrankungen) durch eine medizinische Behandlung allein des erkrankten Partners keine Linderung der Krankheit eintreten. Daher steht der Umstand, dass die Steuerpflichtige selbst gesund ist, der Berücksichtigung der Aufwendungen nicht entgegen.
Auch auf den Familienstatus kam es nicht an
Unschädlich war auch, dass die Steuerpflichtige und ihr Partner nicht verheiratet waren – und schließlich war auch das Erfordernis der Übereinstimmung der vorgenommenen Behandlungsschritte mit gesetzlichen Vorschriften (insbesondere dem Embryonenschutzgesetz) erfüllt.
Beachten Sie | Außergewöhnliche Belastungen wirken sich nur steuermindernd aus, wenn sie die im Einkommensteuergesetz (hier: § 33 Abs. 3 EStG) festgelegte zumutbare Belastung übersteigen. Die Höhe der zumutbaren Belastung hängt dabei u. a. vom Gesamtbetrag der Einkünfte ab.
Quelle | BFH, Urteil vom 29.2.2024, VI R 2/22, PM 23/24 vom 10.5.2024
| Das Ordnungsamt darf einen privaten Pkw, der auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellt worden ist, unabhängig davon abschleppen lassen, ob ein Carsharing-Fahrzeug an der Nutzung dieses Parkplatzes konkret gehindert worden ist. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf entschieden und die Klage der Fahrzeugführerin gegen einen Leistungs- und Gebührenbescheid abgewiesen. |
Die Klägerin hatte ihren Pkw auf einer Fläche abgestellt, die durch Verkehrsschilder als Parkplatz für Carsharing-Fahrzeuge gekennzeichnet war. Ein Mitarbeiter der städtischen Verkehrsüberwachung stellte den Verstoß fest und beauftragte einen Abschleppwagen. Kurz vor dessen Eintreffen erschien die Klägerin und entfernte ihr Fahrzeug von dem Parkplatz. Die Stadt machte ihr gegenüber mit Leistungs- und Gebührenbescheid die Kosten der Leerfahrt des Abschleppwagens geltend und setzte eine Verwaltungsgebühr fest. Zur Begründung ihrer Klage gegen diesen Bescheid trug die Klägerin vor, sie habe nur elf Minuten auf dem Carsharing-Platz geparkt und zu dieser Zeit seien noch weitere Parkplätze frei gewesen, sodass ein Abschleppen nicht notwendig gewesen sei.
Das VG: Die Beauftragung des Abschleppwagens war rechtmäßig. Ein Fahrzeug, das auf einem nach der Beschilderung ausschließlich Carsharing-Fahrzeugen vorbehaltenen Parkplatz steht, aber nicht am Carsharing teilnimmt, wird so betrachtet, als wenn es in einem absoluten Halteverbot stünde. Die Abschleppmaßnahme war verhältnismäßig, weil die Funktion der Parkplätze für Carsharing-Fahrzeuge nur gewährleistet ist, wenn sie jederzeit von nicht parkberechtigten Fahrzeugen freigehalten werden. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob die Klägerin durch das verbotswidrige Abstellen konkret ein bevorrechtigtes Carsharing-Fahrzeug am Parken gehindert hat. Das Abschleppen ist auch unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, dass von einem zu Unrecht auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellten Fahrzeug eine negative Vorbildwirkung für andere Kraftfahrer ausgeht.
Quelle | VG Düsseldorf, Urteil vom 20.2.2024, 14 K 491/23, PM vom 28.2.2024
| Die Abschleppunternehmer rechnen üblicherweise nach Einsatzstunden ab, wobei im Stundensatz die Kosten für das Fahrzeug und den Fahrer enthalten sind. Die Preis- und Strukturbefragung des Verbands Bergen und Abschleppen (VBA) differenziert dabei im unteren Segment nach Abschleppfahrzeugen unter und über zwölf Tonnen zulässigem Gesamtgewicht (zGG). Das Amtsgericht (AG) Pforzheim musste einen Fall entscheiden, bei dem der Abschleppunternehmer mit einem 13-Tonner vorgefahren kam. |
Der Versicherer trug vor, bei dem konkreten Gewicht des zu transportierenden Fahrzeugs hätte auch ein 11-Tonner genügt. Auf dieser Grundlage hatte er die Abschleppkosten nur reduziert erstattet.
Das Gericht entschied: Es möge sein, dass ein 11-Tonner genügt hätte. Doch sei dies im Vorhinein nicht abschätzbar.
Quelle | AG Pforzheim, Urteil vom 11.1.2024, 9 C 1207/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat sich in seiner Entscheidung mit der Frage befasst, ob der Klägerin ein Anspruch auf Sterbegeld und Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusteht, nachdem ihr Ehemann einen tödlichen Motorradunfall erlitten hatte. |
Ehemann der Klägerin bei Verkehrsunfall tödlich verletzt
Der Ehemann der Klägerin war Inhaber eines Autohauses in Berlin und als Unternehmer freiwillig bei der beklagten Berufsgenossenschaft versichert. Die Klägerin war in dem Autohaus angestellt tätig. Die gemeinsame Wohnung der Eheleute lag etwa 14 km vom Autohaus entfernt. Am 19.8.2013 reisten beide gemeinsam auf ihrem Motorrad aus einem mehrtägigen Urlaub in Thüringen die rund 400 km lange Strecke zurück nach Berlin, der Ehemann lenkte das Motorrad. Da die Tochter des Ehepaares während des Urlaubs die Geschäfte des Autohauses weitergeführt hatte und wegen eines Zahnarzttermins um 14:00 Uhr auf ihrer Arbeit abgelöst werden sollte, wollten sich die Eheleute aus Thüringen kommend direkt zum Autohaus begeben. Dort sollten von beiden die weiteren Geschäfte aufgenommen werden, ohne zuvor in die Familienwohnung zu fahren. Bereits auf dem Berliner Stadtgebiet, noch bevor sich die Wege zum Autohaus und zur Familienwohnung gabelten, kam es gegen 13:25 Uhr zu einem Verkehrsunfall, bei dem sich die Klägerin erheblich verletzte und ihr Ehemann verstarb.
Berufsgenossenschaft lehnte Sterbegeld ab
Die Berufsgenossenschaft lehnte es ab, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen (Sterbegeld und Witwenrente) zu erbringen. Ihr Ehemann habe sich bei dem Unfall nicht auf einem versicherten Arbeitsweg befunden, sondern lediglich auf einem privat veranlassten Rückweg von einer Urlaubsreise. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin und die Berufung vor dem LSG blieben zunächst ohne Erfolg. Auf die vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassene und von der Klägerin eingelegte Revision hin hat das Bundessozialgericht (BSG) das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache dorthin zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts sowie zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Landessozialgericht spricht Hinterbliebenenleistungen zu
Das LSG hat jetzt entschieden: Der Ehefrau stehen Hinterbliebenenleistungen zu. Der tödliche Motorradunfall stelle für den Ehemann als freiwillig versicherten Unternehmer einen Arbeitsunfall dar.
Zum einen sei der Ehemann versichert gewesen, weil er sich selbst zum Zeitpunkt des Unfalls auf dem direkten Weg zum Autohaus begeben wollte, um dort seiner Arbeit nachzugehen. Zum anderen habe Versicherungsschutz auch deshalb bestanden, weil die objektiven Begleitumstände und die Angaben der Ehefrau darauf schließen ließen, dass der verunglückte Ehemann seine Frau direkt zum Autohaus gefahren habe, damit diese dort die gemeinsame Tochter bei der Arbeit habe ablösen können. Damit liege ein versicherter, sogenannter „Betriebsweg“ vor, der nicht auf das Betriebsgelände beschränkt sei, aber dennoch im unmittelbaren betrieblichen Interesse liege.
Dem Versicherungsschutz stehe nicht entgegen, dass der Weg aus dem Urlaub (von einem „dritten Ort“ aus) angetreten worden sei und mithin erheblich länger gewesen sei, als es die Strecke von der Wohnung zur Arbeit gewesen wäre. Entscheidend sei, dass der zurückgelegte Weg die direkte Strecke zum Autohaus gewesen sei bzw. dass der subjektive Wille in erster Linie auf die Wiederaufnahme der Arbeit gerichtet gewesen sei. Dies hat das LSG anhand der vorliegenden Indizien des Falls bejaht. Insbesondere seien auch der Unfallzeitpunkt (13:25 Uhr) und der Zeitpunkt, zu dem die Tochter im Autohaus abgelöst werden sollte (14:00 Uhr), zeitlich stimmig.
Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.1.2024, L 21 U 202/21, PM vom 1.2.2024
| Mit den Besonderheiten bei der Versicherung historischer Fahrzeuge hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Es entschied: Steigt der Wert eines Oldtimers nach Abschluss der Versicherung an, ist der Betrag der Wertsteigerung womöglich vom Versicherungsschutz ganz oder teilweise nicht erfasst. Der Eigentümer des Fahrzeugs muss selbst darauf achten, den versicherten Wert regelmäßig dem etwa gestiegenen Marktwert anzupassen. Eine auf vollständigen Ersatz gerichtete Klage gegen die Kfz-Versicherung hat das Gericht im zugrundeliegenden Fall wegen Unterdeckung abgewiesen. |
Das war geschehen
Ein Oldtimerfan hatte sein historisches Fahrzeug gegen Beschädigung oder Zerstörung zum jeweils aktuellen Marktwert versichert. Später kam es dazu, dass das Fahrzeug bei einem Brand in einer Tiefgarage erheblich beschädigt worden war.
Die Kfz-Versicherung kam nach eingeholtem Gutachten zu einem Wert des Fahrzeugs am Schadenstag in Höhe von knapp 41.000 Euro und zahlte dem Eigentümer den entsprechenden Geldbetrag aus. Dieser war jedoch davon überzeugt, dass sein Oldtimer deutlich mehr wert gewesen sei und ließ deshalb ein weiteres Gutachten einholen. Dieses kam tatsächlich zu dem Ergebnis, dass das historische Fahrzeug im Wert deutlich gestiegen und fast 8.000 Euro mehr wert war, als von der Versicherung angenommen. Der Mann verlangte nun die Differenz.
Sonderbedingungen des Versicherungsvertrags entscheidend
Das LG verwies, wie auch zuvor bereits die Versicherung, den Oldtimerfan auf die im Versicherungsvertrag enthaltenen Sonderbedingungen für historische Fahrzeuge. Danach werde grundsätzlich ein Schaden bis zur Höhe des aktuellen Marktwerts ersetzt. Die Höchstentschädigung sei aber durch den Marktwert begrenzt, der bei Versicherungsabschluss vereinbart wurde.
Im Fall von Wertsteigerungen könne maximal zehn Prozent mehr als der damals vereinbarte Marktwert verlangt werden. Der habe im konkreten Fall rund 36.000 Euro betragen. Dem Oldtimerbesitzer stehe deshalb keine höhere Entschädigung zu, als von der Versicherung bereits ausgezahlt.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 17.1.2024, 3 O230/23, PM vom 28.2.2024
| Das Amtsgericht (AG) Frankfurt hatte nach der Wegnahme eines Fan-Schals keinen Diebstahl, sondern lediglich eine Nötigung angenommen. Ob ein Diebstahl vorliege, hänge davon ab, ob der Täter den Schal seinem Vermögen einverleiben wolle. |
Wegnahme nach Fußballspiel
Der angeschuldigte Eintracht-Fan soll bei einem Fußballspiel der Frankfurter Eintracht gegen den FC Schalke 04 im Deutsche Bank-Park einem Fan der gegnerischen Mannschaft einen Fan-Schal abgenommen haben. Beim Verlassen des Stadions habe er dem Schalke-Anhänger den Fan-Schal im Vorbeilaufen vom Hals gezogen. Als der Schalke-Fan ihn zur Rückgabe aufforderte, habe er ihn mit beiden Händen weggeschoben.
Staatsanwaltschaft bejahte Diebstahl
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main wertete dies als Diebstahl. Da der Angeschuldigte zudem den Schalke-Fan mit Gewalt weggedrückt habe, um den erbeuteten Schal behalten zu können, erhob sie Anklage wegen räuberischen Diebstahls - einem Verbrechenstatbestand mit einer Mindeststrafe von einem Jahr.
Amtsgericht differenzierte
Das AG sah in der Handlung des Angeschuldigten jedoch keinen Diebstahl. Es fehle an der hierfür notwendigen „Zueignungsabsicht“. Diese liege nur vor, wenn der Täter sich die Sache aneignen, sie also seinem Vermögen zuführen wolle. Nehme der Täter den Schal aber lediglich an sich, um jemanden zu ärgern, fehle es an einer Zueignungsabsicht. Es handele sich dann lediglich um eine straflose „Gebrauchsanmaßung“ und – sofern der Schal anschließend beschädigt würde – um eine Sachbeschädigung.
Da das Gericht keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür sah, dass der Angeschuldigte den Schal behalten wollte, eröffnete es das Hauptverfahren nicht wegen räuberischen Diebstahls, sondern lediglich wegen Nötigung. Diese habe der Angeschuldigte durch das Wegdrücken des Schalke-Fans begangen.
Quelle | AG Frankfurt am Main, Beschluss vom 23.10.2023, 917 Ls 6443 Js 217242/23, PM vom 8.3.2024
| Bei der Zerstörung eines älteren Baumes ist in der Regel keine sog. Naturalrestitution zu leisten, also nicht der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Der Anspruch geht vielmehr auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines jungen Baumes und darüber hinaus einen Ausgleich für eine etwa verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Das Oberlandgericht (OLG) Frankfurt am Main hat ein den eingeklagten Schadenersatzanspruch größtenteils zurückweisendes Urteil des Landgerichts (LG) aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das LG zurückverwiesen. |
Rückschnitt ja, aber nicht so gravierend
Die Parteien sind Nachbarn. Die Klägerin ist Eigentümerin eines großen Grundstücks im Vordertaunus mit rund 70-jährigem Baumbestand. Der Baum- und Strauchbestand wird jährlich mehrfach durch ein Fachunternehmen beschnitten. An den hinteren Gartenbereich grenzt u. a. das Grundstück des Beklagten. Im Abstand von 1,60 m hierzu steht auf dem klägerischen Grundstück eine Birke, im Abstand von 3,35 m ein Kirschbaum. Beide Bäume waren zum Zeitpunkt des Erwerbs des Beklagten schon lange vorhanden. Die Klägerin war einverstanden, dass der Beklagte die auf sein Grundstück herüberhängenden Äste der Gehölze zurückschneidet.
Ende Mai 2020 betrat der Beklagte das klägerische Grundstück in ihrer Abwesenheit und führte gravierende Schnittarbeiten unter anderem an den beiden Bäumen durch. An der Birke verblieb kein einziges Blatt. Der kurz vor der Ernte befindliche Kirschbaum wurde vollständig eingekürzt. Ob sich die Bäume wieder komplett erholen oder die derzeitigen Triebe allein sog. Nottriebe sind, die an dem Absterben nichts ändern, ist zwischen den Parteien streitig.
Landgericht sprach Schadenersatz von 4.000 Euro zu
Das LG hat der auf Zahlung von Schadenersatz von knapp 35.000 Euro gerichteten Klage in Höhe von gut 4.000 Euro stattgegeben. Es führte aus, dass die Wertminderung der Bäume sowie die Kosten für die Entsorgung des Schnittguts zu ersetzen seien.
Oberlandesgericht: Sachverhalt muss aufgeklärt werden
Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LG. Der Sachverhalt sei zur Bemessung des Schadenersatzes weiter aufzuklären, begründete das OLG die Entscheidung.
Bei der Zerstörung eines Baumes sei in der Regel nicht Schadenersatz in Form von Naturalrestitution zu leisten, da die Ersatzbeschaffung in Form der Verpflanzung eines ausgewachsenen Baumes regelmäßig mit besonders hohen und damit unverhältnismäßigen Kosten verbunden sei. Der Schadenersatz richte sich vielmehr üblicherweise auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines neuen jungen Baumes sowie einen Ausgleichsanspruch für die verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Diese Werteinbuße sei zu schätzen. Nach einer möglichen Bewertungsmethode könnten dafür die für die Herstellung des geschädigten Gehölzes bis zu seiner Funktionserfüllung erforderlichen Anschaffungs-, Pflanzungs- und Pflegekosten sowie das Anwachsrisiko berechnet und anschließend kapitalisiert werden. Dieser Wert sei um eine Alterswertminderung, Vorschäden und sonstige wertbeeinflussende Umstände zu bereinigen.
Ausnahmsweise seien die vollen Wiederbeschaffungskosten zuzuerkennen, „wenn Art, Standort und Funktion des Baumes für einen wirtschaftlich vernünftig denkenden Menschen den Ersatz durch einen gleichartigen Baum wenigstens nahelegen würden“, erläutert das OLG weiter. Aufzuklären sei deshalb bei der Bewertung des Schadenersatzes die Funktion der Bäume für das konkrete Grundstück. Zu berücksichtigen sei dabei auch der klägerische Vortrag, wonach es ihr bei der sehr aufwändigen, gleichzeitig naturnahen Gartengestaltung auch darauf angekommen sei, Lebensraum für Vögel und sonstige Tiere zu schaffen und einen Beitrag zur Umwandlung von Kohlenstoffdioxid in Sauerstoff zu leisten.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 6.2.2024, 9 U 35/23, PM 12/24
Impfpflicht: Vorlage eines Masernimmunitätsnachweises für schulpflichtige Kinder
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat in mehreren Eilverfahren die Beschwerden von Eltern schulpflichtiger Kinder gegen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin zurückgewiesen, wonach Gesundheitsämter für den Schulbesuch den Nachweis einer Impfung oder Immunität gegen Masern fordern dürfen, sofern keine Kontraindikation besteht. Für den Fall, dass der Nachweis nicht vorgelegt wird, kann auch ein Zwangsgeld angedroht werden. |
Infektionsschutzgesetz verfassungskonform
Zur Begründung hat das OVG u. a. ausgeführt: Die Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes zur Nachweispflicht seien angesichts der hochansteckenden Viruskrankheit mit möglicherweise schwerwiegenden Komplikationen nicht offenkundig verfassungswidrig. Zwar greife die Nachweispflicht in das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes ein. Die Regelung sei aber verhältnismäßig, weil sie – wie das Bundesverfassungsgericht bereits zur Nachweispflicht bei noch nicht schulpflichtigen Kindern entschieden habe – einen legitimen Zweck verfolge und nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehe.
Impfpflicht besteht
Der Gesetzgeber des Masernschutzgesetzes sei von einer grundsätzlich bestehenden „Impfpflicht“ bzw. „verpflichtenden Impfung“ ausgegangen. Er habe lediglich von deren Durchsetzung im Wege des unmittelbaren Zwangs abgesehen. Andere Zwangsmittel, wie Zwangsgeld und Geldbuße, seien hingegen vorgesehen, um eine tatsächliche Erhöhung der Impfquote in Schulen und sonstigen Gemeinschaftseinrichtungen – und damit letztlich in der gesamten Bevölkerung – zu erreichen.
Die Beschlüsse sind unanfechtbar.
Quelle | OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 28.2.2024, OVG 1 S 80/23 u. a., PM 9/24
| Nach Modernisierungsarbeiten vor Mietbeginn kann der Vermieter eine Miete vereinbaren, die die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 10 % übersteigt. Bestreitet der Mieter die Maßnahmen, ist das unbeachtlich, wenn der Vermieter eine substanziierte Berechnung vorgelegt und Einsicht in sämtliche Unterlagen angeboten hat. Das hat jetzt das Amtsgericht (AG) Berlin-Charlottenburg entschieden. |
Mieter verlangte Rückerstattung überhöhter Miete
Die Miete für eine Wohnung in einem durch Verordnung bestimmten Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt lag bei 1.700 Euro. Unter Berücksichtigung eines zehnprozentigen Zuschlags gemäß Mietspiegel war von einer ortsüblichen Vergleichsmiete von maximal 867,71 Euro auszugehen. Der Mieter forderte die Rückerstattung der überhöht verlangten Miete. Im Prozess nahm der Vermieter detailliert zu den von ihm durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen Stellung und legte dar, in welchem Umfang Abzüge für Instandsetzungsmaßnahmen vorgenommen wurden, insbesondere, dass anrechenbare Modernisierungskosten in Höhe von 441,33 Euro pro Monat entstanden seien.
Klage hatte teilweise Erfolg
Das AG gab der Klage teilweise statt. Bei den Baumaßnahmen des Vermieters handele es sich zwar nicht um eine umfassende Modernisierung im Sinne des § 556 f BGB, sodass der Vermieter die Wohnung nicht preisfrei vermieten durfte. Bei einer umfassenden Modernisierung sei zum einen auf den Investitionsaufwand und zum anderen auf das Ergebnis der Maßnahme, also die qualitativen Auswirkungen auf die Gesamtwohnung, abzustellen. Die aufgewandten Kosten einer reinen Erhaltungsmaßnahme zählten insgesamt nicht zu den Modernisierungskosten. Allein die Höhe des Bauaufwands reiche nicht aus; entscheidend sei das Resultat, also der geschaffene Zustand. Der Begriff „umfassend“ bezeichne nämlich nicht nur ein quantitatives (Kosten-)Element, sondern gleichberechtigt ein qualitatives Kriterium. Zu berücksichtigen seien die qualitativen Auswirkungen der Maßnahmen auf die Gesamtwohnung. Eine solche Auslegung werde dem Gesetzeszweck gerecht, Modernisierungen zu fördern. Durch diesen Aufwand müsse ein Zustand erreicht werden, der einer Neubauwohnung in etwa – nicht notwendig vollständig – entspreche.
Im Fall des AG fehlten Darlegungen des Vermieters, dass durch die Maßnahmen ein Zustand erreicht wurde, der insbesondere in energetischer Hinsicht einem Neubau gleichkommt. Jedoch sei der Vermieter berechtigt, die Kosten für die Modernisierungsmaßnahmen (nach § 556 e Abs. 2 BGB) in Höhe von 441,33 Euro pro Monat anzurechnen. Insgesamt sei daher eine Nettokaltmiete für die Wohnung in Höhe von 1.309,04 Euro berechtigt.
Quelle | AG Berlin-Charlottenburg, Urteil vom 9.6.2023, 209 C 29/22
| Nach dem Wohnungseigentumsgesetz (hier: § 20 Abs. 1 Abs. 2 S. 1 WEG) kann jeder Wohnungseigentümer angemessene bauliche Veränderungen verlangen, die u. a. dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen (sog. privilegierte bauliche Veränderungen). Verlangt ein Wohnungseigentümer eine solche bauliche Veränderung, entscheidet die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer über das „Wie“ der Maßnahme nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung. Der einzelne Wohnungseigentümer hat grundsätzlich keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung. So entschied es das Landgericht (LG) Stuttgart. |
Eigentümer errichtete zunächst Ladesäule
Ein Wohnungseigentümer hatte ein Sondernutzungsrecht an einem Stellplatz im Freien. Seit Jahren versuchte er vergeblich zu erreichen, dass eine Ladesäule für Elektrofahrzeuge an seinem Stellplatz errichtet wird. Schließlich montierte er im Sommer 2019 ohne Gestattung neben seinem Außenstellplatz eine Ladesäule auf einem Betonfundament. Für die Errichtung als „öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur“ erhielt er eine Förderung aus Bundesmitteln. Die Eigentümergemeinschaft verklagte ihn erfolgreich auf Entfernen der Ladestation und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Im Rahmen der Vollstreckung wurde die Ladesäule demontiert.
Dann verlangte er bestimmte bauliche Veränderungen
Der Eigentümer verlangte daraufhin „bauliche Veränderungen, die dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen gemäß (von ihm) vorgelegtem Ladeinfrastrukturkonzept“. Dieser Antrag wurde in der Eigentümerversammlung 2020 nicht beraten und zur Abstimmung gestellt, sondern beschlossen, ein Gesamtkonzept zum Betreiben von Ladepunkten für E-Mobilität erstellen zu lassen. Die Eigentümerversammlung 2021 lehnte das inzwischen vorliegende Gesamtkonzept ab und ebenso die von dem Eigentümer erneut beantragte Genehmigung baulicher Veränderungen gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept, das alternativ eine öffentliche oder nichtöffentliche Nutzung vorsah. Zugleich wurde anderen Wohnungseigentümern auf deren Antrag gestattet, eine Wallbox an insgesamt vier Stellplätzen anzubringen.
Darauf erhob der Eigentümer Beschlussersetzungsklage, gerichtet auf die Gestattung, auf dem Gemeinschaftseigentum neben seinem Stellplatz die zuvor entfernte Ladestation gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept errichten zu dürfen, hilfsweise, ihm die Anbringung einer Wallbox zu gestatten. Damit hatte der Eigentümer in beiden Instanzen keinen Erfolg.
Landgericht: kein Anspruch auf bestimmte Ausführung einer Maßnahme
Der Eigentümer könne die Gestattung der Errichtung einer Ladestation nach dem von ihm entwickelten Ladeinfrastrukturkonzept nicht verlangen. Die Beschlussersetzungsklage diene der gerichtlichen Durchsetzung des Anspruchs des Wohnungseigentümers auf ordnungsmäßige Verwaltung. Die Klage sei daher begründet, wenn der klagende Wohnungseigentümer einen Anspruch auf den seinem Rechtsschutzziel entsprechenden Beschluss habe, weil nur eine Beschlussfassung ordnungsmäßiger Verwaltung entspreche.
Zwar könne jeder Wohnungseigentümer einen Beschluss über das „Ob“ solcher baulichen Veränderungen verlangen, so das LG; dies beinhalte aber keinen Anspruch auf eine bestimmte Art und Weise der Durchführung. Darüber entscheiden die Wohnungseigentümer im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung nach eigenem Ermessen. Der einzelne Wohnungseigentümer habe mithin keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung, solange das Ermessen der Gemeinschaft nicht aufgrund der Einzelfallumstände auf null reduziert sei.
Quelle | LG Stuttgart, Urteil vom 5.7.2023, 10 S 39/21
| Das Finanzministerium Baden-Württemberg stellt einen Ratgeber „Steuertipps für Familien“ zur Verfügung. Der 100 Seiten umfassende Ratgeber gibt neben Informationen rund um das Kindergeld u. a. einen Überblick über die Steuervergünstigungen für Familien und Alleinerziehende.
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden, wann ein Widerspruch vorliegt, durch den ein älteres Testament – ganz oder teilweise – aufgehoben wird. |
Vier handschriftliche Testamente
Die Erblasserin verstarb ledig und kinderlos. Sie hatte zwei Geschwister: eine Schwester und einen Bruder, die beide vorverstorben sind. Insgesamt hinterließ die Erblasserin vier handschriftlich verfasste Testamente.
Im ersten Testament vom 3.4.2007 setzte sie ihre Schwester als Alleinerbin und ihren Bruder als Ersatzerben ein. Dieses Testament änderte sie am 26.4.2009 durch Durchstreichen derart, dass die Ersatzerbenstellung des Bruders aufgehoben wurde mit der Bemerkung, dass er gestorben sei. Im Testament vom 26.4.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Später ergänzte sie den Text mit folgendem unvollständigen Wortlaut: „Für den Fall, dass meine Schwester das Erbe nicht antreten kann, setze ich meine Großnichte als“. Im Testament vom 18.10.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Weiter heißt es in dem Testament: „Für den Fall, dass meine Schwester verstorben ist, setze ich zur Nacherbin meine Großnichte ein.“ Schließlich testierte sie am 27.4.2016 erneut und setzte wiederum ihre Schwester als Alleinerbin ein. In diesem Testament wurde weder eine Ersatzerbschaft noch eine Nacherbschaft angeordnet und die Großnichte wurde nicht mehr erwähnt.
Die Großnichte beantragte einen Alleinerbschein. Dem traten die Kinder des vorverstorbenen Bruder entgegen. Das Nachlassgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, die Erblasserin habe mit ihrer letzten Verfügung von Todes wegen die vorangegangenen Testamente aufgehoben. Der gegen diesen Beschluss durch die Großnichte eingelegten Beschwerde hat das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Akten dem OLG Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat die Beschwerde zurückgewiesen.
So sah es das Oberlandesgericht
Die Großnichte könnte ihre Alleinerbenstellung allein aus dem Testament vom 18.10.2009 herleiten. Diese Stellung sei indes von der Erblasserin vollständig aufgehoben worden, als sie am 27.4.2016 ein neues Testament errichtet habe, in dem die Großnichte nicht mehr als Ersatzerbin berufen sei, so das OLG.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 2258 Abs. 1 BGB) werde durch die Errichtung eines Testaments ein früheres Testament insoweit aufgehoben, als dass das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch stehe. Ein derartiger Widerspruch liege zum einen vor, wenn die Testamente sachlich miteinander nicht vereinbar seien, die getroffenen Anordnungen also nicht nebeneinander Geltung erlangen könnten, sondern sich gegenseitig ausschließen. Ein Widerspruch sei zum anderen (auch) gegeben, wenn die einzelnen Anordnungen einander zwar nicht entgegengesetzt seien, aber die kumulative Geltung der mehreren Verfügungen den in einem späteren Testament zum Ausdruck kommenden Absichten des Erblassers zuwiderliefe. Das sei der Fall, wenn der Erblasser mit dem späteren Testament seine Erbfolge insgesamt, nämlich abschließend und umfassend (ausschließlich) habe neu regeln wollen. So liege der Fall hier.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.12.2023, I-3 Wx 189/23
| Zwei Investoren sind zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von insgesamt 300.000 Euro nebst Zinsen an einen Planungsverband verpflichtet worden, weil sie die Erteilung einer Baugenehmigung zur Realisierung eines Hotelbauvorhabens nicht rechtzeitig beantragt haben. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz. |
Frist für Bebauungsplan vereinbart
Im Dezember 2016 schloss der Planungsverband mit den Investoren einen städtebaulichen Vertrag. In diesem verpflichteten sich die Investoren, binnen 36 Monaten ab Inkrafttreten eines vom Planungsverband aufzustellenden Bebauungsplans einen vollständigen Bauantrag zur Errichtung eines Hotelbaus zu stellen. Unterbleibt eine rechtzeitige Bauantragstellung, ist eine Vertragsstrafe in Höhe von 15.000 Euro monatlich, höchstens in Höhe von 300.000 Euro, vorgesehen.
Frist überschritten: Vertragsstrafe
Weil die Investoren ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen waren, verlangte der Planungsverband zunächst außergerichtlich und dann mit seiner Klage, die vereinbarte Vertragsstrafe zu zahlen. Die Investoren beriefen sich dagegen auf Formfehler beim Zustandekommen des Vertrags und machten geltend, die Stellung eines vollständigen Bauantrags sei ihnen unmöglich gewesen, weil der Planungsverband Gestaltungsvorgaben nicht hinreichend konkret vorgegeben habe. Ferner stünde ein Lärmschutzkonflikt mit den Betreibern der auf dem Plateau vorhandenen Freilichtbühne einer Umsetzung des Hotelkonzepts entgegen.
Anforderungen eingehalten
Die Klage hatte Erfolg. Der Verband habe einen Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe, so das VG. Der Vertrag sei frei von Verfahrens- und Formfehlern zustande gekommen und entspreche den an einen städtebaulichen Vertrag zu stellenden gesetzlichen Anforderungen.
Rechtzeitigkeit wäre möglich gewesen
Den Investoren sei es zudem möglich gewesen, rechtzeitig vollständige Bauantragsunterlagen einzureichen. Insbesondere habe der Lärmschutzkonflikt zwischen dem geplanten Hotelvorhaben und der Freilichtbühne die Vorlage vollständiger Bauantragsunterlagen nicht unmöglich gemacht. Eine Lösung des Konflikts wäre vielmehr im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens herbeizuführen gewesen.
Gegen die Entscheidung wurde Rechtsmittel zum Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz erhoben.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 6.12.2023, 4 K 388/23.KO, PM 1/24
| Die Errichtung von Kleinwindenergieanlagen ist ein im Außenbereich baurechtlich privilegiertes Vorhaben der Nutzung der Windenergie, auch wenn es nicht mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms der öffentlichen Energieversorgung, sondern der Deckung des privaten Verbrauchs dient. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |
Landkreis lehnte Erlass eines Bauvorbescheids ab
Die Kläger beantragten, ihnen einen Bauvorbescheid zur Errichtung von vier Kleinwindenergieanlagen (Gesamthöhe 6,5 m) auf ihrem Grundstück im Außenbereich zu erteilen. Der Landkreis lehnte dies mit der Begründung ab, die Anlagen seien nicht als im Außenbereich privilegierte Vorhaben der Nutzung der Windenergie zu behandeln, da die Privilegierung auf solche Windenergieanlagen zu beschränken sei, die der öffentlichen Versorgung dienten. Zudem stünden öffentliche Belange dem Vorhaben entgegen. Hiergegen erhoben die Kläger Klage. Das Verwaltungsgericht (VG) verpflichtete den beklagten Landkreis, den beantragten Bauvorbescheid zu erteilen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Landkreises wies das OVG zurück.
Privilegiertes Bauvorhaben auch bei Privatnutzung der erzeugten Energie
Das VG habe den Beklagten zu Recht zur Erteilung des beantragten Bauvorbescheids verpflichtet. Bei der Errichtung und dem Betrieb der vier Kleinwindenergieanlagen handele es sich um ein der Nutzung der Windenergie dienendes privilegiertes Vorhaben im Sinne des Baugesetzbuchs (hier: § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB), das im Außenbereich zugelassen werden könne.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ließen sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal herleiten, wonach das Vorhaben nicht nur der Nutzung der Windenergie, sondern – mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms – auch der öffentlichen Energieversorgung dienen müsse. Gegen ein solches ungeschriebenes Erfordernis sprächen auch Sinn und Zweck der Norm. Diese diene letztlich einer umwelt- und ressourcenschonenden Energieversorgung mittels einer verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien, wozu Windenergieanlagen auch dann beitrügen, wenn sie allein zur Deckung eines privaten Verbrauchs errichtet würden. Die überragende Bedeutung dieses Ziels habe der Gesetzgeber mehrfach in seiner weiteren Normsetzung herausgestellt.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus einem Urteil des OVG aus dem Jahr 2018, an dem der dort erkennende Senat in Bezug auf den geforderten öffentlichen Versorgungszweck in einer neueren Entscheidung aus dem Jahr 2023 ersichtlich nicht mehr festhalte.
Keine Gefahr von Wildwuchs
Nicht nachvollziehbar sei die vom Beklagten ferner geltend gemachte Befürchtung, dass bei einer Privilegierung von allein der privaten Versorgung dienenden Kleinwindenergieanlagen ein Wildwuchs derartiger Vorhaben zulasten der Landschaft drohe. Denn die Errichtung einer Kleinwindenergieanlage im Außenbereich komme unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nur in Betracht, wenn der erzeugte Strom entweder durch einen dort in der Nähe der Anlage vorhandenen Verbraucher abgenommen oder ins Stromnetz eingespeist werde. Dies sei jedoch regelmäßig nicht der Fall, da ein Endabnehmer vor Ort im Außenbereich nur in Ausnahmefällen vorhanden sei und der Bau einer Leitung allein zum Zweck der Einspeisung des mit der Kleinanlage erzeugten Stroms in ein öffentliches Netz unter Rentabilitätsaspekten ausscheide. Dem privilegierten Vorhaben stünden auch keine öffentlichen Belange entgegen.
Quelle | OVG Koblenz, Urteil vom 4.4.2024, 1 A 10247/23. OVG, PM 6/24
| Das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz hat die Entlassung eines Polizeikommissars aus dem Beamtenverhältnis auf Probe für rechtmäßig erklärt. |
Das war geschehen
Der Kläger war im Jahr 2021 nach bestandener Laufbahnprüfung in das Probebeamtenverhältnis berufen und als Einsatzsachbearbeiter in einer Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei eingesetzt worden. Bereits zuvor, noch während seines Vorbereitungsdienstes, hatte er über mehrere Monate hinweg wiederholt Bilddateien (sog. Sticker) in verschiedene WhatsApp-Chatgruppen mit diskriminierenden, antisemitischen, rassistischen, menschenverachtenden sowie frauen- und behindertenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Inhalten hochgeladen. Als sein Dienstherr, der Beklagte, hiervon erfuhr, leitete er zunächst ein Disziplinarverfahren und dann ein Entlassungsverfahren ein und entließ den Kläger wegen erheblicher Zweifel an dessen charakterlicher Eignung für den Polizeidienst mit Ablauf des Jahres 2022 aus dem Probebeamtenverhältnis.
Hiergegen erhob der Kläger zunächst Widerspruch und in der Folge Klage. Zur Begründung gab er an, aus dem Kontext der Verwendung der Sticker werde hinreichend deutlich, dass es sich nur um „schwarzen Humor“ handele; der Inhalt der Sticker entspreche in keiner Weise seiner inneren Haltung.
Kläger kein „unbescholtenes Blatt“
Die Klage hatte keinen Erfolg. Der Beklagte sei vielmehr beurteilungsfehlerfrei von der charakterlichen Nichteignung des Klägers für den Polizeidienst ausgegangen. Damit knüpfte das VG an seine bereits im November 2023 getroffenen Beschluss an, mit dem er die vom Kläger beantragte Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussichten seiner Klage abgelehnt hatte. In dem Beschluss hatte das Gericht betont, es sei unerheblich, ob die vom Kläger verwandten „Sticker“ tatsächlich Ausdruck seiner Gesinnung seien. Der Kläger müsse diese so gegen sich gelten lassen, wie sie aus Sicht eines objektiven Betrachters zu verstehen seien. Es werde deutlich, dass der Kläger sich seiner beamtenrechtlichen Pflichten nicht einmal ansatzweise bewusst sei und dass ihm erkennbar die erforderliche charakterliche Reife und Stabilität für das Amt eines Polizeivollzugsbeamten fehle. Außerdem berücksichtigten die Richter, dass der Kläger im Februar 2024 strafrechtlich wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in vier Fällen, in drei Fällen hiervon in Tateinheit mit Volksverhetzung, schuldig gesprochen worden war.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 20.2.2024, 5 K 733/23. KO, PM 5/24
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung einer TV-Moderatorin wirksam ist, die trotz Abmahnungen eine Online-Kolumne für eine im Wettbewerb stehende Tageszeitung verfasst. |
Einschränkungen im Arbeitsvertrag
Die Klägerin war langjährig im Bereich Finanz- und Börsenberichterstattung für die Beklagte tätig, die einen Nachrichtensender mit TV- und Onlineberichterstattung betreibt. Der Arbeitsvertrag schränkt die Möglichkeit von Nebentätigkeiten ein und sieht vor, dass zuvor eine Genehmigung erfolgen muss.
Abmahnung wegen Online-Börsenkolumne
Die Klägerin hat unter anderem am 29.9.2022 eine Online-Börsenkolumne für eine Tageszeitung verfasst, wegen der sie am 4.10.2022 abgemahnt wurde. Dennoch veröffentlichte die Klägerin dort am 1.1.2023 eine weitere Kolumne, aufgrund der die Beklagte die streitgegenständliche Kündigung aussprach.
Zuvor war die Klägerin auch vor dem ArbG Köln in einem einstweiligen Verfügungsverfahren unterlegen, in dem sie ihren Arbeitgeber verpflichten wollte, die Nebentätigkeit zum Verfassen einer wöchentlichen Kolumne zu genehmigen. Hier hatte das ArbG geurteilt, dass die begehrte Nebentätigkeit eine nicht genehmigungsfähige Konkurrenztätigkeit darstelle.
Arbeitsgericht bestätigt Kündigung
Das ArG Köln hat die Kündigung bestätigt. Bei der Online-Kolumne handele es sich um eine Wettbewerbstätigkeit, da sowohl der Arbeitgeber als auch der Zeitungsverlag Unternehmen sind, die sowohl im Bereich der TV- wie auch der Onlineberichterstattung aktiv seien.
Zudem betreffe die Börsenkolumne der Klägerin den fachlichen Kernbereich ihrer Tätigkeit für die Beklagte. Gerade in diesen Themen hat die Klägerin sich in der Vergangenheit eine große Reputation aufgebaut, mit der sie bislang für die Beklagte in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten ist. Ein Arbeitnehmer, der während des bestehenden Arbeitsverhältnisses Wettbewerbstätigkeiten entfaltet, verstoße gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers. Dies könne eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar
Hier sei der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar. Das Vertrauen der Beklagten in einen störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses sei nach den bewussten, fortgesetzten und groben Pflichtverletzungen der Klägerin gänzlich aufgebraucht.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 11.10.2023, 9 Ca 5402/22, PM 11/23
| Ein Busunternehmer steht unter Unfallversicherungsschutz, wenn er im Homeoffice beim Hochdrehen der Heizung durch eine Verpuffung im Heizkessel verletzt wird. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Im Homeoffice Heizkessel überprüft und nach Verpuffung schwer verletzt
Der Kläger war als selbstständiger Busunternehmer bei der beklagten Berufsgenossenschaft pflichtversichert. Er bewohnte ein Haus, dessen Wohnzimmer er als häuslichen Arbeitsplatz (Homeoffice) für Büroarbeiten nutzte. Am Unfalltag holte der Kläger seine Kinder von der Schule ab und arbeitete anschließend an seinem Schreibtisch im Wohnzimmer. Nachdem er festgestellt hatte, dass die Heizkörper im ganzen Haus kalt waren, begab er sich zur Überprüfung der Kesselanlage in den Heizungskeller. Beim Hochdrehen des Temperaturschalters kam es aufgrund eines Defekts der Heizungsanlage zu einer Verpuffung im Heizkessel, in deren Folge der Kläger eine schwere Augenverletzung erlitt.
Bundessozialgericht erkennt Arbeitsunfall an
Die beklagte Berufsgenossenschaft, das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) lehnten einen Arbeitsunfall ab. Das BSG hat dagegen einen Arbeitsunfall anerkannt.
Der Kläger wollte nicht nur seine Kinder, sondern auch seinen häuslichen Arbeitsplatz mit höheren Temperaturen versorgen. Die Benutzung des Temperaturreglers war deshalb unternehmensdienlich, der Heizungsdefekt kein unversichertes privates Risiko.
Quelle | BSG, Urteil vom 21.3.2024, B 2 U 14/21 R, PM 11/24
| Die Zweifelsregelung im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 271 Abs. 2 BGB) gestattet es einem Arbeitgeber nicht, eine dem Arbeitnehmer bisher zustehende jährliche Einmalzahlung wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld kraft einseitiger Entscheidung stattdessen in anteilig umgelegten monatlichen Teilbeträgen zu gewähren, um sie „pro rata temporis“ – also zeitanteilig – auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen zu können. Diese Auffassung vertritt das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg im Streit über die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs durch Sonderzahlungen. |
Das LAG hat die Revision zugelassen.
Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.1.2024, 3 Sa 4/23
| Eine durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Vermögensverschiebung von einer Kapitalgesellschaft an einen Gesellschafter setzt einen Zuwendungswillen voraus – und ein solcher kann aufgrund eines Irrtums des Gesellschafter-Geschäftsführers fehlen. Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs (BFH) ist es insoweit maßgebend, ob der konkrete Gesellschafter-Geschäftsführer einem Irrtum unterlegen ist, nicht hingegen, ob einem ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiter der Irrtum gleichfalls unterlaufen wäre. |
Hintergrund: Bei einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) handelt es sich – vereinfacht – um Vermögensvorteile, die dem Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung gewährt werden. Eine vGA darf den Gewinn der Gesellschaft nicht mindern.
Das war geschehen
Geklagt hatte eine GmbH, deren Stammkapital durch die alleinige Gesellschafter-Geschäftsführerin u. a. durch die Einbringung einer Beteiligung von 100 % an einer weiteren GmbH erbracht werden sollte. Bei der einzubringenden GmbH wurde eine Kapitalerhöhung durchgeführt, die die Gesellschafter-Geschäftsführerin begünstigte. Das Finanzamt sah hierin eine vGA der GmbH an ihre Gesellschafter-Geschäftsführerin. Dagegen argumentierte die GmbH, dass die Zuwendung an die Gesellschafter-Geschäftsführerin irrtümlich wegen eines Versehens bei der notariellen Beurkundung der Kapitalerhöhung erfolgt sei.
So entschieden die gerichtlichen Instanzen
Das Finanzgericht (FG) Schleswig-Holstein wies die Klage ab, weil einem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführer der von der GmbH dargelegte Irrtum nicht unterlaufen wäre. Der BFH hat nun aber klargestellt, dass es für die Frage, ob der für die Annahme einer vGA erforderliche Zuwendungswille vorliegt, allein auf die Person der konkreten Gesellschafter-Geschäftsführerin ankommt. Er verwies den Streitfall deshalb zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurück.
Beachten Sie | In seiner Urteilsbegründung zum Vorliegen einer vGA führt der BFH aber auch Folgendes aus: Der handelnde Gesellschafter muss nicht mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis handeln, er muss den Tatbestand der vGA nicht kennen und er muss das Geschehene auch nicht richtig würdigen. Vielmehr genügt in aller Regel ein persönlich zurechenbares Handeln.
Diese Grundsätze gelten aber nicht uneingeschränkt, da es zur Annahme einer vGA – so wie bei einer offenen Gewinnausschüttung – eines Zuwendungswillens bedarf.
Quelle | BFH, Urteil vom 22.11.2023, I R 9/20, PM 20/24 vom 11.4.2024
| Schweizer Banken können Informationen zu Konten und Depots deutscher Staatsangehöriger an die deutsche Finanzverwaltung übermitteln. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. Er sieht in der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden keine Verletzung der Grundrechte der inländischen Steuerpflichtigen. |
Geklagt hatten Steuerpflichtige, die sich durch Übermittlung der Kontostände ihrer Schweizer Bankkonten in ihren Grundrechten verletzt sahen, vor allem in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Nachdem bereits das Finanzgericht (FG) Köln diese Ansicht nicht teilte, bestätigte nun auch der BFH die Verfassungsmäßigkeit der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden. Jedenfalls ist die Übermittlung der Informationen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung gerechtfertigt.
Beachten Sie | Deutschland sowie mehrere andere Staaten haben sich zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung dazu verpflichtet, Informationen zu Bankkonten auszutauschen, u. a. werden hierfür die Kontostände ausländischer Bankkonten an die deutsche Steuerverwaltung übermittelt. Der automatische Informationsaustausch über Finanzkonten dient der Sicherung der Steuerehrlichkeit und der Verhinderung von Steuerflucht.
Quelle | BFH, Urteil vom 23.1.2024, IX R 36/21, PM 17/24 vom 28.3.2024
| Ohne Betriebssitz kann kein Gelegenheitsverkehr mit Mietwagen betrieben werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin in einem Eilverfahren entschieden. |
Behörde widerrief Erlaubnis
Der Antragsteller ist Inhaber einer vom Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) erteilten Genehmigung für den Gelegenheitsverkehr mit insgesamt zehn Mietwagen nach dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG). Nach den Feststellungen der Behörde fanden sich an der vom Antragsteller angegeben Adresse – anders als von ihm ursprünglich behauptet – weder Büroräume noch reservierte Stellplätze für die Fahrzeuge. Daraufhin widerrief die Behörde die Erlaubnis unter Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Verwaltungsgericht bestätigt Behörde
Das VG hat den hiergegen gerichteten Eilantrag zurückgewiesen. Zu Recht sei die Behörde von einer fehlenden Zuverlässigkeit des Antragstellers ausgegangen. Denn dieser habe gegen eine Kernpflicht des Mietwagenverkehrs verstoßen.
Das wesentliche Merkmal des Mietwagenverkehrs bestehe darin, dass Aufträge nicht an beliebigen Orten, sondern grundsätzlich nur am Betriebssitz entgegengenommen werden dürften; dorthin müssten die Fahrzeuge daher regelmäßig nach Beendigung eines jeden Auftrags zurückkehren. Die Begründung und Unterhaltung eines in der Genehmigung festgeschriebenen Betriebssitzes sei daher Voraussetzung für die Erfüllung der Rückkehrpflicht. Das Rückkehrgebot sei nicht Selbstzweck, sondern solle auf wirksame Weise unterbinden, dass Mietwagen nach Beendigung eines Beförderungsauftrags taxiähnlich auf öffentlichen Straßen und Plätzen bereitgestellt würden und dort Beförderungsaufträge annähmen.
Das VG ließ offen, ob ungeachtet dessen der Widerruf auch auf die fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit des Antragstellers hätte gestützt werden können. Es spreche allerdings einiges dafür, dass dies schon bei der Genehmigungserteilung der Fall gewesen sei. Ein Mietwagenunternehmer müsse über ein angemessenes Eigenkapital verfügen, was hier nicht ersichtlich sei. Der Zeitwert der Fahrzeuge selbst dürfe – anders als von der Behörde bei Genehmigungserteilung fälschlich angenommen – gerade nicht berücksichtigt werden.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 25.3.2024, VG 11 L 53/24, PM vom 2.4.2024
| Die Klausel „Die Mobile Briefmarke ist lediglich als ad-hoc-Frankierung zum sofortigen Gebrauch gedacht. Erworbene Mobile Briefmarken verlieren daher mit Ablauf einer 14-tägigen Frist nach Kaufdatum ihre Gültigkeit. Das maßgebliche Kaufdatum ist in der Auftragsbestätigung genannt. Eine Erstattung des Portos nach Ablauf der Gültigkeit ist ausgeschlossen.“ ist nach § 307 BGB unwirksam. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Köln entschieden. |
Es gab damit der Unterlassungsklage der Verbraucherzentrale statt. Es handele sich bei dem Erwerb einer Briefmarke um einen Kaufvertrag und nicht um einen Frachtvertrag.
Das bürgerliche Recht kenne für Verpflichtungen aus schuldrechtlichen Verträgen im Allgemeinen nur die im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: §§ 194 ff. BGB) geregelten Verjährungsvorschriften, nicht dagegen besondere, von der Frage der Verjährung unabhängige Ausschlussfristen. Es handele sich um eine unangemessene und erhebliche zeitliche Beschränkung des Erfüllungsanspruchs.
Das OLG hob hervor: Durch die Beschränkung der Gültigkeitauf 14 Tage wird der Erfüllungsanspruch auf etwa ein Prozent der gesetzlich vorgesehenen Verjährungsfrist verkürzt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 13.6.2023, I-3 U 148/22
| Im Rahmen einer inländischen doppelten Haushaltsführung ist der Werbungskostenabzug von Unterkunftskosten auf 1.000 Euro monatlich beschränkt. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat nun entschieden, dass unter diesen Höchstbetrag auch eine für die Wohnung am Beschäftigungsort zu entrichtende Zweitwohnungssteuer fällt. |
Hintergrund: Eine beruflich veranlasste doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer außerhalb des Ortes seiner ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Haushalt unterhält (Hauptwohnung) und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnt (Zweitwohnung). In diesen Fällen können Arbeitnehmer Unterkunftskosten bis maximal 1.000 Euro im Monat als Werbungskosten abziehen.
Das war geschehen
Eine Arbeitnehmerin hatte an ihrem Tätigkeitsort in München eine Zweitwohnung gemietet. Die hierfür in den Streitjahren entrichtete Zweitwohnungssteuer i. H. von 896 Euro bzw. 1.157 Euro machte sie neben weiteren Kosten für die Wohnung i. H. von jeweils mehr als 12.000 Euro als Aufwendungen für ihre doppelte Haushaltsführung geltend. Das Finanzamt erkannte die Kosten der Unterkunft am Ort der ersten Tätigkeitsstätte in München jeweils mit dem Höchstbetrag von 12.000 Euro an. Die Zweitwohnungssteuer bei den sonstigen Aufwendungen im Rahmen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigte es nicht.
Die hiergegen gerichtete Klage war erfolgreich. Der BFH hat die Vorentscheidung nun aber aufgehoben.
Was der Höchstbetrag umfasst – und was nicht
Der Höchstbetrag umfasst sämtliche entstehenden Aufwendungen, wie beispielsweise Miete, Betriebskosten sowie Kosten der laufenden Reinigung und Pflege der Zweitwohnung oder -unterkunft; nicht jedoch Aufwendungen für Hausrat, Einrichtungsgegenstände oder Arbeitsmittel, mit denen die Zweitwohnung ausgestattet ist. Aufwendungen für die erforderliche Einrichtung und Ausstattung der Zweitwohnung, soweit sie nicht überhöht sind, können als sonstige notwendige Mehraufwendungen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigt werden.
Die Zweitwohnungssteuer ist Aufwand für die Nutzung der Unterkunft und unterfällt daher bei den Mehraufwendungen für die doppelte Haushaltsführung der Abzugsbeschränkung.
Das Entstehen der Zweitwohnungssteuer knüpft maßgeblich an das Innehaben einer weiteren Wohnung in München neben der Hauptwohnung und so an die damit regelmäßig einhergehende Nutzung dieser Wohnung an. Die Steuer findet als örtliche Aufwandsteuer i. S. von Art. 105 Abs. 2 a des Grundgesetzes (GG) ihre Rechtfertigung darin, dass das Innehaben einer weiteren Wohnung für den persönlichen Lebensbedarf (Zweitwohnung) neben der Hauptwohnung ein Zustand ist, der gewöhnlich die Verwendung von finanziellen Mitteln (Einkommen) erfordert und damit regelmäßig die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Wohnungsinhabers zum Ausdruck bringt.
Beachten Sie | Der BFH hat damit die von der Finanzverwaltung vertretene Rechtsauffassung bestätigt. Noch nicht höchstrichterlich entschieden und derzeit beim BFH anhängig ist die Frage, wie Kosten für einen separat angemieteten Stellplatz zu behandeln sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 13.12.2023, VI R 30/21, PM 18/24 vom 4.4.2024; Stellplatz: Rev. BFH, VI R 4/23
| Zum 1.1.2020 wurde mit § 35 c Einkommensteuergesetz (EStG) eine Steuerermäßigung für energetische Maßnahmen bei zu eigenen Wohnzwecken genutzten Gebäuden eingeführt. Diese komplexe Regelung weist jedoch einige Fragen auf, die das Bundesfinanzministerium (BMF) in einem Schreiben teilweise beantwortet hat. Nun ist nach einem vorinstanzlichen Urteil des Finanzgerichts (FG) München ein Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) zum Heizungstausch anhängig, in dem es darum geht, ob die Steuerermäßigung erst ab der vollständigen Begleichung der Rechnung in Betracht kommt. |
Hintergrund: Begünstigte Aufwendungen/Maßnahmen sind u. a. die Wärmedämmung von Wänden, Dachflächen und Geschossdecken sowie die Erneuerung der Fenster, Außentüren oder der Heizungsanlage.
Je begünstigtem Objekt beträgt der Höchstbetrag der Steuerermäßigung 40.000 Euro, wobei die Ermäßigung nach der Maßgabe des § 35 c Abs. 1 EStG über drei Jahre verteilt wird.
Das war geschehen
Die Steuerpflichtigen ließen 2021 eine neue Heizungsanlage in ihrem selbstgenutzten Gebäude einbauen. Zur Begleichung der Rechnung wurde eine monatliche Ratenzahlung für die Jahre 2021 bis 2024 vereinbart. Fraglich ist nun, ob ein Abschluss der energetischen Maßnahmen bereits mit der ausgeführten Erneuerung der Heizungsanlage (hier im Jahr 2021) oder erst mit der vollständigen Begleichung des Rechnungsbetrags (voraussichtlich im Jahr 2024) vorliegt.
Voraussetzungen für die Steuerermäßigung
Das BMF hat in seinem Schreiben vom 14.1.2021 in der Rn. 43 ausgeführt, dass die Steuerermäßigung erstmalig in dem Veranlagungszeitraum zu gewähren ist, in dem die energetische Maßnahme abgeschlossen wurde. Voraussetzung ist, dass mit der Durchführung der energetischen Maßnahme nach dem 31.12.2019 begonnen wurde und diese vor dem 1.1.2030 abgeschlossen ist.
Die energetische (Einzel-)Maßnahme ist dann abgeschlossen, wenn
- die Leistung tatsächlich erbracht (vollständig durchgeführt) ist,
- der Steuerpflichtige eine Rechnung (Schlussrechnung) erhalten und
- den Rechnungsbetrag auf das Konto des Leistungserbringers eingezahlt hat.
Die Erledigung unwesentlicher Restarbeiten, die für die tatsächliche Reduzierung von Emissionen nicht hinderlich sind, ist unschädlich. Auch, soweit bei einer mehrteiligen Maßnahme für einzelne Teilleistungen Teilrechnungen erstellt und diese beglichen wurden, wird die Steuerermäßigung abweichend vom Abflussprinzip erst ab dem Veranlagungszeitraum des Abschlusses der energetischen Maßnahme gewährt, so das BMF.
Beachten Sie | Da die Revision gegen die Entscheidung anhängig ist, wird nun der BFH entscheiden. Bis dahin können geeignete Fälle mit einem Einspruch offengehalten werden.
Quelle | FG München, Urteil vom 8.12.2023, 8 K 1534/23, Rev. BFH: IX R 31/23; BMF, Schreiben vom 14.1.2021, IV C 1 - S 2296-c/20/10004 :006
| Für Geburten ab dem 1.4.2024 gilt eine neue Einkommensgrenze, ab der der Anspruch auf Elterngeld entfällt. Zudem werden die Möglichkeiten für einen parallelen Bezug von Elterngeld neu gestaltet. Antworten auf wichtige Fragen gibt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). |
Quelle | BMFSFJ, „Neuregelungen beim Elterngeld für Geburten ab 1. April 2024“ vom 28.3.2024
| Der Bezug eines Nutzungsersatzes im Rahmen der reinen Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags nach Widerruf löst keine Einkommensteuer aus. Diese für Verbraucher frohe Kunde kommt vom Bundesfinanzhof (BFH). |
Das war geschehen
Ehegatten schlossen 2008 einen Darlehensvertrag zur Finanzierung einer selbstgenutzten Wohnimmobilie ab. 2016 widerriefen sie den Darlehensvertrag unter Berufung auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung. Auf der Grundlage eines zivilgerichtlichen Vergleichs zahlte die Bank an die Eheleute Nutzungsersatz für bis zum Widerruf erbrachte Zins- undTilgungsleistungen i. H. von 14.500 Euro. Das Finanzamt erfasste den Nutzungsersatz als Einkünfte aus Kapitalvermögen – allerdings zu Unrecht, wie nun der BFH entschieden hat.
Nutzungsersatz: weder Kapitalertrag noch sonstige Einkünfte
Der Nutzungsersatz ist kein Kapitalertrag i. S. des Einkommensteuergesetzes (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG). Die Rückabwicklung eines vom Darlehensnehmer widerrufenen Vertrags vollzieht sich außerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre. Das Rückgewährschuldverhältnis ist ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln. Daher können die einzelnen Ansprüche aus dem Rückgewährschuldverhältnis auch nicht für sich betrachtet – i. S. einer unfreiwilligen Kapitalüberlassung – Teil einer steuerbaren erwerbsgerichteten Tätigkeit sein.
Beachten Sie | Es liegen auch keine sonstigen Einkünfte (§ 22 Nr. 3 EStG) vor.
Verbraucherschutzrecht inzwischen reformiert
Die Entscheidung betrifft „alte“ Verbraucherdarlehensverträge. Der mit der Reform des Verbraucherschutzrechts in das BGB eingefügte § 357 a Abs. 3 S. 1 BGB a. F. (jetzt § 357 b BGB) hat u. a. den Anspruch des Darlehensnehmers auf Nutzungsersatz für die Zukunft beseitigt. Die neue Rechtslage ist auf nach dem 12.6.2014 abgeschlossene Verbraucherdarlehensverträge anwendbar.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.11.2023, VIII R 7/21, PM 16/24 vom 21.3.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über einen Fall entschieden, in dem eine Pkw-Fahrerin an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifuhr und mit einem gerade entleerten Müllcontainer kollidierte. Der BGH hat in diesem Fall einen Verstoß der Fahrerin gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO) bejaht. |
Das war geschehen
Die Klägerin, ein Pflegedienst, macht gegen einen für die Abfallwirtschaft zuständigen kommunalen Zweckverband Schadenersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, bei dem eines ihrer Pflegedienstfahrzeuge beschädigt wurde. Eine Mitarbeiterin der Klägerin fuhr mit diesem Fahrzeug aus der Gegenrichtung kommend an einem Müllabfuhrfahrzeug des beklagtenZweckverbands vorbei, das mit laufendem Motor, laufender Schüttung und eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie Warnblinkanlage in der Straße stand. Dabei kam es zu einer Kollision des klägerischen Fahrzeugs mit einem Müllcontainer, den ein bei dem Beklagten angestellter Müllwerker hinter dem Müllabfuhrfahrzeug quer über die Straße schob.
Mit der Klage hat die Klägerin Erstattung der Fahrzeugreparaturkosten verlangt.
So sahen es die Vorinstanzen
Das Landgericht (LG) hat der Klage gegen den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 zu 50 teilweise stattgegeben.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht (OLG) das Urteil des LG teilweise geändert und den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 75 (Beklagter) zu 25 (Klägerin) zu weiterem Schadenersatz verurteilt. Es ist dabei davon ausgegangen, dass der Fahrerin des Pkw kein Verstoß gegen die StVO anzulasten sei.
So sieht es der Bundesgerichtshof
Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Das Urteil des OLG wurde aufgehoben und die Sache an das OLG zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Der Klägerin steht gegen den Beklagten als Halter des Müllabfuhrfahrzeugs ein Schadenersatzanspruch gemäß StVO (hier: § 7) zu, da das Fahrzeug der Klägerin „bei dem Betrieb“ des Müllabfuhrfahrzeugs beschädigt worden ist. Die Gefahr, die von einer gerade entleerten Mülltonne auf der Straße für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, ist dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs zuzurechnen.
Bei der Entscheidung über die Haftungsverteilung hat das OLG zu Recht dem Müllwerker einen schuldhaften Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorgeworfen, weil er hinter dem Müllabfuhrfahrzeug einen Müllcontainer quer über die Straße schob, ohne auf den Verkehr und das Fahrzeug der Klägerin zu achten, welches für ihn – hätte er den Müllcontainer nicht vor sich hergeschoben – erkennbar gewesen wäre.
Allerdings ist entgegen der Ansicht des OLG auch der Mitarbeiterin der Klägerin als Fahrerin des Pkw ein Verstoß gegen die StVO vorzuwerfen.
Mit dem Verhalten des Müllwerkers konnte gerechnet werden
Das Hauptaugenmerk der mit dem Holen, Entleeren und Zurückbringen von Müllcontainern befassten Müllwerker ist auf ihre Arbeit gerichtet, die sie überwiegend auf der Straße und effizient, also in möglichst kurzer Zeit und auf möglichst kurzen Wegen, zu erledigen haben. Wer an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifährt, das erkennbar im Einsatz ist, darf daher nicht uneingeschränkt auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Müllwerker vertrauen. Er muss damit rechnen, dass Müllwerker plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortreten und unachtsam einige Schritte weiter in den Verkehrsraum tun, bevor sie sich über den Verkehr vergewissern. Auf diese mit dem Einsatz von Müllabfuhrfahrzeugen verbundenen Gefahren hat der vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer sein Fahrverhalten einzurichten. Wenn es nicht möglich ist, einen ausreichenden Seitenabstand zu einem Müllabfuhrfahrzeug einzuhalten, um die Gefahr eines plötzlich auftauchenden Müllwerkers vor oder hinter dem Fahrzeugzu vermeiden, muss die Geschwindigkeit gemäß der Straßenverkehrsordnung (StVO) reduziert werden, sodass der Fahrer sein Fahrzeug bei Bedarf sofort zum Stillstand bringen kann.
Den dargelegten Anforderungen genügte die vom Berufungsgericht festgestellte Fahrweise der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nicht. Bei einem Seitenabstand von maximal 50 cm zum Müllabfuhrfahrzeug war die Ausgangsgeschwindigkeit von 13 km/h zu hoch, als dass die Fahrerin das Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen hätte bringen können.
Quelle | BGH, Urteil vom 12.12.2023, VI ZR 77/23, PM 12/24
| Gibt ein Kunde mittels PushTAN und Verifizierung über eine Gesichtserkennung nach einer Phishing-Nachricht die temporäre Erhöhung seines Überweisungslimits und eine anschließende Überweisung telefonisch frei, handelt er grob fahrlässig. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt. |
Der Bankkunde – ein Rechtsanwalt und Steuerberater in einer internationalen Sozietät – führt bei der beklagten Bank ein Girokonto und forderte erfolglos, eine Überweisung von knapp 50.000 Euro zurückzuerstatten. Das OLG: Die Bank schuldet in einem solchen Fall nicht die Rückerstattung des überwiesenen Betrags. Denn angesichts der fortlaufenden Warnungen der Banken vor Phishing-Mails und der öffentlichen Diskussion hierüber müssten Kunden spätestens bei der telefonischen Aufforderung, Sicherheitsmerkmale preiszugeben, misstrauisch werden. Dies gelte auch, wenn der äußere Rahmen der besuchten Website vertraut erscheint.
Quelle | OLG Frankfurt, Urteil vom 6.12.2023, 3 U 3/23
| Wer an der Grenze zu seinem Nachbargrundstück eine Hecke anlegt, muss nach dem geltenden Nachbarrecht dafür sorgen, dass die Pflanzen je nach Grenzabstand eine bestimmte Höhe nicht überschreiten. Tut er das nicht, kann der Nachbar den Rückschnitt der Hecke verlangen und im Notfall auch gerichtlich durchsetzen. Der Anspruch auf den Rückschnitt kann jedoch nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein, wenn sich der Nachbar selbst regel- und damit treuwidrig verhält. Das hat das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Das war geschehen
Das LG hat mit dieser Begründung die Klage eines Nachbarn auf Rückschnitt einer Hecke an der Grundstücksgrenze abgewiesen. Denn auch einzelne Pflanzen auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn verstießen nach den Feststellungen der Kammer gegen die Regelungen des Nachbarrechts.
Im konkreten Fall hatten zwei Grundbesitzer Streit über die zulässige Höhe einer direkt an der Grundstücksgrenze gepflanzten Hecke, die durchgehend eine Höhe von 2,20 Metern aufweist. Unter Berufung auf das geltende Landesrecht verlangte der Nachbar, dass die Hecke auf einer Höhe von maximal eineinhalb Metern gehalten werde. Dem gab das AG statt und verurteilte den Eigentümer zum entsprechenden Rückschnitt in der Zeit von 1.10. und 15.3. eines jeweiligen Jahres.
Höhe der Hecke zwar einzuhalten, aber …
Die dagegen gerichtete Berufung zum LG hatte jedoch Erfolg. Die Berufungskammer hat dem Nachbarn zwar grundsätzlich zugebilligt, dass die nach dem Nachbarrecht zulässige Höhe der Hecke einzuhalten ist.
… Grundsätze von Treu und Glauben zu beachten
Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis sei aber stark von den sog. Grundsätzen von Treu und Glauben geprägt. Hieraus entspringen Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme, die zu einer Beschränkung bis hin zum Ausschluss nachbarrechtlicher Rechte führen könnten, so das LG. Deshalb müsse berücksichtigt werden, dass auch auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn direkt hinter dem Zaun eine drei bis vier Meter hohe Kugelhecke und eine etwa zweieinhalb Meter hohe Zypresse gepflanzt sei. Dadurch werde ebenfalls gegen das Nachbarrecht verstoßen. Wer sich aber selbst nicht regelgerecht verhalte, sei nach Treu und Glauben von Ansprüchen gegen seinen Nachbarn ausgeschlossen.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 24.1.2024, 2 S 85/23, PM vom 31.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Karlsruhe hat die Klage eines E-Autofahrers gegen die EnBW auf Rückzahlung von Blockiergebühren abgewiesen. |
Überschreiten der zulässigen Standzeit
Die Blockiergebühren in Höhe von insgesamt 19,80 Euro waren wegen Überschreitung der zulässigen Höchststandzeit an Ladesäulen der EnBW an drei verschiedenen Terminen im März 2022 angefallen. Die Blockiergebühr ist nach den Bedingungen des ADAC e-Charge Tarifs, der von der EnBW angeboten wird, ab einer Standzeit von mehr als 240 Minuten fällig. Ab diesem Zeitpunkt sind 12 Cent pro Minute zu zahlen, maximal jedoch 12 Euro. Auf die Blockiergebühr wird sowohl beim Abschluss des Tarifs als auch beim Start des Ladevorgangs hingewiesen. Der Kläger hatte diesen Bedingungen bei Nutzung der App zugestimmt.
Klausel wirksam
Der Kläger hatte argumentiert, die Klausel sei unwirksam. Im Übrigen verlangten andere Anbieter keine Blockiergebühr. Nach Auffassung des AG ist die Klausel jedoch wirksam, da das Interesse der EnBW berechtigt ist, die Ladesäule zeitnah weiteren Kunden zur Verfügung stellen zu können.
Die Entscheidung erging ohne mündliche Verhandlung. Sie ist rechtskräftig.
Quelle | AG Karlsruhe, Urteil vom 4.1.2024, 6 C 184/23, PM vom 24.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Hannover hält ein „französisches Bett“ nicht für ein Doppelbett. Das war in einem Reiserechtsfall entscheidend. |
Ist ein Bett mit einer Breite von 1,40 m ein Doppelbett? Ist es breit genug, um zwei erwachsenen Menschen einen erholsamen Urlaub zu ermöglichen? Das AG hat diese Fragen verneint. Es hat entschieden, dass Reisende jedenfalls in einem Hotel, das der Reiseveranstalter selbst mit fünf „Sonnen“ bewertet, für jeden Reisenden mit einem Schlafplatz von mehr als 70 cm Breite rechnen dürfen.
Im Fall des AG hatten drei erwachsene Personen gemeinsam ein Dreibettzimmer gebucht. Zur Verfügung gestellt wurde ihnen ein Zimmer, das über zwei Betten mit einer Breite von jeweils 1,40 m verfügte. Weil diese Ausstattung nicht der vertraglichen Vereinbarung entsprach, erhalten die beiden Reisenden, die sich ein Bett teilen mussten, nun 15 Prozent des auf sie entfallenden Reisepreises zurück.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 22.2.2024, 471 C 6110/23, PM vom 26.2.2024
| Ein gesetzlich versicherter Patient verlangte von seiner Krankenversicherung, ihm die Kosten für ein Einzelzimmer während eines stationären Krankenhausaufenthalts zu erstatten. Einen solchen Anspruch lehnte das Sozialgericht (SG) Mainz aber ab. |
Patient lag im Einzelzimmer
Ein Patient ließ sich längere Zeit stationär in einem Krankenhaus behandeln. Mit dem Krankenhaus hatte er einen Vertrag über das Unterbringen in einem Einzelzimmer geschlossen.
Krankenkasse wollte Kosten nicht übernehmen
Die dabei entstandenen Kosten wollte die Krankenkasse nicht übernehmen. Der Patient klagte. Seine Argumentation: Aus medizinischen Gründen sei ein Einzelzimmer erforderlich gewesen.
Sozialgericht wies Klage ab
Vor dem SG hatte er jedoch keinen Erfolg. Selbst wenn ein Einzelzimmer erforderlich gewesen sei, hätte das Krankenhaus dafür sorgen müssen, dass der Patient entsprechend untergebracht sei. Die Kosten einer erforderlichen Einzelzimmerbelegung seien dann in den pauschal von der Krankenkasse an das Krankenhaus zu zahlenden Entgelten enthalten. Die Kosten hierfür habe die Krankenkasse bereits gezahlt. Zusätzliche Kosten für ein Einzelzimmer könne der Patient folgerichtig nicht bei seiner Krankenkasse einfordern.
Quelle | SG Mainz, Urteil vom 23.2.2024, S 7 526/20
| Das Mietrecht (hier: § 556 Abs. 3 S. 3 BGB) schließt eine nachträgliche Abrechnung zulasten des Mieters nicht aus, durch die ein Guthaben verringert wird. Das entschied das Landgericht (LG) München. |
Grundsteuer in der Abrechnung vergessen
Der Vermieter hatte über die Betriebskosten abgerechnet und dabei die Grundsteuer vergessen. Bevor er das ursprünglich berechnete Guthaben an den Mieter auszahlte, verstrich die Abrechnungsfrist. Nun korrigierte der Vermieter die Betriebskostenabrechnung und berücksichtigte die Grundsteuer. Dabei ergab sich ein geringeres Guthaben, das er an den Mieter zahlte. Der Mieter klagte auf Rückzahlung des ursprünglich berechneten höheren Guthabens.
Amtsgericht und Landgericht vermieterfreundlich
Das Amtsgericht (AG) sprach jedoch nur das korrigierte geringere Guthaben zu. Es bestünde kein Anspruch des Mieters, weil eine nachträgliche Verringerung des Guthabens vom Gesetz nicht ausgeschlossen sei.
Die Berufung des Mieters blieb erfolglos. Das LG teilte die Rechtsauffassung des AG. § 556 Abs. 3 S. 3 BGB solle den Mieter nur davor schützen, nach Ablauf der Abrechnungsfrist Zahlungen leisten zu müssen, die die Vorauszahlungen übersteigen. Darüber hinaus gewähre das Gesetz keinen Vertrauensschutz für eine zugunsten des Mieters unrichtige Abrechnung.
Der Mieter darf also nicht darauf vertrauen, dass ein Guthaben unveränderlich bleibt. Dies gilt auch, wenn die Korrektur erst nach Ablauf der Abrechnungsfrist erfolgt. Eine weitergehende Schutzwirkung zugunsten des Mieters sieht das Gesetz schon nach dem Wortlaut der Vorschrift („Geltendmachung einer Nachzahlung“) nicht vor.
Die Entscheidung entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 31.10.07, VIII ZR 261/06).
Quelle | LG München I, Beschluss vom 30.11.2023, 31 S 10140/23
| Eine fristlose Kündigung ist auch gegenüber einem psychisch kranken oder schuldunfähigen Mieter möglich, wenn trotz Abmahnung der Hausfrieden systematisch, wiederholt und nachhaltig gestört wird mit der Folge der vorzeitigen Kündigung von anderen Mietern und der Nichtvermietbarkeit angrenzender Wohnungen. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Gesundheitszustand bedarf es dann nicht. So entschied es der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) Sachsen. |
Wiederholte Lärmstörungen
Der Vermieter kündigte nach Abmahnung das Mietverhältnis mit einem psychisch kranken Mieter wegen wiederholten Lärmstörungen fristlos, hilfsweise ordentlich. Andere Mieter hatten wegen des Lärms ihr Mietverhältnis gekündigt und eine Neuvermietung der angrenzenden Wohnung war nicht möglich.
Gegen die erfolgreiche Räumungsklage legte der Mieter Berufung ein, die er nach Hinweisbeschluss des Landgerichts (LG) Dresden zurücknahm. Das LG hatte ausgeführt, dass zwar in der Regel ein schuldhaftes Verhalten des Mieters für die Begründung des Kündigungsgrundes erforderlich sei. Dies gelte aber nicht absolut, da auch bei Schuldlosigkeit das zumutbare Maß und damit die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter überschritten sei und in der Abwägung überwiegen kann. Zwar ergebe sich aus den Wertentscheidungen des Grundgesetzes (hier: Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG) eine erhöhte Toleranzbereitschaft gegenüber nicht oder nur eingeschränkt verantwortlichen Mietern, z. B. Verschlechterung des Gesundheitszustands, Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche oder Suizidgefährdung. Aber auch wenn der Mieter aufgrund der psychischen Erkrankung nicht in der Lage sei, das Unrecht seines Handelns zu erkennen, sei hier die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter deutlich überschritten.
Mieter legte Verfassungsbeschwerde ein
Gegen das Urteil und den Beschluss legte der Mieter Verfassungsbeschwerde ein – doch ohne Erfolg. Die Beschwerde sei unzulässig, sie genüge nicht den Begründungsanforderungen, so der VerfGH. Das LG habe sich umfassend – auch – mit Grundrechten auseinandergesetzt. Eine konkrete Grundrechtsverletzung rüge der Beschwerdeführer nicht.
Quelle | VerfGH Sachsen, Urteil vom 30.8.2023, Vf. 40-IV-23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg ist der Frage nachgegangen, was der mehrdeutige Begriff „vorhandenes Barvermögen“ in einem Vermächtnis bedeutet. |
Die Parteien stritten um die Erfüllung eines Vermächtnisses und hierbei um den Begriff „Barvermögen“. In einem notariellen Testament beschwerte der Erblasser die eingesetzten Erben mit einem Vermächtnis zugunsten einer weiteren Person wie folgt: „Das bei Eintritt des Erbfalls vorhandene Barvermögen soll zu einem 1/3 Anteil an meine Tochter …, geb. am …, ausgezahlt werden“. Die Bedachte hat die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ seine gesamten liquiden Mittel, insbesondere sämtliche Guthaben bei Kreditinstituten, Wertpapiere und Bargeld im engeren Sinne verstanden. Demgegenüber haben die beschwerten Erben die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ lediglich das vorhandene Bargeld verstanden.
Barvermögen = auch unbares Geld, das sofort verfügbar ist
Das Landgericht (LG) hat sich in erster Instanz der Auffassung der Bedachten angeschlossen und die Erben verurteilt, zu zahlen. Aufgrund der gegen dieses Urteil durch die Erben eingelegten Berufung hat das OLG Oldenburg den Begriff wie folgt verstanden: Danach umfasst der Begriff des Barvermögens heutzutage das gesamte Geld, das sofort verfügbar ist, also auch über eine Kartenzahlung. Wertpapiere fallen nicht unter den Begriff des Barvermögens. Vielmehr werden Wertpapiere durch den erweiterten Begriff des Kapitalvermögens mit abgedeckt, der das Barvermögen einschließlich weiterer Kapitalwerte in Geld beschreibt.
Wertpapiere gehörten hier nicht zum Barvermögen
Nach Beweisaufnahme hat das OLG festgestellt, dass die Bedachte nicht habe nachweisen können, dass der Erblasser mit dem Begriff „Barvermögen“ das gesamte Kapitalvermögen, also auch das nicht sofort verfügbare Kapital in der Form von Genossenschaftsanteilen und Wertpapieren gemeint habe. Im Ergebnis habe der vernommene Zeuge – der beurkundende Notar – keine konkreten Aussagen zum Willen des Erblassers in Bezug auf Wertpapiere und dessen Begriffsverständnis vom Begriff „Barvermögen“ machen können.
Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 20.12.2023, 3 U 8/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) München hat entschieden: Ein Tragwerksplaner ist nur verpflichtet, den Prüfbericht des Prüfingenieurs und die diesem beigefügten Bewehrungspläne zu prüfen, wenn eine entsprechende vertragliche Vereinbarung getroffen wurde. |
Wichtige Entscheidung
Diese Aussage ist für das Tagesgeschäft der Tragwerksplanung wichtig, da es in den meisten Fällen für den Tragwerksplaner von Eigeninteresse sein dürfte, Prüfbericht und Prüfeintragungen durchzusehen. Denn der Prüfingenieur könnte ja auch eigene Mängel verhindern helfen. Schwierig wird es, wenn der Prüfingenieur eine andere Auffassung vertritt, aber dennoch kein Planungsfehler vorliegt. Dann muss man abwägen.
Das gehört nicht zuden Aufgaben eines Tragwerksplaners
Das OLG hat auch noch weitere Feststellungen getroffen: Es gehört danach nicht zu den Aufgaben eines Tragwerksplaners, geänderte Ausführungspläne des Architekten an das bauausführende Unternehmen weiterzuleiten. Dies ist ein ständiges Streitthema. Um hier Auseinandersetzungen zu vermeiden, ist es wichtig, zu Planungsbeginn eine Regelung zu treffen, wer welche Pläne an wen weiterleitet. In den meisten Fällen macht es Sinn, dass der Objektplaner hier koordinierend Regelungsvorschläge macht und dafür Sorge trägt, dass seine Pläne an die ausführenden Unternehmen weitergeleitet werden.
Schutzwürdiges Eigeninteresse erforderlich
Außerdem, so das OLG, setze ein Anspruch des Auftraggebers auf Lieferung von Plänen nach Abschluss der Bauarbeiten ein schutzwürdiges Eigeninteresse voraus. Daran fehle es, wenn der Auftraggeber das Bauwerk jahrelang ohne die verlangten Pläne nutzen und verwalten konnte. Hierdurch wird klargestellt, dass Planungsbüros im Regelfall nicht jahrelang als Planarchiv für ehemalige Auftraggeber fungieren müssen.
Quelle | OLG München, Urteil vom 16.5.2023, 9 U 1801/21 Bau
| Die ungenehmigte Nutzung eines Einfamilienwohnhauses als Monteursunterkunft darf nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Neustadt an der Weinstraße untersagt werden. |
Das war geschehen
Die Stadt Ludwigshafen hatte durch ihre Bauaufsichtsbehörde eine Ortsbesichtigung durchgeführt, die ein zur Wohnnutzung genehmigtes Einfamilienhaus betraf. Hierbei stellte sie fest, dass sich in dem Wohnraum im Erdgeschoss zwei Einzelbetten und in einem Wohnraum im Dachgeschoss vier weitere Betten befanden. Insgesamt wohnten dort sechs männliche Personen. Die Stadt untersagte daraufhin gegenüber dem Eigentümer die Nutzung des Hauses für die Zwecke einer „Monteursunterkunft“ bzw. für eine „Beherbergung“ und ordnete hierfür die sofortige Vollziehung an. Dieser legte Widerspruch ein und stellte wegen des Sofortvollzugs zudem einen Eilantrag beim VG. Der Antrag blieb hinsichtlich der Nutzungsuntersagung ohne Erfolg.
So argumentierte das Verwaltungsgericht
Nach der Landesbauordnung Rheinland-Pfalz (hier: § 81 LBauO) könne die Bauaufsichtsbehörde die Benutzung solcher Anlagen untersagen, die gegen baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften über die Errichtung, die Änderung, die Instandhaltung oder die Nutzungsänderung dieser Anlagen verstießen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden könnten.
Dies sei hier der Fall. Die von der Stadt ausgesprochene Nutzungsuntersagungsverfügung sei nicht zu beanstanden, da die tatsächliche Nutzung des Einfamilienhauses als Monteursunterkunft oder sonst als Beherbergungsbetrieb weder genehmigt noch genehmigungsfrei sei. Vorliegend sei nämlich von einer tatsächlich nicht Wohnzwecken dienenden Nutzung des Einfamilienwohnhauses auszugehen.
Definition der „Wohnnutzung“
Eine Wohnnutzung zeichne sich durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts aus. Dies setze bestimmte Ausstattungsmerkmale des Gebäudes voraus. Erforderlich seien insbesondere eine Küche bzw. Kochgelegenheit sowie Toiletten und Waschgelegenheiten, die auch in Gestalt von Gemeinschaftseinrichtungen zur Verfügung stehen könnten.
Der Begriff des Wohnens verlange zudem, dass Aufenthalts- und private Rückzugsräume vorhanden seien, die eine Eigengestaltung des häuslichen Wirkungskreises erst ermöglichten. Auch Wohnheime – etwa Studentenwohnheime – könnten daher als Wohngebäude einzustufen sein, wenn sie nach ihrer Zweckbestimmung und Ausstattung Wohnbedürfnisse erfüllen könnten und sollten. Die Grenzen des Wohnens seien allerdings überschritten, wenn das Gebäude – wie im Fall einer Unterkunft für Monteure – aufgrund seiner spartanischen Ausstattung lediglich als Schlafstätte diene und auch einfache Wohnbedürfnisse nicht befriedige. Dabei spiele zudem die Wohndichte eine Rolle. Der Umstand, dass sich zwei Bewohner einen Schlafraum teilten, spreche zwar nicht zwingend gegen eine Wohnnutzung im Rechtssinne; die dadurch bewirkte Einschränkung der Privatsphäre schließe aber unter Berücksichtigung der hierzulande üblichen Wohnstandards die Annahme einer Wohnnutzung jedenfalls dann regelmäßig aus, wenn zwischen den Bewohnern keine persönliche Bindung bestehe bzw. sich diese Bindung in dem gemeinsamen Interesse an einer möglichst kostengünstigen Unterbringung erschöpfe.
Mindestanforderungen der Wohnnutzung waren zwar erfüllt...
Zwar verfüge das Wohnhaus hier mit zwei Toiletten und einer Küche über die für eine Wohnnutzung erforderlichen Mindestanforderungen. Alle Räume seien aber sehr spartanisch lediglich mit Betten und Schreibtischen eingerichtet.
... Bewohner lebten aber „aus dem Koffer“
Die Bewohner lebten augenscheinlich „aus dem Koffer“, Kleiderschränke oder auch sonstiger Stauraum seien nicht vorhanden. Zudem spreche das Vorbringen des Antragstellers im Eilverfahren, wonach die Bewohner allesamt unter der Woche als Monteure an weit entfernten Orten beschäftigt seien und lediglich am Wochenende oder im Urlaub in dem Haus verweilten, erheblich dafür, dass der Zweck des Zusammenlebens nicht über das Interesse an einer günstigen Unterkunft hinausgehe und tatsächlich kein Interesse an einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit bestehe, sondern das Haus lediglich als Schlafplatz zwischen den Arbeitsaufträgen diene. Insbesondere wegen der Unterbringung in Mehrbettzimmern und des vollständigen Fehlens von Aufenthaltsräumen sei nicht ersichtlich, dass die Unterkunft über den Nutzen als Schlafstätte hinaus Wohnbedürfnisse befriedige.
Quelle | VG Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 4.1.2024, 4 L 1213/23.NW, PM 2/24
| Eine Vorschlagsliste für die Betriebsratswahl, die in ihrem Kennwort ein „Smiley-Symbol“ enthält, ist ungültig. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln in einem Wahlanfechtungsverfahren entschieden. |
Betriebsratswahl angefochten
Fünf Arbeitnehmer eines weltweit tätigen Logistikunternehmens mit einem Betrieb am Flughafen Köln/Bonn und einer weiteren Betriebsstätte im benachbarten Troisdorf hatten die Wahl des 25-köpfigen Betriebsrats angefochten und dies u. a. damit begründet, dass der Wahlvorstand ihren Wahlvorschlag zu Unrecht wegen des verwendeten Listenkennworts zurückgewiesen und stattdessen mit den Familien- und Vornamen der beiden in der Liste an erster Stelle benannten Wahlbewerbern versehen habe.
Die Arbeitnehmer hatten beim Wahlvorstand zunächst einen Wahlvorschlag mit dem Kennwort ,,fair.die“ eingereicht. Nachdem der Wahlvorstand den Vorschlag wegen einer phonetischen Verwechslungsgefahr mit der Gewerkschaft ver.di zurückgewiesen hatte, teilten die Arbeitnehmer mit, dass ihr Wahlvorschlag das Kennwort „FAIR“ (mit dem zusätzlichen „Smiley-Symbol“) die Liste“ tragen solle.
Dieses Kennwort sowie drei weitere Alternativvorschläge, die ebenfalls einen „Smiley“ enthielten, lehnte der Wahlvorstand wiederum ab.
Landesarbeitsgericht: Bildzeichen unzulässig
Wie das LAG entschieden hat, ist ein Bildzeichen als Bestandteil eines Kennworts unzulässig, wenn es wie das „Smiley“ lediglich einen Stimmungs- oder Gefühlszustand ausdrückt, keine eindeutige Wortersatzfunktion hat und demgemäß üblicherweise nicht mit ausgesprochen wird. Zudem hätte auch bei dem oben genannten Kennwort eine Verwechslungsgefahr bestanden, da es lautsprachlich wie „ver.di-Liste“ klingt.
Zudem hat das LAG die Betriebsratswahl für unwirksam erklärt, weil der Wahlvorstand für die Betriebsstätte Troisdorf trotz ihrer räumlichen Nähe zum Hauptbetrieb unzulässigerweise die generelle Briefwahl angeordnet hatte.
Quelle | LAG Köln, Beschluss vom 1.12.2023, 9 TaBV 3/23, PM 13/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat den koordinierten Beschäftigtentausch als Sparmodell für Sozialversicherungsbeiträge für unzulässig erklärt. |
Darum ging es
Ausgangspunkt war die Klage eines niedersächsischen Obstbauern, der einen Betrieb für Apfelanbau führt und an einem weiteren Betrieb für Erdbeeranbau beteiligt ist. Seine Erntehelfer beschäftigt er formal ganzjährig im Apfelanbau. Sie erhalten dort einen festen Monatslohn auf Basis eines Jahresarbeitsstundensolls. In der Zeit von Mai bis Juli wurden die Helfer jedoch im Erdbeerbetrieb eingesetzt. Auf den Lohn dieser Arbeit zahlte der Bauer keine Sozialversicherungsbeiträge, da er die Arbeit als zeitgeringfügige Aushilfstätigkeit betrachtete. Während der Apfelernte im Herbst verfuhr er bei jeweils wechselnder Arbeitsfreistellung mit den Beschäftigten des Erdbeerbetriebs in ähnlicher Weise.
Kurzzeitige Saisonaushilfen oder berufsmäßige Beschäftigte?
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) kam nach einer Betriebsprüfung zu dem Ergebnis, dass die Mitarbeiter nicht nur kurzzeitige Saisonaushilfen seien, sondern berufsmäßig Beschäftigte, für die rd. 58.000 Euro Sozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten seien.
Bauer reklamierte für sich „angepasste Gestaltung“
Hiergegen klagte der Bauer und meinte, dass in rechtlich selbstständigen Betrieben eine Arbeitnehmertätigkeit im Hauptberuf und eine kurzzeitige Beschäftigung bei einem weiteren Arbeitnehmer möglich und erlaubt sei. Steigende Preise und politische Unsicherheiten würden eine angepasste Gestaltung notwendig machen.
Landessozialgericht spricht Klartext
Das LSG hat die Rechtsauffassung der DRV bestätigt. Zur Begründung hat es auf die Berufsmäßigkeit der Helfer abgestellt, die eine Beitragspflicht für die gesamte Tätigkeit auslöse. Das praktizierte Modell verfolge zielgerichtet das Bestreben, über wechselseitige betriebliche Absprachen und mittels langfristig geplanter und aufeinander abgestimmter organisatorischer und vertraglicher Maßnahmen rund ein Drittel des Jahreseinkommens der Arbeitskräfte der Beitragspflicht zur gesetzlichen Sozialversicherung zu entziehen. Die Gefahr der Altersarmut aufseiten der Erntehelfer sei von den Arbeitgebern sehenden Auges hingenommen worden. Die sozialrechtlichen Vorgaben ließen keinen Raum für eine entsprechende Beitragsverkürzung.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.12.2023, L 2 BA 59/23, PM vom 5.2.2024
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung eines Schwerbehinderten in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses diskriminierend im Sinne des Sozialgesetzbuchs IX (hier: § 164 Abs. 2 SGB IX) ist. Sie kann damit unwirksam sein, wenn der Arbeitgeber das Präventionsverfahren nach dem Sozialgesetzbuch (§ 167 Abs. 1 SGB IX) nicht durchgeführt hat. |
Der mit einem Grad der Behinderung von 80 schwerbehinderte Kläger ist seit dem 1.1.2023 bei der beklagten Kommune als „Beschäftigter im Bauhof“ beschäftigt. Der Kläger wurde zwischen dem 2.1. und 14.4.2023 in verschiedenen Kolonnen des Bauhofs eingesetzt und war ab Ende Mai arbeitsunfähig. Am 22.6.2023 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 31.7.2023.
Das ArbG hat entschieden: Die Kündigung verstößt gegen das Diskriminierungsverbot des § 164 Abs. 2 SGB IX und ist damit unwirksam. Der Arbeitgeber sei – entgegen bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) – auch während der Wartezeit gemäß Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 Abs. 1 KSchG) verpflichtet, das o. g. Präventionsverfahren durchzuführen.
§ 167 Abs. 1 SGB IX regelt, dass möglichst frühzeitig als Präventionsmaßnahme die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt einzuschalten sind, wenn Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis eintreten, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können. Dies habe die Arbeitgeberin hier nicht getan. Sie hätte, als sie bemerkte, dass der schwerbehinderte Kläger sich während der Wartezeit – wie sie vorträgt – nicht bewährte bzw. sich nicht ins Team einfügte und ihren Erwartungen nicht entsprach, Präventionsmaßnahmen ergreifen und gegebenenfalls die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt präventiv einschalten müssen.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 20.12.2023, 18 Ca 3954/23, PM 2/24
| Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch verpflichtet. Das Sozialrecht (hier: § 165 S. 3 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX)) sieht die grundsätzliche Einladungspflicht nur für öffentliche Arbeitgeber vor. Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist kein öffentlicher Arbeitgeber. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Schwerbehinderten nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen
Der schwerbehinderte Kläger hatte sich um eine Stelle in der Verwaltung eines Kirchenkreises der Evangelischen Kirche im Rheinland beworben. Trotz Offenlegung seiner Schwerbehinderung wurde er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Seine Bewerbung blieb erfolglos.
Lag Diskriminierung vor?
Nach Ansicht des Klägers wurde er im Auswahlverfahren wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Dies indiziere die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Hierzu sei der Kirchenkreis nach der o. g. Vorschrift verpflichtet gewesen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts gelte er als öffentlicher Arbeitgeber. Mit seiner Klage hat der Kläger deshalb die Zahlung einer Entschädigung verlangt. Der beklagte Kirchenkreis hat dies abgelehnt. Er sei kein öffentlicher Arbeitgeber. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Bundesarbeitsgericht spricht Klartext
Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung dargelegt.
Eine solche kann nicht aufgrund der unterbliebenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch vermutet werden. Hierzu war der beklagte Kirchenkreis nicht verpflichtet. Die Einladungspflicht besteht zwar u. a. für Körperschaften des öffentlichen Rechts. Dies betrifft aber nach dem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Begriffsverständnis nur Körperschaften, die staatliche Aufgaben wahrnehmen. Kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts dienen demgegenüber primär der Erfüllung kirchlicher Aufgaben. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts soll dabei die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgesellschaft unterstützen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Einladungspflicht auf kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts erstrecken wollte. Insoweit stehen sie den ebenfalls staatsfernen privaten Arbeitgebern gleich.
Quelle | BAG, Urteil vom 25.1.2024, 8 AZ R 318/22, PM 2/24
| Bereits im Juli 2023 hatte das Bundesfinanzministerium (BMF) einen Referentenentwurf für ein milliardenschweres Wachstumschancengesetz vorgelegt. Das Ziel: Eine Verabschiedung im Jahr 2023. Bekanntlich wurde daraus nichts. Vielmehr kam das Gesetzgebungsverfahren einem „Possenspiel“ gleich, das durch die Zustimmung des Bundesrats am 22.3.2024 und der Gesetzesverkündung am 27.3.2024 nun beendet ist. |
Das verabschiedete Gesetz enthält im Vergleich zum ursprünglichen Referenten- und Regierungsentwurf viele Änderungen. So wurde u. a. das Entlastungsvolumen reduziert und die Klimaschutz-Investitionsprämie gestrichen.
Zudem wurden zeitkritische Regelungen bereits Ende 2023 durch das Kreditzweitmarktförderungsgesetz umgesetzt, z. B. die Beseitigung von Unsicherheiten bei der Grunderwerbsteuer aufgrund des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts sowie Anpassungen bei der Zinsschrankenregelung.
Dennoch enthält das Gesetzespaket weiterhin zahlreiche Änderungen bzw. Neuregelungen, die im Folgenden auszugsweise vorgestellt werden:
Degressive Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter
Bei beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die nach dem 31.12.2019 und vor dem 1.1.2023 angeschafft oder hergestellt wurden, kann der Steuerpflichtige statt der linearen eine degressive Abschreibung von 25 % (höchstens das 2,5-Fache der linearen Abschreibung) wählen.
Die als Investitionsanreiz gedachte degressive Abschreibung wurde nun wieder eingeführt – und zwar erneut befristet für Anschaffungen oder Herstellungen nach dem 31.3.2024 und vor dem 1.1.2025. Der Abschreibungssatz wurde auf 20 % (höchstens das 2-Fache der linearen Abschreibung) reduziert.
E-Fahrzeuge/Firmenwagen
Die Besteuerung eines Firmenwagens (außerdienstliche Nutzung) kann reduziert werden, indem kein Verbrenner, sondern ein Elektrofahrzeug gewählt wird. Denn hier ist nur ein Viertel des Bruttolistenpreises anzusetzen, wenn der Höchstbetrag von 60.000 Euro eingehalten wird. Dieser wurde für nach dem 31.12.2023 angeschaffte Fahrzeuge auf 70.000 Euro erhöht.
Geschenkegrenze
Geschenke an Geschäftspartner und Kunden sind nur dann steuermindernde Betriebsausgaben, wenn eine Grenze eingehalten wird. Diese wurde für nach dem 31.12.2023 beginnende Wirtschaftsjahre von 35 Euro auf 50 Euro erhöht.
Verlustvortrag
Nach der Regelung des § 10 d Abs. 2 EStG ist ein Verlustvortrag bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1 Mio. Euro (bei Zusammenveranlagung: 2 Mio. Euro) unbeschränkt, darüber hinaus bis zu 60 % des 1 Mio. bzw. 2 Mio. Euro übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte möglich. Ab dem Veranlagungszeitraum 2024 gelten anstelle der 60 % dann 70 % (ab 2028 sind wieder 60 % relevant).
Thesaurierungsbegünstigung
Für bilanzierende Einzel- und Personenunternehmen sieht § 34 a EStG eine steuerliche Begünstigung für nicht entnommene Gewinne vor, die (langfristig) im Unternehmen verbleiben sollen. Da von dieser Begünstigung (nicht zuletzt infolge der Komplexität) bis dato eher selten Gebrauch gemacht wurde, hat der Gesetzgeber § 34 a EStG mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2024 „reformiert“. Ob die Änderungen zu einer höheren „Nachfrage“ bzw. Nutzung führen, bleibt aber abzuwarten.
Option zur Körperschaftsbesteuerung
Nach § 1 a des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) können Personenhandels- und Partnerschaftsgesellschaften im ertragsteuerlichen Bereich wie Körperschaften behandelt werden. Durch einige Änderungen (z. B. können nun auch eingetragene GbRs optieren) soll die Option attraktiver werden.
Elektronische Rechnung
Im Bereich der Umsatzsteuer stellt die Einführung der obligatorischen elektronischen Rechnung für Umsätze zwischen inländischen Unternehmen (B2B) sicherlich die relevanteste Änderung dar.
Die Neuregelung tritt bereits am 1.1.2025 in Kraft. Da die Umsetzung aber einige Zeit beanspruchen wird, können nach den Vorgaben des § 27 Umsatzsteuergesetz (UStG) Übergangsregelungen genutzt werden. Der allgemeine Übergangszeitraum beträgt zwei Jahre (Pflicht somit ab 2027); drei Jahre gelten für Unternehmer mit einem Gesamtumsatz von bis zu 800.000 Euro im Jahr 2026.
Bürokratieabbau bei der Umsatzsteuer
Unter gewissen Voraussetzungen kann die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten (Ist-Besteuerung) berechnet werden, was einen Liquiditätsvorteil ermöglicht. Die relevante Vorjahresumsatzgrenze wurde von 600.000 Euro auf 800.000 Euro erhöht (gilt ab dem Besteuerungszeitraum 2024).
Die Grenze, ab der Unternehmer von der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung befreit werden können, wurde angehoben – und zwar von 1.000 Euro auf 2.000 Euro (gilt ab dem Besteuerungszeitraum 2025).
Grundsätzlich sind Kleinunternehmer (§ 19 UStG) von der Abgabe einer Umsatzsteuererklärung (Nullmeldung) ab dem Besteuerungszeitraum 2024 befreit.
Anhebung von Buchführungsgrenzen
Überschreiten gewerbliche Unternehmer gewisse Buchführungsgrenzen, können sie ihren Gewinn nicht mehr mittels Einnahmen-Überschussrechnung ermitteln, sondern sind zur Bilanzierung verpflichtet. Die in § 141 der Abgabenordnung geregelten Grenzen wurden von 600.000 Euro auf 800.000 Euro (Umsatz) und von 60.000 Euro auf 80.000 Euro (Gewinn) erhöht. Dies gilt für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2023 beginnen (mit Übergangsregelung).
Auch die Buchführungsgrenzen in § 241 a Handelsgesetzbuch (HGB) wurden auf 800.000 Euro (Umsatzerlöse) bzw. 80.000 Euro (Jahresüberschuss) erhöht.
Quelle | Wachstumschancengesetz, BGBl I 2024, Nr. 108
| Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat entschieden: Die von der Stadt Fulda verfügte Schließung von ohne Personal betriebenen Verkaufsmodulen an Sonn- und Feiertagen hat Bestand. |
Das war geschehen
Die Antragstellerin und Inhaberin einer Supermarktkette betreibt im Gebiet der Stadt Fulda Verkaufsmodule, die an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr geöffnet sind und zu denen die Kunden nach einer digitalen Kontrolle Zugang erhalten. Angeboten werden dort Waren des täglichen Bedarfs, die digital bezahlt werden. An Sonn- und Feiertagen wird in diesen Verkaufsmodulen kein Personal eingesetzt.
Die Stadt Fulda hatte gegenüber der Antragstellerin mit sofortiger Wirkung verfügt, die im Stadtgebiet aufgestellten Verkaufsmodule insbesondere an Sonn- und Feiertagen zu schließen. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit einem gerichtlichen Eilantrag, den das Verwaltungsgericht (VG) Kassel ablehnte.
So sieht es der Verwaltungsgerichtshof
Der VGH hat die Entscheidung des VG bestätigt und sich hierbei maßgebend auf die Bestimmungen des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes gestützt. Nach § 3 Abs. 2 dieses Gesetzes müssen Verkaufsstellen unter anderem an Sonn- und Feiertagen für den geschäftlichen Verkehr mit Kundinnen und Kunden geschlossen sein. Verkaufsstellen sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes Ladengeschäfte aller Art, falls in ihnen von einer festen Stelle aus ständig Waren zum Verkauf an jedermann „feilgehalten“ werden.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat der VGH im Wesentlichen ausgeführt, das VG sei zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständlichen Verkaufsmodule Verkaufsstellen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes seien. Das „Feilhalten“ von Waren im Sinne dieser Vorschrift setze nach der gesetzlichen Definition dieses Begriffs keinen persönlichen Kontakt mit einem Verkäufer voraus. Es mache für das „Feilhalten“ von Waren keinen Unterschied, ob der Kunde die begehrte Ware aus einem Automaten oder aus einem Verkaufsregal bzw. von einem Verkaufstisch an sich nehme; der Verkaufsvorgang setze in beiden Fällen ein aktives Handeln des Kunden voraus, dem nicht zwangsläufig ein aktives Tun des Verkäufers gegenüberstehe. Richtig sei zwar das von der Antragstellerin vorgetragene Argument, dass bei einem Verzicht auf den Einsatz von Verkaufspersonal das dem Ladenschlussrecht zugrunde liegende Ziel des Arbeitnehmerschutzes erreicht werde.
Das Hessische Ladenöffnungsgesetz diene allerdings nicht allein dem Arbeitnehmerschutz, sondern auch dem Ziel, die Sonntage und staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erholung zu schützen. Es bestehe auch keine Vergleichbarkeit zwischen dem Einkauf in den streitgegenständlichen Verkaufsmodulen und den auch sonn- und feiertags durchgängig möglichen Onlinebestellungen. Insbesondere habe der Onlinebestellvorgang keinerlei Außenwirkungen und sei daher nicht geeignet, die Sonn- und Feiertagsruhe der übrigen Bevölkerung zu beeinträchtigen.
Der Beschluss ist im verwaltungsgerichtlichen Instanzenzug nicht anfechtbar.
Quelle | VGH Kassel, Beschluss vom 22.12.2023, 8 B 77/22, PM 1/24
| Mehraufwendungen für einen behindertengerechten Um- oder Neubau eines Hauses oder einer Wohnung sind grundsätzlich als außergewöhnliche Belastung abziehbar. Dies gilt auch für eine dadurch ausgelöste Mieterhöhung. Aber: Ein Abzug ist nur zulässig, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Das hat das Finanzgericht (FG) München entschieden. |
Im Streitfall des FG München ging es um die umbaubedingte Erhöhung einer jährlichen Miete, die durch die Errichtung eines behindertengerechten Verbindungsbaus mit Pflegebad zwischen zwei Einfamilienhäusern veranlasst war.
Der Höhe nach hat das FG eine Begrenzung der Abzugsfähigkeit der Aufwendungen gesehen – und zwar im Hinblick darauf, dass es zu den durchgeführten Umbaumaßnahmen eine kostengünstigere Alternative gegeben hätte, die der Behinderung in gleicher Weise Rechnung getragen hätte.
Beachten Sie | Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Revision zugelassen. Er kann nun klären, ob dem Steuerpflichtigen bei der Beurteilung, ob Aufwendungen notwendig und angemessen sind, ein Ermessensspielraum einzuräumen ist. Bis dahin können geeignete Fälle durch einen Einspruch offengehalten werden.
Quelle | FG München, Urteil vom 27.10.2022, 10 K 3292/18, Rev. BFH: VI R 15/23
| Das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg musste jüngst über einen „Wohn-Riester-Fall“ entscheiden. Hierbei ging es um einen Ehemann, der von seiner verstorbenen Frau deren Wohnung und den Darlehensvertrag geerbt hatte. Das Darlehen wollte er tilgen. Deshalb begehrte er, die Entnahme von gefördertem Kapital zur wohnungswirtschaftlichen Verwendung aus einem Altersvorsorgevermögen (gemäß § 92 b Abs. 1 S. 3 Einkommensteuergesetz [EStG]) zu bewilligen. Soviel vorab: Die Entscheidung ging zugunsten des Steuerpflichtigen aus. |
Hintergrund: Durch die sogenannte Riester-Rente sollen mögliche Versorgungslücken im Alter zumindest teilweise aufgefangen werden. Dies geschieht durch den Aufbau einer kapitalgedeckten Versorgung.
Staatlich gefördert wird aber auch der „Wohn-Riester“, eine Variante des Bausparens, bei der Anleger aus dem Vertrag Kapital für den Kauf oder Bau einer Wohnung erhalten. Sie können den „Wohn-Riester“ aber auch nutzen, um ein Immobilien-Darlehen abzutragen.
Das war geschehen
Ein Ehemann erbte als Alleinerbe von seiner Ehefrau eine durch die Ehefrau errichtete und mit dieser gemeinsam bewohnte Wohnung sowie das durch die Ehefrau zur Finanzierung der Wohnung aufgenommene Darlehen. Zur Tilgung des Darlehens begehrte der Ehemann die Bewilligung der Entnahme von gefördertem Kapital zur wohnungswirtschaftlichen Verwendung aus einem Altersvorsorgevermögen.
Ehemann hatte die Wohnung nicht angeschafft, sondern geerbt
Dies wurde ihm allerdings versagt und zwar mit folgender Begründung: Ein nach dem EStG (§ 92 a Abs. 1 S. 1 Nr. 1) für die wohnungswirtschaftliche Verwendung erforderlicher entgeltlicher Anschaffungsvorgang liege in der Person des Ehemanns nicht vor, da er die Wohnung unentgeltlich im Wege der Erbfolge erworben habe. Dies sah der Ehemann aber anders und klagte. Eine gute Entscheidung, denn das FG Berlin-Brandenburg schloss sich seiner Ansicht an.
Ehemann übernahm Tilgung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge
Die Übernahme eines Darlehens als Nachlassverbindlichkeit begründet zwar keine entgeltliche Anschaffung der finanzierten Wohnung durch den Erben. Allerdings ist die Tilgungsvariante gemäß EStG so auszulegen, dass diese auch in Fällen gilt, in denen ein Erbe ein zur Anschaffung oder Herstellung begünstigten Wohnraums aufgenommenes Darlehen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übernimmt.
Der Wortlaut des o. g. Paragrafen im EStG verlangt zwar die Verwendung des Altersvorsorge-Eigenheimbetrags zur Tilgung eines zu diesem Zweck (also zur Anschaffung oder Herstellung) aufgenommenen Darlehens. Jedoch tritt der Gesamtrechtsnachfolger in die Rechtsstellung des Erblassers dergestalt ein, dass ihm die Anschaffung bzw. Herstellung durch den Erblasser zuzurechnen ist.
Mithin besteht eine ununterbrochene Kausalität zwischen der Tilgung des Darlehens und dem ursprünglich für die Anschaffung oder Herstellung aufgewandten Darlehen.
Bundesfinanzhof muss entscheiden
Die Deutsche Rentenversicherung Bund Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen gibt sich mit dem Urteil nicht zufrieden und hat Revision beim Bundesfinanzhof (BFH) eingelegt.
Quelle | FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.12.2023, 15 K 15045/23, Rev. BFH: X R 2/24
| Beim Berliner Testament setzen sich Ehegatten für den ersten Erbfall gegenseitig als Alleinerben ein und bestimmen die Kinder als Schlusserben (z. B. zu gleichen Teilen). Ziel ist die gerechte Verteilung des Nachlasses zwischen den Kindern, aber zunächst die Versorgung des überlebenden Ehegatten. Die Kinder können das Konstrukt jedoch dadurch aus den Angeln heben, dass sie beim Tod des Erstversterbenden ihre Pflichtteilsansprüche geltend machen. Um dies zu verhindern, kann eine Strafklausel aufgenommen werden, z. B. die sog. Jastrowsche Klausel. Über einen solchen Fall musste nun der Bundesfinanzhof (BFH) entscheiden. Das Urteil zeigt, dass derartige Regelungen zumindest aus erbschaftsteuerlicher Sicht nachteilig sein können. |
Das war geschehen
Die Eltern der Klägerin setzten sich gegenseitig als Alleinerben ein, wobei der überlebende Ehegatte über den Nachlass und sein eigenes Vermögen frei verfügen konnte. Als Erben des überlebenden Ehegatten setzten die Eheleute die Klägerin und drei ihrer Schwestern ein. Ein Bruder und eine weitere Schwester wurden enterbt.
Zudem enthielt das Berliner Testament eine Jastrowsche Klausel. Diese regelte, dass für den Fall, dass eines der Kinder nach dem Tod des zuerst sterbenden Elternteils den Pflichtteil verlangt, dieses Kind auch vom Nachlass des zuletzt sterbenden Elternteils nur den Pflichtteil erhalten soll. Diejenigen Erben, die den Pflichtteil beim Tod des Erstverstorbenen nicht fordern, sollten bei Tod des länger lebenden Ehegatten aus dem Nachlass des Erstverstorbenen ein erst beim Tod des länger lebenden Ehegatten fälliges Vermächtnis in Höhe des Pflichtteils erhalten.
Geschwister machten Pflichtteil geltend
Die enterbten Geschwister der Klägerin machten nach dem Tod des erstverstorbenen Vaters ihren Pflichtteil geltend. Die Klägerin erwarb daher beim Tod des Vaters ein entsprechendes Vermächtnis, das mit dem Tod der Mutter fällig wurde.
Nachdem auch die Mutter verstorben war, setzte das Finanzamt gegenüber der Klägerin Erbschaftsteuer für den Erwerb nach der Mutter fest. Das Vermächtnis rechnete es weder dem Erwerb hinzu noch wurde es als Nachlassverbindlichkeit abgezogen. Die Klägerin war hingegen der Ansicht, das Vermächtnis sei bei ihr doppelt hinzugerechnet worden und deshalb als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig. Dies sah der BFH aber anders.
Vermächtnis nach Tod des Vaters entstanden, aber erst nach dem Tod der Mutter fällig
Der Wert des Vermächtnisses wurde zunächst einmal besteuert, nämlich nach dem Tod des Vaters bei der Mutter als dessen Alleinerbin. Da das Vermächtnis zwar damals bereits entstanden war, aber erst bei dem Tod der Mutter fällig wurde, ging der Nachlass des Vaters ungeschmälert (einschließlich des Vermögens, aus dem das Vermächtnis zu erfüllen war) auf die Mutter über. Die Mutter konnte die Vermächtnisverbindlichkeit bei ihrem Erbe nicht abziehen, weil sie diese Schuld mangels Fälligkeit nicht zu begleichen hatte.
Nach dem Tod der Mutter musste die Klägerin das jetzt fällig gewordene Vermächtnis versteuern.
Als Schlusserbin unterlag bei ihr außerdem der Nachlass nach der Mutter der Erbschaftsteuer. Dort konnte sie die dann fällig gewordene Vermächtnisverbindlichkeit als Nachlassverbindlichkeit abziehen. Das Vermächtnis unterlag bei der Klägerin daher nur einmal der Besteuerung.
Dass hinsichtlich des betagten Vermächtnisses im Ergebnis zweimal Erbschaftsteuer entsteht – einmal (ohne Abzugsmöglichkeit als Nachlassverbindlichkeit) bei der Mutter nach dem Tod des Vaters und ein weiteres Mal bei der Klägerin nach dem Tod der Mutter – ist zwar ungünstig, aus rechtlicher Sicht aber nicht zu beanstanden. Es liegt, so der BFH, an der Jastrowschen Klausel, die das Vermächtnis zwar bei Tod des Erstverstorbenen anfallen, aber erst bei Tod des länger lebenden Ehegatten fällig werden lässt.
Beachten Sie | Wer also ein Berliner Testament aufsetzen möchte, sollte nicht nur die zivilrechtlichen Aspekte, sondern auch die erbschaftsteuerlichen Folgen bedenken.
Quelle | BFH-Urteil vom 11.10.2023, II R 34/20, PM 11/24 vom 27.2.2024
| Das Landgericht (LG) Frankenthal hat die gegen eine Gemeinde gerichtete Schadenersatzklage eines Rennradfahrers abgewiesen, der auf einem Radweg aufgrund von Wurzelschäden gestürzt war. Ein Radfahrer müsse seine Fahrweise so einrichten, dass er sichtbare Hindernisse auf einem Radweg rechtzeitig wahrnehmen und vor ihnen anhalten kann, so das LG. |
Grundsätze der Verkehrssicherungspflicht
Grundsätzlich muss der, der eine Gefahrenquelle (z. B. eine aus dem Boden ragende Baumwurzel) schafft oder eine solche andauern lässt, notwendige und zumutbare Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer zu verhindern (sog. „Verkehrssicherungspflicht“). Er muss Gefahren ausräumen oder vor ihnen warnen.
Ausnahmen von der Verkehrssicherungspflicht
Dies gilt jedoch nur, soweit sie für andere trotz aufmerksamen Verhaltens im Straßenverkehr nicht erkennbar oder nicht beherrschbar sind. Die Anforderungen an die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht für einen Radweg bemessen sich an einem normalen Radfahrer mit einer üblichen Geschwindigkeit.
Rennradfahrer muss besonders vorsichtig sein
Ein Rennradfahrer muss von sich aus besonders vorsichtig fahren, da er mit seinen dünnen Reifen bei Unebenheiten im Boden besonders gefährdet ist. Vorliegend seien die Wurzelschäden nach Ansicht der Kammer gut und rechtzeitig erkennbar gewesen.
Wurzelschäden waren sichtbar
Das LG: Der Wegabschnitt habe auch an anderen Stellen Unebenheiten, wie Bodenschwellen, Risse oder eben Wurzelschäden aufgewiesen, sodass Schäden auch an der Unfallstelle nicht überraschend gewesen sein könnten. Ein konzentrierter Radfahrer hätte sein Fahrverhalten an die vorgefundenen Hindernisse anpassen können und müssen. Aufgrund der ausreichenden Erkennbarkeit der Wurzelschäden sei auch eine Warnung bspw. durch ein Hinweisschild nicht erforderlich gewesen.
Auch ein unter Umständen störendes Licht- und Schattenspiel auf dem Radweg wegen eines ungünstigen Sonnenstands, weswegen der Rennradfahrer das Hindernis nicht erkannt haben will, ändere daran nichts. Auf witterungsbedingte Umstände müsse sich ein Radfahrer einstellen und dementsprechend noch vorsichtiger fahren.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 31.8.2023, 3 O 71/22, PM vom 29.12.2023
| Eine Einbahnstraße darf nur in vorgeschriebener Fahrtrichtung befahren werden. Verboten ist auch das Rückwärtsfahren entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung. Lediglich (unmittelbares) Rückwärtseinparken („Rangieren“) ist – ebenso wie Rückwärtseinfahren aus einem Grundstück auf die Straße – kein unzulässiges Rückwärtsfahren auf Richtungsfahrbahnen gegen die Fahrtrichtung. So stellte es der BGH jetzt fest. |
Demgegenüber ist Rückwärtsfahren auch unzulässig, wenn es dazu dient, erst zu einer (freien oder frei werdenden) Parklücke zu gelangen. Entsprechendes gilt, wenn das Rückwärtsfahren dazu dient, einem Fahrzeug die Ausfahrt aus einer Parklücke zu ermöglichen, um anschließend selbst in diese einfahren zu können.
Der Unfall ereignete sich, als der eine Verkehrsteilnehmer rückwärts aus einer Grundstücksausfahrt in die Einbahnstraße einfuhr, während der andere unzulässig die Einbahnstraße rückwärts befuhr. Der Anscheinsbeweis, dass der, der rückwärts aus einer Grundstücksausfahrt fährt, seinen Sorgfaltspflichten nicht genügt habe, wenn es dabei zu einer Kollision kommt, ist nicht anzuwenden. Denn das verbotene Rückwärtsfahren des Unfallgegners hebt das „typische Geschehen“ auf, das für die Anwendung eines Anscheinsbeweis nötig ist. Der Ausfahrt-Ausfahrer muss grundsätzlich nicht mit einem verbotswidrig die Einbahnstraße rückwärts befahrenden Verkehrsteilnehmer rechnen.
Quelle | BGH, Urteil vom 10.10.2023, VI ZR 287/22
| Wird ein Schüler von einer Klassenfahrt ausgeschlossen, weil er dort unzulässigerweise Alkohol erworben hat, können Erziehungsberechtigte zu den Mehrkosten der verfrühten Rückreise heranzogen werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin entschieden. |
Im Juni 2022 fand eine Klassenfahrt einer 10. Klasse eines Gymnasiums nach München statt. Zuvor hatte sich die Beklagte, Mutter eines minderjährigen Schülers, schriftlich verpflichtet, die Kosten einschließlich etwaiger Zusatzkosten bei vorzeitiger Heimreise zu tragen. Während der Fahrt kauften insgesamt sieben Schüler, darunter der Sohn der Beklagten, zwei Wodkaflaschen, woraufhin sie von der Fahrt ausgeschlossen wurden. Die Beklagte zahlte die hierdurch entstandenen Mehrkosten von 143,60 Euro nicht, woraufhin das Land Berlin sie auf Zahlung verklagte.
Die Klage hatte Erfolg. Der Anspruch auf Kostenerstattung ergebe sich aus dem öffentlich-rechtlichen Vertrag, den die Beteiligten miteinander geschlossen hätten. Dieser Vertrag sei wirksam zustande gekommen. Der Ausschluss sei als Ordnungsmaßnahme nach dem Berliner Schulgesetz ergangen und von der Beklagten nicht angegriffen worden, wodurch die vereinbarte Kostenfolge entstanden sei. Die Forderung einschließlich der geltend gemachten Zinsen sei schließlich der Höhe nach nicht zu beanstanden.
Der Gerichtsbescheid ist rechtskräftig.
Quelle | VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 15.11.2023, VG 3 K191/23, PM 2/24
| Das Landgericht (LG) Frankenthal hat die Klage eines Fahrradbesitzers gegen seine Hausratversicherung wegen eines gestohlenen Fahrrads abgewiesen. Das teure Bike war nach seinen Angaben bei einem Einbruch in den Keller seiner Zweitwohnung entwendet worden. |
Das umfasst die Außenversicherung
Das LG hat klargestellt, dass eine Außenversicherung nur Gegenstände in Zweitwohnungen umfasst, die eigentlich in der Hauptwohnung ihren Platz haben und sich nur vorübergehend außerhalb des Hauptwohnsitzes befinden. Als Erweiterung des grundsätzlich an den Versicherungsort gebundenen Versicherungsschutzes sei es dagegen nicht ihr Sinn und Zweck, Gegenstände zu versichern, die üblicherweise in der Zweitwohnung aufbewahrt werden.
Kein versicherter Hausrat
Weil der Mann sein Fahrrad hauptsächlich im Keller der Zweitwohnung abgestellt hatte und nur in mehrwöchigen Urlaubszeiten mit nach Hause nahm, gehört es nicht zum versicherten Hausrat, der tatsächlich nur vorübergehend außerhalb der Hauptwohnung verbracht worden sei, so das LG. Der Radfahrer blieb deshalb auf dem gesamten Diebstahlschaden seines knapp 5.000 Euro teuren Fahrrads sitzen.
Hausratversicherung bestand nur für die Hauptwohnung
Die Hausratversicherung verweigerte nach Auffassung der Kammer zu Recht den Versicherungsschutz, weil der Radbesitzer die Versicherung nur für seine Hauptwohnung besaß. Außerhalb dieser Hauptwohnung befindliche Sachen waren lediglich über einen sog. „Außenversicherungsschutz“ abgedeckt. Eine gesonderte Hausratversicherung für die Zweitwohnung, ein möbliertes Appartement, in dem er sich üblicherweise werktags aufhielt, hatte der Biker nicht abgeschlossen.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 29.3.2023, 3 O 236/22, PM vom 29.11.2023
| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass die operative Therapie eines grauen Stars im Ausland nicht als Notfallbehandlung zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung qualifiziert werden kann. |
Linsenoperation in türkischer Privatklinik wegen grauem Star
Geklagt hatte eine türkischstämmige Frau (geb. 1965) aus Niedersachsen, die seit dem Jahr 2015 an einem beginnenden Katarakt (grauer Star) der Augen litt. Während eines Urlaubs in der Türkei im Jahr 2019 ließ sie an beiden Augen eine Linsenoperation in einer Privatklinik durchführen. Die entstandenen Kosten von rd. 1.600 Euro wollte die Frau von ihrer Krankenkasse erstattet haben.
Die gesetzliche Krankenkasse – und die private Auslandskrankenversicherung – lehnte eine Erstattung ab. Bei vorübergehenden Auslandsaufenthalten könnten nur Notfallbehandlungen übernommen werden. Ein grauer Star sei jedoch ein schleichender Prozess und kein Notfall.
Hiergegen klagte die Frau und schilderte, dass es in der Türkei mit den Augen so schlimm geworden sei, dass sie gestürzt sei. Ihr sei schwarz vor Augen geworden und sie sei in größter Sorge gewesen, das Augenlicht zu verlieren. Es habe sich um einen Notfall gehandelt. Obwohl sie schon länger an grauem Star erkrankt sei, könne ein „plötzlich bemerkter“ Sehverlust mit einem akuten Sehverlust verwechselt werden.
Gericht bestätigt Rechtsauffassung der Krankenkasse
Das LSG hat die Rechtsauffassung der Krankenkasse bestätigt. Der Anspruch scheitere schon deshalb, weil die Klägerin sich als Privatpatientin in einer Privatklinik habe behandeln lassen. Diesbezügliche Behandlungen seien vom Leistungsumfang generell nicht umfasst.
Keine Notfallbehandlung
Unabhängig davon habe bei der Klägerin kein medizinischer Zustand vorgelegen, der während des Türkei-Urlaubs an beiden Augen aufgetreten sei und einer sofortigen Behandlung bedurft hätte. Der behandelnde Augenarzt habe einen senilen Katarakt, d. h. eine Alterserkrankung diagnostiziert. Eine plötzliche Verschlechterung mit dringender Operationsindikation habe er ausgeschlossen. Ein grauer Star sei eine Alterserkrankung, die durch ein schleichendes Fortschreiten gekennzeichnet sei und nicht durch einen plötzlichen Sehverlust im Sinne eines Notfalls.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19.12.2023, L 16 KR 196/23, PM vom 8.1.2024
| Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat den für zwei große Hunde aus dem Landkreis Günzburg angeordneten Leinenzwang bestätigt. Begründet hat es den Leinenzwang u. a. damit, dass die Hunde nach Aussagen mehrerer Betroffener frei herumlaufen würden. Die vom Kläger gegen den Leinenzwang erhobenen Klagen hatte schon das Verwaltungsgericht (VG) Augsburg abgewiesen. Hiergegen stellte der Kläger beim BayVGH Anträge auf Zulassung der Berufung. |
Das war geschehen
Der Kläger ist Halter zweier Hunde. Mit Bescheiden aus dem Monat Februar 2023 hatte die Verwaltungsgemeinschaft als örtlich zuständige Sicherheitsbehörde für die beiden Hunde einen Leinenzwang angeordnet.
Der BayVGH hat die Anträge abgelehnt und die Urteile des VG bestätigt. Gründe, die eine Zulassung der Berufung rechtfertigen würden, lägen nach Ansicht des BayVGH nicht vor. Es bestünden insbesondere keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Urteile des VG.
Gefahr durch große Hunde
Der Einwand des Klägers, die Hunde seien ungefährlich, greife nicht durch. Nach ständiger Rechtsprechung des BayVGH gehe von freilaufenden großen Hunden auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr in der Regel eine konkrete Gefahr für Eigentum und Gesundheit Dritter aus. Der Leinenzwang sei deshalb bereits allein wegen der Größe der Hunde gerechtfertigt. Grund für die Unterscheidung nach der Größe sei, dass es bei großen unangeleinten Hunden in Wohngebieten regelmäßig mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu unvorhergesehenen Reaktionen von Menschen oder Hunden und damit zu erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit kommen könne. Der Feststellung, dass es sich hier um große Hunde mit einer Schulterhöhe von mindestens 50 Zentimetern handele, habe der Kläger nicht in Zweifel gezogen.
Es gab bereits einen Beißvorfall
Ein Einschreiten sei bei einem der Hunde auch deshalb geboten gewesen, weil es im November 2022 zu einem Beißvorfall gekommen sei. Bei beiden Hunden habe somit eine konkrete und nicht bloß abstrakte Gefahr für die Gesundheit Dritter vorgelegen.
Durch die Beschlüsse des BayVGH wurden die Urteile des VG rechtskräftig.
Quelle | BayVGH, Beschlüsse vom 22.1.2024, 10 ZB 23.1558 u. a., PM vom 30.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Hannover hat jetzt klargestellt: Eine Pauschalreise kann mangelhaft sein, wenn der Reiseveranstalter in einer Hotelanlage entweder nur wenige Poolliegen zur Verfügung stellt oder nicht einschreitet, wenn andere Reisegäste Poolliegen etwa mittels eines Handtuchs längere Zeit reservieren, ohne sie tatsächlich zu nutzen. |
Das war geschehen
Der Kläger buchte für sich und seine Familie eine Pauschalreise zum Preis von insgesamt 5.260 Euro. Das gebuchte Hotel verfügte über sechs Swimmingpools und etwa 500 Poolliegen. Nach den ausgeschilderten Verhaltensregeln war es den Badegästen untersagt, Poolliegen für mehr als 30 Minuten zu reservieren, ohne sie zu nutzen. Tatsächlich war es aber so, dass Badegäste Poolliegen auch länger mit ihren Handtüchern reservierten. Leitung und Personal des Hotels unternahmen nichts dagegen. Der Kläger und seine Familie hingegen hielten sich an die vorgegebenen Verhaltensregeln. Der Kläger rügte mehrfach, dass ihm und seiner Familie deswegen keine Liegen zur Verfügung gestanden hätten. Darin sah der Kläger einen Reisemangel und forderte von dem Reiseveranstalter (der Beklagten) u. a. einen Teil des Reisepreises (798,00 Euro) zurück.
Die Beklagte war der Auffassung, dass es sich um ein friedliches Wettrennen um die begehrten Plätze am Pool mit dem besseren Ende für den sprichwörtlichen „frühen Vogel“ gehandelt habe, nicht aber um einen Reisemangel. Möglicherweise hätten sich nur der Kläger und seine Familie an die Poolregeln gehalten, obwohl sie nicht mit Sanktionen hätten rechnen müssen, wenn der Kläger abends oder seine Lebensgefährtin morgens zum Sonnenaufgang sein Handtuch auf eine Liege gelegt hätte.
Amtsgericht: Pflicht des Reiseveranstalters
Das AG hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger einen Betrag von 322,77 Euro zugesprochen. Dabei hat es angenommen, dass der Reiseveranstalter nicht gehalten ist, jedem Hotelgast eine Liege zur Verfügung zu stellen. Vielmehr müsse die Anzahl der Liegen in einem angemessenen Verhältnis zur Auslastung des Hotels und damit zur Anzahl der Hotelgäste stehen. Stünden zwar genug Liegen zur Verfügung, seien diese für den Reisenden aber faktisch nicht nutzbar, weil andere Hotelgäste entgegen den Verhaltensregeln Poolliegen mit eigenen Handtüchern reservierten, ohne sie zu nutzen, sei der Reiseveranstalter zum Einschreiten verpflichtet.
Gäste mussten nichts selbst unternehmen – Reisepreisminderung von 15 Prozent
Es sei in diesem Zusammenhang auch nicht Sache des Reisenden, selbst für Abhilfe zu sorgen, indem er entweder fremde Handtücher eigenmächtig entferne oder seinerseits entgegen den Verhaltensregeln Liegen reserviere. Dies sei unzumutbar, da Streitigkeiten mit anderen Hotelgästen zu befürchten seien, auf die sich kein Reisender einlassen müsse.
Das Gericht gelangte zu der Überzeugung, dass es dem Kläger und seiner Familie mit Ausnahme des letzten Tages nicht möglich gewesen sei, nach dem Frühstück ab etwa 9.00 Uhr Poolliegen zu nutzen, weil diese entweder belegt, durch Handtücher anderer Badegäste „reserviert“ oder aber defekt gewesen seien. Es hat insoweit eine Reisepreisminderung von 15 Prozent des Tagesreisepreises der ab der erstmaligen Rüge des Klägers betroffenen Tage angenommen.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 20.12.2023, 553 C 5141/23, PM vom 4.1.2023
| Das LG Berlin II hat der Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil des Amtsgerichts (AG) Berlin-Mitte teilweise stattgegeben. Dieses hatte eine von der Vermieterin erhobene Räumungsklage mit der Begründung abgewiesen, die von der Vermieterin ausgesprochene Eigenbedarfskündigung sei formunwirksam. Das LG hat die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Vermieterin – anders als zuvor das AG – zwar für wirksam erachtet, jedoch zugleich die Fortsetzung des Mietverhältnisses für die Dauer von zwei Jahren angeordnet. |
Zweijährige Verlängerung der Mietdauer
Die angeordnete Fortsetzung des Mietverhältnisses für die Dauer von zwei Jahren begründete das LG damit, dass es den beklagten Mietern in dem vorliegenden Fall nicht möglich gewesen sei, angemessenen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen zu beschaffen. Demzufolge können Mieter unter Berufung auf die sog. Sozialklausel des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 574 Abs. 1 und 2 BGB) nach Abwägung mit den Vermieterinteressen unter gewissen Voraussetzungen die Fortsetzung ihres Mietverhältnisses verlangen, auch wenn die zuvor ausgesprochene Kündigung wirksam ist.
Mieter fanden keinen Ersatzwohnraum in Berlin
Das LG hat darauf abgestellt, dass sich die Mieter nach Ausspruch der Eigenbedarfskündigung über einen Zeitraum von fast zwei Jahren auf eine Vielzahl von Wohnungen im gesamten Berliner Stadtgebiet beworben haben, jedoch aufgrund der angespannten Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt sowie des nur noch geringen Angebotes freier Wohnungen mit ihren Bewerbungen keinen Erfolg hatten. Zudem hat das LG bei seiner Entscheidung berücksichtigt, dass auch über das sog. Geschützte Marktsegment (GMS) in absehbarer Zeit kein freier Alternativwohnraum in Berlin für die Mieter zur Verfügung stand.
Schließlich hat das LG auch den Umstand, dass das gesamte Stadtgebiet von Berlin durch eine Mietenbegrenzungsverordnung (MietBegrV Bln) als Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt ausgewiesen ist, als weiteren Beleg für die Richtigkeit des Mietervortrags gewertet und außerdem berücksichtigt, dass der von der Vermieterin geltend gemachte Eigenbedarf nicht besonders dringlich war.
Landgericht: Vertragsbedingungen angepasst und Miete angehoben
Das LG hat bei seiner Entscheidung die bisherigen Vertragsbedingungen von Amts wegen geändert und neben der Anordnung der befristeten Fortdauer des Mietverhältnisses auch die von den Mietern bisher geschuldete Nettokaltmiete auf ein marktübliches Niveau angehoben.
Quelle | LG Berlin II, Urteil vom 25.1.2024, 67 S 264/22, PM 5/24
| Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat entschieden: Ein (notarielles) Testament kann sittenwidrig sein, wenn eine Berufsbetreuerin ihre gerichtlich verliehene Stellung und ihren Einfluss auf einen älteren, kranken und alleinstehenden Erblasser dazu benutzt, gezielt auf den leicht beeinflussbaren Erblasser einzuwirken und ihn dazu zu bewegen, vor einem von ihr herangezogenen Notar in ihrem Sinne letztwillig zu verfügen. |
Das war geschehen
Eine 92 Jahre alte Frau, deren einzige noch lebende Angehörige ihre Tochter war, befand sich wegen ihres Gesundheitszustands ab Anfang September 2022 im Krankenhaus. In den letzten Tagen vor dem Tod ihrer Tochter, die sich zuvor um die Angelegenheiten der Mutter gekümmert hatte, teilten die beiden das Krankenzimmer. Zwei Tage nach dem Tod der Tochter – noch im September 2022 – bestellte das Amtsgericht (AG) für die Frau während des Krankenhausaufenthalts eine Berufsbetreuerin.
Anfang Oktober 2022 erfolgte mit Notarztbegleitung die Einweisung in ein anderes Krankenhaus. Nur kurz war die Frau zwischen den beiden Krankenhausaufenthalten in einer Pflegeeinrichtung untergebracht. Während des zweiten Krankenhausaufenthalts beauftragte die Berufsbetreuerin einen Notar mit der Erstellung eines notariellen Testaments für die Frau. Im Krankenhaus beurkundete der Notar ein Testament der Frau, mit dem sie die Berufsbetreuerin zur Alleinerbin einsetzte. Den Wert des Vermögens gab sie mit 350.000 Euro an. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus – Mitte Oktober 2022 – nahm die Berufsbetreuerin die Frau bei sich zu Hause auf. Vier Tage danach starb die Frau dort eines natürlichen Todes.
Verstoß gegen die guten Sitten
§ 138 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) lautet: Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. Das OLG ist hier davon ausgegangen, dass das notarielle Testament sittenwidrig und damit nichtig ist und die Berufsbetreuerin deshalb hieraus für sich keine Rechte herleiten und insbesondere keinen Erbschein ausgestellt erhalten kann.
Das OLG: Ein notarielles Testament zugunsten einer Berufsbetreuerin kann sittenwidrig sein. Hier sei dies aufgrund des hohen Alters der Erblasserin, ihrer schlechten gesundheitlichen Verfassung, ihrem Gemütszustand nach dem Tod ihrer Tochter, den Umständen im Zusammenhang mit der notariellen Beurkundung sowie dem engen zeitlichen Ablauf zwischen Einrichtung der Betreuung und der Testierung der Fall.
Der Beschluss ist rechtskräftig.
Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 9.1.2024, 6 W 175/23, PM vom 25.1.2024
| Öffnungen in Brandwänden sind unzulässig und deshalb auf Aufforderung der Bauaufsichtsbehörde auch zu verschließen, wenn der angrenzende Nachbar sich mit diesen einverstanden erklärt hat und die Behörde erst nach längerer Zeit gegen den baurechtswidrigen Zustand vorgeht. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Mainz. |
Nachbar stimmte Einbau von Fenstern zu
Das Wohngebäude der klagenden Grundstückseigentümer steht auf der Grenze zum Nachbargrundstück. Die grenzständige Brandwand des Gebäudes wies zunächst an zwei Stellen Glasbauflächen auf. Im Jahr 2009 wurde eine Glasbaufläche durch ein öffenbares Fenster ersetzt, einige Jahre später kam es an der zweiten Stelle zu einem Fenstereinbau. Daraufhin gab der Beklagte, die Bauaufsichtsbehörde, den Klägern auf, die Fenster zu beseitigen und die dabei entstehenden Öffnungen feuerbeständig zu verschließen. Die Kläger wandten sich gegen die Anordnung und machten geltend, der unmittelbar angrenzende Grundstücksnachbar habe schriftlich erklärt, mit den Fenstern einverstanden zu sein. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid im Wesentlichen zurückgewiesen, verlangte aber nur noch einen hochfeuerhemmenden Abschluss der Brandwand. Die Kläger verfolgten die Aufhebung der Anordnung mit einer Klage weiter. Sie führten zusätzlich an, infolge der Zustimmung des Nachbarn und des jahrelangen Nichteinschreitens der Bauaufsichtsbehörde sei bei ihnen ein Vertrauenstatbestand entstanden, der eine baubehördliche Anordnung ausschließe. Das VG wies die Klage ab.
Brandwände: Öffnungen unzulässig
In Brandwänden seien Öffnungen von Gesetzes wegen unzulässig. Von der gesetzlichen Vorgabe dürfe nur ausnahmsweise unter Beachtung des öffentlichen Interesses des Schutzes der Allgemeinheit vor Brandgefahr und des Bauinteresses des Bauherrn abgewichen werden. Das Einverständnis eines Nachbarn zur Abweichung von dem Öffnungsverbot allein mindere das allgemeine Brandschutzbedürfnis nicht, zumal wenn – wie hier – ein weiterer Nachbar durch die betreffende Brandschutzwand gesetzlich geschützt werde, dieser der Baumaßnahme aber nicht zugestimmt habe.
Der Beklagte habe seine Befugnis zum Einschreiten gegen den baurechtswidrigen Zustand auch nicht verwirkt, weil er trotz dessen Kenntnis über längere Zeit hinweg nicht eingeschritten sei. Eingriffsbefugnisse auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr unterlägen nicht der Verwirkung durch die Verwaltung. Die bloße Untätigkeit der Bauaufsichtsbehörde könne auch kein Vertrauen beim Bauherrn begründen, dass die Behörde nicht mehr gegen die rechtswidrige Baumaßnahme vorgehen werde. Die Kläger könnten sich deshalb auch nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen, weil sie eigenmächtig die Glasbausteine durch Fenster ersetzt hätten, ohne zuvor den notwendigen Bauantrag gestellt oder die Baubehörde sonst einbezogen zu haben.
Quelle | VG Mainz, Urteil vom 6.12.2023, 3 K 39/23.MZ, PM 1/24
| Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken hat entschieden: Ein Bauunternehmen kann die zu einem Festpreis vereinbarte Errichtung eines Massivhauses nicht unter Verweis auf unvorhersehbare Materialpreissteigerungen verweigern, wenn es eine Formularklausel in den Bauvertrag eingebracht hat, die ihm eine unbegrenzte einseitige Anpassung der Vergütung ermöglicht. |
Bauvertrag des Bauunternehmens unterzeichnet
Das klagende Ehepaar und das beklagte Bauunternehmen schlossen im Dezember 2020 einen Vertrag, in dem sich das Unternehmen dazu verpflichtete, auf dem Grundstück der Kläger ein Massivhaus zu einem Pauschalpreis von rund 300.000 Euro zu errichten. Hierzu verwendeten die Parteien ein Vertragsmuster des Unternehmens, in dem es heißt, dass beide Seiten bis zum Ablauf eines Jahres ab Vertragsunterzeichnung an den vereinbarten Preis gebunden seien, wenn innerhalb von drei Monaten nach Vertragsschluss mit den Bauarbeiten begonnen werde. Unter Verweis auf diese Bestimmung teilte das Unternehmen den Eheleuten im Juni 2021 mit, dass sich der vereinbarte Preis um etwa 50.000 Euro erhöhe. Es begründete den Schritt mit außerordentlichen und nicht vorhersehbaren Preissteigerungen beim Baumaterial.
Bauherren akzeptierten Preiserhöhung nicht
Das Ehepaar akzeptierte die Preiserhöhung nicht und forderte das Unternehmen seinerseits auf, mit den Bauarbeiten zu beginnen. Auf die Weigerung des Unternehmens erklärten die Eheleute die Vertragskündigung und beauftragten ein anderes Bauunternehmen mit der Errichtung eines Massivhauses zu einem höheren als dem mit der Beklagten vereinbarten Festpreis.
Wer trägt Mehrkosten?
Mit ihrer Klage haben die Eheleute verlangt, festzustellen, dass das beklagte Bauunternehmen verpflichtet ist, ihnen Mehrkosten bei der Errichtung des Hauses zu ersetzen, die deshalb entstehen, weil das Unternehmen sich geweigert hat, den Vertrag zum vereinbarten Preis zu erfüllen.
So entschieden die gerichtlichen Instanzen
Das Landgericht (LG) hat der Klage stattgegeben. Hiergegen hat das Bauunternehmen Berufung eingelegt. Es hat im Wesentlichen geltend gemacht, dass eine Errichtung des Hauses zum ursprünglich vereinbarten Preis existenzbedrohend und ihm daher nicht zumutbar gewesen sei.
Das OLG hat das Bauunternehmen auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung hingewiesen, woraufhin es sein Rechtsmittel zurückgenommen hat. Zur Begründung hat das OLG ausgeführt, dass den Eheleuten der geltend gemachte Ersatz zustehe. Die Weigerung des Unternehmens, zum vereinbarten Preis zu erfüllen, habe sie zur Vertragskündigung und zur Beauftragung eines anderen Unternehmens veranlasst. Hierauf zurückzuführende Mehrkosten des Baus müsse das Unternehmen ersetzen.
Bauunternehmen schuldete den Hausbau zum Festpreis
Das Bauunternehmen habe den Bau des Hauses zum vereinbarten Festpreis geschuldet. Die Preisanpassungsklausel im Vertrag sei unwirksam gewesen. Sie benachteilige die Kunden des Unternehmens unangemessen, wenn es die vereinbarte Vergütung durch die Festlegung der Listenpreise ohne Begrenzung einseitig anheben könne. Die Kunden könnten der Bestimmung bei Vertragsschluss nicht entnehmen, mit Preissteigerungen welchen Umfangs sie zu rechnen hätten.
Bauunternehmen hatte Risikoabsicherung in der Hand
Gerade Besteller eines Neubaus seien darauf aber in besonderem Maße angewiesen. Häufig sei die Finanzierung auf den Festpreis ausgerichtet, sodass schon vermeintlich geringfügige Änderungen die Kunden an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bringen könnten. Das Unternehmen habe die Vertragserfüllung zum vereinbarten Preis auch nicht verweigern dürfen, weil sich die Vertragsgrundlage aufgrund unvorhersehbarer Materialpreissteigerungen geändert habe, denn es habe bei Vertragsschluss die Möglichkeit gehabt, sich mit einer Bestimmung gegen dieses Risiko abzusichern, die auch den Interessen seiner Kunden Rechnung getragen hätte.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 13.7.2023, 5 U 188/22, PM vom 15.2.2024
| Nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) haben Betriebsräte Anspruch auf für die Betriebsratsarbeit erforderlichen Schulungen, deren Kosten der Arbeitgeber tragen muss. Davon können Übernachtungs- und Verpflegungskosten für ein auswärtiges Präsenzseminar auch dann erfasst sein, wenn derselbe Schulungsträger ein inhaltsgleiches Webinar anbietet. So entschied es das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Arbeitgeberin verweigerte Erstattung von Übernachtungs- und Verpflegungskosten
Bei der Arbeitgeberin – einer Fluggesellschaft – ist durch Tarifvertrag eine Personalvertretung (PV) errichtet, deren Schulungsanspruch sich nach dem BetrVG richtet. Die PV entsandte zwei ihrer Mitglieder zu einer mehrtägigen betriebsverfassungsrechtlichen Grundlagenschulung Ende August 2021 in Potsdam. Hierfür zahlte die Arbeitgeberin die Seminargebühr, verweigerte aber die Übernahme der Übernachtungs- und Verpflegungskosten.
Dies begründete sie vor allem damit, die Mitglieder der PV hätten an einem zeit- und inhaltsgleich angebotenen mehrtägigen Webinar desselben Schulungsanbieters teilnehmen können. In dem von der PV eingeleiteten Verfahren hat diese geltend gemacht, dass die Arbeitgeberin auch die Übernachtungs- und Verpflegungskosten tragen muss. Hierzu haben die Vorinstanzen die Arbeitgeberin verpflichtet.
Bundesarbeitsgericht: Betriebsrat hat Spielraum
Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Ebenso wie ein Betriebsrat hat die PV bei der Beurteilung, zu welchen Schulungen sie ihre Mitglieder entsendet, einen gewissen Spielraum. Dieser umfasst grundsätzlich auch das Schulungsformat. Dem steht nicht von vornherein entgegen, dass bei einem Präsenzseminar im Hinblick auf die Übernachtung und Verpflegung der Schulungsteilnehmer regelmäßig höhere Kosten anfallen als bei einem Webinar.
Quelle | BAG, Beschluss vom 7.2.2024, 7 ABR 8/23, PM 5/24
| Wer mit einem äußerst scharfen Filetiermesser hantiert, muss besonders sorgfältig agieren, um Verletzungen von Kollegen auszuschließen. Nicht jeder Fehlgebrauch rechtfertigt aber eine Kündigung ohne vorherige einschlägige Abmahnung. Dies hat – wie bereits zuvor das Arbeitsgericht (ArbG) Lübeck – auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein entschieden. |
Kollegin Messer an den Hals gehalten
Der 29-jährige Kläger ist bei der Beklagten seit Juni 2019 als Industriemechaniker beschäftigt. Am 1.6.2022 arbeitete er mit einer Mitarbeiterin und einem Mitarbeiter an einem Probierstand. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger der Mitarbeiterin ein Filetiermesser mit einer Klingenlänge von 20 cm mit einem Abstand von 10 bis 20 cm an den Hals hielt und damit deren Leib und Leben bedrohte. Die Beklagte kündigte dem Kläger daraufhin am 14.7.2022 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.10.2022.
Kündigungsschutzklage erfolgreich
Die Kündigungsschutzklage des Klägers war in zwei Instanzen erfolgreich. Sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung waren unwirksam. Es fehlte an einem hinreichenden Kündigungsgrund. Zwar kommt eine ernstliche Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben u. a. von Arbeitskollegen als „an sich“ wichtiger Grund für eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung in Betracht. Dies setzt aber voraus, dass der Arbeitnehmer mit dem Willen handelt, dass der Kollege die Drohung zur Kenntnis nimmt und als ernst gemeint auffasst.
Vorsatz war nicht nachzuweisen
Selbst den Vortrag der Beklagten als zutreffend unterstellt, konnte jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts auf einen bedingten Vorsatz beim Kläger geschlossen werden. Vielmehr war es auch möglich, dass der Kläger das Messer schlicht in der rechten Hand haltend sich mit dem Oberkörper zur Mitarbeiterin gedreht hat und bei dieser Drehbewegung dessen rechte Hand mit dem Messer nahe an deren Hals gelangt ist.
Verhältnismäßigkeit muss gewahrt werden
Die Kündigungen konnten auch nicht darauf gestützt werden, dass der Kläger allein durch das Hantieren mit dem Messer Leib und Leben der Mitarbeiterin objektiv und fahrlässig gefährdet hat. Der unsachgemäße Umgang mit einem Messer stellt zwar eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar. Diese hätte nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz den Ausspruch einer fristlosen oder fristgerechten Kündigung nur gerechtfertigt, wenn der Kläger zuvor wegen einer ähnlichen Pflichtverletzung abgemahnt worden wäre. Insbesondere steht auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht zur Überzeugung des Landesarbeitsgerichts fest, dass der Kläger das Messer bewusst und aktiv an den Hals der Mitarbeiterin gehalten hat.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 13.7.2023, 5 Sa 5/23
| Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gekündigt worden, ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. So sieht es das Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 KSchG) vor. Diesen Grundsatz hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf jetzt noch einmal bekräftigt. |
Das war geschehen
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 1.2.2012 beschäftigt. Die Beklagte beschäftigte in ihrem einzigen Betrieb zuletzt knapp 600 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Am 1.3.2022 wurde über das Vermögen der Beklagten das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet. Der Sachwalter und der Gläubigerausschuss stimmten der Einstellung der Geschäftstätigkeit zum 31.12.2022 zu.
Nachdem die Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs am 24.11.2022 durch Spruch der Einigungsstelle für gescheitert erklärt wurden, stellte die Beklagte am 28.11.2022 Anträge auf behördliche Zustimmungen zur betriebsbedingten Kündigung nach dem SGB IX (schwerbehinderte Menschen) und BEEG (Elternzeit). Den Beschäftigten wurde die Gelegenheit eingeräumt, in eine Transfergesellschaft zu wechseln. Im Dezember 2022 sprach die Beklagte gegenüber allen Beschäftigten betriebsbedingte Beendigungskündigungen aus, soweit das Ende des Arbeitsverhältnisses nicht aus anderen Gründen feststand.
Alle Mitarbeitenden, auch der Kläger, wurden ab dem 1.1.2023 unwiderruflich freigestellt. Ausgenommen waren die Beschäftigten des Abwicklungsteams, das ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Anlage 53 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer umfasste, wobei gegenüber dreizehn Personen Kündigungen zum 31.3.2023 und gegenüber den übrigen vierzig Personen Kündigungen zum 30.6.2023 ausgesprochen wurden. Das Arbeitsverhältnis des Klägers kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 16.12.2022 zum 31.3.2023.
Erfolgreiche Kündigungsschutzklage nicht aufgrund Gesetzeslage ...
Die vom Kläger hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hatte vor dem LAG Düsseldorf ebenso wie zuvor beim Arbeitsgericht (ArbG) Solingen Erfolg. Dies folgte zwar nicht aus § 17 KSchG i. V. m. § 134 BGB wegen einer nicht ordnungsgemäßen Massenentlassungszeige. Etwaige Fehler in diesem Zusammenhang stellen keinen Unwirksamkeitsgrund dar, weil Zweck der Anzeige nicht der Individualschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist.
...sondern aufgrund fehlerhafter Sozialauswahl
Die Kündigung war indes aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) rechtsunwirksam, wie es bereits das ArbG zutreffend ausgeführt hatte. Bei einer etappenweisen Betriebsstillegung hat der Arbeitgeber keine freie Auswahl, wem er früher oder später kündigt. Es sind grundsätzlich die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit den Abwicklungsarbeiten zu beschäftigen.
Fehlerhafte Vergleichsgruppen
Die Beklagte hatte hier die Sozialauswahl methodisch fehlerhaft durchgeführt, weil sie die Vergleichsgruppen fehlerhaft gebildet hatte. So hatte sie diese u. a. anhand der ursprünglich ausgeübten Tätigkeiten gebildet. Sie hätte die soziale Auswahl stattdessen anhand der noch im Abwicklungsteam anfallenden Tätigkeiten vornehmen müssen, zu denen die Beklagte nur unvollständig vorgetragen hatte. Es fehlte weitgehend an Vortrag dazu, welche Aufgaben mit welcher Dauer im Abwicklungsteam anfielen, welche Anforderungsprofile dafür erforderlich waren und wie auf dieser Grundlage ein Vergleich vorgenommen werden soll. Die daraus folgende Vermutung der fehlerhaften Sozialauswahl hatte die Beklagte auch in zweiter Instanz nicht widerlegt.
Das LAG hat die Revision nicht zugelassen.
Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 9.1.2024, 3 Sa 529/23, PM 2/24
| Oft müssen sich die Gerichte mit den Voraussetzungen für einen Investitionsabzugsbetrag (IAB nach § 7 g Einkommensteuergesetz [EStG]) beschäftigen. Jüngst haben es zwei Verfahren (Vorinstanz: Finanzgericht (FG) Niedersachsen) mit dieser Frage bis vor den Bundesfinanzhof (BFH) geschafft: Ist für die Gewinngrenze der Steuerbilanzgewinn oder ein um außerbilanzielle Effekte (wie nichtabziehbare Betriebsausgaben sowie einkommensteuerfreie Einnahmen) korrigierter Gewinn relevant? |
Gewinngrenze von 200.000 Euro
Hintergrund: Für die künftige (Investitionszeitraum von drei Jahren) Anschaffung oder Herstellung von abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens (beispielsweise Maschinen) können bis zu 50 % der voraussichtlichen Anschaffungs-/Herstellungskosten gewinnmindernd abgezogen werden. Da der Gesetzgeber durch diese Steuerstundungsmöglichkeit vor allem Investitionen von kleinen und mittleren Betrieben erleichtern will, darf der Gewinn 200.000 Euro nicht überschreiten.
Das war geschehen
In einem Fall des FG Niedersachsen betrug der Bilanzgewinn 189.821 Euro und lag damit unter der (in § 7 g EStG normierten) Grenze von 200.000 Euro. Dennoch versagte das Finanzamt die Bildung eines IAB, da es nach der Hinzurechnung der Gewerbesteuer (vgl. hierzu § 4 Abs. 5 b EStG) von 25.722 Euro auf einen über dem Grenzbetrag liegenden Gewinn von 215.543 Euro kam.
Unterschiedliche Sichtweisen
Die Frage, wie der Gewinn (nach § 7 g Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG) zu ermitteln ist, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt. Hierzu werden (vereinfacht) zwei Meinungen vertreten:
Bundesfinanzministerium: keine Berücksichtigung von Abzügen und Hinzurechnungen
Für das Bundesfinanzministerium (BMF) ist Gewinn der Betrag, der ohne Berücksichtigung von Abzügen und Hinzurechnungen (gemäß § 7 g Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 EStG) der Besteuerung zugrunde zu legen ist; außerbilanzielle Korrekturen der Steuerbilanz sowie Hinzu-/Abrechnungen bei der Einnahmen-Überschussrechnung sind zu berücksichtigen.
Gegenteilige Position: allein steuerbilanzieller Gewinn „zählt“
Teile des Schrifttums vertreten indes die Position, dass allein auf den steuerbilanziellen Gewinn abzustellen ist, was im Streitfall zu einem günstigeren Ergebnis führen würde. Auch für das FG Baden-Württemberg ist der Steuerbilanzgewinn relevant – und nicht der Gewinn i. S. des § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG. Eine Korrektur um außerbilanzielle Positionen findet nicht statt.
Beachten Sie | Das FG Niedersachsen hat sich der Ansicht des BMF angeschlossen. Weil hiergegen die Revision anhängig ist, können Steuerpflichtige in geeigneten Fällen Einspruch einlegen.
Quelle | FG Niedersachsen, Urteile vom 9.5.2023, 2 K 202/22, Rev. BFH: X R 16/23 und 2 K 203/22, Rev. BFH: X R 17/23; BMF-Schreiben vom 15.6.2022, IV C 6 - S 2139-b/21/10001 :001; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 2.5.2023, 10 K 1873/22, Rev. BFH: III R 38/23
| Zwei unterschiedliche Urteile zum Schadenersatz für immaterielle Schäden bei verspäteter Auskunft nach der Datenschutz-Grundverordnung (hier: Art. 15 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 12 DS-GVO) lassen aufhorchen. So hat das Arbeitsgericht (ArbG) jetzt verbraucherfreundlich entschieden, während das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf unternehmensfreundlich war. |
Arbeitsgericht Duisburg: „Unverzüglichkeit“ entscheidend
Das ArbG Duisburg entschied, dass einem Kläger, der sich am 14.3.2017 auf eine Stelle bei dem beklagten Unternehmen beworben und über sechs Jahre später (am 18.5.2023) erstmals Auskunft über ihn dort gespeicherte personenbezogene Daten verlangt hat, eine Geldentschädigung von 750 Euro (verlangt waren 2.000 Euro) zusteht. Dies geschah, obwohl das Unternehmen schon am 5.6.2023 die Auskunft in Form eines Negativattests erteilte – also innerhalb der gesetzlichen Monatsfrist (gemäß Art. 12 Abs. 3 DS-GVO).
Das ArbG sah die Auskunft nicht als „unverzüglich“ im Sinne dieser Vorschrift an. Die dortige Monatsfrist sei nicht als Regel- sondern als Höchstfrist zu verstehen. Sie dürfe nicht routinemäßig, sondern nur in schwierigen Fällen und bei Hinzutreten besonderer Umstände ausgeschöpft werden.
Hier habe das Unternehmen auch keine konkreten Anhaltspunkte vorgetragen, die eine Überschreitung dieser Zeitspanne rechtfertigen würden. Bei der Schadenersatzbemessung hat das ArbG berücksichtigt, dass die gesetzliche Frist nicht erheblich überschritten sei. Eine objektive Dringlichkeit der Anfrage sechs Jahre nach der Bewerbung sei unerheblich.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf: keine datenschutzrechtsverletzende Datenverarbeitung
Da LAG Düsseldorf sieht dies jedoch anders: Es sprach einem Anspruchsteller trotz verspäteter Auskunft durch Überschreiten der Monatsfrist einen Schadenersatzanspruch ab.
Ein Verstoß gegen Art. 15 DS-GVO falle schon nicht in den Anwendungsbereich des Art. 82 DS-GVO. Es fehle an einer gegen die DS-GVO verstoßenden Datenverarbeitung bei einer rein verzögerten Datenauskunft oder einer anfänglich unvollständigen Erfüllung des Auskunftsbegehrens. Darüber hinaus liege allein in der schlagwortartigen Behauptung eines solchen „Kontrollverlusts“ über personenbezogene Daten auch keine Darlegung eines immateriellen Schadens.
Quelle | ArbG Duisburg, Urteil vom 3.11.2023, 5 Ca 877/23; LAG Düsseldorf, Urteil vom 28.11.2023, 3 Sa 285/23, PM 29/23
| Das Landgericht (LG) München hat ein Handelsunternehmen für Getränke dazu verurteilt, es zu unterlassen, das von ihm vertriebene Bier als WUNDERBRAEU zu bezeichnen, wenn dies in Zusammenhang mit einer auf der Bierflasche abgedruckten Münchner Adresse geschieht, an der das Bier jedoch nicht gebraut wird. Dies stelle eine Herkunftstäuschung dar. Zudem muss das beklagte Unternehmen in Zukunft die Bewerbung des Biers mit „CO2 positiv“ bzw. „klimaneutrale Herstellung“ auf der Bierflasche unterlassen. Die Bewertungsmaßstäbe, aufgrund derer diese Äußerungen getroffen würden, seien auf den Etiketten der Flaschen nicht hinreichend transparent offengelegt. |
Irreführende Bezeichnung des Biers
Die Beklagte hatte argumentiert, dass die Bezeichnung „WUNDERBRAEU“ für sich nicht irreführend sei. Zudem habe sie ihren Verwaltungssitz an der angegebenen Münchner Adresse und es sei gesetzlich vorgeschrieben, die Adresse auf der Flasche abzudrucken.
Dem folgte das LG nicht. Die für sich gesehen nicht eindeutige Bezeichnung „WUNDERBRAEU“ sei jedenfalls mit der auf dem rückwärtigen Etikett enthaltenen Adresse einer für Brauereien bekannten Straße in München irreführend. Durch die fragliche Aufschrift werde ein Bezug des Produkts mit einer Anschrift in München hergestellt, obwohl dort unstreitig nicht die Produktionsstätte, sondern allein der Sitz des Handelsunternehmens sei. Zwar möge die Bezeichnung für sich gesehen auch für die Beklagte als Vertriebsunternehmen zulässig sein und die Angabe auch insgesamt den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Das ändere aber nichts daran, dass die Aufschrift im Zusammenhang den Eindruck erwecke, die angegebene Anschrift bezeichne den Herkunftsort des Produktes selbst. Dies sei unzulässig.
Eine Täuschung über die Herkunft des Bieres sei auch geeignet, die Entscheidung der Verbraucherinnen und Verbraucher zu beeinflussen.
Diese Bezeichnung mit Klimabezug ist verboten
Die weiteren, von dem klagenden Verband beanstandeten Angaben „CO2 positiv“ und „klimaneutrale Herstellung“ stellen laut Gericht ebenfalls eine unzulässige Irreführung dar und wurden dem beklagten Unternehmen deshalb, so wie es die Angaben verwendet hatte, verboten.
Die Beklagtenseite hatte angeführt, dass ein QR-Code auf der Flasche zu den gewünschten Informationen über die Bedeutung der beanstandeten Angaben zur Klimabilanz führe. Dies reichte dem LG nicht aus. Gerade in der heutigen Zeit, in der Unternehmen in den Verdacht des sogenannten „Greenwashing“ kämen und in dem Ausgleichsmaßnahmen kontrovers diskutiert würden, sei es wichtig, die Verbraucher über die Grundlagen der jeweiligen werbenden Behauptung aufzuklären. Verbraucher hätten daher ein maßgebliches Interesse daran, inwieweit behauptete Klimaneutralität durch Einsparungen oder durch Ausgleichsmaßnahmen und, wenn ja, durch welche Ausgleichsmaßnahmen erreicht würden. Daher müssten den Verbrauchern die Bewertungsmaßstäbe für die werbenden Angaben „CO2 positiv“ und „klimaneutrale Herstellung“ auf der Bierflasche offengelegt werden.
Letztendlich bestünden zudem erhebliche Zweifel daran, ob die auf der Website des beklagten Unternehmens aufgeführten Informationen ausreichend wären. Denn genaue Angaben zur berechneten Klimabilanz und Angaben darüber, in welchem Umfang die Klimaneutralität durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werden sollen und in welchem Umfang durch Einsparung, fänden sich dort gerade nicht.
Quelle | LG München I, Urteil vom 8.12.2023, 37 O 2041/23, PM 32/23
| Der Anleger eines Investmentfonds muss als Investmentertrag u. a. die Vorabpauschale nach § 18 des Investmentsteuergesetzes (InvStG) versteuern. Geregelt ist dies in § 16 Abs. 1 Nr. 2 InvStG. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nun den Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale 2024 veröffentlicht. |
Hintergrund: Nach § 16 Abs. 1 InvStG sind Erträge aus Investmentfonds (Investmenterträge)
- Ausschüttungen des Investmentfonds,
- Vorabpauschalen und
- Gewinne aus der Veräußerung von Investmentanteilen.
Die Vorabpauschale ist der Betrag, um den die Ausschüttungen eines Investmentfonds innerhalb eines Kalenderjahrs den Basisertrag für dieses Kalenderjahr unterschreiten. Die Vorabpauschale gilt (nach § 18 Abs. 3 InvStG) beim Anleger am ersten Werktag des folgenden Kalenderjahrs als zugeflossen.
Der Basiszins ist aus der langfristig erzielbaren Rendite öffentlicher Anleihen abzuleiten. Dabei ist auf den Zinssatz abzustellen, den die Deutsche Bundesbank anhand der Zinsstrukturdaten jeweils auf den ersten Börsentag des Jahres errechnet. Das BMF muss den maßgebenden Zinssatz im Bundessteuerblatt veröffentlichen. Der Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale für das Jahr 2024 beträgt 2,29 %.
Ob es infolge der Vorabpauschale tatsächlich zu einer Steuerbelastung kommt, hängt von mehreren Faktoren ab. Beispielsweise ist ein erteilter Freistellungsauftrag für Kapitalerträge (maximal 1.000 Euro; bei Zusammenveranlagung von Ehegatten: 2.000 Euro) zu berücksichtigen.
Eine Steuerbelastung setzt ferner voraus, dass der Basiszins positiv ist. Aufgrund des negativen Basiszinses für die Jahre 2021 und für 2022 wurde insoweit auch keine Vorabpauschale erhoben.
Beachten Sie | Der ermittelte Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale für das Jahr 2023 beträgt 2,55 %. Eine etwaige steuerliche Belastung erfolgte zum Jahresbeginn 2024.
Quelle | BMF, Schreiben vom 5.1.2024, IV C 1 - S 1980-1/19/10038 :008; BMF, Schreiben vom 4.1.2023, IV C 1 - S 1980-1/19/10038: 007
| Das Bundeszentralamt für Steuern hat am 7.2.2024 mitgeteilt, dass das Zuwendungsempfängerregister ab sofort online zur Verfügung steht. |
Das Zuwendungsempfängerregister umfasst alle Organisationen, die berechtigt sind, ihren Spendern Zuwendungsbestätigungen auszustellen. Somit bietet das Register u. a. eine einfache Möglichkeit, sich über den Gemeinnützigkeitsstatus von Organisationen zu informieren.
| In Betriebsprüfungen gibt es oft Streit, ob Fahrtenbücher als ordnungsgemäß anzuerkennen sind. Aktuell hat das Finanzgericht (FG) Düsseldorf Folgendes entschieden: Ein elektronisches Fahrtenbuch erfüllt nicht die Anforderungen an den Nachweis des tatsächlichen Umfangs der Privatnutzung eines betrieblichen Kfz, wenn nachträgliche Veränderungen an den zu einem früheren Zeitpunkt eingegebenen Daten nicht in der Datei selbst, sondern in externen Protokolldateien dokumentiert werden. Dem Erfordernis des zeitnahen Führens eines Fahrtenbuchs wird nicht genügt, wenn die – zwischenzeitlich auf Notizzetteln festgehaltenen – Eintragungen erst mehrere Tage oder Wochen nach Abschluss der betreffenden Fahrten vorgenommen werden. |
Quelle | FG Düsseldorf, Urteil vom 24.11.2023, 3 K 1887/22 H[L]
| Zu den Werbungskosten zählt auch die zur vorzeitigen Ablösung eines Darlehens gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung, soweit die Schuldzinsen mit den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Dieser Zusammenhang besteht, wenn bereits im Zeitpunkt der Veräußerung eines Grundstücks anhand objektiver Umstände der endgültige Entschluss feststellbar ist, mit dem nach der vorzeitigen Darlehensablösung verbleibenden Verkaufserlös wiederum konkret bestimmtes Grundvermögen mit dem Ziel anzuschaffen, hieraus Vermietungseinkünfte zu erzielen. Dies hat das Finanzgericht (FG) Köln entschieden. |
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ergibt sich ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit den Vermietungseinkünften aus einem neuen Objekt allenfalls dann, wenn der Steuerpflichtige bereits bei der Veräußerung – z. B. im Kaufvertrag selbst oder zumindest beim Abschluss des Kaufvertrags – im Vorhinein so unwiderruflich über den verbleibenden Restkaufpreis verfügt, dass er ihn unmittelbar zum Erzielen von Vermietungseinkünften mit einem bestimmten Objekt festlegt.
Beachten Sie | Verbleibende Zweifel gehen zulasten des Steuerpflichtigen, denn er trägt die Feststellungslast für die den Steueranspruch mindernden Tatsachen.
Infolge dieser restriktiven Rechtsprechung kam im Streitfall des FG Köln kein Werbungskostenabzug in Betracht. Denn der Steuerpflichtige hatte den überschießenden Verkaufserlös (also Verkaufspreis abzüglich abzulösendes Darlehen) zunächst selbst vereinnahmt und dann zur Teilrückführung einzelner Darlehen verwendet.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | FG Köln, Urteil vom 19.10.2023, 11 K 1802/22
| Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen hat sich mit der Frage befasst, ob eine Influencerin Aufwendungen für Kleidung und Accessoires steuerlich geltend machen kann. Die Entscheidung fiel zu ungunsten der Steuerpflichtigen aus. |
Das war geschehen
Eine Steuerpflichtige betrieb auf verschiedenen Social-Media-Kanälen und über eine Website einen Mode- und Lifestyleblog und erstellte hierzu Fotos und Stories. Zusätzlich zu den Waren, die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit von verschiedenen Firmen erhalten hatte, um sie zu bewerben, erwarb sie diverse Kleidungsstücke und Accessoires (beispielsweise Handtaschen namhafter Marken). Die Influencerin wollte die Aufwendungen für die Kleidungsstücke und Accessoires als Betriebsausgaben bei ihrer gewerblichen Tätigkeit berücksichtigen.
Argumentation: Keine Abgrenzung zwischen privater und betrieblicher Nutzung möglich
Das Finanzamt verwehrte den Betriebsausgabenabzug mit der Begründung, dass sämtliche Gegenstände auch privat genutzt werden können und eine Abgrenzung der privaten zur betrieblichen Sphäre nicht möglich sei. Insbesondere habe die Steuerpflichtige nicht dargelegt, in welchem Umfang sie die Kleidungsstücke und Accessoires jeweils für private oder betriebliche Zwecke genutzt hatte.
Die hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos.
Finanzgericht: Abzugsverbot für Aufwendungen zur Lebensführung
Das FG Niedersachsen war ebenfalls der Meinung, dass eine Trennung zwischen privater und betrieblicher Sphäre bei gewöhnlicher bürgerlicher Kleidung und Mode-Accessoires nicht möglich ist. Gemäß Einkommensteuergesetz (§ 12 Nr. 1 EStG) folgt insoweit ein Abzugsverbot für Aufwendungen für die Lebensführung der Steuerpflichtigen, die ihre wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung mit sich bringt, auch wenn die Aufwendungen zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit der Steuerpflichtigen erfolgen.
Beachten Sie | Es kommt nicht darauf an, wie die Steuerpflichtige die Gegenstände konkret genutzt hat. Allein die naheliegende Möglichkeit der Privatnutzung von bürgerlicher Kleidung und Mode-Accessoires führt dazu, dass eine steuerliche Berücksichtigung ausgeschlossen ist.
Zudem handelt es sich bei den von der Influencerin erworbenen Gegenständen nicht um typische Berufskleidung, für die ein Betriebsausgabenabzug möglich ist. Hierunter fallen nur solche Kleidungsstücke, die nach ihrer Beschaffenheit objektiv nahezu ausschließlich für die berufliche Nutzung bestimmt und geeignet und wegen der Eigenart des Berufs nötig sind, bzw. bei denen die berufliche Verwendungsbestimmung bereits aus ihrer Beschaffenheit entweder durch ihre Unterscheidungsfunktion oder durch ihre Schutzfunktion (z. B bei Arbeitsschuhen) folgt.
Beachten Sie | Der Beruf einer Influencerin bzw. Bloggerin ist insoweit nicht anders zu beurteilen als sonstige Berufe. Ob die Kleidungsstücke und Mode-Accessoires tatsächlich ausschließlich betrieblich genutzt werden, ist unbeachtlich. Somit war die Aufklärung des Umfangs der tatsächlichen privaten Nutzung der Kleidung nicht entscheidend.
Quelle | FG Niedersachsen, Urteil vom 13.11.2023, 3 K 11195/21
| Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Bei einem Unfall, der in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Einfahren von einer Parkbucht in den Straßenverkehr stattfindet, gilt das einfahrende Fahrzeug als Verursacher, wenn eine weitere Aufklärung nicht möglich ist. |
Der Fahrer eines zuvor in einer Parkbucht am Straßenrand stehenden Fahrzeugs ist mit diesem in den Straßenverkehr eingefahren. Hierauf kam es zu einer Kollision mit einem dort in gleicher Richtung fahrenden Wagen. Über den Unfallhergang machten die Beteiligten jeweils unterschiedliche Angaben.
Das AG hat entschieden, dass der Verkehrsunfall vollständig von dem einfahrenden Fahrzeug verursacht wurde. Zwar ließ sich das Geschehen überwiegend nicht mehr aufklären, allerdings habe derjenige, der vom Straßenrand in den Verkehr einfährt, nach der Straßenverkehrsordnung besonders darauf zu achten, dass er andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet.
Aufgrund der zeitlichen und örtlichen Nähe des Unfallgeschehens zu dem Einfahren des parkenden Fahrzeugs in den Straßenverkehr bestehe daher der Anschein, dass dessen Fahrer nicht ausreichend auf den Verkehr geachtet und somit den Unfall herbeigeführt habe. Dafür spreche zudem, dasss eine Version des Unfallgeschehens, er sei bereits einige Zeit auf der Straße gefahren, mit dem Schadensbild nicht in Einklang zu bringen sei. Zudem habe der Fahrer selbst erklärt, das andere Fahrzeug erst durch den Anstoß bemerkt zu haben, was darauf hinweise, dass er das Verkehrsgeschehen beim Losfahren von dem Parkplatz nicht ausreichend beobachtet habe.
Quelle | AG Hanau, Urteil vom 5.6.2023, 39 C 329/21 (19)
| Kindergeld für sich selbst können Kinder nur erhalten, wenn sie Vollwaise sind oder den Aufenthalt der Eltern nicht kennen. Kein Kindergeld beanspruchen kann ein Kind, wenn es gelegentlich mit seiner Mutter im Ausland telefonieren und sich dabei nach ihrem Aufenthaltsort erkundigen kann. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) jetzt entschieden. |
Regelmäßige Telefonate
Der Kläger hatte Kindergeld für sich selbst beansprucht mit der Begründung, er kenne den Aufenthalt seiner Mutter nicht. Diese hatte sich Ende 2017 auf die Flucht begeben und zunächst jeweils nur für kurze Dauer an verschiedenen Orten in Syrien gelebt, zuletzt in der Nähe von Damaskus. Allerdings hatte der Kläger in seinem Kindergeldantrag angegeben, zwei- bis dreimal monatlich mit ihr zu telefonieren. Dadurch hatte er zumindest die zumutbare Möglichkeit, sich nach dem aktuellen Aufenthaltsort seiner Mutter zu erkundigen.
Voraussetzungen der Aufenthaltskenntnis
Ein Kind kennt den Aufenthalt seiner Eltern, wenn es weiß, an welchem für ihn bestimmbaren Ort sich seine Eltern oder zumindest ein Elternteil aufhalten. Auf die Kenntnis einer postalischen Adresse oder eines „verstetigten“ Aufenthalts kommt es dagegen nicht an, weil sich seit Einführung des Kindergelds für „alleinstehende Kinder“ im Jahr 1986 die Kommunikationsmöglichkeiten und -gewohnheiten durch Internet und Mobilfunk grundlegend verändert haben. Für die erforderliche Aufenthaltskenntnis genügt es zudem, wenn aus Sicht des Kindes die zumutbare Möglichkeit besteht, innerhalb eines angemessenen Zeitraums Kontakt mit seinen Eltern aufzunehmen. Die Kenntnis fehlt erst, wenn Dauer und Ausmaß der Unkenntnis über den Verbleib der Eltern den endgültigen Verlust der Eltern-Kind-Beziehung wie bei einer Vollwaise befürchten lassen.
Quelle | BSG, Urteil vom 14.12.2023, B 10 KG 1/22 R, PM 46/23
| Ein Versicherungsnehmer, der nach einer verbalen Auseinandersetzung im Straßenverkehr einem anderen, für ihn erkennbar schwerbeschädigten Verkehrsteilnehmer in den Rücken schlägt und diesen dadurch zu Fall bringt, nimmt regelmäßig dessen schwere Gesundheitsbeschädigung in Kauf. Als Folge kann sich sein Haftpflichtversicherer auf einen Leistungsausschluss berufen. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Dresden entschieden. |
Auseinandersetzung im Straßenverkehr
Auseinandersetzungen im Straßenverkehr enden immer häufiger damit, dass ein oder mehrere Beteiligte verletzt werden. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung regelt das nicht unbedingt die Haftpflichtversicherung.
Versicherung darf Leistung verweigern
Der Versicherer ist nämlich nach dem Versicherungsvertragsgesetz (hier: § 103 VVG) nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen Schaden herbeigeführt hat.
Einzelfall entscheidend
Ob die Versicherung tatsächlich leistungsfrei ist, entscheidet sich anhand des jeweiligen Einzelfalls. Dazu muss vorgetragen werden, wie sich der Vorfall ereignete und was genau Auslöser der schadenstiftenden Handlung war. Es ist nämlich ein Unterschied, ob es sich um eine Angriffs- oder Verteidigungshandlung handelte.
Quelle | OLG Dresden, Urteil vom 29.6.2023, 4 U 2626/22
| Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das einen Fluggast im Voraus darüber unterrichtet hat, dass es ihm gegen seinen Willen die Beförderung auf einem Flug verweigern werde, für den er über eine bestätigte Buchung verfügt, muss diesem einen Ausgleich zahlen. Das gilt selbst, wenn er sich nicht unter den in der Fluggastrechteverordnung (hier: Art. 3 Abs. 2 FluggastrechteVO) genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden hat. So sieht es der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). |
Fluggast ohne Information umgebucht
Der EuGH zeigt sich damit – wieder einmal – verbraucherfreundlich. Im konkreten Fall hatte die Fluggesellschaft einen Fluggast umgebucht, ihn aber nicht darüber informiert. Auf seine Rückfrage wurde ihm zugleich mitgeteilt, dass er für den gebuchten Rückflug gesperrt sei, weil er zum umgebuchten Flug nicht erschienen sei. Es sei nicht mehr möglich, den Rückflug anzutreten.
Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung
Der EuGH hat darüber hinaus entschieden, dass dem Fluggast zwar bei Annullierung eines Flugs u. U. kein Ausgleichsanspruch zusteht. Dies gelte aber nicht, wenn ein Fluggast – wie im Fall des EuGH für den Rückflug – mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit darüber unterrichtet wurde, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen ihn gegen seinen Willen nicht befördern werde. Ihm steht dann ein Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung i. S. d. Art. 4 der FluggastrechteVO zu.
Quelle | EuGH, Urteil vom 26.10.2023, C-238/22
| Das Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat der Verfassungsbeschwerde eines verbeamteten Lehrers stattgegeben, die sich gegen eine Durchsuchungsanordnung richtete. |
Das war geschehen
Gegen den Lehrer wurde wegen des Verdachts der Beleidigung von zwei Polizeibeamten ermittelt. Um Informationen über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu erlangen, ordnete das Amtsgericht (AG) an, seine Wohnung zu durchsuchen. Der Lehrer gewährte den die Durchsuchungsanordnung vollziehenden Beamten Eintritt in seine Wohnung und übergab ihnen verschiedene Unterlagen. Das Strafverfahren endete mit einer Einstellung gegen Zahlung einer Geldauflage.
Verletzung von Grundrechten
Die Anordnung der Durchsuchung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach dem Grundgesetz (Art. 13 Abs. 1 GG). Sie war unverhältnismäßig. Angesichts grundrechtsschonender, alternativer Ermittlungshandlungen stand eine Durchsuchung außer Verhältnis zur Schwere der verfolgten Straftat.
Zwar war die Durchsuchung nicht bereits deshalb unzulässig, weil lediglich die Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers ermittelt werden sollten. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft müssen sich nämlich auch auf Umstände beziehen, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind. Dazu zählen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten zwecks Bestimmung der Tagessatzhöhe.
Lehrer hätte zuerst befragt werden müssen
Naheliegend und grundrechtsschonend wäre es gewesen, zunächst den Beschwerdeführer über seinen Verteidiger zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu befragen. Eine solche Nachfrage hätte im Streitfall mit realistischer Wahrscheinlichkeit dazu geführt, ausreichende Informationen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu erlangen. Auch die Gefahr eines Beweismittelverlustes bestand nicht.
Anfrage an Besoldungsstelle als Alternative
Als naheliegende und grundrechtsschonende Alternative zu einer Wohnungsdurchsuchung wäre aber auch eine Anfrage bei der Besoldungsstelle des Beschwerdeführers nach dem von dort bezogenen Einkommen in Betracht gekommen. Durch eine solche Anfrage sind zwar nicht zwingend Informationen zu allen Einkünften zu erlangen. Das Strafgesetzbuch (hier: § 40 Abs. 3 StGB) erfordert aber – zumal in Fällen der kleineren Kriminalität – auch nicht die Ausschöpfung aller Beweismittel, wenn ansonsten die fachrechtlichen Voraussetzungen für eine Schätzung der Einkünfte vorliegen. Durchsuchungen zur Ermittlung der für die Bestimmung der Tagessatzhöhe entscheidenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten sind daher grundsätzlich nur verhältnismäßig, wenn anhand der übrigen zur Verfügung stehenden Beweismittel keine Schätzung möglich ist.
Weitere alternative Anfragen möglich
Hätten sich Staatsanwaltschaft und AG mit den durch die genannten Maßnahmen zu erlangenden Informationen zum Einkommen des Beschwerdeführers nicht begnügen wollen, wären darüber hinaus eine Abfrage bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und anschließende Bankanfragen in Betracht gekommen. Auch insoweit handelt es sich im Vergleich zur angeordneten Durchsuchung um eine meist weniger grundrechtsintensive Maßnahme.
Quelle | BVerfG, Beschluss vom 15.11.2023, 1 BvR 52/23, PM 115/23
| In einem Nachbarschaftsstreit sah das Amtsgericht (AG) München in dem Aufstellen einer Kamera auf dem Nachbargrundstück eine Persönlichkeitsrechtsverletzung und untersagte dies der Antragsgegnerin. |
Überwachungs- oder Wildkamera?
Die Parteien sind unmittelbare Nachbarn in München und stritten über eine im April 2022 auf der Terrasse der Antragsgegnerin aufgestellte Wildüberwachungskamera, die von der Terrasse der Antragstellerin aus sichtbar war. Die Antragstellerin wehrte sich hiergegen unter Verweis auf ihre Persönlichkeitsrechte und forderte die Antragsgegnerin im Juli 2022 u. a. auf, die Videoüberwachung zu beenden und künftig zu unterlassen. Die Antragsgegnerin verweigerte dies mit der Begründung, dass es sich nicht um eine Videoüberwachung, sondern um eine sogenannte Wild-Kamera handeln würde. Es ginge ausschließlich um die Kontrolle des eigenen Gartens.
Kamera musste entfernt werden
Zunächst erließ das AG im einstweiligen Rechtsschutz auf Antrag der Antragstellerin eine einstweilige Verfügung. Danach wurde es dieser untersagt, auf ihrem Grundstück eine Überwachungskamera aufzustellen, die die Terrasse oder den Garten der Antragstellerin erfasst oder erfassen kann oder den Eindruck hiervon erweckt. Anschließend entfernte die Antragsgegnerin die Kamera.
Einstweilige Verfügung war rechtens
Auf Antrag der Antragstellerin bestätigte das AG dann mit einem Urteil die einstweilige Verfügung. Die vormals aufgestellte Kamera habe die Antragstellerin in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Kamera tatsächlich ausschließlich den Bereich der Antragsgegnerin erfasst hat oder nicht. Denn es komme insoweit auf die Umstände des Einzelfalls an. Die Befürchtung, durch vorhandene Überwachungsgeräte überwacht zu werden, sei gerechtfertigt, wenn sie aufgrund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit oder aufgrund objektiv Verdacht erregender Umstände. Lägen solche Umstände vor, könne das Persönlichkeitsrecht des (vermeintlich) Überwachten schon wegen der Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch Videokameras und ähnliche Überwachungsgeräte beeinträchtige hingegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen nicht, die dadurch betroffen sein könnten.
Hypothetische Möglichkeit der Überwachung ausreichend für Beseitigungsanspruch
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs habe die Antragstellerin einen Anspruch auf Beseitigung der Kamera und entsprechende Unterlassung der etwaigen weiteren Installation einer vergleichbaren Kamera. Nach Ansicht der Lichtbilder sei das Gericht der Überzeugung, dass die Antragstellerin zu der Ansicht gelangen konnte, dass ihr Grundstück von der Kamera erfasst werde. Es handelte sich nicht mehr um die rein hypothetische Möglichkeit der Überwachung.
Der Sachverhalt habe sich zwar mittlerweile maßgeblich verändert, da die Kamera entfernt worden sei. Weiterhin habe die Antragsgegnerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass sie nicht die Absicht habe, eine weitere Kamera aufzustellen. Dieser Umstand allein kann aber nicht ausreichen, eine Wiederholungsgefahr aufzuheben.
Quelle | AG München, Urteil vom 1.2.2023, 171 C 11188/22, PM 43/23
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über die Frage entschieden, ob ein Anspruch des Mieters auf Gestattung der Gebrauchsüberlassung an einen Dritten (Untervermietung) auch im Fall einer Einzimmerwohnung gegeben sein kann. Er hat den Anspruch des Mieters bestätigt. |
Das war geschehen
Der Mieter einer in Berlin gelegenen Einzimmerwohnung bat mit Schreiben von März 2021 seinen Vermieter wegen eines beruflichen Auslandsaufenthalts um die Gestattung der Untervermietung an eine namentlich benannte Person vom 15.6.2021 bis zum 30.11.2022. Die Vermieter lehnten dies ab.
Mit der im Mai 2021 erhobenen, auf die Erlaubnis der Untervermietung „eines Teils der Wohnung“ an den bezeichneten Untermieter gerichteten Klage hat der Mieter vorgetragen, er wolle für die Dauer seiner berufsbedingten Abwesenheit einen Teil der Wohnung an die benannte Person untervermieten, jedoch persönliche Gegenstände weiter in der Wohnung lagern. Während seines Auslandaufenthalts lagere er seine in der (untervermieteten) Wohnung verbliebenen persönlichen Gegenstände dort in einem Schrank und einer Kommode sowie in einem am Ende des Flurs gelegenen, durch einen Vorhang abgetrennten, nur von ihm zu nutzenden Bereich von der Größe eines Quadratmeters. Ferner blieb er im Besitz eines Wohnungsschlüssels.
Die Klage hatte beim Amtsgericht (AG) keinen Erfolg. Auf die Berufung des Mieters hat das Landgericht (LG) die Vermieter antragsgemäß verurteilt, die Untervermietung „eines Teils der Wohnung“ an die vom Mieter benannte Person zu gestatten. Mit der Revision begehren die Vermieter die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
So entschied der Bundesgerichtshof
Die Revision der Vermieter hatte keinen Erfolg. Der BGH hat entschieden, dass dem Mieter ein Anspruch auf Gestattung der befristeten, teilweisen Gebrauchsüberlassung an den von ihm benannten Dritten zusteht.
Wie der Senat in der Vergangenheit bereits (zu Wohnungen mit mehreren Zimmern) entschieden hat, stellt das Bürgerliche Gesetzbuch (hier: § 553 Abs. 1 BGB) weder quantitative Vorgaben hinsichtlich des beim Mieter verbleibenden Anteils des Wohnraums noch qualitative Anforderungen bezüglich dessen weiterer Nutzung durch den Mieter auf. Von einer Überlassung eines Teils des Wohnraums an einen Dritten im Sinne des § 553 Abs. 1 BGB ist daher regelmäßig bereits auszugehen, wenn der Mieter den Gewahrsam an dem Wohnraum nicht vollständig aufgibt.
Danach kann ein Anspruch des Mieters gegen den Vermieter auf Gestattung der Gebrauchsüberlassung an einen Dritten auch bei einer Einzimmerwohnung gegeben sein. Ein Ausschluss von Einzimmerwohnungen aus dem Anwendungsbereich des § 553 Abs. 1 BGB ergibt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut, der Gesetzesgeschichte noch aus dem mieterschützenden Zweck der Vorschrift. Letzterer liefe für Mieter einer Einzimmerwohnung andernfalls gänzlich leer. Sachgerechte Gründe dafür, solche Mieter insoweit als weniger schutzwürdig anzusehen als Mieter einer Mehrzimmerwohnung, erschließen sich indes nicht, denn auch dem Mieter einer Einzimmerwohnung kann es, namentlich bei – wie hier – befristeter Abwesenheit, darum gehen, sich den Wohnraum zu erhalten.
Die Beurteilung des LG, dass der Mieter dem Untermieter die Einzimmerwohnung nur teilweise überlassen wollte, ist laut BGH nicht zu beanstanden. Der Mieter hat seinen Gewahrsam an der Wohnung nicht vollständig aufgegeben. Denn er hat persönliche Gegenstände in der Wohnung in Bereichen zurückgelassen, die seiner alleinigen Nutzung vorbehalten waren, und sich den Zugriff hierauf zudem durch Zurückbehaltung eines Wohnungsschlüssels gesichert. Hinzu tritt der Wille des Mieters, die Wohnung nur für die Zeit seines Auslandsaufenthalts teilweise einem Dritten zu überlassen.
Quelle | BGH, Urteil vom 13.9.2023, VIII ZR 109/22, PM 158/2023 vom 14.9.2023
| Eine Grabbeigabe (Goldkette und Eheringe) durch den Testamentsvollstrecker ist auch bei einer Auswirkung auf ein Vermächtnis nicht grob pflichtwidrig. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. |
Testamentsvollstrecker kam Wunsch der Erblasserin nach
Die Erblasserin errichtete mit ihrem verstorbenen Ehemann ein gemeinschaftliches Testament. Sie setzten unter anderem ihre gemeinsamen Kinder, die Beteiligten zu 1) bis 3), als Erben zu gleichen Teilen ein und vermachten der Beteiligten zu 3) vorab den Schmuck der Erblasserin. Später ordnete die Erblasserin in einer notariellen Ergänzung Testamentsvollstreckung an und bestimmte den Beteiligten zu 2) zum Testamentsvollstrecker.
Der Beteiligte zu 2) legte der Erblasserin – seiner Behauptung zufolge auf deren Wunsch – die Eheringe der Erblasserin und ihres Ehemannes an einer Goldkette mit ins Grab, obwohl sich die Beteiligten zu 1)und zu 3) mit der Grabbeigabe der Goldkette zuvor nicht einverstanden erklärt hatten. Dies veranlasste den Beteiligten zu 1), die Entlassung des Beteiligten zu 2) aus dem Amt des Testamentsvollstreckers zu beantragen. Das Nachlassgericht hat den Antrag nach Vernehmung verschiedener Zeugen zurückgewiesen.
So sah es das Oberlandesgericht
Die hiergegen eingelegte Beschwerde hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Ein Testamentsvollstrecker begeht keine grobe Pflichtverletzung, sofern er die Eheringe und eine Kette der Erblasserin auf deren Wunsch ihr mit ins Grab legt, auch wenn er dadurch einem angeordneten Vermächtnis teilweise nicht nachkommen kann. Das OLG hat die Beschwerde einer Tochter der Erblasserin zurückgewiesen.
Zu Recht habe das Amtsgericht (AG) eine als grob zu wertende Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers verneint. Es fehle bereits an dem Nachweis einer Pflichtverletzung. Der Beteiligte zu 1) habe nicht nachweisen können, dass die Grabbeilage nicht auf Wunsch der Erblasserin erfolgt sei. Die Erblasserin sei nicht gehindert gewesen, noch zu ihren Lebzeiten einer Vertrauensperson den rechtsverbindlichen Auftrag zu erteilen, die Goldkette nebst den Eheringen nach ihrem Tod als Grabbeigabe zu verwenden. Dieser insoweit als gegeben zu unterstellende geäußerte Wunsch der Erblasserin sei als – wirksamer – Auftrag zu deren Lebzeiten an den Beteiligten zu 2) zu verstehen. Diesen Auftrag hätten allenfalls alle drei Erben widerrufen können. Dies sei nicht geschehen.
Es lag eine Pflichtenkollision vor
Die aus dem Vermächtnis einerseits und dem Auftrag der Erblasserin andererseits resultierende Pflichtenkollision habe der Testamentsvollstrecker zugunsten einer Grabbeigabe entscheiden können, ohne dass dies als objektiv pflichtwidriger Verstoß gegen die Pflichten als Testamentsvollstrecker zu werten ist. Darüber hinaus sei selbst eine unterstellte Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers nicht schwerwiegend.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 19.12.2023, 21 W 120/23, PM 77/23
| Der Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Wohngebäudes an der Grundstücksgrenze fehlt es an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse, wenn eine Baulast im Baulastenverzeichnis eingetragen ist, die für den Grenzbereich die Freihaltung von jeglicher Bebauung regelt. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Mainz. |
Baulast seit 40 Jahren eingetragen
Die Klägerin stellte einen Bauantrag zur Errichtung eines Wohngebäudes an der Grenze zum Nachbargrundstück. Im Baulastenverzeichnis ist seit mehr als 40 Jahren eine Baulast eingetragen, nach der das Baugrundstück der Klägerin in der Länge eines (seinerzeit geplanten und genehmigten) Anbaus an ein Wohngebäude auf dem Nachbargrundstück und in einer Breite von drei Metern von jeglicher Bebauung freizuhalten ist.
Unter Hinweis auf diese Baulastregelung lehnte der Beklagte, die Baugenehmigungsbehörde, den im vereinfachten Genehmigungsverfahren gestellten Bauantrag ab. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage, mit der sie u. a. die Erteilung der Baugenehmigung beanspruchte. Sie machte im Wesentlichen geltend, die Baulast sei hinsichtlich der Länge der freizuhaltenden Fläche unbestimmt und deshalb unwirksam. Jedenfalls sei die Baulast in dem Baulastenverzeichnis zu löschen, weil zwischenzeitlich in der Umgebung nahezu auf allen Grundstücken grenzständige Bauten entstanden seien. Das VG wies die Klage ab.
Kein Rechtsschutzbedürfnis gegeben
Es fehle der Klage an einem sog. Rechtsschutzinteresse. Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren sei der Prüfungsumfang der Bauaufsichtsbehörde gesetzlich beschränkt. So seien Vorschriften nach der Landesbauordnung grundsätzlich nicht zu prüfen. Dementsprechend blieben auch eingetragene Baulasten generell unberücksichtigt.
Baulast war unmissverständlich
Gleichwohl sei die Baubehörde im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht verpflichtet, bauordnungsrechtliche Fragen gänzlich auszublenden. So dürfe sie im vereinfachten Verfahren die Erteilung einer Baugenehmigung versagen, wenn das Bauvorhaben offensichtlich gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften verstoße und deshalb nicht verwirklicht werden könne. So sei es hier. Die in Rede stehende Baulast enthalte die unmissverständliche Aussage, dass der Grenzbereich auf dem Klägergrundstück, auf dem das geplante Wohngebäude zu stehen kommen solle, von jeglicher Bebauung freizuhalten sei. Unter verständiger objektiver Würdigung sei auch bestimmbar, in welcher Länge das Bauverbot gelte: Diese ergebe sich aus den seinerzeitigen Baugenehmigungsunterlagen zu dem Nachbaranbau. Sei eine Baulast in das Baulastenverzeichnis eingetragen, entfalte sie ihre Wirksamkeit. Sie sei – anders als bei einer hier nicht gegebenen Nichtigkeit – nicht ständig auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen.
Bauantragsteller muss handeln
Erst im Fall der Eintragung eines (allerdings in einem eigenem Verwaltungsverfahren nach Wegfall eines öffentlichen Interesses durch die Bauaufsichtsbehörde auszusprechenden) Verzichts auf die Baulast entfalle ihre Wirksamkeit. Es sei Sache des Bauantragstellers, ein solches Verzichtsverfahren (ggf. nach zivilrechtlicher Abklärung von Nachbarrechtspositionen) anzustoßen. Die Baugenehmigungsbehörde sei indes nicht verpflichtet, mit der Bescheidung eines Bauantrags zuzuwarten, bis der Erteilung der Baugenehmigung entgegenstehende Hindernisse ausgeräumt seien.
Quelle | VG Mainz, Urteil vom 6.12.2023, 3 K 47/23.MZ, PM 2/24
| Die Naturschutzbehörden sind grundsätzlich befugt, gegenüber Betreibern bestandskräftig genehmigter Windenergieanlagen nachträgliche Anordnungen zur Verhinderung von Verstößen gegen das artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsverbot gemäß des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) zu treffen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage nach Genehmigungserteilung wesentlich geändert hat. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden. |
Zeitweise Abschaltung der Anlage
Die Klägerin wendet sich gegen nachträgliche zeitliche Beschränkungen des Betriebs ihrer bestandskräftig genehmigten Windenergieanlagen, die die Beklagte gestützt aus Gründen des Fledermausschutzes angeordnet hat. Die im Jahr 2006 erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung enthält keine Betriebsbeschränkungen zum Schutz von Fledermäusen. Nachdem später Totfunde verschiedener Fledermausarten im Bereich der Anlagen gemeldet und Bestandserfassungen zu Fledermäusen angestellt worden waren, verfügte die Beklagte unter näheren Maßgaben zu meteorologischen Rahmenbedingungen eine nächtliche Abschaltung der Anlagen vom 15. April bis zum 31. August eines Jahres. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen.
Wenn sich die Sach-oder Rechtslage ändert, sind nachträgliche Anordnungen möglich
Das BVerwG hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Eine bestandskräftige immissionsschutzrechtliche Genehmigung steht nachträglichen artenschutzrechtlichen Anordnungen auf der gesetzlichen Grundlage (hier: § 3 Abs. 2 BNatSchG) nicht generell entgegen. Das BNatSchG (§ 44 Abs. 1 Nr. 1) begründet eine unmittelbare und dauerhafte Verhaltenspflicht, die auch bei Errichtung und Betrieb immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Windenergieanlagen zu beachten ist.
Zwar ist aufgrund der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung der Anlagenbetrieb auch als rechtmäßig anzusehen. Das gilt aber nur in den Grenzen der auf den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung bezogenen Feststellungswirkung der Genehmigung, wonach die genehmigte Anlage mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar ist. Aufgrund der Anknüpfung an den Genehmigungszeitpunkt erstreckt sich diese Feststellungswirkung nicht auf nachträgliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage, wie im vorliegenden Fall. Die streitige Anordnung bewirkt auch keine – der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörde vorbehaltene – (Teil-)Aufhebung der Genehmigung.
Es war rechtlich auch einwandfrei, so das BVerwG, dass das OVG hier einen Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG bejaht hat, weil durch den Betrieb der Windenergieanlagen das Tötungs- und Verletzungsrisiko von Exemplaren der besonders geschützten Fledermausarten signifikant erhöht sei.
Quelle | BVerwG, Urteil vom 19.12.2023, 7 C 4.22, PM 95/23
| Stiehlt ein Polizist nach einem Verkehrsunfall Käse, ist er aus dem Dienst zu entfernen. So entschied es das Verwaltungsgericht (VG) Trier. |
Das war geschehen
Ein Lkw hatte einen Unfall. Der Polizeibeamte, der eine Uniform und eine Dienstwaffe trug, verlangte von der Bergungsfirma, aus der verunfallten Ladung neun unbeschädigte Packungen Käse herauszugeben. So geschah es. Diese Pakete verlud der Polizist mit einer Kollegin in einen Einsatzbus und deckte sie ab. U. a. ein knappes Viertel des Käses fand sich später in der Polizeistation des Beamten. Seine Erklärung: Der Gutachter der Versicherung habe den Käse freigegeben. Es habe sich quasi um Müll gehandelt. Was er verschwieg: Der Käse wurde später noch zum Restwert verkauft.
Verwaltungsgericht „kennt keine Gnade“
Der Polizist kam zwar vor dem Strafgericht „mit einem blauen Auge“ davon. Das VG, bei dem es um disziplinarische Maßnahmen gegen den Beamten ging, entfernte ihn aus dem Dienst. Er habe während der Dienstzeit in Uniform einen Diebstahl mit Waffen begangen. Das VG verhängte daher die Höchstmaßnahme. Das VG betonte: Einem Polizisten, der in Uniform stiehlt, könne man nicht mehr glauben, dass er sich an Recht und Gesetz hält.
Das VG bewertete es als besonders negativ, dass der Beamte das Vertrauen in die Polizei ausgenutzt hatte, indem er der Bergungsfirma falsche Tatsachen vorgespiegelt hatte. Hinzu kamen Lügen gegenüber seinen Vorgesetzten. Unerheblich sei es, falls der Käse nur als Geschenk an Kollegen dienen sollte.
Quelle | VG Trier, Urteil vom 18.1.2024, 3 K 1752/23 TR
| Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern hat jetzt klargestellt: Beschreibt der Arbeitgeber das Arbeitsumfeld als „jung und dynamisch“, bezieht sich dies auf den Arbeitsplatz. Es wird kein Bewerber wegen seines Alters ausgeschlossen.|
Ein Tankstellenpächter suchte in einem Zeitungsinserat wie folgt nach einem neuen Mitarbeiter: „Wir sind ein junges und dynamisches Team mit Benzin im Blut und suchen Verstärkung.“ Anschließend folgten Einzelheiten zu Anforderungen und Gehalt. Die konkreten Arbeitsbedingungen wurden beschrieben. Der 50-jährige Kläger bewarb sich erfolglos. Eingestellt wurde ein 48-jähriger Mann. Der Kläger forderte eine Entschädigung. Die Stellenanzeige enthalte eine Altersdiskriminierung. Damit scheiterte er in erster und zweiter Instanz.
Das LAG stellte fest: Das Inserat formulierte keine Anforderungen, die den Kläger wegen seines Alters von einer Bewerbung hätte abhalten sollen. Hier lag vielmehr eine werbende Eigendarstellung vor. Es handele sich um eine überspitzte, ironische, nicht ernsthaft gemeinte, in der Form eines Werbeslogans gehaltene Beschreibung des Arbeitsumfeldes. Das LAG: Einzelne Begriffe, z. B. „jung“, herauszupicken und auf sich selbst zu beziehen, sei nicht zulässig, zumal die konkreten Anforderungen an die Bewerber im Inserat deutlich beschrieben wurden.
Quelle | LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 17.10.2023, 2 Sa 61/23
| Der Kläger war seit dem 1.7.2018 als Rezeptionist in einem Beherbergungsbetrieb tätig und regelmäßig in der Spätschicht eingesetzt. Er hatte am 12.1.2022 sein Hybridauto vor der Herberge geparkt und über ein Ladekabel an einer 220 Volt-Steckdose im Flur des Seminartrakts aufgeladen. Nachdem die Beklagte dies entdeckt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis am 14.1.2022 fristlos. Hiergegen hatte der Kläger sich mit seiner Kündigungsschutzklage gewandt und in erster Instanz obsiegt. In dem vom Arbeitgeber angestrengten Berufungsverfahren haben die Parteien ihren Streit vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf nun per Vergleich beigelegt. |
Unerlaubtes Laden an sich ein Kündigungsgrund
In der mündlichen Verhandlung bestätigte das LAG, dass das unerlaubte Laden des Privatfahrzeugs auf Kosten des Arbeitgebers an sich ein Kündigungsgrund ist. Dies gilt erst recht, wenn das Laden an einer 220 Volt-Steckdose und nicht an einer Wallbox oder eingerichteten Ladestation erfolgt.
Erteilte Erlaubnis war unklar
Das LAG hatte allerdings bereits Zweifel, ob von einem unerlaubten Laden auszugehen sei. Dazu hätte ggf. die Beweisaufnahme erster Instanz zur Frage der gegenüber dem Kläger erteilten Erlaubnis wiederholt werden müssen.
Hier hätte Abmahnung ausgereicht
Unabhängig davon sprach nach Ansicht des LAG mehr dafür, dass hier eine Abmahnung ausgereicht hätte. Eine Kündigung wäre wohl unverhältnismäßig gewesen.
„Schaden“ von rund 40 Cent
So lagen die Kosten für den Ladevorgang am 12.1.2022 bei lediglich 0,4076 Euro. Ein Verbot zum Laden von Elektromotoren für die Mitarbeitenden existierte nicht. Die Hausordnung, die dies vorsah, richtete sich ausdrücklich nur an Gäste. Das Laden anderer elektronischer Geräte, z. B. Handys, durch Mitarbeitende wurde geduldet. Auch wenn dies wertungsmäßig etwas anderes als das Laden eines Hybridautos ist, hätte im konkreten Fall angesichts der bislang beanstandungsfreien Beschäftigungszeit eine Abmahnung genügt.
Am Ende verglichen sich die Parteien
Auf Vorschlag des Gerichts haben sich die Parteien u. a. auf eine ordentliche Kündigung zum 28.2.2022 und eine Abfindung von 8.000 Euro brutto geeinigt.
Quelle | LAG Düsseldorf, Vergleich vom 19.12.2023, 8 Sa 244/23, PM 32/23
| Der Beweiswert von (Folge-)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann erschüttert sein, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen, und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun klargestellt. |
War der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert?
Der Kläger war seit März 2021 als Helfer bei der Beklagten beschäftigt. Er legte am Montag, dem 2.5.2022, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 2. bis zum 6.5.2022 vor. Anfang Mai kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.5.2022. Mit Folgebescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 wurde Arbeitsunfähigkeit bis zum 20.5.2022 und bis zum 31.5.2022 (einem Dienstag) bescheinigt. Ab dem 1.6.2022 war der Kläger wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung auf. Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Beweiswert der vorgelegten AU-Bescheinigungen sei erschüttert. Dem widersprach der Kläger, weil die Arbeitsunfähigkeit bereits vor dem Zugang der Kündigung bestanden habe. Die Vorinstanzen haben der auf Entgeltfortzahlung gerichteten Klage für die Zeit vom 1. bis zum 31.5.2022 stattgegeben.
Gesetzliches Beweismittel
Die Revision der Beklagten hatte teilweise – bezogen auf den Zeitraum vom 7. bis zum 31.5.2022 – Erfolg. Ein Arbeitnehmer kann die von ihm behauptete Arbeitsunfähigkeit mit ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachweisen. Diese sind das gesetzlich vorgesehene Beweismittel.
Arbeitgeber kann Beweiswert erschüttern
Deren Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die nach einer Gesamtbetrachtung Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geben. Hiervon ausgehend ist das Landesarbeitsgericht (LAG) bei der Prüfung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die während einer laufenden Kündigungsfrist ausgestellt werden, zutreffend davon ausgegangen, dass für die Erschütterung des Beweiswerts dieser Bescheinigungen nicht entscheidend ist, ob es sich um eine Kündigung des Arbeitnehmers oder eine Kündigung des Arbeitgebers handelt und ob für den Beweis der Arbeitsunfähigkeit eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden.
Einzelfall ist zu würdigen
Stets erforderlich ist allerdings eine einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände. Hiernach hat das Berufungsgericht richtig erkannt, dass der Beweiswert für die Bescheinigung vom 2.5.2022 nicht erschüttert ist. Eine zeitliche Koinzidenz zwischen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und dem Zugang der Kündigung ist nicht gegeben. Der Kläger hatte zum Zeitpunkt der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine Kenntnis von der beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses, etwa durch eine Anhörung des Betriebsrats. Weitere Umstände hat die Beklagte nicht dargelegt. Bezüglich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 ist der Beweiswert dagegen erschüttert. Das LAG hatte insoweit nicht ausreichend berücksichtigt, dass zwischen der in den Folgebescheinigungen festgestellten passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestand und der Kläger unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen hat. Dies hat zur Folge, dass der Kläger nun für die Zeit vom 7.5.bis zum 31.5.2022 die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch trägt.
Da das LAG – aus seiner Sicht konsequent – hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückzuverweisen.
Quelle | BAG, Urteil vom 13.12.2023, 5 AZ R 137/23, PM 45/23
Verbraucherrecht
| Der Bundesfinanzhof hat entschieden: Kostenerstattungen eines kirchlichen Arbeitgebers an seine Beschäftigten für die Erteilung erweiterter Führungszeugnisse, zu deren Einholung der Arbeitgeber zum Zwecke der Prävention gegen sexualisierte Gewalt kirchenrechtlich verpflichtet ist, führen nicht zu Arbeitslohn. |
Die Einholung der erweiterten Führungszeugnisse durch die Arbeitnehmer erfolgte aufgrund einer nur die kirchlichen Rechtsträger, nicht aber die Arbeitnehmer treffenden (kirchenrechtlichen) Verpflichtung.
Durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasste, zu Lohn führende Zuwendungen erbringt der Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern aber regelmäßig nicht, wenn er ausschließlich eine eigene, insbesondere nicht gegenüber den Arbeitnehmern bestehende Verpflichtung erfüllt.
Die zur Erfüllung einer entsprechenden Verpflichtung entstehenden Kosten wendet der Arbeitgeber in einer solchen Konstellation im eigenen Interesse auf. Sie sind Ausfluss seiner eigenbetrieblichen Tätigkeit.
Beachten Sie | Haben die Arbeitnehmer die vom Arbeitgeber für dessen eigenbetriebliche Tätigkeit zu tragenden Kosten (wie im Streitfall) zunächst aus eigenen Mitteln verauslagt, wendet der Arbeitgeber ihnen mit der Erstattung ihrer Aufwendungen keinen Vorteil zu, der sich im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweisen könnte.
Quelle | BFH, Urteil vom 8.2.2024, IV R 19/22
| Nach dem neuen Partnerschaftsgesetz (hier: § 2 Abs. 1 PartGG), das am 1.1.2024 in Kraft getreten ist, muss der Name der Partnerschaft nur noch den Zusatz „und Partner“ oder „Partnerschaft“ enthalten. Die Aufnahme des Namens mindestens eines Partners ist nicht mehr erforderlich. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Der Zwang zur Benennung mindestens eines Partners ist zum Jahreswechsel entfallen. Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass die grundsätzlich zu schützende Vertrauensbeziehung zwischen Freiberufler und Auftraggeber es jedenfalls aus gesellschaftsrechtlicher Sicht nicht erfordert, dass der Name der Partnerschaftsgesellschaft den Namen mindestens eines Partners enthalten muss. Hinzu kommt, dass die Identifizierung der Partnerschaftsgesellschaft mit dem Namen der Partner weitgehend an Bedeutung verloren hat.
Quelle | BGH, Beschluss vom 6.2.2024, II ZB 23/22
| Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken bestätigte, dass in einer Tageszeitung anlässlich einer damals anstehenden Neuwahl des Ortsvorstehers zulässig über die erstinstanzliche strafrechtliche Verurteilung eines lokalen Bauunternehmers berichtet worden sei, der mit zwei der Kandidaten verwandt ist. |
Das war geschehen
Eine große pfälzische Tageszeitung berichtete in ihrer Online-Ausgabe vom 30.6.2023 und in ihrer Print-Ausgabe vom 1.7.2023 über die damals anstehende Neuwahl eines Ortsvorstehers. Diese war notwendig geworden, weil der bisherige Ortsvorsteher nach diversen Anfeindungen zurückgetreten war.
Im Artikel wurden die drei Kandidaten vorgestellt und dabei erwähnt, dass zwei der Kandidaten mit einem lokalen Bauunternehmer und Landwirt verwandt seien, dem Anwohner vorwerfen, für den stark angestiegenen Lkw-Verkehr im Ort verantwortlich zu sein. Dabei wurde auch berichtet, dass der Bauunternehmer erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung u. a. wegen Beleidigung, Nötigung, Bedrohung und versuchter gefährlicher Körperverletzung von Anwohnern verurteilt worden sei.
Auf eine Abmahnung des Bauunternehmers hin schwärzte die Zeitung das E-Paper und ergänzte den Online-Beitrag um den Hinweis, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig sei. Der Bauunternehmer verlangte hierauf im gerichtlichen Eilverfahren den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Zeitung, wonach sie den ihn betreffenden Bericht unterlassen sollte. Das Landgericht (LG) wies den Antrag zurück. Hiergegen hat der Bauunternehmer sofortige Beschwerde eingelegt. Diese wies das OLG zurück.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG begründete seine Entscheidung damit, dass es schon an der erforderlichen Eilbedürftigkeit für das beschrittene gerichtliche Eilverfahren fehle. Der Bauunternehmer habe mehr als fünf Wochen mit seinem Antrag gewartet und die Zeitung habe den Online-Artikel um den Zusatz, wonach das strafrechtliche Urteil noch nicht rechtskräftig sei, bereits ergänzt.
Zulässige Verdachtsberichterstattung
Unabhängig davon handele es sich um eine zulässige Verdachtsberichterstattung. Zwar könnten anhand der im Artikel genannten Einzelinformationen zumindest die Einwohner des betroffenen Ortsteils den Bauunternehmer identifizieren. Der Bericht beruhe aber auf wahren Tatsachen, nämlich die tatsächliche Verurteilung des Bauunternehmers. Außerdem werde zumindest durch den Zusatz klar, dass die Verurteilung auch noch nicht rechtskräftig sei.
Persönlichkeitsrecht vs. Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit
Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Bauunternehmers stehe nicht außer Verhältnis zum Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Es gehöre gerade zu den Aufgaben der Presse, in Zusammenhang mit demokratischen Prozessen zu berichten. Hierzu gehöre auch die Berichterstattung über den Hintergrund der Kandidaten, insbesondere deren verwandtschaftliche Beziehungen, da diese möglicherweise Einfluss auf zukünftige Entscheidungen der Kandidaten haben könnten. Sowohl der erhöhte Lkw-Verkehr im Ort, als auch die erstinstanzlich abgeurteilten Straftaten des Antragstellers zulasten der Anwohner seien von lokalem Interesse.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.10.2023, 4 W 23/23, PM vom 11.3.2024
| Die Nutzung eines Bootes als schwimmende Bar auf der Havel muss nach einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin umgehend beendet werden. |
Boot = bauliche Anlage?
Der Antragsteller ist Eigentümer eines Bootes, das er überwiegend an Dritte vermietet, im Sommer aber an drei Tagen am Wochenende zum Ausschank von Getränken an Gäste nutzt. Die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt forderte ihn im August 2023 sofort vollziehbar auf, die schwimmende Bar innerhalb einer Woche ab Zugang der Anordnung „zu beseitigen“. Zur Begründung führte die Behörde im Wesentlichen aus, die auf einer Plattform betriebene Bar sei nach dem Berliner Wassergesetz genehmigungsbedürftig; eine Genehmigung werde aber nicht erteilt.
Der Antragsteller hat um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er meint, bei seinem Boot handele es sich weder um eine bauliche Anlage im Wasser noch um eine schwimmende Plattform, sondern um ein zugelassenes Sportboot. Es werde wegen der Vermietung an Dritte auch nicht vorwiegend stationär genutzt.
Während der Woche Sportboot, an Wochenenden Anlage im Gewässer
Das VG hat die Rechtmäßigkeit der Anordnung überwiegend bestätigt. Bei der schwimmenden Bar handele es sich um eine nicht genehmigte Anlage, deren Beseitigung die Wasserbehörde nach dem Berliner Wassergesetz habe anordnen dürfen. Auch wenn das Boot während der Woche als Sportboot einzustufen sei, führe seine wiederkehrende stationäre Nutzung als schwimmende Bar in der Sommersaison von Freitagabend bis Sonntag dazu, dass es in diesem Zeitraum als Anlage im Gewässer einzustufen sei. Diese Nutzung überschreite qualitativ die Grenze der gemeinverträglichen Nutzung des Gewässers und stelle sich damit wie eine Sondernutzung dar.
Strenger Maßstab war anzulegen
Wegen der besonderen Bedeutung, die dem Wasser für die Allgemeinheit wie für den Einzelnen zukomme und mit Rücksicht darauf, dass das Wasser und der Wasserhaushalt gegenüber Verunreinigungen und sonstigen nachteiligen Einwirkungen in besonderer Weise anfällig sei, sei ein strenger Maßstab gerechtfertigt. Daher könne der Antragsteller auch keine Sondernutzungserlaubnis beanspruchen.
Das VG beanstandete den Bescheid allerdings hinsichtlich der zur Durchsetzung der Verfügung angedrohten Ersatzvornahme, da nur der Antragsteller selbst die stationäre Nutzung unterlassen könne und es sich somit um eine unvertretbare Handlung handele.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 19.1.2024, VG 10 L 419.23, PM 4/24
| Prozesskosten zur Erlangung nachehelichen Unterhalts sind privat veranlasste Aufwendungen und keine (vorweggenommenen) Werbungskosten bei den späteren Unterhaltseinkünften i. S. des Einkommensteuergesetzes (hier: § 22 Nr. 1 a EStG). Mit dieser Entscheidung hat der Bundesfinanzhof (BFH) der anderslautenden Sichtweise des Finanzgerichts (FG) Münster (Vorinstanz) widersprochen. |
Hintergrund: Beim begrenzten Realsplitting kann der Unterhaltsverpflichtete die Unterhaltszahlungen bis zu 13.805 Euro im Jahr (zuzüglich der aufgewandten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung als Basisversorgung) als Sonderausgaben abziehen. Dies bedarf allerdings der Zustimmung des Unterhaltsberechtigten, der die Unterhaltszahlungen seinerseits als sonstige Einkünfte versteuern muss.
Erst durch den Antrag und die Zustimmung werden Unterhaltsleistungen in den steuerrelevanten Bereich überführt. Die Umqualifizierung markiert die zeitliche Grenze für das Vorliegen abzugsfähiger Erwerbsaufwendungen; zuvor verursachte Aufwendungen des Unterhaltsempfängers stellen keine Werbungskosten dar.
Beachten Sie | Der BFH hat den Streitfall an das FG Münster zurückverwiesen. Dieses muss nun klären, ob ggf. außergewöhnliche Belastungen vorliegen. Es besteht zwar ein Abzugsverbot für Prozesskosten (§ 33 Abs. 2 S. 4 EStG). Dieses greift aber nicht, wenn die Existenzgrundlage oder lebensnotwendige Bedürfnisse des Steuerpflichtigen betroffen sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 18.10.2023, X R 7/20
| Nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die pauschale Besteuerung (Steuersatz i. H. von 25 %) für Betriebsveranstaltungen auch für Veranstaltungen zulässig, die nicht allen Betriebsangehörigen offenstehen. Nicht so erfreulich ist dagegen ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG), wonach die verspätete Pauschalbesteuerung nicht zur Beitragsfreiheit in der Sozialversicherung führt. |
Hintergrund: Zuwendungen des Arbeitgebers an seinen Arbeitnehmer und dessen Begleitpersonen anlässlich von Veranstaltungen auf betrieblicher Ebene mit gesellschaftlichem Charakter (Betriebsveranstaltung) führen gemäß Einkommensteuergesetz (hier: § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 1 EStG) zu Arbeitslohn.
Soweit die Zuwendungen den Betrag von 110 Euro je Betriebsveranstaltung und teilnehmendem Arbeitnehmer nicht übersteigen, gehören sie jedoch nicht zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, wenn die Teilnahme allen Angehörigen des Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. Dies gilt für bis zu zwei Betriebsveranstaltungen jährlich (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 3 und S. 4 EStG).
Urteil des Bundesfinanzhofs
Ungeklärt war bislang die Frage, ob eine„Betriebsveranstaltung“ auch bei einem geschlossenen Kreis (beispielsweise Vorstands- und Führungskräfte feiern) vorliegt.
Beachten Sie | In diesen Fällen kann zwar kein Freibetrag i. H. von 110 Euro gewährt werden, aber es wäre eine Lohnsteuerpauschalierung (nach § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) mit 25 % möglich.
Auch bei eingeschränktem Kreis: Betriebsveranstaltung
Diese Frage hat der BFH – im Gegensatz zur Vorinstanz – nun zugunsten der Steuerpflichtigen entschieden. Nach der ab dem Veranlagungszeitraum 2015 geltenden Definition im Einkommensteuergesetz (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 1 EStG) kann eine Betriebsveranstaltung auch vorliegen, wenn sie nicht allen Angehörigen eines Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. Und da diese Definition dem Tatbestandsmerkmal „Betriebsveranstaltung“ (gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) entspricht, ist eine pauschale Besteuerung möglich.
Urteil des Bundessozialgerichts
Im Streitfall des BSG ging es auch um Betriebsveranstaltungen – und zwar um die Frage, welche Folgen eine verspätete Lohnsteuerpauschalierung für die Sozialversicherung hat.
Das war geschehen
Ein Unternehmen feierte mit seinen Beschäftigten am 5.9.2015 ein Firmenjubiläum. Am 31.3.2016 zahlte es für September 2015 auf einen Betrag von rund 163.000 Euro die für 162 Arbeitnehmer angemeldete Pauschalsteuer. Nach einer Betriebsprüfung forderte der Rentenversicherungsträger von dem Unternehmen Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen in Höhe von rund 60.000 Euro nach – und zwar zu Recht, wie das BSG entschieden hat (die gegenteiligen Entscheidungen der Vorinstanzen wurden aufgehoben).
Aufwendungen von mehr als 110 Euro je Beschäftigten für eine betriebliche Jubiläumsfeier sind als geldwerter Vorteil in der Sozialversicherung beitragspflichtig, wenn sie nicht mit der Entgeltabrechnung, sondern erst erheblich später pauschal versteuert werden.
Pauschalversteuerung erfolgte zu spät
Es kommt entscheidend darauf an, dass die pauschale Besteuerung „mit der Entgeltabrechnung für den jeweiligen Abrechnungszeitraum“ erfolgt. Dies wäre im konkreten Fall die Entgeltabrechnung für September 2015 gewesen. Tatsächlich wurde die Pauschalbesteuerung aber erst Ende März 2016 durchgeführt und damit sogar nach dem Zeitpunkt, zu dem die Lohnsteuerbescheinigung für das Vorjahr übermittelt werden musste.
Beachten Sie | Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung vertreten im Besprechungsergebnis vom 20.4.2016 (TOP 5) die Auffassung, dass eine nachträgliche Pauschalbesteuerung nur bis zur Erstellung der Lohnsteuerbescheinigung geltend gemacht werden kann, also längstens bis zum 28.2. des Folgejahrs. Dem hat sich das BSG nun im Ergebnis angeschlossen.
Quelle | BFH, Urteil vom 27.3.2024, VI R 5/22; BSG, Urteil vom 23.4.2024, B 12 BA 3/22 R Abruf-Nr. 241172 unter www.iww.de, PM Nr. 15/24 vom 23.4.2024; Spitzenorganisationen der Sozialversicherung, Besprechungsergebnis vom 20.4.2016, TOP 5
| Aufwendungen einer gesunden Steuerpflichtigen für eine durch eine Krankheit des Partners veranlasste Präimplantationsdiagnostik (PID) können als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein. So lautet eine steuerzahlerfreundliche Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH). |
Hintergrund: Bei der PID handelt es sich um ein genetisches Diagnoseverfahren zur vorgeburtlichen Feststellung von Veränderungen des Erbmaterials, die eine Fehl- oder Totgeburt verursachen bzw. zu einer schweren Erkrankung eines lebend geborenen Kindes führen können. Es erfolgt eine zielgerichtete genetische Analyse von Zellen eines durch künstliche Befruchtung entstandenen Embryos vor seiner Übertragung und Einnistung in die Gebärmutter.
Das war geschehen
Bei dem Partner der Steuerpflichtigen lag eine chromosomale Translokation vor. Aufgrund dieser Chromosomenmutation bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein auf natürlichem Weg gezeugtes gemeinsames Kind an schwersten körperlichen oder geistigen Behinderungen leidet und unter Umständen nicht lebensfähig ist. Daher wurde eine PID durchgeführt. Der Großteil der hierfür notwendigen Behandlungen betraf die Steuerpflichtige, die den Abzug der Kosten als außergewöhnliche Belastungen beantragte.
Das Finanzamt lehnte eine Berücksichtigung der Behandlungskosten ab. Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen gab der Klage hinsichtlich der von der Steuerpflichtigen selbst getragenen Aufwendungen hingegen statt.
Bundesfinanzhof: zwangsläufig entstandene Aufwendungen
Der BFH bestätigte nun die Vorentscheidung. Die Aufwendungen für die Behandlung der Steuerpflichtigen sind zwangsläufig entstanden, weil die ärztlichen Maßnahmen in ihrer Gesamtheit dem Zweck dienten, eine durch Krankheit beeinträchtigte körperliche Funktion ihres Partners auszugleichen. Wegen der biologischen Zusammenhänge konnte (anders als bei anderen Erkrankungen) durch eine medizinische Behandlung allein des erkrankten Partners keine Linderung der Krankheit eintreten. Daher steht der Umstand, dass die Steuerpflichtige selbst gesund ist, der Berücksichtigung der Aufwendungen nicht entgegen.
Auch auf den Familienstatus kam es nicht an
Unschädlich war auch, dass die Steuerpflichtige und ihr Partner nicht verheiratet waren – und schließlich war auch das Erfordernis der Übereinstimmung der vorgenommenen Behandlungsschritte mit gesetzlichen Vorschriften (insbesondere dem Embryonenschutzgesetz) erfüllt.
Beachten Sie | Außergewöhnliche Belastungen wirken sich nur steuermindernd aus, wenn sie die im Einkommensteuergesetz (hier: § 33 Abs. 3 EStG) festgelegte zumutbare Belastung übersteigen. Die Höhe der zumutbaren Belastung hängt dabei u. a. vom Gesamtbetrag der Einkünfte ab.
Quelle | BFH, Urteil vom 29.2.2024, VI R 2/22, PM 23/24 vom 10.5.2024
| Das Ordnungsamt darf einen privaten Pkw, der auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellt worden ist, unabhängig davon abschleppen lassen, ob ein Carsharing-Fahrzeug an der Nutzung dieses Parkplatzes konkret gehindert worden ist. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf entschieden und die Klage der Fahrzeugführerin gegen einen Leistungs- und Gebührenbescheid abgewiesen. |
Die Klägerin hatte ihren Pkw auf einer Fläche abgestellt, die durch Verkehrsschilder als Parkplatz für Carsharing-Fahrzeuge gekennzeichnet war. Ein Mitarbeiter der städtischen Verkehrsüberwachung stellte den Verstoß fest und beauftragte einen Abschleppwagen. Kurz vor dessen Eintreffen erschien die Klägerin und entfernte ihr Fahrzeug von dem Parkplatz. Die Stadt machte ihr gegenüber mit Leistungs- und Gebührenbescheid die Kosten der Leerfahrt des Abschleppwagens geltend und setzte eine Verwaltungsgebühr fest. Zur Begründung ihrer Klage gegen diesen Bescheid trug die Klägerin vor, sie habe nur elf Minuten auf dem Carsharing-Platz geparkt und zu dieser Zeit seien noch weitere Parkplätze frei gewesen, sodass ein Abschleppen nicht notwendig gewesen sei.
Das VG: Die Beauftragung des Abschleppwagens war rechtmäßig. Ein Fahrzeug, das auf einem nach der Beschilderung ausschließlich Carsharing-Fahrzeugen vorbehaltenen Parkplatz steht, aber nicht am Carsharing teilnimmt, wird so betrachtet, als wenn es in einem absoluten Halteverbot stünde. Die Abschleppmaßnahme war verhältnismäßig, weil die Funktion der Parkplätze für Carsharing-Fahrzeuge nur gewährleistet ist, wenn sie jederzeit von nicht parkberechtigten Fahrzeugen freigehalten werden. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob die Klägerin durch das verbotswidrige Abstellen konkret ein bevorrechtigtes Carsharing-Fahrzeug am Parken gehindert hat. Das Abschleppen ist auch unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, dass von einem zu Unrecht auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellten Fahrzeug eine negative Vorbildwirkung für andere Kraftfahrer ausgeht.
Quelle | VG Düsseldorf, Urteil vom 20.2.2024, 14 K 491/23, PM vom 28.2.2024
| Die Abschleppunternehmer rechnen üblicherweise nach Einsatzstunden ab, wobei im Stundensatz die Kosten für das Fahrzeug und den Fahrer enthalten sind. Die Preis- und Strukturbefragung des Verbands Bergen und Abschleppen (VBA) differenziert dabei im unteren Segment nach Abschleppfahrzeugen unter und über zwölf Tonnen zulässigem Gesamtgewicht (zGG). Das Amtsgericht (AG) Pforzheim musste einen Fall entscheiden, bei dem der Abschleppunternehmer mit einem 13-Tonner vorgefahren kam. |
Der Versicherer trug vor, bei dem konkreten Gewicht des zu transportierenden Fahrzeugs hätte auch ein 11-Tonner genügt. Auf dieser Grundlage hatte er die Abschleppkosten nur reduziert erstattet.
Das Gericht entschied: Es möge sein, dass ein 11-Tonner genügt hätte. Doch sei dies im Vorhinein nicht abschätzbar.
Quelle | AG Pforzheim, Urteil vom 11.1.2024, 9 C 1207/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat sich in seiner Entscheidung mit der Frage befasst, ob der Klägerin ein Anspruch auf Sterbegeld und Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusteht, nachdem ihr Ehemann einen tödlichen Motorradunfall erlitten hatte. |
Ehemann der Klägerin bei Verkehrsunfall tödlich verletzt
Der Ehemann der Klägerin war Inhaber eines Autohauses in Berlin und als Unternehmer freiwillig bei der beklagten Berufsgenossenschaft versichert. Die Klägerin war in dem Autohaus angestellt tätig. Die gemeinsame Wohnung der Eheleute lag etwa 14 km vom Autohaus entfernt. Am 19.8.2013 reisten beide gemeinsam auf ihrem Motorrad aus einem mehrtägigen Urlaub in Thüringen die rund 400 km lange Strecke zurück nach Berlin, der Ehemann lenkte das Motorrad. Da die Tochter des Ehepaares während des Urlaubs die Geschäfte des Autohauses weitergeführt hatte und wegen eines Zahnarzttermins um 14:00 Uhr auf ihrer Arbeit abgelöst werden sollte, wollten sich die Eheleute aus Thüringen kommend direkt zum Autohaus begeben. Dort sollten von beiden die weiteren Geschäfte aufgenommen werden, ohne zuvor in die Familienwohnung zu fahren. Bereits auf dem Berliner Stadtgebiet, noch bevor sich die Wege zum Autohaus und zur Familienwohnung gabelten, kam es gegen 13:25 Uhr zu einem Verkehrsunfall, bei dem sich die Klägerin erheblich verletzte und ihr Ehemann verstarb.
Berufsgenossenschaft lehnte Sterbegeld ab
Die Berufsgenossenschaft lehnte es ab, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen (Sterbegeld und Witwenrente) zu erbringen. Ihr Ehemann habe sich bei dem Unfall nicht auf einem versicherten Arbeitsweg befunden, sondern lediglich auf einem privat veranlassten Rückweg von einer Urlaubsreise. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin und die Berufung vor dem LSG blieben zunächst ohne Erfolg. Auf die vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassene und von der Klägerin eingelegte Revision hin hat das Bundessozialgericht (BSG) das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache dorthin zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts sowie zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Landessozialgericht spricht Hinterbliebenenleistungen zu
Das LSG hat jetzt entschieden: Der Ehefrau stehen Hinterbliebenenleistungen zu. Der tödliche Motorradunfall stelle für den Ehemann als freiwillig versicherten Unternehmer einen Arbeitsunfall dar.
Zum einen sei der Ehemann versichert gewesen, weil er sich selbst zum Zeitpunkt des Unfalls auf dem direkten Weg zum Autohaus begeben wollte, um dort seiner Arbeit nachzugehen. Zum anderen habe Versicherungsschutz auch deshalb bestanden, weil die objektiven Begleitumstände und die Angaben der Ehefrau darauf schließen ließen, dass der verunglückte Ehemann seine Frau direkt zum Autohaus gefahren habe, damit diese dort die gemeinsame Tochter bei der Arbeit habe ablösen können. Damit liege ein versicherter, sogenannter „Betriebsweg“ vor, der nicht auf das Betriebsgelände beschränkt sei, aber dennoch im unmittelbaren betrieblichen Interesse liege.
Dem Versicherungsschutz stehe nicht entgegen, dass der Weg aus dem Urlaub (von einem „dritten Ort“ aus) angetreten worden sei und mithin erheblich länger gewesen sei, als es die Strecke von der Wohnung zur Arbeit gewesen wäre. Entscheidend sei, dass der zurückgelegte Weg die direkte Strecke zum Autohaus gewesen sei bzw. dass der subjektive Wille in erster Linie auf die Wiederaufnahme der Arbeit gerichtet gewesen sei. Dies hat das LSG anhand der vorliegenden Indizien des Falls bejaht. Insbesondere seien auch der Unfallzeitpunkt (13:25 Uhr) und der Zeitpunkt, zu dem die Tochter im Autohaus abgelöst werden sollte (14:00 Uhr), zeitlich stimmig.
Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.1.2024, L 21 U 202/21, PM vom 1.2.2024
| Mit den Besonderheiten bei der Versicherung historischer Fahrzeuge hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Es entschied: Steigt der Wert eines Oldtimers nach Abschluss der Versicherung an, ist der Betrag der Wertsteigerung womöglich vom Versicherungsschutz ganz oder teilweise nicht erfasst. Der Eigentümer des Fahrzeugs muss selbst darauf achten, den versicherten Wert regelmäßig dem etwa gestiegenen Marktwert anzupassen. Eine auf vollständigen Ersatz gerichtete Klage gegen die Kfz-Versicherung hat das Gericht im zugrundeliegenden Fall wegen Unterdeckung abgewiesen. |
Das war geschehen
Ein Oldtimerfan hatte sein historisches Fahrzeug gegen Beschädigung oder Zerstörung zum jeweils aktuellen Marktwert versichert. Später kam es dazu, dass das Fahrzeug bei einem Brand in einer Tiefgarage erheblich beschädigt worden war.
Die Kfz-Versicherung kam nach eingeholtem Gutachten zu einem Wert des Fahrzeugs am Schadenstag in Höhe von knapp 41.000 Euro und zahlte dem Eigentümer den entsprechenden Geldbetrag aus. Dieser war jedoch davon überzeugt, dass sein Oldtimer deutlich mehr wert gewesen sei und ließ deshalb ein weiteres Gutachten einholen. Dieses kam tatsächlich zu dem Ergebnis, dass das historische Fahrzeug im Wert deutlich gestiegen und fast 8.000 Euro mehr wert war, als von der Versicherung angenommen. Der Mann verlangte nun die Differenz.
Sonderbedingungen des Versicherungsvertrags entscheidend
Das LG verwies, wie auch zuvor bereits die Versicherung, den Oldtimerfan auf die im Versicherungsvertrag enthaltenen Sonderbedingungen für historische Fahrzeuge. Danach werde grundsätzlich ein Schaden bis zur Höhe des aktuellen Marktwerts ersetzt. Die Höchstentschädigung sei aber durch den Marktwert begrenzt, der bei Versicherungsabschluss vereinbart wurde.
Im Fall von Wertsteigerungen könne maximal zehn Prozent mehr als der damals vereinbarte Marktwert verlangt werden. Der habe im konkreten Fall rund 36.000 Euro betragen. Dem Oldtimerbesitzer stehe deshalb keine höhere Entschädigung zu, als von der Versicherung bereits ausgezahlt.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 17.1.2024, 3 O230/23, PM vom 28.2.2024
| Das Amtsgericht (AG) Frankfurt hatte nach der Wegnahme eines Fan-Schals keinen Diebstahl, sondern lediglich eine Nötigung angenommen. Ob ein Diebstahl vorliege, hänge davon ab, ob der Täter den Schal seinem Vermögen einverleiben wolle. |
Wegnahme nach Fußballspiel
Der angeschuldigte Eintracht-Fan soll bei einem Fußballspiel der Frankfurter Eintracht gegen den FC Schalke 04 im Deutsche Bank-Park einem Fan der gegnerischen Mannschaft einen Fan-Schal abgenommen haben. Beim Verlassen des Stadions habe er dem Schalke-Anhänger den Fan-Schal im Vorbeilaufen vom Hals gezogen. Als der Schalke-Fan ihn zur Rückgabe aufforderte, habe er ihn mit beiden Händen weggeschoben.
Staatsanwaltschaft bejahte Diebstahl
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main wertete dies als Diebstahl. Da der Angeschuldigte zudem den Schalke-Fan mit Gewalt weggedrückt habe, um den erbeuteten Schal behalten zu können, erhob sie Anklage wegen räuberischen Diebstahls - einem Verbrechenstatbestand mit einer Mindeststrafe von einem Jahr.
Amtsgericht differenzierte
Das AG sah in der Handlung des Angeschuldigten jedoch keinen Diebstahl. Es fehle an der hierfür notwendigen „Zueignungsabsicht“. Diese liege nur vor, wenn der Täter sich die Sache aneignen, sie also seinem Vermögen zuführen wolle. Nehme der Täter den Schal aber lediglich an sich, um jemanden zu ärgern, fehle es an einer Zueignungsabsicht. Es handele sich dann lediglich um eine straflose „Gebrauchsanmaßung“ und – sofern der Schal anschließend beschädigt würde – um eine Sachbeschädigung.
Da das Gericht keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür sah, dass der Angeschuldigte den Schal behalten wollte, eröffnete es das Hauptverfahren nicht wegen räuberischen Diebstahls, sondern lediglich wegen Nötigung. Diese habe der Angeschuldigte durch das Wegdrücken des Schalke-Fans begangen.
Quelle | AG Frankfurt am Main, Beschluss vom 23.10.2023, 917 Ls 6443 Js 217242/23, PM vom 8.3.2024
| Bei der Zerstörung eines älteren Baumes ist in der Regel keine sog. Naturalrestitution zu leisten, also nicht der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Der Anspruch geht vielmehr auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines jungen Baumes und darüber hinaus einen Ausgleich für eine etwa verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Das Oberlandgericht (OLG) Frankfurt am Main hat ein den eingeklagten Schadenersatzanspruch größtenteils zurückweisendes Urteil des Landgerichts (LG) aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das LG zurückverwiesen. |
Rückschnitt ja, aber nicht so gravierend
Die Parteien sind Nachbarn. Die Klägerin ist Eigentümerin eines großen Grundstücks im Vordertaunus mit rund 70-jährigem Baumbestand. Der Baum- und Strauchbestand wird jährlich mehrfach durch ein Fachunternehmen beschnitten. An den hinteren Gartenbereich grenzt u. a. das Grundstück des Beklagten. Im Abstand von 1,60 m hierzu steht auf dem klägerischen Grundstück eine Birke, im Abstand von 3,35 m ein Kirschbaum. Beide Bäume waren zum Zeitpunkt des Erwerbs des Beklagten schon lange vorhanden. Die Klägerin war einverstanden, dass der Beklagte die auf sein Grundstück herüberhängenden Äste der Gehölze zurückschneidet.
Ende Mai 2020 betrat der Beklagte das klägerische Grundstück in ihrer Abwesenheit und führte gravierende Schnittarbeiten unter anderem an den beiden Bäumen durch. An der Birke verblieb kein einziges Blatt. Der kurz vor der Ernte befindliche Kirschbaum wurde vollständig eingekürzt. Ob sich die Bäume wieder komplett erholen oder die derzeitigen Triebe allein sog. Nottriebe sind, die an dem Absterben nichts ändern, ist zwischen den Parteien streitig.
Landgericht sprach Schadenersatz von 4.000 Euro zu
Das LG hat der auf Zahlung von Schadenersatz von knapp 35.000 Euro gerichteten Klage in Höhe von gut 4.000 Euro stattgegeben. Es führte aus, dass die Wertminderung der Bäume sowie die Kosten für die Entsorgung des Schnittguts zu ersetzen seien.
Oberlandesgericht: Sachverhalt muss aufgeklärt werden
Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LG. Der Sachverhalt sei zur Bemessung des Schadenersatzes weiter aufzuklären, begründete das OLG die Entscheidung.
Bei der Zerstörung eines Baumes sei in der Regel nicht Schadenersatz in Form von Naturalrestitution zu leisten, da die Ersatzbeschaffung in Form der Verpflanzung eines ausgewachsenen Baumes regelmäßig mit besonders hohen und damit unverhältnismäßigen Kosten verbunden sei. Der Schadenersatz richte sich vielmehr üblicherweise auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines neuen jungen Baumes sowie einen Ausgleichsanspruch für die verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Diese Werteinbuße sei zu schätzen. Nach einer möglichen Bewertungsmethode könnten dafür die für die Herstellung des geschädigten Gehölzes bis zu seiner Funktionserfüllung erforderlichen Anschaffungs-, Pflanzungs- und Pflegekosten sowie das Anwachsrisiko berechnet und anschließend kapitalisiert werden. Dieser Wert sei um eine Alterswertminderung, Vorschäden und sonstige wertbeeinflussende Umstände zu bereinigen.
Ausnahmsweise seien die vollen Wiederbeschaffungskosten zuzuerkennen, „wenn Art, Standort und Funktion des Baumes für einen wirtschaftlich vernünftig denkenden Menschen den Ersatz durch einen gleichartigen Baum wenigstens nahelegen würden“, erläutert das OLG weiter. Aufzuklären sei deshalb bei der Bewertung des Schadenersatzes die Funktion der Bäume für das konkrete Grundstück. Zu berücksichtigen sei dabei auch der klägerische Vortrag, wonach es ihr bei der sehr aufwändigen, gleichzeitig naturnahen Gartengestaltung auch darauf angekommen sei, Lebensraum für Vögel und sonstige Tiere zu schaffen und einen Beitrag zur Umwandlung von Kohlenstoffdioxid in Sauerstoff zu leisten.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 6.2.2024, 9 U 35/23, PM 12/24
Impfpflicht: Vorlage eines Masernimmunitätsnachweises für schulpflichtige Kinder
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat in mehreren Eilverfahren die Beschwerden von Eltern schulpflichtiger Kinder gegen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin zurückgewiesen, wonach Gesundheitsämter für den Schulbesuch den Nachweis einer Impfung oder Immunität gegen Masern fordern dürfen, sofern keine Kontraindikation besteht. Für den Fall, dass der Nachweis nicht vorgelegt wird, kann auch ein Zwangsgeld angedroht werden. |
Infektionsschutzgesetz verfassungskonform
Zur Begründung hat das OVG u. a. ausgeführt: Die Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes zur Nachweispflicht seien angesichts der hochansteckenden Viruskrankheit mit möglicherweise schwerwiegenden Komplikationen nicht offenkundig verfassungswidrig. Zwar greife die Nachweispflicht in das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes ein. Die Regelung sei aber verhältnismäßig, weil sie – wie das Bundesverfassungsgericht bereits zur Nachweispflicht bei noch nicht schulpflichtigen Kindern entschieden habe – einen legitimen Zweck verfolge und nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehe.
Impfpflicht besteht
Der Gesetzgeber des Masernschutzgesetzes sei von einer grundsätzlich bestehenden „Impfpflicht“ bzw. „verpflichtenden Impfung“ ausgegangen. Er habe lediglich von deren Durchsetzung im Wege des unmittelbaren Zwangs abgesehen. Andere Zwangsmittel, wie Zwangsgeld und Geldbuße, seien hingegen vorgesehen, um eine tatsächliche Erhöhung der Impfquote in Schulen und sonstigen Gemeinschaftseinrichtungen – und damit letztlich in der gesamten Bevölkerung – zu erreichen.
Die Beschlüsse sind unanfechtbar.
Quelle | OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 28.2.2024, OVG 1 S 80/23 u. a., PM 9/24
| Nach Modernisierungsarbeiten vor Mietbeginn kann der Vermieter eine Miete vereinbaren, die die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 10 % übersteigt. Bestreitet der Mieter die Maßnahmen, ist das unbeachtlich, wenn der Vermieter eine substanziierte Berechnung vorgelegt und Einsicht in sämtliche Unterlagen angeboten hat. Das hat jetzt das Amtsgericht (AG) Berlin-Charlottenburg entschieden. |
Mieter verlangte Rückerstattung überhöhter Miete
Die Miete für eine Wohnung in einem durch Verordnung bestimmten Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt lag bei 1.700 Euro. Unter Berücksichtigung eines zehnprozentigen Zuschlags gemäß Mietspiegel war von einer ortsüblichen Vergleichsmiete von maximal 867,71 Euro auszugehen. Der Mieter forderte die Rückerstattung der überhöht verlangten Miete. Im Prozess nahm der Vermieter detailliert zu den von ihm durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen Stellung und legte dar, in welchem Umfang Abzüge für Instandsetzungsmaßnahmen vorgenommen wurden, insbesondere, dass anrechenbare Modernisierungskosten in Höhe von 441,33 Euro pro Monat entstanden seien.
Klage hatte teilweise Erfolg
Das AG gab der Klage teilweise statt. Bei den Baumaßnahmen des Vermieters handele es sich zwar nicht um eine umfassende Modernisierung im Sinne des § 556 f BGB, sodass der Vermieter die Wohnung nicht preisfrei vermieten durfte. Bei einer umfassenden Modernisierung sei zum einen auf den Investitionsaufwand und zum anderen auf das Ergebnis der Maßnahme, also die qualitativen Auswirkungen auf die Gesamtwohnung, abzustellen. Die aufgewandten Kosten einer reinen Erhaltungsmaßnahme zählten insgesamt nicht zu den Modernisierungskosten. Allein die Höhe des Bauaufwands reiche nicht aus; entscheidend sei das Resultat, also der geschaffene Zustand. Der Begriff „umfassend“ bezeichne nämlich nicht nur ein quantitatives (Kosten-)Element, sondern gleichberechtigt ein qualitatives Kriterium. Zu berücksichtigen seien die qualitativen Auswirkungen der Maßnahmen auf die Gesamtwohnung. Eine solche Auslegung werde dem Gesetzeszweck gerecht, Modernisierungen zu fördern. Durch diesen Aufwand müsse ein Zustand erreicht werden, der einer Neubauwohnung in etwa – nicht notwendig vollständig – entspreche.
Im Fall des AG fehlten Darlegungen des Vermieters, dass durch die Maßnahmen ein Zustand erreicht wurde, der insbesondere in energetischer Hinsicht einem Neubau gleichkommt. Jedoch sei der Vermieter berechtigt, die Kosten für die Modernisierungsmaßnahmen (nach § 556 e Abs. 2 BGB) in Höhe von 441,33 Euro pro Monat anzurechnen. Insgesamt sei daher eine Nettokaltmiete für die Wohnung in Höhe von 1.309,04 Euro berechtigt.
Quelle | AG Berlin-Charlottenburg, Urteil vom 9.6.2023, 209 C 29/22
| Nach dem Wohnungseigentumsgesetz (hier: § 20 Abs. 1 Abs. 2 S. 1 WEG) kann jeder Wohnungseigentümer angemessene bauliche Veränderungen verlangen, die u. a. dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen (sog. privilegierte bauliche Veränderungen). Verlangt ein Wohnungseigentümer eine solche bauliche Veränderung, entscheidet die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer über das „Wie“ der Maßnahme nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung. Der einzelne Wohnungseigentümer hat grundsätzlich keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung. So entschied es das Landgericht (LG) Stuttgart. |
Eigentümer errichtete zunächst Ladesäule
Ein Wohnungseigentümer hatte ein Sondernutzungsrecht an einem Stellplatz im Freien. Seit Jahren versuchte er vergeblich zu erreichen, dass eine Ladesäule für Elektrofahrzeuge an seinem Stellplatz errichtet wird. Schließlich montierte er im Sommer 2019 ohne Gestattung neben seinem Außenstellplatz eine Ladesäule auf einem Betonfundament. Für die Errichtung als „öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur“ erhielt er eine Förderung aus Bundesmitteln. Die Eigentümergemeinschaft verklagte ihn erfolgreich auf Entfernen der Ladestation und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Im Rahmen der Vollstreckung wurde die Ladesäule demontiert.
Dann verlangte er bestimmte bauliche Veränderungen
Der Eigentümer verlangte daraufhin „bauliche Veränderungen, die dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen gemäß (von ihm) vorgelegtem Ladeinfrastrukturkonzept“. Dieser Antrag wurde in der Eigentümerversammlung 2020 nicht beraten und zur Abstimmung gestellt, sondern beschlossen, ein Gesamtkonzept zum Betreiben von Ladepunkten für E-Mobilität erstellen zu lassen. Die Eigentümerversammlung 2021 lehnte das inzwischen vorliegende Gesamtkonzept ab und ebenso die von dem Eigentümer erneut beantragte Genehmigung baulicher Veränderungen gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept, das alternativ eine öffentliche oder nichtöffentliche Nutzung vorsah. Zugleich wurde anderen Wohnungseigentümern auf deren Antrag gestattet, eine Wallbox an insgesamt vier Stellplätzen anzubringen.
Darauf erhob der Eigentümer Beschlussersetzungsklage, gerichtet auf die Gestattung, auf dem Gemeinschaftseigentum neben seinem Stellplatz die zuvor entfernte Ladestation gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept errichten zu dürfen, hilfsweise, ihm die Anbringung einer Wallbox zu gestatten. Damit hatte der Eigentümer in beiden Instanzen keinen Erfolg.
Landgericht: kein Anspruch auf bestimmte Ausführung einer Maßnahme
Der Eigentümer könne die Gestattung der Errichtung einer Ladestation nach dem von ihm entwickelten Ladeinfrastrukturkonzept nicht verlangen. Die Beschlussersetzungsklage diene der gerichtlichen Durchsetzung des Anspruchs des Wohnungseigentümers auf ordnungsmäßige Verwaltung. Die Klage sei daher begründet, wenn der klagende Wohnungseigentümer einen Anspruch auf den seinem Rechtsschutzziel entsprechenden Beschluss habe, weil nur eine Beschlussfassung ordnungsmäßiger Verwaltung entspreche.
Zwar könne jeder Wohnungseigentümer einen Beschluss über das „Ob“ solcher baulichen Veränderungen verlangen, so das LG; dies beinhalte aber keinen Anspruch auf eine bestimmte Art und Weise der Durchführung. Darüber entscheiden die Wohnungseigentümer im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung nach eigenem Ermessen. Der einzelne Wohnungseigentümer habe mithin keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung, solange das Ermessen der Gemeinschaft nicht aufgrund der Einzelfallumstände auf null reduziert sei.
Quelle | LG Stuttgart, Urteil vom 5.7.2023, 10 S 39/21
| Das Finanzministerium Baden-Württemberg stellt einen Ratgeber „Steuertipps für Familien“ zur Verfügung. Der 100 Seiten umfassende Ratgeber gibt neben Informationen rund um das Kindergeld u. a. einen Überblick über die Steuervergünstigungen für Familien und Alleinerziehende.
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden, wann ein Widerspruch vorliegt, durch den ein älteres Testament – ganz oder teilweise – aufgehoben wird. |
Vier handschriftliche Testamente
Die Erblasserin verstarb ledig und kinderlos. Sie hatte zwei Geschwister: eine Schwester und einen Bruder, die beide vorverstorben sind. Insgesamt hinterließ die Erblasserin vier handschriftlich verfasste Testamente.
Im ersten Testament vom 3.4.2007 setzte sie ihre Schwester als Alleinerbin und ihren Bruder als Ersatzerben ein. Dieses Testament änderte sie am 26.4.2009 durch Durchstreichen derart, dass die Ersatzerbenstellung des Bruders aufgehoben wurde mit der Bemerkung, dass er gestorben sei. Im Testament vom 26.4.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Später ergänzte sie den Text mit folgendem unvollständigen Wortlaut: „Für den Fall, dass meine Schwester das Erbe nicht antreten kann, setze ich meine Großnichte als“. Im Testament vom 18.10.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Weiter heißt es in dem Testament: „Für den Fall, dass meine Schwester verstorben ist, setze ich zur Nacherbin meine Großnichte ein.“ Schließlich testierte sie am 27.4.2016 erneut und setzte wiederum ihre Schwester als Alleinerbin ein. In diesem Testament wurde weder eine Ersatzerbschaft noch eine Nacherbschaft angeordnet und die Großnichte wurde nicht mehr erwähnt.
Die Großnichte beantragte einen Alleinerbschein. Dem traten die Kinder des vorverstorbenen Bruder entgegen. Das Nachlassgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, die Erblasserin habe mit ihrer letzten Verfügung von Todes wegen die vorangegangenen Testamente aufgehoben. Der gegen diesen Beschluss durch die Großnichte eingelegten Beschwerde hat das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Akten dem OLG Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat die Beschwerde zurückgewiesen.
So sah es das Oberlandesgericht
Die Großnichte könnte ihre Alleinerbenstellung allein aus dem Testament vom 18.10.2009 herleiten. Diese Stellung sei indes von der Erblasserin vollständig aufgehoben worden, als sie am 27.4.2016 ein neues Testament errichtet habe, in dem die Großnichte nicht mehr als Ersatzerbin berufen sei, so das OLG.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 2258 Abs. 1 BGB) werde durch die Errichtung eines Testaments ein früheres Testament insoweit aufgehoben, als dass das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch stehe. Ein derartiger Widerspruch liege zum einen vor, wenn die Testamente sachlich miteinander nicht vereinbar seien, die getroffenen Anordnungen also nicht nebeneinander Geltung erlangen könnten, sondern sich gegenseitig ausschließen. Ein Widerspruch sei zum anderen (auch) gegeben, wenn die einzelnen Anordnungen einander zwar nicht entgegengesetzt seien, aber die kumulative Geltung der mehreren Verfügungen den in einem späteren Testament zum Ausdruck kommenden Absichten des Erblassers zuwiderliefe. Das sei der Fall, wenn der Erblasser mit dem späteren Testament seine Erbfolge insgesamt, nämlich abschließend und umfassend (ausschließlich) habe neu regeln wollen. So liege der Fall hier.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.12.2023, I-3 Wx 189/23
| Zwei Investoren sind zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von insgesamt 300.000 Euro nebst Zinsen an einen Planungsverband verpflichtet worden, weil sie die Erteilung einer Baugenehmigung zur Realisierung eines Hotelbauvorhabens nicht rechtzeitig beantragt haben. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz. |
Frist für Bebauungsplan vereinbart
Im Dezember 2016 schloss der Planungsverband mit den Investoren einen städtebaulichen Vertrag. In diesem verpflichteten sich die Investoren, binnen 36 Monaten ab Inkrafttreten eines vom Planungsverband aufzustellenden Bebauungsplans einen vollständigen Bauantrag zur Errichtung eines Hotelbaus zu stellen. Unterbleibt eine rechtzeitige Bauantragstellung, ist eine Vertragsstrafe in Höhe von 15.000 Euro monatlich, höchstens in Höhe von 300.000 Euro, vorgesehen.
Frist überschritten: Vertragsstrafe
Weil die Investoren ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen waren, verlangte der Planungsverband zunächst außergerichtlich und dann mit seiner Klage, die vereinbarte Vertragsstrafe zu zahlen. Die Investoren beriefen sich dagegen auf Formfehler beim Zustandekommen des Vertrags und machten geltend, die Stellung eines vollständigen Bauantrags sei ihnen unmöglich gewesen, weil der Planungsverband Gestaltungsvorgaben nicht hinreichend konkret vorgegeben habe. Ferner stünde ein Lärmschutzkonflikt mit den Betreibern der auf dem Plateau vorhandenen Freilichtbühne einer Umsetzung des Hotelkonzepts entgegen.
Anforderungen eingehalten
Die Klage hatte Erfolg. Der Verband habe einen Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe, so das VG. Der Vertrag sei frei von Verfahrens- und Formfehlern zustande gekommen und entspreche den an einen städtebaulichen Vertrag zu stellenden gesetzlichen Anforderungen.
Rechtzeitigkeit wäre möglich gewesen
Den Investoren sei es zudem möglich gewesen, rechtzeitig vollständige Bauantragsunterlagen einzureichen. Insbesondere habe der Lärmschutzkonflikt zwischen dem geplanten Hotelvorhaben und der Freilichtbühne die Vorlage vollständiger Bauantragsunterlagen nicht unmöglich gemacht. Eine Lösung des Konflikts wäre vielmehr im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens herbeizuführen gewesen.
Gegen die Entscheidung wurde Rechtsmittel zum Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz erhoben.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 6.12.2023, 4 K 388/23.KO, PM 1/24
| Die Errichtung von Kleinwindenergieanlagen ist ein im Außenbereich baurechtlich privilegiertes Vorhaben der Nutzung der Windenergie, auch wenn es nicht mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms der öffentlichen Energieversorgung, sondern der Deckung des privaten Verbrauchs dient. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |
Landkreis lehnte Erlass eines Bauvorbescheids ab
Die Kläger beantragten, ihnen einen Bauvorbescheid zur Errichtung von vier Kleinwindenergieanlagen (Gesamthöhe 6,5 m) auf ihrem Grundstück im Außenbereich zu erteilen. Der Landkreis lehnte dies mit der Begründung ab, die Anlagen seien nicht als im Außenbereich privilegierte Vorhaben der Nutzung der Windenergie zu behandeln, da die Privilegierung auf solche Windenergieanlagen zu beschränken sei, die der öffentlichen Versorgung dienten. Zudem stünden öffentliche Belange dem Vorhaben entgegen. Hiergegen erhoben die Kläger Klage. Das Verwaltungsgericht (VG) verpflichtete den beklagten Landkreis, den beantragten Bauvorbescheid zu erteilen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Landkreises wies das OVG zurück.
Privilegiertes Bauvorhaben auch bei Privatnutzung der erzeugten Energie
Das VG habe den Beklagten zu Recht zur Erteilung des beantragten Bauvorbescheids verpflichtet. Bei der Errichtung und dem Betrieb der vier Kleinwindenergieanlagen handele es sich um ein der Nutzung der Windenergie dienendes privilegiertes Vorhaben im Sinne des Baugesetzbuchs (hier: § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB), das im Außenbereich zugelassen werden könne.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ließen sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal herleiten, wonach das Vorhaben nicht nur der Nutzung der Windenergie, sondern – mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms – auch der öffentlichen Energieversorgung dienen müsse. Gegen ein solches ungeschriebenes Erfordernis sprächen auch Sinn und Zweck der Norm. Diese diene letztlich einer umwelt- und ressourcenschonenden Energieversorgung mittels einer verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien, wozu Windenergieanlagen auch dann beitrügen, wenn sie allein zur Deckung eines privaten Verbrauchs errichtet würden. Die überragende Bedeutung dieses Ziels habe der Gesetzgeber mehrfach in seiner weiteren Normsetzung herausgestellt.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus einem Urteil des OVG aus dem Jahr 2018, an dem der dort erkennende Senat in Bezug auf den geforderten öffentlichen Versorgungszweck in einer neueren Entscheidung aus dem Jahr 2023 ersichtlich nicht mehr festhalte.
Keine Gefahr von Wildwuchs
Nicht nachvollziehbar sei die vom Beklagten ferner geltend gemachte Befürchtung, dass bei einer Privilegierung von allein der privaten Versorgung dienenden Kleinwindenergieanlagen ein Wildwuchs derartiger Vorhaben zulasten der Landschaft drohe. Denn die Errichtung einer Kleinwindenergieanlage im Außenbereich komme unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nur in Betracht, wenn der erzeugte Strom entweder durch einen dort in der Nähe der Anlage vorhandenen Verbraucher abgenommen oder ins Stromnetz eingespeist werde. Dies sei jedoch regelmäßig nicht der Fall, da ein Endabnehmer vor Ort im Außenbereich nur in Ausnahmefällen vorhanden sei und der Bau einer Leitung allein zum Zweck der Einspeisung des mit der Kleinanlage erzeugten Stroms in ein öffentliches Netz unter Rentabilitätsaspekten ausscheide. Dem privilegierten Vorhaben stünden auch keine öffentlichen Belange entgegen.
Quelle | OVG Koblenz, Urteil vom 4.4.2024, 1 A 10247/23. OVG, PM 6/24
| Das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz hat die Entlassung eines Polizeikommissars aus dem Beamtenverhältnis auf Probe für rechtmäßig erklärt. |
Das war geschehen
Der Kläger war im Jahr 2021 nach bestandener Laufbahnprüfung in das Probebeamtenverhältnis berufen und als Einsatzsachbearbeiter in einer Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei eingesetzt worden. Bereits zuvor, noch während seines Vorbereitungsdienstes, hatte er über mehrere Monate hinweg wiederholt Bilddateien (sog. Sticker) in verschiedene WhatsApp-Chatgruppen mit diskriminierenden, antisemitischen, rassistischen, menschenverachtenden sowie frauen- und behindertenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Inhalten hochgeladen. Als sein Dienstherr, der Beklagte, hiervon erfuhr, leitete er zunächst ein Disziplinarverfahren und dann ein Entlassungsverfahren ein und entließ den Kläger wegen erheblicher Zweifel an dessen charakterlicher Eignung für den Polizeidienst mit Ablauf des Jahres 2022 aus dem Probebeamtenverhältnis.
Hiergegen erhob der Kläger zunächst Widerspruch und in der Folge Klage. Zur Begründung gab er an, aus dem Kontext der Verwendung der Sticker werde hinreichend deutlich, dass es sich nur um „schwarzen Humor“ handele; der Inhalt der Sticker entspreche in keiner Weise seiner inneren Haltung.
Kläger kein „unbescholtenes Blatt“
Die Klage hatte keinen Erfolg. Der Beklagte sei vielmehr beurteilungsfehlerfrei von der charakterlichen Nichteignung des Klägers für den Polizeidienst ausgegangen. Damit knüpfte das VG an seine bereits im November 2023 getroffenen Beschluss an, mit dem er die vom Kläger beantragte Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussichten seiner Klage abgelehnt hatte. In dem Beschluss hatte das Gericht betont, es sei unerheblich, ob die vom Kläger verwandten „Sticker“ tatsächlich Ausdruck seiner Gesinnung seien. Der Kläger müsse diese so gegen sich gelten lassen, wie sie aus Sicht eines objektiven Betrachters zu verstehen seien. Es werde deutlich, dass der Kläger sich seiner beamtenrechtlichen Pflichten nicht einmal ansatzweise bewusst sei und dass ihm erkennbar die erforderliche charakterliche Reife und Stabilität für das Amt eines Polizeivollzugsbeamten fehle. Außerdem berücksichtigten die Richter, dass der Kläger im Februar 2024 strafrechtlich wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in vier Fällen, in drei Fällen hiervon in Tateinheit mit Volksverhetzung, schuldig gesprochen worden war.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 20.2.2024, 5 K 733/23. KO, PM 5/24
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung einer TV-Moderatorin wirksam ist, die trotz Abmahnungen eine Online-Kolumne für eine im Wettbewerb stehende Tageszeitung verfasst. |
Einschränkungen im Arbeitsvertrag
Die Klägerin war langjährig im Bereich Finanz- und Börsenberichterstattung für die Beklagte tätig, die einen Nachrichtensender mit TV- und Onlineberichterstattung betreibt. Der Arbeitsvertrag schränkt die Möglichkeit von Nebentätigkeiten ein und sieht vor, dass zuvor eine Genehmigung erfolgen muss.
Abmahnung wegen Online-Börsenkolumne
Die Klägerin hat unter anderem am 29.9.2022 eine Online-Börsenkolumne für eine Tageszeitung verfasst, wegen der sie am 4.10.2022 abgemahnt wurde. Dennoch veröffentlichte die Klägerin dort am 1.1.2023 eine weitere Kolumne, aufgrund der die Beklagte die streitgegenständliche Kündigung aussprach.
Zuvor war die Klägerin auch vor dem ArbG Köln in einem einstweiligen Verfügungsverfahren unterlegen, in dem sie ihren Arbeitgeber verpflichten wollte, die Nebentätigkeit zum Verfassen einer wöchentlichen Kolumne zu genehmigen. Hier hatte das ArbG geurteilt, dass die begehrte Nebentätigkeit eine nicht genehmigungsfähige Konkurrenztätigkeit darstelle.
Arbeitsgericht bestätigt Kündigung
Das ArG Köln hat die Kündigung bestätigt. Bei der Online-Kolumne handele es sich um eine Wettbewerbstätigkeit, da sowohl der Arbeitgeber als auch der Zeitungsverlag Unternehmen sind, die sowohl im Bereich der TV- wie auch der Onlineberichterstattung aktiv seien.
Zudem betreffe die Börsenkolumne der Klägerin den fachlichen Kernbereich ihrer Tätigkeit für die Beklagte. Gerade in diesen Themen hat die Klägerin sich in der Vergangenheit eine große Reputation aufgebaut, mit der sie bislang für die Beklagte in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten ist. Ein Arbeitnehmer, der während des bestehenden Arbeitsverhältnisses Wettbewerbstätigkeiten entfaltet, verstoße gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers. Dies könne eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar
Hier sei der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar. Das Vertrauen der Beklagten in einen störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses sei nach den bewussten, fortgesetzten und groben Pflichtverletzungen der Klägerin gänzlich aufgebraucht.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 11.10.2023, 9 Ca 5402/22, PM 11/23
| Ein Busunternehmer steht unter Unfallversicherungsschutz, wenn er im Homeoffice beim Hochdrehen der Heizung durch eine Verpuffung im Heizkessel verletzt wird. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Im Homeoffice Heizkessel überprüft und nach Verpuffung schwer verletzt
Der Kläger war als selbstständiger Busunternehmer bei der beklagten Berufsgenossenschaft pflichtversichert. Er bewohnte ein Haus, dessen Wohnzimmer er als häuslichen Arbeitsplatz (Homeoffice) für Büroarbeiten nutzte. Am Unfalltag holte der Kläger seine Kinder von der Schule ab und arbeitete anschließend an seinem Schreibtisch im Wohnzimmer. Nachdem er festgestellt hatte, dass die Heizkörper im ganzen Haus kalt waren, begab er sich zur Überprüfung der Kesselanlage in den Heizungskeller. Beim Hochdrehen des Temperaturschalters kam es aufgrund eines Defekts der Heizungsanlage zu einer Verpuffung im Heizkessel, in deren Folge der Kläger eine schwere Augenverletzung erlitt.
Bundessozialgericht erkennt Arbeitsunfall an
Die beklagte Berufsgenossenschaft, das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) lehnten einen Arbeitsunfall ab. Das BSG hat dagegen einen Arbeitsunfall anerkannt.
Der Kläger wollte nicht nur seine Kinder, sondern auch seinen häuslichen Arbeitsplatz mit höheren Temperaturen versorgen. Die Benutzung des Temperaturreglers war deshalb unternehmensdienlich, der Heizungsdefekt kein unversichertes privates Risiko.
Quelle | BSG, Urteil vom 21.3.2024, B 2 U 14/21 R, PM 11/24
| Die Zweifelsregelung im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 271 Abs. 2 BGB) gestattet es einem Arbeitgeber nicht, eine dem Arbeitnehmer bisher zustehende jährliche Einmalzahlung wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld kraft einseitiger Entscheidung stattdessen in anteilig umgelegten monatlichen Teilbeträgen zu gewähren, um sie „pro rata temporis“ – also zeitanteilig – auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen zu können. Diese Auffassung vertritt das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg im Streit über die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs durch Sonderzahlungen. |
Das LAG hat die Revision zugelassen.
Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.1.2024, 3 Sa 4/23
| Eine durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Vermögensverschiebung von einer Kapitalgesellschaft an einen Gesellschafter setzt einen Zuwendungswillen voraus – und ein solcher kann aufgrund eines Irrtums des Gesellschafter-Geschäftsführers fehlen. Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs (BFH) ist es insoweit maßgebend, ob der konkrete Gesellschafter-Geschäftsführer einem Irrtum unterlegen ist, nicht hingegen, ob einem ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiter der Irrtum gleichfalls unterlaufen wäre. |
Hintergrund: Bei einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) handelt es sich – vereinfacht – um Vermögensvorteile, die dem Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung gewährt werden. Eine vGA darf den Gewinn der Gesellschaft nicht mindern.
Das war geschehen
Geklagt hatte eine GmbH, deren Stammkapital durch die alleinige Gesellschafter-Geschäftsführerin u. a. durch die Einbringung einer Beteiligung von 100 % an einer weiteren GmbH erbracht werden sollte. Bei der einzubringenden GmbH wurde eine Kapitalerhöhung durchgeführt, die die Gesellschafter-Geschäftsführerin begünstigte. Das Finanzamt sah hierin eine vGA der GmbH an ihre Gesellschafter-Geschäftsführerin. Dagegen argumentierte die GmbH, dass die Zuwendung an die Gesellschafter-Geschäftsführerin irrtümlich wegen eines Versehens bei der notariellen Beurkundung der Kapitalerhöhung erfolgt sei.
So entschieden die gerichtlichen Instanzen
Das Finanzgericht (FG) Schleswig-Holstein wies die Klage ab, weil einem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführer der von der GmbH dargelegte Irrtum nicht unterlaufen wäre. Der BFH hat nun aber klargestellt, dass es für die Frage, ob der für die Annahme einer vGA erforderliche Zuwendungswille vorliegt, allein auf die Person der konkreten Gesellschafter-Geschäftsführerin ankommt. Er verwies den Streitfall deshalb zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurück.
Beachten Sie | In seiner Urteilsbegründung zum Vorliegen einer vGA führt der BFH aber auch Folgendes aus: Der handelnde Gesellschafter muss nicht mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis handeln, er muss den Tatbestand der vGA nicht kennen und er muss das Geschehene auch nicht richtig würdigen. Vielmehr genügt in aller Regel ein persönlich zurechenbares Handeln.
Diese Grundsätze gelten aber nicht uneingeschränkt, da es zur Annahme einer vGA – so wie bei einer offenen Gewinnausschüttung – eines Zuwendungswillens bedarf.
Quelle | BFH, Urteil vom 22.11.2023, I R 9/20, PM 20/24 vom 11.4.2024
| Schweizer Banken können Informationen zu Konten und Depots deutscher Staatsangehöriger an die deutsche Finanzverwaltung übermitteln. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. Er sieht in der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden keine Verletzung der Grundrechte der inländischen Steuerpflichtigen. |
Geklagt hatten Steuerpflichtige, die sich durch Übermittlung der Kontostände ihrer Schweizer Bankkonten in ihren Grundrechten verletzt sahen, vor allem in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Nachdem bereits das Finanzgericht (FG) Köln diese Ansicht nicht teilte, bestätigte nun auch der BFH die Verfassungsmäßigkeit der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden. Jedenfalls ist die Übermittlung der Informationen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung gerechtfertigt.
Beachten Sie | Deutschland sowie mehrere andere Staaten haben sich zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung dazu verpflichtet, Informationen zu Bankkonten auszutauschen, u. a. werden hierfür die Kontostände ausländischer Bankkonten an die deutsche Steuerverwaltung übermittelt. Der automatische Informationsaustausch über Finanzkonten dient der Sicherung der Steuerehrlichkeit und der Verhinderung von Steuerflucht.
Quelle | BFH, Urteil vom 23.1.2024, IX R 36/21, PM 17/24 vom 28.3.2024
| Ohne Betriebssitz kann kein Gelegenheitsverkehr mit Mietwagen betrieben werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin in einem Eilverfahren entschieden. |
Behörde widerrief Erlaubnis
Der Antragsteller ist Inhaber einer vom Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) erteilten Genehmigung für den Gelegenheitsverkehr mit insgesamt zehn Mietwagen nach dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG). Nach den Feststellungen der Behörde fanden sich an der vom Antragsteller angegeben Adresse – anders als von ihm ursprünglich behauptet – weder Büroräume noch reservierte Stellplätze für die Fahrzeuge. Daraufhin widerrief die Behörde die Erlaubnis unter Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Verwaltungsgericht bestätigt Behörde
Das VG hat den hiergegen gerichteten Eilantrag zurückgewiesen. Zu Recht sei die Behörde von einer fehlenden Zuverlässigkeit des Antragstellers ausgegangen. Denn dieser habe gegen eine Kernpflicht des Mietwagenverkehrs verstoßen.
Das wesentliche Merkmal des Mietwagenverkehrs bestehe darin, dass Aufträge nicht an beliebigen Orten, sondern grundsätzlich nur am Betriebssitz entgegengenommen werden dürften; dorthin müssten die Fahrzeuge daher regelmäßig nach Beendigung eines jeden Auftrags zurückkehren. Die Begründung und Unterhaltung eines in der Genehmigung festgeschriebenen Betriebssitzes sei daher Voraussetzung für die Erfüllung der Rückkehrpflicht. Das Rückkehrgebot sei nicht Selbstzweck, sondern solle auf wirksame Weise unterbinden, dass Mietwagen nach Beendigung eines Beförderungsauftrags taxiähnlich auf öffentlichen Straßen und Plätzen bereitgestellt würden und dort Beförderungsaufträge annähmen.
Das VG ließ offen, ob ungeachtet dessen der Widerruf auch auf die fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit des Antragstellers hätte gestützt werden können. Es spreche allerdings einiges dafür, dass dies schon bei der Genehmigungserteilung der Fall gewesen sei. Ein Mietwagenunternehmer müsse über ein angemessenes Eigenkapital verfügen, was hier nicht ersichtlich sei. Der Zeitwert der Fahrzeuge selbst dürfe – anders als von der Behörde bei Genehmigungserteilung fälschlich angenommen – gerade nicht berücksichtigt werden.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 25.3.2024, VG 11 L 53/24, PM vom 2.4.2024
| Die Klausel „Die Mobile Briefmarke ist lediglich als ad-hoc-Frankierung zum sofortigen Gebrauch gedacht. Erworbene Mobile Briefmarken verlieren daher mit Ablauf einer 14-tägigen Frist nach Kaufdatum ihre Gültigkeit. Das maßgebliche Kaufdatum ist in der Auftragsbestätigung genannt. Eine Erstattung des Portos nach Ablauf der Gültigkeit ist ausgeschlossen.“ ist nach § 307 BGB unwirksam. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Köln entschieden. |
Es gab damit der Unterlassungsklage der Verbraucherzentrale statt. Es handele sich bei dem Erwerb einer Briefmarke um einen Kaufvertrag und nicht um einen Frachtvertrag.
Das bürgerliche Recht kenne für Verpflichtungen aus schuldrechtlichen Verträgen im Allgemeinen nur die im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: §§ 194 ff. BGB) geregelten Verjährungsvorschriften, nicht dagegen besondere, von der Frage der Verjährung unabhängige Ausschlussfristen. Es handele sich um eine unangemessene und erhebliche zeitliche Beschränkung des Erfüllungsanspruchs.
Das OLG hob hervor: Durch die Beschränkung der Gültigkeitauf 14 Tage wird der Erfüllungsanspruch auf etwa ein Prozent der gesetzlich vorgesehenen Verjährungsfrist verkürzt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 13.6.2023, I-3 U 148/22
| Im Rahmen einer inländischen doppelten Haushaltsführung ist der Werbungskostenabzug von Unterkunftskosten auf 1.000 Euro monatlich beschränkt. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat nun entschieden, dass unter diesen Höchstbetrag auch eine für die Wohnung am Beschäftigungsort zu entrichtende Zweitwohnungssteuer fällt. |
Hintergrund: Eine beruflich veranlasste doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer außerhalb des Ortes seiner ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Haushalt unterhält (Hauptwohnung) und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnt (Zweitwohnung). In diesen Fällen können Arbeitnehmer Unterkunftskosten bis maximal 1.000 Euro im Monat als Werbungskosten abziehen.
Das war geschehen
Eine Arbeitnehmerin hatte an ihrem Tätigkeitsort in München eine Zweitwohnung gemietet. Die hierfür in den Streitjahren entrichtete Zweitwohnungssteuer i. H. von 896 Euro bzw. 1.157 Euro machte sie neben weiteren Kosten für die Wohnung i. H. von jeweils mehr als 12.000 Euro als Aufwendungen für ihre doppelte Haushaltsführung geltend. Das Finanzamt erkannte die Kosten der Unterkunft am Ort der ersten Tätigkeitsstätte in München jeweils mit dem Höchstbetrag von 12.000 Euro an. Die Zweitwohnungssteuer bei den sonstigen Aufwendungen im Rahmen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigte es nicht.
Die hiergegen gerichtete Klage war erfolgreich. Der BFH hat die Vorentscheidung nun aber aufgehoben.
Was der Höchstbetrag umfasst – und was nicht
Der Höchstbetrag umfasst sämtliche entstehenden Aufwendungen, wie beispielsweise Miete, Betriebskosten sowie Kosten der laufenden Reinigung und Pflege der Zweitwohnung oder -unterkunft; nicht jedoch Aufwendungen für Hausrat, Einrichtungsgegenstände oder Arbeitsmittel, mit denen die Zweitwohnung ausgestattet ist. Aufwendungen für die erforderliche Einrichtung und Ausstattung der Zweitwohnung, soweit sie nicht überhöht sind, können als sonstige notwendige Mehraufwendungen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigt werden.
Die Zweitwohnungssteuer ist Aufwand für die Nutzung der Unterkunft und unterfällt daher bei den Mehraufwendungen für die doppelte Haushaltsführung der Abzugsbeschränkung.
Das Entstehen der Zweitwohnungssteuer knüpft maßgeblich an das Innehaben einer weiteren Wohnung in München neben der Hauptwohnung und so an die damit regelmäßig einhergehende Nutzung dieser Wohnung an. Die Steuer findet als örtliche Aufwandsteuer i. S. von Art. 105 Abs. 2 a des Grundgesetzes (GG) ihre Rechtfertigung darin, dass das Innehaben einer weiteren Wohnung für den persönlichen Lebensbedarf (Zweitwohnung) neben der Hauptwohnung ein Zustand ist, der gewöhnlich die Verwendung von finanziellen Mitteln (Einkommen) erfordert und damit regelmäßig die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Wohnungsinhabers zum Ausdruck bringt.
Beachten Sie | Der BFH hat damit die von der Finanzverwaltung vertretene Rechtsauffassung bestätigt. Noch nicht höchstrichterlich entschieden und derzeit beim BFH anhängig ist die Frage, wie Kosten für einen separat angemieteten Stellplatz zu behandeln sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 13.12.2023, VI R 30/21, PM 18/24 vom 4.4.2024; Stellplatz: Rev. BFH, VI R 4/23
| Zum 1.1.2020 wurde mit § 35 c Einkommensteuergesetz (EStG) eine Steuerermäßigung für energetische Maßnahmen bei zu eigenen Wohnzwecken genutzten Gebäuden eingeführt. Diese komplexe Regelung weist jedoch einige Fragen auf, die das Bundesfinanzministerium (BMF) in einem Schreiben teilweise beantwortet hat. Nun ist nach einem vorinstanzlichen Urteil des Finanzgerichts (FG) München ein Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) zum Heizungstausch anhängig, in dem es darum geht, ob die Steuerermäßigung erst ab der vollständigen Begleichung der Rechnung in Betracht kommt. |
Hintergrund: Begünstigte Aufwendungen/Maßnahmen sind u. a. die Wärmedämmung von Wänden, Dachflächen und Geschossdecken sowie die Erneuerung der Fenster, Außentüren oder der Heizungsanlage.
Je begünstigtem Objekt beträgt der Höchstbetrag der Steuerermäßigung 40.000 Euro, wobei die Ermäßigung nach der Maßgabe des § 35 c Abs. 1 EStG über drei Jahre verteilt wird.
Das war geschehen
Die Steuerpflichtigen ließen 2021 eine neue Heizungsanlage in ihrem selbstgenutzten Gebäude einbauen. Zur Begleichung der Rechnung wurde eine monatliche Ratenzahlung für die Jahre 2021 bis 2024 vereinbart. Fraglich ist nun, ob ein Abschluss der energetischen Maßnahmen bereits mit der ausgeführten Erneuerung der Heizungsanlage (hier im Jahr 2021) oder erst mit der vollständigen Begleichung des Rechnungsbetrags (voraussichtlich im Jahr 2024) vorliegt.
Voraussetzungen für die Steuerermäßigung
Das BMF hat in seinem Schreiben vom 14.1.2021 in der Rn. 43 ausgeführt, dass die Steuerermäßigung erstmalig in dem Veranlagungszeitraum zu gewähren ist, in dem die energetische Maßnahme abgeschlossen wurde. Voraussetzung ist, dass mit der Durchführung der energetischen Maßnahme nach dem 31.12.2019 begonnen wurde und diese vor dem 1.1.2030 abgeschlossen ist.
Die energetische (Einzel-)Maßnahme ist dann abgeschlossen, wenn
- die Leistung tatsächlich erbracht (vollständig durchgeführt) ist,
- der Steuerpflichtige eine Rechnung (Schlussrechnung) erhalten und
- den Rechnungsbetrag auf das Konto des Leistungserbringers eingezahlt hat.
Die Erledigung unwesentlicher Restarbeiten, die für die tatsächliche Reduzierung von Emissionen nicht hinderlich sind, ist unschädlich. Auch, soweit bei einer mehrteiligen Maßnahme für einzelne Teilleistungen Teilrechnungen erstellt und diese beglichen wurden, wird die Steuerermäßigung abweichend vom Abflussprinzip erst ab dem Veranlagungszeitraum des Abschlusses der energetischen Maßnahme gewährt, so das BMF.
Beachten Sie | Da die Revision gegen die Entscheidung anhängig ist, wird nun der BFH entscheiden. Bis dahin können geeignete Fälle mit einem Einspruch offengehalten werden.
Quelle | FG München, Urteil vom 8.12.2023, 8 K 1534/23, Rev. BFH: IX R 31/23; BMF, Schreiben vom 14.1.2021, IV C 1 - S 2296-c/20/10004 :006
| Für Geburten ab dem 1.4.2024 gilt eine neue Einkommensgrenze, ab der der Anspruch auf Elterngeld entfällt. Zudem werden die Möglichkeiten für einen parallelen Bezug von Elterngeld neu gestaltet. Antworten auf wichtige Fragen gibt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). |
Quelle | BMFSFJ, „Neuregelungen beim Elterngeld für Geburten ab 1. April 2024“ vom 28.3.2024
| Der Bezug eines Nutzungsersatzes im Rahmen der reinen Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags nach Widerruf löst keine Einkommensteuer aus. Diese für Verbraucher frohe Kunde kommt vom Bundesfinanzhof (BFH). |
Das war geschehen
Ehegatten schlossen 2008 einen Darlehensvertrag zur Finanzierung einer selbstgenutzten Wohnimmobilie ab. 2016 widerriefen sie den Darlehensvertrag unter Berufung auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung. Auf der Grundlage eines zivilgerichtlichen Vergleichs zahlte die Bank an die Eheleute Nutzungsersatz für bis zum Widerruf erbrachte Zins- undTilgungsleistungen i. H. von 14.500 Euro. Das Finanzamt erfasste den Nutzungsersatz als Einkünfte aus Kapitalvermögen – allerdings zu Unrecht, wie nun der BFH entschieden hat.
Nutzungsersatz: weder Kapitalertrag noch sonstige Einkünfte
Der Nutzungsersatz ist kein Kapitalertrag i. S. des Einkommensteuergesetzes (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG). Die Rückabwicklung eines vom Darlehensnehmer widerrufenen Vertrags vollzieht sich außerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre. Das Rückgewährschuldverhältnis ist ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln. Daher können die einzelnen Ansprüche aus dem Rückgewährschuldverhältnis auch nicht für sich betrachtet – i. S. einer unfreiwilligen Kapitalüberlassung – Teil einer steuerbaren erwerbsgerichteten Tätigkeit sein.
Beachten Sie | Es liegen auch keine sonstigen Einkünfte (§ 22 Nr. 3 EStG) vor.
Verbraucherschutzrecht inzwischen reformiert
Die Entscheidung betrifft „alte“ Verbraucherdarlehensverträge. Der mit der Reform des Verbraucherschutzrechts in das BGB eingefügte § 357 a Abs. 3 S. 1 BGB a. F. (jetzt § 357 b BGB) hat u. a. den Anspruch des Darlehensnehmers auf Nutzungsersatz für die Zukunft beseitigt. Die neue Rechtslage ist auf nach dem 12.6.2014 abgeschlossene Verbraucherdarlehensverträge anwendbar.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.11.2023, VIII R 7/21, PM 16/24 vom 21.3.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über einen Fall entschieden, in dem eine Pkw-Fahrerin an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifuhr und mit einem gerade entleerten Müllcontainer kollidierte. Der BGH hat in diesem Fall einen Verstoß der Fahrerin gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO) bejaht. |
Das war geschehen
Die Klägerin, ein Pflegedienst, macht gegen einen für die Abfallwirtschaft zuständigen kommunalen Zweckverband Schadenersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, bei dem eines ihrer Pflegedienstfahrzeuge beschädigt wurde. Eine Mitarbeiterin der Klägerin fuhr mit diesem Fahrzeug aus der Gegenrichtung kommend an einem Müllabfuhrfahrzeug des beklagtenZweckverbands vorbei, das mit laufendem Motor, laufender Schüttung und eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie Warnblinkanlage in der Straße stand. Dabei kam es zu einer Kollision des klägerischen Fahrzeugs mit einem Müllcontainer, den ein bei dem Beklagten angestellter Müllwerker hinter dem Müllabfuhrfahrzeug quer über die Straße schob.
Mit der Klage hat die Klägerin Erstattung der Fahrzeugreparaturkosten verlangt.
So sahen es die Vorinstanzen
Das Landgericht (LG) hat der Klage gegen den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 zu 50 teilweise stattgegeben.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht (OLG) das Urteil des LG teilweise geändert und den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 75 (Beklagter) zu 25 (Klägerin) zu weiterem Schadenersatz verurteilt. Es ist dabei davon ausgegangen, dass der Fahrerin des Pkw kein Verstoß gegen die StVO anzulasten sei.
So sieht es der Bundesgerichtshof
Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Das Urteil des OLG wurde aufgehoben und die Sache an das OLG zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Der Klägerin steht gegen den Beklagten als Halter des Müllabfuhrfahrzeugs ein Schadenersatzanspruch gemäß StVO (hier: § 7) zu, da das Fahrzeug der Klägerin „bei dem Betrieb“ des Müllabfuhrfahrzeugs beschädigt worden ist. Die Gefahr, die von einer gerade entleerten Mülltonne auf der Straße für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, ist dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs zuzurechnen.
Bei der Entscheidung über die Haftungsverteilung hat das OLG zu Recht dem Müllwerker einen schuldhaften Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorgeworfen, weil er hinter dem Müllabfuhrfahrzeug einen Müllcontainer quer über die Straße schob, ohne auf den Verkehr und das Fahrzeug der Klägerin zu achten, welches für ihn – hätte er den Müllcontainer nicht vor sich hergeschoben – erkennbar gewesen wäre.
Allerdings ist entgegen der Ansicht des OLG auch der Mitarbeiterin der Klägerin als Fahrerin des Pkw ein Verstoß gegen die StVO vorzuwerfen.
Mit dem Verhalten des Müllwerkers konnte gerechnet werden
Das Hauptaugenmerk der mit dem Holen, Entleeren und Zurückbringen von Müllcontainern befassten Müllwerker ist auf ihre Arbeit gerichtet, die sie überwiegend auf der Straße und effizient, also in möglichst kurzer Zeit und auf möglichst kurzen Wegen, zu erledigen haben. Wer an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifährt, das erkennbar im Einsatz ist, darf daher nicht uneingeschränkt auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Müllwerker vertrauen. Er muss damit rechnen, dass Müllwerker plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortreten und unachtsam einige Schritte weiter in den Verkehrsraum tun, bevor sie sich über den Verkehr vergewissern. Auf diese mit dem Einsatz von Müllabfuhrfahrzeugen verbundenen Gefahren hat der vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer sein Fahrverhalten einzurichten. Wenn es nicht möglich ist, einen ausreichenden Seitenabstand zu einem Müllabfuhrfahrzeug einzuhalten, um die Gefahr eines plötzlich auftauchenden Müllwerkers vor oder hinter dem Fahrzeugzu vermeiden, muss die Geschwindigkeit gemäß der Straßenverkehrsordnung (StVO) reduziert werden, sodass der Fahrer sein Fahrzeug bei Bedarf sofort zum Stillstand bringen kann.
Den dargelegten Anforderungen genügte die vom Berufungsgericht festgestellte Fahrweise der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nicht. Bei einem Seitenabstand von maximal 50 cm zum Müllabfuhrfahrzeug war die Ausgangsgeschwindigkeit von 13 km/h zu hoch, als dass die Fahrerin das Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen hätte bringen können.
Quelle | BGH, Urteil vom 12.12.2023, VI ZR 77/23, PM 12/24
| Gibt ein Kunde mittels PushTAN und Verifizierung über eine Gesichtserkennung nach einer Phishing-Nachricht die temporäre Erhöhung seines Überweisungslimits und eine anschließende Überweisung telefonisch frei, handelt er grob fahrlässig. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt. |
Der Bankkunde – ein Rechtsanwalt und Steuerberater in einer internationalen Sozietät – führt bei der beklagten Bank ein Girokonto und forderte erfolglos, eine Überweisung von knapp 50.000 Euro zurückzuerstatten. Das OLG: Die Bank schuldet in einem solchen Fall nicht die Rückerstattung des überwiesenen Betrags. Denn angesichts der fortlaufenden Warnungen der Banken vor Phishing-Mails und der öffentlichen Diskussion hierüber müssten Kunden spätestens bei der telefonischen Aufforderung, Sicherheitsmerkmale preiszugeben, misstrauisch werden. Dies gelte auch, wenn der äußere Rahmen der besuchten Website vertraut erscheint.
Quelle | OLG Frankfurt, Urteil vom 6.12.2023, 3 U 3/23
| Wer an der Grenze zu seinem Nachbargrundstück eine Hecke anlegt, muss nach dem geltenden Nachbarrecht dafür sorgen, dass die Pflanzen je nach Grenzabstand eine bestimmte Höhe nicht überschreiten. Tut er das nicht, kann der Nachbar den Rückschnitt der Hecke verlangen und im Notfall auch gerichtlich durchsetzen. Der Anspruch auf den Rückschnitt kann jedoch nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein, wenn sich der Nachbar selbst regel- und damit treuwidrig verhält. Das hat das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Das war geschehen
Das LG hat mit dieser Begründung die Klage eines Nachbarn auf Rückschnitt einer Hecke an der Grundstücksgrenze abgewiesen. Denn auch einzelne Pflanzen auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn verstießen nach den Feststellungen der Kammer gegen die Regelungen des Nachbarrechts.
Im konkreten Fall hatten zwei Grundbesitzer Streit über die zulässige Höhe einer direkt an der Grundstücksgrenze gepflanzten Hecke, die durchgehend eine Höhe von 2,20 Metern aufweist. Unter Berufung auf das geltende Landesrecht verlangte der Nachbar, dass die Hecke auf einer Höhe von maximal eineinhalb Metern gehalten werde. Dem gab das AG statt und verurteilte den Eigentümer zum entsprechenden Rückschnitt in der Zeit von 1.10. und 15.3. eines jeweiligen Jahres.
Höhe der Hecke zwar einzuhalten, aber …
Die dagegen gerichtete Berufung zum LG hatte jedoch Erfolg. Die Berufungskammer hat dem Nachbarn zwar grundsätzlich zugebilligt, dass die nach dem Nachbarrecht zulässige Höhe der Hecke einzuhalten ist.
… Grundsätze von Treu und Glauben zu beachten
Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis sei aber stark von den sog. Grundsätzen von Treu und Glauben geprägt. Hieraus entspringen Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme, die zu einer Beschränkung bis hin zum Ausschluss nachbarrechtlicher Rechte führen könnten, so das LG. Deshalb müsse berücksichtigt werden, dass auch auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn direkt hinter dem Zaun eine drei bis vier Meter hohe Kugelhecke und eine etwa zweieinhalb Meter hohe Zypresse gepflanzt sei. Dadurch werde ebenfalls gegen das Nachbarrecht verstoßen. Wer sich aber selbst nicht regelgerecht verhalte, sei nach Treu und Glauben von Ansprüchen gegen seinen Nachbarn ausgeschlossen.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 24.1.2024, 2 S 85/23, PM vom 31.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Karlsruhe hat die Klage eines E-Autofahrers gegen die EnBW auf Rückzahlung von Blockiergebühren abgewiesen. |
Überschreiten der zulässigen Standzeit
Die Blockiergebühren in Höhe von insgesamt 19,80 Euro waren wegen Überschreitung der zulässigen Höchststandzeit an Ladesäulen der EnBW an drei verschiedenen Terminen im März 2022 angefallen. Die Blockiergebühr ist nach den Bedingungen des ADAC e-Charge Tarifs, der von der EnBW angeboten wird, ab einer Standzeit von mehr als 240 Minuten fällig. Ab diesem Zeitpunkt sind 12 Cent pro Minute zu zahlen, maximal jedoch 12 Euro. Auf die Blockiergebühr wird sowohl beim Abschluss des Tarifs als auch beim Start des Ladevorgangs hingewiesen. Der Kläger hatte diesen Bedingungen bei Nutzung der App zugestimmt.
Klausel wirksam
Der Kläger hatte argumentiert, die Klausel sei unwirksam. Im Übrigen verlangten andere Anbieter keine Blockiergebühr. Nach Auffassung des AG ist die Klausel jedoch wirksam, da das Interesse der EnBW berechtigt ist, die Ladesäule zeitnah weiteren Kunden zur Verfügung stellen zu können.
Die Entscheidung erging ohne mündliche Verhandlung. Sie ist rechtskräftig.
Quelle | AG Karlsruhe, Urteil vom 4.1.2024, 6 C 184/23, PM vom 24.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Hannover hält ein „französisches Bett“ nicht für ein Doppelbett. Das war in einem Reiserechtsfall entscheidend. |
Ist ein Bett mit einer Breite von 1,40 m ein Doppelbett? Ist es breit genug, um zwei erwachsenen Menschen einen erholsamen Urlaub zu ermöglichen? Das AG hat diese Fragen verneint. Es hat entschieden, dass Reisende jedenfalls in einem Hotel, das der Reiseveranstalter selbst mit fünf „Sonnen“ bewertet, für jeden Reisenden mit einem Schlafplatz von mehr als 70 cm Breite rechnen dürfen.
Im Fall des AG hatten drei erwachsene Personen gemeinsam ein Dreibettzimmer gebucht. Zur Verfügung gestellt wurde ihnen ein Zimmer, das über zwei Betten mit einer Breite von jeweils 1,40 m verfügte. Weil diese Ausstattung nicht der vertraglichen Vereinbarung entsprach, erhalten die beiden Reisenden, die sich ein Bett teilen mussten, nun 15 Prozent des auf sie entfallenden Reisepreises zurück.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 22.2.2024, 471 C 6110/23, PM vom 26.2.2024
| Ein gesetzlich versicherter Patient verlangte von seiner Krankenversicherung, ihm die Kosten für ein Einzelzimmer während eines stationären Krankenhausaufenthalts zu erstatten. Einen solchen Anspruch lehnte das Sozialgericht (SG) Mainz aber ab. |
Patient lag im Einzelzimmer
Ein Patient ließ sich längere Zeit stationär in einem Krankenhaus behandeln. Mit dem Krankenhaus hatte er einen Vertrag über das Unterbringen in einem Einzelzimmer geschlossen.
Krankenkasse wollte Kosten nicht übernehmen
Die dabei entstandenen Kosten wollte die Krankenkasse nicht übernehmen. Der Patient klagte. Seine Argumentation: Aus medizinischen Gründen sei ein Einzelzimmer erforderlich gewesen.
Sozialgericht wies Klage ab
Vor dem SG hatte er jedoch keinen Erfolg. Selbst wenn ein Einzelzimmer erforderlich gewesen sei, hätte das Krankenhaus dafür sorgen müssen, dass der Patient entsprechend untergebracht sei. Die Kosten einer erforderlichen Einzelzimmerbelegung seien dann in den pauschal von der Krankenkasse an das Krankenhaus zu zahlenden Entgelten enthalten. Die Kosten hierfür habe die Krankenkasse bereits gezahlt. Zusätzliche Kosten für ein Einzelzimmer könne der Patient folgerichtig nicht bei seiner Krankenkasse einfordern.
Quelle | SG Mainz, Urteil vom 23.2.2024, S 7 526/20
| Das Mietrecht (hier: § 556 Abs. 3 S. 3 BGB) schließt eine nachträgliche Abrechnung zulasten des Mieters nicht aus, durch die ein Guthaben verringert wird. Das entschied das Landgericht (LG) München. |
Grundsteuer in der Abrechnung vergessen
Der Vermieter hatte über die Betriebskosten abgerechnet und dabei die Grundsteuer vergessen. Bevor er das ursprünglich berechnete Guthaben an den Mieter auszahlte, verstrich die Abrechnungsfrist. Nun korrigierte der Vermieter die Betriebskostenabrechnung und berücksichtigte die Grundsteuer. Dabei ergab sich ein geringeres Guthaben, das er an den Mieter zahlte. Der Mieter klagte auf Rückzahlung des ursprünglich berechneten höheren Guthabens.
Amtsgericht und Landgericht vermieterfreundlich
Das Amtsgericht (AG) sprach jedoch nur das korrigierte geringere Guthaben zu. Es bestünde kein Anspruch des Mieters, weil eine nachträgliche Verringerung des Guthabens vom Gesetz nicht ausgeschlossen sei.
Die Berufung des Mieters blieb erfolglos. Das LG teilte die Rechtsauffassung des AG. § 556 Abs. 3 S. 3 BGB solle den Mieter nur davor schützen, nach Ablauf der Abrechnungsfrist Zahlungen leisten zu müssen, die die Vorauszahlungen übersteigen. Darüber hinaus gewähre das Gesetz keinen Vertrauensschutz für eine zugunsten des Mieters unrichtige Abrechnung.
Der Mieter darf also nicht darauf vertrauen, dass ein Guthaben unveränderlich bleibt. Dies gilt auch, wenn die Korrektur erst nach Ablauf der Abrechnungsfrist erfolgt. Eine weitergehende Schutzwirkung zugunsten des Mieters sieht das Gesetz schon nach dem Wortlaut der Vorschrift („Geltendmachung einer Nachzahlung“) nicht vor.
Die Entscheidung entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 31.10.07, VIII ZR 261/06).
Quelle | LG München I, Beschluss vom 30.11.2023, 31 S 10140/23
| Eine fristlose Kündigung ist auch gegenüber einem psychisch kranken oder schuldunfähigen Mieter möglich, wenn trotz Abmahnung der Hausfrieden systematisch, wiederholt und nachhaltig gestört wird mit der Folge der vorzeitigen Kündigung von anderen Mietern und der Nichtvermietbarkeit angrenzender Wohnungen. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Gesundheitszustand bedarf es dann nicht. So entschied es der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) Sachsen. |
Wiederholte Lärmstörungen
Der Vermieter kündigte nach Abmahnung das Mietverhältnis mit einem psychisch kranken Mieter wegen wiederholten Lärmstörungen fristlos, hilfsweise ordentlich. Andere Mieter hatten wegen des Lärms ihr Mietverhältnis gekündigt und eine Neuvermietung der angrenzenden Wohnung war nicht möglich.
Gegen die erfolgreiche Räumungsklage legte der Mieter Berufung ein, die er nach Hinweisbeschluss des Landgerichts (LG) Dresden zurücknahm. Das LG hatte ausgeführt, dass zwar in der Regel ein schuldhaftes Verhalten des Mieters für die Begründung des Kündigungsgrundes erforderlich sei. Dies gelte aber nicht absolut, da auch bei Schuldlosigkeit das zumutbare Maß und damit die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter überschritten sei und in der Abwägung überwiegen kann. Zwar ergebe sich aus den Wertentscheidungen des Grundgesetzes (hier: Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG) eine erhöhte Toleranzbereitschaft gegenüber nicht oder nur eingeschränkt verantwortlichen Mietern, z. B. Verschlechterung des Gesundheitszustands, Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche oder Suizidgefährdung. Aber auch wenn der Mieter aufgrund der psychischen Erkrankung nicht in der Lage sei, das Unrecht seines Handelns zu erkennen, sei hier die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter deutlich überschritten.
Mieter legte Verfassungsbeschwerde ein
Gegen das Urteil und den Beschluss legte der Mieter Verfassungsbeschwerde ein – doch ohne Erfolg. Die Beschwerde sei unzulässig, sie genüge nicht den Begründungsanforderungen, so der VerfGH. Das LG habe sich umfassend – auch – mit Grundrechten auseinandergesetzt. Eine konkrete Grundrechtsverletzung rüge der Beschwerdeführer nicht.
Quelle | VerfGH Sachsen, Urteil vom 30.8.2023, Vf. 40-IV-23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg ist der Frage nachgegangen, was der mehrdeutige Begriff „vorhandenes Barvermögen“ in einem Vermächtnis bedeutet. |
Die Parteien stritten um die Erfüllung eines Vermächtnisses und hierbei um den Begriff „Barvermögen“. In einem notariellen Testament beschwerte der Erblasser die eingesetzten Erben mit einem Vermächtnis zugunsten einer weiteren Person wie folgt: „Das bei Eintritt des Erbfalls vorhandene Barvermögen soll zu einem 1/3 Anteil an meine Tochter …, geb. am …, ausgezahlt werden“. Die Bedachte hat die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ seine gesamten liquiden Mittel, insbesondere sämtliche Guthaben bei Kreditinstituten, Wertpapiere und Bargeld im engeren Sinne verstanden. Demgegenüber haben die beschwerten Erben die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ lediglich das vorhandene Bargeld verstanden.
Barvermögen = auch unbares Geld, das sofort verfügbar ist
Das Landgericht (LG) hat sich in erster Instanz der Auffassung der Bedachten angeschlossen und die Erben verurteilt, zu zahlen. Aufgrund der gegen dieses Urteil durch die Erben eingelegten Berufung hat das OLG Oldenburg den Begriff wie folgt verstanden: Danach umfasst der Begriff des Barvermögens heutzutage das gesamte Geld, das sofort verfügbar ist, also auch über eine Kartenzahlung. Wertpapiere fallen nicht unter den Begriff des Barvermögens. Vielmehr werden Wertpapiere durch den erweiterten Begriff des Kapitalvermögens mit abgedeckt, der das Barvermögen einschließlich weiterer Kapitalwerte in Geld beschreibt.
Wertpapiere gehörten hier nicht zum Barvermögen
Nach Beweisaufnahme hat das OLG festgestellt, dass die Bedachte nicht habe nachweisen können, dass der Erblasser mit dem Begriff „Barvermögen“ das gesamte Kapitalvermögen, also auch das nicht sofort verfügbare Kapital in der Form von Genossenschaftsanteilen und Wertpapieren gemeint habe. Im Ergebnis habe der vernommene Zeuge – der beurkundende Notar – keine konkreten Aussagen zum Willen des Erblassers in Bezug auf Wertpapiere und dessen Begriffsverständnis vom Begriff „Barvermögen“ machen können.
Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 20.12.2023, 3 U 8/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) München hat entschieden: Ein Tragwerksplaner ist nur verpflichtet, den Prüfbericht des Prüfingenieurs und die diesem beigefügten Bewehrungspläne zu prüfen, wenn eine entsprechende vertragliche Vereinbarung getroffen wurde. |
Wichtige Entscheidung
Diese Aussage ist für das Tagesgeschäft der Tragwerksplanung wichtig, da es in den meisten Fällen für den Tragwerksplaner von Eigeninteresse sein dürfte, Prüfbericht und Prüfeintragungen durchzusehen. Denn der Prüfingenieur könnte ja auch eigene Mängel verhindern helfen. Schwierig wird es, wenn der Prüfingenieur eine andere Auffassung vertritt, aber dennoch kein Planungsfehler vorliegt. Dann muss man abwägen.
Das gehört nicht zuden Aufgaben eines Tragwerksplaners
Das OLG hat auch noch weitere Feststellungen getroffen: Es gehört danach nicht zu den Aufgaben eines Tragwerksplaners, geänderte Ausführungspläne des Architekten an das bauausführende Unternehmen weiterzuleiten. Dies ist ein ständiges Streitthema. Um hier Auseinandersetzungen zu vermeiden, ist es wichtig, zu Planungsbeginn eine Regelung zu treffen, wer welche Pläne an wen weiterleitet. In den meisten Fällen macht es Sinn, dass der Objektplaner hier koordinierend Regelungsvorschläge macht und dafür Sorge trägt, dass seine Pläne an die ausführenden Unternehmen weitergeleitet werden.
Schutzwürdiges Eigeninteresse erforderlich
Außerdem, so das OLG, setze ein Anspruch des Auftraggebers auf Lieferung von Plänen nach Abschluss der Bauarbeiten ein schutzwürdiges Eigeninteresse voraus. Daran fehle es, wenn der Auftraggeber das Bauwerk jahrelang ohne die verlangten Pläne nutzen und verwalten konnte. Hierdurch wird klargestellt, dass Planungsbüros im Regelfall nicht jahrelang als Planarchiv für ehemalige Auftraggeber fungieren müssen.
Quelle | OLG München, Urteil vom 16.5.2023, 9 U 1801/21 Bau
| Die ungenehmigte Nutzung eines Einfamilienwohnhauses als Monteursunterkunft darf nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Neustadt an der Weinstraße untersagt werden. |
Das war geschehen
Die Stadt Ludwigshafen hatte durch ihre Bauaufsichtsbehörde eine Ortsbesichtigung durchgeführt, die ein zur Wohnnutzung genehmigtes Einfamilienhaus betraf. Hierbei stellte sie fest, dass sich in dem Wohnraum im Erdgeschoss zwei Einzelbetten und in einem Wohnraum im Dachgeschoss vier weitere Betten befanden. Insgesamt wohnten dort sechs männliche Personen. Die Stadt untersagte daraufhin gegenüber dem Eigentümer die Nutzung des Hauses für die Zwecke einer „Monteursunterkunft“ bzw. für eine „Beherbergung“ und ordnete hierfür die sofortige Vollziehung an. Dieser legte Widerspruch ein und stellte wegen des Sofortvollzugs zudem einen Eilantrag beim VG. Der Antrag blieb hinsichtlich der Nutzungsuntersagung ohne Erfolg.
So argumentierte das Verwaltungsgericht
Nach der Landesbauordnung Rheinland-Pfalz (hier: § 81 LBauO) könne die Bauaufsichtsbehörde die Benutzung solcher Anlagen untersagen, die gegen baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften über die Errichtung, die Änderung, die Instandhaltung oder die Nutzungsänderung dieser Anlagen verstießen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden könnten.
Dies sei hier der Fall. Die von der Stadt ausgesprochene Nutzungsuntersagungsverfügung sei nicht zu beanstanden, da die tatsächliche Nutzung des Einfamilienhauses als Monteursunterkunft oder sonst als Beherbergungsbetrieb weder genehmigt noch genehmigungsfrei sei. Vorliegend sei nämlich von einer tatsächlich nicht Wohnzwecken dienenden Nutzung des Einfamilienwohnhauses auszugehen.
Definition der „Wohnnutzung“
Eine Wohnnutzung zeichne sich durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts aus. Dies setze bestimmte Ausstattungsmerkmale des Gebäudes voraus. Erforderlich seien insbesondere eine Küche bzw. Kochgelegenheit sowie Toiletten und Waschgelegenheiten, die auch in Gestalt von Gemeinschaftseinrichtungen zur Verfügung stehen könnten.
Der Begriff des Wohnens verlange zudem, dass Aufenthalts- und private Rückzugsräume vorhanden seien, die eine Eigengestaltung des häuslichen Wirkungskreises erst ermöglichten. Auch Wohnheime – etwa Studentenwohnheime – könnten daher als Wohngebäude einzustufen sein, wenn sie nach ihrer Zweckbestimmung und Ausstattung Wohnbedürfnisse erfüllen könnten und sollten. Die Grenzen des Wohnens seien allerdings überschritten, wenn das Gebäude – wie im Fall einer Unterkunft für Monteure – aufgrund seiner spartanischen Ausstattung lediglich als Schlafstätte diene und auch einfache Wohnbedürfnisse nicht befriedige. Dabei spiele zudem die Wohndichte eine Rolle. Der Umstand, dass sich zwei Bewohner einen Schlafraum teilten, spreche zwar nicht zwingend gegen eine Wohnnutzung im Rechtssinne; die dadurch bewirkte Einschränkung der Privatsphäre schließe aber unter Berücksichtigung der hierzulande üblichen Wohnstandards die Annahme einer Wohnnutzung jedenfalls dann regelmäßig aus, wenn zwischen den Bewohnern keine persönliche Bindung bestehe bzw. sich diese Bindung in dem gemeinsamen Interesse an einer möglichst kostengünstigen Unterbringung erschöpfe.
Mindestanforderungen der Wohnnutzung waren zwar erfüllt...
Zwar verfüge das Wohnhaus hier mit zwei Toiletten und einer Küche über die für eine Wohnnutzung erforderlichen Mindestanforderungen. Alle Räume seien aber sehr spartanisch lediglich mit Betten und Schreibtischen eingerichtet.
... Bewohner lebten aber „aus dem Koffer“
Die Bewohner lebten augenscheinlich „aus dem Koffer“, Kleiderschränke oder auch sonstiger Stauraum seien nicht vorhanden. Zudem spreche das Vorbringen des Antragstellers im Eilverfahren, wonach die Bewohner allesamt unter der Woche als Monteure an weit entfernten Orten beschäftigt seien und lediglich am Wochenende oder im Urlaub in dem Haus verweilten, erheblich dafür, dass der Zweck des Zusammenlebens nicht über das Interesse an einer günstigen Unterkunft hinausgehe und tatsächlich kein Interesse an einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit bestehe, sondern das Haus lediglich als Schlafplatz zwischen den Arbeitsaufträgen diene. Insbesondere wegen der Unterbringung in Mehrbettzimmern und des vollständigen Fehlens von Aufenthaltsräumen sei nicht ersichtlich, dass die Unterkunft über den Nutzen als Schlafstätte hinaus Wohnbedürfnisse befriedige.
Quelle | VG Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 4.1.2024, 4 L 1213/23.NW, PM 2/24
| Eine Vorschlagsliste für die Betriebsratswahl, die in ihrem Kennwort ein „Smiley-Symbol“ enthält, ist ungültig. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln in einem Wahlanfechtungsverfahren entschieden. |
Betriebsratswahl angefochten
Fünf Arbeitnehmer eines weltweit tätigen Logistikunternehmens mit einem Betrieb am Flughafen Köln/Bonn und einer weiteren Betriebsstätte im benachbarten Troisdorf hatten die Wahl des 25-köpfigen Betriebsrats angefochten und dies u. a. damit begründet, dass der Wahlvorstand ihren Wahlvorschlag zu Unrecht wegen des verwendeten Listenkennworts zurückgewiesen und stattdessen mit den Familien- und Vornamen der beiden in der Liste an erster Stelle benannten Wahlbewerbern versehen habe.
Die Arbeitnehmer hatten beim Wahlvorstand zunächst einen Wahlvorschlag mit dem Kennwort ,,fair.die“ eingereicht. Nachdem der Wahlvorstand den Vorschlag wegen einer phonetischen Verwechslungsgefahr mit der Gewerkschaft ver.di zurückgewiesen hatte, teilten die Arbeitnehmer mit, dass ihr Wahlvorschlag das Kennwort „FAIR“ (mit dem zusätzlichen „Smiley-Symbol“) die Liste“ tragen solle.
Dieses Kennwort sowie drei weitere Alternativvorschläge, die ebenfalls einen „Smiley“ enthielten, lehnte der Wahlvorstand wiederum ab.
Landesarbeitsgericht: Bildzeichen unzulässig
Wie das LAG entschieden hat, ist ein Bildzeichen als Bestandteil eines Kennworts unzulässig, wenn es wie das „Smiley“ lediglich einen Stimmungs- oder Gefühlszustand ausdrückt, keine eindeutige Wortersatzfunktion hat und demgemäß üblicherweise nicht mit ausgesprochen wird. Zudem hätte auch bei dem oben genannten Kennwort eine Verwechslungsgefahr bestanden, da es lautsprachlich wie „ver.di-Liste“ klingt.
Zudem hat das LAG die Betriebsratswahl für unwirksam erklärt, weil der Wahlvorstand für die Betriebsstätte Troisdorf trotz ihrer räumlichen Nähe zum Hauptbetrieb unzulässigerweise die generelle Briefwahl angeordnet hatte.
Quelle | LAG Köln, Beschluss vom 1.12.2023, 9 TaBV 3/23, PM 13/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat den koordinierten Beschäftigtentausch als Sparmodell für Sozialversicherungsbeiträge für unzulässig erklärt. |
Darum ging es
Ausgangspunkt war die Klage eines niedersächsischen Obstbauern, der einen Betrieb für Apfelanbau führt und an einem weiteren Betrieb für Erdbeeranbau beteiligt ist. Seine Erntehelfer beschäftigt er formal ganzjährig im Apfelanbau. Sie erhalten dort einen festen Monatslohn auf Basis eines Jahresarbeitsstundensolls. In der Zeit von Mai bis Juli wurden die Helfer jedoch im Erdbeerbetrieb eingesetzt. Auf den Lohn dieser Arbeit zahlte der Bauer keine Sozialversicherungsbeiträge, da er die Arbeit als zeitgeringfügige Aushilfstätigkeit betrachtete. Während der Apfelernte im Herbst verfuhr er bei jeweils wechselnder Arbeitsfreistellung mit den Beschäftigten des Erdbeerbetriebs in ähnlicher Weise.
Kurzzeitige Saisonaushilfen oder berufsmäßige Beschäftigte?
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) kam nach einer Betriebsprüfung zu dem Ergebnis, dass die Mitarbeiter nicht nur kurzzeitige Saisonaushilfen seien, sondern berufsmäßig Beschäftigte, für die rd. 58.000 Euro Sozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten seien.
Bauer reklamierte für sich „angepasste Gestaltung“
Hiergegen klagte der Bauer und meinte, dass in rechtlich selbstständigen Betrieben eine Arbeitnehmertätigkeit im Hauptberuf und eine kurzzeitige Beschäftigung bei einem weiteren Arbeitnehmer möglich und erlaubt sei. Steigende Preise und politische Unsicherheiten würden eine angepasste Gestaltung notwendig machen.
Landessozialgericht spricht Klartext
Das LSG hat die Rechtsauffassung der DRV bestätigt. Zur Begründung hat es auf die Berufsmäßigkeit der Helfer abgestellt, die eine Beitragspflicht für die gesamte Tätigkeit auslöse. Das praktizierte Modell verfolge zielgerichtet das Bestreben, über wechselseitige betriebliche Absprachen und mittels langfristig geplanter und aufeinander abgestimmter organisatorischer und vertraglicher Maßnahmen rund ein Drittel des Jahreseinkommens der Arbeitskräfte der Beitragspflicht zur gesetzlichen Sozialversicherung zu entziehen. Die Gefahr der Altersarmut aufseiten der Erntehelfer sei von den Arbeitgebern sehenden Auges hingenommen worden. Die sozialrechtlichen Vorgaben ließen keinen Raum für eine entsprechende Beitragsverkürzung.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.12.2023, L 2 BA 59/23, PM vom 5.2.2024
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung eines Schwerbehinderten in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses diskriminierend im Sinne des Sozialgesetzbuchs IX (hier: § 164 Abs. 2 SGB IX) ist. Sie kann damit unwirksam sein, wenn der Arbeitgeber das Präventionsverfahren nach dem Sozialgesetzbuch (§ 167 Abs. 1 SGB IX) nicht durchgeführt hat. |
Der mit einem Grad der Behinderung von 80 schwerbehinderte Kläger ist seit dem 1.1.2023 bei der beklagten Kommune als „Beschäftigter im Bauhof“ beschäftigt. Der Kläger wurde zwischen dem 2.1. und 14.4.2023 in verschiedenen Kolonnen des Bauhofs eingesetzt und war ab Ende Mai arbeitsunfähig. Am 22.6.2023 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 31.7.2023.
Das ArbG hat entschieden: Die Kündigung verstößt gegen das Diskriminierungsverbot des § 164 Abs. 2 SGB IX und ist damit unwirksam. Der Arbeitgeber sei – entgegen bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) – auch während der Wartezeit gemäß Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 Abs. 1 KSchG) verpflichtet, das o. g. Präventionsverfahren durchzuführen.
§ 167 Abs. 1 SGB IX regelt, dass möglichst frühzeitig als Präventionsmaßnahme die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt einzuschalten sind, wenn Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis eintreten, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können. Dies habe die Arbeitgeberin hier nicht getan. Sie hätte, als sie bemerkte, dass der schwerbehinderte Kläger sich während der Wartezeit – wie sie vorträgt – nicht bewährte bzw. sich nicht ins Team einfügte und ihren Erwartungen nicht entsprach, Präventionsmaßnahmen ergreifen und gegebenenfalls die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt präventiv einschalten müssen.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 20.12.2023, 18 Ca 3954/23, PM 2/24
| Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch verpflichtet. Das Sozialrecht (hier: § 165 S. 3 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX)) sieht die grundsätzliche Einladungspflicht nur für öffentliche Arbeitgeber vor. Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist kein öffentlicher Arbeitgeber. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Schwerbehinderten nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen
Der schwerbehinderte Kläger hatte sich um eine Stelle in der Verwaltung eines Kirchenkreises der Evangelischen Kirche im Rheinland beworben. Trotz Offenlegung seiner Schwerbehinderung wurde er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Seine Bewerbung blieb erfolglos.
Lag Diskriminierung vor?
Nach Ansicht des Klägers wurde er im Auswahlverfahren wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Dies indiziere die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Hierzu sei der Kirchenkreis nach der o. g. Vorschrift verpflichtet gewesen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts gelte er als öffentlicher Arbeitgeber. Mit seiner Klage hat der Kläger deshalb die Zahlung einer Entschädigung verlangt. Der beklagte Kirchenkreis hat dies abgelehnt. Er sei kein öffentlicher Arbeitgeber. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Bundesarbeitsgericht spricht Klartext
Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung dargelegt.
Eine solche kann nicht aufgrund der unterbliebenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch vermutet werden. Hierzu war der beklagte Kirchenkreis nicht verpflichtet. Die Einladungspflicht besteht zwar u. a. für Körperschaften des öffentlichen Rechts. Dies betrifft aber nach dem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Begriffsverständnis nur Körperschaften, die staatliche Aufgaben wahrnehmen. Kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts dienen demgegenüber primär der Erfüllung kirchlicher Aufgaben. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts soll dabei die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgesellschaft unterstützen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Einladungspflicht auf kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts erstrecken wollte. Insoweit stehen sie den ebenfalls staatsfernen privaten Arbeitgebern gleich.
Quelle | BAG, Urteil vom 25.1.2024, 8 AZ R 318/22, PM 2/24
| Bereits im Juli 2023 hatte das Bundesfinanzministerium (BMF) einen Referentenentwurf für ein milliardenschweres Wachstumschancengesetz vorgelegt. Das Ziel: Eine Verabschiedung im Jahr 2023. Bekanntlich wurde daraus nichts. Vielmehr kam das Gesetzgebungsverfahren einem „Possenspiel“ gleich, das durch die Zustimmung des Bundesrats am 22.3.2024 und der Gesetzesverkündung am 27.3.2024 nun beendet ist. |
Das verabschiedete Gesetz enthält im Vergleich zum ursprünglichen Referenten- und Regierungsentwurf viele Änderungen. So wurde u. a. das Entlastungsvolumen reduziert und die Klimaschutz-Investitionsprämie gestrichen.
Zudem wurden zeitkritische Regelungen bereits Ende 2023 durch das Kreditzweitmarktförderungsgesetz umgesetzt, z. B. die Beseitigung von Unsicherheiten bei der Grunderwerbsteuer aufgrund des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts sowie Anpassungen bei der Zinsschrankenregelung.
Dennoch enthält das Gesetzespaket weiterhin zahlreiche Änderungen bzw. Neuregelungen, die im Folgenden auszugsweise vorgestellt werden:
Degressive Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter
Bei beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die nach dem 31.12.2019 und vor dem 1.1.2023 angeschafft oder hergestellt wurden, kann der Steuerpflichtige statt der linearen eine degressive Abschreibung von 25 % (höchstens das 2,5-Fache der linearen Abschreibung) wählen.
Die als Investitionsanreiz gedachte degressive Abschreibung wurde nun wieder eingeführt – und zwar erneut befristet für Anschaffungen oder Herstellungen nach dem 31.3.2024 und vor dem 1.1.2025. Der Abschreibungssatz wurde auf 20 % (höchstens das 2-Fache der linearen Abschreibung) reduziert.
E-Fahrzeuge/Firmenwagen
Die Besteuerung eines Firmenwagens (außerdienstliche Nutzung) kann reduziert werden, indem kein Verbrenner, sondern ein Elektrofahrzeug gewählt wird. Denn hier ist nur ein Viertel des Bruttolistenpreises anzusetzen, wenn der Höchstbetrag von 60.000 Euro eingehalten wird. Dieser wurde für nach dem 31.12.2023 angeschaffte Fahrzeuge auf 70.000 Euro erhöht.
Geschenkegrenze
Geschenke an Geschäftspartner und Kunden sind nur dann steuermindernde Betriebsausgaben, wenn eine Grenze eingehalten wird. Diese wurde für nach dem 31.12.2023 beginnende Wirtschaftsjahre von 35 Euro auf 50 Euro erhöht.
Verlustvortrag
Nach der Regelung des § 10 d Abs. 2 EStG ist ein Verlustvortrag bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1 Mio. Euro (bei Zusammenveranlagung: 2 Mio. Euro) unbeschränkt, darüber hinaus bis zu 60 % des 1 Mio. bzw. 2 Mio. Euro übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte möglich. Ab dem Veranlagungszeitraum 2024 gelten anstelle der 60 % dann 70 % (ab 2028 sind wieder 60 % relevant).
Thesaurierungsbegünstigung
Für bilanzierende Einzel- und Personenunternehmen sieht § 34 a EStG eine steuerliche Begünstigung für nicht entnommene Gewinne vor, die (langfristig) im Unternehmen verbleiben sollen. Da von dieser Begünstigung (nicht zuletzt infolge der Komplexität) bis dato eher selten Gebrauch gemacht wurde, hat der Gesetzgeber § 34 a EStG mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2024 „reformiert“. Ob die Änderungen zu einer höheren „Nachfrage“ bzw. Nutzung führen, bleibt aber abzuwarten.
Option zur Körperschaftsbesteuerung
Nach § 1 a des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) können Personenhandels- und Partnerschaftsgesellschaften im ertragsteuerlichen Bereich wie Körperschaften behandelt werden. Durch einige Änderungen (z. B. können nun auch eingetragene GbRs optieren) soll die Option attraktiver werden.
Elektronische Rechnung
Im Bereich der Umsatzsteuer stellt die Einführung der obligatorischen elektronischen Rechnung für Umsätze zwischen inländischen Unternehmen (B2B) sicherlich die relevanteste Änderung dar.
Die Neuregelung tritt bereits am 1.1.2025 in Kraft. Da die Umsetzung aber einige Zeit beanspruchen wird, können nach den Vorgaben des § 27 Umsatzsteuergesetz (UStG) Übergangsregelungen genutzt werden. Der allgemeine Übergangszeitraum beträgt zwei Jahre (Pflicht somit ab 2027); drei Jahre gelten für Unternehmer mit einem Gesamtumsatz von bis zu 800.000 Euro im Jahr 2026.
Bürokratieabbau bei der Umsatzsteuer
Unter gewissen Voraussetzungen kann die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten (Ist-Besteuerung) berechnet werden, was einen Liquiditätsvorteil ermöglicht. Die relevante Vorjahresumsatzgrenze wurde von 600.000 Euro auf 800.000 Euro erhöht (gilt ab dem Besteuerungszeitraum 2024).
Die Grenze, ab der Unternehmer von der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung befreit werden können, wurde angehoben – und zwar von 1.000 Euro auf 2.000 Euro (gilt ab dem Besteuerungszeitraum 2025).
Grundsätzlich sind Kleinunternehmer (§ 19 UStG) von der Abgabe einer Umsatzsteuererklärung (Nullmeldung) ab dem Besteuerungszeitraum 2024 befreit.
Anhebung von Buchführungsgrenzen
Überschreiten gewerbliche Unternehmer gewisse Buchführungsgrenzen, können sie ihren Gewinn nicht mehr mittels Einnahmen-Überschussrechnung ermitteln, sondern sind zur Bilanzierung verpflichtet. Die in § 141 der Abgabenordnung geregelten Grenzen wurden von 600.000 Euro auf 800.000 Euro (Umsatz) und von 60.000 Euro auf 80.000 Euro (Gewinn) erhöht. Dies gilt für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2023 beginnen (mit Übergangsregelung).
Auch die Buchführungsgrenzen in § 241 a Handelsgesetzbuch (HGB) wurden auf 800.000 Euro (Umsatzerlöse) bzw. 80.000 Euro (Jahresüberschuss) erhöht.
Quelle | Wachstumschancengesetz, BGBl I 2024, Nr. 108
| Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat entschieden: Die von der Stadt Fulda verfügte Schließung von ohne Personal betriebenen Verkaufsmodulen an Sonn- und Feiertagen hat Bestand. |
Das war geschehen
Die Antragstellerin und Inhaberin einer Supermarktkette betreibt im Gebiet der Stadt Fulda Verkaufsmodule, die an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr geöffnet sind und zu denen die Kunden nach einer digitalen Kontrolle Zugang erhalten. Angeboten werden dort Waren des täglichen Bedarfs, die digital bezahlt werden. An Sonn- und Feiertagen wird in diesen Verkaufsmodulen kein Personal eingesetzt.
Die Stadt Fulda hatte gegenüber der Antragstellerin mit sofortiger Wirkung verfügt, die im Stadtgebiet aufgestellten Verkaufsmodule insbesondere an Sonn- und Feiertagen zu schließen. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit einem gerichtlichen Eilantrag, den das Verwaltungsgericht (VG) Kassel ablehnte.
So sieht es der Verwaltungsgerichtshof
Der VGH hat die Entscheidung des VG bestätigt und sich hierbei maßgebend auf die Bestimmungen des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes gestützt. Nach § 3 Abs. 2 dieses Gesetzes müssen Verkaufsstellen unter anderem an Sonn- und Feiertagen für den geschäftlichen Verkehr mit Kundinnen und Kunden geschlossen sein. Verkaufsstellen sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes Ladengeschäfte aller Art, falls in ihnen von einer festen Stelle aus ständig Waren zum Verkauf an jedermann „feilgehalten“ werden.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat der VGH im Wesentlichen ausgeführt, das VG sei zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständlichen Verkaufsmodule Verkaufsstellen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes seien. Das „Feilhalten“ von Waren im Sinne dieser Vorschrift setze nach der gesetzlichen Definition dieses Begriffs keinen persönlichen Kontakt mit einem Verkäufer voraus. Es mache für das „Feilhalten“ von Waren keinen Unterschied, ob der Kunde die begehrte Ware aus einem Automaten oder aus einem Verkaufsregal bzw. von einem Verkaufstisch an sich nehme; der Verkaufsvorgang setze in beiden Fällen ein aktives Handeln des Kunden voraus, dem nicht zwangsläufig ein aktives Tun des Verkäufers gegenüberstehe. Richtig sei zwar das von der Antragstellerin vorgetragene Argument, dass bei einem Verzicht auf den Einsatz von Verkaufspersonal das dem Ladenschlussrecht zugrunde liegende Ziel des Arbeitnehmerschutzes erreicht werde.
Das Hessische Ladenöffnungsgesetz diene allerdings nicht allein dem Arbeitnehmerschutz, sondern auch dem Ziel, die Sonntage und staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erholung zu schützen. Es bestehe auch keine Vergleichbarkeit zwischen dem Einkauf in den streitgegenständlichen Verkaufsmodulen und den auch sonn- und feiertags durchgängig möglichen Onlinebestellungen. Insbesondere habe der Onlinebestellvorgang keinerlei Außenwirkungen und sei daher nicht geeignet, die Sonn- und Feiertagsruhe der übrigen Bevölkerung zu beeinträchtigen.
Der Beschluss ist im verwaltungsgerichtlichen Instanzenzug nicht anfechtbar.
Quelle | VGH Kassel, Beschluss vom 22.12.2023, 8 B 77/22, PM 1/24
| Mehraufwendungen für einen behindertengerechten Um- oder Neubau eines Hauses oder einer Wohnung sind grundsätzlich als außergewöhnliche Belastung abziehbar. Dies gilt auch für eine dadurch ausgelöste Mieterhöhung. Aber: Ein Abzug ist nur zulässig, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Das hat das Finanzgericht (FG) München entschieden. |
Im Streitfall des FG München ging es um die umbaubedingte Erhöhung einer jährlichen Miete, die durch die Errichtung eines behindertengerechten Verbindungsbaus mit Pflegebad zwischen zwei Einfamilienhäusern veranlasst war.
Der Höhe nach hat das FG eine Begrenzung der Abzugsfähigkeit der Aufwendungen gesehen – und zwar im Hinblick darauf, dass es zu den durchgeführten Umbaumaßnahmen eine kostengünstigere Alternative gegeben hätte, die der Behinderung in gleicher Weise Rechnung getragen hätte.
Beachten Sie | Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Revision zugelassen. Er kann nun klären, ob dem Steuerpflichtigen bei der Beurteilung, ob Aufwendungen notwendig und angemessen sind, ein Ermessensspielraum einzuräumen ist. Bis dahin können geeignete Fälle durch einen Einspruch offengehalten werden.
Quelle | FG München, Urteil vom 27.10.2022, 10 K 3292/18, Rev. BFH: VI R 15/23
| Das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg musste jüngst über einen „Wohn-Riester-Fall“ entscheiden. Hierbei ging es um einen Ehemann, der von seiner verstorbenen Frau deren Wohnung und den Darlehensvertrag geerbt hatte. Das Darlehen wollte er tilgen. Deshalb begehrte er, die Entnahme von gefördertem Kapital zur wohnungswirtschaftlichen Verwendung aus einem Altersvorsorgevermögen (gemäß § 92 b Abs. 1 S. 3 Einkommensteuergesetz [EStG]) zu bewilligen. Soviel vorab: Die Entscheidung ging zugunsten des Steuerpflichtigen aus. |
Hintergrund: Durch die sogenannte Riester-Rente sollen mögliche Versorgungslücken im Alter zumindest teilweise aufgefangen werden. Dies geschieht durch den Aufbau einer kapitalgedeckten Versorgung.
Staatlich gefördert wird aber auch der „Wohn-Riester“, eine Variante des Bausparens, bei der Anleger aus dem Vertrag Kapital für den Kauf oder Bau einer Wohnung erhalten. Sie können den „Wohn-Riester“ aber auch nutzen, um ein Immobilien-Darlehen abzutragen.
Das war geschehen
Ein Ehemann erbte als Alleinerbe von seiner Ehefrau eine durch die Ehefrau errichtete und mit dieser gemeinsam bewohnte Wohnung sowie das durch die Ehefrau zur Finanzierung der Wohnung aufgenommene Darlehen. Zur Tilgung des Darlehens begehrte der Ehemann die Bewilligung der Entnahme von gefördertem Kapital zur wohnungswirtschaftlichen Verwendung aus einem Altersvorsorgevermögen.
Ehemann hatte die Wohnung nicht angeschafft, sondern geerbt
Dies wurde ihm allerdings versagt und zwar mit folgender Begründung: Ein nach dem EStG (§ 92 a Abs. 1 S. 1 Nr. 1) für die wohnungswirtschaftliche Verwendung erforderlicher entgeltlicher Anschaffungsvorgang liege in der Person des Ehemanns nicht vor, da er die Wohnung unentgeltlich im Wege der Erbfolge erworben habe. Dies sah der Ehemann aber anders und klagte. Eine gute Entscheidung, denn das FG Berlin-Brandenburg schloss sich seiner Ansicht an.
Ehemann übernahm Tilgung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge
Die Übernahme eines Darlehens als Nachlassverbindlichkeit begründet zwar keine entgeltliche Anschaffung der finanzierten Wohnung durch den Erben. Allerdings ist die Tilgungsvariante gemäß EStG so auszulegen, dass diese auch in Fällen gilt, in denen ein Erbe ein zur Anschaffung oder Herstellung begünstigten Wohnraums aufgenommenes Darlehen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übernimmt.
Der Wortlaut des o. g. Paragrafen im EStG verlangt zwar die Verwendung des Altersvorsorge-Eigenheimbetrags zur Tilgung eines zu diesem Zweck (also zur Anschaffung oder Herstellung) aufgenommenen Darlehens. Jedoch tritt der Gesamtrechtsnachfolger in die Rechtsstellung des Erblassers dergestalt ein, dass ihm die Anschaffung bzw. Herstellung durch den Erblasser zuzurechnen ist.
Mithin besteht eine ununterbrochene Kausalität zwischen der Tilgung des Darlehens und dem ursprünglich für die Anschaffung oder Herstellung aufgewandten Darlehen.
Bundesfinanzhof muss entscheiden
Die Deutsche Rentenversicherung Bund Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen gibt sich mit dem Urteil nicht zufrieden und hat Revision beim Bundesfinanzhof (BFH) eingelegt.
Quelle | FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.12.2023, 15 K 15045/23, Rev. BFH: X R 2/24
| Beim Berliner Testament setzen sich Ehegatten für den ersten Erbfall gegenseitig als Alleinerben ein und bestimmen die Kinder als Schlusserben (z. B. zu gleichen Teilen). Ziel ist die gerechte Verteilung des Nachlasses zwischen den Kindern, aber zunächst die Versorgung des überlebenden Ehegatten. Die Kinder können das Konstrukt jedoch dadurch aus den Angeln heben, dass sie beim Tod des Erstversterbenden ihre Pflichtteilsansprüche geltend machen. Um dies zu verhindern, kann eine Strafklausel aufgenommen werden, z. B. die sog. Jastrowsche Klausel. Über einen solchen Fall musste nun der Bundesfinanzhof (BFH) entscheiden. Das Urteil zeigt, dass derartige Regelungen zumindest aus erbschaftsteuerlicher Sicht nachteilig sein können. |
Das war geschehen
Die Eltern der Klägerin setzten sich gegenseitig als Alleinerben ein, wobei der überlebende Ehegatte über den Nachlass und sein eigenes Vermögen frei verfügen konnte. Als Erben des überlebenden Ehegatten setzten die Eheleute die Klägerin und drei ihrer Schwestern ein. Ein Bruder und eine weitere Schwester wurden enterbt.
Zudem enthielt das Berliner Testament eine Jastrowsche Klausel. Diese regelte, dass für den Fall, dass eines der Kinder nach dem Tod des zuerst sterbenden Elternteils den Pflichtteil verlangt, dieses Kind auch vom Nachlass des zuletzt sterbenden Elternteils nur den Pflichtteil erhalten soll. Diejenigen Erben, die den Pflichtteil beim Tod des Erstverstorbenen nicht fordern, sollten bei Tod des länger lebenden Ehegatten aus dem Nachlass des Erstverstorbenen ein erst beim Tod des länger lebenden Ehegatten fälliges Vermächtnis in Höhe des Pflichtteils erhalten.
Geschwister machten Pflichtteil geltend
Die enterbten Geschwister der Klägerin machten nach dem Tod des erstverstorbenen Vaters ihren Pflichtteil geltend. Die Klägerin erwarb daher beim Tod des Vaters ein entsprechendes Vermächtnis, das mit dem Tod der Mutter fällig wurde.
Nachdem auch die Mutter verstorben war, setzte das Finanzamt gegenüber der Klägerin Erbschaftsteuer für den Erwerb nach der Mutter fest. Das Vermächtnis rechnete es weder dem Erwerb hinzu noch wurde es als Nachlassverbindlichkeit abgezogen. Die Klägerin war hingegen der Ansicht, das Vermächtnis sei bei ihr doppelt hinzugerechnet worden und deshalb als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig. Dies sah der BFH aber anders.
Vermächtnis nach Tod des Vaters entstanden, aber erst nach dem Tod der Mutter fällig
Der Wert des Vermächtnisses wurde zunächst einmal besteuert, nämlich nach dem Tod des Vaters bei der Mutter als dessen Alleinerbin. Da das Vermächtnis zwar damals bereits entstanden war, aber erst bei dem Tod der Mutter fällig wurde, ging der Nachlass des Vaters ungeschmälert (einschließlich des Vermögens, aus dem das Vermächtnis zu erfüllen war) auf die Mutter über. Die Mutter konnte die Vermächtnisverbindlichkeit bei ihrem Erbe nicht abziehen, weil sie diese Schuld mangels Fälligkeit nicht zu begleichen hatte.
Nach dem Tod der Mutter musste die Klägerin das jetzt fällig gewordene Vermächtnis versteuern.
Als Schlusserbin unterlag bei ihr außerdem der Nachlass nach der Mutter der Erbschaftsteuer. Dort konnte sie die dann fällig gewordene Vermächtnisverbindlichkeit als Nachlassverbindlichkeit abziehen. Das Vermächtnis unterlag bei der Klägerin daher nur einmal der Besteuerung.
Dass hinsichtlich des betagten Vermächtnisses im Ergebnis zweimal Erbschaftsteuer entsteht – einmal (ohne Abzugsmöglichkeit als Nachlassverbindlichkeit) bei der Mutter nach dem Tod des Vaters und ein weiteres Mal bei der Klägerin nach dem Tod der Mutter – ist zwar ungünstig, aus rechtlicher Sicht aber nicht zu beanstanden. Es liegt, so der BFH, an der Jastrowschen Klausel, die das Vermächtnis zwar bei Tod des Erstverstorbenen anfallen, aber erst bei Tod des länger lebenden Ehegatten fällig werden lässt.
Beachten Sie | Wer also ein Berliner Testament aufsetzen möchte, sollte nicht nur die zivilrechtlichen Aspekte, sondern auch die erbschaftsteuerlichen Folgen bedenken.
Quelle | BFH-Urteil vom 11.10.2023, II R 34/20, PM 11/24 vom 27.2.2024
| Das Landgericht (LG) Frankenthal hat die gegen eine Gemeinde gerichtete Schadenersatzklage eines Rennradfahrers abgewiesen, der auf einem Radweg aufgrund von Wurzelschäden gestürzt war. Ein Radfahrer müsse seine Fahrweise so einrichten, dass er sichtbare Hindernisse auf einem Radweg rechtzeitig wahrnehmen und vor ihnen anhalten kann, so das LG. |
Grundsätze der Verkehrssicherungspflicht
Grundsätzlich muss der, der eine Gefahrenquelle (z. B. eine aus dem Boden ragende Baumwurzel) schafft oder eine solche andauern lässt, notwendige und zumutbare Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer zu verhindern (sog. „Verkehrssicherungspflicht“). Er muss Gefahren ausräumen oder vor ihnen warnen.
Ausnahmen von der Verkehrssicherungspflicht
Dies gilt jedoch nur, soweit sie für andere trotz aufmerksamen Verhaltens im Straßenverkehr nicht erkennbar oder nicht beherrschbar sind. Die Anforderungen an die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht für einen Radweg bemessen sich an einem normalen Radfahrer mit einer üblichen Geschwindigkeit.
Rennradfahrer muss besonders vorsichtig sein
Ein Rennradfahrer muss von sich aus besonders vorsichtig fahren, da er mit seinen dünnen Reifen bei Unebenheiten im Boden besonders gefährdet ist. Vorliegend seien die Wurzelschäden nach Ansicht der Kammer gut und rechtzeitig erkennbar gewesen.
Wurzelschäden waren sichtbar
Das LG: Der Wegabschnitt habe auch an anderen Stellen Unebenheiten, wie Bodenschwellen, Risse oder eben Wurzelschäden aufgewiesen, sodass Schäden auch an der Unfallstelle nicht überraschend gewesen sein könnten. Ein konzentrierter Radfahrer hätte sein Fahrverhalten an die vorgefundenen Hindernisse anpassen können und müssen. Aufgrund der ausreichenden Erkennbarkeit der Wurzelschäden sei auch eine Warnung bspw. durch ein Hinweisschild nicht erforderlich gewesen.
Auch ein unter Umständen störendes Licht- und Schattenspiel auf dem Radweg wegen eines ungünstigen Sonnenstands, weswegen der Rennradfahrer das Hindernis nicht erkannt haben will, ändere daran nichts. Auf witterungsbedingte Umstände müsse sich ein Radfahrer einstellen und dementsprechend noch vorsichtiger fahren.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 31.8.2023, 3 O 71/22, PM vom 29.12.2023
| Eine Einbahnstraße darf nur in vorgeschriebener Fahrtrichtung befahren werden. Verboten ist auch das Rückwärtsfahren entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung. Lediglich (unmittelbares) Rückwärtseinparken („Rangieren“) ist – ebenso wie Rückwärtseinfahren aus einem Grundstück auf die Straße – kein unzulässiges Rückwärtsfahren auf Richtungsfahrbahnen gegen die Fahrtrichtung. So stellte es der BGH jetzt fest. |
Demgegenüber ist Rückwärtsfahren auch unzulässig, wenn es dazu dient, erst zu einer (freien oder frei werdenden) Parklücke zu gelangen. Entsprechendes gilt, wenn das Rückwärtsfahren dazu dient, einem Fahrzeug die Ausfahrt aus einer Parklücke zu ermöglichen, um anschließend selbst in diese einfahren zu können.
Der Unfall ereignete sich, als der eine Verkehrsteilnehmer rückwärts aus einer Grundstücksausfahrt in die Einbahnstraße einfuhr, während der andere unzulässig die Einbahnstraße rückwärts befuhr. Der Anscheinsbeweis, dass der, der rückwärts aus einer Grundstücksausfahrt fährt, seinen Sorgfaltspflichten nicht genügt habe, wenn es dabei zu einer Kollision kommt, ist nicht anzuwenden. Denn das verbotene Rückwärtsfahren des Unfallgegners hebt das „typische Geschehen“ auf, das für die Anwendung eines Anscheinsbeweis nötig ist. Der Ausfahrt-Ausfahrer muss grundsätzlich nicht mit einem verbotswidrig die Einbahnstraße rückwärts befahrenden Verkehrsteilnehmer rechnen.
Quelle | BGH, Urteil vom 10.10.2023, VI ZR 287/22
| Wird ein Schüler von einer Klassenfahrt ausgeschlossen, weil er dort unzulässigerweise Alkohol erworben hat, können Erziehungsberechtigte zu den Mehrkosten der verfrühten Rückreise heranzogen werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin entschieden. |
Im Juni 2022 fand eine Klassenfahrt einer 10. Klasse eines Gymnasiums nach München statt. Zuvor hatte sich die Beklagte, Mutter eines minderjährigen Schülers, schriftlich verpflichtet, die Kosten einschließlich etwaiger Zusatzkosten bei vorzeitiger Heimreise zu tragen. Während der Fahrt kauften insgesamt sieben Schüler, darunter der Sohn der Beklagten, zwei Wodkaflaschen, woraufhin sie von der Fahrt ausgeschlossen wurden. Die Beklagte zahlte die hierdurch entstandenen Mehrkosten von 143,60 Euro nicht, woraufhin das Land Berlin sie auf Zahlung verklagte.
Die Klage hatte Erfolg. Der Anspruch auf Kostenerstattung ergebe sich aus dem öffentlich-rechtlichen Vertrag, den die Beteiligten miteinander geschlossen hätten. Dieser Vertrag sei wirksam zustande gekommen. Der Ausschluss sei als Ordnungsmaßnahme nach dem Berliner Schulgesetz ergangen und von der Beklagten nicht angegriffen worden, wodurch die vereinbarte Kostenfolge entstanden sei. Die Forderung einschließlich der geltend gemachten Zinsen sei schließlich der Höhe nach nicht zu beanstanden.
Der Gerichtsbescheid ist rechtskräftig.
Quelle | VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 15.11.2023, VG 3 K191/23, PM 2/24
| Das Landgericht (LG) Frankenthal hat die Klage eines Fahrradbesitzers gegen seine Hausratversicherung wegen eines gestohlenen Fahrrads abgewiesen. Das teure Bike war nach seinen Angaben bei einem Einbruch in den Keller seiner Zweitwohnung entwendet worden. |
Das umfasst die Außenversicherung
Das LG hat klargestellt, dass eine Außenversicherung nur Gegenstände in Zweitwohnungen umfasst, die eigentlich in der Hauptwohnung ihren Platz haben und sich nur vorübergehend außerhalb des Hauptwohnsitzes befinden. Als Erweiterung des grundsätzlich an den Versicherungsort gebundenen Versicherungsschutzes sei es dagegen nicht ihr Sinn und Zweck, Gegenstände zu versichern, die üblicherweise in der Zweitwohnung aufbewahrt werden.
Kein versicherter Hausrat
Weil der Mann sein Fahrrad hauptsächlich im Keller der Zweitwohnung abgestellt hatte und nur in mehrwöchigen Urlaubszeiten mit nach Hause nahm, gehört es nicht zum versicherten Hausrat, der tatsächlich nur vorübergehend außerhalb der Hauptwohnung verbracht worden sei, so das LG. Der Radfahrer blieb deshalb auf dem gesamten Diebstahlschaden seines knapp 5.000 Euro teuren Fahrrads sitzen.
Hausratversicherung bestand nur für die Hauptwohnung
Die Hausratversicherung verweigerte nach Auffassung der Kammer zu Recht den Versicherungsschutz, weil der Radbesitzer die Versicherung nur für seine Hauptwohnung besaß. Außerhalb dieser Hauptwohnung befindliche Sachen waren lediglich über einen sog. „Außenversicherungsschutz“ abgedeckt. Eine gesonderte Hausratversicherung für die Zweitwohnung, ein möbliertes Appartement, in dem er sich üblicherweise werktags aufhielt, hatte der Biker nicht abgeschlossen.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 29.3.2023, 3 O 236/22, PM vom 29.11.2023
| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass die operative Therapie eines grauen Stars im Ausland nicht als Notfallbehandlung zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung qualifiziert werden kann. |
Linsenoperation in türkischer Privatklinik wegen grauem Star
Geklagt hatte eine türkischstämmige Frau (geb. 1965) aus Niedersachsen, die seit dem Jahr 2015 an einem beginnenden Katarakt (grauer Star) der Augen litt. Während eines Urlaubs in der Türkei im Jahr 2019 ließ sie an beiden Augen eine Linsenoperation in einer Privatklinik durchführen. Die entstandenen Kosten von rd. 1.600 Euro wollte die Frau von ihrer Krankenkasse erstattet haben.
Die gesetzliche Krankenkasse – und die private Auslandskrankenversicherung – lehnte eine Erstattung ab. Bei vorübergehenden Auslandsaufenthalten könnten nur Notfallbehandlungen übernommen werden. Ein grauer Star sei jedoch ein schleichender Prozess und kein Notfall.
Hiergegen klagte die Frau und schilderte, dass es in der Türkei mit den Augen so schlimm geworden sei, dass sie gestürzt sei. Ihr sei schwarz vor Augen geworden und sie sei in größter Sorge gewesen, das Augenlicht zu verlieren. Es habe sich um einen Notfall gehandelt. Obwohl sie schon länger an grauem Star erkrankt sei, könne ein „plötzlich bemerkter“ Sehverlust mit einem akuten Sehverlust verwechselt werden.
Gericht bestätigt Rechtsauffassung der Krankenkasse
Das LSG hat die Rechtsauffassung der Krankenkasse bestätigt. Der Anspruch scheitere schon deshalb, weil die Klägerin sich als Privatpatientin in einer Privatklinik habe behandeln lassen. Diesbezügliche Behandlungen seien vom Leistungsumfang generell nicht umfasst.
Keine Notfallbehandlung
Unabhängig davon habe bei der Klägerin kein medizinischer Zustand vorgelegen, der während des Türkei-Urlaubs an beiden Augen aufgetreten sei und einer sofortigen Behandlung bedurft hätte. Der behandelnde Augenarzt habe einen senilen Katarakt, d. h. eine Alterserkrankung diagnostiziert. Eine plötzliche Verschlechterung mit dringender Operationsindikation habe er ausgeschlossen. Ein grauer Star sei eine Alterserkrankung, die durch ein schleichendes Fortschreiten gekennzeichnet sei und nicht durch einen plötzlichen Sehverlust im Sinne eines Notfalls.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19.12.2023, L 16 KR 196/23, PM vom 8.1.2024
| Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat den für zwei große Hunde aus dem Landkreis Günzburg angeordneten Leinenzwang bestätigt. Begründet hat es den Leinenzwang u. a. damit, dass die Hunde nach Aussagen mehrerer Betroffener frei herumlaufen würden. Die vom Kläger gegen den Leinenzwang erhobenen Klagen hatte schon das Verwaltungsgericht (VG) Augsburg abgewiesen. Hiergegen stellte der Kläger beim BayVGH Anträge auf Zulassung der Berufung. |
Das war geschehen
Der Kläger ist Halter zweier Hunde. Mit Bescheiden aus dem Monat Februar 2023 hatte die Verwaltungsgemeinschaft als örtlich zuständige Sicherheitsbehörde für die beiden Hunde einen Leinenzwang angeordnet.
Der BayVGH hat die Anträge abgelehnt und die Urteile des VG bestätigt. Gründe, die eine Zulassung der Berufung rechtfertigen würden, lägen nach Ansicht des BayVGH nicht vor. Es bestünden insbesondere keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Urteile des VG.
Gefahr durch große Hunde
Der Einwand des Klägers, die Hunde seien ungefährlich, greife nicht durch. Nach ständiger Rechtsprechung des BayVGH gehe von freilaufenden großen Hunden auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr in der Regel eine konkrete Gefahr für Eigentum und Gesundheit Dritter aus. Der Leinenzwang sei deshalb bereits allein wegen der Größe der Hunde gerechtfertigt. Grund für die Unterscheidung nach der Größe sei, dass es bei großen unangeleinten Hunden in Wohngebieten regelmäßig mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu unvorhergesehenen Reaktionen von Menschen oder Hunden und damit zu erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit kommen könne. Der Feststellung, dass es sich hier um große Hunde mit einer Schulterhöhe von mindestens 50 Zentimetern handele, habe der Kläger nicht in Zweifel gezogen.
Es gab bereits einen Beißvorfall
Ein Einschreiten sei bei einem der Hunde auch deshalb geboten gewesen, weil es im November 2022 zu einem Beißvorfall gekommen sei. Bei beiden Hunden habe somit eine konkrete und nicht bloß abstrakte Gefahr für die Gesundheit Dritter vorgelegen.
Durch die Beschlüsse des BayVGH wurden die Urteile des VG rechtskräftig.
Quelle | BayVGH, Beschlüsse vom 22.1.2024, 10 ZB 23.1558 u. a., PM vom 30.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Hannover hat jetzt klargestellt: Eine Pauschalreise kann mangelhaft sein, wenn der Reiseveranstalter in einer Hotelanlage entweder nur wenige Poolliegen zur Verfügung stellt oder nicht einschreitet, wenn andere Reisegäste Poolliegen etwa mittels eines Handtuchs längere Zeit reservieren, ohne sie tatsächlich zu nutzen. |
Das war geschehen
Der Kläger buchte für sich und seine Familie eine Pauschalreise zum Preis von insgesamt 5.260 Euro. Das gebuchte Hotel verfügte über sechs Swimmingpools und etwa 500 Poolliegen. Nach den ausgeschilderten Verhaltensregeln war es den Badegästen untersagt, Poolliegen für mehr als 30 Minuten zu reservieren, ohne sie zu nutzen. Tatsächlich war es aber so, dass Badegäste Poolliegen auch länger mit ihren Handtüchern reservierten. Leitung und Personal des Hotels unternahmen nichts dagegen. Der Kläger und seine Familie hingegen hielten sich an die vorgegebenen Verhaltensregeln. Der Kläger rügte mehrfach, dass ihm und seiner Familie deswegen keine Liegen zur Verfügung gestanden hätten. Darin sah der Kläger einen Reisemangel und forderte von dem Reiseveranstalter (der Beklagten) u. a. einen Teil des Reisepreises (798,00 Euro) zurück.
Die Beklagte war der Auffassung, dass es sich um ein friedliches Wettrennen um die begehrten Plätze am Pool mit dem besseren Ende für den sprichwörtlichen „frühen Vogel“ gehandelt habe, nicht aber um einen Reisemangel. Möglicherweise hätten sich nur der Kläger und seine Familie an die Poolregeln gehalten, obwohl sie nicht mit Sanktionen hätten rechnen müssen, wenn der Kläger abends oder seine Lebensgefährtin morgens zum Sonnenaufgang sein Handtuch auf eine Liege gelegt hätte.
Amtsgericht: Pflicht des Reiseveranstalters
Das AG hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger einen Betrag von 322,77 Euro zugesprochen. Dabei hat es angenommen, dass der Reiseveranstalter nicht gehalten ist, jedem Hotelgast eine Liege zur Verfügung zu stellen. Vielmehr müsse die Anzahl der Liegen in einem angemessenen Verhältnis zur Auslastung des Hotels und damit zur Anzahl der Hotelgäste stehen. Stünden zwar genug Liegen zur Verfügung, seien diese für den Reisenden aber faktisch nicht nutzbar, weil andere Hotelgäste entgegen den Verhaltensregeln Poolliegen mit eigenen Handtüchern reservierten, ohne sie zu nutzen, sei der Reiseveranstalter zum Einschreiten verpflichtet.
Gäste mussten nichts selbst unternehmen – Reisepreisminderung von 15 Prozent
Es sei in diesem Zusammenhang auch nicht Sache des Reisenden, selbst für Abhilfe zu sorgen, indem er entweder fremde Handtücher eigenmächtig entferne oder seinerseits entgegen den Verhaltensregeln Liegen reserviere. Dies sei unzumutbar, da Streitigkeiten mit anderen Hotelgästen zu befürchten seien, auf die sich kein Reisender einlassen müsse.
Das Gericht gelangte zu der Überzeugung, dass es dem Kläger und seiner Familie mit Ausnahme des letzten Tages nicht möglich gewesen sei, nach dem Frühstück ab etwa 9.00 Uhr Poolliegen zu nutzen, weil diese entweder belegt, durch Handtücher anderer Badegäste „reserviert“ oder aber defekt gewesen seien. Es hat insoweit eine Reisepreisminderung von 15 Prozent des Tagesreisepreises der ab der erstmaligen Rüge des Klägers betroffenen Tage angenommen.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 20.12.2023, 553 C 5141/23, PM vom 4.1.2023
| Das LG Berlin II hat der Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil des Amtsgerichts (AG) Berlin-Mitte teilweise stattgegeben. Dieses hatte eine von der Vermieterin erhobene Räumungsklage mit der Begründung abgewiesen, die von der Vermieterin ausgesprochene Eigenbedarfskündigung sei formunwirksam. Das LG hat die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Vermieterin – anders als zuvor das AG – zwar für wirksam erachtet, jedoch zugleich die Fortsetzung des Mietverhältnisses für die Dauer von zwei Jahren angeordnet. |
Zweijährige Verlängerung der Mietdauer
Die angeordnete Fortsetzung des Mietverhältnisses für die Dauer von zwei Jahren begründete das LG damit, dass es den beklagten Mietern in dem vorliegenden Fall nicht möglich gewesen sei, angemessenen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen zu beschaffen. Demzufolge können Mieter unter Berufung auf die sog. Sozialklausel des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 574 Abs. 1 und 2 BGB) nach Abwägung mit den Vermieterinteressen unter gewissen Voraussetzungen die Fortsetzung ihres Mietverhältnisses verlangen, auch wenn die zuvor ausgesprochene Kündigung wirksam ist.
Mieter fanden keinen Ersatzwohnraum in Berlin
Das LG hat darauf abgestellt, dass sich die Mieter nach Ausspruch der Eigenbedarfskündigung über einen Zeitraum von fast zwei Jahren auf eine Vielzahl von Wohnungen im gesamten Berliner Stadtgebiet beworben haben, jedoch aufgrund der angespannten Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt sowie des nur noch geringen Angebotes freier Wohnungen mit ihren Bewerbungen keinen Erfolg hatten. Zudem hat das LG bei seiner Entscheidung berücksichtigt, dass auch über das sog. Geschützte Marktsegment (GMS) in absehbarer Zeit kein freier Alternativwohnraum in Berlin für die Mieter zur Verfügung stand.
Schließlich hat das LG auch den Umstand, dass das gesamte Stadtgebiet von Berlin durch eine Mietenbegrenzungsverordnung (MietBegrV Bln) als Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt ausgewiesen ist, als weiteren Beleg für die Richtigkeit des Mietervortrags gewertet und außerdem berücksichtigt, dass der von der Vermieterin geltend gemachte Eigenbedarf nicht besonders dringlich war.
Landgericht: Vertragsbedingungen angepasst und Miete angehoben
Das LG hat bei seiner Entscheidung die bisherigen Vertragsbedingungen von Amts wegen geändert und neben der Anordnung der befristeten Fortdauer des Mietverhältnisses auch die von den Mietern bisher geschuldete Nettokaltmiete auf ein marktübliches Niveau angehoben.
Quelle | LG Berlin II, Urteil vom 25.1.2024, 67 S 264/22, PM 5/24
| Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat entschieden: Ein (notarielles) Testament kann sittenwidrig sein, wenn eine Berufsbetreuerin ihre gerichtlich verliehene Stellung und ihren Einfluss auf einen älteren, kranken und alleinstehenden Erblasser dazu benutzt, gezielt auf den leicht beeinflussbaren Erblasser einzuwirken und ihn dazu zu bewegen, vor einem von ihr herangezogenen Notar in ihrem Sinne letztwillig zu verfügen. |
Das war geschehen
Eine 92 Jahre alte Frau, deren einzige noch lebende Angehörige ihre Tochter war, befand sich wegen ihres Gesundheitszustands ab Anfang September 2022 im Krankenhaus. In den letzten Tagen vor dem Tod ihrer Tochter, die sich zuvor um die Angelegenheiten der Mutter gekümmert hatte, teilten die beiden das Krankenzimmer. Zwei Tage nach dem Tod der Tochter – noch im September 2022 – bestellte das Amtsgericht (AG) für die Frau während des Krankenhausaufenthalts eine Berufsbetreuerin.
Anfang Oktober 2022 erfolgte mit Notarztbegleitung die Einweisung in ein anderes Krankenhaus. Nur kurz war die Frau zwischen den beiden Krankenhausaufenthalten in einer Pflegeeinrichtung untergebracht. Während des zweiten Krankenhausaufenthalts beauftragte die Berufsbetreuerin einen Notar mit der Erstellung eines notariellen Testaments für die Frau. Im Krankenhaus beurkundete der Notar ein Testament der Frau, mit dem sie die Berufsbetreuerin zur Alleinerbin einsetzte. Den Wert des Vermögens gab sie mit 350.000 Euro an. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus – Mitte Oktober 2022 – nahm die Berufsbetreuerin die Frau bei sich zu Hause auf. Vier Tage danach starb die Frau dort eines natürlichen Todes.
Verstoß gegen die guten Sitten
§ 138 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) lautet: Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. Das OLG ist hier davon ausgegangen, dass das notarielle Testament sittenwidrig und damit nichtig ist und die Berufsbetreuerin deshalb hieraus für sich keine Rechte herleiten und insbesondere keinen Erbschein ausgestellt erhalten kann.
Das OLG: Ein notarielles Testament zugunsten einer Berufsbetreuerin kann sittenwidrig sein. Hier sei dies aufgrund des hohen Alters der Erblasserin, ihrer schlechten gesundheitlichen Verfassung, ihrem Gemütszustand nach dem Tod ihrer Tochter, den Umständen im Zusammenhang mit der notariellen Beurkundung sowie dem engen zeitlichen Ablauf zwischen Einrichtung der Betreuung und der Testierung der Fall.
Der Beschluss ist rechtskräftig.
Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 9.1.2024, 6 W 175/23, PM vom 25.1.2024
| Öffnungen in Brandwänden sind unzulässig und deshalb auf Aufforderung der Bauaufsichtsbehörde auch zu verschließen, wenn der angrenzende Nachbar sich mit diesen einverstanden erklärt hat und die Behörde erst nach längerer Zeit gegen den baurechtswidrigen Zustand vorgeht. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Mainz. |
Nachbar stimmte Einbau von Fenstern zu
Das Wohngebäude der klagenden Grundstückseigentümer steht auf der Grenze zum Nachbargrundstück. Die grenzständige Brandwand des Gebäudes wies zunächst an zwei Stellen Glasbauflächen auf. Im Jahr 2009 wurde eine Glasbaufläche durch ein öffenbares Fenster ersetzt, einige Jahre später kam es an der zweiten Stelle zu einem Fenstereinbau. Daraufhin gab der Beklagte, die Bauaufsichtsbehörde, den Klägern auf, die Fenster zu beseitigen und die dabei entstehenden Öffnungen feuerbeständig zu verschließen. Die Kläger wandten sich gegen die Anordnung und machten geltend, der unmittelbar angrenzende Grundstücksnachbar habe schriftlich erklärt, mit den Fenstern einverstanden zu sein. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid im Wesentlichen zurückgewiesen, verlangte aber nur noch einen hochfeuerhemmenden Abschluss der Brandwand. Die Kläger verfolgten die Aufhebung der Anordnung mit einer Klage weiter. Sie führten zusätzlich an, infolge der Zustimmung des Nachbarn und des jahrelangen Nichteinschreitens der Bauaufsichtsbehörde sei bei ihnen ein Vertrauenstatbestand entstanden, der eine baubehördliche Anordnung ausschließe. Das VG wies die Klage ab.
Brandwände: Öffnungen unzulässig
In Brandwänden seien Öffnungen von Gesetzes wegen unzulässig. Von der gesetzlichen Vorgabe dürfe nur ausnahmsweise unter Beachtung des öffentlichen Interesses des Schutzes der Allgemeinheit vor Brandgefahr und des Bauinteresses des Bauherrn abgewichen werden. Das Einverständnis eines Nachbarn zur Abweichung von dem Öffnungsverbot allein mindere das allgemeine Brandschutzbedürfnis nicht, zumal wenn – wie hier – ein weiterer Nachbar durch die betreffende Brandschutzwand gesetzlich geschützt werde, dieser der Baumaßnahme aber nicht zugestimmt habe.
Der Beklagte habe seine Befugnis zum Einschreiten gegen den baurechtswidrigen Zustand auch nicht verwirkt, weil er trotz dessen Kenntnis über längere Zeit hinweg nicht eingeschritten sei. Eingriffsbefugnisse auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr unterlägen nicht der Verwirkung durch die Verwaltung. Die bloße Untätigkeit der Bauaufsichtsbehörde könne auch kein Vertrauen beim Bauherrn begründen, dass die Behörde nicht mehr gegen die rechtswidrige Baumaßnahme vorgehen werde. Die Kläger könnten sich deshalb auch nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen, weil sie eigenmächtig die Glasbausteine durch Fenster ersetzt hätten, ohne zuvor den notwendigen Bauantrag gestellt oder die Baubehörde sonst einbezogen zu haben.
Quelle | VG Mainz, Urteil vom 6.12.2023, 3 K 39/23.MZ, PM 1/24
| Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken hat entschieden: Ein Bauunternehmen kann die zu einem Festpreis vereinbarte Errichtung eines Massivhauses nicht unter Verweis auf unvorhersehbare Materialpreissteigerungen verweigern, wenn es eine Formularklausel in den Bauvertrag eingebracht hat, die ihm eine unbegrenzte einseitige Anpassung der Vergütung ermöglicht. |
Bauvertrag des Bauunternehmens unterzeichnet
Das klagende Ehepaar und das beklagte Bauunternehmen schlossen im Dezember 2020 einen Vertrag, in dem sich das Unternehmen dazu verpflichtete, auf dem Grundstück der Kläger ein Massivhaus zu einem Pauschalpreis von rund 300.000 Euro zu errichten. Hierzu verwendeten die Parteien ein Vertragsmuster des Unternehmens, in dem es heißt, dass beide Seiten bis zum Ablauf eines Jahres ab Vertragsunterzeichnung an den vereinbarten Preis gebunden seien, wenn innerhalb von drei Monaten nach Vertragsschluss mit den Bauarbeiten begonnen werde. Unter Verweis auf diese Bestimmung teilte das Unternehmen den Eheleuten im Juni 2021 mit, dass sich der vereinbarte Preis um etwa 50.000 Euro erhöhe. Es begründete den Schritt mit außerordentlichen und nicht vorhersehbaren Preissteigerungen beim Baumaterial.
Bauherren akzeptierten Preiserhöhung nicht
Das Ehepaar akzeptierte die Preiserhöhung nicht und forderte das Unternehmen seinerseits auf, mit den Bauarbeiten zu beginnen. Auf die Weigerung des Unternehmens erklärten die Eheleute die Vertragskündigung und beauftragten ein anderes Bauunternehmen mit der Errichtung eines Massivhauses zu einem höheren als dem mit der Beklagten vereinbarten Festpreis.
Wer trägt Mehrkosten?
Mit ihrer Klage haben die Eheleute verlangt, festzustellen, dass das beklagte Bauunternehmen verpflichtet ist, ihnen Mehrkosten bei der Errichtung des Hauses zu ersetzen, die deshalb entstehen, weil das Unternehmen sich geweigert hat, den Vertrag zum vereinbarten Preis zu erfüllen.
So entschieden die gerichtlichen Instanzen
Das Landgericht (LG) hat der Klage stattgegeben. Hiergegen hat das Bauunternehmen Berufung eingelegt. Es hat im Wesentlichen geltend gemacht, dass eine Errichtung des Hauses zum ursprünglich vereinbarten Preis existenzbedrohend und ihm daher nicht zumutbar gewesen sei.
Das OLG hat das Bauunternehmen auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung hingewiesen, woraufhin es sein Rechtsmittel zurückgenommen hat. Zur Begründung hat das OLG ausgeführt, dass den Eheleuten der geltend gemachte Ersatz zustehe. Die Weigerung des Unternehmens, zum vereinbarten Preis zu erfüllen, habe sie zur Vertragskündigung und zur Beauftragung eines anderen Unternehmens veranlasst. Hierauf zurückzuführende Mehrkosten des Baus müsse das Unternehmen ersetzen.
Bauunternehmen schuldete den Hausbau zum Festpreis
Das Bauunternehmen habe den Bau des Hauses zum vereinbarten Festpreis geschuldet. Die Preisanpassungsklausel im Vertrag sei unwirksam gewesen. Sie benachteilige die Kunden des Unternehmens unangemessen, wenn es die vereinbarte Vergütung durch die Festlegung der Listenpreise ohne Begrenzung einseitig anheben könne. Die Kunden könnten der Bestimmung bei Vertragsschluss nicht entnehmen, mit Preissteigerungen welchen Umfangs sie zu rechnen hätten.
Bauunternehmen hatte Risikoabsicherung in der Hand
Gerade Besteller eines Neubaus seien darauf aber in besonderem Maße angewiesen. Häufig sei die Finanzierung auf den Festpreis ausgerichtet, sodass schon vermeintlich geringfügige Änderungen die Kunden an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bringen könnten. Das Unternehmen habe die Vertragserfüllung zum vereinbarten Preis auch nicht verweigern dürfen, weil sich die Vertragsgrundlage aufgrund unvorhersehbarer Materialpreissteigerungen geändert habe, denn es habe bei Vertragsschluss die Möglichkeit gehabt, sich mit einer Bestimmung gegen dieses Risiko abzusichern, die auch den Interessen seiner Kunden Rechnung getragen hätte.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 13.7.2023, 5 U 188/22, PM vom 15.2.2024
| Nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) haben Betriebsräte Anspruch auf für die Betriebsratsarbeit erforderlichen Schulungen, deren Kosten der Arbeitgeber tragen muss. Davon können Übernachtungs- und Verpflegungskosten für ein auswärtiges Präsenzseminar auch dann erfasst sein, wenn derselbe Schulungsträger ein inhaltsgleiches Webinar anbietet. So entschied es das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Arbeitgeberin verweigerte Erstattung von Übernachtungs- und Verpflegungskosten
Bei der Arbeitgeberin – einer Fluggesellschaft – ist durch Tarifvertrag eine Personalvertretung (PV) errichtet, deren Schulungsanspruch sich nach dem BetrVG richtet. Die PV entsandte zwei ihrer Mitglieder zu einer mehrtägigen betriebsverfassungsrechtlichen Grundlagenschulung Ende August 2021 in Potsdam. Hierfür zahlte die Arbeitgeberin die Seminargebühr, verweigerte aber die Übernahme der Übernachtungs- und Verpflegungskosten.
Dies begründete sie vor allem damit, die Mitglieder der PV hätten an einem zeit- und inhaltsgleich angebotenen mehrtägigen Webinar desselben Schulungsanbieters teilnehmen können. In dem von der PV eingeleiteten Verfahren hat diese geltend gemacht, dass die Arbeitgeberin auch die Übernachtungs- und Verpflegungskosten tragen muss. Hierzu haben die Vorinstanzen die Arbeitgeberin verpflichtet.
Bundesarbeitsgericht: Betriebsrat hat Spielraum
Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Ebenso wie ein Betriebsrat hat die PV bei der Beurteilung, zu welchen Schulungen sie ihre Mitglieder entsendet, einen gewissen Spielraum. Dieser umfasst grundsätzlich auch das Schulungsformat. Dem steht nicht von vornherein entgegen, dass bei einem Präsenzseminar im Hinblick auf die Übernachtung und Verpflegung der Schulungsteilnehmer regelmäßig höhere Kosten anfallen als bei einem Webinar.
Quelle | BAG, Beschluss vom 7.2.2024, 7 ABR 8/23, PM 5/24
| Wer mit einem äußerst scharfen Filetiermesser hantiert, muss besonders sorgfältig agieren, um Verletzungen von Kollegen auszuschließen. Nicht jeder Fehlgebrauch rechtfertigt aber eine Kündigung ohne vorherige einschlägige Abmahnung. Dies hat – wie bereits zuvor das Arbeitsgericht (ArbG) Lübeck – auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein entschieden. |
Kollegin Messer an den Hals gehalten
Der 29-jährige Kläger ist bei der Beklagten seit Juni 2019 als Industriemechaniker beschäftigt. Am 1.6.2022 arbeitete er mit einer Mitarbeiterin und einem Mitarbeiter an einem Probierstand. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger der Mitarbeiterin ein Filetiermesser mit einer Klingenlänge von 20 cm mit einem Abstand von 10 bis 20 cm an den Hals hielt und damit deren Leib und Leben bedrohte. Die Beklagte kündigte dem Kläger daraufhin am 14.7.2022 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.10.2022.
Kündigungsschutzklage erfolgreich
Die Kündigungsschutzklage des Klägers war in zwei Instanzen erfolgreich. Sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung waren unwirksam. Es fehlte an einem hinreichenden Kündigungsgrund. Zwar kommt eine ernstliche Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben u. a. von Arbeitskollegen als „an sich“ wichtiger Grund für eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung in Betracht. Dies setzt aber voraus, dass der Arbeitnehmer mit dem Willen handelt, dass der Kollege die Drohung zur Kenntnis nimmt und als ernst gemeint auffasst.
Vorsatz war nicht nachzuweisen
Selbst den Vortrag der Beklagten als zutreffend unterstellt, konnte jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts auf einen bedingten Vorsatz beim Kläger geschlossen werden. Vielmehr war es auch möglich, dass der Kläger das Messer schlicht in der rechten Hand haltend sich mit dem Oberkörper zur Mitarbeiterin gedreht hat und bei dieser Drehbewegung dessen rechte Hand mit dem Messer nahe an deren Hals gelangt ist.
Verhältnismäßigkeit muss gewahrt werden
Die Kündigungen konnten auch nicht darauf gestützt werden, dass der Kläger allein durch das Hantieren mit dem Messer Leib und Leben der Mitarbeiterin objektiv und fahrlässig gefährdet hat. Der unsachgemäße Umgang mit einem Messer stellt zwar eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar. Diese hätte nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz den Ausspruch einer fristlosen oder fristgerechten Kündigung nur gerechtfertigt, wenn der Kläger zuvor wegen einer ähnlichen Pflichtverletzung abgemahnt worden wäre. Insbesondere steht auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht zur Überzeugung des Landesarbeitsgerichts fest, dass der Kläger das Messer bewusst und aktiv an den Hals der Mitarbeiterin gehalten hat.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 13.7.2023, 5 Sa 5/23
| Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gekündigt worden, ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. So sieht es das Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 KSchG) vor. Diesen Grundsatz hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf jetzt noch einmal bekräftigt. |
Das war geschehen
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 1.2.2012 beschäftigt. Die Beklagte beschäftigte in ihrem einzigen Betrieb zuletzt knapp 600 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Am 1.3.2022 wurde über das Vermögen der Beklagten das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet. Der Sachwalter und der Gläubigerausschuss stimmten der Einstellung der Geschäftstätigkeit zum 31.12.2022 zu.
Nachdem die Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs am 24.11.2022 durch Spruch der Einigungsstelle für gescheitert erklärt wurden, stellte die Beklagte am 28.11.2022 Anträge auf behördliche Zustimmungen zur betriebsbedingten Kündigung nach dem SGB IX (schwerbehinderte Menschen) und BEEG (Elternzeit). Den Beschäftigten wurde die Gelegenheit eingeräumt, in eine Transfergesellschaft zu wechseln. Im Dezember 2022 sprach die Beklagte gegenüber allen Beschäftigten betriebsbedingte Beendigungskündigungen aus, soweit das Ende des Arbeitsverhältnisses nicht aus anderen Gründen feststand.
Alle Mitarbeitenden, auch der Kläger, wurden ab dem 1.1.2023 unwiderruflich freigestellt. Ausgenommen waren die Beschäftigten des Abwicklungsteams, das ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Anlage 53 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer umfasste, wobei gegenüber dreizehn Personen Kündigungen zum 31.3.2023 und gegenüber den übrigen vierzig Personen Kündigungen zum 30.6.2023 ausgesprochen wurden. Das Arbeitsverhältnis des Klägers kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 16.12.2022 zum 31.3.2023.
Erfolgreiche Kündigungsschutzklage nicht aufgrund Gesetzeslage ...
Die vom Kläger hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hatte vor dem LAG Düsseldorf ebenso wie zuvor beim Arbeitsgericht (ArbG) Solingen Erfolg. Dies folgte zwar nicht aus § 17 KSchG i. V. m. § 134 BGB wegen einer nicht ordnungsgemäßen Massenentlassungszeige. Etwaige Fehler in diesem Zusammenhang stellen keinen Unwirksamkeitsgrund dar, weil Zweck der Anzeige nicht der Individualschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist.
...sondern aufgrund fehlerhafter Sozialauswahl
Die Kündigung war indes aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) rechtsunwirksam, wie es bereits das ArbG zutreffend ausgeführt hatte. Bei einer etappenweisen Betriebsstillegung hat der Arbeitgeber keine freie Auswahl, wem er früher oder später kündigt. Es sind grundsätzlich die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit den Abwicklungsarbeiten zu beschäftigen.
Fehlerhafte Vergleichsgruppen
Die Beklagte hatte hier die Sozialauswahl methodisch fehlerhaft durchgeführt, weil sie die Vergleichsgruppen fehlerhaft gebildet hatte. So hatte sie diese u. a. anhand der ursprünglich ausgeübten Tätigkeiten gebildet. Sie hätte die soziale Auswahl stattdessen anhand der noch im Abwicklungsteam anfallenden Tätigkeiten vornehmen müssen, zu denen die Beklagte nur unvollständig vorgetragen hatte. Es fehlte weitgehend an Vortrag dazu, welche Aufgaben mit welcher Dauer im Abwicklungsteam anfielen, welche Anforderungsprofile dafür erforderlich waren und wie auf dieser Grundlage ein Vergleich vorgenommen werden soll. Die daraus folgende Vermutung der fehlerhaften Sozialauswahl hatte die Beklagte auch in zweiter Instanz nicht widerlegt.
Das LAG hat die Revision nicht zugelassen.
Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 9.1.2024, 3 Sa 529/23, PM 2/24
| Oft müssen sich die Gerichte mit den Voraussetzungen für einen Investitionsabzugsbetrag (IAB nach § 7 g Einkommensteuergesetz [EStG]) beschäftigen. Jüngst haben es zwei Verfahren (Vorinstanz: Finanzgericht (FG) Niedersachsen) mit dieser Frage bis vor den Bundesfinanzhof (BFH) geschafft: Ist für die Gewinngrenze der Steuerbilanzgewinn oder ein um außerbilanzielle Effekte (wie nichtabziehbare Betriebsausgaben sowie einkommensteuerfreie Einnahmen) korrigierter Gewinn relevant? |
Gewinngrenze von 200.000 Euro
Hintergrund: Für die künftige (Investitionszeitraum von drei Jahren) Anschaffung oder Herstellung von abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens (beispielsweise Maschinen) können bis zu 50 % der voraussichtlichen Anschaffungs-/Herstellungskosten gewinnmindernd abgezogen werden. Da der Gesetzgeber durch diese Steuerstundungsmöglichkeit vor allem Investitionen von kleinen und mittleren Betrieben erleichtern will, darf der Gewinn 200.000 Euro nicht überschreiten.
Das war geschehen
In einem Fall des FG Niedersachsen betrug der Bilanzgewinn 189.821 Euro und lag damit unter der (in § 7 g EStG normierten) Grenze von 200.000 Euro. Dennoch versagte das Finanzamt die Bildung eines IAB, da es nach der Hinzurechnung der Gewerbesteuer (vgl. hierzu § 4 Abs. 5 b EStG) von 25.722 Euro auf einen über dem Grenzbetrag liegenden Gewinn von 215.543 Euro kam.
Unterschiedliche Sichtweisen
Die Frage, wie der Gewinn (nach § 7 g Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG) zu ermitteln ist, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt. Hierzu werden (vereinfacht) zwei Meinungen vertreten:
Bundesfinanzministerium: keine Berücksichtigung von Abzügen und Hinzurechnungen
Für das Bundesfinanzministerium (BMF) ist Gewinn der Betrag, der ohne Berücksichtigung von Abzügen und Hinzurechnungen (gemäß § 7 g Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 EStG) der Besteuerung zugrunde zu legen ist; außerbilanzielle Korrekturen der Steuerbilanz sowie Hinzu-/Abrechnungen bei der Einnahmen-Überschussrechnung sind zu berücksichtigen.
Gegenteilige Position: allein steuerbilanzieller Gewinn „zählt“
Teile des Schrifttums vertreten indes die Position, dass allein auf den steuerbilanziellen Gewinn abzustellen ist, was im Streitfall zu einem günstigeren Ergebnis führen würde. Auch für das FG Baden-Württemberg ist der Steuerbilanzgewinn relevant – und nicht der Gewinn i. S. des § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG. Eine Korrektur um außerbilanzielle Positionen findet nicht statt.
Beachten Sie | Das FG Niedersachsen hat sich der Ansicht des BMF angeschlossen. Weil hiergegen die Revision anhängig ist, können Steuerpflichtige in geeigneten Fällen Einspruch einlegen.
Quelle | FG Niedersachsen, Urteile vom 9.5.2023, 2 K 202/22, Rev. BFH: X R 16/23 und 2 K 203/22, Rev. BFH: X R 17/23; BMF-Schreiben vom 15.6.2022, IV C 6 - S 2139-b/21/10001 :001; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 2.5.2023, 10 K 1873/22, Rev. BFH: III R 38/23
| Zwei unterschiedliche Urteile zum Schadenersatz für immaterielle Schäden bei verspäteter Auskunft nach der Datenschutz-Grundverordnung (hier: Art. 15 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 12 DS-GVO) lassen aufhorchen. So hat das Arbeitsgericht (ArbG) jetzt verbraucherfreundlich entschieden, während das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf unternehmensfreundlich war. |
Arbeitsgericht Duisburg: „Unverzüglichkeit“ entscheidend
Das ArbG Duisburg entschied, dass einem Kläger, der sich am 14.3.2017 auf eine Stelle bei dem beklagten Unternehmen beworben und über sechs Jahre später (am 18.5.2023) erstmals Auskunft über ihn dort gespeicherte personenbezogene Daten verlangt hat, eine Geldentschädigung von 750 Euro (verlangt waren 2.000 Euro) zusteht. Dies geschah, obwohl das Unternehmen schon am 5.6.2023 die Auskunft in Form eines Negativattests erteilte – also innerhalb der gesetzlichen Monatsfrist (gemäß Art. 12 Abs. 3 DS-GVO).
Das ArbG sah die Auskunft nicht als „unverzüglich“ im Sinne dieser Vorschrift an. Die dortige Monatsfrist sei nicht als Regel- sondern als Höchstfrist zu verstehen. Sie dürfe nicht routinemäßig, sondern nur in schwierigen Fällen und bei Hinzutreten besonderer Umstände ausgeschöpft werden.
Hier habe das Unternehmen auch keine konkreten Anhaltspunkte vorgetragen, die eine Überschreitung dieser Zeitspanne rechtfertigen würden. Bei der Schadenersatzbemessung hat das ArbG berücksichtigt, dass die gesetzliche Frist nicht erheblich überschritten sei. Eine objektive Dringlichkeit der Anfrage sechs Jahre nach der Bewerbung sei unerheblich.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf: keine datenschutzrechtsverletzende Datenverarbeitung
Da LAG Düsseldorf sieht dies jedoch anders: Es sprach einem Anspruchsteller trotz verspäteter Auskunft durch Überschreiten der Monatsfrist einen Schadenersatzanspruch ab.
Ein Verstoß gegen Art. 15 DS-GVO falle schon nicht in den Anwendungsbereich des Art. 82 DS-GVO. Es fehle an einer gegen die DS-GVO verstoßenden Datenverarbeitung bei einer rein verzögerten Datenauskunft oder einer anfänglich unvollständigen Erfüllung des Auskunftsbegehrens. Darüber hinaus liege allein in der schlagwortartigen Behauptung eines solchen „Kontrollverlusts“ über personenbezogene Daten auch keine Darlegung eines immateriellen Schadens.
Quelle | ArbG Duisburg, Urteil vom 3.11.2023, 5 Ca 877/23; LAG Düsseldorf, Urteil vom 28.11.2023, 3 Sa 285/23, PM 29/23
| Das Landgericht (LG) München hat ein Handelsunternehmen für Getränke dazu verurteilt, es zu unterlassen, das von ihm vertriebene Bier als WUNDERBRAEU zu bezeichnen, wenn dies in Zusammenhang mit einer auf der Bierflasche abgedruckten Münchner Adresse geschieht, an der das Bier jedoch nicht gebraut wird. Dies stelle eine Herkunftstäuschung dar. Zudem muss das beklagte Unternehmen in Zukunft die Bewerbung des Biers mit „CO2 positiv“ bzw. „klimaneutrale Herstellung“ auf der Bierflasche unterlassen. Die Bewertungsmaßstäbe, aufgrund derer diese Äußerungen getroffen würden, seien auf den Etiketten der Flaschen nicht hinreichend transparent offengelegt. |
Irreführende Bezeichnung des Biers
Die Beklagte hatte argumentiert, dass die Bezeichnung „WUNDERBRAEU“ für sich nicht irreführend sei. Zudem habe sie ihren Verwaltungssitz an der angegebenen Münchner Adresse und es sei gesetzlich vorgeschrieben, die Adresse auf der Flasche abzudrucken.
Dem folgte das LG nicht. Die für sich gesehen nicht eindeutige Bezeichnung „WUNDERBRAEU“ sei jedenfalls mit der auf dem rückwärtigen Etikett enthaltenen Adresse einer für Brauereien bekannten Straße in München irreführend. Durch die fragliche Aufschrift werde ein Bezug des Produkts mit einer Anschrift in München hergestellt, obwohl dort unstreitig nicht die Produktionsstätte, sondern allein der Sitz des Handelsunternehmens sei. Zwar möge die Bezeichnung für sich gesehen auch für die Beklagte als Vertriebsunternehmen zulässig sein und die Angabe auch insgesamt den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Das ändere aber nichts daran, dass die Aufschrift im Zusammenhang den Eindruck erwecke, die angegebene Anschrift bezeichne den Herkunftsort des Produktes selbst. Dies sei unzulässig.
Eine Täuschung über die Herkunft des Bieres sei auch geeignet, die Entscheidung der Verbraucherinnen und Verbraucher zu beeinflussen.
Diese Bezeichnung mit Klimabezug ist verboten
Die weiteren, von dem klagenden Verband beanstandeten Angaben „CO2 positiv“ und „klimaneutrale Herstellung“ stellen laut Gericht ebenfalls eine unzulässige Irreführung dar und wurden dem beklagten Unternehmen deshalb, so wie es die Angaben verwendet hatte, verboten.
Die Beklagtenseite hatte angeführt, dass ein QR-Code auf der Flasche zu den gewünschten Informationen über die Bedeutung der beanstandeten Angaben zur Klimabilanz führe. Dies reichte dem LG nicht aus. Gerade in der heutigen Zeit, in der Unternehmen in den Verdacht des sogenannten „Greenwashing“ kämen und in dem Ausgleichsmaßnahmen kontrovers diskutiert würden, sei es wichtig, die Verbraucher über die Grundlagen der jeweiligen werbenden Behauptung aufzuklären. Verbraucher hätten daher ein maßgebliches Interesse daran, inwieweit behauptete Klimaneutralität durch Einsparungen oder durch Ausgleichsmaßnahmen und, wenn ja, durch welche Ausgleichsmaßnahmen erreicht würden. Daher müssten den Verbrauchern die Bewertungsmaßstäbe für die werbenden Angaben „CO2 positiv“ und „klimaneutrale Herstellung“ auf der Bierflasche offengelegt werden.
Letztendlich bestünden zudem erhebliche Zweifel daran, ob die auf der Website des beklagten Unternehmens aufgeführten Informationen ausreichend wären. Denn genaue Angaben zur berechneten Klimabilanz und Angaben darüber, in welchem Umfang die Klimaneutralität durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werden sollen und in welchem Umfang durch Einsparung, fänden sich dort gerade nicht.
Quelle | LG München I, Urteil vom 8.12.2023, 37 O 2041/23, PM 32/23
| Der Anleger eines Investmentfonds muss als Investmentertrag u. a. die Vorabpauschale nach § 18 des Investmentsteuergesetzes (InvStG) versteuern. Geregelt ist dies in § 16 Abs. 1 Nr. 2 InvStG. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nun den Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale 2024 veröffentlicht. |
Hintergrund: Nach § 16 Abs. 1 InvStG sind Erträge aus Investmentfonds (Investmenterträge)
- Ausschüttungen des Investmentfonds,
- Vorabpauschalen und
- Gewinne aus der Veräußerung von Investmentanteilen.
Die Vorabpauschale ist der Betrag, um den die Ausschüttungen eines Investmentfonds innerhalb eines Kalenderjahrs den Basisertrag für dieses Kalenderjahr unterschreiten. Die Vorabpauschale gilt (nach § 18 Abs. 3 InvStG) beim Anleger am ersten Werktag des folgenden Kalenderjahrs als zugeflossen.
Der Basiszins ist aus der langfristig erzielbaren Rendite öffentlicher Anleihen abzuleiten. Dabei ist auf den Zinssatz abzustellen, den die Deutsche Bundesbank anhand der Zinsstrukturdaten jeweils auf den ersten Börsentag des Jahres errechnet. Das BMF muss den maßgebenden Zinssatz im Bundessteuerblatt veröffentlichen. Der Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale für das Jahr 2024 beträgt 2,29 %.
Ob es infolge der Vorabpauschale tatsächlich zu einer Steuerbelastung kommt, hängt von mehreren Faktoren ab. Beispielsweise ist ein erteilter Freistellungsauftrag für Kapitalerträge (maximal 1.000 Euro; bei Zusammenveranlagung von Ehegatten: 2.000 Euro) zu berücksichtigen.
Eine Steuerbelastung setzt ferner voraus, dass der Basiszins positiv ist. Aufgrund des negativen Basiszinses für die Jahre 2021 und für 2022 wurde insoweit auch keine Vorabpauschale erhoben.
Beachten Sie | Der ermittelte Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale für das Jahr 2023 beträgt 2,55 %. Eine etwaige steuerliche Belastung erfolgte zum Jahresbeginn 2024.
Quelle | BMF, Schreiben vom 5.1.2024, IV C 1 - S 1980-1/19/10038 :008; BMF, Schreiben vom 4.1.2023, IV C 1 - S 1980-1/19/10038: 007
| Das Bundeszentralamt für Steuern hat am 7.2.2024 mitgeteilt, dass das Zuwendungsempfängerregister ab sofort online zur Verfügung steht. |
Das Zuwendungsempfängerregister umfasst alle Organisationen, die berechtigt sind, ihren Spendern Zuwendungsbestätigungen auszustellen. Somit bietet das Register u. a. eine einfache Möglichkeit, sich über den Gemeinnützigkeitsstatus von Organisationen zu informieren.
| In Betriebsprüfungen gibt es oft Streit, ob Fahrtenbücher als ordnungsgemäß anzuerkennen sind. Aktuell hat das Finanzgericht (FG) Düsseldorf Folgendes entschieden: Ein elektronisches Fahrtenbuch erfüllt nicht die Anforderungen an den Nachweis des tatsächlichen Umfangs der Privatnutzung eines betrieblichen Kfz, wenn nachträgliche Veränderungen an den zu einem früheren Zeitpunkt eingegebenen Daten nicht in der Datei selbst, sondern in externen Protokolldateien dokumentiert werden. Dem Erfordernis des zeitnahen Führens eines Fahrtenbuchs wird nicht genügt, wenn die – zwischenzeitlich auf Notizzetteln festgehaltenen – Eintragungen erst mehrere Tage oder Wochen nach Abschluss der betreffenden Fahrten vorgenommen werden. |
Quelle | FG Düsseldorf, Urteil vom 24.11.2023, 3 K 1887/22 H[L]
| Zu den Werbungskosten zählt auch die zur vorzeitigen Ablösung eines Darlehens gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung, soweit die Schuldzinsen mit den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Dieser Zusammenhang besteht, wenn bereits im Zeitpunkt der Veräußerung eines Grundstücks anhand objektiver Umstände der endgültige Entschluss feststellbar ist, mit dem nach der vorzeitigen Darlehensablösung verbleibenden Verkaufserlös wiederum konkret bestimmtes Grundvermögen mit dem Ziel anzuschaffen, hieraus Vermietungseinkünfte zu erzielen. Dies hat das Finanzgericht (FG) Köln entschieden. |
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ergibt sich ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit den Vermietungseinkünften aus einem neuen Objekt allenfalls dann, wenn der Steuerpflichtige bereits bei der Veräußerung – z. B. im Kaufvertrag selbst oder zumindest beim Abschluss des Kaufvertrags – im Vorhinein so unwiderruflich über den verbleibenden Restkaufpreis verfügt, dass er ihn unmittelbar zum Erzielen von Vermietungseinkünften mit einem bestimmten Objekt festlegt.
Beachten Sie | Verbleibende Zweifel gehen zulasten des Steuerpflichtigen, denn er trägt die Feststellungslast für die den Steueranspruch mindernden Tatsachen.
Infolge dieser restriktiven Rechtsprechung kam im Streitfall des FG Köln kein Werbungskostenabzug in Betracht. Denn der Steuerpflichtige hatte den überschießenden Verkaufserlös (also Verkaufspreis abzüglich abzulösendes Darlehen) zunächst selbst vereinnahmt und dann zur Teilrückführung einzelner Darlehen verwendet.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | FG Köln, Urteil vom 19.10.2023, 11 K 1802/22
| Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen hat sich mit der Frage befasst, ob eine Influencerin Aufwendungen für Kleidung und Accessoires steuerlich geltend machen kann. Die Entscheidung fiel zu ungunsten der Steuerpflichtigen aus. |
Das war geschehen
Eine Steuerpflichtige betrieb auf verschiedenen Social-Media-Kanälen und über eine Website einen Mode- und Lifestyleblog und erstellte hierzu Fotos und Stories. Zusätzlich zu den Waren, die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit von verschiedenen Firmen erhalten hatte, um sie zu bewerben, erwarb sie diverse Kleidungsstücke und Accessoires (beispielsweise Handtaschen namhafter Marken). Die Influencerin wollte die Aufwendungen für die Kleidungsstücke und Accessoires als Betriebsausgaben bei ihrer gewerblichen Tätigkeit berücksichtigen.
Argumentation: Keine Abgrenzung zwischen privater und betrieblicher Nutzung möglich
Das Finanzamt verwehrte den Betriebsausgabenabzug mit der Begründung, dass sämtliche Gegenstände auch privat genutzt werden können und eine Abgrenzung der privaten zur betrieblichen Sphäre nicht möglich sei. Insbesondere habe die Steuerpflichtige nicht dargelegt, in welchem Umfang sie die Kleidungsstücke und Accessoires jeweils für private oder betriebliche Zwecke genutzt hatte.
Die hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos.
Finanzgericht: Abzugsverbot für Aufwendungen zur Lebensführung
Das FG Niedersachsen war ebenfalls der Meinung, dass eine Trennung zwischen privater und betrieblicher Sphäre bei gewöhnlicher bürgerlicher Kleidung und Mode-Accessoires nicht möglich ist. Gemäß Einkommensteuergesetz (§ 12 Nr. 1 EStG) folgt insoweit ein Abzugsverbot für Aufwendungen für die Lebensführung der Steuerpflichtigen, die ihre wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung mit sich bringt, auch wenn die Aufwendungen zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit der Steuerpflichtigen erfolgen.
Beachten Sie | Es kommt nicht darauf an, wie die Steuerpflichtige die Gegenstände konkret genutzt hat. Allein die naheliegende Möglichkeit der Privatnutzung von bürgerlicher Kleidung und Mode-Accessoires führt dazu, dass eine steuerliche Berücksichtigung ausgeschlossen ist.
Zudem handelt es sich bei den von der Influencerin erworbenen Gegenständen nicht um typische Berufskleidung, für die ein Betriebsausgabenabzug möglich ist. Hierunter fallen nur solche Kleidungsstücke, die nach ihrer Beschaffenheit objektiv nahezu ausschließlich für die berufliche Nutzung bestimmt und geeignet und wegen der Eigenart des Berufs nötig sind, bzw. bei denen die berufliche Verwendungsbestimmung bereits aus ihrer Beschaffenheit entweder durch ihre Unterscheidungsfunktion oder durch ihre Schutzfunktion (z. B bei Arbeitsschuhen) folgt.
Beachten Sie | Der Beruf einer Influencerin bzw. Bloggerin ist insoweit nicht anders zu beurteilen als sonstige Berufe. Ob die Kleidungsstücke und Mode-Accessoires tatsächlich ausschließlich betrieblich genutzt werden, ist unbeachtlich. Somit war die Aufklärung des Umfangs der tatsächlichen privaten Nutzung der Kleidung nicht entscheidend.
Quelle | FG Niedersachsen, Urteil vom 13.11.2023, 3 K 11195/21
| Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Bei einem Unfall, der in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Einfahren von einer Parkbucht in den Straßenverkehr stattfindet, gilt das einfahrende Fahrzeug als Verursacher, wenn eine weitere Aufklärung nicht möglich ist. |
Der Fahrer eines zuvor in einer Parkbucht am Straßenrand stehenden Fahrzeugs ist mit diesem in den Straßenverkehr eingefahren. Hierauf kam es zu einer Kollision mit einem dort in gleicher Richtung fahrenden Wagen. Über den Unfallhergang machten die Beteiligten jeweils unterschiedliche Angaben.
Das AG hat entschieden, dass der Verkehrsunfall vollständig von dem einfahrenden Fahrzeug verursacht wurde. Zwar ließ sich das Geschehen überwiegend nicht mehr aufklären, allerdings habe derjenige, der vom Straßenrand in den Verkehr einfährt, nach der Straßenverkehrsordnung besonders darauf zu achten, dass er andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet.
Aufgrund der zeitlichen und örtlichen Nähe des Unfallgeschehens zu dem Einfahren des parkenden Fahrzeugs in den Straßenverkehr bestehe daher der Anschein, dass dessen Fahrer nicht ausreichend auf den Verkehr geachtet und somit den Unfall herbeigeführt habe. Dafür spreche zudem, dasss eine Version des Unfallgeschehens, er sei bereits einige Zeit auf der Straße gefahren, mit dem Schadensbild nicht in Einklang zu bringen sei. Zudem habe der Fahrer selbst erklärt, das andere Fahrzeug erst durch den Anstoß bemerkt zu haben, was darauf hinweise, dass er das Verkehrsgeschehen beim Losfahren von dem Parkplatz nicht ausreichend beobachtet habe.
Quelle | AG Hanau, Urteil vom 5.6.2023, 39 C 329/21 (19)
| Kindergeld für sich selbst können Kinder nur erhalten, wenn sie Vollwaise sind oder den Aufenthalt der Eltern nicht kennen. Kein Kindergeld beanspruchen kann ein Kind, wenn es gelegentlich mit seiner Mutter im Ausland telefonieren und sich dabei nach ihrem Aufenthaltsort erkundigen kann. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) jetzt entschieden. |
Regelmäßige Telefonate
Der Kläger hatte Kindergeld für sich selbst beansprucht mit der Begründung, er kenne den Aufenthalt seiner Mutter nicht. Diese hatte sich Ende 2017 auf die Flucht begeben und zunächst jeweils nur für kurze Dauer an verschiedenen Orten in Syrien gelebt, zuletzt in der Nähe von Damaskus. Allerdings hatte der Kläger in seinem Kindergeldantrag angegeben, zwei- bis dreimal monatlich mit ihr zu telefonieren. Dadurch hatte er zumindest die zumutbare Möglichkeit, sich nach dem aktuellen Aufenthaltsort seiner Mutter zu erkundigen.
Voraussetzungen der Aufenthaltskenntnis
Ein Kind kennt den Aufenthalt seiner Eltern, wenn es weiß, an welchem für ihn bestimmbaren Ort sich seine Eltern oder zumindest ein Elternteil aufhalten. Auf die Kenntnis einer postalischen Adresse oder eines „verstetigten“ Aufenthalts kommt es dagegen nicht an, weil sich seit Einführung des Kindergelds für „alleinstehende Kinder“ im Jahr 1986 die Kommunikationsmöglichkeiten und -gewohnheiten durch Internet und Mobilfunk grundlegend verändert haben. Für die erforderliche Aufenthaltskenntnis genügt es zudem, wenn aus Sicht des Kindes die zumutbare Möglichkeit besteht, innerhalb eines angemessenen Zeitraums Kontakt mit seinen Eltern aufzunehmen. Die Kenntnis fehlt erst, wenn Dauer und Ausmaß der Unkenntnis über den Verbleib der Eltern den endgültigen Verlust der Eltern-Kind-Beziehung wie bei einer Vollwaise befürchten lassen.
Quelle | BSG, Urteil vom 14.12.2023, B 10 KG 1/22 R, PM 46/23
| Ein Versicherungsnehmer, der nach einer verbalen Auseinandersetzung im Straßenverkehr einem anderen, für ihn erkennbar schwerbeschädigten Verkehrsteilnehmer in den Rücken schlägt und diesen dadurch zu Fall bringt, nimmt regelmäßig dessen schwere Gesundheitsbeschädigung in Kauf. Als Folge kann sich sein Haftpflichtversicherer auf einen Leistungsausschluss berufen. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Dresden entschieden. |
Auseinandersetzung im Straßenverkehr
Auseinandersetzungen im Straßenverkehr enden immer häufiger damit, dass ein oder mehrere Beteiligte verletzt werden. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung regelt das nicht unbedingt die Haftpflichtversicherung.
Versicherung darf Leistung verweigern
Der Versicherer ist nämlich nach dem Versicherungsvertragsgesetz (hier: § 103 VVG) nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen Schaden herbeigeführt hat.
Einzelfall entscheidend
Ob die Versicherung tatsächlich leistungsfrei ist, entscheidet sich anhand des jeweiligen Einzelfalls. Dazu muss vorgetragen werden, wie sich der Vorfall ereignete und was genau Auslöser der schadenstiftenden Handlung war. Es ist nämlich ein Unterschied, ob es sich um eine Angriffs- oder Verteidigungshandlung handelte.
Quelle | OLG Dresden, Urteil vom 29.6.2023, 4 U 2626/22
| Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das einen Fluggast im Voraus darüber unterrichtet hat, dass es ihm gegen seinen Willen die Beförderung auf einem Flug verweigern werde, für den er über eine bestätigte Buchung verfügt, muss diesem einen Ausgleich zahlen. Das gilt selbst, wenn er sich nicht unter den in der Fluggastrechteverordnung (hier: Art. 3 Abs. 2 FluggastrechteVO) genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden hat. So sieht es der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). |
Fluggast ohne Information umgebucht
Der EuGH zeigt sich damit – wieder einmal – verbraucherfreundlich. Im konkreten Fall hatte die Fluggesellschaft einen Fluggast umgebucht, ihn aber nicht darüber informiert. Auf seine Rückfrage wurde ihm zugleich mitgeteilt, dass er für den gebuchten Rückflug gesperrt sei, weil er zum umgebuchten Flug nicht erschienen sei. Es sei nicht mehr möglich, den Rückflug anzutreten.
Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung
Der EuGH hat darüber hinaus entschieden, dass dem Fluggast zwar bei Annullierung eines Flugs u. U. kein Ausgleichsanspruch zusteht. Dies gelte aber nicht, wenn ein Fluggast – wie im Fall des EuGH für den Rückflug – mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit darüber unterrichtet wurde, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen ihn gegen seinen Willen nicht befördern werde. Ihm steht dann ein Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung i. S. d. Art. 4 der FluggastrechteVO zu.
Quelle | EuGH, Urteil vom 26.10.2023, C-238/22
| Das Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat der Verfassungsbeschwerde eines verbeamteten Lehrers stattgegeben, die sich gegen eine Durchsuchungsanordnung richtete. |
Das war geschehen
Gegen den Lehrer wurde wegen des Verdachts der Beleidigung von zwei Polizeibeamten ermittelt. Um Informationen über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu erlangen, ordnete das Amtsgericht (AG) an, seine Wohnung zu durchsuchen. Der Lehrer gewährte den die Durchsuchungsanordnung vollziehenden Beamten Eintritt in seine Wohnung und übergab ihnen verschiedene Unterlagen. Das Strafverfahren endete mit einer Einstellung gegen Zahlung einer Geldauflage.
Verletzung von Grundrechten
Die Anordnung der Durchsuchung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach dem Grundgesetz (Art. 13 Abs. 1 GG). Sie war unverhältnismäßig. Angesichts grundrechtsschonender, alternativer Ermittlungshandlungen stand eine Durchsuchung außer Verhältnis zur Schwere der verfolgten Straftat.
Zwar war die Durchsuchung nicht bereits deshalb unzulässig, weil lediglich die Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers ermittelt werden sollten. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft müssen sich nämlich auch auf Umstände beziehen, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind. Dazu zählen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten zwecks Bestimmung der Tagessatzhöhe.
Lehrer hätte zuerst befragt werden müssen
Naheliegend und grundrechtsschonend wäre es gewesen, zunächst den Beschwerdeführer über seinen Verteidiger zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu befragen. Eine solche Nachfrage hätte im Streitfall mit realistischer Wahrscheinlichkeit dazu geführt, ausreichende Informationen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu erlangen. Auch die Gefahr eines Beweismittelverlustes bestand nicht.
Anfrage an Besoldungsstelle als Alternative
Als naheliegende und grundrechtsschonende Alternative zu einer Wohnungsdurchsuchung wäre aber auch eine Anfrage bei der Besoldungsstelle des Beschwerdeführers nach dem von dort bezogenen Einkommen in Betracht gekommen. Durch eine solche Anfrage sind zwar nicht zwingend Informationen zu allen Einkünften zu erlangen. Das Strafgesetzbuch (hier: § 40 Abs. 3 StGB) erfordert aber – zumal in Fällen der kleineren Kriminalität – auch nicht die Ausschöpfung aller Beweismittel, wenn ansonsten die fachrechtlichen Voraussetzungen für eine Schätzung der Einkünfte vorliegen. Durchsuchungen zur Ermittlung der für die Bestimmung der Tagessatzhöhe entscheidenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten sind daher grundsätzlich nur verhältnismäßig, wenn anhand der übrigen zur Verfügung stehenden Beweismittel keine Schätzung möglich ist.
Weitere alternative Anfragen möglich
Hätten sich Staatsanwaltschaft und AG mit den durch die genannten Maßnahmen zu erlangenden Informationen zum Einkommen des Beschwerdeführers nicht begnügen wollen, wären darüber hinaus eine Abfrage bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und anschließende Bankanfragen in Betracht gekommen. Auch insoweit handelt es sich im Vergleich zur angeordneten Durchsuchung um eine meist weniger grundrechtsintensive Maßnahme.
Quelle | BVerfG, Beschluss vom 15.11.2023, 1 BvR 52/23, PM 115/23
| In einem Nachbarschaftsstreit sah das Amtsgericht (AG) München in dem Aufstellen einer Kamera auf dem Nachbargrundstück eine Persönlichkeitsrechtsverletzung und untersagte dies der Antragsgegnerin. |
Überwachungs- oder Wildkamera?
Die Parteien sind unmittelbare Nachbarn in München und stritten über eine im April 2022 auf der Terrasse der Antragsgegnerin aufgestellte Wildüberwachungskamera, die von der Terrasse der Antragstellerin aus sichtbar war. Die Antragstellerin wehrte sich hiergegen unter Verweis auf ihre Persönlichkeitsrechte und forderte die Antragsgegnerin im Juli 2022 u. a. auf, die Videoüberwachung zu beenden und künftig zu unterlassen. Die Antragsgegnerin verweigerte dies mit der Begründung, dass es sich nicht um eine Videoüberwachung, sondern um eine sogenannte Wild-Kamera handeln würde. Es ginge ausschließlich um die Kontrolle des eigenen Gartens.
Kamera musste entfernt werden
Zunächst erließ das AG im einstweiligen Rechtsschutz auf Antrag der Antragstellerin eine einstweilige Verfügung. Danach wurde es dieser untersagt, auf ihrem Grundstück eine Überwachungskamera aufzustellen, die die Terrasse oder den Garten der Antragstellerin erfasst oder erfassen kann oder den Eindruck hiervon erweckt. Anschließend entfernte die Antragsgegnerin die Kamera.
Einstweilige Verfügung war rechtens
Auf Antrag der Antragstellerin bestätigte das AG dann mit einem Urteil die einstweilige Verfügung. Die vormals aufgestellte Kamera habe die Antragstellerin in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Kamera tatsächlich ausschließlich den Bereich der Antragsgegnerin erfasst hat oder nicht. Denn es komme insoweit auf die Umstände des Einzelfalls an. Die Befürchtung, durch vorhandene Überwachungsgeräte überwacht zu werden, sei gerechtfertigt, wenn sie aufgrund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit oder aufgrund objektiv Verdacht erregender Umstände. Lägen solche Umstände vor, könne das Persönlichkeitsrecht des (vermeintlich) Überwachten schon wegen der Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch Videokameras und ähnliche Überwachungsgeräte beeinträchtige hingegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen nicht, die dadurch betroffen sein könnten.
Hypothetische Möglichkeit der Überwachung ausreichend für Beseitigungsanspruch
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs habe die Antragstellerin einen Anspruch auf Beseitigung der Kamera und entsprechende Unterlassung der etwaigen weiteren Installation einer vergleichbaren Kamera. Nach Ansicht der Lichtbilder sei das Gericht der Überzeugung, dass die Antragstellerin zu der Ansicht gelangen konnte, dass ihr Grundstück von der Kamera erfasst werde. Es handelte sich nicht mehr um die rein hypothetische Möglichkeit der Überwachung.
Der Sachverhalt habe sich zwar mittlerweile maßgeblich verändert, da die Kamera entfernt worden sei. Weiterhin habe die Antragsgegnerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass sie nicht die Absicht habe, eine weitere Kamera aufzustellen. Dieser Umstand allein kann aber nicht ausreichen, eine Wiederholungsgefahr aufzuheben.
Quelle | AG München, Urteil vom 1.2.2023, 171 C 11188/22, PM 43/23
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über die Frage entschieden, ob ein Anspruch des Mieters auf Gestattung der Gebrauchsüberlassung an einen Dritten (Untervermietung) auch im Fall einer Einzimmerwohnung gegeben sein kann. Er hat den Anspruch des Mieters bestätigt. |
Das war geschehen
Der Mieter einer in Berlin gelegenen Einzimmerwohnung bat mit Schreiben von März 2021 seinen Vermieter wegen eines beruflichen Auslandsaufenthalts um die Gestattung der Untervermietung an eine namentlich benannte Person vom 15.6.2021 bis zum 30.11.2022. Die Vermieter lehnten dies ab.
Mit der im Mai 2021 erhobenen, auf die Erlaubnis der Untervermietung „eines Teils der Wohnung“ an den bezeichneten Untermieter gerichteten Klage hat der Mieter vorgetragen, er wolle für die Dauer seiner berufsbedingten Abwesenheit einen Teil der Wohnung an die benannte Person untervermieten, jedoch persönliche Gegenstände weiter in der Wohnung lagern. Während seines Auslandaufenthalts lagere er seine in der (untervermieteten) Wohnung verbliebenen persönlichen Gegenstände dort in einem Schrank und einer Kommode sowie in einem am Ende des Flurs gelegenen, durch einen Vorhang abgetrennten, nur von ihm zu nutzenden Bereich von der Größe eines Quadratmeters. Ferner blieb er im Besitz eines Wohnungsschlüssels.
Die Klage hatte beim Amtsgericht (AG) keinen Erfolg. Auf die Berufung des Mieters hat das Landgericht (LG) die Vermieter antragsgemäß verurteilt, die Untervermietung „eines Teils der Wohnung“ an die vom Mieter benannte Person zu gestatten. Mit der Revision begehren die Vermieter die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
So entschied der Bundesgerichtshof
Die Revision der Vermieter hatte keinen Erfolg. Der BGH hat entschieden, dass dem Mieter ein Anspruch auf Gestattung der befristeten, teilweisen Gebrauchsüberlassung an den von ihm benannten Dritten zusteht.
Wie der Senat in der Vergangenheit bereits (zu Wohnungen mit mehreren Zimmern) entschieden hat, stellt das Bürgerliche Gesetzbuch (hier: § 553 Abs. 1 BGB) weder quantitative Vorgaben hinsichtlich des beim Mieter verbleibenden Anteils des Wohnraums noch qualitative Anforderungen bezüglich dessen weiterer Nutzung durch den Mieter auf. Von einer Überlassung eines Teils des Wohnraums an einen Dritten im Sinne des § 553 Abs. 1 BGB ist daher regelmäßig bereits auszugehen, wenn der Mieter den Gewahrsam an dem Wohnraum nicht vollständig aufgibt.
Danach kann ein Anspruch des Mieters gegen den Vermieter auf Gestattung der Gebrauchsüberlassung an einen Dritten auch bei einer Einzimmerwohnung gegeben sein. Ein Ausschluss von Einzimmerwohnungen aus dem Anwendungsbereich des § 553 Abs. 1 BGB ergibt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut, der Gesetzesgeschichte noch aus dem mieterschützenden Zweck der Vorschrift. Letzterer liefe für Mieter einer Einzimmerwohnung andernfalls gänzlich leer. Sachgerechte Gründe dafür, solche Mieter insoweit als weniger schutzwürdig anzusehen als Mieter einer Mehrzimmerwohnung, erschließen sich indes nicht, denn auch dem Mieter einer Einzimmerwohnung kann es, namentlich bei – wie hier – befristeter Abwesenheit, darum gehen, sich den Wohnraum zu erhalten.
Die Beurteilung des LG, dass der Mieter dem Untermieter die Einzimmerwohnung nur teilweise überlassen wollte, ist laut BGH nicht zu beanstanden. Der Mieter hat seinen Gewahrsam an der Wohnung nicht vollständig aufgegeben. Denn er hat persönliche Gegenstände in der Wohnung in Bereichen zurückgelassen, die seiner alleinigen Nutzung vorbehalten waren, und sich den Zugriff hierauf zudem durch Zurückbehaltung eines Wohnungsschlüssels gesichert. Hinzu tritt der Wille des Mieters, die Wohnung nur für die Zeit seines Auslandsaufenthalts teilweise einem Dritten zu überlassen.
Quelle | BGH, Urteil vom 13.9.2023, VIII ZR 109/22, PM 158/2023 vom 14.9.2023
| Eine Grabbeigabe (Goldkette und Eheringe) durch den Testamentsvollstrecker ist auch bei einer Auswirkung auf ein Vermächtnis nicht grob pflichtwidrig. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. |
Testamentsvollstrecker kam Wunsch der Erblasserin nach
Die Erblasserin errichtete mit ihrem verstorbenen Ehemann ein gemeinschaftliches Testament. Sie setzten unter anderem ihre gemeinsamen Kinder, die Beteiligten zu 1) bis 3), als Erben zu gleichen Teilen ein und vermachten der Beteiligten zu 3) vorab den Schmuck der Erblasserin. Später ordnete die Erblasserin in einer notariellen Ergänzung Testamentsvollstreckung an und bestimmte den Beteiligten zu 2) zum Testamentsvollstrecker.
Der Beteiligte zu 2) legte der Erblasserin – seiner Behauptung zufolge auf deren Wunsch – die Eheringe der Erblasserin und ihres Ehemannes an einer Goldkette mit ins Grab, obwohl sich die Beteiligten zu 1)und zu 3) mit der Grabbeigabe der Goldkette zuvor nicht einverstanden erklärt hatten. Dies veranlasste den Beteiligten zu 1), die Entlassung des Beteiligten zu 2) aus dem Amt des Testamentsvollstreckers zu beantragen. Das Nachlassgericht hat den Antrag nach Vernehmung verschiedener Zeugen zurückgewiesen.
So sah es das Oberlandesgericht
Die hiergegen eingelegte Beschwerde hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Ein Testamentsvollstrecker begeht keine grobe Pflichtverletzung, sofern er die Eheringe und eine Kette der Erblasserin auf deren Wunsch ihr mit ins Grab legt, auch wenn er dadurch einem angeordneten Vermächtnis teilweise nicht nachkommen kann. Das OLG hat die Beschwerde einer Tochter der Erblasserin zurückgewiesen.
Zu Recht habe das Amtsgericht (AG) eine als grob zu wertende Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers verneint. Es fehle bereits an dem Nachweis einer Pflichtverletzung. Der Beteiligte zu 1) habe nicht nachweisen können, dass die Grabbeilage nicht auf Wunsch der Erblasserin erfolgt sei. Die Erblasserin sei nicht gehindert gewesen, noch zu ihren Lebzeiten einer Vertrauensperson den rechtsverbindlichen Auftrag zu erteilen, die Goldkette nebst den Eheringen nach ihrem Tod als Grabbeigabe zu verwenden. Dieser insoweit als gegeben zu unterstellende geäußerte Wunsch der Erblasserin sei als – wirksamer – Auftrag zu deren Lebzeiten an den Beteiligten zu 2) zu verstehen. Diesen Auftrag hätten allenfalls alle drei Erben widerrufen können. Dies sei nicht geschehen.
Es lag eine Pflichtenkollision vor
Die aus dem Vermächtnis einerseits und dem Auftrag der Erblasserin andererseits resultierende Pflichtenkollision habe der Testamentsvollstrecker zugunsten einer Grabbeigabe entscheiden können, ohne dass dies als objektiv pflichtwidriger Verstoß gegen die Pflichten als Testamentsvollstrecker zu werten ist. Darüber hinaus sei selbst eine unterstellte Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers nicht schwerwiegend.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 19.12.2023, 21 W 120/23, PM 77/23
| Der Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Wohngebäudes an der Grundstücksgrenze fehlt es an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse, wenn eine Baulast im Baulastenverzeichnis eingetragen ist, die für den Grenzbereich die Freihaltung von jeglicher Bebauung regelt. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Mainz. |
Baulast seit 40 Jahren eingetragen
Die Klägerin stellte einen Bauantrag zur Errichtung eines Wohngebäudes an der Grenze zum Nachbargrundstück. Im Baulastenverzeichnis ist seit mehr als 40 Jahren eine Baulast eingetragen, nach der das Baugrundstück der Klägerin in der Länge eines (seinerzeit geplanten und genehmigten) Anbaus an ein Wohngebäude auf dem Nachbargrundstück und in einer Breite von drei Metern von jeglicher Bebauung freizuhalten ist.
Unter Hinweis auf diese Baulastregelung lehnte der Beklagte, die Baugenehmigungsbehörde, den im vereinfachten Genehmigungsverfahren gestellten Bauantrag ab. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage, mit der sie u. a. die Erteilung der Baugenehmigung beanspruchte. Sie machte im Wesentlichen geltend, die Baulast sei hinsichtlich der Länge der freizuhaltenden Fläche unbestimmt und deshalb unwirksam. Jedenfalls sei die Baulast in dem Baulastenverzeichnis zu löschen, weil zwischenzeitlich in der Umgebung nahezu auf allen Grundstücken grenzständige Bauten entstanden seien. Das VG wies die Klage ab.
Kein Rechtsschutzbedürfnis gegeben
Es fehle der Klage an einem sog. Rechtsschutzinteresse. Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren sei der Prüfungsumfang der Bauaufsichtsbehörde gesetzlich beschränkt. So seien Vorschriften nach der Landesbauordnung grundsätzlich nicht zu prüfen. Dementsprechend blieben auch eingetragene Baulasten generell unberücksichtigt.
Baulast war unmissverständlich
Gleichwohl sei die Baubehörde im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht verpflichtet, bauordnungsrechtliche Fragen gänzlich auszublenden. So dürfe sie im vereinfachten Verfahren die Erteilung einer Baugenehmigung versagen, wenn das Bauvorhaben offensichtlich gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften verstoße und deshalb nicht verwirklicht werden könne. So sei es hier. Die in Rede stehende Baulast enthalte die unmissverständliche Aussage, dass der Grenzbereich auf dem Klägergrundstück, auf dem das geplante Wohngebäude zu stehen kommen solle, von jeglicher Bebauung freizuhalten sei. Unter verständiger objektiver Würdigung sei auch bestimmbar, in welcher Länge das Bauverbot gelte: Diese ergebe sich aus den seinerzeitigen Baugenehmigungsunterlagen zu dem Nachbaranbau. Sei eine Baulast in das Baulastenverzeichnis eingetragen, entfalte sie ihre Wirksamkeit. Sie sei – anders als bei einer hier nicht gegebenen Nichtigkeit – nicht ständig auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen.
Bauantragsteller muss handeln
Erst im Fall der Eintragung eines (allerdings in einem eigenem Verwaltungsverfahren nach Wegfall eines öffentlichen Interesses durch die Bauaufsichtsbehörde auszusprechenden) Verzichts auf die Baulast entfalle ihre Wirksamkeit. Es sei Sache des Bauantragstellers, ein solches Verzichtsverfahren (ggf. nach zivilrechtlicher Abklärung von Nachbarrechtspositionen) anzustoßen. Die Baugenehmigungsbehörde sei indes nicht verpflichtet, mit der Bescheidung eines Bauantrags zuzuwarten, bis der Erteilung der Baugenehmigung entgegenstehende Hindernisse ausgeräumt seien.
Quelle | VG Mainz, Urteil vom 6.12.2023, 3 K 47/23.MZ, PM 2/24
| Die Naturschutzbehörden sind grundsätzlich befugt, gegenüber Betreibern bestandskräftig genehmigter Windenergieanlagen nachträgliche Anordnungen zur Verhinderung von Verstößen gegen das artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsverbot gemäß des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) zu treffen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage nach Genehmigungserteilung wesentlich geändert hat. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden. |
Zeitweise Abschaltung der Anlage
Die Klägerin wendet sich gegen nachträgliche zeitliche Beschränkungen des Betriebs ihrer bestandskräftig genehmigten Windenergieanlagen, die die Beklagte gestützt aus Gründen des Fledermausschutzes angeordnet hat. Die im Jahr 2006 erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung enthält keine Betriebsbeschränkungen zum Schutz von Fledermäusen. Nachdem später Totfunde verschiedener Fledermausarten im Bereich der Anlagen gemeldet und Bestandserfassungen zu Fledermäusen angestellt worden waren, verfügte die Beklagte unter näheren Maßgaben zu meteorologischen Rahmenbedingungen eine nächtliche Abschaltung der Anlagen vom 15. April bis zum 31. August eines Jahres. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen.
Wenn sich die Sach-oder Rechtslage ändert, sind nachträgliche Anordnungen möglich
Das BVerwG hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Eine bestandskräftige immissionsschutzrechtliche Genehmigung steht nachträglichen artenschutzrechtlichen Anordnungen auf der gesetzlichen Grundlage (hier: § 3 Abs. 2 BNatSchG) nicht generell entgegen. Das BNatSchG (§ 44 Abs. 1 Nr. 1) begründet eine unmittelbare und dauerhafte Verhaltenspflicht, die auch bei Errichtung und Betrieb immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Windenergieanlagen zu beachten ist.
Zwar ist aufgrund der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung der Anlagenbetrieb auch als rechtmäßig anzusehen. Das gilt aber nur in den Grenzen der auf den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung bezogenen Feststellungswirkung der Genehmigung, wonach die genehmigte Anlage mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar ist. Aufgrund der Anknüpfung an den Genehmigungszeitpunkt erstreckt sich diese Feststellungswirkung nicht auf nachträgliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage, wie im vorliegenden Fall. Die streitige Anordnung bewirkt auch keine – der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörde vorbehaltene – (Teil-)Aufhebung der Genehmigung.
Es war rechtlich auch einwandfrei, so das BVerwG, dass das OVG hier einen Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG bejaht hat, weil durch den Betrieb der Windenergieanlagen das Tötungs- und Verletzungsrisiko von Exemplaren der besonders geschützten Fledermausarten signifikant erhöht sei.
Quelle | BVerwG, Urteil vom 19.12.2023, 7 C 4.22, PM 95/23
| Stiehlt ein Polizist nach einem Verkehrsunfall Käse, ist er aus dem Dienst zu entfernen. So entschied es das Verwaltungsgericht (VG) Trier. |
Das war geschehen
Ein Lkw hatte einen Unfall. Der Polizeibeamte, der eine Uniform und eine Dienstwaffe trug, verlangte von der Bergungsfirma, aus der verunfallten Ladung neun unbeschädigte Packungen Käse herauszugeben. So geschah es. Diese Pakete verlud der Polizist mit einer Kollegin in einen Einsatzbus und deckte sie ab. U. a. ein knappes Viertel des Käses fand sich später in der Polizeistation des Beamten. Seine Erklärung: Der Gutachter der Versicherung habe den Käse freigegeben. Es habe sich quasi um Müll gehandelt. Was er verschwieg: Der Käse wurde später noch zum Restwert verkauft.
Verwaltungsgericht „kennt keine Gnade“
Der Polizist kam zwar vor dem Strafgericht „mit einem blauen Auge“ davon. Das VG, bei dem es um disziplinarische Maßnahmen gegen den Beamten ging, entfernte ihn aus dem Dienst. Er habe während der Dienstzeit in Uniform einen Diebstahl mit Waffen begangen. Das VG verhängte daher die Höchstmaßnahme. Das VG betonte: Einem Polizisten, der in Uniform stiehlt, könne man nicht mehr glauben, dass er sich an Recht und Gesetz hält.
Das VG bewertete es als besonders negativ, dass der Beamte das Vertrauen in die Polizei ausgenutzt hatte, indem er der Bergungsfirma falsche Tatsachen vorgespiegelt hatte. Hinzu kamen Lügen gegenüber seinen Vorgesetzten. Unerheblich sei es, falls der Käse nur als Geschenk an Kollegen dienen sollte.
Quelle | VG Trier, Urteil vom 18.1.2024, 3 K 1752/23 TR
| Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern hat jetzt klargestellt: Beschreibt der Arbeitgeber das Arbeitsumfeld als „jung und dynamisch“, bezieht sich dies auf den Arbeitsplatz. Es wird kein Bewerber wegen seines Alters ausgeschlossen.|
Ein Tankstellenpächter suchte in einem Zeitungsinserat wie folgt nach einem neuen Mitarbeiter: „Wir sind ein junges und dynamisches Team mit Benzin im Blut und suchen Verstärkung.“ Anschließend folgten Einzelheiten zu Anforderungen und Gehalt. Die konkreten Arbeitsbedingungen wurden beschrieben. Der 50-jährige Kläger bewarb sich erfolglos. Eingestellt wurde ein 48-jähriger Mann. Der Kläger forderte eine Entschädigung. Die Stellenanzeige enthalte eine Altersdiskriminierung. Damit scheiterte er in erster und zweiter Instanz.
Das LAG stellte fest: Das Inserat formulierte keine Anforderungen, die den Kläger wegen seines Alters von einer Bewerbung hätte abhalten sollen. Hier lag vielmehr eine werbende Eigendarstellung vor. Es handele sich um eine überspitzte, ironische, nicht ernsthaft gemeinte, in der Form eines Werbeslogans gehaltene Beschreibung des Arbeitsumfeldes. Das LAG: Einzelne Begriffe, z. B. „jung“, herauszupicken und auf sich selbst zu beziehen, sei nicht zulässig, zumal die konkreten Anforderungen an die Bewerber im Inserat deutlich beschrieben wurden.
Quelle | LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 17.10.2023, 2 Sa 61/23
| Der Kläger war seit dem 1.7.2018 als Rezeptionist in einem Beherbergungsbetrieb tätig und regelmäßig in der Spätschicht eingesetzt. Er hatte am 12.1.2022 sein Hybridauto vor der Herberge geparkt und über ein Ladekabel an einer 220 Volt-Steckdose im Flur des Seminartrakts aufgeladen. Nachdem die Beklagte dies entdeckt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis am 14.1.2022 fristlos. Hiergegen hatte der Kläger sich mit seiner Kündigungsschutzklage gewandt und in erster Instanz obsiegt. In dem vom Arbeitgeber angestrengten Berufungsverfahren haben die Parteien ihren Streit vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf nun per Vergleich beigelegt. |
Unerlaubtes Laden an sich ein Kündigungsgrund
In der mündlichen Verhandlung bestätigte das LAG, dass das unerlaubte Laden des Privatfahrzeugs auf Kosten des Arbeitgebers an sich ein Kündigungsgrund ist. Dies gilt erst recht, wenn das Laden an einer 220 Volt-Steckdose und nicht an einer Wallbox oder eingerichteten Ladestation erfolgt.
Erteilte Erlaubnis war unklar
Das LAG hatte allerdings bereits Zweifel, ob von einem unerlaubten Laden auszugehen sei. Dazu hätte ggf. die Beweisaufnahme erster Instanz zur Frage der gegenüber dem Kläger erteilten Erlaubnis wiederholt werden müssen.
Hier hätte Abmahnung ausgereicht
Unabhängig davon sprach nach Ansicht des LAG mehr dafür, dass hier eine Abmahnung ausgereicht hätte. Eine Kündigung wäre wohl unverhältnismäßig gewesen.
„Schaden“ von rund 40 Cent
So lagen die Kosten für den Ladevorgang am 12.1.2022 bei lediglich 0,4076 Euro. Ein Verbot zum Laden von Elektromotoren für die Mitarbeitenden existierte nicht. Die Hausordnung, die dies vorsah, richtete sich ausdrücklich nur an Gäste. Das Laden anderer elektronischer Geräte, z. B. Handys, durch Mitarbeitende wurde geduldet. Auch wenn dies wertungsmäßig etwas anderes als das Laden eines Hybridautos ist, hätte im konkreten Fall angesichts der bislang beanstandungsfreien Beschäftigungszeit eine Abmahnung genügt.
Am Ende verglichen sich die Parteien
Auf Vorschlag des Gerichts haben sich die Parteien u. a. auf eine ordentliche Kündigung zum 28.2.2022 und eine Abfindung von 8.000 Euro brutto geeinigt.
Quelle | LAG Düsseldorf, Vergleich vom 19.12.2023, 8 Sa 244/23, PM 32/23
| Der Beweiswert von (Folge-)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann erschüttert sein, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen, und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun klargestellt. |
War der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert?
Der Kläger war seit März 2021 als Helfer bei der Beklagten beschäftigt. Er legte am Montag, dem 2.5.2022, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 2. bis zum 6.5.2022 vor. Anfang Mai kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.5.2022. Mit Folgebescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 wurde Arbeitsunfähigkeit bis zum 20.5.2022 und bis zum 31.5.2022 (einem Dienstag) bescheinigt. Ab dem 1.6.2022 war der Kläger wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung auf. Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Beweiswert der vorgelegten AU-Bescheinigungen sei erschüttert. Dem widersprach der Kläger, weil die Arbeitsunfähigkeit bereits vor dem Zugang der Kündigung bestanden habe. Die Vorinstanzen haben der auf Entgeltfortzahlung gerichteten Klage für die Zeit vom 1. bis zum 31.5.2022 stattgegeben.
Gesetzliches Beweismittel
Die Revision der Beklagten hatte teilweise – bezogen auf den Zeitraum vom 7. bis zum 31.5.2022 – Erfolg. Ein Arbeitnehmer kann die von ihm behauptete Arbeitsunfähigkeit mit ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachweisen. Diese sind das gesetzlich vorgesehene Beweismittel.
Arbeitgeber kann Beweiswert erschüttern
Deren Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die nach einer Gesamtbetrachtung Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geben. Hiervon ausgehend ist das Landesarbeitsgericht (LAG) bei der Prüfung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die während einer laufenden Kündigungsfrist ausgestellt werden, zutreffend davon ausgegangen, dass für die Erschütterung des Beweiswerts dieser Bescheinigungen nicht entscheidend ist, ob es sich um eine Kündigung des Arbeitnehmers oder eine Kündigung des Arbeitgebers handelt und ob für den Beweis der Arbeitsunfähigkeit eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden.
Einzelfall ist zu würdigen
Stets erforderlich ist allerdings eine einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände. Hiernach hat das Berufungsgericht richtig erkannt, dass der Beweiswert für die Bescheinigung vom 2.5.2022 nicht erschüttert ist. Eine zeitliche Koinzidenz zwischen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und dem Zugang der Kündigung ist nicht gegeben. Der Kläger hatte zum Zeitpunkt der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine Kenntnis von der beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses, etwa durch eine Anhörung des Betriebsrats. Weitere Umstände hat die Beklagte nicht dargelegt. Bezüglich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 ist der Beweiswert dagegen erschüttert. Das LAG hatte insoweit nicht ausreichend berücksichtigt, dass zwischen der in den Folgebescheinigungen festgestellten passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestand und der Kläger unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen hat. Dies hat zur Folge, dass der Kläger nun für die Zeit vom 7.5.bis zum 31.5.2022 die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch trägt.
Da das LAG – aus seiner Sicht konsequent – hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückzuverweisen.
Quelle | BAG, Urteil vom 13.12.2023, 5 AZ R 137/23, PM 45/23
Verkehrsrecht
| Der Bundesfinanzhof hat entschieden: Kostenerstattungen eines kirchlichen Arbeitgebers an seine Beschäftigten für die Erteilung erweiterter Führungszeugnisse, zu deren Einholung der Arbeitgeber zum Zwecke der Prävention gegen sexualisierte Gewalt kirchenrechtlich verpflichtet ist, führen nicht zu Arbeitslohn. |
Die Einholung der erweiterten Führungszeugnisse durch die Arbeitnehmer erfolgte aufgrund einer nur die kirchlichen Rechtsträger, nicht aber die Arbeitnehmer treffenden (kirchenrechtlichen) Verpflichtung.
Durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasste, zu Lohn führende Zuwendungen erbringt der Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern aber regelmäßig nicht, wenn er ausschließlich eine eigene, insbesondere nicht gegenüber den Arbeitnehmern bestehende Verpflichtung erfüllt.
Die zur Erfüllung einer entsprechenden Verpflichtung entstehenden Kosten wendet der Arbeitgeber in einer solchen Konstellation im eigenen Interesse auf. Sie sind Ausfluss seiner eigenbetrieblichen Tätigkeit.
Beachten Sie | Haben die Arbeitnehmer die vom Arbeitgeber für dessen eigenbetriebliche Tätigkeit zu tragenden Kosten (wie im Streitfall) zunächst aus eigenen Mitteln verauslagt, wendet der Arbeitgeber ihnen mit der Erstattung ihrer Aufwendungen keinen Vorteil zu, der sich im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweisen könnte.
Quelle | BFH, Urteil vom 8.2.2024, IV R 19/22
| Nach dem neuen Partnerschaftsgesetz (hier: § 2 Abs. 1 PartGG), das am 1.1.2024 in Kraft getreten ist, muss der Name der Partnerschaft nur noch den Zusatz „und Partner“ oder „Partnerschaft“ enthalten. Die Aufnahme des Namens mindestens eines Partners ist nicht mehr erforderlich. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Der Zwang zur Benennung mindestens eines Partners ist zum Jahreswechsel entfallen. Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass die grundsätzlich zu schützende Vertrauensbeziehung zwischen Freiberufler und Auftraggeber es jedenfalls aus gesellschaftsrechtlicher Sicht nicht erfordert, dass der Name der Partnerschaftsgesellschaft den Namen mindestens eines Partners enthalten muss. Hinzu kommt, dass die Identifizierung der Partnerschaftsgesellschaft mit dem Namen der Partner weitgehend an Bedeutung verloren hat.
Quelle | BGH, Beschluss vom 6.2.2024, II ZB 23/22
| Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken bestätigte, dass in einer Tageszeitung anlässlich einer damals anstehenden Neuwahl des Ortsvorstehers zulässig über die erstinstanzliche strafrechtliche Verurteilung eines lokalen Bauunternehmers berichtet worden sei, der mit zwei der Kandidaten verwandt ist. |
Das war geschehen
Eine große pfälzische Tageszeitung berichtete in ihrer Online-Ausgabe vom 30.6.2023 und in ihrer Print-Ausgabe vom 1.7.2023 über die damals anstehende Neuwahl eines Ortsvorstehers. Diese war notwendig geworden, weil der bisherige Ortsvorsteher nach diversen Anfeindungen zurückgetreten war.
Im Artikel wurden die drei Kandidaten vorgestellt und dabei erwähnt, dass zwei der Kandidaten mit einem lokalen Bauunternehmer und Landwirt verwandt seien, dem Anwohner vorwerfen, für den stark angestiegenen Lkw-Verkehr im Ort verantwortlich zu sein. Dabei wurde auch berichtet, dass der Bauunternehmer erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung u. a. wegen Beleidigung, Nötigung, Bedrohung und versuchter gefährlicher Körperverletzung von Anwohnern verurteilt worden sei.
Auf eine Abmahnung des Bauunternehmers hin schwärzte die Zeitung das E-Paper und ergänzte den Online-Beitrag um den Hinweis, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig sei. Der Bauunternehmer verlangte hierauf im gerichtlichen Eilverfahren den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Zeitung, wonach sie den ihn betreffenden Bericht unterlassen sollte. Das Landgericht (LG) wies den Antrag zurück. Hiergegen hat der Bauunternehmer sofortige Beschwerde eingelegt. Diese wies das OLG zurück.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG begründete seine Entscheidung damit, dass es schon an der erforderlichen Eilbedürftigkeit für das beschrittene gerichtliche Eilverfahren fehle. Der Bauunternehmer habe mehr als fünf Wochen mit seinem Antrag gewartet und die Zeitung habe den Online-Artikel um den Zusatz, wonach das strafrechtliche Urteil noch nicht rechtskräftig sei, bereits ergänzt.
Zulässige Verdachtsberichterstattung
Unabhängig davon handele es sich um eine zulässige Verdachtsberichterstattung. Zwar könnten anhand der im Artikel genannten Einzelinformationen zumindest die Einwohner des betroffenen Ortsteils den Bauunternehmer identifizieren. Der Bericht beruhe aber auf wahren Tatsachen, nämlich die tatsächliche Verurteilung des Bauunternehmers. Außerdem werde zumindest durch den Zusatz klar, dass die Verurteilung auch noch nicht rechtskräftig sei.
Persönlichkeitsrecht vs. Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit
Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Bauunternehmers stehe nicht außer Verhältnis zum Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Es gehöre gerade zu den Aufgaben der Presse, in Zusammenhang mit demokratischen Prozessen zu berichten. Hierzu gehöre auch die Berichterstattung über den Hintergrund der Kandidaten, insbesondere deren verwandtschaftliche Beziehungen, da diese möglicherweise Einfluss auf zukünftige Entscheidungen der Kandidaten haben könnten. Sowohl der erhöhte Lkw-Verkehr im Ort, als auch die erstinstanzlich abgeurteilten Straftaten des Antragstellers zulasten der Anwohner seien von lokalem Interesse.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.10.2023, 4 W 23/23, PM vom 11.3.2024
| Die Nutzung eines Bootes als schwimmende Bar auf der Havel muss nach einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin umgehend beendet werden. |
Boot = bauliche Anlage?
Der Antragsteller ist Eigentümer eines Bootes, das er überwiegend an Dritte vermietet, im Sommer aber an drei Tagen am Wochenende zum Ausschank von Getränken an Gäste nutzt. Die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt forderte ihn im August 2023 sofort vollziehbar auf, die schwimmende Bar innerhalb einer Woche ab Zugang der Anordnung „zu beseitigen“. Zur Begründung führte die Behörde im Wesentlichen aus, die auf einer Plattform betriebene Bar sei nach dem Berliner Wassergesetz genehmigungsbedürftig; eine Genehmigung werde aber nicht erteilt.
Der Antragsteller hat um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er meint, bei seinem Boot handele es sich weder um eine bauliche Anlage im Wasser noch um eine schwimmende Plattform, sondern um ein zugelassenes Sportboot. Es werde wegen der Vermietung an Dritte auch nicht vorwiegend stationär genutzt.
Während der Woche Sportboot, an Wochenenden Anlage im Gewässer
Das VG hat die Rechtmäßigkeit der Anordnung überwiegend bestätigt. Bei der schwimmenden Bar handele es sich um eine nicht genehmigte Anlage, deren Beseitigung die Wasserbehörde nach dem Berliner Wassergesetz habe anordnen dürfen. Auch wenn das Boot während der Woche als Sportboot einzustufen sei, führe seine wiederkehrende stationäre Nutzung als schwimmende Bar in der Sommersaison von Freitagabend bis Sonntag dazu, dass es in diesem Zeitraum als Anlage im Gewässer einzustufen sei. Diese Nutzung überschreite qualitativ die Grenze der gemeinverträglichen Nutzung des Gewässers und stelle sich damit wie eine Sondernutzung dar.
Strenger Maßstab war anzulegen
Wegen der besonderen Bedeutung, die dem Wasser für die Allgemeinheit wie für den Einzelnen zukomme und mit Rücksicht darauf, dass das Wasser und der Wasserhaushalt gegenüber Verunreinigungen und sonstigen nachteiligen Einwirkungen in besonderer Weise anfällig sei, sei ein strenger Maßstab gerechtfertigt. Daher könne der Antragsteller auch keine Sondernutzungserlaubnis beanspruchen.
Das VG beanstandete den Bescheid allerdings hinsichtlich der zur Durchsetzung der Verfügung angedrohten Ersatzvornahme, da nur der Antragsteller selbst die stationäre Nutzung unterlassen könne und es sich somit um eine unvertretbare Handlung handele.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 19.1.2024, VG 10 L 419.23, PM 4/24
| Prozesskosten zur Erlangung nachehelichen Unterhalts sind privat veranlasste Aufwendungen und keine (vorweggenommenen) Werbungskosten bei den späteren Unterhaltseinkünften i. S. des Einkommensteuergesetzes (hier: § 22 Nr. 1 a EStG). Mit dieser Entscheidung hat der Bundesfinanzhof (BFH) der anderslautenden Sichtweise des Finanzgerichts (FG) Münster (Vorinstanz) widersprochen. |
Hintergrund: Beim begrenzten Realsplitting kann der Unterhaltsverpflichtete die Unterhaltszahlungen bis zu 13.805 Euro im Jahr (zuzüglich der aufgewandten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung als Basisversorgung) als Sonderausgaben abziehen. Dies bedarf allerdings der Zustimmung des Unterhaltsberechtigten, der die Unterhaltszahlungen seinerseits als sonstige Einkünfte versteuern muss.
Erst durch den Antrag und die Zustimmung werden Unterhaltsleistungen in den steuerrelevanten Bereich überführt. Die Umqualifizierung markiert die zeitliche Grenze für das Vorliegen abzugsfähiger Erwerbsaufwendungen; zuvor verursachte Aufwendungen des Unterhaltsempfängers stellen keine Werbungskosten dar.
Beachten Sie | Der BFH hat den Streitfall an das FG Münster zurückverwiesen. Dieses muss nun klären, ob ggf. außergewöhnliche Belastungen vorliegen. Es besteht zwar ein Abzugsverbot für Prozesskosten (§ 33 Abs. 2 S. 4 EStG). Dieses greift aber nicht, wenn die Existenzgrundlage oder lebensnotwendige Bedürfnisse des Steuerpflichtigen betroffen sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 18.10.2023, X R 7/20
| Nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die pauschale Besteuerung (Steuersatz i. H. von 25 %) für Betriebsveranstaltungen auch für Veranstaltungen zulässig, die nicht allen Betriebsangehörigen offenstehen. Nicht so erfreulich ist dagegen ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG), wonach die verspätete Pauschalbesteuerung nicht zur Beitragsfreiheit in der Sozialversicherung führt. |
Hintergrund: Zuwendungen des Arbeitgebers an seinen Arbeitnehmer und dessen Begleitpersonen anlässlich von Veranstaltungen auf betrieblicher Ebene mit gesellschaftlichem Charakter (Betriebsveranstaltung) führen gemäß Einkommensteuergesetz (hier: § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 1 EStG) zu Arbeitslohn.
Soweit die Zuwendungen den Betrag von 110 Euro je Betriebsveranstaltung und teilnehmendem Arbeitnehmer nicht übersteigen, gehören sie jedoch nicht zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, wenn die Teilnahme allen Angehörigen des Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. Dies gilt für bis zu zwei Betriebsveranstaltungen jährlich (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 3 und S. 4 EStG).
Urteil des Bundesfinanzhofs
Ungeklärt war bislang die Frage, ob eine„Betriebsveranstaltung“ auch bei einem geschlossenen Kreis (beispielsweise Vorstands- und Führungskräfte feiern) vorliegt.
Beachten Sie | In diesen Fällen kann zwar kein Freibetrag i. H. von 110 Euro gewährt werden, aber es wäre eine Lohnsteuerpauschalierung (nach § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) mit 25 % möglich.
Auch bei eingeschränktem Kreis: Betriebsveranstaltung
Diese Frage hat der BFH – im Gegensatz zur Vorinstanz – nun zugunsten der Steuerpflichtigen entschieden. Nach der ab dem Veranlagungszeitraum 2015 geltenden Definition im Einkommensteuergesetz (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 1 EStG) kann eine Betriebsveranstaltung auch vorliegen, wenn sie nicht allen Angehörigen eines Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. Und da diese Definition dem Tatbestandsmerkmal „Betriebsveranstaltung“ (gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) entspricht, ist eine pauschale Besteuerung möglich.
Urteil des Bundessozialgerichts
Im Streitfall des BSG ging es auch um Betriebsveranstaltungen – und zwar um die Frage, welche Folgen eine verspätete Lohnsteuerpauschalierung für die Sozialversicherung hat.
Das war geschehen
Ein Unternehmen feierte mit seinen Beschäftigten am 5.9.2015 ein Firmenjubiläum. Am 31.3.2016 zahlte es für September 2015 auf einen Betrag von rund 163.000 Euro die für 162 Arbeitnehmer angemeldete Pauschalsteuer. Nach einer Betriebsprüfung forderte der Rentenversicherungsträger von dem Unternehmen Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen in Höhe von rund 60.000 Euro nach – und zwar zu Recht, wie das BSG entschieden hat (die gegenteiligen Entscheidungen der Vorinstanzen wurden aufgehoben).
Aufwendungen von mehr als 110 Euro je Beschäftigten für eine betriebliche Jubiläumsfeier sind als geldwerter Vorteil in der Sozialversicherung beitragspflichtig, wenn sie nicht mit der Entgeltabrechnung, sondern erst erheblich später pauschal versteuert werden.
Pauschalversteuerung erfolgte zu spät
Es kommt entscheidend darauf an, dass die pauschale Besteuerung „mit der Entgeltabrechnung für den jeweiligen Abrechnungszeitraum“ erfolgt. Dies wäre im konkreten Fall die Entgeltabrechnung für September 2015 gewesen. Tatsächlich wurde die Pauschalbesteuerung aber erst Ende März 2016 durchgeführt und damit sogar nach dem Zeitpunkt, zu dem die Lohnsteuerbescheinigung für das Vorjahr übermittelt werden musste.
Beachten Sie | Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung vertreten im Besprechungsergebnis vom 20.4.2016 (TOP 5) die Auffassung, dass eine nachträgliche Pauschalbesteuerung nur bis zur Erstellung der Lohnsteuerbescheinigung geltend gemacht werden kann, also längstens bis zum 28.2. des Folgejahrs. Dem hat sich das BSG nun im Ergebnis angeschlossen.
Quelle | BFH, Urteil vom 27.3.2024, VI R 5/22; BSG, Urteil vom 23.4.2024, B 12 BA 3/22 R Abruf-Nr. 241172 unter www.iww.de, PM Nr. 15/24 vom 23.4.2024; Spitzenorganisationen der Sozialversicherung, Besprechungsergebnis vom 20.4.2016, TOP 5
| Aufwendungen einer gesunden Steuerpflichtigen für eine durch eine Krankheit des Partners veranlasste Präimplantationsdiagnostik (PID) können als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein. So lautet eine steuerzahlerfreundliche Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH). |
Hintergrund: Bei der PID handelt es sich um ein genetisches Diagnoseverfahren zur vorgeburtlichen Feststellung von Veränderungen des Erbmaterials, die eine Fehl- oder Totgeburt verursachen bzw. zu einer schweren Erkrankung eines lebend geborenen Kindes führen können. Es erfolgt eine zielgerichtete genetische Analyse von Zellen eines durch künstliche Befruchtung entstandenen Embryos vor seiner Übertragung und Einnistung in die Gebärmutter.
Das war geschehen
Bei dem Partner der Steuerpflichtigen lag eine chromosomale Translokation vor. Aufgrund dieser Chromosomenmutation bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein auf natürlichem Weg gezeugtes gemeinsames Kind an schwersten körperlichen oder geistigen Behinderungen leidet und unter Umständen nicht lebensfähig ist. Daher wurde eine PID durchgeführt. Der Großteil der hierfür notwendigen Behandlungen betraf die Steuerpflichtige, die den Abzug der Kosten als außergewöhnliche Belastungen beantragte.
Das Finanzamt lehnte eine Berücksichtigung der Behandlungskosten ab. Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen gab der Klage hinsichtlich der von der Steuerpflichtigen selbst getragenen Aufwendungen hingegen statt.
Bundesfinanzhof: zwangsläufig entstandene Aufwendungen
Der BFH bestätigte nun die Vorentscheidung. Die Aufwendungen für die Behandlung der Steuerpflichtigen sind zwangsläufig entstanden, weil die ärztlichen Maßnahmen in ihrer Gesamtheit dem Zweck dienten, eine durch Krankheit beeinträchtigte körperliche Funktion ihres Partners auszugleichen. Wegen der biologischen Zusammenhänge konnte (anders als bei anderen Erkrankungen) durch eine medizinische Behandlung allein des erkrankten Partners keine Linderung der Krankheit eintreten. Daher steht der Umstand, dass die Steuerpflichtige selbst gesund ist, der Berücksichtigung der Aufwendungen nicht entgegen.
Auch auf den Familienstatus kam es nicht an
Unschädlich war auch, dass die Steuerpflichtige und ihr Partner nicht verheiratet waren – und schließlich war auch das Erfordernis der Übereinstimmung der vorgenommenen Behandlungsschritte mit gesetzlichen Vorschriften (insbesondere dem Embryonenschutzgesetz) erfüllt.
Beachten Sie | Außergewöhnliche Belastungen wirken sich nur steuermindernd aus, wenn sie die im Einkommensteuergesetz (hier: § 33 Abs. 3 EStG) festgelegte zumutbare Belastung übersteigen. Die Höhe der zumutbaren Belastung hängt dabei u. a. vom Gesamtbetrag der Einkünfte ab.
Quelle | BFH, Urteil vom 29.2.2024, VI R 2/22, PM 23/24 vom 10.5.2024
| Das Ordnungsamt darf einen privaten Pkw, der auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellt worden ist, unabhängig davon abschleppen lassen, ob ein Carsharing-Fahrzeug an der Nutzung dieses Parkplatzes konkret gehindert worden ist. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf entschieden und die Klage der Fahrzeugführerin gegen einen Leistungs- und Gebührenbescheid abgewiesen. |
Die Klägerin hatte ihren Pkw auf einer Fläche abgestellt, die durch Verkehrsschilder als Parkplatz für Carsharing-Fahrzeuge gekennzeichnet war. Ein Mitarbeiter der städtischen Verkehrsüberwachung stellte den Verstoß fest und beauftragte einen Abschleppwagen. Kurz vor dessen Eintreffen erschien die Klägerin und entfernte ihr Fahrzeug von dem Parkplatz. Die Stadt machte ihr gegenüber mit Leistungs- und Gebührenbescheid die Kosten der Leerfahrt des Abschleppwagens geltend und setzte eine Verwaltungsgebühr fest. Zur Begründung ihrer Klage gegen diesen Bescheid trug die Klägerin vor, sie habe nur elf Minuten auf dem Carsharing-Platz geparkt und zu dieser Zeit seien noch weitere Parkplätze frei gewesen, sodass ein Abschleppen nicht notwendig gewesen sei.
Das VG: Die Beauftragung des Abschleppwagens war rechtmäßig. Ein Fahrzeug, das auf einem nach der Beschilderung ausschließlich Carsharing-Fahrzeugen vorbehaltenen Parkplatz steht, aber nicht am Carsharing teilnimmt, wird so betrachtet, als wenn es in einem absoluten Halteverbot stünde. Die Abschleppmaßnahme war verhältnismäßig, weil die Funktion der Parkplätze für Carsharing-Fahrzeuge nur gewährleistet ist, wenn sie jederzeit von nicht parkberechtigten Fahrzeugen freigehalten werden. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob die Klägerin durch das verbotswidrige Abstellen konkret ein bevorrechtigtes Carsharing-Fahrzeug am Parken gehindert hat. Das Abschleppen ist auch unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, dass von einem zu Unrecht auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellten Fahrzeug eine negative Vorbildwirkung für andere Kraftfahrer ausgeht.
Quelle | VG Düsseldorf, Urteil vom 20.2.2024, 14 K 491/23, PM vom 28.2.2024
| Die Abschleppunternehmer rechnen üblicherweise nach Einsatzstunden ab, wobei im Stundensatz die Kosten für das Fahrzeug und den Fahrer enthalten sind. Die Preis- und Strukturbefragung des Verbands Bergen und Abschleppen (VBA) differenziert dabei im unteren Segment nach Abschleppfahrzeugen unter und über zwölf Tonnen zulässigem Gesamtgewicht (zGG). Das Amtsgericht (AG) Pforzheim musste einen Fall entscheiden, bei dem der Abschleppunternehmer mit einem 13-Tonner vorgefahren kam. |
Der Versicherer trug vor, bei dem konkreten Gewicht des zu transportierenden Fahrzeugs hätte auch ein 11-Tonner genügt. Auf dieser Grundlage hatte er die Abschleppkosten nur reduziert erstattet.
Das Gericht entschied: Es möge sein, dass ein 11-Tonner genügt hätte. Doch sei dies im Vorhinein nicht abschätzbar.
Quelle | AG Pforzheim, Urteil vom 11.1.2024, 9 C 1207/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat sich in seiner Entscheidung mit der Frage befasst, ob der Klägerin ein Anspruch auf Sterbegeld und Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusteht, nachdem ihr Ehemann einen tödlichen Motorradunfall erlitten hatte. |
Ehemann der Klägerin bei Verkehrsunfall tödlich verletzt
Der Ehemann der Klägerin war Inhaber eines Autohauses in Berlin und als Unternehmer freiwillig bei der beklagten Berufsgenossenschaft versichert. Die Klägerin war in dem Autohaus angestellt tätig. Die gemeinsame Wohnung der Eheleute lag etwa 14 km vom Autohaus entfernt. Am 19.8.2013 reisten beide gemeinsam auf ihrem Motorrad aus einem mehrtägigen Urlaub in Thüringen die rund 400 km lange Strecke zurück nach Berlin, der Ehemann lenkte das Motorrad. Da die Tochter des Ehepaares während des Urlaubs die Geschäfte des Autohauses weitergeführt hatte und wegen eines Zahnarzttermins um 14:00 Uhr auf ihrer Arbeit abgelöst werden sollte, wollten sich die Eheleute aus Thüringen kommend direkt zum Autohaus begeben. Dort sollten von beiden die weiteren Geschäfte aufgenommen werden, ohne zuvor in die Familienwohnung zu fahren. Bereits auf dem Berliner Stadtgebiet, noch bevor sich die Wege zum Autohaus und zur Familienwohnung gabelten, kam es gegen 13:25 Uhr zu einem Verkehrsunfall, bei dem sich die Klägerin erheblich verletzte und ihr Ehemann verstarb.
Berufsgenossenschaft lehnte Sterbegeld ab
Die Berufsgenossenschaft lehnte es ab, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen (Sterbegeld und Witwenrente) zu erbringen. Ihr Ehemann habe sich bei dem Unfall nicht auf einem versicherten Arbeitsweg befunden, sondern lediglich auf einem privat veranlassten Rückweg von einer Urlaubsreise. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin und die Berufung vor dem LSG blieben zunächst ohne Erfolg. Auf die vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassene und von der Klägerin eingelegte Revision hin hat das Bundessozialgericht (BSG) das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache dorthin zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts sowie zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Landessozialgericht spricht Hinterbliebenenleistungen zu
Das LSG hat jetzt entschieden: Der Ehefrau stehen Hinterbliebenenleistungen zu. Der tödliche Motorradunfall stelle für den Ehemann als freiwillig versicherten Unternehmer einen Arbeitsunfall dar.
Zum einen sei der Ehemann versichert gewesen, weil er sich selbst zum Zeitpunkt des Unfalls auf dem direkten Weg zum Autohaus begeben wollte, um dort seiner Arbeit nachzugehen. Zum anderen habe Versicherungsschutz auch deshalb bestanden, weil die objektiven Begleitumstände und die Angaben der Ehefrau darauf schließen ließen, dass der verunglückte Ehemann seine Frau direkt zum Autohaus gefahren habe, damit diese dort die gemeinsame Tochter bei der Arbeit habe ablösen können. Damit liege ein versicherter, sogenannter „Betriebsweg“ vor, der nicht auf das Betriebsgelände beschränkt sei, aber dennoch im unmittelbaren betrieblichen Interesse liege.
Dem Versicherungsschutz stehe nicht entgegen, dass der Weg aus dem Urlaub (von einem „dritten Ort“ aus) angetreten worden sei und mithin erheblich länger gewesen sei, als es die Strecke von der Wohnung zur Arbeit gewesen wäre. Entscheidend sei, dass der zurückgelegte Weg die direkte Strecke zum Autohaus gewesen sei bzw. dass der subjektive Wille in erster Linie auf die Wiederaufnahme der Arbeit gerichtet gewesen sei. Dies hat das LSG anhand der vorliegenden Indizien des Falls bejaht. Insbesondere seien auch der Unfallzeitpunkt (13:25 Uhr) und der Zeitpunkt, zu dem die Tochter im Autohaus abgelöst werden sollte (14:00 Uhr), zeitlich stimmig.
Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.1.2024, L 21 U 202/21, PM vom 1.2.2024
| Mit den Besonderheiten bei der Versicherung historischer Fahrzeuge hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Es entschied: Steigt der Wert eines Oldtimers nach Abschluss der Versicherung an, ist der Betrag der Wertsteigerung womöglich vom Versicherungsschutz ganz oder teilweise nicht erfasst. Der Eigentümer des Fahrzeugs muss selbst darauf achten, den versicherten Wert regelmäßig dem etwa gestiegenen Marktwert anzupassen. Eine auf vollständigen Ersatz gerichtete Klage gegen die Kfz-Versicherung hat das Gericht im zugrundeliegenden Fall wegen Unterdeckung abgewiesen. |
Das war geschehen
Ein Oldtimerfan hatte sein historisches Fahrzeug gegen Beschädigung oder Zerstörung zum jeweils aktuellen Marktwert versichert. Später kam es dazu, dass das Fahrzeug bei einem Brand in einer Tiefgarage erheblich beschädigt worden war.
Die Kfz-Versicherung kam nach eingeholtem Gutachten zu einem Wert des Fahrzeugs am Schadenstag in Höhe von knapp 41.000 Euro und zahlte dem Eigentümer den entsprechenden Geldbetrag aus. Dieser war jedoch davon überzeugt, dass sein Oldtimer deutlich mehr wert gewesen sei und ließ deshalb ein weiteres Gutachten einholen. Dieses kam tatsächlich zu dem Ergebnis, dass das historische Fahrzeug im Wert deutlich gestiegen und fast 8.000 Euro mehr wert war, als von der Versicherung angenommen. Der Mann verlangte nun die Differenz.
Sonderbedingungen des Versicherungsvertrags entscheidend
Das LG verwies, wie auch zuvor bereits die Versicherung, den Oldtimerfan auf die im Versicherungsvertrag enthaltenen Sonderbedingungen für historische Fahrzeuge. Danach werde grundsätzlich ein Schaden bis zur Höhe des aktuellen Marktwerts ersetzt. Die Höchstentschädigung sei aber durch den Marktwert begrenzt, der bei Versicherungsabschluss vereinbart wurde.
Im Fall von Wertsteigerungen könne maximal zehn Prozent mehr als der damals vereinbarte Marktwert verlangt werden. Der habe im konkreten Fall rund 36.000 Euro betragen. Dem Oldtimerbesitzer stehe deshalb keine höhere Entschädigung zu, als von der Versicherung bereits ausgezahlt.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 17.1.2024, 3 O230/23, PM vom 28.2.2024
| Das Amtsgericht (AG) Frankfurt hatte nach der Wegnahme eines Fan-Schals keinen Diebstahl, sondern lediglich eine Nötigung angenommen. Ob ein Diebstahl vorliege, hänge davon ab, ob der Täter den Schal seinem Vermögen einverleiben wolle. |
Wegnahme nach Fußballspiel
Der angeschuldigte Eintracht-Fan soll bei einem Fußballspiel der Frankfurter Eintracht gegen den FC Schalke 04 im Deutsche Bank-Park einem Fan der gegnerischen Mannschaft einen Fan-Schal abgenommen haben. Beim Verlassen des Stadions habe er dem Schalke-Anhänger den Fan-Schal im Vorbeilaufen vom Hals gezogen. Als der Schalke-Fan ihn zur Rückgabe aufforderte, habe er ihn mit beiden Händen weggeschoben.
Staatsanwaltschaft bejahte Diebstahl
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main wertete dies als Diebstahl. Da der Angeschuldigte zudem den Schalke-Fan mit Gewalt weggedrückt habe, um den erbeuteten Schal behalten zu können, erhob sie Anklage wegen räuberischen Diebstahls - einem Verbrechenstatbestand mit einer Mindeststrafe von einem Jahr.
Amtsgericht differenzierte
Das AG sah in der Handlung des Angeschuldigten jedoch keinen Diebstahl. Es fehle an der hierfür notwendigen „Zueignungsabsicht“. Diese liege nur vor, wenn der Täter sich die Sache aneignen, sie also seinem Vermögen zuführen wolle. Nehme der Täter den Schal aber lediglich an sich, um jemanden zu ärgern, fehle es an einer Zueignungsabsicht. Es handele sich dann lediglich um eine straflose „Gebrauchsanmaßung“ und – sofern der Schal anschließend beschädigt würde – um eine Sachbeschädigung.
Da das Gericht keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür sah, dass der Angeschuldigte den Schal behalten wollte, eröffnete es das Hauptverfahren nicht wegen räuberischen Diebstahls, sondern lediglich wegen Nötigung. Diese habe der Angeschuldigte durch das Wegdrücken des Schalke-Fans begangen.
Quelle | AG Frankfurt am Main, Beschluss vom 23.10.2023, 917 Ls 6443 Js 217242/23, PM vom 8.3.2024
| Bei der Zerstörung eines älteren Baumes ist in der Regel keine sog. Naturalrestitution zu leisten, also nicht der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Der Anspruch geht vielmehr auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines jungen Baumes und darüber hinaus einen Ausgleich für eine etwa verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Das Oberlandgericht (OLG) Frankfurt am Main hat ein den eingeklagten Schadenersatzanspruch größtenteils zurückweisendes Urteil des Landgerichts (LG) aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das LG zurückverwiesen. |
Rückschnitt ja, aber nicht so gravierend
Die Parteien sind Nachbarn. Die Klägerin ist Eigentümerin eines großen Grundstücks im Vordertaunus mit rund 70-jährigem Baumbestand. Der Baum- und Strauchbestand wird jährlich mehrfach durch ein Fachunternehmen beschnitten. An den hinteren Gartenbereich grenzt u. a. das Grundstück des Beklagten. Im Abstand von 1,60 m hierzu steht auf dem klägerischen Grundstück eine Birke, im Abstand von 3,35 m ein Kirschbaum. Beide Bäume waren zum Zeitpunkt des Erwerbs des Beklagten schon lange vorhanden. Die Klägerin war einverstanden, dass der Beklagte die auf sein Grundstück herüberhängenden Äste der Gehölze zurückschneidet.
Ende Mai 2020 betrat der Beklagte das klägerische Grundstück in ihrer Abwesenheit und führte gravierende Schnittarbeiten unter anderem an den beiden Bäumen durch. An der Birke verblieb kein einziges Blatt. Der kurz vor der Ernte befindliche Kirschbaum wurde vollständig eingekürzt. Ob sich die Bäume wieder komplett erholen oder die derzeitigen Triebe allein sog. Nottriebe sind, die an dem Absterben nichts ändern, ist zwischen den Parteien streitig.
Landgericht sprach Schadenersatz von 4.000 Euro zu
Das LG hat der auf Zahlung von Schadenersatz von knapp 35.000 Euro gerichteten Klage in Höhe von gut 4.000 Euro stattgegeben. Es führte aus, dass die Wertminderung der Bäume sowie die Kosten für die Entsorgung des Schnittguts zu ersetzen seien.
Oberlandesgericht: Sachverhalt muss aufgeklärt werden
Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LG. Der Sachverhalt sei zur Bemessung des Schadenersatzes weiter aufzuklären, begründete das OLG die Entscheidung.
Bei der Zerstörung eines Baumes sei in der Regel nicht Schadenersatz in Form von Naturalrestitution zu leisten, da die Ersatzbeschaffung in Form der Verpflanzung eines ausgewachsenen Baumes regelmäßig mit besonders hohen und damit unverhältnismäßigen Kosten verbunden sei. Der Schadenersatz richte sich vielmehr üblicherweise auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines neuen jungen Baumes sowie einen Ausgleichsanspruch für die verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Diese Werteinbuße sei zu schätzen. Nach einer möglichen Bewertungsmethode könnten dafür die für die Herstellung des geschädigten Gehölzes bis zu seiner Funktionserfüllung erforderlichen Anschaffungs-, Pflanzungs- und Pflegekosten sowie das Anwachsrisiko berechnet und anschließend kapitalisiert werden. Dieser Wert sei um eine Alterswertminderung, Vorschäden und sonstige wertbeeinflussende Umstände zu bereinigen.
Ausnahmsweise seien die vollen Wiederbeschaffungskosten zuzuerkennen, „wenn Art, Standort und Funktion des Baumes für einen wirtschaftlich vernünftig denkenden Menschen den Ersatz durch einen gleichartigen Baum wenigstens nahelegen würden“, erläutert das OLG weiter. Aufzuklären sei deshalb bei der Bewertung des Schadenersatzes die Funktion der Bäume für das konkrete Grundstück. Zu berücksichtigen sei dabei auch der klägerische Vortrag, wonach es ihr bei der sehr aufwändigen, gleichzeitig naturnahen Gartengestaltung auch darauf angekommen sei, Lebensraum für Vögel und sonstige Tiere zu schaffen und einen Beitrag zur Umwandlung von Kohlenstoffdioxid in Sauerstoff zu leisten.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 6.2.2024, 9 U 35/23, PM 12/24
Impfpflicht: Vorlage eines Masernimmunitätsnachweises für schulpflichtige Kinder
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat in mehreren Eilverfahren die Beschwerden von Eltern schulpflichtiger Kinder gegen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin zurückgewiesen, wonach Gesundheitsämter für den Schulbesuch den Nachweis einer Impfung oder Immunität gegen Masern fordern dürfen, sofern keine Kontraindikation besteht. Für den Fall, dass der Nachweis nicht vorgelegt wird, kann auch ein Zwangsgeld angedroht werden. |
Infektionsschutzgesetz verfassungskonform
Zur Begründung hat das OVG u. a. ausgeführt: Die Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes zur Nachweispflicht seien angesichts der hochansteckenden Viruskrankheit mit möglicherweise schwerwiegenden Komplikationen nicht offenkundig verfassungswidrig. Zwar greife die Nachweispflicht in das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes ein. Die Regelung sei aber verhältnismäßig, weil sie – wie das Bundesverfassungsgericht bereits zur Nachweispflicht bei noch nicht schulpflichtigen Kindern entschieden habe – einen legitimen Zweck verfolge und nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehe.
Impfpflicht besteht
Der Gesetzgeber des Masernschutzgesetzes sei von einer grundsätzlich bestehenden „Impfpflicht“ bzw. „verpflichtenden Impfung“ ausgegangen. Er habe lediglich von deren Durchsetzung im Wege des unmittelbaren Zwangs abgesehen. Andere Zwangsmittel, wie Zwangsgeld und Geldbuße, seien hingegen vorgesehen, um eine tatsächliche Erhöhung der Impfquote in Schulen und sonstigen Gemeinschaftseinrichtungen – und damit letztlich in der gesamten Bevölkerung – zu erreichen.
Die Beschlüsse sind unanfechtbar.
Quelle | OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 28.2.2024, OVG 1 S 80/23 u. a., PM 9/24
| Nach Modernisierungsarbeiten vor Mietbeginn kann der Vermieter eine Miete vereinbaren, die die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 10 % übersteigt. Bestreitet der Mieter die Maßnahmen, ist das unbeachtlich, wenn der Vermieter eine substanziierte Berechnung vorgelegt und Einsicht in sämtliche Unterlagen angeboten hat. Das hat jetzt das Amtsgericht (AG) Berlin-Charlottenburg entschieden. |
Mieter verlangte Rückerstattung überhöhter Miete
Die Miete für eine Wohnung in einem durch Verordnung bestimmten Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt lag bei 1.700 Euro. Unter Berücksichtigung eines zehnprozentigen Zuschlags gemäß Mietspiegel war von einer ortsüblichen Vergleichsmiete von maximal 867,71 Euro auszugehen. Der Mieter forderte die Rückerstattung der überhöht verlangten Miete. Im Prozess nahm der Vermieter detailliert zu den von ihm durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen Stellung und legte dar, in welchem Umfang Abzüge für Instandsetzungsmaßnahmen vorgenommen wurden, insbesondere, dass anrechenbare Modernisierungskosten in Höhe von 441,33 Euro pro Monat entstanden seien.
Klage hatte teilweise Erfolg
Das AG gab der Klage teilweise statt. Bei den Baumaßnahmen des Vermieters handele es sich zwar nicht um eine umfassende Modernisierung im Sinne des § 556 f BGB, sodass der Vermieter die Wohnung nicht preisfrei vermieten durfte. Bei einer umfassenden Modernisierung sei zum einen auf den Investitionsaufwand und zum anderen auf das Ergebnis der Maßnahme, also die qualitativen Auswirkungen auf die Gesamtwohnung, abzustellen. Die aufgewandten Kosten einer reinen Erhaltungsmaßnahme zählten insgesamt nicht zu den Modernisierungskosten. Allein die Höhe des Bauaufwands reiche nicht aus; entscheidend sei das Resultat, also der geschaffene Zustand. Der Begriff „umfassend“ bezeichne nämlich nicht nur ein quantitatives (Kosten-)Element, sondern gleichberechtigt ein qualitatives Kriterium. Zu berücksichtigen seien die qualitativen Auswirkungen der Maßnahmen auf die Gesamtwohnung. Eine solche Auslegung werde dem Gesetzeszweck gerecht, Modernisierungen zu fördern. Durch diesen Aufwand müsse ein Zustand erreicht werden, der einer Neubauwohnung in etwa – nicht notwendig vollständig – entspreche.
Im Fall des AG fehlten Darlegungen des Vermieters, dass durch die Maßnahmen ein Zustand erreicht wurde, der insbesondere in energetischer Hinsicht einem Neubau gleichkommt. Jedoch sei der Vermieter berechtigt, die Kosten für die Modernisierungsmaßnahmen (nach § 556 e Abs. 2 BGB) in Höhe von 441,33 Euro pro Monat anzurechnen. Insgesamt sei daher eine Nettokaltmiete für die Wohnung in Höhe von 1.309,04 Euro berechtigt.
Quelle | AG Berlin-Charlottenburg, Urteil vom 9.6.2023, 209 C 29/22
| Nach dem Wohnungseigentumsgesetz (hier: § 20 Abs. 1 Abs. 2 S. 1 WEG) kann jeder Wohnungseigentümer angemessene bauliche Veränderungen verlangen, die u. a. dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen (sog. privilegierte bauliche Veränderungen). Verlangt ein Wohnungseigentümer eine solche bauliche Veränderung, entscheidet die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer über das „Wie“ der Maßnahme nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung. Der einzelne Wohnungseigentümer hat grundsätzlich keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung. So entschied es das Landgericht (LG) Stuttgart. |
Eigentümer errichtete zunächst Ladesäule
Ein Wohnungseigentümer hatte ein Sondernutzungsrecht an einem Stellplatz im Freien. Seit Jahren versuchte er vergeblich zu erreichen, dass eine Ladesäule für Elektrofahrzeuge an seinem Stellplatz errichtet wird. Schließlich montierte er im Sommer 2019 ohne Gestattung neben seinem Außenstellplatz eine Ladesäule auf einem Betonfundament. Für die Errichtung als „öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur“ erhielt er eine Förderung aus Bundesmitteln. Die Eigentümergemeinschaft verklagte ihn erfolgreich auf Entfernen der Ladestation und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Im Rahmen der Vollstreckung wurde die Ladesäule demontiert.
Dann verlangte er bestimmte bauliche Veränderungen
Der Eigentümer verlangte daraufhin „bauliche Veränderungen, die dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen gemäß (von ihm) vorgelegtem Ladeinfrastrukturkonzept“. Dieser Antrag wurde in der Eigentümerversammlung 2020 nicht beraten und zur Abstimmung gestellt, sondern beschlossen, ein Gesamtkonzept zum Betreiben von Ladepunkten für E-Mobilität erstellen zu lassen. Die Eigentümerversammlung 2021 lehnte das inzwischen vorliegende Gesamtkonzept ab und ebenso die von dem Eigentümer erneut beantragte Genehmigung baulicher Veränderungen gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept, das alternativ eine öffentliche oder nichtöffentliche Nutzung vorsah. Zugleich wurde anderen Wohnungseigentümern auf deren Antrag gestattet, eine Wallbox an insgesamt vier Stellplätzen anzubringen.
Darauf erhob der Eigentümer Beschlussersetzungsklage, gerichtet auf die Gestattung, auf dem Gemeinschaftseigentum neben seinem Stellplatz die zuvor entfernte Ladestation gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept errichten zu dürfen, hilfsweise, ihm die Anbringung einer Wallbox zu gestatten. Damit hatte der Eigentümer in beiden Instanzen keinen Erfolg.
Landgericht: kein Anspruch auf bestimmte Ausführung einer Maßnahme
Der Eigentümer könne die Gestattung der Errichtung einer Ladestation nach dem von ihm entwickelten Ladeinfrastrukturkonzept nicht verlangen. Die Beschlussersetzungsklage diene der gerichtlichen Durchsetzung des Anspruchs des Wohnungseigentümers auf ordnungsmäßige Verwaltung. Die Klage sei daher begründet, wenn der klagende Wohnungseigentümer einen Anspruch auf den seinem Rechtsschutzziel entsprechenden Beschluss habe, weil nur eine Beschlussfassung ordnungsmäßiger Verwaltung entspreche.
Zwar könne jeder Wohnungseigentümer einen Beschluss über das „Ob“ solcher baulichen Veränderungen verlangen, so das LG; dies beinhalte aber keinen Anspruch auf eine bestimmte Art und Weise der Durchführung. Darüber entscheiden die Wohnungseigentümer im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung nach eigenem Ermessen. Der einzelne Wohnungseigentümer habe mithin keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung, solange das Ermessen der Gemeinschaft nicht aufgrund der Einzelfallumstände auf null reduziert sei.
Quelle | LG Stuttgart, Urteil vom 5.7.2023, 10 S 39/21
| Das Finanzministerium Baden-Württemberg stellt einen Ratgeber „Steuertipps für Familien“ zur Verfügung. Der 100 Seiten umfassende Ratgeber gibt neben Informationen rund um das Kindergeld u. a. einen Überblick über die Steuervergünstigungen für Familien und Alleinerziehende.
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden, wann ein Widerspruch vorliegt, durch den ein älteres Testament – ganz oder teilweise – aufgehoben wird. |
Vier handschriftliche Testamente
Die Erblasserin verstarb ledig und kinderlos. Sie hatte zwei Geschwister: eine Schwester und einen Bruder, die beide vorverstorben sind. Insgesamt hinterließ die Erblasserin vier handschriftlich verfasste Testamente.
Im ersten Testament vom 3.4.2007 setzte sie ihre Schwester als Alleinerbin und ihren Bruder als Ersatzerben ein. Dieses Testament änderte sie am 26.4.2009 durch Durchstreichen derart, dass die Ersatzerbenstellung des Bruders aufgehoben wurde mit der Bemerkung, dass er gestorben sei. Im Testament vom 26.4.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Später ergänzte sie den Text mit folgendem unvollständigen Wortlaut: „Für den Fall, dass meine Schwester das Erbe nicht antreten kann, setze ich meine Großnichte als“. Im Testament vom 18.10.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Weiter heißt es in dem Testament: „Für den Fall, dass meine Schwester verstorben ist, setze ich zur Nacherbin meine Großnichte ein.“ Schließlich testierte sie am 27.4.2016 erneut und setzte wiederum ihre Schwester als Alleinerbin ein. In diesem Testament wurde weder eine Ersatzerbschaft noch eine Nacherbschaft angeordnet und die Großnichte wurde nicht mehr erwähnt.
Die Großnichte beantragte einen Alleinerbschein. Dem traten die Kinder des vorverstorbenen Bruder entgegen. Das Nachlassgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, die Erblasserin habe mit ihrer letzten Verfügung von Todes wegen die vorangegangenen Testamente aufgehoben. Der gegen diesen Beschluss durch die Großnichte eingelegten Beschwerde hat das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Akten dem OLG Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat die Beschwerde zurückgewiesen.
So sah es das Oberlandesgericht
Die Großnichte könnte ihre Alleinerbenstellung allein aus dem Testament vom 18.10.2009 herleiten. Diese Stellung sei indes von der Erblasserin vollständig aufgehoben worden, als sie am 27.4.2016 ein neues Testament errichtet habe, in dem die Großnichte nicht mehr als Ersatzerbin berufen sei, so das OLG.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 2258 Abs. 1 BGB) werde durch die Errichtung eines Testaments ein früheres Testament insoweit aufgehoben, als dass das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch stehe. Ein derartiger Widerspruch liege zum einen vor, wenn die Testamente sachlich miteinander nicht vereinbar seien, die getroffenen Anordnungen also nicht nebeneinander Geltung erlangen könnten, sondern sich gegenseitig ausschließen. Ein Widerspruch sei zum anderen (auch) gegeben, wenn die einzelnen Anordnungen einander zwar nicht entgegengesetzt seien, aber die kumulative Geltung der mehreren Verfügungen den in einem späteren Testament zum Ausdruck kommenden Absichten des Erblassers zuwiderliefe. Das sei der Fall, wenn der Erblasser mit dem späteren Testament seine Erbfolge insgesamt, nämlich abschließend und umfassend (ausschließlich) habe neu regeln wollen. So liege der Fall hier.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.12.2023, I-3 Wx 189/23
| Zwei Investoren sind zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von insgesamt 300.000 Euro nebst Zinsen an einen Planungsverband verpflichtet worden, weil sie die Erteilung einer Baugenehmigung zur Realisierung eines Hotelbauvorhabens nicht rechtzeitig beantragt haben. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz. |
Frist für Bebauungsplan vereinbart
Im Dezember 2016 schloss der Planungsverband mit den Investoren einen städtebaulichen Vertrag. In diesem verpflichteten sich die Investoren, binnen 36 Monaten ab Inkrafttreten eines vom Planungsverband aufzustellenden Bebauungsplans einen vollständigen Bauantrag zur Errichtung eines Hotelbaus zu stellen. Unterbleibt eine rechtzeitige Bauantragstellung, ist eine Vertragsstrafe in Höhe von 15.000 Euro monatlich, höchstens in Höhe von 300.000 Euro, vorgesehen.
Frist überschritten: Vertragsstrafe
Weil die Investoren ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen waren, verlangte der Planungsverband zunächst außergerichtlich und dann mit seiner Klage, die vereinbarte Vertragsstrafe zu zahlen. Die Investoren beriefen sich dagegen auf Formfehler beim Zustandekommen des Vertrags und machten geltend, die Stellung eines vollständigen Bauantrags sei ihnen unmöglich gewesen, weil der Planungsverband Gestaltungsvorgaben nicht hinreichend konkret vorgegeben habe. Ferner stünde ein Lärmschutzkonflikt mit den Betreibern der auf dem Plateau vorhandenen Freilichtbühne einer Umsetzung des Hotelkonzepts entgegen.
Anforderungen eingehalten
Die Klage hatte Erfolg. Der Verband habe einen Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe, so das VG. Der Vertrag sei frei von Verfahrens- und Formfehlern zustande gekommen und entspreche den an einen städtebaulichen Vertrag zu stellenden gesetzlichen Anforderungen.
Rechtzeitigkeit wäre möglich gewesen
Den Investoren sei es zudem möglich gewesen, rechtzeitig vollständige Bauantragsunterlagen einzureichen. Insbesondere habe der Lärmschutzkonflikt zwischen dem geplanten Hotelvorhaben und der Freilichtbühne die Vorlage vollständiger Bauantragsunterlagen nicht unmöglich gemacht. Eine Lösung des Konflikts wäre vielmehr im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens herbeizuführen gewesen.
Gegen die Entscheidung wurde Rechtsmittel zum Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz erhoben.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 6.12.2023, 4 K 388/23.KO, PM 1/24
| Die Errichtung von Kleinwindenergieanlagen ist ein im Außenbereich baurechtlich privilegiertes Vorhaben der Nutzung der Windenergie, auch wenn es nicht mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms der öffentlichen Energieversorgung, sondern der Deckung des privaten Verbrauchs dient. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |
Landkreis lehnte Erlass eines Bauvorbescheids ab
Die Kläger beantragten, ihnen einen Bauvorbescheid zur Errichtung von vier Kleinwindenergieanlagen (Gesamthöhe 6,5 m) auf ihrem Grundstück im Außenbereich zu erteilen. Der Landkreis lehnte dies mit der Begründung ab, die Anlagen seien nicht als im Außenbereich privilegierte Vorhaben der Nutzung der Windenergie zu behandeln, da die Privilegierung auf solche Windenergieanlagen zu beschränken sei, die der öffentlichen Versorgung dienten. Zudem stünden öffentliche Belange dem Vorhaben entgegen. Hiergegen erhoben die Kläger Klage. Das Verwaltungsgericht (VG) verpflichtete den beklagten Landkreis, den beantragten Bauvorbescheid zu erteilen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Landkreises wies das OVG zurück.
Privilegiertes Bauvorhaben auch bei Privatnutzung der erzeugten Energie
Das VG habe den Beklagten zu Recht zur Erteilung des beantragten Bauvorbescheids verpflichtet. Bei der Errichtung und dem Betrieb der vier Kleinwindenergieanlagen handele es sich um ein der Nutzung der Windenergie dienendes privilegiertes Vorhaben im Sinne des Baugesetzbuchs (hier: § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB), das im Außenbereich zugelassen werden könne.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ließen sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal herleiten, wonach das Vorhaben nicht nur der Nutzung der Windenergie, sondern – mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms – auch der öffentlichen Energieversorgung dienen müsse. Gegen ein solches ungeschriebenes Erfordernis sprächen auch Sinn und Zweck der Norm. Diese diene letztlich einer umwelt- und ressourcenschonenden Energieversorgung mittels einer verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien, wozu Windenergieanlagen auch dann beitrügen, wenn sie allein zur Deckung eines privaten Verbrauchs errichtet würden. Die überragende Bedeutung dieses Ziels habe der Gesetzgeber mehrfach in seiner weiteren Normsetzung herausgestellt.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus einem Urteil des OVG aus dem Jahr 2018, an dem der dort erkennende Senat in Bezug auf den geforderten öffentlichen Versorgungszweck in einer neueren Entscheidung aus dem Jahr 2023 ersichtlich nicht mehr festhalte.
Keine Gefahr von Wildwuchs
Nicht nachvollziehbar sei die vom Beklagten ferner geltend gemachte Befürchtung, dass bei einer Privilegierung von allein der privaten Versorgung dienenden Kleinwindenergieanlagen ein Wildwuchs derartiger Vorhaben zulasten der Landschaft drohe. Denn die Errichtung einer Kleinwindenergieanlage im Außenbereich komme unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nur in Betracht, wenn der erzeugte Strom entweder durch einen dort in der Nähe der Anlage vorhandenen Verbraucher abgenommen oder ins Stromnetz eingespeist werde. Dies sei jedoch regelmäßig nicht der Fall, da ein Endabnehmer vor Ort im Außenbereich nur in Ausnahmefällen vorhanden sei und der Bau einer Leitung allein zum Zweck der Einspeisung des mit der Kleinanlage erzeugten Stroms in ein öffentliches Netz unter Rentabilitätsaspekten ausscheide. Dem privilegierten Vorhaben stünden auch keine öffentlichen Belange entgegen.
Quelle | OVG Koblenz, Urteil vom 4.4.2024, 1 A 10247/23. OVG, PM 6/24
| Das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz hat die Entlassung eines Polizeikommissars aus dem Beamtenverhältnis auf Probe für rechtmäßig erklärt. |
Das war geschehen
Der Kläger war im Jahr 2021 nach bestandener Laufbahnprüfung in das Probebeamtenverhältnis berufen und als Einsatzsachbearbeiter in einer Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei eingesetzt worden. Bereits zuvor, noch während seines Vorbereitungsdienstes, hatte er über mehrere Monate hinweg wiederholt Bilddateien (sog. Sticker) in verschiedene WhatsApp-Chatgruppen mit diskriminierenden, antisemitischen, rassistischen, menschenverachtenden sowie frauen- und behindertenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Inhalten hochgeladen. Als sein Dienstherr, der Beklagte, hiervon erfuhr, leitete er zunächst ein Disziplinarverfahren und dann ein Entlassungsverfahren ein und entließ den Kläger wegen erheblicher Zweifel an dessen charakterlicher Eignung für den Polizeidienst mit Ablauf des Jahres 2022 aus dem Probebeamtenverhältnis.
Hiergegen erhob der Kläger zunächst Widerspruch und in der Folge Klage. Zur Begründung gab er an, aus dem Kontext der Verwendung der Sticker werde hinreichend deutlich, dass es sich nur um „schwarzen Humor“ handele; der Inhalt der Sticker entspreche in keiner Weise seiner inneren Haltung.
Kläger kein „unbescholtenes Blatt“
Die Klage hatte keinen Erfolg. Der Beklagte sei vielmehr beurteilungsfehlerfrei von der charakterlichen Nichteignung des Klägers für den Polizeidienst ausgegangen. Damit knüpfte das VG an seine bereits im November 2023 getroffenen Beschluss an, mit dem er die vom Kläger beantragte Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussichten seiner Klage abgelehnt hatte. In dem Beschluss hatte das Gericht betont, es sei unerheblich, ob die vom Kläger verwandten „Sticker“ tatsächlich Ausdruck seiner Gesinnung seien. Der Kläger müsse diese so gegen sich gelten lassen, wie sie aus Sicht eines objektiven Betrachters zu verstehen seien. Es werde deutlich, dass der Kläger sich seiner beamtenrechtlichen Pflichten nicht einmal ansatzweise bewusst sei und dass ihm erkennbar die erforderliche charakterliche Reife und Stabilität für das Amt eines Polizeivollzugsbeamten fehle. Außerdem berücksichtigten die Richter, dass der Kläger im Februar 2024 strafrechtlich wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in vier Fällen, in drei Fällen hiervon in Tateinheit mit Volksverhetzung, schuldig gesprochen worden war.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 20.2.2024, 5 K 733/23. KO, PM 5/24
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung einer TV-Moderatorin wirksam ist, die trotz Abmahnungen eine Online-Kolumne für eine im Wettbewerb stehende Tageszeitung verfasst. |
Einschränkungen im Arbeitsvertrag
Die Klägerin war langjährig im Bereich Finanz- und Börsenberichterstattung für die Beklagte tätig, die einen Nachrichtensender mit TV- und Onlineberichterstattung betreibt. Der Arbeitsvertrag schränkt die Möglichkeit von Nebentätigkeiten ein und sieht vor, dass zuvor eine Genehmigung erfolgen muss.
Abmahnung wegen Online-Börsenkolumne
Die Klägerin hat unter anderem am 29.9.2022 eine Online-Börsenkolumne für eine Tageszeitung verfasst, wegen der sie am 4.10.2022 abgemahnt wurde. Dennoch veröffentlichte die Klägerin dort am 1.1.2023 eine weitere Kolumne, aufgrund der die Beklagte die streitgegenständliche Kündigung aussprach.
Zuvor war die Klägerin auch vor dem ArbG Köln in einem einstweiligen Verfügungsverfahren unterlegen, in dem sie ihren Arbeitgeber verpflichten wollte, die Nebentätigkeit zum Verfassen einer wöchentlichen Kolumne zu genehmigen. Hier hatte das ArbG geurteilt, dass die begehrte Nebentätigkeit eine nicht genehmigungsfähige Konkurrenztätigkeit darstelle.
Arbeitsgericht bestätigt Kündigung
Das ArG Köln hat die Kündigung bestätigt. Bei der Online-Kolumne handele es sich um eine Wettbewerbstätigkeit, da sowohl der Arbeitgeber als auch der Zeitungsverlag Unternehmen sind, die sowohl im Bereich der TV- wie auch der Onlineberichterstattung aktiv seien.
Zudem betreffe die Börsenkolumne der Klägerin den fachlichen Kernbereich ihrer Tätigkeit für die Beklagte. Gerade in diesen Themen hat die Klägerin sich in der Vergangenheit eine große Reputation aufgebaut, mit der sie bislang für die Beklagte in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten ist. Ein Arbeitnehmer, der während des bestehenden Arbeitsverhältnisses Wettbewerbstätigkeiten entfaltet, verstoße gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers. Dies könne eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar
Hier sei der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar. Das Vertrauen der Beklagten in einen störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses sei nach den bewussten, fortgesetzten und groben Pflichtverletzungen der Klägerin gänzlich aufgebraucht.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 11.10.2023, 9 Ca 5402/22, PM 11/23
| Ein Busunternehmer steht unter Unfallversicherungsschutz, wenn er im Homeoffice beim Hochdrehen der Heizung durch eine Verpuffung im Heizkessel verletzt wird. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Im Homeoffice Heizkessel überprüft und nach Verpuffung schwer verletzt
Der Kläger war als selbstständiger Busunternehmer bei der beklagten Berufsgenossenschaft pflichtversichert. Er bewohnte ein Haus, dessen Wohnzimmer er als häuslichen Arbeitsplatz (Homeoffice) für Büroarbeiten nutzte. Am Unfalltag holte der Kläger seine Kinder von der Schule ab und arbeitete anschließend an seinem Schreibtisch im Wohnzimmer. Nachdem er festgestellt hatte, dass die Heizkörper im ganzen Haus kalt waren, begab er sich zur Überprüfung der Kesselanlage in den Heizungskeller. Beim Hochdrehen des Temperaturschalters kam es aufgrund eines Defekts der Heizungsanlage zu einer Verpuffung im Heizkessel, in deren Folge der Kläger eine schwere Augenverletzung erlitt.
Bundessozialgericht erkennt Arbeitsunfall an
Die beklagte Berufsgenossenschaft, das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) lehnten einen Arbeitsunfall ab. Das BSG hat dagegen einen Arbeitsunfall anerkannt.
Der Kläger wollte nicht nur seine Kinder, sondern auch seinen häuslichen Arbeitsplatz mit höheren Temperaturen versorgen. Die Benutzung des Temperaturreglers war deshalb unternehmensdienlich, der Heizungsdefekt kein unversichertes privates Risiko.
Quelle | BSG, Urteil vom 21.3.2024, B 2 U 14/21 R, PM 11/24
| Die Zweifelsregelung im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 271 Abs. 2 BGB) gestattet es einem Arbeitgeber nicht, eine dem Arbeitnehmer bisher zustehende jährliche Einmalzahlung wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld kraft einseitiger Entscheidung stattdessen in anteilig umgelegten monatlichen Teilbeträgen zu gewähren, um sie „pro rata temporis“ – also zeitanteilig – auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen zu können. Diese Auffassung vertritt das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg im Streit über die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs durch Sonderzahlungen. |
Das LAG hat die Revision zugelassen.
Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.1.2024, 3 Sa 4/23
| Eine durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Vermögensverschiebung von einer Kapitalgesellschaft an einen Gesellschafter setzt einen Zuwendungswillen voraus – und ein solcher kann aufgrund eines Irrtums des Gesellschafter-Geschäftsführers fehlen. Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs (BFH) ist es insoweit maßgebend, ob der konkrete Gesellschafter-Geschäftsführer einem Irrtum unterlegen ist, nicht hingegen, ob einem ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiter der Irrtum gleichfalls unterlaufen wäre. |
Hintergrund: Bei einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) handelt es sich – vereinfacht – um Vermögensvorteile, die dem Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung gewährt werden. Eine vGA darf den Gewinn der Gesellschaft nicht mindern.
Das war geschehen
Geklagt hatte eine GmbH, deren Stammkapital durch die alleinige Gesellschafter-Geschäftsführerin u. a. durch die Einbringung einer Beteiligung von 100 % an einer weiteren GmbH erbracht werden sollte. Bei der einzubringenden GmbH wurde eine Kapitalerhöhung durchgeführt, die die Gesellschafter-Geschäftsführerin begünstigte. Das Finanzamt sah hierin eine vGA der GmbH an ihre Gesellschafter-Geschäftsführerin. Dagegen argumentierte die GmbH, dass die Zuwendung an die Gesellschafter-Geschäftsführerin irrtümlich wegen eines Versehens bei der notariellen Beurkundung der Kapitalerhöhung erfolgt sei.
So entschieden die gerichtlichen Instanzen
Das Finanzgericht (FG) Schleswig-Holstein wies die Klage ab, weil einem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführer der von der GmbH dargelegte Irrtum nicht unterlaufen wäre. Der BFH hat nun aber klargestellt, dass es für die Frage, ob der für die Annahme einer vGA erforderliche Zuwendungswille vorliegt, allein auf die Person der konkreten Gesellschafter-Geschäftsführerin ankommt. Er verwies den Streitfall deshalb zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurück.
Beachten Sie | In seiner Urteilsbegründung zum Vorliegen einer vGA führt der BFH aber auch Folgendes aus: Der handelnde Gesellschafter muss nicht mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis handeln, er muss den Tatbestand der vGA nicht kennen und er muss das Geschehene auch nicht richtig würdigen. Vielmehr genügt in aller Regel ein persönlich zurechenbares Handeln.
Diese Grundsätze gelten aber nicht uneingeschränkt, da es zur Annahme einer vGA – so wie bei einer offenen Gewinnausschüttung – eines Zuwendungswillens bedarf.
Quelle | BFH, Urteil vom 22.11.2023, I R 9/20, PM 20/24 vom 11.4.2024
| Schweizer Banken können Informationen zu Konten und Depots deutscher Staatsangehöriger an die deutsche Finanzverwaltung übermitteln. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. Er sieht in der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden keine Verletzung der Grundrechte der inländischen Steuerpflichtigen. |
Geklagt hatten Steuerpflichtige, die sich durch Übermittlung der Kontostände ihrer Schweizer Bankkonten in ihren Grundrechten verletzt sahen, vor allem in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Nachdem bereits das Finanzgericht (FG) Köln diese Ansicht nicht teilte, bestätigte nun auch der BFH die Verfassungsmäßigkeit der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden. Jedenfalls ist die Übermittlung der Informationen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung gerechtfertigt.
Beachten Sie | Deutschland sowie mehrere andere Staaten haben sich zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung dazu verpflichtet, Informationen zu Bankkonten auszutauschen, u. a. werden hierfür die Kontostände ausländischer Bankkonten an die deutsche Steuerverwaltung übermittelt. Der automatische Informationsaustausch über Finanzkonten dient der Sicherung der Steuerehrlichkeit und der Verhinderung von Steuerflucht.
Quelle | BFH, Urteil vom 23.1.2024, IX R 36/21, PM 17/24 vom 28.3.2024
| Ohne Betriebssitz kann kein Gelegenheitsverkehr mit Mietwagen betrieben werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin in einem Eilverfahren entschieden. |
Behörde widerrief Erlaubnis
Der Antragsteller ist Inhaber einer vom Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) erteilten Genehmigung für den Gelegenheitsverkehr mit insgesamt zehn Mietwagen nach dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG). Nach den Feststellungen der Behörde fanden sich an der vom Antragsteller angegeben Adresse – anders als von ihm ursprünglich behauptet – weder Büroräume noch reservierte Stellplätze für die Fahrzeuge. Daraufhin widerrief die Behörde die Erlaubnis unter Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Verwaltungsgericht bestätigt Behörde
Das VG hat den hiergegen gerichteten Eilantrag zurückgewiesen. Zu Recht sei die Behörde von einer fehlenden Zuverlässigkeit des Antragstellers ausgegangen. Denn dieser habe gegen eine Kernpflicht des Mietwagenverkehrs verstoßen.
Das wesentliche Merkmal des Mietwagenverkehrs bestehe darin, dass Aufträge nicht an beliebigen Orten, sondern grundsätzlich nur am Betriebssitz entgegengenommen werden dürften; dorthin müssten die Fahrzeuge daher regelmäßig nach Beendigung eines jeden Auftrags zurückkehren. Die Begründung und Unterhaltung eines in der Genehmigung festgeschriebenen Betriebssitzes sei daher Voraussetzung für die Erfüllung der Rückkehrpflicht. Das Rückkehrgebot sei nicht Selbstzweck, sondern solle auf wirksame Weise unterbinden, dass Mietwagen nach Beendigung eines Beförderungsauftrags taxiähnlich auf öffentlichen Straßen und Plätzen bereitgestellt würden und dort Beförderungsaufträge annähmen.
Das VG ließ offen, ob ungeachtet dessen der Widerruf auch auf die fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit des Antragstellers hätte gestützt werden können. Es spreche allerdings einiges dafür, dass dies schon bei der Genehmigungserteilung der Fall gewesen sei. Ein Mietwagenunternehmer müsse über ein angemessenes Eigenkapital verfügen, was hier nicht ersichtlich sei. Der Zeitwert der Fahrzeuge selbst dürfe – anders als von der Behörde bei Genehmigungserteilung fälschlich angenommen – gerade nicht berücksichtigt werden.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 25.3.2024, VG 11 L 53/24, PM vom 2.4.2024
| Die Klausel „Die Mobile Briefmarke ist lediglich als ad-hoc-Frankierung zum sofortigen Gebrauch gedacht. Erworbene Mobile Briefmarken verlieren daher mit Ablauf einer 14-tägigen Frist nach Kaufdatum ihre Gültigkeit. Das maßgebliche Kaufdatum ist in der Auftragsbestätigung genannt. Eine Erstattung des Portos nach Ablauf der Gültigkeit ist ausgeschlossen.“ ist nach § 307 BGB unwirksam. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Köln entschieden. |
Es gab damit der Unterlassungsklage der Verbraucherzentrale statt. Es handele sich bei dem Erwerb einer Briefmarke um einen Kaufvertrag und nicht um einen Frachtvertrag.
Das bürgerliche Recht kenne für Verpflichtungen aus schuldrechtlichen Verträgen im Allgemeinen nur die im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: §§ 194 ff. BGB) geregelten Verjährungsvorschriften, nicht dagegen besondere, von der Frage der Verjährung unabhängige Ausschlussfristen. Es handele sich um eine unangemessene und erhebliche zeitliche Beschränkung des Erfüllungsanspruchs.
Das OLG hob hervor: Durch die Beschränkung der Gültigkeitauf 14 Tage wird der Erfüllungsanspruch auf etwa ein Prozent der gesetzlich vorgesehenen Verjährungsfrist verkürzt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 13.6.2023, I-3 U 148/22
| Im Rahmen einer inländischen doppelten Haushaltsführung ist der Werbungskostenabzug von Unterkunftskosten auf 1.000 Euro monatlich beschränkt. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat nun entschieden, dass unter diesen Höchstbetrag auch eine für die Wohnung am Beschäftigungsort zu entrichtende Zweitwohnungssteuer fällt. |
Hintergrund: Eine beruflich veranlasste doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer außerhalb des Ortes seiner ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Haushalt unterhält (Hauptwohnung) und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnt (Zweitwohnung). In diesen Fällen können Arbeitnehmer Unterkunftskosten bis maximal 1.000 Euro im Monat als Werbungskosten abziehen.
Das war geschehen
Eine Arbeitnehmerin hatte an ihrem Tätigkeitsort in München eine Zweitwohnung gemietet. Die hierfür in den Streitjahren entrichtete Zweitwohnungssteuer i. H. von 896 Euro bzw. 1.157 Euro machte sie neben weiteren Kosten für die Wohnung i. H. von jeweils mehr als 12.000 Euro als Aufwendungen für ihre doppelte Haushaltsführung geltend. Das Finanzamt erkannte die Kosten der Unterkunft am Ort der ersten Tätigkeitsstätte in München jeweils mit dem Höchstbetrag von 12.000 Euro an. Die Zweitwohnungssteuer bei den sonstigen Aufwendungen im Rahmen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigte es nicht.
Die hiergegen gerichtete Klage war erfolgreich. Der BFH hat die Vorentscheidung nun aber aufgehoben.
Was der Höchstbetrag umfasst – und was nicht
Der Höchstbetrag umfasst sämtliche entstehenden Aufwendungen, wie beispielsweise Miete, Betriebskosten sowie Kosten der laufenden Reinigung und Pflege der Zweitwohnung oder -unterkunft; nicht jedoch Aufwendungen für Hausrat, Einrichtungsgegenstände oder Arbeitsmittel, mit denen die Zweitwohnung ausgestattet ist. Aufwendungen für die erforderliche Einrichtung und Ausstattung der Zweitwohnung, soweit sie nicht überhöht sind, können als sonstige notwendige Mehraufwendungen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigt werden.
Die Zweitwohnungssteuer ist Aufwand für die Nutzung der Unterkunft und unterfällt daher bei den Mehraufwendungen für die doppelte Haushaltsführung der Abzugsbeschränkung.
Das Entstehen der Zweitwohnungssteuer knüpft maßgeblich an das Innehaben einer weiteren Wohnung in München neben der Hauptwohnung und so an die damit regelmäßig einhergehende Nutzung dieser Wohnung an. Die Steuer findet als örtliche Aufwandsteuer i. S. von Art. 105 Abs. 2 a des Grundgesetzes (GG) ihre Rechtfertigung darin, dass das Innehaben einer weiteren Wohnung für den persönlichen Lebensbedarf (Zweitwohnung) neben der Hauptwohnung ein Zustand ist, der gewöhnlich die Verwendung von finanziellen Mitteln (Einkommen) erfordert und damit regelmäßig die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Wohnungsinhabers zum Ausdruck bringt.
Beachten Sie | Der BFH hat damit die von der Finanzverwaltung vertretene Rechtsauffassung bestätigt. Noch nicht höchstrichterlich entschieden und derzeit beim BFH anhängig ist die Frage, wie Kosten für einen separat angemieteten Stellplatz zu behandeln sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 13.12.2023, VI R 30/21, PM 18/24 vom 4.4.2024; Stellplatz: Rev. BFH, VI R 4/23
| Zum 1.1.2020 wurde mit § 35 c Einkommensteuergesetz (EStG) eine Steuerermäßigung für energetische Maßnahmen bei zu eigenen Wohnzwecken genutzten Gebäuden eingeführt. Diese komplexe Regelung weist jedoch einige Fragen auf, die das Bundesfinanzministerium (BMF) in einem Schreiben teilweise beantwortet hat. Nun ist nach einem vorinstanzlichen Urteil des Finanzgerichts (FG) München ein Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) zum Heizungstausch anhängig, in dem es darum geht, ob die Steuerermäßigung erst ab der vollständigen Begleichung der Rechnung in Betracht kommt. |
Hintergrund: Begünstigte Aufwendungen/Maßnahmen sind u. a. die Wärmedämmung von Wänden, Dachflächen und Geschossdecken sowie die Erneuerung der Fenster, Außentüren oder der Heizungsanlage.
Je begünstigtem Objekt beträgt der Höchstbetrag der Steuerermäßigung 40.000 Euro, wobei die Ermäßigung nach der Maßgabe des § 35 c Abs. 1 EStG über drei Jahre verteilt wird.
Das war geschehen
Die Steuerpflichtigen ließen 2021 eine neue Heizungsanlage in ihrem selbstgenutzten Gebäude einbauen. Zur Begleichung der Rechnung wurde eine monatliche Ratenzahlung für die Jahre 2021 bis 2024 vereinbart. Fraglich ist nun, ob ein Abschluss der energetischen Maßnahmen bereits mit der ausgeführten Erneuerung der Heizungsanlage (hier im Jahr 2021) oder erst mit der vollständigen Begleichung des Rechnungsbetrags (voraussichtlich im Jahr 2024) vorliegt.
Voraussetzungen für die Steuerermäßigung
Das BMF hat in seinem Schreiben vom 14.1.2021 in der Rn. 43 ausgeführt, dass die Steuerermäßigung erstmalig in dem Veranlagungszeitraum zu gewähren ist, in dem die energetische Maßnahme abgeschlossen wurde. Voraussetzung ist, dass mit der Durchführung der energetischen Maßnahme nach dem 31.12.2019 begonnen wurde und diese vor dem 1.1.2030 abgeschlossen ist.
Die energetische (Einzel-)Maßnahme ist dann abgeschlossen, wenn
- die Leistung tatsächlich erbracht (vollständig durchgeführt) ist,
- der Steuerpflichtige eine Rechnung (Schlussrechnung) erhalten und
- den Rechnungsbetrag auf das Konto des Leistungserbringers eingezahlt hat.
Die Erledigung unwesentlicher Restarbeiten, die für die tatsächliche Reduzierung von Emissionen nicht hinderlich sind, ist unschädlich. Auch, soweit bei einer mehrteiligen Maßnahme für einzelne Teilleistungen Teilrechnungen erstellt und diese beglichen wurden, wird die Steuerermäßigung abweichend vom Abflussprinzip erst ab dem Veranlagungszeitraum des Abschlusses der energetischen Maßnahme gewährt, so das BMF.
Beachten Sie | Da die Revision gegen die Entscheidung anhängig ist, wird nun der BFH entscheiden. Bis dahin können geeignete Fälle mit einem Einspruch offengehalten werden.
Quelle | FG München, Urteil vom 8.12.2023, 8 K 1534/23, Rev. BFH: IX R 31/23; BMF, Schreiben vom 14.1.2021, IV C 1 - S 2296-c/20/10004 :006
| Für Geburten ab dem 1.4.2024 gilt eine neue Einkommensgrenze, ab der der Anspruch auf Elterngeld entfällt. Zudem werden die Möglichkeiten für einen parallelen Bezug von Elterngeld neu gestaltet. Antworten auf wichtige Fragen gibt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). |
Quelle | BMFSFJ, „Neuregelungen beim Elterngeld für Geburten ab 1. April 2024“ vom 28.3.2024
| Der Bezug eines Nutzungsersatzes im Rahmen der reinen Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags nach Widerruf löst keine Einkommensteuer aus. Diese für Verbraucher frohe Kunde kommt vom Bundesfinanzhof (BFH). |
Das war geschehen
Ehegatten schlossen 2008 einen Darlehensvertrag zur Finanzierung einer selbstgenutzten Wohnimmobilie ab. 2016 widerriefen sie den Darlehensvertrag unter Berufung auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung. Auf der Grundlage eines zivilgerichtlichen Vergleichs zahlte die Bank an die Eheleute Nutzungsersatz für bis zum Widerruf erbrachte Zins- undTilgungsleistungen i. H. von 14.500 Euro. Das Finanzamt erfasste den Nutzungsersatz als Einkünfte aus Kapitalvermögen – allerdings zu Unrecht, wie nun der BFH entschieden hat.
Nutzungsersatz: weder Kapitalertrag noch sonstige Einkünfte
Der Nutzungsersatz ist kein Kapitalertrag i. S. des Einkommensteuergesetzes (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG). Die Rückabwicklung eines vom Darlehensnehmer widerrufenen Vertrags vollzieht sich außerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre. Das Rückgewährschuldverhältnis ist ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln. Daher können die einzelnen Ansprüche aus dem Rückgewährschuldverhältnis auch nicht für sich betrachtet – i. S. einer unfreiwilligen Kapitalüberlassung – Teil einer steuerbaren erwerbsgerichteten Tätigkeit sein.
Beachten Sie | Es liegen auch keine sonstigen Einkünfte (§ 22 Nr. 3 EStG) vor.
Verbraucherschutzrecht inzwischen reformiert
Die Entscheidung betrifft „alte“ Verbraucherdarlehensverträge. Der mit der Reform des Verbraucherschutzrechts in das BGB eingefügte § 357 a Abs. 3 S. 1 BGB a. F. (jetzt § 357 b BGB) hat u. a. den Anspruch des Darlehensnehmers auf Nutzungsersatz für die Zukunft beseitigt. Die neue Rechtslage ist auf nach dem 12.6.2014 abgeschlossene Verbraucherdarlehensverträge anwendbar.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.11.2023, VIII R 7/21, PM 16/24 vom 21.3.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über einen Fall entschieden, in dem eine Pkw-Fahrerin an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifuhr und mit einem gerade entleerten Müllcontainer kollidierte. Der BGH hat in diesem Fall einen Verstoß der Fahrerin gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO) bejaht. |
Das war geschehen
Die Klägerin, ein Pflegedienst, macht gegen einen für die Abfallwirtschaft zuständigen kommunalen Zweckverband Schadenersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, bei dem eines ihrer Pflegedienstfahrzeuge beschädigt wurde. Eine Mitarbeiterin der Klägerin fuhr mit diesem Fahrzeug aus der Gegenrichtung kommend an einem Müllabfuhrfahrzeug des beklagtenZweckverbands vorbei, das mit laufendem Motor, laufender Schüttung und eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie Warnblinkanlage in der Straße stand. Dabei kam es zu einer Kollision des klägerischen Fahrzeugs mit einem Müllcontainer, den ein bei dem Beklagten angestellter Müllwerker hinter dem Müllabfuhrfahrzeug quer über die Straße schob.
Mit der Klage hat die Klägerin Erstattung der Fahrzeugreparaturkosten verlangt.
So sahen es die Vorinstanzen
Das Landgericht (LG) hat der Klage gegen den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 zu 50 teilweise stattgegeben.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht (OLG) das Urteil des LG teilweise geändert und den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 75 (Beklagter) zu 25 (Klägerin) zu weiterem Schadenersatz verurteilt. Es ist dabei davon ausgegangen, dass der Fahrerin des Pkw kein Verstoß gegen die StVO anzulasten sei.
So sieht es der Bundesgerichtshof
Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Das Urteil des OLG wurde aufgehoben und die Sache an das OLG zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Der Klägerin steht gegen den Beklagten als Halter des Müllabfuhrfahrzeugs ein Schadenersatzanspruch gemäß StVO (hier: § 7) zu, da das Fahrzeug der Klägerin „bei dem Betrieb“ des Müllabfuhrfahrzeugs beschädigt worden ist. Die Gefahr, die von einer gerade entleerten Mülltonne auf der Straße für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, ist dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs zuzurechnen.
Bei der Entscheidung über die Haftungsverteilung hat das OLG zu Recht dem Müllwerker einen schuldhaften Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorgeworfen, weil er hinter dem Müllabfuhrfahrzeug einen Müllcontainer quer über die Straße schob, ohne auf den Verkehr und das Fahrzeug der Klägerin zu achten, welches für ihn – hätte er den Müllcontainer nicht vor sich hergeschoben – erkennbar gewesen wäre.
Allerdings ist entgegen der Ansicht des OLG auch der Mitarbeiterin der Klägerin als Fahrerin des Pkw ein Verstoß gegen die StVO vorzuwerfen.
Mit dem Verhalten des Müllwerkers konnte gerechnet werden
Das Hauptaugenmerk der mit dem Holen, Entleeren und Zurückbringen von Müllcontainern befassten Müllwerker ist auf ihre Arbeit gerichtet, die sie überwiegend auf der Straße und effizient, also in möglichst kurzer Zeit und auf möglichst kurzen Wegen, zu erledigen haben. Wer an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifährt, das erkennbar im Einsatz ist, darf daher nicht uneingeschränkt auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Müllwerker vertrauen. Er muss damit rechnen, dass Müllwerker plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortreten und unachtsam einige Schritte weiter in den Verkehrsraum tun, bevor sie sich über den Verkehr vergewissern. Auf diese mit dem Einsatz von Müllabfuhrfahrzeugen verbundenen Gefahren hat der vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer sein Fahrverhalten einzurichten. Wenn es nicht möglich ist, einen ausreichenden Seitenabstand zu einem Müllabfuhrfahrzeug einzuhalten, um die Gefahr eines plötzlich auftauchenden Müllwerkers vor oder hinter dem Fahrzeugzu vermeiden, muss die Geschwindigkeit gemäß der Straßenverkehrsordnung (StVO) reduziert werden, sodass der Fahrer sein Fahrzeug bei Bedarf sofort zum Stillstand bringen kann.
Den dargelegten Anforderungen genügte die vom Berufungsgericht festgestellte Fahrweise der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nicht. Bei einem Seitenabstand von maximal 50 cm zum Müllabfuhrfahrzeug war die Ausgangsgeschwindigkeit von 13 km/h zu hoch, als dass die Fahrerin das Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen hätte bringen können.
Quelle | BGH, Urteil vom 12.12.2023, VI ZR 77/23, PM 12/24
| Gibt ein Kunde mittels PushTAN und Verifizierung über eine Gesichtserkennung nach einer Phishing-Nachricht die temporäre Erhöhung seines Überweisungslimits und eine anschließende Überweisung telefonisch frei, handelt er grob fahrlässig. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt. |
Der Bankkunde – ein Rechtsanwalt und Steuerberater in einer internationalen Sozietät – führt bei der beklagten Bank ein Girokonto und forderte erfolglos, eine Überweisung von knapp 50.000 Euro zurückzuerstatten. Das OLG: Die Bank schuldet in einem solchen Fall nicht die Rückerstattung des überwiesenen Betrags. Denn angesichts der fortlaufenden Warnungen der Banken vor Phishing-Mails und der öffentlichen Diskussion hierüber müssten Kunden spätestens bei der telefonischen Aufforderung, Sicherheitsmerkmale preiszugeben, misstrauisch werden. Dies gelte auch, wenn der äußere Rahmen der besuchten Website vertraut erscheint.
Quelle | OLG Frankfurt, Urteil vom 6.12.2023, 3 U 3/23
| Wer an der Grenze zu seinem Nachbargrundstück eine Hecke anlegt, muss nach dem geltenden Nachbarrecht dafür sorgen, dass die Pflanzen je nach Grenzabstand eine bestimmte Höhe nicht überschreiten. Tut er das nicht, kann der Nachbar den Rückschnitt der Hecke verlangen und im Notfall auch gerichtlich durchsetzen. Der Anspruch auf den Rückschnitt kann jedoch nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein, wenn sich der Nachbar selbst regel- und damit treuwidrig verhält. Das hat das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Das war geschehen
Das LG hat mit dieser Begründung die Klage eines Nachbarn auf Rückschnitt einer Hecke an der Grundstücksgrenze abgewiesen. Denn auch einzelne Pflanzen auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn verstießen nach den Feststellungen der Kammer gegen die Regelungen des Nachbarrechts.
Im konkreten Fall hatten zwei Grundbesitzer Streit über die zulässige Höhe einer direkt an der Grundstücksgrenze gepflanzten Hecke, die durchgehend eine Höhe von 2,20 Metern aufweist. Unter Berufung auf das geltende Landesrecht verlangte der Nachbar, dass die Hecke auf einer Höhe von maximal eineinhalb Metern gehalten werde. Dem gab das AG statt und verurteilte den Eigentümer zum entsprechenden Rückschnitt in der Zeit von 1.10. und 15.3. eines jeweiligen Jahres.
Höhe der Hecke zwar einzuhalten, aber …
Die dagegen gerichtete Berufung zum LG hatte jedoch Erfolg. Die Berufungskammer hat dem Nachbarn zwar grundsätzlich zugebilligt, dass die nach dem Nachbarrecht zulässige Höhe der Hecke einzuhalten ist.
… Grundsätze von Treu und Glauben zu beachten
Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis sei aber stark von den sog. Grundsätzen von Treu und Glauben geprägt. Hieraus entspringen Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme, die zu einer Beschränkung bis hin zum Ausschluss nachbarrechtlicher Rechte führen könnten, so das LG. Deshalb müsse berücksichtigt werden, dass auch auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn direkt hinter dem Zaun eine drei bis vier Meter hohe Kugelhecke und eine etwa zweieinhalb Meter hohe Zypresse gepflanzt sei. Dadurch werde ebenfalls gegen das Nachbarrecht verstoßen. Wer sich aber selbst nicht regelgerecht verhalte, sei nach Treu und Glauben von Ansprüchen gegen seinen Nachbarn ausgeschlossen.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 24.1.2024, 2 S 85/23, PM vom 31.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Karlsruhe hat die Klage eines E-Autofahrers gegen die EnBW auf Rückzahlung von Blockiergebühren abgewiesen. |
Überschreiten der zulässigen Standzeit
Die Blockiergebühren in Höhe von insgesamt 19,80 Euro waren wegen Überschreitung der zulässigen Höchststandzeit an Ladesäulen der EnBW an drei verschiedenen Terminen im März 2022 angefallen. Die Blockiergebühr ist nach den Bedingungen des ADAC e-Charge Tarifs, der von der EnBW angeboten wird, ab einer Standzeit von mehr als 240 Minuten fällig. Ab diesem Zeitpunkt sind 12 Cent pro Minute zu zahlen, maximal jedoch 12 Euro. Auf die Blockiergebühr wird sowohl beim Abschluss des Tarifs als auch beim Start des Ladevorgangs hingewiesen. Der Kläger hatte diesen Bedingungen bei Nutzung der App zugestimmt.
Klausel wirksam
Der Kläger hatte argumentiert, die Klausel sei unwirksam. Im Übrigen verlangten andere Anbieter keine Blockiergebühr. Nach Auffassung des AG ist die Klausel jedoch wirksam, da das Interesse der EnBW berechtigt ist, die Ladesäule zeitnah weiteren Kunden zur Verfügung stellen zu können.
Die Entscheidung erging ohne mündliche Verhandlung. Sie ist rechtskräftig.
Quelle | AG Karlsruhe, Urteil vom 4.1.2024, 6 C 184/23, PM vom 24.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Hannover hält ein „französisches Bett“ nicht für ein Doppelbett. Das war in einem Reiserechtsfall entscheidend. |
Ist ein Bett mit einer Breite von 1,40 m ein Doppelbett? Ist es breit genug, um zwei erwachsenen Menschen einen erholsamen Urlaub zu ermöglichen? Das AG hat diese Fragen verneint. Es hat entschieden, dass Reisende jedenfalls in einem Hotel, das der Reiseveranstalter selbst mit fünf „Sonnen“ bewertet, für jeden Reisenden mit einem Schlafplatz von mehr als 70 cm Breite rechnen dürfen.
Im Fall des AG hatten drei erwachsene Personen gemeinsam ein Dreibettzimmer gebucht. Zur Verfügung gestellt wurde ihnen ein Zimmer, das über zwei Betten mit einer Breite von jeweils 1,40 m verfügte. Weil diese Ausstattung nicht der vertraglichen Vereinbarung entsprach, erhalten die beiden Reisenden, die sich ein Bett teilen mussten, nun 15 Prozent des auf sie entfallenden Reisepreises zurück.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 22.2.2024, 471 C 6110/23, PM vom 26.2.2024
| Ein gesetzlich versicherter Patient verlangte von seiner Krankenversicherung, ihm die Kosten für ein Einzelzimmer während eines stationären Krankenhausaufenthalts zu erstatten. Einen solchen Anspruch lehnte das Sozialgericht (SG) Mainz aber ab. |
Patient lag im Einzelzimmer
Ein Patient ließ sich längere Zeit stationär in einem Krankenhaus behandeln. Mit dem Krankenhaus hatte er einen Vertrag über das Unterbringen in einem Einzelzimmer geschlossen.
Krankenkasse wollte Kosten nicht übernehmen
Die dabei entstandenen Kosten wollte die Krankenkasse nicht übernehmen. Der Patient klagte. Seine Argumentation: Aus medizinischen Gründen sei ein Einzelzimmer erforderlich gewesen.
Sozialgericht wies Klage ab
Vor dem SG hatte er jedoch keinen Erfolg. Selbst wenn ein Einzelzimmer erforderlich gewesen sei, hätte das Krankenhaus dafür sorgen müssen, dass der Patient entsprechend untergebracht sei. Die Kosten einer erforderlichen Einzelzimmerbelegung seien dann in den pauschal von der Krankenkasse an das Krankenhaus zu zahlenden Entgelten enthalten. Die Kosten hierfür habe die Krankenkasse bereits gezahlt. Zusätzliche Kosten für ein Einzelzimmer könne der Patient folgerichtig nicht bei seiner Krankenkasse einfordern.
Quelle | SG Mainz, Urteil vom 23.2.2024, S 7 526/20
| Das Mietrecht (hier: § 556 Abs. 3 S. 3 BGB) schließt eine nachträgliche Abrechnung zulasten des Mieters nicht aus, durch die ein Guthaben verringert wird. Das entschied das Landgericht (LG) München. |
Grundsteuer in der Abrechnung vergessen
Der Vermieter hatte über die Betriebskosten abgerechnet und dabei die Grundsteuer vergessen. Bevor er das ursprünglich berechnete Guthaben an den Mieter auszahlte, verstrich die Abrechnungsfrist. Nun korrigierte der Vermieter die Betriebskostenabrechnung und berücksichtigte die Grundsteuer. Dabei ergab sich ein geringeres Guthaben, das er an den Mieter zahlte. Der Mieter klagte auf Rückzahlung des ursprünglich berechneten höheren Guthabens.
Amtsgericht und Landgericht vermieterfreundlich
Das Amtsgericht (AG) sprach jedoch nur das korrigierte geringere Guthaben zu. Es bestünde kein Anspruch des Mieters, weil eine nachträgliche Verringerung des Guthabens vom Gesetz nicht ausgeschlossen sei.
Die Berufung des Mieters blieb erfolglos. Das LG teilte die Rechtsauffassung des AG. § 556 Abs. 3 S. 3 BGB solle den Mieter nur davor schützen, nach Ablauf der Abrechnungsfrist Zahlungen leisten zu müssen, die die Vorauszahlungen übersteigen. Darüber hinaus gewähre das Gesetz keinen Vertrauensschutz für eine zugunsten des Mieters unrichtige Abrechnung.
Der Mieter darf also nicht darauf vertrauen, dass ein Guthaben unveränderlich bleibt. Dies gilt auch, wenn die Korrektur erst nach Ablauf der Abrechnungsfrist erfolgt. Eine weitergehende Schutzwirkung zugunsten des Mieters sieht das Gesetz schon nach dem Wortlaut der Vorschrift („Geltendmachung einer Nachzahlung“) nicht vor.
Die Entscheidung entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 31.10.07, VIII ZR 261/06).
Quelle | LG München I, Beschluss vom 30.11.2023, 31 S 10140/23
| Eine fristlose Kündigung ist auch gegenüber einem psychisch kranken oder schuldunfähigen Mieter möglich, wenn trotz Abmahnung der Hausfrieden systematisch, wiederholt und nachhaltig gestört wird mit der Folge der vorzeitigen Kündigung von anderen Mietern und der Nichtvermietbarkeit angrenzender Wohnungen. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Gesundheitszustand bedarf es dann nicht. So entschied es der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) Sachsen. |
Wiederholte Lärmstörungen
Der Vermieter kündigte nach Abmahnung das Mietverhältnis mit einem psychisch kranken Mieter wegen wiederholten Lärmstörungen fristlos, hilfsweise ordentlich. Andere Mieter hatten wegen des Lärms ihr Mietverhältnis gekündigt und eine Neuvermietung der angrenzenden Wohnung war nicht möglich.
Gegen die erfolgreiche Räumungsklage legte der Mieter Berufung ein, die er nach Hinweisbeschluss des Landgerichts (LG) Dresden zurücknahm. Das LG hatte ausgeführt, dass zwar in der Regel ein schuldhaftes Verhalten des Mieters für die Begründung des Kündigungsgrundes erforderlich sei. Dies gelte aber nicht absolut, da auch bei Schuldlosigkeit das zumutbare Maß und damit die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter überschritten sei und in der Abwägung überwiegen kann. Zwar ergebe sich aus den Wertentscheidungen des Grundgesetzes (hier: Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG) eine erhöhte Toleranzbereitschaft gegenüber nicht oder nur eingeschränkt verantwortlichen Mietern, z. B. Verschlechterung des Gesundheitszustands, Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche oder Suizidgefährdung. Aber auch wenn der Mieter aufgrund der psychischen Erkrankung nicht in der Lage sei, das Unrecht seines Handelns zu erkennen, sei hier die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter deutlich überschritten.
Mieter legte Verfassungsbeschwerde ein
Gegen das Urteil und den Beschluss legte der Mieter Verfassungsbeschwerde ein – doch ohne Erfolg. Die Beschwerde sei unzulässig, sie genüge nicht den Begründungsanforderungen, so der VerfGH. Das LG habe sich umfassend – auch – mit Grundrechten auseinandergesetzt. Eine konkrete Grundrechtsverletzung rüge der Beschwerdeführer nicht.
Quelle | VerfGH Sachsen, Urteil vom 30.8.2023, Vf. 40-IV-23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg ist der Frage nachgegangen, was der mehrdeutige Begriff „vorhandenes Barvermögen“ in einem Vermächtnis bedeutet. |
Die Parteien stritten um die Erfüllung eines Vermächtnisses und hierbei um den Begriff „Barvermögen“. In einem notariellen Testament beschwerte der Erblasser die eingesetzten Erben mit einem Vermächtnis zugunsten einer weiteren Person wie folgt: „Das bei Eintritt des Erbfalls vorhandene Barvermögen soll zu einem 1/3 Anteil an meine Tochter …, geb. am …, ausgezahlt werden“. Die Bedachte hat die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ seine gesamten liquiden Mittel, insbesondere sämtliche Guthaben bei Kreditinstituten, Wertpapiere und Bargeld im engeren Sinne verstanden. Demgegenüber haben die beschwerten Erben die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ lediglich das vorhandene Bargeld verstanden.
Barvermögen = auch unbares Geld, das sofort verfügbar ist
Das Landgericht (LG) hat sich in erster Instanz der Auffassung der Bedachten angeschlossen und die Erben verurteilt, zu zahlen. Aufgrund der gegen dieses Urteil durch die Erben eingelegten Berufung hat das OLG Oldenburg den Begriff wie folgt verstanden: Danach umfasst der Begriff des Barvermögens heutzutage das gesamte Geld, das sofort verfügbar ist, also auch über eine Kartenzahlung. Wertpapiere fallen nicht unter den Begriff des Barvermögens. Vielmehr werden Wertpapiere durch den erweiterten Begriff des Kapitalvermögens mit abgedeckt, der das Barvermögen einschließlich weiterer Kapitalwerte in Geld beschreibt.
Wertpapiere gehörten hier nicht zum Barvermögen
Nach Beweisaufnahme hat das OLG festgestellt, dass die Bedachte nicht habe nachweisen können, dass der Erblasser mit dem Begriff „Barvermögen“ das gesamte Kapitalvermögen, also auch das nicht sofort verfügbare Kapital in der Form von Genossenschaftsanteilen und Wertpapieren gemeint habe. Im Ergebnis habe der vernommene Zeuge – der beurkundende Notar – keine konkreten Aussagen zum Willen des Erblassers in Bezug auf Wertpapiere und dessen Begriffsverständnis vom Begriff „Barvermögen“ machen können.
Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 20.12.2023, 3 U 8/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) München hat entschieden: Ein Tragwerksplaner ist nur verpflichtet, den Prüfbericht des Prüfingenieurs und die diesem beigefügten Bewehrungspläne zu prüfen, wenn eine entsprechende vertragliche Vereinbarung getroffen wurde. |
Wichtige Entscheidung
Diese Aussage ist für das Tagesgeschäft der Tragwerksplanung wichtig, da es in den meisten Fällen für den Tragwerksplaner von Eigeninteresse sein dürfte, Prüfbericht und Prüfeintragungen durchzusehen. Denn der Prüfingenieur könnte ja auch eigene Mängel verhindern helfen. Schwierig wird es, wenn der Prüfingenieur eine andere Auffassung vertritt, aber dennoch kein Planungsfehler vorliegt. Dann muss man abwägen.
Das gehört nicht zuden Aufgaben eines Tragwerksplaners
Das OLG hat auch noch weitere Feststellungen getroffen: Es gehört danach nicht zu den Aufgaben eines Tragwerksplaners, geänderte Ausführungspläne des Architekten an das bauausführende Unternehmen weiterzuleiten. Dies ist ein ständiges Streitthema. Um hier Auseinandersetzungen zu vermeiden, ist es wichtig, zu Planungsbeginn eine Regelung zu treffen, wer welche Pläne an wen weiterleitet. In den meisten Fällen macht es Sinn, dass der Objektplaner hier koordinierend Regelungsvorschläge macht und dafür Sorge trägt, dass seine Pläne an die ausführenden Unternehmen weitergeleitet werden.
Schutzwürdiges Eigeninteresse erforderlich
Außerdem, so das OLG, setze ein Anspruch des Auftraggebers auf Lieferung von Plänen nach Abschluss der Bauarbeiten ein schutzwürdiges Eigeninteresse voraus. Daran fehle es, wenn der Auftraggeber das Bauwerk jahrelang ohne die verlangten Pläne nutzen und verwalten konnte. Hierdurch wird klargestellt, dass Planungsbüros im Regelfall nicht jahrelang als Planarchiv für ehemalige Auftraggeber fungieren müssen.
Quelle | OLG München, Urteil vom 16.5.2023, 9 U 1801/21 Bau
| Die ungenehmigte Nutzung eines Einfamilienwohnhauses als Monteursunterkunft darf nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Neustadt an der Weinstraße untersagt werden. |
Das war geschehen
Die Stadt Ludwigshafen hatte durch ihre Bauaufsichtsbehörde eine Ortsbesichtigung durchgeführt, die ein zur Wohnnutzung genehmigtes Einfamilienhaus betraf. Hierbei stellte sie fest, dass sich in dem Wohnraum im Erdgeschoss zwei Einzelbetten und in einem Wohnraum im Dachgeschoss vier weitere Betten befanden. Insgesamt wohnten dort sechs männliche Personen. Die Stadt untersagte daraufhin gegenüber dem Eigentümer die Nutzung des Hauses für die Zwecke einer „Monteursunterkunft“ bzw. für eine „Beherbergung“ und ordnete hierfür die sofortige Vollziehung an. Dieser legte Widerspruch ein und stellte wegen des Sofortvollzugs zudem einen Eilantrag beim VG. Der Antrag blieb hinsichtlich der Nutzungsuntersagung ohne Erfolg.
So argumentierte das Verwaltungsgericht
Nach der Landesbauordnung Rheinland-Pfalz (hier: § 81 LBauO) könne die Bauaufsichtsbehörde die Benutzung solcher Anlagen untersagen, die gegen baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften über die Errichtung, die Änderung, die Instandhaltung oder die Nutzungsänderung dieser Anlagen verstießen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden könnten.
Dies sei hier der Fall. Die von der Stadt ausgesprochene Nutzungsuntersagungsverfügung sei nicht zu beanstanden, da die tatsächliche Nutzung des Einfamilienhauses als Monteursunterkunft oder sonst als Beherbergungsbetrieb weder genehmigt noch genehmigungsfrei sei. Vorliegend sei nämlich von einer tatsächlich nicht Wohnzwecken dienenden Nutzung des Einfamilienwohnhauses auszugehen.
Definition der „Wohnnutzung“
Eine Wohnnutzung zeichne sich durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts aus. Dies setze bestimmte Ausstattungsmerkmale des Gebäudes voraus. Erforderlich seien insbesondere eine Küche bzw. Kochgelegenheit sowie Toiletten und Waschgelegenheiten, die auch in Gestalt von Gemeinschaftseinrichtungen zur Verfügung stehen könnten.
Der Begriff des Wohnens verlange zudem, dass Aufenthalts- und private Rückzugsräume vorhanden seien, die eine Eigengestaltung des häuslichen Wirkungskreises erst ermöglichten. Auch Wohnheime – etwa Studentenwohnheime – könnten daher als Wohngebäude einzustufen sein, wenn sie nach ihrer Zweckbestimmung und Ausstattung Wohnbedürfnisse erfüllen könnten und sollten. Die Grenzen des Wohnens seien allerdings überschritten, wenn das Gebäude – wie im Fall einer Unterkunft für Monteure – aufgrund seiner spartanischen Ausstattung lediglich als Schlafstätte diene und auch einfache Wohnbedürfnisse nicht befriedige. Dabei spiele zudem die Wohndichte eine Rolle. Der Umstand, dass sich zwei Bewohner einen Schlafraum teilten, spreche zwar nicht zwingend gegen eine Wohnnutzung im Rechtssinne; die dadurch bewirkte Einschränkung der Privatsphäre schließe aber unter Berücksichtigung der hierzulande üblichen Wohnstandards die Annahme einer Wohnnutzung jedenfalls dann regelmäßig aus, wenn zwischen den Bewohnern keine persönliche Bindung bestehe bzw. sich diese Bindung in dem gemeinsamen Interesse an einer möglichst kostengünstigen Unterbringung erschöpfe.
Mindestanforderungen der Wohnnutzung waren zwar erfüllt...
Zwar verfüge das Wohnhaus hier mit zwei Toiletten und einer Küche über die für eine Wohnnutzung erforderlichen Mindestanforderungen. Alle Räume seien aber sehr spartanisch lediglich mit Betten und Schreibtischen eingerichtet.
... Bewohner lebten aber „aus dem Koffer“
Die Bewohner lebten augenscheinlich „aus dem Koffer“, Kleiderschränke oder auch sonstiger Stauraum seien nicht vorhanden. Zudem spreche das Vorbringen des Antragstellers im Eilverfahren, wonach die Bewohner allesamt unter der Woche als Monteure an weit entfernten Orten beschäftigt seien und lediglich am Wochenende oder im Urlaub in dem Haus verweilten, erheblich dafür, dass der Zweck des Zusammenlebens nicht über das Interesse an einer günstigen Unterkunft hinausgehe und tatsächlich kein Interesse an einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit bestehe, sondern das Haus lediglich als Schlafplatz zwischen den Arbeitsaufträgen diene. Insbesondere wegen der Unterbringung in Mehrbettzimmern und des vollständigen Fehlens von Aufenthaltsräumen sei nicht ersichtlich, dass die Unterkunft über den Nutzen als Schlafstätte hinaus Wohnbedürfnisse befriedige.
Quelle | VG Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 4.1.2024, 4 L 1213/23.NW, PM 2/24
| Eine Vorschlagsliste für die Betriebsratswahl, die in ihrem Kennwort ein „Smiley-Symbol“ enthält, ist ungültig. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln in einem Wahlanfechtungsverfahren entschieden. |
Betriebsratswahl angefochten
Fünf Arbeitnehmer eines weltweit tätigen Logistikunternehmens mit einem Betrieb am Flughafen Köln/Bonn und einer weiteren Betriebsstätte im benachbarten Troisdorf hatten die Wahl des 25-köpfigen Betriebsrats angefochten und dies u. a. damit begründet, dass der Wahlvorstand ihren Wahlvorschlag zu Unrecht wegen des verwendeten Listenkennworts zurückgewiesen und stattdessen mit den Familien- und Vornamen der beiden in der Liste an erster Stelle benannten Wahlbewerbern versehen habe.
Die Arbeitnehmer hatten beim Wahlvorstand zunächst einen Wahlvorschlag mit dem Kennwort ,,fair.die“ eingereicht. Nachdem der Wahlvorstand den Vorschlag wegen einer phonetischen Verwechslungsgefahr mit der Gewerkschaft ver.di zurückgewiesen hatte, teilten die Arbeitnehmer mit, dass ihr Wahlvorschlag das Kennwort „FAIR“ (mit dem zusätzlichen „Smiley-Symbol“) die Liste“ tragen solle.
Dieses Kennwort sowie drei weitere Alternativvorschläge, die ebenfalls einen „Smiley“ enthielten, lehnte der Wahlvorstand wiederum ab.
Landesarbeitsgericht: Bildzeichen unzulässig
Wie das LAG entschieden hat, ist ein Bildzeichen als Bestandteil eines Kennworts unzulässig, wenn es wie das „Smiley“ lediglich einen Stimmungs- oder Gefühlszustand ausdrückt, keine eindeutige Wortersatzfunktion hat und demgemäß üblicherweise nicht mit ausgesprochen wird. Zudem hätte auch bei dem oben genannten Kennwort eine Verwechslungsgefahr bestanden, da es lautsprachlich wie „ver.di-Liste“ klingt.
Zudem hat das LAG die Betriebsratswahl für unwirksam erklärt, weil der Wahlvorstand für die Betriebsstätte Troisdorf trotz ihrer räumlichen Nähe zum Hauptbetrieb unzulässigerweise die generelle Briefwahl angeordnet hatte.
Quelle | LAG Köln, Beschluss vom 1.12.2023, 9 TaBV 3/23, PM 13/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat den koordinierten Beschäftigtentausch als Sparmodell für Sozialversicherungsbeiträge für unzulässig erklärt. |
Darum ging es
Ausgangspunkt war die Klage eines niedersächsischen Obstbauern, der einen Betrieb für Apfelanbau führt und an einem weiteren Betrieb für Erdbeeranbau beteiligt ist. Seine Erntehelfer beschäftigt er formal ganzjährig im Apfelanbau. Sie erhalten dort einen festen Monatslohn auf Basis eines Jahresarbeitsstundensolls. In der Zeit von Mai bis Juli wurden die Helfer jedoch im Erdbeerbetrieb eingesetzt. Auf den Lohn dieser Arbeit zahlte der Bauer keine Sozialversicherungsbeiträge, da er die Arbeit als zeitgeringfügige Aushilfstätigkeit betrachtete. Während der Apfelernte im Herbst verfuhr er bei jeweils wechselnder Arbeitsfreistellung mit den Beschäftigten des Erdbeerbetriebs in ähnlicher Weise.
Kurzzeitige Saisonaushilfen oder berufsmäßige Beschäftigte?
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) kam nach einer Betriebsprüfung zu dem Ergebnis, dass die Mitarbeiter nicht nur kurzzeitige Saisonaushilfen seien, sondern berufsmäßig Beschäftigte, für die rd. 58.000 Euro Sozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten seien.
Bauer reklamierte für sich „angepasste Gestaltung“
Hiergegen klagte der Bauer und meinte, dass in rechtlich selbstständigen Betrieben eine Arbeitnehmertätigkeit im Hauptberuf und eine kurzzeitige Beschäftigung bei einem weiteren Arbeitnehmer möglich und erlaubt sei. Steigende Preise und politische Unsicherheiten würden eine angepasste Gestaltung notwendig machen.
Landessozialgericht spricht Klartext
Das LSG hat die Rechtsauffassung der DRV bestätigt. Zur Begründung hat es auf die Berufsmäßigkeit der Helfer abgestellt, die eine Beitragspflicht für die gesamte Tätigkeit auslöse. Das praktizierte Modell verfolge zielgerichtet das Bestreben, über wechselseitige betriebliche Absprachen und mittels langfristig geplanter und aufeinander abgestimmter organisatorischer und vertraglicher Maßnahmen rund ein Drittel des Jahreseinkommens der Arbeitskräfte der Beitragspflicht zur gesetzlichen Sozialversicherung zu entziehen. Die Gefahr der Altersarmut aufseiten der Erntehelfer sei von den Arbeitgebern sehenden Auges hingenommen worden. Die sozialrechtlichen Vorgaben ließen keinen Raum für eine entsprechende Beitragsverkürzung.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.12.2023, L 2 BA 59/23, PM vom 5.2.2024
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung eines Schwerbehinderten in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses diskriminierend im Sinne des Sozialgesetzbuchs IX (hier: § 164 Abs. 2 SGB IX) ist. Sie kann damit unwirksam sein, wenn der Arbeitgeber das Präventionsverfahren nach dem Sozialgesetzbuch (§ 167 Abs. 1 SGB IX) nicht durchgeführt hat. |
Der mit einem Grad der Behinderung von 80 schwerbehinderte Kläger ist seit dem 1.1.2023 bei der beklagten Kommune als „Beschäftigter im Bauhof“ beschäftigt. Der Kläger wurde zwischen dem 2.1. und 14.4.2023 in verschiedenen Kolonnen des Bauhofs eingesetzt und war ab Ende Mai arbeitsunfähig. Am 22.6.2023 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 31.7.2023.
Das ArbG hat entschieden: Die Kündigung verstößt gegen das Diskriminierungsverbot des § 164 Abs. 2 SGB IX und ist damit unwirksam. Der Arbeitgeber sei – entgegen bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) – auch während der Wartezeit gemäß Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 Abs. 1 KSchG) verpflichtet, das o. g. Präventionsverfahren durchzuführen.
§ 167 Abs. 1 SGB IX regelt, dass möglichst frühzeitig als Präventionsmaßnahme die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt einzuschalten sind, wenn Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis eintreten, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können. Dies habe die Arbeitgeberin hier nicht getan. Sie hätte, als sie bemerkte, dass der schwerbehinderte Kläger sich während der Wartezeit – wie sie vorträgt – nicht bewährte bzw. sich nicht ins Team einfügte und ihren Erwartungen nicht entsprach, Präventionsmaßnahmen ergreifen und gegebenenfalls die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt präventiv einschalten müssen.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 20.12.2023, 18 Ca 3954/23, PM 2/24
| Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch verpflichtet. Das Sozialrecht (hier: § 165 S. 3 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX)) sieht die grundsätzliche Einladungspflicht nur für öffentliche Arbeitgeber vor. Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist kein öffentlicher Arbeitgeber. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Schwerbehinderten nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen
Der schwerbehinderte Kläger hatte sich um eine Stelle in der Verwaltung eines Kirchenkreises der Evangelischen Kirche im Rheinland beworben. Trotz Offenlegung seiner Schwerbehinderung wurde er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Seine Bewerbung blieb erfolglos.
Lag Diskriminierung vor?
Nach Ansicht des Klägers wurde er im Auswahlverfahren wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Dies indiziere die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Hierzu sei der Kirchenkreis nach der o. g. Vorschrift verpflichtet gewesen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts gelte er als öffentlicher Arbeitgeber. Mit seiner Klage hat der Kläger deshalb die Zahlung einer Entschädigung verlangt. Der beklagte Kirchenkreis hat dies abgelehnt. Er sei kein öffentlicher Arbeitgeber. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Bundesarbeitsgericht spricht Klartext
Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung dargelegt.
Eine solche kann nicht aufgrund der unterbliebenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch vermutet werden. Hierzu war der beklagte Kirchenkreis nicht verpflichtet. Die Einladungspflicht besteht zwar u. a. für Körperschaften des öffentlichen Rechts. Dies betrifft aber nach dem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Begriffsverständnis nur Körperschaften, die staatliche Aufgaben wahrnehmen. Kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts dienen demgegenüber primär der Erfüllung kirchlicher Aufgaben. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts soll dabei die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgesellschaft unterstützen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Einladungspflicht auf kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts erstrecken wollte. Insoweit stehen sie den ebenfalls staatsfernen privaten Arbeitgebern gleich.
Quelle | BAG, Urteil vom 25.1.2024, 8 AZ R 318/22, PM 2/24
| Bereits im Juli 2023 hatte das Bundesfinanzministerium (BMF) einen Referentenentwurf für ein milliardenschweres Wachstumschancengesetz vorgelegt. Das Ziel: Eine Verabschiedung im Jahr 2023. Bekanntlich wurde daraus nichts. Vielmehr kam das Gesetzgebungsverfahren einem „Possenspiel“ gleich, das durch die Zustimmung des Bundesrats am 22.3.2024 und der Gesetzesverkündung am 27.3.2024 nun beendet ist. |
Das verabschiedete Gesetz enthält im Vergleich zum ursprünglichen Referenten- und Regierungsentwurf viele Änderungen. So wurde u. a. das Entlastungsvolumen reduziert und die Klimaschutz-Investitionsprämie gestrichen.
Zudem wurden zeitkritische Regelungen bereits Ende 2023 durch das Kreditzweitmarktförderungsgesetz umgesetzt, z. B. die Beseitigung von Unsicherheiten bei der Grunderwerbsteuer aufgrund des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts sowie Anpassungen bei der Zinsschrankenregelung.
Dennoch enthält das Gesetzespaket weiterhin zahlreiche Änderungen bzw. Neuregelungen, die im Folgenden auszugsweise vorgestellt werden:
Degressive Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter
Bei beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die nach dem 31.12.2019 und vor dem 1.1.2023 angeschafft oder hergestellt wurden, kann der Steuerpflichtige statt der linearen eine degressive Abschreibung von 25 % (höchstens das 2,5-Fache der linearen Abschreibung) wählen.
Die als Investitionsanreiz gedachte degressive Abschreibung wurde nun wieder eingeführt – und zwar erneut befristet für Anschaffungen oder Herstellungen nach dem 31.3.2024 und vor dem 1.1.2025. Der Abschreibungssatz wurde auf 20 % (höchstens das 2-Fache der linearen Abschreibung) reduziert.
E-Fahrzeuge/Firmenwagen
Die Besteuerung eines Firmenwagens (außerdienstliche Nutzung) kann reduziert werden, indem kein Verbrenner, sondern ein Elektrofahrzeug gewählt wird. Denn hier ist nur ein Viertel des Bruttolistenpreises anzusetzen, wenn der Höchstbetrag von 60.000 Euro eingehalten wird. Dieser wurde für nach dem 31.12.2023 angeschaffte Fahrzeuge auf 70.000 Euro erhöht.
Geschenkegrenze
Geschenke an Geschäftspartner und Kunden sind nur dann steuermindernde Betriebsausgaben, wenn eine Grenze eingehalten wird. Diese wurde für nach dem 31.12.2023 beginnende Wirtschaftsjahre von 35 Euro auf 50 Euro erhöht.
Verlustvortrag
Nach der Regelung des § 10 d Abs. 2 EStG ist ein Verlustvortrag bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1 Mio. Euro (bei Zusammenveranlagung: 2 Mio. Euro) unbeschränkt, darüber hinaus bis zu 60 % des 1 Mio. bzw. 2 Mio. Euro übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte möglich. Ab dem Veranlagungszeitraum 2024 gelten anstelle der 60 % dann 70 % (ab 2028 sind wieder 60 % relevant).
Thesaurierungsbegünstigung
Für bilanzierende Einzel- und Personenunternehmen sieht § 34 a EStG eine steuerliche Begünstigung für nicht entnommene Gewinne vor, die (langfristig) im Unternehmen verbleiben sollen. Da von dieser Begünstigung (nicht zuletzt infolge der Komplexität) bis dato eher selten Gebrauch gemacht wurde, hat der Gesetzgeber § 34 a EStG mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2024 „reformiert“. Ob die Änderungen zu einer höheren „Nachfrage“ bzw. Nutzung führen, bleibt aber abzuwarten.
Option zur Körperschaftsbesteuerung
Nach § 1 a des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) können Personenhandels- und Partnerschaftsgesellschaften im ertragsteuerlichen Bereich wie Körperschaften behandelt werden. Durch einige Änderungen (z. B. können nun auch eingetragene GbRs optieren) soll die Option attraktiver werden.
Elektronische Rechnung
Im Bereich der Umsatzsteuer stellt die Einführung der obligatorischen elektronischen Rechnung für Umsätze zwischen inländischen Unternehmen (B2B) sicherlich die relevanteste Änderung dar.
Die Neuregelung tritt bereits am 1.1.2025 in Kraft. Da die Umsetzung aber einige Zeit beanspruchen wird, können nach den Vorgaben des § 27 Umsatzsteuergesetz (UStG) Übergangsregelungen genutzt werden. Der allgemeine Übergangszeitraum beträgt zwei Jahre (Pflicht somit ab 2027); drei Jahre gelten für Unternehmer mit einem Gesamtumsatz von bis zu 800.000 Euro im Jahr 2026.
Bürokratieabbau bei der Umsatzsteuer
Unter gewissen Voraussetzungen kann die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten (Ist-Besteuerung) berechnet werden, was einen Liquiditätsvorteil ermöglicht. Die relevante Vorjahresumsatzgrenze wurde von 600.000 Euro auf 800.000 Euro erhöht (gilt ab dem Besteuerungszeitraum 2024).
Die Grenze, ab der Unternehmer von der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung befreit werden können, wurde angehoben – und zwar von 1.000 Euro auf 2.000 Euro (gilt ab dem Besteuerungszeitraum 2025).
Grundsätzlich sind Kleinunternehmer (§ 19 UStG) von der Abgabe einer Umsatzsteuererklärung (Nullmeldung) ab dem Besteuerungszeitraum 2024 befreit.
Anhebung von Buchführungsgrenzen
Überschreiten gewerbliche Unternehmer gewisse Buchführungsgrenzen, können sie ihren Gewinn nicht mehr mittels Einnahmen-Überschussrechnung ermitteln, sondern sind zur Bilanzierung verpflichtet. Die in § 141 der Abgabenordnung geregelten Grenzen wurden von 600.000 Euro auf 800.000 Euro (Umsatz) und von 60.000 Euro auf 80.000 Euro (Gewinn) erhöht. Dies gilt für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2023 beginnen (mit Übergangsregelung).
Auch die Buchführungsgrenzen in § 241 a Handelsgesetzbuch (HGB) wurden auf 800.000 Euro (Umsatzerlöse) bzw. 80.000 Euro (Jahresüberschuss) erhöht.
Quelle | Wachstumschancengesetz, BGBl I 2024, Nr. 108
| Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat entschieden: Die von der Stadt Fulda verfügte Schließung von ohne Personal betriebenen Verkaufsmodulen an Sonn- und Feiertagen hat Bestand. |
Das war geschehen
Die Antragstellerin und Inhaberin einer Supermarktkette betreibt im Gebiet der Stadt Fulda Verkaufsmodule, die an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr geöffnet sind und zu denen die Kunden nach einer digitalen Kontrolle Zugang erhalten. Angeboten werden dort Waren des täglichen Bedarfs, die digital bezahlt werden. An Sonn- und Feiertagen wird in diesen Verkaufsmodulen kein Personal eingesetzt.
Die Stadt Fulda hatte gegenüber der Antragstellerin mit sofortiger Wirkung verfügt, die im Stadtgebiet aufgestellten Verkaufsmodule insbesondere an Sonn- und Feiertagen zu schließen. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit einem gerichtlichen Eilantrag, den das Verwaltungsgericht (VG) Kassel ablehnte.
So sieht es der Verwaltungsgerichtshof
Der VGH hat die Entscheidung des VG bestätigt und sich hierbei maßgebend auf die Bestimmungen des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes gestützt. Nach § 3 Abs. 2 dieses Gesetzes müssen Verkaufsstellen unter anderem an Sonn- und Feiertagen für den geschäftlichen Verkehr mit Kundinnen und Kunden geschlossen sein. Verkaufsstellen sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes Ladengeschäfte aller Art, falls in ihnen von einer festen Stelle aus ständig Waren zum Verkauf an jedermann „feilgehalten“ werden.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat der VGH im Wesentlichen ausgeführt, das VG sei zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständlichen Verkaufsmodule Verkaufsstellen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes seien. Das „Feilhalten“ von Waren im Sinne dieser Vorschrift setze nach der gesetzlichen Definition dieses Begriffs keinen persönlichen Kontakt mit einem Verkäufer voraus. Es mache für das „Feilhalten“ von Waren keinen Unterschied, ob der Kunde die begehrte Ware aus einem Automaten oder aus einem Verkaufsregal bzw. von einem Verkaufstisch an sich nehme; der Verkaufsvorgang setze in beiden Fällen ein aktives Handeln des Kunden voraus, dem nicht zwangsläufig ein aktives Tun des Verkäufers gegenüberstehe. Richtig sei zwar das von der Antragstellerin vorgetragene Argument, dass bei einem Verzicht auf den Einsatz von Verkaufspersonal das dem Ladenschlussrecht zugrunde liegende Ziel des Arbeitnehmerschutzes erreicht werde.
Das Hessische Ladenöffnungsgesetz diene allerdings nicht allein dem Arbeitnehmerschutz, sondern auch dem Ziel, die Sonntage und staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erholung zu schützen. Es bestehe auch keine Vergleichbarkeit zwischen dem Einkauf in den streitgegenständlichen Verkaufsmodulen und den auch sonn- und feiertags durchgängig möglichen Onlinebestellungen. Insbesondere habe der Onlinebestellvorgang keinerlei Außenwirkungen und sei daher nicht geeignet, die Sonn- und Feiertagsruhe der übrigen Bevölkerung zu beeinträchtigen.
Der Beschluss ist im verwaltungsgerichtlichen Instanzenzug nicht anfechtbar.
Quelle | VGH Kassel, Beschluss vom 22.12.2023, 8 B 77/22, PM 1/24
| Mehraufwendungen für einen behindertengerechten Um- oder Neubau eines Hauses oder einer Wohnung sind grundsätzlich als außergewöhnliche Belastung abziehbar. Dies gilt auch für eine dadurch ausgelöste Mieterhöhung. Aber: Ein Abzug ist nur zulässig, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Das hat das Finanzgericht (FG) München entschieden. |
Im Streitfall des FG München ging es um die umbaubedingte Erhöhung einer jährlichen Miete, die durch die Errichtung eines behindertengerechten Verbindungsbaus mit Pflegebad zwischen zwei Einfamilienhäusern veranlasst war.
Der Höhe nach hat das FG eine Begrenzung der Abzugsfähigkeit der Aufwendungen gesehen – und zwar im Hinblick darauf, dass es zu den durchgeführten Umbaumaßnahmen eine kostengünstigere Alternative gegeben hätte, die der Behinderung in gleicher Weise Rechnung getragen hätte.
Beachten Sie | Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Revision zugelassen. Er kann nun klären, ob dem Steuerpflichtigen bei der Beurteilung, ob Aufwendungen notwendig und angemessen sind, ein Ermessensspielraum einzuräumen ist. Bis dahin können geeignete Fälle durch einen Einspruch offengehalten werden.
Quelle | FG München, Urteil vom 27.10.2022, 10 K 3292/18, Rev. BFH: VI R 15/23
| Das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg musste jüngst über einen „Wohn-Riester-Fall“ entscheiden. Hierbei ging es um einen Ehemann, der von seiner verstorbenen Frau deren Wohnung und den Darlehensvertrag geerbt hatte. Das Darlehen wollte er tilgen. Deshalb begehrte er, die Entnahme von gefördertem Kapital zur wohnungswirtschaftlichen Verwendung aus einem Altersvorsorgevermögen (gemäß § 92 b Abs. 1 S. 3 Einkommensteuergesetz [EStG]) zu bewilligen. Soviel vorab: Die Entscheidung ging zugunsten des Steuerpflichtigen aus. |
Hintergrund: Durch die sogenannte Riester-Rente sollen mögliche Versorgungslücken im Alter zumindest teilweise aufgefangen werden. Dies geschieht durch den Aufbau einer kapitalgedeckten Versorgung.
Staatlich gefördert wird aber auch der „Wohn-Riester“, eine Variante des Bausparens, bei der Anleger aus dem Vertrag Kapital für den Kauf oder Bau einer Wohnung erhalten. Sie können den „Wohn-Riester“ aber auch nutzen, um ein Immobilien-Darlehen abzutragen.
Das war geschehen
Ein Ehemann erbte als Alleinerbe von seiner Ehefrau eine durch die Ehefrau errichtete und mit dieser gemeinsam bewohnte Wohnung sowie das durch die Ehefrau zur Finanzierung der Wohnung aufgenommene Darlehen. Zur Tilgung des Darlehens begehrte der Ehemann die Bewilligung der Entnahme von gefördertem Kapital zur wohnungswirtschaftlichen Verwendung aus einem Altersvorsorgevermögen.
Ehemann hatte die Wohnung nicht angeschafft, sondern geerbt
Dies wurde ihm allerdings versagt und zwar mit folgender Begründung: Ein nach dem EStG (§ 92 a Abs. 1 S. 1 Nr. 1) für die wohnungswirtschaftliche Verwendung erforderlicher entgeltlicher Anschaffungsvorgang liege in der Person des Ehemanns nicht vor, da er die Wohnung unentgeltlich im Wege der Erbfolge erworben habe. Dies sah der Ehemann aber anders und klagte. Eine gute Entscheidung, denn das FG Berlin-Brandenburg schloss sich seiner Ansicht an.
Ehemann übernahm Tilgung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge
Die Übernahme eines Darlehens als Nachlassverbindlichkeit begründet zwar keine entgeltliche Anschaffung der finanzierten Wohnung durch den Erben. Allerdings ist die Tilgungsvariante gemäß EStG so auszulegen, dass diese auch in Fällen gilt, in denen ein Erbe ein zur Anschaffung oder Herstellung begünstigten Wohnraums aufgenommenes Darlehen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übernimmt.
Der Wortlaut des o. g. Paragrafen im EStG verlangt zwar die Verwendung des Altersvorsorge-Eigenheimbetrags zur Tilgung eines zu diesem Zweck (also zur Anschaffung oder Herstellung) aufgenommenen Darlehens. Jedoch tritt der Gesamtrechtsnachfolger in die Rechtsstellung des Erblassers dergestalt ein, dass ihm die Anschaffung bzw. Herstellung durch den Erblasser zuzurechnen ist.
Mithin besteht eine ununterbrochene Kausalität zwischen der Tilgung des Darlehens und dem ursprünglich für die Anschaffung oder Herstellung aufgewandten Darlehen.
Bundesfinanzhof muss entscheiden
Die Deutsche Rentenversicherung Bund Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen gibt sich mit dem Urteil nicht zufrieden und hat Revision beim Bundesfinanzhof (BFH) eingelegt.
Quelle | FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.12.2023, 15 K 15045/23, Rev. BFH: X R 2/24
| Beim Berliner Testament setzen sich Ehegatten für den ersten Erbfall gegenseitig als Alleinerben ein und bestimmen die Kinder als Schlusserben (z. B. zu gleichen Teilen). Ziel ist die gerechte Verteilung des Nachlasses zwischen den Kindern, aber zunächst die Versorgung des überlebenden Ehegatten. Die Kinder können das Konstrukt jedoch dadurch aus den Angeln heben, dass sie beim Tod des Erstversterbenden ihre Pflichtteilsansprüche geltend machen. Um dies zu verhindern, kann eine Strafklausel aufgenommen werden, z. B. die sog. Jastrowsche Klausel. Über einen solchen Fall musste nun der Bundesfinanzhof (BFH) entscheiden. Das Urteil zeigt, dass derartige Regelungen zumindest aus erbschaftsteuerlicher Sicht nachteilig sein können. |
Das war geschehen
Die Eltern der Klägerin setzten sich gegenseitig als Alleinerben ein, wobei der überlebende Ehegatte über den Nachlass und sein eigenes Vermögen frei verfügen konnte. Als Erben des überlebenden Ehegatten setzten die Eheleute die Klägerin und drei ihrer Schwestern ein. Ein Bruder und eine weitere Schwester wurden enterbt.
Zudem enthielt das Berliner Testament eine Jastrowsche Klausel. Diese regelte, dass für den Fall, dass eines der Kinder nach dem Tod des zuerst sterbenden Elternteils den Pflichtteil verlangt, dieses Kind auch vom Nachlass des zuletzt sterbenden Elternteils nur den Pflichtteil erhalten soll. Diejenigen Erben, die den Pflichtteil beim Tod des Erstverstorbenen nicht fordern, sollten bei Tod des länger lebenden Ehegatten aus dem Nachlass des Erstverstorbenen ein erst beim Tod des länger lebenden Ehegatten fälliges Vermächtnis in Höhe des Pflichtteils erhalten.
Geschwister machten Pflichtteil geltend
Die enterbten Geschwister der Klägerin machten nach dem Tod des erstverstorbenen Vaters ihren Pflichtteil geltend. Die Klägerin erwarb daher beim Tod des Vaters ein entsprechendes Vermächtnis, das mit dem Tod der Mutter fällig wurde.
Nachdem auch die Mutter verstorben war, setzte das Finanzamt gegenüber der Klägerin Erbschaftsteuer für den Erwerb nach der Mutter fest. Das Vermächtnis rechnete es weder dem Erwerb hinzu noch wurde es als Nachlassverbindlichkeit abgezogen. Die Klägerin war hingegen der Ansicht, das Vermächtnis sei bei ihr doppelt hinzugerechnet worden und deshalb als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig. Dies sah der BFH aber anders.
Vermächtnis nach Tod des Vaters entstanden, aber erst nach dem Tod der Mutter fällig
Der Wert des Vermächtnisses wurde zunächst einmal besteuert, nämlich nach dem Tod des Vaters bei der Mutter als dessen Alleinerbin. Da das Vermächtnis zwar damals bereits entstanden war, aber erst bei dem Tod der Mutter fällig wurde, ging der Nachlass des Vaters ungeschmälert (einschließlich des Vermögens, aus dem das Vermächtnis zu erfüllen war) auf die Mutter über. Die Mutter konnte die Vermächtnisverbindlichkeit bei ihrem Erbe nicht abziehen, weil sie diese Schuld mangels Fälligkeit nicht zu begleichen hatte.
Nach dem Tod der Mutter musste die Klägerin das jetzt fällig gewordene Vermächtnis versteuern.
Als Schlusserbin unterlag bei ihr außerdem der Nachlass nach der Mutter der Erbschaftsteuer. Dort konnte sie die dann fällig gewordene Vermächtnisverbindlichkeit als Nachlassverbindlichkeit abziehen. Das Vermächtnis unterlag bei der Klägerin daher nur einmal der Besteuerung.
Dass hinsichtlich des betagten Vermächtnisses im Ergebnis zweimal Erbschaftsteuer entsteht – einmal (ohne Abzugsmöglichkeit als Nachlassverbindlichkeit) bei der Mutter nach dem Tod des Vaters und ein weiteres Mal bei der Klägerin nach dem Tod der Mutter – ist zwar ungünstig, aus rechtlicher Sicht aber nicht zu beanstanden. Es liegt, so der BFH, an der Jastrowschen Klausel, die das Vermächtnis zwar bei Tod des Erstverstorbenen anfallen, aber erst bei Tod des länger lebenden Ehegatten fällig werden lässt.
Beachten Sie | Wer also ein Berliner Testament aufsetzen möchte, sollte nicht nur die zivilrechtlichen Aspekte, sondern auch die erbschaftsteuerlichen Folgen bedenken.
Quelle | BFH-Urteil vom 11.10.2023, II R 34/20, PM 11/24 vom 27.2.2024
| Das Landgericht (LG) Frankenthal hat die gegen eine Gemeinde gerichtete Schadenersatzklage eines Rennradfahrers abgewiesen, der auf einem Radweg aufgrund von Wurzelschäden gestürzt war. Ein Radfahrer müsse seine Fahrweise so einrichten, dass er sichtbare Hindernisse auf einem Radweg rechtzeitig wahrnehmen und vor ihnen anhalten kann, so das LG. |
Grundsätze der Verkehrssicherungspflicht
Grundsätzlich muss der, der eine Gefahrenquelle (z. B. eine aus dem Boden ragende Baumwurzel) schafft oder eine solche andauern lässt, notwendige und zumutbare Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer zu verhindern (sog. „Verkehrssicherungspflicht“). Er muss Gefahren ausräumen oder vor ihnen warnen.
Ausnahmen von der Verkehrssicherungspflicht
Dies gilt jedoch nur, soweit sie für andere trotz aufmerksamen Verhaltens im Straßenverkehr nicht erkennbar oder nicht beherrschbar sind. Die Anforderungen an die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht für einen Radweg bemessen sich an einem normalen Radfahrer mit einer üblichen Geschwindigkeit.
Rennradfahrer muss besonders vorsichtig sein
Ein Rennradfahrer muss von sich aus besonders vorsichtig fahren, da er mit seinen dünnen Reifen bei Unebenheiten im Boden besonders gefährdet ist. Vorliegend seien die Wurzelschäden nach Ansicht der Kammer gut und rechtzeitig erkennbar gewesen.
Wurzelschäden waren sichtbar
Das LG: Der Wegabschnitt habe auch an anderen Stellen Unebenheiten, wie Bodenschwellen, Risse oder eben Wurzelschäden aufgewiesen, sodass Schäden auch an der Unfallstelle nicht überraschend gewesen sein könnten. Ein konzentrierter Radfahrer hätte sein Fahrverhalten an die vorgefundenen Hindernisse anpassen können und müssen. Aufgrund der ausreichenden Erkennbarkeit der Wurzelschäden sei auch eine Warnung bspw. durch ein Hinweisschild nicht erforderlich gewesen.
Auch ein unter Umständen störendes Licht- und Schattenspiel auf dem Radweg wegen eines ungünstigen Sonnenstands, weswegen der Rennradfahrer das Hindernis nicht erkannt haben will, ändere daran nichts. Auf witterungsbedingte Umstände müsse sich ein Radfahrer einstellen und dementsprechend noch vorsichtiger fahren.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 31.8.2023, 3 O 71/22, PM vom 29.12.2023
| Eine Einbahnstraße darf nur in vorgeschriebener Fahrtrichtung befahren werden. Verboten ist auch das Rückwärtsfahren entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung. Lediglich (unmittelbares) Rückwärtseinparken („Rangieren“) ist – ebenso wie Rückwärtseinfahren aus einem Grundstück auf die Straße – kein unzulässiges Rückwärtsfahren auf Richtungsfahrbahnen gegen die Fahrtrichtung. So stellte es der BGH jetzt fest. |
Demgegenüber ist Rückwärtsfahren auch unzulässig, wenn es dazu dient, erst zu einer (freien oder frei werdenden) Parklücke zu gelangen. Entsprechendes gilt, wenn das Rückwärtsfahren dazu dient, einem Fahrzeug die Ausfahrt aus einer Parklücke zu ermöglichen, um anschließend selbst in diese einfahren zu können.
Der Unfall ereignete sich, als der eine Verkehrsteilnehmer rückwärts aus einer Grundstücksausfahrt in die Einbahnstraße einfuhr, während der andere unzulässig die Einbahnstraße rückwärts befuhr. Der Anscheinsbeweis, dass der, der rückwärts aus einer Grundstücksausfahrt fährt, seinen Sorgfaltspflichten nicht genügt habe, wenn es dabei zu einer Kollision kommt, ist nicht anzuwenden. Denn das verbotene Rückwärtsfahren des Unfallgegners hebt das „typische Geschehen“ auf, das für die Anwendung eines Anscheinsbeweis nötig ist. Der Ausfahrt-Ausfahrer muss grundsätzlich nicht mit einem verbotswidrig die Einbahnstraße rückwärts befahrenden Verkehrsteilnehmer rechnen.
Quelle | BGH, Urteil vom 10.10.2023, VI ZR 287/22
| Wird ein Schüler von einer Klassenfahrt ausgeschlossen, weil er dort unzulässigerweise Alkohol erworben hat, können Erziehungsberechtigte zu den Mehrkosten der verfrühten Rückreise heranzogen werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin entschieden. |
Im Juni 2022 fand eine Klassenfahrt einer 10. Klasse eines Gymnasiums nach München statt. Zuvor hatte sich die Beklagte, Mutter eines minderjährigen Schülers, schriftlich verpflichtet, die Kosten einschließlich etwaiger Zusatzkosten bei vorzeitiger Heimreise zu tragen. Während der Fahrt kauften insgesamt sieben Schüler, darunter der Sohn der Beklagten, zwei Wodkaflaschen, woraufhin sie von der Fahrt ausgeschlossen wurden. Die Beklagte zahlte die hierdurch entstandenen Mehrkosten von 143,60 Euro nicht, woraufhin das Land Berlin sie auf Zahlung verklagte.
Die Klage hatte Erfolg. Der Anspruch auf Kostenerstattung ergebe sich aus dem öffentlich-rechtlichen Vertrag, den die Beteiligten miteinander geschlossen hätten. Dieser Vertrag sei wirksam zustande gekommen. Der Ausschluss sei als Ordnungsmaßnahme nach dem Berliner Schulgesetz ergangen und von der Beklagten nicht angegriffen worden, wodurch die vereinbarte Kostenfolge entstanden sei. Die Forderung einschließlich der geltend gemachten Zinsen sei schließlich der Höhe nach nicht zu beanstanden.
Der Gerichtsbescheid ist rechtskräftig.
Quelle | VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 15.11.2023, VG 3 K191/23, PM 2/24
| Das Landgericht (LG) Frankenthal hat die Klage eines Fahrradbesitzers gegen seine Hausratversicherung wegen eines gestohlenen Fahrrads abgewiesen. Das teure Bike war nach seinen Angaben bei einem Einbruch in den Keller seiner Zweitwohnung entwendet worden. |
Das umfasst die Außenversicherung
Das LG hat klargestellt, dass eine Außenversicherung nur Gegenstände in Zweitwohnungen umfasst, die eigentlich in der Hauptwohnung ihren Platz haben und sich nur vorübergehend außerhalb des Hauptwohnsitzes befinden. Als Erweiterung des grundsätzlich an den Versicherungsort gebundenen Versicherungsschutzes sei es dagegen nicht ihr Sinn und Zweck, Gegenstände zu versichern, die üblicherweise in der Zweitwohnung aufbewahrt werden.
Kein versicherter Hausrat
Weil der Mann sein Fahrrad hauptsächlich im Keller der Zweitwohnung abgestellt hatte und nur in mehrwöchigen Urlaubszeiten mit nach Hause nahm, gehört es nicht zum versicherten Hausrat, der tatsächlich nur vorübergehend außerhalb der Hauptwohnung verbracht worden sei, so das LG. Der Radfahrer blieb deshalb auf dem gesamten Diebstahlschaden seines knapp 5.000 Euro teuren Fahrrads sitzen.
Hausratversicherung bestand nur für die Hauptwohnung
Die Hausratversicherung verweigerte nach Auffassung der Kammer zu Recht den Versicherungsschutz, weil der Radbesitzer die Versicherung nur für seine Hauptwohnung besaß. Außerhalb dieser Hauptwohnung befindliche Sachen waren lediglich über einen sog. „Außenversicherungsschutz“ abgedeckt. Eine gesonderte Hausratversicherung für die Zweitwohnung, ein möbliertes Appartement, in dem er sich üblicherweise werktags aufhielt, hatte der Biker nicht abgeschlossen.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 29.3.2023, 3 O 236/22, PM vom 29.11.2023
| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass die operative Therapie eines grauen Stars im Ausland nicht als Notfallbehandlung zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung qualifiziert werden kann. |
Linsenoperation in türkischer Privatklinik wegen grauem Star
Geklagt hatte eine türkischstämmige Frau (geb. 1965) aus Niedersachsen, die seit dem Jahr 2015 an einem beginnenden Katarakt (grauer Star) der Augen litt. Während eines Urlaubs in der Türkei im Jahr 2019 ließ sie an beiden Augen eine Linsenoperation in einer Privatklinik durchführen. Die entstandenen Kosten von rd. 1.600 Euro wollte die Frau von ihrer Krankenkasse erstattet haben.
Die gesetzliche Krankenkasse – und die private Auslandskrankenversicherung – lehnte eine Erstattung ab. Bei vorübergehenden Auslandsaufenthalten könnten nur Notfallbehandlungen übernommen werden. Ein grauer Star sei jedoch ein schleichender Prozess und kein Notfall.
Hiergegen klagte die Frau und schilderte, dass es in der Türkei mit den Augen so schlimm geworden sei, dass sie gestürzt sei. Ihr sei schwarz vor Augen geworden und sie sei in größter Sorge gewesen, das Augenlicht zu verlieren. Es habe sich um einen Notfall gehandelt. Obwohl sie schon länger an grauem Star erkrankt sei, könne ein „plötzlich bemerkter“ Sehverlust mit einem akuten Sehverlust verwechselt werden.
Gericht bestätigt Rechtsauffassung der Krankenkasse
Das LSG hat die Rechtsauffassung der Krankenkasse bestätigt. Der Anspruch scheitere schon deshalb, weil die Klägerin sich als Privatpatientin in einer Privatklinik habe behandeln lassen. Diesbezügliche Behandlungen seien vom Leistungsumfang generell nicht umfasst.
Keine Notfallbehandlung
Unabhängig davon habe bei der Klägerin kein medizinischer Zustand vorgelegen, der während des Türkei-Urlaubs an beiden Augen aufgetreten sei und einer sofortigen Behandlung bedurft hätte. Der behandelnde Augenarzt habe einen senilen Katarakt, d. h. eine Alterserkrankung diagnostiziert. Eine plötzliche Verschlechterung mit dringender Operationsindikation habe er ausgeschlossen. Ein grauer Star sei eine Alterserkrankung, die durch ein schleichendes Fortschreiten gekennzeichnet sei und nicht durch einen plötzlichen Sehverlust im Sinne eines Notfalls.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19.12.2023, L 16 KR 196/23, PM vom 8.1.2024
| Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat den für zwei große Hunde aus dem Landkreis Günzburg angeordneten Leinenzwang bestätigt. Begründet hat es den Leinenzwang u. a. damit, dass die Hunde nach Aussagen mehrerer Betroffener frei herumlaufen würden. Die vom Kläger gegen den Leinenzwang erhobenen Klagen hatte schon das Verwaltungsgericht (VG) Augsburg abgewiesen. Hiergegen stellte der Kläger beim BayVGH Anträge auf Zulassung der Berufung. |
Das war geschehen
Der Kläger ist Halter zweier Hunde. Mit Bescheiden aus dem Monat Februar 2023 hatte die Verwaltungsgemeinschaft als örtlich zuständige Sicherheitsbehörde für die beiden Hunde einen Leinenzwang angeordnet.
Der BayVGH hat die Anträge abgelehnt und die Urteile des VG bestätigt. Gründe, die eine Zulassung der Berufung rechtfertigen würden, lägen nach Ansicht des BayVGH nicht vor. Es bestünden insbesondere keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Urteile des VG.
Gefahr durch große Hunde
Der Einwand des Klägers, die Hunde seien ungefährlich, greife nicht durch. Nach ständiger Rechtsprechung des BayVGH gehe von freilaufenden großen Hunden auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr in der Regel eine konkrete Gefahr für Eigentum und Gesundheit Dritter aus. Der Leinenzwang sei deshalb bereits allein wegen der Größe der Hunde gerechtfertigt. Grund für die Unterscheidung nach der Größe sei, dass es bei großen unangeleinten Hunden in Wohngebieten regelmäßig mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu unvorhergesehenen Reaktionen von Menschen oder Hunden und damit zu erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit kommen könne. Der Feststellung, dass es sich hier um große Hunde mit einer Schulterhöhe von mindestens 50 Zentimetern handele, habe der Kläger nicht in Zweifel gezogen.
Es gab bereits einen Beißvorfall
Ein Einschreiten sei bei einem der Hunde auch deshalb geboten gewesen, weil es im November 2022 zu einem Beißvorfall gekommen sei. Bei beiden Hunden habe somit eine konkrete und nicht bloß abstrakte Gefahr für die Gesundheit Dritter vorgelegen.
Durch die Beschlüsse des BayVGH wurden die Urteile des VG rechtskräftig.
Quelle | BayVGH, Beschlüsse vom 22.1.2024, 10 ZB 23.1558 u. a., PM vom 30.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Hannover hat jetzt klargestellt: Eine Pauschalreise kann mangelhaft sein, wenn der Reiseveranstalter in einer Hotelanlage entweder nur wenige Poolliegen zur Verfügung stellt oder nicht einschreitet, wenn andere Reisegäste Poolliegen etwa mittels eines Handtuchs längere Zeit reservieren, ohne sie tatsächlich zu nutzen. |
Das war geschehen
Der Kläger buchte für sich und seine Familie eine Pauschalreise zum Preis von insgesamt 5.260 Euro. Das gebuchte Hotel verfügte über sechs Swimmingpools und etwa 500 Poolliegen. Nach den ausgeschilderten Verhaltensregeln war es den Badegästen untersagt, Poolliegen für mehr als 30 Minuten zu reservieren, ohne sie zu nutzen. Tatsächlich war es aber so, dass Badegäste Poolliegen auch länger mit ihren Handtüchern reservierten. Leitung und Personal des Hotels unternahmen nichts dagegen. Der Kläger und seine Familie hingegen hielten sich an die vorgegebenen Verhaltensregeln. Der Kläger rügte mehrfach, dass ihm und seiner Familie deswegen keine Liegen zur Verfügung gestanden hätten. Darin sah der Kläger einen Reisemangel und forderte von dem Reiseveranstalter (der Beklagten) u. a. einen Teil des Reisepreises (798,00 Euro) zurück.
Die Beklagte war der Auffassung, dass es sich um ein friedliches Wettrennen um die begehrten Plätze am Pool mit dem besseren Ende für den sprichwörtlichen „frühen Vogel“ gehandelt habe, nicht aber um einen Reisemangel. Möglicherweise hätten sich nur der Kläger und seine Familie an die Poolregeln gehalten, obwohl sie nicht mit Sanktionen hätten rechnen müssen, wenn der Kläger abends oder seine Lebensgefährtin morgens zum Sonnenaufgang sein Handtuch auf eine Liege gelegt hätte.
Amtsgericht: Pflicht des Reiseveranstalters
Das AG hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger einen Betrag von 322,77 Euro zugesprochen. Dabei hat es angenommen, dass der Reiseveranstalter nicht gehalten ist, jedem Hotelgast eine Liege zur Verfügung zu stellen. Vielmehr müsse die Anzahl der Liegen in einem angemessenen Verhältnis zur Auslastung des Hotels und damit zur Anzahl der Hotelgäste stehen. Stünden zwar genug Liegen zur Verfügung, seien diese für den Reisenden aber faktisch nicht nutzbar, weil andere Hotelgäste entgegen den Verhaltensregeln Poolliegen mit eigenen Handtüchern reservierten, ohne sie zu nutzen, sei der Reiseveranstalter zum Einschreiten verpflichtet.
Gäste mussten nichts selbst unternehmen – Reisepreisminderung von 15 Prozent
Es sei in diesem Zusammenhang auch nicht Sache des Reisenden, selbst für Abhilfe zu sorgen, indem er entweder fremde Handtücher eigenmächtig entferne oder seinerseits entgegen den Verhaltensregeln Liegen reserviere. Dies sei unzumutbar, da Streitigkeiten mit anderen Hotelgästen zu befürchten seien, auf die sich kein Reisender einlassen müsse.
Das Gericht gelangte zu der Überzeugung, dass es dem Kläger und seiner Familie mit Ausnahme des letzten Tages nicht möglich gewesen sei, nach dem Frühstück ab etwa 9.00 Uhr Poolliegen zu nutzen, weil diese entweder belegt, durch Handtücher anderer Badegäste „reserviert“ oder aber defekt gewesen seien. Es hat insoweit eine Reisepreisminderung von 15 Prozent des Tagesreisepreises der ab der erstmaligen Rüge des Klägers betroffenen Tage angenommen.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 20.12.2023, 553 C 5141/23, PM vom 4.1.2023
| Das LG Berlin II hat der Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil des Amtsgerichts (AG) Berlin-Mitte teilweise stattgegeben. Dieses hatte eine von der Vermieterin erhobene Räumungsklage mit der Begründung abgewiesen, die von der Vermieterin ausgesprochene Eigenbedarfskündigung sei formunwirksam. Das LG hat die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Vermieterin – anders als zuvor das AG – zwar für wirksam erachtet, jedoch zugleich die Fortsetzung des Mietverhältnisses für die Dauer von zwei Jahren angeordnet. |
Zweijährige Verlängerung der Mietdauer
Die angeordnete Fortsetzung des Mietverhältnisses für die Dauer von zwei Jahren begründete das LG damit, dass es den beklagten Mietern in dem vorliegenden Fall nicht möglich gewesen sei, angemessenen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen zu beschaffen. Demzufolge können Mieter unter Berufung auf die sog. Sozialklausel des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 574 Abs. 1 und 2 BGB) nach Abwägung mit den Vermieterinteressen unter gewissen Voraussetzungen die Fortsetzung ihres Mietverhältnisses verlangen, auch wenn die zuvor ausgesprochene Kündigung wirksam ist.
Mieter fanden keinen Ersatzwohnraum in Berlin
Das LG hat darauf abgestellt, dass sich die Mieter nach Ausspruch der Eigenbedarfskündigung über einen Zeitraum von fast zwei Jahren auf eine Vielzahl von Wohnungen im gesamten Berliner Stadtgebiet beworben haben, jedoch aufgrund der angespannten Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt sowie des nur noch geringen Angebotes freier Wohnungen mit ihren Bewerbungen keinen Erfolg hatten. Zudem hat das LG bei seiner Entscheidung berücksichtigt, dass auch über das sog. Geschützte Marktsegment (GMS) in absehbarer Zeit kein freier Alternativwohnraum in Berlin für die Mieter zur Verfügung stand.
Schließlich hat das LG auch den Umstand, dass das gesamte Stadtgebiet von Berlin durch eine Mietenbegrenzungsverordnung (MietBegrV Bln) als Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt ausgewiesen ist, als weiteren Beleg für die Richtigkeit des Mietervortrags gewertet und außerdem berücksichtigt, dass der von der Vermieterin geltend gemachte Eigenbedarf nicht besonders dringlich war.
Landgericht: Vertragsbedingungen angepasst und Miete angehoben
Das LG hat bei seiner Entscheidung die bisherigen Vertragsbedingungen von Amts wegen geändert und neben der Anordnung der befristeten Fortdauer des Mietverhältnisses auch die von den Mietern bisher geschuldete Nettokaltmiete auf ein marktübliches Niveau angehoben.
Quelle | LG Berlin II, Urteil vom 25.1.2024, 67 S 264/22, PM 5/24
| Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat entschieden: Ein (notarielles) Testament kann sittenwidrig sein, wenn eine Berufsbetreuerin ihre gerichtlich verliehene Stellung und ihren Einfluss auf einen älteren, kranken und alleinstehenden Erblasser dazu benutzt, gezielt auf den leicht beeinflussbaren Erblasser einzuwirken und ihn dazu zu bewegen, vor einem von ihr herangezogenen Notar in ihrem Sinne letztwillig zu verfügen. |
Das war geschehen
Eine 92 Jahre alte Frau, deren einzige noch lebende Angehörige ihre Tochter war, befand sich wegen ihres Gesundheitszustands ab Anfang September 2022 im Krankenhaus. In den letzten Tagen vor dem Tod ihrer Tochter, die sich zuvor um die Angelegenheiten der Mutter gekümmert hatte, teilten die beiden das Krankenzimmer. Zwei Tage nach dem Tod der Tochter – noch im September 2022 – bestellte das Amtsgericht (AG) für die Frau während des Krankenhausaufenthalts eine Berufsbetreuerin.
Anfang Oktober 2022 erfolgte mit Notarztbegleitung die Einweisung in ein anderes Krankenhaus. Nur kurz war die Frau zwischen den beiden Krankenhausaufenthalten in einer Pflegeeinrichtung untergebracht. Während des zweiten Krankenhausaufenthalts beauftragte die Berufsbetreuerin einen Notar mit der Erstellung eines notariellen Testaments für die Frau. Im Krankenhaus beurkundete der Notar ein Testament der Frau, mit dem sie die Berufsbetreuerin zur Alleinerbin einsetzte. Den Wert des Vermögens gab sie mit 350.000 Euro an. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus – Mitte Oktober 2022 – nahm die Berufsbetreuerin die Frau bei sich zu Hause auf. Vier Tage danach starb die Frau dort eines natürlichen Todes.
Verstoß gegen die guten Sitten
§ 138 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) lautet: Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. Das OLG ist hier davon ausgegangen, dass das notarielle Testament sittenwidrig und damit nichtig ist und die Berufsbetreuerin deshalb hieraus für sich keine Rechte herleiten und insbesondere keinen Erbschein ausgestellt erhalten kann.
Das OLG: Ein notarielles Testament zugunsten einer Berufsbetreuerin kann sittenwidrig sein. Hier sei dies aufgrund des hohen Alters der Erblasserin, ihrer schlechten gesundheitlichen Verfassung, ihrem Gemütszustand nach dem Tod ihrer Tochter, den Umständen im Zusammenhang mit der notariellen Beurkundung sowie dem engen zeitlichen Ablauf zwischen Einrichtung der Betreuung und der Testierung der Fall.
Der Beschluss ist rechtskräftig.
Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 9.1.2024, 6 W 175/23, PM vom 25.1.2024
| Öffnungen in Brandwänden sind unzulässig und deshalb auf Aufforderung der Bauaufsichtsbehörde auch zu verschließen, wenn der angrenzende Nachbar sich mit diesen einverstanden erklärt hat und die Behörde erst nach längerer Zeit gegen den baurechtswidrigen Zustand vorgeht. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Mainz. |
Nachbar stimmte Einbau von Fenstern zu
Das Wohngebäude der klagenden Grundstückseigentümer steht auf der Grenze zum Nachbargrundstück. Die grenzständige Brandwand des Gebäudes wies zunächst an zwei Stellen Glasbauflächen auf. Im Jahr 2009 wurde eine Glasbaufläche durch ein öffenbares Fenster ersetzt, einige Jahre später kam es an der zweiten Stelle zu einem Fenstereinbau. Daraufhin gab der Beklagte, die Bauaufsichtsbehörde, den Klägern auf, die Fenster zu beseitigen und die dabei entstehenden Öffnungen feuerbeständig zu verschließen. Die Kläger wandten sich gegen die Anordnung und machten geltend, der unmittelbar angrenzende Grundstücksnachbar habe schriftlich erklärt, mit den Fenstern einverstanden zu sein. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid im Wesentlichen zurückgewiesen, verlangte aber nur noch einen hochfeuerhemmenden Abschluss der Brandwand. Die Kläger verfolgten die Aufhebung der Anordnung mit einer Klage weiter. Sie führten zusätzlich an, infolge der Zustimmung des Nachbarn und des jahrelangen Nichteinschreitens der Bauaufsichtsbehörde sei bei ihnen ein Vertrauenstatbestand entstanden, der eine baubehördliche Anordnung ausschließe. Das VG wies die Klage ab.
Brandwände: Öffnungen unzulässig
In Brandwänden seien Öffnungen von Gesetzes wegen unzulässig. Von der gesetzlichen Vorgabe dürfe nur ausnahmsweise unter Beachtung des öffentlichen Interesses des Schutzes der Allgemeinheit vor Brandgefahr und des Bauinteresses des Bauherrn abgewichen werden. Das Einverständnis eines Nachbarn zur Abweichung von dem Öffnungsverbot allein mindere das allgemeine Brandschutzbedürfnis nicht, zumal wenn – wie hier – ein weiterer Nachbar durch die betreffende Brandschutzwand gesetzlich geschützt werde, dieser der Baumaßnahme aber nicht zugestimmt habe.
Der Beklagte habe seine Befugnis zum Einschreiten gegen den baurechtswidrigen Zustand auch nicht verwirkt, weil er trotz dessen Kenntnis über längere Zeit hinweg nicht eingeschritten sei. Eingriffsbefugnisse auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr unterlägen nicht der Verwirkung durch die Verwaltung. Die bloße Untätigkeit der Bauaufsichtsbehörde könne auch kein Vertrauen beim Bauherrn begründen, dass die Behörde nicht mehr gegen die rechtswidrige Baumaßnahme vorgehen werde. Die Kläger könnten sich deshalb auch nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen, weil sie eigenmächtig die Glasbausteine durch Fenster ersetzt hätten, ohne zuvor den notwendigen Bauantrag gestellt oder die Baubehörde sonst einbezogen zu haben.
Quelle | VG Mainz, Urteil vom 6.12.2023, 3 K 39/23.MZ, PM 1/24
| Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken hat entschieden: Ein Bauunternehmen kann die zu einem Festpreis vereinbarte Errichtung eines Massivhauses nicht unter Verweis auf unvorhersehbare Materialpreissteigerungen verweigern, wenn es eine Formularklausel in den Bauvertrag eingebracht hat, die ihm eine unbegrenzte einseitige Anpassung der Vergütung ermöglicht. |
Bauvertrag des Bauunternehmens unterzeichnet
Das klagende Ehepaar und das beklagte Bauunternehmen schlossen im Dezember 2020 einen Vertrag, in dem sich das Unternehmen dazu verpflichtete, auf dem Grundstück der Kläger ein Massivhaus zu einem Pauschalpreis von rund 300.000 Euro zu errichten. Hierzu verwendeten die Parteien ein Vertragsmuster des Unternehmens, in dem es heißt, dass beide Seiten bis zum Ablauf eines Jahres ab Vertragsunterzeichnung an den vereinbarten Preis gebunden seien, wenn innerhalb von drei Monaten nach Vertragsschluss mit den Bauarbeiten begonnen werde. Unter Verweis auf diese Bestimmung teilte das Unternehmen den Eheleuten im Juni 2021 mit, dass sich der vereinbarte Preis um etwa 50.000 Euro erhöhe. Es begründete den Schritt mit außerordentlichen und nicht vorhersehbaren Preissteigerungen beim Baumaterial.
Bauherren akzeptierten Preiserhöhung nicht
Das Ehepaar akzeptierte die Preiserhöhung nicht und forderte das Unternehmen seinerseits auf, mit den Bauarbeiten zu beginnen. Auf die Weigerung des Unternehmens erklärten die Eheleute die Vertragskündigung und beauftragten ein anderes Bauunternehmen mit der Errichtung eines Massivhauses zu einem höheren als dem mit der Beklagten vereinbarten Festpreis.
Wer trägt Mehrkosten?
Mit ihrer Klage haben die Eheleute verlangt, festzustellen, dass das beklagte Bauunternehmen verpflichtet ist, ihnen Mehrkosten bei der Errichtung des Hauses zu ersetzen, die deshalb entstehen, weil das Unternehmen sich geweigert hat, den Vertrag zum vereinbarten Preis zu erfüllen.
So entschieden die gerichtlichen Instanzen
Das Landgericht (LG) hat der Klage stattgegeben. Hiergegen hat das Bauunternehmen Berufung eingelegt. Es hat im Wesentlichen geltend gemacht, dass eine Errichtung des Hauses zum ursprünglich vereinbarten Preis existenzbedrohend und ihm daher nicht zumutbar gewesen sei.
Das OLG hat das Bauunternehmen auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung hingewiesen, woraufhin es sein Rechtsmittel zurückgenommen hat. Zur Begründung hat das OLG ausgeführt, dass den Eheleuten der geltend gemachte Ersatz zustehe. Die Weigerung des Unternehmens, zum vereinbarten Preis zu erfüllen, habe sie zur Vertragskündigung und zur Beauftragung eines anderen Unternehmens veranlasst. Hierauf zurückzuführende Mehrkosten des Baus müsse das Unternehmen ersetzen.
Bauunternehmen schuldete den Hausbau zum Festpreis
Das Bauunternehmen habe den Bau des Hauses zum vereinbarten Festpreis geschuldet. Die Preisanpassungsklausel im Vertrag sei unwirksam gewesen. Sie benachteilige die Kunden des Unternehmens unangemessen, wenn es die vereinbarte Vergütung durch die Festlegung der Listenpreise ohne Begrenzung einseitig anheben könne. Die Kunden könnten der Bestimmung bei Vertragsschluss nicht entnehmen, mit Preissteigerungen welchen Umfangs sie zu rechnen hätten.
Bauunternehmen hatte Risikoabsicherung in der Hand
Gerade Besteller eines Neubaus seien darauf aber in besonderem Maße angewiesen. Häufig sei die Finanzierung auf den Festpreis ausgerichtet, sodass schon vermeintlich geringfügige Änderungen die Kunden an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bringen könnten. Das Unternehmen habe die Vertragserfüllung zum vereinbarten Preis auch nicht verweigern dürfen, weil sich die Vertragsgrundlage aufgrund unvorhersehbarer Materialpreissteigerungen geändert habe, denn es habe bei Vertragsschluss die Möglichkeit gehabt, sich mit einer Bestimmung gegen dieses Risiko abzusichern, die auch den Interessen seiner Kunden Rechnung getragen hätte.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 13.7.2023, 5 U 188/22, PM vom 15.2.2024
| Nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) haben Betriebsräte Anspruch auf für die Betriebsratsarbeit erforderlichen Schulungen, deren Kosten der Arbeitgeber tragen muss. Davon können Übernachtungs- und Verpflegungskosten für ein auswärtiges Präsenzseminar auch dann erfasst sein, wenn derselbe Schulungsträger ein inhaltsgleiches Webinar anbietet. So entschied es das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Arbeitgeberin verweigerte Erstattung von Übernachtungs- und Verpflegungskosten
Bei der Arbeitgeberin – einer Fluggesellschaft – ist durch Tarifvertrag eine Personalvertretung (PV) errichtet, deren Schulungsanspruch sich nach dem BetrVG richtet. Die PV entsandte zwei ihrer Mitglieder zu einer mehrtägigen betriebsverfassungsrechtlichen Grundlagenschulung Ende August 2021 in Potsdam. Hierfür zahlte die Arbeitgeberin die Seminargebühr, verweigerte aber die Übernahme der Übernachtungs- und Verpflegungskosten.
Dies begründete sie vor allem damit, die Mitglieder der PV hätten an einem zeit- und inhaltsgleich angebotenen mehrtägigen Webinar desselben Schulungsanbieters teilnehmen können. In dem von der PV eingeleiteten Verfahren hat diese geltend gemacht, dass die Arbeitgeberin auch die Übernachtungs- und Verpflegungskosten tragen muss. Hierzu haben die Vorinstanzen die Arbeitgeberin verpflichtet.
Bundesarbeitsgericht: Betriebsrat hat Spielraum
Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Ebenso wie ein Betriebsrat hat die PV bei der Beurteilung, zu welchen Schulungen sie ihre Mitglieder entsendet, einen gewissen Spielraum. Dieser umfasst grundsätzlich auch das Schulungsformat. Dem steht nicht von vornherein entgegen, dass bei einem Präsenzseminar im Hinblick auf die Übernachtung und Verpflegung der Schulungsteilnehmer regelmäßig höhere Kosten anfallen als bei einem Webinar.
Quelle | BAG, Beschluss vom 7.2.2024, 7 ABR 8/23, PM 5/24
| Wer mit einem äußerst scharfen Filetiermesser hantiert, muss besonders sorgfältig agieren, um Verletzungen von Kollegen auszuschließen. Nicht jeder Fehlgebrauch rechtfertigt aber eine Kündigung ohne vorherige einschlägige Abmahnung. Dies hat – wie bereits zuvor das Arbeitsgericht (ArbG) Lübeck – auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein entschieden. |
Kollegin Messer an den Hals gehalten
Der 29-jährige Kläger ist bei der Beklagten seit Juni 2019 als Industriemechaniker beschäftigt. Am 1.6.2022 arbeitete er mit einer Mitarbeiterin und einem Mitarbeiter an einem Probierstand. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger der Mitarbeiterin ein Filetiermesser mit einer Klingenlänge von 20 cm mit einem Abstand von 10 bis 20 cm an den Hals hielt und damit deren Leib und Leben bedrohte. Die Beklagte kündigte dem Kläger daraufhin am 14.7.2022 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.10.2022.
Kündigungsschutzklage erfolgreich
Die Kündigungsschutzklage des Klägers war in zwei Instanzen erfolgreich. Sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung waren unwirksam. Es fehlte an einem hinreichenden Kündigungsgrund. Zwar kommt eine ernstliche Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben u. a. von Arbeitskollegen als „an sich“ wichtiger Grund für eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung in Betracht. Dies setzt aber voraus, dass der Arbeitnehmer mit dem Willen handelt, dass der Kollege die Drohung zur Kenntnis nimmt und als ernst gemeint auffasst.
Vorsatz war nicht nachzuweisen
Selbst den Vortrag der Beklagten als zutreffend unterstellt, konnte jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts auf einen bedingten Vorsatz beim Kläger geschlossen werden. Vielmehr war es auch möglich, dass der Kläger das Messer schlicht in der rechten Hand haltend sich mit dem Oberkörper zur Mitarbeiterin gedreht hat und bei dieser Drehbewegung dessen rechte Hand mit dem Messer nahe an deren Hals gelangt ist.
Verhältnismäßigkeit muss gewahrt werden
Die Kündigungen konnten auch nicht darauf gestützt werden, dass der Kläger allein durch das Hantieren mit dem Messer Leib und Leben der Mitarbeiterin objektiv und fahrlässig gefährdet hat. Der unsachgemäße Umgang mit einem Messer stellt zwar eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar. Diese hätte nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz den Ausspruch einer fristlosen oder fristgerechten Kündigung nur gerechtfertigt, wenn der Kläger zuvor wegen einer ähnlichen Pflichtverletzung abgemahnt worden wäre. Insbesondere steht auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht zur Überzeugung des Landesarbeitsgerichts fest, dass der Kläger das Messer bewusst und aktiv an den Hals der Mitarbeiterin gehalten hat.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 13.7.2023, 5 Sa 5/23
| Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gekündigt worden, ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. So sieht es das Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 KSchG) vor. Diesen Grundsatz hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf jetzt noch einmal bekräftigt. |
Das war geschehen
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 1.2.2012 beschäftigt. Die Beklagte beschäftigte in ihrem einzigen Betrieb zuletzt knapp 600 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Am 1.3.2022 wurde über das Vermögen der Beklagten das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet. Der Sachwalter und der Gläubigerausschuss stimmten der Einstellung der Geschäftstätigkeit zum 31.12.2022 zu.
Nachdem die Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs am 24.11.2022 durch Spruch der Einigungsstelle für gescheitert erklärt wurden, stellte die Beklagte am 28.11.2022 Anträge auf behördliche Zustimmungen zur betriebsbedingten Kündigung nach dem SGB IX (schwerbehinderte Menschen) und BEEG (Elternzeit). Den Beschäftigten wurde die Gelegenheit eingeräumt, in eine Transfergesellschaft zu wechseln. Im Dezember 2022 sprach die Beklagte gegenüber allen Beschäftigten betriebsbedingte Beendigungskündigungen aus, soweit das Ende des Arbeitsverhältnisses nicht aus anderen Gründen feststand.
Alle Mitarbeitenden, auch der Kläger, wurden ab dem 1.1.2023 unwiderruflich freigestellt. Ausgenommen waren die Beschäftigten des Abwicklungsteams, das ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Anlage 53 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer umfasste, wobei gegenüber dreizehn Personen Kündigungen zum 31.3.2023 und gegenüber den übrigen vierzig Personen Kündigungen zum 30.6.2023 ausgesprochen wurden. Das Arbeitsverhältnis des Klägers kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 16.12.2022 zum 31.3.2023.
Erfolgreiche Kündigungsschutzklage nicht aufgrund Gesetzeslage ...
Die vom Kläger hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hatte vor dem LAG Düsseldorf ebenso wie zuvor beim Arbeitsgericht (ArbG) Solingen Erfolg. Dies folgte zwar nicht aus § 17 KSchG i. V. m. § 134 BGB wegen einer nicht ordnungsgemäßen Massenentlassungszeige. Etwaige Fehler in diesem Zusammenhang stellen keinen Unwirksamkeitsgrund dar, weil Zweck der Anzeige nicht der Individualschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist.
...sondern aufgrund fehlerhafter Sozialauswahl
Die Kündigung war indes aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) rechtsunwirksam, wie es bereits das ArbG zutreffend ausgeführt hatte. Bei einer etappenweisen Betriebsstillegung hat der Arbeitgeber keine freie Auswahl, wem er früher oder später kündigt. Es sind grundsätzlich die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit den Abwicklungsarbeiten zu beschäftigen.
Fehlerhafte Vergleichsgruppen
Die Beklagte hatte hier die Sozialauswahl methodisch fehlerhaft durchgeführt, weil sie die Vergleichsgruppen fehlerhaft gebildet hatte. So hatte sie diese u. a. anhand der ursprünglich ausgeübten Tätigkeiten gebildet. Sie hätte die soziale Auswahl stattdessen anhand der noch im Abwicklungsteam anfallenden Tätigkeiten vornehmen müssen, zu denen die Beklagte nur unvollständig vorgetragen hatte. Es fehlte weitgehend an Vortrag dazu, welche Aufgaben mit welcher Dauer im Abwicklungsteam anfielen, welche Anforderungsprofile dafür erforderlich waren und wie auf dieser Grundlage ein Vergleich vorgenommen werden soll. Die daraus folgende Vermutung der fehlerhaften Sozialauswahl hatte die Beklagte auch in zweiter Instanz nicht widerlegt.
Das LAG hat die Revision nicht zugelassen.
Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 9.1.2024, 3 Sa 529/23, PM 2/24
| Oft müssen sich die Gerichte mit den Voraussetzungen für einen Investitionsabzugsbetrag (IAB nach § 7 g Einkommensteuergesetz [EStG]) beschäftigen. Jüngst haben es zwei Verfahren (Vorinstanz: Finanzgericht (FG) Niedersachsen) mit dieser Frage bis vor den Bundesfinanzhof (BFH) geschafft: Ist für die Gewinngrenze der Steuerbilanzgewinn oder ein um außerbilanzielle Effekte (wie nichtabziehbare Betriebsausgaben sowie einkommensteuerfreie Einnahmen) korrigierter Gewinn relevant? |
Gewinngrenze von 200.000 Euro
Hintergrund: Für die künftige (Investitionszeitraum von drei Jahren) Anschaffung oder Herstellung von abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens (beispielsweise Maschinen) können bis zu 50 % der voraussichtlichen Anschaffungs-/Herstellungskosten gewinnmindernd abgezogen werden. Da der Gesetzgeber durch diese Steuerstundungsmöglichkeit vor allem Investitionen von kleinen und mittleren Betrieben erleichtern will, darf der Gewinn 200.000 Euro nicht überschreiten.
Das war geschehen
In einem Fall des FG Niedersachsen betrug der Bilanzgewinn 189.821 Euro und lag damit unter der (in § 7 g EStG normierten) Grenze von 200.000 Euro. Dennoch versagte das Finanzamt die Bildung eines IAB, da es nach der Hinzurechnung der Gewerbesteuer (vgl. hierzu § 4 Abs. 5 b EStG) von 25.722 Euro auf einen über dem Grenzbetrag liegenden Gewinn von 215.543 Euro kam.
Unterschiedliche Sichtweisen
Die Frage, wie der Gewinn (nach § 7 g Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG) zu ermitteln ist, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt. Hierzu werden (vereinfacht) zwei Meinungen vertreten:
Bundesfinanzministerium: keine Berücksichtigung von Abzügen und Hinzurechnungen
Für das Bundesfinanzministerium (BMF) ist Gewinn der Betrag, der ohne Berücksichtigung von Abzügen und Hinzurechnungen (gemäß § 7 g Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 EStG) der Besteuerung zugrunde zu legen ist; außerbilanzielle Korrekturen der Steuerbilanz sowie Hinzu-/Abrechnungen bei der Einnahmen-Überschussrechnung sind zu berücksichtigen.
Gegenteilige Position: allein steuerbilanzieller Gewinn „zählt“
Teile des Schrifttums vertreten indes die Position, dass allein auf den steuerbilanziellen Gewinn abzustellen ist, was im Streitfall zu einem günstigeren Ergebnis führen würde. Auch für das FG Baden-Württemberg ist der Steuerbilanzgewinn relevant – und nicht der Gewinn i. S. des § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG. Eine Korrektur um außerbilanzielle Positionen findet nicht statt.
Beachten Sie | Das FG Niedersachsen hat sich der Ansicht des BMF angeschlossen. Weil hiergegen die Revision anhängig ist, können Steuerpflichtige in geeigneten Fällen Einspruch einlegen.
Quelle | FG Niedersachsen, Urteile vom 9.5.2023, 2 K 202/22, Rev. BFH: X R 16/23 und 2 K 203/22, Rev. BFH: X R 17/23; BMF-Schreiben vom 15.6.2022, IV C 6 - S 2139-b/21/10001 :001; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 2.5.2023, 10 K 1873/22, Rev. BFH: III R 38/23
| Zwei unterschiedliche Urteile zum Schadenersatz für immaterielle Schäden bei verspäteter Auskunft nach der Datenschutz-Grundverordnung (hier: Art. 15 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 12 DS-GVO) lassen aufhorchen. So hat das Arbeitsgericht (ArbG) jetzt verbraucherfreundlich entschieden, während das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf unternehmensfreundlich war. |
Arbeitsgericht Duisburg: „Unverzüglichkeit“ entscheidend
Das ArbG Duisburg entschied, dass einem Kläger, der sich am 14.3.2017 auf eine Stelle bei dem beklagten Unternehmen beworben und über sechs Jahre später (am 18.5.2023) erstmals Auskunft über ihn dort gespeicherte personenbezogene Daten verlangt hat, eine Geldentschädigung von 750 Euro (verlangt waren 2.000 Euro) zusteht. Dies geschah, obwohl das Unternehmen schon am 5.6.2023 die Auskunft in Form eines Negativattests erteilte – also innerhalb der gesetzlichen Monatsfrist (gemäß Art. 12 Abs. 3 DS-GVO).
Das ArbG sah die Auskunft nicht als „unverzüglich“ im Sinne dieser Vorschrift an. Die dortige Monatsfrist sei nicht als Regel- sondern als Höchstfrist zu verstehen. Sie dürfe nicht routinemäßig, sondern nur in schwierigen Fällen und bei Hinzutreten besonderer Umstände ausgeschöpft werden.
Hier habe das Unternehmen auch keine konkreten Anhaltspunkte vorgetragen, die eine Überschreitung dieser Zeitspanne rechtfertigen würden. Bei der Schadenersatzbemessung hat das ArbG berücksichtigt, dass die gesetzliche Frist nicht erheblich überschritten sei. Eine objektive Dringlichkeit der Anfrage sechs Jahre nach der Bewerbung sei unerheblich.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf: keine datenschutzrechtsverletzende Datenverarbeitung
Da LAG Düsseldorf sieht dies jedoch anders: Es sprach einem Anspruchsteller trotz verspäteter Auskunft durch Überschreiten der Monatsfrist einen Schadenersatzanspruch ab.
Ein Verstoß gegen Art. 15 DS-GVO falle schon nicht in den Anwendungsbereich des Art. 82 DS-GVO. Es fehle an einer gegen die DS-GVO verstoßenden Datenverarbeitung bei einer rein verzögerten Datenauskunft oder einer anfänglich unvollständigen Erfüllung des Auskunftsbegehrens. Darüber hinaus liege allein in der schlagwortartigen Behauptung eines solchen „Kontrollverlusts“ über personenbezogene Daten auch keine Darlegung eines immateriellen Schadens.
Quelle | ArbG Duisburg, Urteil vom 3.11.2023, 5 Ca 877/23; LAG Düsseldorf, Urteil vom 28.11.2023, 3 Sa 285/23, PM 29/23
| Das Landgericht (LG) München hat ein Handelsunternehmen für Getränke dazu verurteilt, es zu unterlassen, das von ihm vertriebene Bier als WUNDERBRAEU zu bezeichnen, wenn dies in Zusammenhang mit einer auf der Bierflasche abgedruckten Münchner Adresse geschieht, an der das Bier jedoch nicht gebraut wird. Dies stelle eine Herkunftstäuschung dar. Zudem muss das beklagte Unternehmen in Zukunft die Bewerbung des Biers mit „CO2 positiv“ bzw. „klimaneutrale Herstellung“ auf der Bierflasche unterlassen. Die Bewertungsmaßstäbe, aufgrund derer diese Äußerungen getroffen würden, seien auf den Etiketten der Flaschen nicht hinreichend transparent offengelegt. |
Irreführende Bezeichnung des Biers
Die Beklagte hatte argumentiert, dass die Bezeichnung „WUNDERBRAEU“ für sich nicht irreführend sei. Zudem habe sie ihren Verwaltungssitz an der angegebenen Münchner Adresse und es sei gesetzlich vorgeschrieben, die Adresse auf der Flasche abzudrucken.
Dem folgte das LG nicht. Die für sich gesehen nicht eindeutige Bezeichnung „WUNDERBRAEU“ sei jedenfalls mit der auf dem rückwärtigen Etikett enthaltenen Adresse einer für Brauereien bekannten Straße in München irreführend. Durch die fragliche Aufschrift werde ein Bezug des Produkts mit einer Anschrift in München hergestellt, obwohl dort unstreitig nicht die Produktionsstätte, sondern allein der Sitz des Handelsunternehmens sei. Zwar möge die Bezeichnung für sich gesehen auch für die Beklagte als Vertriebsunternehmen zulässig sein und die Angabe auch insgesamt den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Das ändere aber nichts daran, dass die Aufschrift im Zusammenhang den Eindruck erwecke, die angegebene Anschrift bezeichne den Herkunftsort des Produktes selbst. Dies sei unzulässig.
Eine Täuschung über die Herkunft des Bieres sei auch geeignet, die Entscheidung der Verbraucherinnen und Verbraucher zu beeinflussen.
Diese Bezeichnung mit Klimabezug ist verboten
Die weiteren, von dem klagenden Verband beanstandeten Angaben „CO2 positiv“ und „klimaneutrale Herstellung“ stellen laut Gericht ebenfalls eine unzulässige Irreführung dar und wurden dem beklagten Unternehmen deshalb, so wie es die Angaben verwendet hatte, verboten.
Die Beklagtenseite hatte angeführt, dass ein QR-Code auf der Flasche zu den gewünschten Informationen über die Bedeutung der beanstandeten Angaben zur Klimabilanz führe. Dies reichte dem LG nicht aus. Gerade in der heutigen Zeit, in der Unternehmen in den Verdacht des sogenannten „Greenwashing“ kämen und in dem Ausgleichsmaßnahmen kontrovers diskutiert würden, sei es wichtig, die Verbraucher über die Grundlagen der jeweiligen werbenden Behauptung aufzuklären. Verbraucher hätten daher ein maßgebliches Interesse daran, inwieweit behauptete Klimaneutralität durch Einsparungen oder durch Ausgleichsmaßnahmen und, wenn ja, durch welche Ausgleichsmaßnahmen erreicht würden. Daher müssten den Verbrauchern die Bewertungsmaßstäbe für die werbenden Angaben „CO2 positiv“ und „klimaneutrale Herstellung“ auf der Bierflasche offengelegt werden.
Letztendlich bestünden zudem erhebliche Zweifel daran, ob die auf der Website des beklagten Unternehmens aufgeführten Informationen ausreichend wären. Denn genaue Angaben zur berechneten Klimabilanz und Angaben darüber, in welchem Umfang die Klimaneutralität durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werden sollen und in welchem Umfang durch Einsparung, fänden sich dort gerade nicht.
Quelle | LG München I, Urteil vom 8.12.2023, 37 O 2041/23, PM 32/23
| Der Anleger eines Investmentfonds muss als Investmentertrag u. a. die Vorabpauschale nach § 18 des Investmentsteuergesetzes (InvStG) versteuern. Geregelt ist dies in § 16 Abs. 1 Nr. 2 InvStG. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nun den Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale 2024 veröffentlicht. |
Hintergrund: Nach § 16 Abs. 1 InvStG sind Erträge aus Investmentfonds (Investmenterträge)
- Ausschüttungen des Investmentfonds,
- Vorabpauschalen und
- Gewinne aus der Veräußerung von Investmentanteilen.
Die Vorabpauschale ist der Betrag, um den die Ausschüttungen eines Investmentfonds innerhalb eines Kalenderjahrs den Basisertrag für dieses Kalenderjahr unterschreiten. Die Vorabpauschale gilt (nach § 18 Abs. 3 InvStG) beim Anleger am ersten Werktag des folgenden Kalenderjahrs als zugeflossen.
Der Basiszins ist aus der langfristig erzielbaren Rendite öffentlicher Anleihen abzuleiten. Dabei ist auf den Zinssatz abzustellen, den die Deutsche Bundesbank anhand der Zinsstrukturdaten jeweils auf den ersten Börsentag des Jahres errechnet. Das BMF muss den maßgebenden Zinssatz im Bundessteuerblatt veröffentlichen. Der Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale für das Jahr 2024 beträgt 2,29 %.
Ob es infolge der Vorabpauschale tatsächlich zu einer Steuerbelastung kommt, hängt von mehreren Faktoren ab. Beispielsweise ist ein erteilter Freistellungsauftrag für Kapitalerträge (maximal 1.000 Euro; bei Zusammenveranlagung von Ehegatten: 2.000 Euro) zu berücksichtigen.
Eine Steuerbelastung setzt ferner voraus, dass der Basiszins positiv ist. Aufgrund des negativen Basiszinses für die Jahre 2021 und für 2022 wurde insoweit auch keine Vorabpauschale erhoben.
Beachten Sie | Der ermittelte Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale für das Jahr 2023 beträgt 2,55 %. Eine etwaige steuerliche Belastung erfolgte zum Jahresbeginn 2024.
Quelle | BMF, Schreiben vom 5.1.2024, IV C 1 - S 1980-1/19/10038 :008; BMF, Schreiben vom 4.1.2023, IV C 1 - S 1980-1/19/10038: 007
| Das Bundeszentralamt für Steuern hat am 7.2.2024 mitgeteilt, dass das Zuwendungsempfängerregister ab sofort online zur Verfügung steht. |
Das Zuwendungsempfängerregister umfasst alle Organisationen, die berechtigt sind, ihren Spendern Zuwendungsbestätigungen auszustellen. Somit bietet das Register u. a. eine einfache Möglichkeit, sich über den Gemeinnützigkeitsstatus von Organisationen zu informieren.
| In Betriebsprüfungen gibt es oft Streit, ob Fahrtenbücher als ordnungsgemäß anzuerkennen sind. Aktuell hat das Finanzgericht (FG) Düsseldorf Folgendes entschieden: Ein elektronisches Fahrtenbuch erfüllt nicht die Anforderungen an den Nachweis des tatsächlichen Umfangs der Privatnutzung eines betrieblichen Kfz, wenn nachträgliche Veränderungen an den zu einem früheren Zeitpunkt eingegebenen Daten nicht in der Datei selbst, sondern in externen Protokolldateien dokumentiert werden. Dem Erfordernis des zeitnahen Führens eines Fahrtenbuchs wird nicht genügt, wenn die – zwischenzeitlich auf Notizzetteln festgehaltenen – Eintragungen erst mehrere Tage oder Wochen nach Abschluss der betreffenden Fahrten vorgenommen werden. |
Quelle | FG Düsseldorf, Urteil vom 24.11.2023, 3 K 1887/22 H[L]
| Zu den Werbungskosten zählt auch die zur vorzeitigen Ablösung eines Darlehens gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung, soweit die Schuldzinsen mit den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Dieser Zusammenhang besteht, wenn bereits im Zeitpunkt der Veräußerung eines Grundstücks anhand objektiver Umstände der endgültige Entschluss feststellbar ist, mit dem nach der vorzeitigen Darlehensablösung verbleibenden Verkaufserlös wiederum konkret bestimmtes Grundvermögen mit dem Ziel anzuschaffen, hieraus Vermietungseinkünfte zu erzielen. Dies hat das Finanzgericht (FG) Köln entschieden. |
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ergibt sich ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit den Vermietungseinkünften aus einem neuen Objekt allenfalls dann, wenn der Steuerpflichtige bereits bei der Veräußerung – z. B. im Kaufvertrag selbst oder zumindest beim Abschluss des Kaufvertrags – im Vorhinein so unwiderruflich über den verbleibenden Restkaufpreis verfügt, dass er ihn unmittelbar zum Erzielen von Vermietungseinkünften mit einem bestimmten Objekt festlegt.
Beachten Sie | Verbleibende Zweifel gehen zulasten des Steuerpflichtigen, denn er trägt die Feststellungslast für die den Steueranspruch mindernden Tatsachen.
Infolge dieser restriktiven Rechtsprechung kam im Streitfall des FG Köln kein Werbungskostenabzug in Betracht. Denn der Steuerpflichtige hatte den überschießenden Verkaufserlös (also Verkaufspreis abzüglich abzulösendes Darlehen) zunächst selbst vereinnahmt und dann zur Teilrückführung einzelner Darlehen verwendet.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | FG Köln, Urteil vom 19.10.2023, 11 K 1802/22
| Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen hat sich mit der Frage befasst, ob eine Influencerin Aufwendungen für Kleidung und Accessoires steuerlich geltend machen kann. Die Entscheidung fiel zu ungunsten der Steuerpflichtigen aus. |
Das war geschehen
Eine Steuerpflichtige betrieb auf verschiedenen Social-Media-Kanälen und über eine Website einen Mode- und Lifestyleblog und erstellte hierzu Fotos und Stories. Zusätzlich zu den Waren, die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit von verschiedenen Firmen erhalten hatte, um sie zu bewerben, erwarb sie diverse Kleidungsstücke und Accessoires (beispielsweise Handtaschen namhafter Marken). Die Influencerin wollte die Aufwendungen für die Kleidungsstücke und Accessoires als Betriebsausgaben bei ihrer gewerblichen Tätigkeit berücksichtigen.
Argumentation: Keine Abgrenzung zwischen privater und betrieblicher Nutzung möglich
Das Finanzamt verwehrte den Betriebsausgabenabzug mit der Begründung, dass sämtliche Gegenstände auch privat genutzt werden können und eine Abgrenzung der privaten zur betrieblichen Sphäre nicht möglich sei. Insbesondere habe die Steuerpflichtige nicht dargelegt, in welchem Umfang sie die Kleidungsstücke und Accessoires jeweils für private oder betriebliche Zwecke genutzt hatte.
Die hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos.
Finanzgericht: Abzugsverbot für Aufwendungen zur Lebensführung
Das FG Niedersachsen war ebenfalls der Meinung, dass eine Trennung zwischen privater und betrieblicher Sphäre bei gewöhnlicher bürgerlicher Kleidung und Mode-Accessoires nicht möglich ist. Gemäß Einkommensteuergesetz (§ 12 Nr. 1 EStG) folgt insoweit ein Abzugsverbot für Aufwendungen für die Lebensführung der Steuerpflichtigen, die ihre wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung mit sich bringt, auch wenn die Aufwendungen zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit der Steuerpflichtigen erfolgen.
Beachten Sie | Es kommt nicht darauf an, wie die Steuerpflichtige die Gegenstände konkret genutzt hat. Allein die naheliegende Möglichkeit der Privatnutzung von bürgerlicher Kleidung und Mode-Accessoires führt dazu, dass eine steuerliche Berücksichtigung ausgeschlossen ist.
Zudem handelt es sich bei den von der Influencerin erworbenen Gegenständen nicht um typische Berufskleidung, für die ein Betriebsausgabenabzug möglich ist. Hierunter fallen nur solche Kleidungsstücke, die nach ihrer Beschaffenheit objektiv nahezu ausschließlich für die berufliche Nutzung bestimmt und geeignet und wegen der Eigenart des Berufs nötig sind, bzw. bei denen die berufliche Verwendungsbestimmung bereits aus ihrer Beschaffenheit entweder durch ihre Unterscheidungsfunktion oder durch ihre Schutzfunktion (z. B bei Arbeitsschuhen) folgt.
Beachten Sie | Der Beruf einer Influencerin bzw. Bloggerin ist insoweit nicht anders zu beurteilen als sonstige Berufe. Ob die Kleidungsstücke und Mode-Accessoires tatsächlich ausschließlich betrieblich genutzt werden, ist unbeachtlich. Somit war die Aufklärung des Umfangs der tatsächlichen privaten Nutzung der Kleidung nicht entscheidend.
Quelle | FG Niedersachsen, Urteil vom 13.11.2023, 3 K 11195/21
| Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Bei einem Unfall, der in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Einfahren von einer Parkbucht in den Straßenverkehr stattfindet, gilt das einfahrende Fahrzeug als Verursacher, wenn eine weitere Aufklärung nicht möglich ist. |
Der Fahrer eines zuvor in einer Parkbucht am Straßenrand stehenden Fahrzeugs ist mit diesem in den Straßenverkehr eingefahren. Hierauf kam es zu einer Kollision mit einem dort in gleicher Richtung fahrenden Wagen. Über den Unfallhergang machten die Beteiligten jeweils unterschiedliche Angaben.
Das AG hat entschieden, dass der Verkehrsunfall vollständig von dem einfahrenden Fahrzeug verursacht wurde. Zwar ließ sich das Geschehen überwiegend nicht mehr aufklären, allerdings habe derjenige, der vom Straßenrand in den Verkehr einfährt, nach der Straßenverkehrsordnung besonders darauf zu achten, dass er andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet.
Aufgrund der zeitlichen und örtlichen Nähe des Unfallgeschehens zu dem Einfahren des parkenden Fahrzeugs in den Straßenverkehr bestehe daher der Anschein, dass dessen Fahrer nicht ausreichend auf den Verkehr geachtet und somit den Unfall herbeigeführt habe. Dafür spreche zudem, dasss eine Version des Unfallgeschehens, er sei bereits einige Zeit auf der Straße gefahren, mit dem Schadensbild nicht in Einklang zu bringen sei. Zudem habe der Fahrer selbst erklärt, das andere Fahrzeug erst durch den Anstoß bemerkt zu haben, was darauf hinweise, dass er das Verkehrsgeschehen beim Losfahren von dem Parkplatz nicht ausreichend beobachtet habe.
Quelle | AG Hanau, Urteil vom 5.6.2023, 39 C 329/21 (19)
| Kindergeld für sich selbst können Kinder nur erhalten, wenn sie Vollwaise sind oder den Aufenthalt der Eltern nicht kennen. Kein Kindergeld beanspruchen kann ein Kind, wenn es gelegentlich mit seiner Mutter im Ausland telefonieren und sich dabei nach ihrem Aufenthaltsort erkundigen kann. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) jetzt entschieden. |
Regelmäßige Telefonate
Der Kläger hatte Kindergeld für sich selbst beansprucht mit der Begründung, er kenne den Aufenthalt seiner Mutter nicht. Diese hatte sich Ende 2017 auf die Flucht begeben und zunächst jeweils nur für kurze Dauer an verschiedenen Orten in Syrien gelebt, zuletzt in der Nähe von Damaskus. Allerdings hatte der Kläger in seinem Kindergeldantrag angegeben, zwei- bis dreimal monatlich mit ihr zu telefonieren. Dadurch hatte er zumindest die zumutbare Möglichkeit, sich nach dem aktuellen Aufenthaltsort seiner Mutter zu erkundigen.
Voraussetzungen der Aufenthaltskenntnis
Ein Kind kennt den Aufenthalt seiner Eltern, wenn es weiß, an welchem für ihn bestimmbaren Ort sich seine Eltern oder zumindest ein Elternteil aufhalten. Auf die Kenntnis einer postalischen Adresse oder eines „verstetigten“ Aufenthalts kommt es dagegen nicht an, weil sich seit Einführung des Kindergelds für „alleinstehende Kinder“ im Jahr 1986 die Kommunikationsmöglichkeiten und -gewohnheiten durch Internet und Mobilfunk grundlegend verändert haben. Für die erforderliche Aufenthaltskenntnis genügt es zudem, wenn aus Sicht des Kindes die zumutbare Möglichkeit besteht, innerhalb eines angemessenen Zeitraums Kontakt mit seinen Eltern aufzunehmen. Die Kenntnis fehlt erst, wenn Dauer und Ausmaß der Unkenntnis über den Verbleib der Eltern den endgültigen Verlust der Eltern-Kind-Beziehung wie bei einer Vollwaise befürchten lassen.
Quelle | BSG, Urteil vom 14.12.2023, B 10 KG 1/22 R, PM 46/23
| Ein Versicherungsnehmer, der nach einer verbalen Auseinandersetzung im Straßenverkehr einem anderen, für ihn erkennbar schwerbeschädigten Verkehrsteilnehmer in den Rücken schlägt und diesen dadurch zu Fall bringt, nimmt regelmäßig dessen schwere Gesundheitsbeschädigung in Kauf. Als Folge kann sich sein Haftpflichtversicherer auf einen Leistungsausschluss berufen. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Dresden entschieden. |
Auseinandersetzung im Straßenverkehr
Auseinandersetzungen im Straßenverkehr enden immer häufiger damit, dass ein oder mehrere Beteiligte verletzt werden. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung regelt das nicht unbedingt die Haftpflichtversicherung.
Versicherung darf Leistung verweigern
Der Versicherer ist nämlich nach dem Versicherungsvertragsgesetz (hier: § 103 VVG) nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen Schaden herbeigeführt hat.
Einzelfall entscheidend
Ob die Versicherung tatsächlich leistungsfrei ist, entscheidet sich anhand des jeweiligen Einzelfalls. Dazu muss vorgetragen werden, wie sich der Vorfall ereignete und was genau Auslöser der schadenstiftenden Handlung war. Es ist nämlich ein Unterschied, ob es sich um eine Angriffs- oder Verteidigungshandlung handelte.
Quelle | OLG Dresden, Urteil vom 29.6.2023, 4 U 2626/22
| Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das einen Fluggast im Voraus darüber unterrichtet hat, dass es ihm gegen seinen Willen die Beförderung auf einem Flug verweigern werde, für den er über eine bestätigte Buchung verfügt, muss diesem einen Ausgleich zahlen. Das gilt selbst, wenn er sich nicht unter den in der Fluggastrechteverordnung (hier: Art. 3 Abs. 2 FluggastrechteVO) genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden hat. So sieht es der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). |
Fluggast ohne Information umgebucht
Der EuGH zeigt sich damit – wieder einmal – verbraucherfreundlich. Im konkreten Fall hatte die Fluggesellschaft einen Fluggast umgebucht, ihn aber nicht darüber informiert. Auf seine Rückfrage wurde ihm zugleich mitgeteilt, dass er für den gebuchten Rückflug gesperrt sei, weil er zum umgebuchten Flug nicht erschienen sei. Es sei nicht mehr möglich, den Rückflug anzutreten.
Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung
Der EuGH hat darüber hinaus entschieden, dass dem Fluggast zwar bei Annullierung eines Flugs u. U. kein Ausgleichsanspruch zusteht. Dies gelte aber nicht, wenn ein Fluggast – wie im Fall des EuGH für den Rückflug – mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit darüber unterrichtet wurde, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen ihn gegen seinen Willen nicht befördern werde. Ihm steht dann ein Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung i. S. d. Art. 4 der FluggastrechteVO zu.
Quelle | EuGH, Urteil vom 26.10.2023, C-238/22
| Das Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat der Verfassungsbeschwerde eines verbeamteten Lehrers stattgegeben, die sich gegen eine Durchsuchungsanordnung richtete. |
Das war geschehen
Gegen den Lehrer wurde wegen des Verdachts der Beleidigung von zwei Polizeibeamten ermittelt. Um Informationen über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu erlangen, ordnete das Amtsgericht (AG) an, seine Wohnung zu durchsuchen. Der Lehrer gewährte den die Durchsuchungsanordnung vollziehenden Beamten Eintritt in seine Wohnung und übergab ihnen verschiedene Unterlagen. Das Strafverfahren endete mit einer Einstellung gegen Zahlung einer Geldauflage.
Verletzung von Grundrechten
Die Anordnung der Durchsuchung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach dem Grundgesetz (Art. 13 Abs. 1 GG). Sie war unverhältnismäßig. Angesichts grundrechtsschonender, alternativer Ermittlungshandlungen stand eine Durchsuchung außer Verhältnis zur Schwere der verfolgten Straftat.
Zwar war die Durchsuchung nicht bereits deshalb unzulässig, weil lediglich die Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers ermittelt werden sollten. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft müssen sich nämlich auch auf Umstände beziehen, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind. Dazu zählen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten zwecks Bestimmung der Tagessatzhöhe.
Lehrer hätte zuerst befragt werden müssen
Naheliegend und grundrechtsschonend wäre es gewesen, zunächst den Beschwerdeführer über seinen Verteidiger zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu befragen. Eine solche Nachfrage hätte im Streitfall mit realistischer Wahrscheinlichkeit dazu geführt, ausreichende Informationen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu erlangen. Auch die Gefahr eines Beweismittelverlustes bestand nicht.
Anfrage an Besoldungsstelle als Alternative
Als naheliegende und grundrechtsschonende Alternative zu einer Wohnungsdurchsuchung wäre aber auch eine Anfrage bei der Besoldungsstelle des Beschwerdeführers nach dem von dort bezogenen Einkommen in Betracht gekommen. Durch eine solche Anfrage sind zwar nicht zwingend Informationen zu allen Einkünften zu erlangen. Das Strafgesetzbuch (hier: § 40 Abs. 3 StGB) erfordert aber – zumal in Fällen der kleineren Kriminalität – auch nicht die Ausschöpfung aller Beweismittel, wenn ansonsten die fachrechtlichen Voraussetzungen für eine Schätzung der Einkünfte vorliegen. Durchsuchungen zur Ermittlung der für die Bestimmung der Tagessatzhöhe entscheidenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten sind daher grundsätzlich nur verhältnismäßig, wenn anhand der übrigen zur Verfügung stehenden Beweismittel keine Schätzung möglich ist.
Weitere alternative Anfragen möglich
Hätten sich Staatsanwaltschaft und AG mit den durch die genannten Maßnahmen zu erlangenden Informationen zum Einkommen des Beschwerdeführers nicht begnügen wollen, wären darüber hinaus eine Abfrage bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und anschließende Bankanfragen in Betracht gekommen. Auch insoweit handelt es sich im Vergleich zur angeordneten Durchsuchung um eine meist weniger grundrechtsintensive Maßnahme.
Quelle | BVerfG, Beschluss vom 15.11.2023, 1 BvR 52/23, PM 115/23
| In einem Nachbarschaftsstreit sah das Amtsgericht (AG) München in dem Aufstellen einer Kamera auf dem Nachbargrundstück eine Persönlichkeitsrechtsverletzung und untersagte dies der Antragsgegnerin. |
Überwachungs- oder Wildkamera?
Die Parteien sind unmittelbare Nachbarn in München und stritten über eine im April 2022 auf der Terrasse der Antragsgegnerin aufgestellte Wildüberwachungskamera, die von der Terrasse der Antragstellerin aus sichtbar war. Die Antragstellerin wehrte sich hiergegen unter Verweis auf ihre Persönlichkeitsrechte und forderte die Antragsgegnerin im Juli 2022 u. a. auf, die Videoüberwachung zu beenden und künftig zu unterlassen. Die Antragsgegnerin verweigerte dies mit der Begründung, dass es sich nicht um eine Videoüberwachung, sondern um eine sogenannte Wild-Kamera handeln würde. Es ginge ausschließlich um die Kontrolle des eigenen Gartens.
Kamera musste entfernt werden
Zunächst erließ das AG im einstweiligen Rechtsschutz auf Antrag der Antragstellerin eine einstweilige Verfügung. Danach wurde es dieser untersagt, auf ihrem Grundstück eine Überwachungskamera aufzustellen, die die Terrasse oder den Garten der Antragstellerin erfasst oder erfassen kann oder den Eindruck hiervon erweckt. Anschließend entfernte die Antragsgegnerin die Kamera.
Einstweilige Verfügung war rechtens
Auf Antrag der Antragstellerin bestätigte das AG dann mit einem Urteil die einstweilige Verfügung. Die vormals aufgestellte Kamera habe die Antragstellerin in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Kamera tatsächlich ausschließlich den Bereich der Antragsgegnerin erfasst hat oder nicht. Denn es komme insoweit auf die Umstände des Einzelfalls an. Die Befürchtung, durch vorhandene Überwachungsgeräte überwacht zu werden, sei gerechtfertigt, wenn sie aufgrund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit oder aufgrund objektiv Verdacht erregender Umstände. Lägen solche Umstände vor, könne das Persönlichkeitsrecht des (vermeintlich) Überwachten schon wegen der Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch Videokameras und ähnliche Überwachungsgeräte beeinträchtige hingegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen nicht, die dadurch betroffen sein könnten.
Hypothetische Möglichkeit der Überwachung ausreichend für Beseitigungsanspruch
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs habe die Antragstellerin einen Anspruch auf Beseitigung der Kamera und entsprechende Unterlassung der etwaigen weiteren Installation einer vergleichbaren Kamera. Nach Ansicht der Lichtbilder sei das Gericht der Überzeugung, dass die Antragstellerin zu der Ansicht gelangen konnte, dass ihr Grundstück von der Kamera erfasst werde. Es handelte sich nicht mehr um die rein hypothetische Möglichkeit der Überwachung.
Der Sachverhalt habe sich zwar mittlerweile maßgeblich verändert, da die Kamera entfernt worden sei. Weiterhin habe die Antragsgegnerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass sie nicht die Absicht habe, eine weitere Kamera aufzustellen. Dieser Umstand allein kann aber nicht ausreichen, eine Wiederholungsgefahr aufzuheben.
Quelle | AG München, Urteil vom 1.2.2023, 171 C 11188/22, PM 43/23
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über die Frage entschieden, ob ein Anspruch des Mieters auf Gestattung der Gebrauchsüberlassung an einen Dritten (Untervermietung) auch im Fall einer Einzimmerwohnung gegeben sein kann. Er hat den Anspruch des Mieters bestätigt. |
Das war geschehen
Der Mieter einer in Berlin gelegenen Einzimmerwohnung bat mit Schreiben von März 2021 seinen Vermieter wegen eines beruflichen Auslandsaufenthalts um die Gestattung der Untervermietung an eine namentlich benannte Person vom 15.6.2021 bis zum 30.11.2022. Die Vermieter lehnten dies ab.
Mit der im Mai 2021 erhobenen, auf die Erlaubnis der Untervermietung „eines Teils der Wohnung“ an den bezeichneten Untermieter gerichteten Klage hat der Mieter vorgetragen, er wolle für die Dauer seiner berufsbedingten Abwesenheit einen Teil der Wohnung an die benannte Person untervermieten, jedoch persönliche Gegenstände weiter in der Wohnung lagern. Während seines Auslandaufenthalts lagere er seine in der (untervermieteten) Wohnung verbliebenen persönlichen Gegenstände dort in einem Schrank und einer Kommode sowie in einem am Ende des Flurs gelegenen, durch einen Vorhang abgetrennten, nur von ihm zu nutzenden Bereich von der Größe eines Quadratmeters. Ferner blieb er im Besitz eines Wohnungsschlüssels.
Die Klage hatte beim Amtsgericht (AG) keinen Erfolg. Auf die Berufung des Mieters hat das Landgericht (LG) die Vermieter antragsgemäß verurteilt, die Untervermietung „eines Teils der Wohnung“ an die vom Mieter benannte Person zu gestatten. Mit der Revision begehren die Vermieter die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
So entschied der Bundesgerichtshof
Die Revision der Vermieter hatte keinen Erfolg. Der BGH hat entschieden, dass dem Mieter ein Anspruch auf Gestattung der befristeten, teilweisen Gebrauchsüberlassung an den von ihm benannten Dritten zusteht.
Wie der Senat in der Vergangenheit bereits (zu Wohnungen mit mehreren Zimmern) entschieden hat, stellt das Bürgerliche Gesetzbuch (hier: § 553 Abs. 1 BGB) weder quantitative Vorgaben hinsichtlich des beim Mieter verbleibenden Anteils des Wohnraums noch qualitative Anforderungen bezüglich dessen weiterer Nutzung durch den Mieter auf. Von einer Überlassung eines Teils des Wohnraums an einen Dritten im Sinne des § 553 Abs. 1 BGB ist daher regelmäßig bereits auszugehen, wenn der Mieter den Gewahrsam an dem Wohnraum nicht vollständig aufgibt.
Danach kann ein Anspruch des Mieters gegen den Vermieter auf Gestattung der Gebrauchsüberlassung an einen Dritten auch bei einer Einzimmerwohnung gegeben sein. Ein Ausschluss von Einzimmerwohnungen aus dem Anwendungsbereich des § 553 Abs. 1 BGB ergibt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut, der Gesetzesgeschichte noch aus dem mieterschützenden Zweck der Vorschrift. Letzterer liefe für Mieter einer Einzimmerwohnung andernfalls gänzlich leer. Sachgerechte Gründe dafür, solche Mieter insoweit als weniger schutzwürdig anzusehen als Mieter einer Mehrzimmerwohnung, erschließen sich indes nicht, denn auch dem Mieter einer Einzimmerwohnung kann es, namentlich bei – wie hier – befristeter Abwesenheit, darum gehen, sich den Wohnraum zu erhalten.
Die Beurteilung des LG, dass der Mieter dem Untermieter die Einzimmerwohnung nur teilweise überlassen wollte, ist laut BGH nicht zu beanstanden. Der Mieter hat seinen Gewahrsam an der Wohnung nicht vollständig aufgegeben. Denn er hat persönliche Gegenstände in der Wohnung in Bereichen zurückgelassen, die seiner alleinigen Nutzung vorbehalten waren, und sich den Zugriff hierauf zudem durch Zurückbehaltung eines Wohnungsschlüssels gesichert. Hinzu tritt der Wille des Mieters, die Wohnung nur für die Zeit seines Auslandsaufenthalts teilweise einem Dritten zu überlassen.
Quelle | BGH, Urteil vom 13.9.2023, VIII ZR 109/22, PM 158/2023 vom 14.9.2023
| Eine Grabbeigabe (Goldkette und Eheringe) durch den Testamentsvollstrecker ist auch bei einer Auswirkung auf ein Vermächtnis nicht grob pflichtwidrig. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. |
Testamentsvollstrecker kam Wunsch der Erblasserin nach
Die Erblasserin errichtete mit ihrem verstorbenen Ehemann ein gemeinschaftliches Testament. Sie setzten unter anderem ihre gemeinsamen Kinder, die Beteiligten zu 1) bis 3), als Erben zu gleichen Teilen ein und vermachten der Beteiligten zu 3) vorab den Schmuck der Erblasserin. Später ordnete die Erblasserin in einer notariellen Ergänzung Testamentsvollstreckung an und bestimmte den Beteiligten zu 2) zum Testamentsvollstrecker.
Der Beteiligte zu 2) legte der Erblasserin – seiner Behauptung zufolge auf deren Wunsch – die Eheringe der Erblasserin und ihres Ehemannes an einer Goldkette mit ins Grab, obwohl sich die Beteiligten zu 1)und zu 3) mit der Grabbeigabe der Goldkette zuvor nicht einverstanden erklärt hatten. Dies veranlasste den Beteiligten zu 1), die Entlassung des Beteiligten zu 2) aus dem Amt des Testamentsvollstreckers zu beantragen. Das Nachlassgericht hat den Antrag nach Vernehmung verschiedener Zeugen zurückgewiesen.
So sah es das Oberlandesgericht
Die hiergegen eingelegte Beschwerde hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Ein Testamentsvollstrecker begeht keine grobe Pflichtverletzung, sofern er die Eheringe und eine Kette der Erblasserin auf deren Wunsch ihr mit ins Grab legt, auch wenn er dadurch einem angeordneten Vermächtnis teilweise nicht nachkommen kann. Das OLG hat die Beschwerde einer Tochter der Erblasserin zurückgewiesen.
Zu Recht habe das Amtsgericht (AG) eine als grob zu wertende Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers verneint. Es fehle bereits an dem Nachweis einer Pflichtverletzung. Der Beteiligte zu 1) habe nicht nachweisen können, dass die Grabbeilage nicht auf Wunsch der Erblasserin erfolgt sei. Die Erblasserin sei nicht gehindert gewesen, noch zu ihren Lebzeiten einer Vertrauensperson den rechtsverbindlichen Auftrag zu erteilen, die Goldkette nebst den Eheringen nach ihrem Tod als Grabbeigabe zu verwenden. Dieser insoweit als gegeben zu unterstellende geäußerte Wunsch der Erblasserin sei als – wirksamer – Auftrag zu deren Lebzeiten an den Beteiligten zu 2) zu verstehen. Diesen Auftrag hätten allenfalls alle drei Erben widerrufen können. Dies sei nicht geschehen.
Es lag eine Pflichtenkollision vor
Die aus dem Vermächtnis einerseits und dem Auftrag der Erblasserin andererseits resultierende Pflichtenkollision habe der Testamentsvollstrecker zugunsten einer Grabbeigabe entscheiden können, ohne dass dies als objektiv pflichtwidriger Verstoß gegen die Pflichten als Testamentsvollstrecker zu werten ist. Darüber hinaus sei selbst eine unterstellte Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers nicht schwerwiegend.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 19.12.2023, 21 W 120/23, PM 77/23
| Der Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Wohngebäudes an der Grundstücksgrenze fehlt es an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse, wenn eine Baulast im Baulastenverzeichnis eingetragen ist, die für den Grenzbereich die Freihaltung von jeglicher Bebauung regelt. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Mainz. |
Baulast seit 40 Jahren eingetragen
Die Klägerin stellte einen Bauantrag zur Errichtung eines Wohngebäudes an der Grenze zum Nachbargrundstück. Im Baulastenverzeichnis ist seit mehr als 40 Jahren eine Baulast eingetragen, nach der das Baugrundstück der Klägerin in der Länge eines (seinerzeit geplanten und genehmigten) Anbaus an ein Wohngebäude auf dem Nachbargrundstück und in einer Breite von drei Metern von jeglicher Bebauung freizuhalten ist.
Unter Hinweis auf diese Baulastregelung lehnte der Beklagte, die Baugenehmigungsbehörde, den im vereinfachten Genehmigungsverfahren gestellten Bauantrag ab. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage, mit der sie u. a. die Erteilung der Baugenehmigung beanspruchte. Sie machte im Wesentlichen geltend, die Baulast sei hinsichtlich der Länge der freizuhaltenden Fläche unbestimmt und deshalb unwirksam. Jedenfalls sei die Baulast in dem Baulastenverzeichnis zu löschen, weil zwischenzeitlich in der Umgebung nahezu auf allen Grundstücken grenzständige Bauten entstanden seien. Das VG wies die Klage ab.
Kein Rechtsschutzbedürfnis gegeben
Es fehle der Klage an einem sog. Rechtsschutzinteresse. Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren sei der Prüfungsumfang der Bauaufsichtsbehörde gesetzlich beschränkt. So seien Vorschriften nach der Landesbauordnung grundsätzlich nicht zu prüfen. Dementsprechend blieben auch eingetragene Baulasten generell unberücksichtigt.
Baulast war unmissverständlich
Gleichwohl sei die Baubehörde im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht verpflichtet, bauordnungsrechtliche Fragen gänzlich auszublenden. So dürfe sie im vereinfachten Verfahren die Erteilung einer Baugenehmigung versagen, wenn das Bauvorhaben offensichtlich gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften verstoße und deshalb nicht verwirklicht werden könne. So sei es hier. Die in Rede stehende Baulast enthalte die unmissverständliche Aussage, dass der Grenzbereich auf dem Klägergrundstück, auf dem das geplante Wohngebäude zu stehen kommen solle, von jeglicher Bebauung freizuhalten sei. Unter verständiger objektiver Würdigung sei auch bestimmbar, in welcher Länge das Bauverbot gelte: Diese ergebe sich aus den seinerzeitigen Baugenehmigungsunterlagen zu dem Nachbaranbau. Sei eine Baulast in das Baulastenverzeichnis eingetragen, entfalte sie ihre Wirksamkeit. Sie sei – anders als bei einer hier nicht gegebenen Nichtigkeit – nicht ständig auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen.
Bauantragsteller muss handeln
Erst im Fall der Eintragung eines (allerdings in einem eigenem Verwaltungsverfahren nach Wegfall eines öffentlichen Interesses durch die Bauaufsichtsbehörde auszusprechenden) Verzichts auf die Baulast entfalle ihre Wirksamkeit. Es sei Sache des Bauantragstellers, ein solches Verzichtsverfahren (ggf. nach zivilrechtlicher Abklärung von Nachbarrechtspositionen) anzustoßen. Die Baugenehmigungsbehörde sei indes nicht verpflichtet, mit der Bescheidung eines Bauantrags zuzuwarten, bis der Erteilung der Baugenehmigung entgegenstehende Hindernisse ausgeräumt seien.
Quelle | VG Mainz, Urteil vom 6.12.2023, 3 K 47/23.MZ, PM 2/24
| Die Naturschutzbehörden sind grundsätzlich befugt, gegenüber Betreibern bestandskräftig genehmigter Windenergieanlagen nachträgliche Anordnungen zur Verhinderung von Verstößen gegen das artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsverbot gemäß des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) zu treffen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage nach Genehmigungserteilung wesentlich geändert hat. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden. |
Zeitweise Abschaltung der Anlage
Die Klägerin wendet sich gegen nachträgliche zeitliche Beschränkungen des Betriebs ihrer bestandskräftig genehmigten Windenergieanlagen, die die Beklagte gestützt aus Gründen des Fledermausschutzes angeordnet hat. Die im Jahr 2006 erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung enthält keine Betriebsbeschränkungen zum Schutz von Fledermäusen. Nachdem später Totfunde verschiedener Fledermausarten im Bereich der Anlagen gemeldet und Bestandserfassungen zu Fledermäusen angestellt worden waren, verfügte die Beklagte unter näheren Maßgaben zu meteorologischen Rahmenbedingungen eine nächtliche Abschaltung der Anlagen vom 15. April bis zum 31. August eines Jahres. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen.
Wenn sich die Sach-oder Rechtslage ändert, sind nachträgliche Anordnungen möglich
Das BVerwG hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Eine bestandskräftige immissionsschutzrechtliche Genehmigung steht nachträglichen artenschutzrechtlichen Anordnungen auf der gesetzlichen Grundlage (hier: § 3 Abs. 2 BNatSchG) nicht generell entgegen. Das BNatSchG (§ 44 Abs. 1 Nr. 1) begründet eine unmittelbare und dauerhafte Verhaltenspflicht, die auch bei Errichtung und Betrieb immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Windenergieanlagen zu beachten ist.
Zwar ist aufgrund der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung der Anlagenbetrieb auch als rechtmäßig anzusehen. Das gilt aber nur in den Grenzen der auf den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung bezogenen Feststellungswirkung der Genehmigung, wonach die genehmigte Anlage mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar ist. Aufgrund der Anknüpfung an den Genehmigungszeitpunkt erstreckt sich diese Feststellungswirkung nicht auf nachträgliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage, wie im vorliegenden Fall. Die streitige Anordnung bewirkt auch keine – der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörde vorbehaltene – (Teil-)Aufhebung der Genehmigung.
Es war rechtlich auch einwandfrei, so das BVerwG, dass das OVG hier einen Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG bejaht hat, weil durch den Betrieb der Windenergieanlagen das Tötungs- und Verletzungsrisiko von Exemplaren der besonders geschützten Fledermausarten signifikant erhöht sei.
Quelle | BVerwG, Urteil vom 19.12.2023, 7 C 4.22, PM 95/23
| Stiehlt ein Polizist nach einem Verkehrsunfall Käse, ist er aus dem Dienst zu entfernen. So entschied es das Verwaltungsgericht (VG) Trier. |
Das war geschehen
Ein Lkw hatte einen Unfall. Der Polizeibeamte, der eine Uniform und eine Dienstwaffe trug, verlangte von der Bergungsfirma, aus der verunfallten Ladung neun unbeschädigte Packungen Käse herauszugeben. So geschah es. Diese Pakete verlud der Polizist mit einer Kollegin in einen Einsatzbus und deckte sie ab. U. a. ein knappes Viertel des Käses fand sich später in der Polizeistation des Beamten. Seine Erklärung: Der Gutachter der Versicherung habe den Käse freigegeben. Es habe sich quasi um Müll gehandelt. Was er verschwieg: Der Käse wurde später noch zum Restwert verkauft.
Verwaltungsgericht „kennt keine Gnade“
Der Polizist kam zwar vor dem Strafgericht „mit einem blauen Auge“ davon. Das VG, bei dem es um disziplinarische Maßnahmen gegen den Beamten ging, entfernte ihn aus dem Dienst. Er habe während der Dienstzeit in Uniform einen Diebstahl mit Waffen begangen. Das VG verhängte daher die Höchstmaßnahme. Das VG betonte: Einem Polizisten, der in Uniform stiehlt, könne man nicht mehr glauben, dass er sich an Recht und Gesetz hält.
Das VG bewertete es als besonders negativ, dass der Beamte das Vertrauen in die Polizei ausgenutzt hatte, indem er der Bergungsfirma falsche Tatsachen vorgespiegelt hatte. Hinzu kamen Lügen gegenüber seinen Vorgesetzten. Unerheblich sei es, falls der Käse nur als Geschenk an Kollegen dienen sollte.
Quelle | VG Trier, Urteil vom 18.1.2024, 3 K 1752/23 TR
| Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern hat jetzt klargestellt: Beschreibt der Arbeitgeber das Arbeitsumfeld als „jung und dynamisch“, bezieht sich dies auf den Arbeitsplatz. Es wird kein Bewerber wegen seines Alters ausgeschlossen.|
Ein Tankstellenpächter suchte in einem Zeitungsinserat wie folgt nach einem neuen Mitarbeiter: „Wir sind ein junges und dynamisches Team mit Benzin im Blut und suchen Verstärkung.“ Anschließend folgten Einzelheiten zu Anforderungen und Gehalt. Die konkreten Arbeitsbedingungen wurden beschrieben. Der 50-jährige Kläger bewarb sich erfolglos. Eingestellt wurde ein 48-jähriger Mann. Der Kläger forderte eine Entschädigung. Die Stellenanzeige enthalte eine Altersdiskriminierung. Damit scheiterte er in erster und zweiter Instanz.
Das LAG stellte fest: Das Inserat formulierte keine Anforderungen, die den Kläger wegen seines Alters von einer Bewerbung hätte abhalten sollen. Hier lag vielmehr eine werbende Eigendarstellung vor. Es handele sich um eine überspitzte, ironische, nicht ernsthaft gemeinte, in der Form eines Werbeslogans gehaltene Beschreibung des Arbeitsumfeldes. Das LAG: Einzelne Begriffe, z. B. „jung“, herauszupicken und auf sich selbst zu beziehen, sei nicht zulässig, zumal die konkreten Anforderungen an die Bewerber im Inserat deutlich beschrieben wurden.
Quelle | LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 17.10.2023, 2 Sa 61/23
| Der Kläger war seit dem 1.7.2018 als Rezeptionist in einem Beherbergungsbetrieb tätig und regelmäßig in der Spätschicht eingesetzt. Er hatte am 12.1.2022 sein Hybridauto vor der Herberge geparkt und über ein Ladekabel an einer 220 Volt-Steckdose im Flur des Seminartrakts aufgeladen. Nachdem die Beklagte dies entdeckt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis am 14.1.2022 fristlos. Hiergegen hatte der Kläger sich mit seiner Kündigungsschutzklage gewandt und in erster Instanz obsiegt. In dem vom Arbeitgeber angestrengten Berufungsverfahren haben die Parteien ihren Streit vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf nun per Vergleich beigelegt. |
Unerlaubtes Laden an sich ein Kündigungsgrund
In der mündlichen Verhandlung bestätigte das LAG, dass das unerlaubte Laden des Privatfahrzeugs auf Kosten des Arbeitgebers an sich ein Kündigungsgrund ist. Dies gilt erst recht, wenn das Laden an einer 220 Volt-Steckdose und nicht an einer Wallbox oder eingerichteten Ladestation erfolgt.
Erteilte Erlaubnis war unklar
Das LAG hatte allerdings bereits Zweifel, ob von einem unerlaubten Laden auszugehen sei. Dazu hätte ggf. die Beweisaufnahme erster Instanz zur Frage der gegenüber dem Kläger erteilten Erlaubnis wiederholt werden müssen.
Hier hätte Abmahnung ausgereicht
Unabhängig davon sprach nach Ansicht des LAG mehr dafür, dass hier eine Abmahnung ausgereicht hätte. Eine Kündigung wäre wohl unverhältnismäßig gewesen.
„Schaden“ von rund 40 Cent
So lagen die Kosten für den Ladevorgang am 12.1.2022 bei lediglich 0,4076 Euro. Ein Verbot zum Laden von Elektromotoren für die Mitarbeitenden existierte nicht. Die Hausordnung, die dies vorsah, richtete sich ausdrücklich nur an Gäste. Das Laden anderer elektronischer Geräte, z. B. Handys, durch Mitarbeitende wurde geduldet. Auch wenn dies wertungsmäßig etwas anderes als das Laden eines Hybridautos ist, hätte im konkreten Fall angesichts der bislang beanstandungsfreien Beschäftigungszeit eine Abmahnung genügt.
Am Ende verglichen sich die Parteien
Auf Vorschlag des Gerichts haben sich die Parteien u. a. auf eine ordentliche Kündigung zum 28.2.2022 und eine Abfindung von 8.000 Euro brutto geeinigt.
Quelle | LAG Düsseldorf, Vergleich vom 19.12.2023, 8 Sa 244/23, PM 32/23
| Der Beweiswert von (Folge-)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann erschüttert sein, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen, und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun klargestellt. |
War der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert?
Der Kläger war seit März 2021 als Helfer bei der Beklagten beschäftigt. Er legte am Montag, dem 2.5.2022, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 2. bis zum 6.5.2022 vor. Anfang Mai kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.5.2022. Mit Folgebescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 wurde Arbeitsunfähigkeit bis zum 20.5.2022 und bis zum 31.5.2022 (einem Dienstag) bescheinigt. Ab dem 1.6.2022 war der Kläger wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung auf. Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Beweiswert der vorgelegten AU-Bescheinigungen sei erschüttert. Dem widersprach der Kläger, weil die Arbeitsunfähigkeit bereits vor dem Zugang der Kündigung bestanden habe. Die Vorinstanzen haben der auf Entgeltfortzahlung gerichteten Klage für die Zeit vom 1. bis zum 31.5.2022 stattgegeben.
Gesetzliches Beweismittel
Die Revision der Beklagten hatte teilweise – bezogen auf den Zeitraum vom 7. bis zum 31.5.2022 – Erfolg. Ein Arbeitnehmer kann die von ihm behauptete Arbeitsunfähigkeit mit ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachweisen. Diese sind das gesetzlich vorgesehene Beweismittel.
Arbeitgeber kann Beweiswert erschüttern
Deren Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die nach einer Gesamtbetrachtung Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geben. Hiervon ausgehend ist das Landesarbeitsgericht (LAG) bei der Prüfung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die während einer laufenden Kündigungsfrist ausgestellt werden, zutreffend davon ausgegangen, dass für die Erschütterung des Beweiswerts dieser Bescheinigungen nicht entscheidend ist, ob es sich um eine Kündigung des Arbeitnehmers oder eine Kündigung des Arbeitgebers handelt und ob für den Beweis der Arbeitsunfähigkeit eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden.
Einzelfall ist zu würdigen
Stets erforderlich ist allerdings eine einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände. Hiernach hat das Berufungsgericht richtig erkannt, dass der Beweiswert für die Bescheinigung vom 2.5.2022 nicht erschüttert ist. Eine zeitliche Koinzidenz zwischen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und dem Zugang der Kündigung ist nicht gegeben. Der Kläger hatte zum Zeitpunkt der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine Kenntnis von der beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses, etwa durch eine Anhörung des Betriebsrats. Weitere Umstände hat die Beklagte nicht dargelegt. Bezüglich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 ist der Beweiswert dagegen erschüttert. Das LAG hatte insoweit nicht ausreichend berücksichtigt, dass zwischen der in den Folgebescheinigungen festgestellten passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestand und der Kläger unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen hat. Dies hat zur Folge, dass der Kläger nun für die Zeit vom 7.5.bis zum 31.5.2022 die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch trägt.
Da das LAG – aus seiner Sicht konsequent – hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückzuverweisen.
Quelle | BAG, Urteil vom 13.12.2023, 5 AZ R 137/23, PM 45/23
Steuerrecht
| Der Bundesfinanzhof hat entschieden: Kostenerstattungen eines kirchlichen Arbeitgebers an seine Beschäftigten für die Erteilung erweiterter Führungszeugnisse, zu deren Einholung der Arbeitgeber zum Zwecke der Prävention gegen sexualisierte Gewalt kirchenrechtlich verpflichtet ist, führen nicht zu Arbeitslohn. |
Die Einholung der erweiterten Führungszeugnisse durch die Arbeitnehmer erfolgte aufgrund einer nur die kirchlichen Rechtsträger, nicht aber die Arbeitnehmer treffenden (kirchenrechtlichen) Verpflichtung.
Durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasste, zu Lohn führende Zuwendungen erbringt der Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern aber regelmäßig nicht, wenn er ausschließlich eine eigene, insbesondere nicht gegenüber den Arbeitnehmern bestehende Verpflichtung erfüllt.
Die zur Erfüllung einer entsprechenden Verpflichtung entstehenden Kosten wendet der Arbeitgeber in einer solchen Konstellation im eigenen Interesse auf. Sie sind Ausfluss seiner eigenbetrieblichen Tätigkeit.
Beachten Sie | Haben die Arbeitnehmer die vom Arbeitgeber für dessen eigenbetriebliche Tätigkeit zu tragenden Kosten (wie im Streitfall) zunächst aus eigenen Mitteln verauslagt, wendet der Arbeitgeber ihnen mit der Erstattung ihrer Aufwendungen keinen Vorteil zu, der sich im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweisen könnte.
Quelle | BFH, Urteil vom 8.2.2024, IV R 19/22
| Nach dem neuen Partnerschaftsgesetz (hier: § 2 Abs. 1 PartGG), das am 1.1.2024 in Kraft getreten ist, muss der Name der Partnerschaft nur noch den Zusatz „und Partner“ oder „Partnerschaft“ enthalten. Die Aufnahme des Namens mindestens eines Partners ist nicht mehr erforderlich. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Der Zwang zur Benennung mindestens eines Partners ist zum Jahreswechsel entfallen. Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass die grundsätzlich zu schützende Vertrauensbeziehung zwischen Freiberufler und Auftraggeber es jedenfalls aus gesellschaftsrechtlicher Sicht nicht erfordert, dass der Name der Partnerschaftsgesellschaft den Namen mindestens eines Partners enthalten muss. Hinzu kommt, dass die Identifizierung der Partnerschaftsgesellschaft mit dem Namen der Partner weitgehend an Bedeutung verloren hat.
Quelle | BGH, Beschluss vom 6.2.2024, II ZB 23/22
| Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken bestätigte, dass in einer Tageszeitung anlässlich einer damals anstehenden Neuwahl des Ortsvorstehers zulässig über die erstinstanzliche strafrechtliche Verurteilung eines lokalen Bauunternehmers berichtet worden sei, der mit zwei der Kandidaten verwandt ist. |
Das war geschehen
Eine große pfälzische Tageszeitung berichtete in ihrer Online-Ausgabe vom 30.6.2023 und in ihrer Print-Ausgabe vom 1.7.2023 über die damals anstehende Neuwahl eines Ortsvorstehers. Diese war notwendig geworden, weil der bisherige Ortsvorsteher nach diversen Anfeindungen zurückgetreten war.
Im Artikel wurden die drei Kandidaten vorgestellt und dabei erwähnt, dass zwei der Kandidaten mit einem lokalen Bauunternehmer und Landwirt verwandt seien, dem Anwohner vorwerfen, für den stark angestiegenen Lkw-Verkehr im Ort verantwortlich zu sein. Dabei wurde auch berichtet, dass der Bauunternehmer erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung u. a. wegen Beleidigung, Nötigung, Bedrohung und versuchter gefährlicher Körperverletzung von Anwohnern verurteilt worden sei.
Auf eine Abmahnung des Bauunternehmers hin schwärzte die Zeitung das E-Paper und ergänzte den Online-Beitrag um den Hinweis, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig sei. Der Bauunternehmer verlangte hierauf im gerichtlichen Eilverfahren den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Zeitung, wonach sie den ihn betreffenden Bericht unterlassen sollte. Das Landgericht (LG) wies den Antrag zurück. Hiergegen hat der Bauunternehmer sofortige Beschwerde eingelegt. Diese wies das OLG zurück.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG begründete seine Entscheidung damit, dass es schon an der erforderlichen Eilbedürftigkeit für das beschrittene gerichtliche Eilverfahren fehle. Der Bauunternehmer habe mehr als fünf Wochen mit seinem Antrag gewartet und die Zeitung habe den Online-Artikel um den Zusatz, wonach das strafrechtliche Urteil noch nicht rechtskräftig sei, bereits ergänzt.
Zulässige Verdachtsberichterstattung
Unabhängig davon handele es sich um eine zulässige Verdachtsberichterstattung. Zwar könnten anhand der im Artikel genannten Einzelinformationen zumindest die Einwohner des betroffenen Ortsteils den Bauunternehmer identifizieren. Der Bericht beruhe aber auf wahren Tatsachen, nämlich die tatsächliche Verurteilung des Bauunternehmers. Außerdem werde zumindest durch den Zusatz klar, dass die Verurteilung auch noch nicht rechtskräftig sei.
Persönlichkeitsrecht vs. Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit
Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Bauunternehmers stehe nicht außer Verhältnis zum Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Es gehöre gerade zu den Aufgaben der Presse, in Zusammenhang mit demokratischen Prozessen zu berichten. Hierzu gehöre auch die Berichterstattung über den Hintergrund der Kandidaten, insbesondere deren verwandtschaftliche Beziehungen, da diese möglicherweise Einfluss auf zukünftige Entscheidungen der Kandidaten haben könnten. Sowohl der erhöhte Lkw-Verkehr im Ort, als auch die erstinstanzlich abgeurteilten Straftaten des Antragstellers zulasten der Anwohner seien von lokalem Interesse.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.10.2023, 4 W 23/23, PM vom 11.3.2024
| Die Nutzung eines Bootes als schwimmende Bar auf der Havel muss nach einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin umgehend beendet werden. |
Boot = bauliche Anlage?
Der Antragsteller ist Eigentümer eines Bootes, das er überwiegend an Dritte vermietet, im Sommer aber an drei Tagen am Wochenende zum Ausschank von Getränken an Gäste nutzt. Die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt forderte ihn im August 2023 sofort vollziehbar auf, die schwimmende Bar innerhalb einer Woche ab Zugang der Anordnung „zu beseitigen“. Zur Begründung führte die Behörde im Wesentlichen aus, die auf einer Plattform betriebene Bar sei nach dem Berliner Wassergesetz genehmigungsbedürftig; eine Genehmigung werde aber nicht erteilt.
Der Antragsteller hat um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er meint, bei seinem Boot handele es sich weder um eine bauliche Anlage im Wasser noch um eine schwimmende Plattform, sondern um ein zugelassenes Sportboot. Es werde wegen der Vermietung an Dritte auch nicht vorwiegend stationär genutzt.
Während der Woche Sportboot, an Wochenenden Anlage im Gewässer
Das VG hat die Rechtmäßigkeit der Anordnung überwiegend bestätigt. Bei der schwimmenden Bar handele es sich um eine nicht genehmigte Anlage, deren Beseitigung die Wasserbehörde nach dem Berliner Wassergesetz habe anordnen dürfen. Auch wenn das Boot während der Woche als Sportboot einzustufen sei, führe seine wiederkehrende stationäre Nutzung als schwimmende Bar in der Sommersaison von Freitagabend bis Sonntag dazu, dass es in diesem Zeitraum als Anlage im Gewässer einzustufen sei. Diese Nutzung überschreite qualitativ die Grenze der gemeinverträglichen Nutzung des Gewässers und stelle sich damit wie eine Sondernutzung dar.
Strenger Maßstab war anzulegen
Wegen der besonderen Bedeutung, die dem Wasser für die Allgemeinheit wie für den Einzelnen zukomme und mit Rücksicht darauf, dass das Wasser und der Wasserhaushalt gegenüber Verunreinigungen und sonstigen nachteiligen Einwirkungen in besonderer Weise anfällig sei, sei ein strenger Maßstab gerechtfertigt. Daher könne der Antragsteller auch keine Sondernutzungserlaubnis beanspruchen.
Das VG beanstandete den Bescheid allerdings hinsichtlich der zur Durchsetzung der Verfügung angedrohten Ersatzvornahme, da nur der Antragsteller selbst die stationäre Nutzung unterlassen könne und es sich somit um eine unvertretbare Handlung handele.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 19.1.2024, VG 10 L 419.23, PM 4/24
| Prozesskosten zur Erlangung nachehelichen Unterhalts sind privat veranlasste Aufwendungen und keine (vorweggenommenen) Werbungskosten bei den späteren Unterhaltseinkünften i. S. des Einkommensteuergesetzes (hier: § 22 Nr. 1 a EStG). Mit dieser Entscheidung hat der Bundesfinanzhof (BFH) der anderslautenden Sichtweise des Finanzgerichts (FG) Münster (Vorinstanz) widersprochen. |
Hintergrund: Beim begrenzten Realsplitting kann der Unterhaltsverpflichtete die Unterhaltszahlungen bis zu 13.805 Euro im Jahr (zuzüglich der aufgewandten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung als Basisversorgung) als Sonderausgaben abziehen. Dies bedarf allerdings der Zustimmung des Unterhaltsberechtigten, der die Unterhaltszahlungen seinerseits als sonstige Einkünfte versteuern muss.
Erst durch den Antrag und die Zustimmung werden Unterhaltsleistungen in den steuerrelevanten Bereich überführt. Die Umqualifizierung markiert die zeitliche Grenze für das Vorliegen abzugsfähiger Erwerbsaufwendungen; zuvor verursachte Aufwendungen des Unterhaltsempfängers stellen keine Werbungskosten dar.
Beachten Sie | Der BFH hat den Streitfall an das FG Münster zurückverwiesen. Dieses muss nun klären, ob ggf. außergewöhnliche Belastungen vorliegen. Es besteht zwar ein Abzugsverbot für Prozesskosten (§ 33 Abs. 2 S. 4 EStG). Dieses greift aber nicht, wenn die Existenzgrundlage oder lebensnotwendige Bedürfnisse des Steuerpflichtigen betroffen sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 18.10.2023, X R 7/20
| Nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die pauschale Besteuerung (Steuersatz i. H. von 25 %) für Betriebsveranstaltungen auch für Veranstaltungen zulässig, die nicht allen Betriebsangehörigen offenstehen. Nicht so erfreulich ist dagegen ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG), wonach die verspätete Pauschalbesteuerung nicht zur Beitragsfreiheit in der Sozialversicherung führt. |
Hintergrund: Zuwendungen des Arbeitgebers an seinen Arbeitnehmer und dessen Begleitpersonen anlässlich von Veranstaltungen auf betrieblicher Ebene mit gesellschaftlichem Charakter (Betriebsveranstaltung) führen gemäß Einkommensteuergesetz (hier: § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 1 EStG) zu Arbeitslohn.
Soweit die Zuwendungen den Betrag von 110 Euro je Betriebsveranstaltung und teilnehmendem Arbeitnehmer nicht übersteigen, gehören sie jedoch nicht zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, wenn die Teilnahme allen Angehörigen des Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. Dies gilt für bis zu zwei Betriebsveranstaltungen jährlich (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 3 und S. 4 EStG).
Urteil des Bundesfinanzhofs
Ungeklärt war bislang die Frage, ob eine„Betriebsveranstaltung“ auch bei einem geschlossenen Kreis (beispielsweise Vorstands- und Führungskräfte feiern) vorliegt.
Beachten Sie | In diesen Fällen kann zwar kein Freibetrag i. H. von 110 Euro gewährt werden, aber es wäre eine Lohnsteuerpauschalierung (nach § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) mit 25 % möglich.
Auch bei eingeschränktem Kreis: Betriebsveranstaltung
Diese Frage hat der BFH – im Gegensatz zur Vorinstanz – nun zugunsten der Steuerpflichtigen entschieden. Nach der ab dem Veranlagungszeitraum 2015 geltenden Definition im Einkommensteuergesetz (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 1 EStG) kann eine Betriebsveranstaltung auch vorliegen, wenn sie nicht allen Angehörigen eines Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. Und da diese Definition dem Tatbestandsmerkmal „Betriebsveranstaltung“ (gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) entspricht, ist eine pauschale Besteuerung möglich.
Urteil des Bundessozialgerichts
Im Streitfall des BSG ging es auch um Betriebsveranstaltungen – und zwar um die Frage, welche Folgen eine verspätete Lohnsteuerpauschalierung für die Sozialversicherung hat.
Das war geschehen
Ein Unternehmen feierte mit seinen Beschäftigten am 5.9.2015 ein Firmenjubiläum. Am 31.3.2016 zahlte es für September 2015 auf einen Betrag von rund 163.000 Euro die für 162 Arbeitnehmer angemeldete Pauschalsteuer. Nach einer Betriebsprüfung forderte der Rentenversicherungsträger von dem Unternehmen Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen in Höhe von rund 60.000 Euro nach – und zwar zu Recht, wie das BSG entschieden hat (die gegenteiligen Entscheidungen der Vorinstanzen wurden aufgehoben).
Aufwendungen von mehr als 110 Euro je Beschäftigten für eine betriebliche Jubiläumsfeier sind als geldwerter Vorteil in der Sozialversicherung beitragspflichtig, wenn sie nicht mit der Entgeltabrechnung, sondern erst erheblich später pauschal versteuert werden.
Pauschalversteuerung erfolgte zu spät
Es kommt entscheidend darauf an, dass die pauschale Besteuerung „mit der Entgeltabrechnung für den jeweiligen Abrechnungszeitraum“ erfolgt. Dies wäre im konkreten Fall die Entgeltabrechnung für September 2015 gewesen. Tatsächlich wurde die Pauschalbesteuerung aber erst Ende März 2016 durchgeführt und damit sogar nach dem Zeitpunkt, zu dem die Lohnsteuerbescheinigung für das Vorjahr übermittelt werden musste.
Beachten Sie | Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung vertreten im Besprechungsergebnis vom 20.4.2016 (TOP 5) die Auffassung, dass eine nachträgliche Pauschalbesteuerung nur bis zur Erstellung der Lohnsteuerbescheinigung geltend gemacht werden kann, also längstens bis zum 28.2. des Folgejahrs. Dem hat sich das BSG nun im Ergebnis angeschlossen.
Quelle | BFH, Urteil vom 27.3.2024, VI R 5/22; BSG, Urteil vom 23.4.2024, B 12 BA 3/22 R Abruf-Nr. 241172 unter www.iww.de, PM Nr. 15/24 vom 23.4.2024; Spitzenorganisationen der Sozialversicherung, Besprechungsergebnis vom 20.4.2016, TOP 5
| Aufwendungen einer gesunden Steuerpflichtigen für eine durch eine Krankheit des Partners veranlasste Präimplantationsdiagnostik (PID) können als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein. So lautet eine steuerzahlerfreundliche Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH). |
Hintergrund: Bei der PID handelt es sich um ein genetisches Diagnoseverfahren zur vorgeburtlichen Feststellung von Veränderungen des Erbmaterials, die eine Fehl- oder Totgeburt verursachen bzw. zu einer schweren Erkrankung eines lebend geborenen Kindes führen können. Es erfolgt eine zielgerichtete genetische Analyse von Zellen eines durch künstliche Befruchtung entstandenen Embryos vor seiner Übertragung und Einnistung in die Gebärmutter.
Das war geschehen
Bei dem Partner der Steuerpflichtigen lag eine chromosomale Translokation vor. Aufgrund dieser Chromosomenmutation bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein auf natürlichem Weg gezeugtes gemeinsames Kind an schwersten körperlichen oder geistigen Behinderungen leidet und unter Umständen nicht lebensfähig ist. Daher wurde eine PID durchgeführt. Der Großteil der hierfür notwendigen Behandlungen betraf die Steuerpflichtige, die den Abzug der Kosten als außergewöhnliche Belastungen beantragte.
Das Finanzamt lehnte eine Berücksichtigung der Behandlungskosten ab. Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen gab der Klage hinsichtlich der von der Steuerpflichtigen selbst getragenen Aufwendungen hingegen statt.
Bundesfinanzhof: zwangsläufig entstandene Aufwendungen
Der BFH bestätigte nun die Vorentscheidung. Die Aufwendungen für die Behandlung der Steuerpflichtigen sind zwangsläufig entstanden, weil die ärztlichen Maßnahmen in ihrer Gesamtheit dem Zweck dienten, eine durch Krankheit beeinträchtigte körperliche Funktion ihres Partners auszugleichen. Wegen der biologischen Zusammenhänge konnte (anders als bei anderen Erkrankungen) durch eine medizinische Behandlung allein des erkrankten Partners keine Linderung der Krankheit eintreten. Daher steht der Umstand, dass die Steuerpflichtige selbst gesund ist, der Berücksichtigung der Aufwendungen nicht entgegen.
Auch auf den Familienstatus kam es nicht an
Unschädlich war auch, dass die Steuerpflichtige und ihr Partner nicht verheiratet waren – und schließlich war auch das Erfordernis der Übereinstimmung der vorgenommenen Behandlungsschritte mit gesetzlichen Vorschriften (insbesondere dem Embryonenschutzgesetz) erfüllt.
Beachten Sie | Außergewöhnliche Belastungen wirken sich nur steuermindernd aus, wenn sie die im Einkommensteuergesetz (hier: § 33 Abs. 3 EStG) festgelegte zumutbare Belastung übersteigen. Die Höhe der zumutbaren Belastung hängt dabei u. a. vom Gesamtbetrag der Einkünfte ab.
Quelle | BFH, Urteil vom 29.2.2024, VI R 2/22, PM 23/24 vom 10.5.2024
| Das Ordnungsamt darf einen privaten Pkw, der auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellt worden ist, unabhängig davon abschleppen lassen, ob ein Carsharing-Fahrzeug an der Nutzung dieses Parkplatzes konkret gehindert worden ist. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf entschieden und die Klage der Fahrzeugführerin gegen einen Leistungs- und Gebührenbescheid abgewiesen. |
Die Klägerin hatte ihren Pkw auf einer Fläche abgestellt, die durch Verkehrsschilder als Parkplatz für Carsharing-Fahrzeuge gekennzeichnet war. Ein Mitarbeiter der städtischen Verkehrsüberwachung stellte den Verstoß fest und beauftragte einen Abschleppwagen. Kurz vor dessen Eintreffen erschien die Klägerin und entfernte ihr Fahrzeug von dem Parkplatz. Die Stadt machte ihr gegenüber mit Leistungs- und Gebührenbescheid die Kosten der Leerfahrt des Abschleppwagens geltend und setzte eine Verwaltungsgebühr fest. Zur Begründung ihrer Klage gegen diesen Bescheid trug die Klägerin vor, sie habe nur elf Minuten auf dem Carsharing-Platz geparkt und zu dieser Zeit seien noch weitere Parkplätze frei gewesen, sodass ein Abschleppen nicht notwendig gewesen sei.
Das VG: Die Beauftragung des Abschleppwagens war rechtmäßig. Ein Fahrzeug, das auf einem nach der Beschilderung ausschließlich Carsharing-Fahrzeugen vorbehaltenen Parkplatz steht, aber nicht am Carsharing teilnimmt, wird so betrachtet, als wenn es in einem absoluten Halteverbot stünde. Die Abschleppmaßnahme war verhältnismäßig, weil die Funktion der Parkplätze für Carsharing-Fahrzeuge nur gewährleistet ist, wenn sie jederzeit von nicht parkberechtigten Fahrzeugen freigehalten werden. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob die Klägerin durch das verbotswidrige Abstellen konkret ein bevorrechtigtes Carsharing-Fahrzeug am Parken gehindert hat. Das Abschleppen ist auch unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, dass von einem zu Unrecht auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellten Fahrzeug eine negative Vorbildwirkung für andere Kraftfahrer ausgeht.
Quelle | VG Düsseldorf, Urteil vom 20.2.2024, 14 K 491/23, PM vom 28.2.2024
| Die Abschleppunternehmer rechnen üblicherweise nach Einsatzstunden ab, wobei im Stundensatz die Kosten für das Fahrzeug und den Fahrer enthalten sind. Die Preis- und Strukturbefragung des Verbands Bergen und Abschleppen (VBA) differenziert dabei im unteren Segment nach Abschleppfahrzeugen unter und über zwölf Tonnen zulässigem Gesamtgewicht (zGG). Das Amtsgericht (AG) Pforzheim musste einen Fall entscheiden, bei dem der Abschleppunternehmer mit einem 13-Tonner vorgefahren kam. |
Der Versicherer trug vor, bei dem konkreten Gewicht des zu transportierenden Fahrzeugs hätte auch ein 11-Tonner genügt. Auf dieser Grundlage hatte er die Abschleppkosten nur reduziert erstattet.
Das Gericht entschied: Es möge sein, dass ein 11-Tonner genügt hätte. Doch sei dies im Vorhinein nicht abschätzbar.
Quelle | AG Pforzheim, Urteil vom 11.1.2024, 9 C 1207/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat sich in seiner Entscheidung mit der Frage befasst, ob der Klägerin ein Anspruch auf Sterbegeld und Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusteht, nachdem ihr Ehemann einen tödlichen Motorradunfall erlitten hatte. |
Ehemann der Klägerin bei Verkehrsunfall tödlich verletzt
Der Ehemann der Klägerin war Inhaber eines Autohauses in Berlin und als Unternehmer freiwillig bei der beklagten Berufsgenossenschaft versichert. Die Klägerin war in dem Autohaus angestellt tätig. Die gemeinsame Wohnung der Eheleute lag etwa 14 km vom Autohaus entfernt. Am 19.8.2013 reisten beide gemeinsam auf ihrem Motorrad aus einem mehrtägigen Urlaub in Thüringen die rund 400 km lange Strecke zurück nach Berlin, der Ehemann lenkte das Motorrad. Da die Tochter des Ehepaares während des Urlaubs die Geschäfte des Autohauses weitergeführt hatte und wegen eines Zahnarzttermins um 14:00 Uhr auf ihrer Arbeit abgelöst werden sollte, wollten sich die Eheleute aus Thüringen kommend direkt zum Autohaus begeben. Dort sollten von beiden die weiteren Geschäfte aufgenommen werden, ohne zuvor in die Familienwohnung zu fahren. Bereits auf dem Berliner Stadtgebiet, noch bevor sich die Wege zum Autohaus und zur Familienwohnung gabelten, kam es gegen 13:25 Uhr zu einem Verkehrsunfall, bei dem sich die Klägerin erheblich verletzte und ihr Ehemann verstarb.
Berufsgenossenschaft lehnte Sterbegeld ab
Die Berufsgenossenschaft lehnte es ab, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen (Sterbegeld und Witwenrente) zu erbringen. Ihr Ehemann habe sich bei dem Unfall nicht auf einem versicherten Arbeitsweg befunden, sondern lediglich auf einem privat veranlassten Rückweg von einer Urlaubsreise. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin und die Berufung vor dem LSG blieben zunächst ohne Erfolg. Auf die vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassene und von der Klägerin eingelegte Revision hin hat das Bundessozialgericht (BSG) das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache dorthin zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts sowie zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Landessozialgericht spricht Hinterbliebenenleistungen zu
Das LSG hat jetzt entschieden: Der Ehefrau stehen Hinterbliebenenleistungen zu. Der tödliche Motorradunfall stelle für den Ehemann als freiwillig versicherten Unternehmer einen Arbeitsunfall dar.
Zum einen sei der Ehemann versichert gewesen, weil er sich selbst zum Zeitpunkt des Unfalls auf dem direkten Weg zum Autohaus begeben wollte, um dort seiner Arbeit nachzugehen. Zum anderen habe Versicherungsschutz auch deshalb bestanden, weil die objektiven Begleitumstände und die Angaben der Ehefrau darauf schließen ließen, dass der verunglückte Ehemann seine Frau direkt zum Autohaus gefahren habe, damit diese dort die gemeinsame Tochter bei der Arbeit habe ablösen können. Damit liege ein versicherter, sogenannter „Betriebsweg“ vor, der nicht auf das Betriebsgelände beschränkt sei, aber dennoch im unmittelbaren betrieblichen Interesse liege.
Dem Versicherungsschutz stehe nicht entgegen, dass der Weg aus dem Urlaub (von einem „dritten Ort“ aus) angetreten worden sei und mithin erheblich länger gewesen sei, als es die Strecke von der Wohnung zur Arbeit gewesen wäre. Entscheidend sei, dass der zurückgelegte Weg die direkte Strecke zum Autohaus gewesen sei bzw. dass der subjektive Wille in erster Linie auf die Wiederaufnahme der Arbeit gerichtet gewesen sei. Dies hat das LSG anhand der vorliegenden Indizien des Falls bejaht. Insbesondere seien auch der Unfallzeitpunkt (13:25 Uhr) und der Zeitpunkt, zu dem die Tochter im Autohaus abgelöst werden sollte (14:00 Uhr), zeitlich stimmig.
Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.1.2024, L 21 U 202/21, PM vom 1.2.2024
| Mit den Besonderheiten bei der Versicherung historischer Fahrzeuge hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Es entschied: Steigt der Wert eines Oldtimers nach Abschluss der Versicherung an, ist der Betrag der Wertsteigerung womöglich vom Versicherungsschutz ganz oder teilweise nicht erfasst. Der Eigentümer des Fahrzeugs muss selbst darauf achten, den versicherten Wert regelmäßig dem etwa gestiegenen Marktwert anzupassen. Eine auf vollständigen Ersatz gerichtete Klage gegen die Kfz-Versicherung hat das Gericht im zugrundeliegenden Fall wegen Unterdeckung abgewiesen. |
Das war geschehen
Ein Oldtimerfan hatte sein historisches Fahrzeug gegen Beschädigung oder Zerstörung zum jeweils aktuellen Marktwert versichert. Später kam es dazu, dass das Fahrzeug bei einem Brand in einer Tiefgarage erheblich beschädigt worden war.
Die Kfz-Versicherung kam nach eingeholtem Gutachten zu einem Wert des Fahrzeugs am Schadenstag in Höhe von knapp 41.000 Euro und zahlte dem Eigentümer den entsprechenden Geldbetrag aus. Dieser war jedoch davon überzeugt, dass sein Oldtimer deutlich mehr wert gewesen sei und ließ deshalb ein weiteres Gutachten einholen. Dieses kam tatsächlich zu dem Ergebnis, dass das historische Fahrzeug im Wert deutlich gestiegen und fast 8.000 Euro mehr wert war, als von der Versicherung angenommen. Der Mann verlangte nun die Differenz.
Sonderbedingungen des Versicherungsvertrags entscheidend
Das LG verwies, wie auch zuvor bereits die Versicherung, den Oldtimerfan auf die im Versicherungsvertrag enthaltenen Sonderbedingungen für historische Fahrzeuge. Danach werde grundsätzlich ein Schaden bis zur Höhe des aktuellen Marktwerts ersetzt. Die Höchstentschädigung sei aber durch den Marktwert begrenzt, der bei Versicherungsabschluss vereinbart wurde.
Im Fall von Wertsteigerungen könne maximal zehn Prozent mehr als der damals vereinbarte Marktwert verlangt werden. Der habe im konkreten Fall rund 36.000 Euro betragen. Dem Oldtimerbesitzer stehe deshalb keine höhere Entschädigung zu, als von der Versicherung bereits ausgezahlt.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 17.1.2024, 3 O230/23, PM vom 28.2.2024
| Das Amtsgericht (AG) Frankfurt hatte nach der Wegnahme eines Fan-Schals keinen Diebstahl, sondern lediglich eine Nötigung angenommen. Ob ein Diebstahl vorliege, hänge davon ab, ob der Täter den Schal seinem Vermögen einverleiben wolle. |
Wegnahme nach Fußballspiel
Der angeschuldigte Eintracht-Fan soll bei einem Fußballspiel der Frankfurter Eintracht gegen den FC Schalke 04 im Deutsche Bank-Park einem Fan der gegnerischen Mannschaft einen Fan-Schal abgenommen haben. Beim Verlassen des Stadions habe er dem Schalke-Anhänger den Fan-Schal im Vorbeilaufen vom Hals gezogen. Als der Schalke-Fan ihn zur Rückgabe aufforderte, habe er ihn mit beiden Händen weggeschoben.
Staatsanwaltschaft bejahte Diebstahl
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main wertete dies als Diebstahl. Da der Angeschuldigte zudem den Schalke-Fan mit Gewalt weggedrückt habe, um den erbeuteten Schal behalten zu können, erhob sie Anklage wegen räuberischen Diebstahls - einem Verbrechenstatbestand mit einer Mindeststrafe von einem Jahr.
Amtsgericht differenzierte
Das AG sah in der Handlung des Angeschuldigten jedoch keinen Diebstahl. Es fehle an der hierfür notwendigen „Zueignungsabsicht“. Diese liege nur vor, wenn der Täter sich die Sache aneignen, sie also seinem Vermögen zuführen wolle. Nehme der Täter den Schal aber lediglich an sich, um jemanden zu ärgern, fehle es an einer Zueignungsabsicht. Es handele sich dann lediglich um eine straflose „Gebrauchsanmaßung“ und – sofern der Schal anschließend beschädigt würde – um eine Sachbeschädigung.
Da das Gericht keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür sah, dass der Angeschuldigte den Schal behalten wollte, eröffnete es das Hauptverfahren nicht wegen räuberischen Diebstahls, sondern lediglich wegen Nötigung. Diese habe der Angeschuldigte durch das Wegdrücken des Schalke-Fans begangen.
Quelle | AG Frankfurt am Main, Beschluss vom 23.10.2023, 917 Ls 6443 Js 217242/23, PM vom 8.3.2024
| Bei der Zerstörung eines älteren Baumes ist in der Regel keine sog. Naturalrestitution zu leisten, also nicht der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Der Anspruch geht vielmehr auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines jungen Baumes und darüber hinaus einen Ausgleich für eine etwa verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Das Oberlandgericht (OLG) Frankfurt am Main hat ein den eingeklagten Schadenersatzanspruch größtenteils zurückweisendes Urteil des Landgerichts (LG) aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das LG zurückverwiesen. |
Rückschnitt ja, aber nicht so gravierend
Die Parteien sind Nachbarn. Die Klägerin ist Eigentümerin eines großen Grundstücks im Vordertaunus mit rund 70-jährigem Baumbestand. Der Baum- und Strauchbestand wird jährlich mehrfach durch ein Fachunternehmen beschnitten. An den hinteren Gartenbereich grenzt u. a. das Grundstück des Beklagten. Im Abstand von 1,60 m hierzu steht auf dem klägerischen Grundstück eine Birke, im Abstand von 3,35 m ein Kirschbaum. Beide Bäume waren zum Zeitpunkt des Erwerbs des Beklagten schon lange vorhanden. Die Klägerin war einverstanden, dass der Beklagte die auf sein Grundstück herüberhängenden Äste der Gehölze zurückschneidet.
Ende Mai 2020 betrat der Beklagte das klägerische Grundstück in ihrer Abwesenheit und führte gravierende Schnittarbeiten unter anderem an den beiden Bäumen durch. An der Birke verblieb kein einziges Blatt. Der kurz vor der Ernte befindliche Kirschbaum wurde vollständig eingekürzt. Ob sich die Bäume wieder komplett erholen oder die derzeitigen Triebe allein sog. Nottriebe sind, die an dem Absterben nichts ändern, ist zwischen den Parteien streitig.
Landgericht sprach Schadenersatz von 4.000 Euro zu
Das LG hat der auf Zahlung von Schadenersatz von knapp 35.000 Euro gerichteten Klage in Höhe von gut 4.000 Euro stattgegeben. Es führte aus, dass die Wertminderung der Bäume sowie die Kosten für die Entsorgung des Schnittguts zu ersetzen seien.
Oberlandesgericht: Sachverhalt muss aufgeklärt werden
Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LG. Der Sachverhalt sei zur Bemessung des Schadenersatzes weiter aufzuklären, begründete das OLG die Entscheidung.
Bei der Zerstörung eines Baumes sei in der Regel nicht Schadenersatz in Form von Naturalrestitution zu leisten, da die Ersatzbeschaffung in Form der Verpflanzung eines ausgewachsenen Baumes regelmäßig mit besonders hohen und damit unverhältnismäßigen Kosten verbunden sei. Der Schadenersatz richte sich vielmehr üblicherweise auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines neuen jungen Baumes sowie einen Ausgleichsanspruch für die verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Diese Werteinbuße sei zu schätzen. Nach einer möglichen Bewertungsmethode könnten dafür die für die Herstellung des geschädigten Gehölzes bis zu seiner Funktionserfüllung erforderlichen Anschaffungs-, Pflanzungs- und Pflegekosten sowie das Anwachsrisiko berechnet und anschließend kapitalisiert werden. Dieser Wert sei um eine Alterswertminderung, Vorschäden und sonstige wertbeeinflussende Umstände zu bereinigen.
Ausnahmsweise seien die vollen Wiederbeschaffungskosten zuzuerkennen, „wenn Art, Standort und Funktion des Baumes für einen wirtschaftlich vernünftig denkenden Menschen den Ersatz durch einen gleichartigen Baum wenigstens nahelegen würden“, erläutert das OLG weiter. Aufzuklären sei deshalb bei der Bewertung des Schadenersatzes die Funktion der Bäume für das konkrete Grundstück. Zu berücksichtigen sei dabei auch der klägerische Vortrag, wonach es ihr bei der sehr aufwändigen, gleichzeitig naturnahen Gartengestaltung auch darauf angekommen sei, Lebensraum für Vögel und sonstige Tiere zu schaffen und einen Beitrag zur Umwandlung von Kohlenstoffdioxid in Sauerstoff zu leisten.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 6.2.2024, 9 U 35/23, PM 12/24
Impfpflicht: Vorlage eines Masernimmunitätsnachweises für schulpflichtige Kinder
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat in mehreren Eilverfahren die Beschwerden von Eltern schulpflichtiger Kinder gegen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin zurückgewiesen, wonach Gesundheitsämter für den Schulbesuch den Nachweis einer Impfung oder Immunität gegen Masern fordern dürfen, sofern keine Kontraindikation besteht. Für den Fall, dass der Nachweis nicht vorgelegt wird, kann auch ein Zwangsgeld angedroht werden. |
Infektionsschutzgesetz verfassungskonform
Zur Begründung hat das OVG u. a. ausgeführt: Die Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes zur Nachweispflicht seien angesichts der hochansteckenden Viruskrankheit mit möglicherweise schwerwiegenden Komplikationen nicht offenkundig verfassungswidrig. Zwar greife die Nachweispflicht in das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes ein. Die Regelung sei aber verhältnismäßig, weil sie – wie das Bundesverfassungsgericht bereits zur Nachweispflicht bei noch nicht schulpflichtigen Kindern entschieden habe – einen legitimen Zweck verfolge und nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehe.
Impfpflicht besteht
Der Gesetzgeber des Masernschutzgesetzes sei von einer grundsätzlich bestehenden „Impfpflicht“ bzw. „verpflichtenden Impfung“ ausgegangen. Er habe lediglich von deren Durchsetzung im Wege des unmittelbaren Zwangs abgesehen. Andere Zwangsmittel, wie Zwangsgeld und Geldbuße, seien hingegen vorgesehen, um eine tatsächliche Erhöhung der Impfquote in Schulen und sonstigen Gemeinschaftseinrichtungen – und damit letztlich in der gesamten Bevölkerung – zu erreichen.
Die Beschlüsse sind unanfechtbar.
Quelle | OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 28.2.2024, OVG 1 S 80/23 u. a., PM 9/24
| Nach Modernisierungsarbeiten vor Mietbeginn kann der Vermieter eine Miete vereinbaren, die die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 10 % übersteigt. Bestreitet der Mieter die Maßnahmen, ist das unbeachtlich, wenn der Vermieter eine substanziierte Berechnung vorgelegt und Einsicht in sämtliche Unterlagen angeboten hat. Das hat jetzt das Amtsgericht (AG) Berlin-Charlottenburg entschieden. |
Mieter verlangte Rückerstattung überhöhter Miete
Die Miete für eine Wohnung in einem durch Verordnung bestimmten Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt lag bei 1.700 Euro. Unter Berücksichtigung eines zehnprozentigen Zuschlags gemäß Mietspiegel war von einer ortsüblichen Vergleichsmiete von maximal 867,71 Euro auszugehen. Der Mieter forderte die Rückerstattung der überhöht verlangten Miete. Im Prozess nahm der Vermieter detailliert zu den von ihm durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen Stellung und legte dar, in welchem Umfang Abzüge für Instandsetzungsmaßnahmen vorgenommen wurden, insbesondere, dass anrechenbare Modernisierungskosten in Höhe von 441,33 Euro pro Monat entstanden seien.
Klage hatte teilweise Erfolg
Das AG gab der Klage teilweise statt. Bei den Baumaßnahmen des Vermieters handele es sich zwar nicht um eine umfassende Modernisierung im Sinne des § 556 f BGB, sodass der Vermieter die Wohnung nicht preisfrei vermieten durfte. Bei einer umfassenden Modernisierung sei zum einen auf den Investitionsaufwand und zum anderen auf das Ergebnis der Maßnahme, also die qualitativen Auswirkungen auf die Gesamtwohnung, abzustellen. Die aufgewandten Kosten einer reinen Erhaltungsmaßnahme zählten insgesamt nicht zu den Modernisierungskosten. Allein die Höhe des Bauaufwands reiche nicht aus; entscheidend sei das Resultat, also der geschaffene Zustand. Der Begriff „umfassend“ bezeichne nämlich nicht nur ein quantitatives (Kosten-)Element, sondern gleichberechtigt ein qualitatives Kriterium. Zu berücksichtigen seien die qualitativen Auswirkungen der Maßnahmen auf die Gesamtwohnung. Eine solche Auslegung werde dem Gesetzeszweck gerecht, Modernisierungen zu fördern. Durch diesen Aufwand müsse ein Zustand erreicht werden, der einer Neubauwohnung in etwa – nicht notwendig vollständig – entspreche.
Im Fall des AG fehlten Darlegungen des Vermieters, dass durch die Maßnahmen ein Zustand erreicht wurde, der insbesondere in energetischer Hinsicht einem Neubau gleichkommt. Jedoch sei der Vermieter berechtigt, die Kosten für die Modernisierungsmaßnahmen (nach § 556 e Abs. 2 BGB) in Höhe von 441,33 Euro pro Monat anzurechnen. Insgesamt sei daher eine Nettokaltmiete für die Wohnung in Höhe von 1.309,04 Euro berechtigt.
Quelle | AG Berlin-Charlottenburg, Urteil vom 9.6.2023, 209 C 29/22
| Nach dem Wohnungseigentumsgesetz (hier: § 20 Abs. 1 Abs. 2 S. 1 WEG) kann jeder Wohnungseigentümer angemessene bauliche Veränderungen verlangen, die u. a. dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen (sog. privilegierte bauliche Veränderungen). Verlangt ein Wohnungseigentümer eine solche bauliche Veränderung, entscheidet die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer über das „Wie“ der Maßnahme nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung. Der einzelne Wohnungseigentümer hat grundsätzlich keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung. So entschied es das Landgericht (LG) Stuttgart. |
Eigentümer errichtete zunächst Ladesäule
Ein Wohnungseigentümer hatte ein Sondernutzungsrecht an einem Stellplatz im Freien. Seit Jahren versuchte er vergeblich zu erreichen, dass eine Ladesäule für Elektrofahrzeuge an seinem Stellplatz errichtet wird. Schließlich montierte er im Sommer 2019 ohne Gestattung neben seinem Außenstellplatz eine Ladesäule auf einem Betonfundament. Für die Errichtung als „öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur“ erhielt er eine Förderung aus Bundesmitteln. Die Eigentümergemeinschaft verklagte ihn erfolgreich auf Entfernen der Ladestation und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Im Rahmen der Vollstreckung wurde die Ladesäule demontiert.
Dann verlangte er bestimmte bauliche Veränderungen
Der Eigentümer verlangte daraufhin „bauliche Veränderungen, die dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen gemäß (von ihm) vorgelegtem Ladeinfrastrukturkonzept“. Dieser Antrag wurde in der Eigentümerversammlung 2020 nicht beraten und zur Abstimmung gestellt, sondern beschlossen, ein Gesamtkonzept zum Betreiben von Ladepunkten für E-Mobilität erstellen zu lassen. Die Eigentümerversammlung 2021 lehnte das inzwischen vorliegende Gesamtkonzept ab und ebenso die von dem Eigentümer erneut beantragte Genehmigung baulicher Veränderungen gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept, das alternativ eine öffentliche oder nichtöffentliche Nutzung vorsah. Zugleich wurde anderen Wohnungseigentümern auf deren Antrag gestattet, eine Wallbox an insgesamt vier Stellplätzen anzubringen.
Darauf erhob der Eigentümer Beschlussersetzungsklage, gerichtet auf die Gestattung, auf dem Gemeinschaftseigentum neben seinem Stellplatz die zuvor entfernte Ladestation gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept errichten zu dürfen, hilfsweise, ihm die Anbringung einer Wallbox zu gestatten. Damit hatte der Eigentümer in beiden Instanzen keinen Erfolg.
Landgericht: kein Anspruch auf bestimmte Ausführung einer Maßnahme
Der Eigentümer könne die Gestattung der Errichtung einer Ladestation nach dem von ihm entwickelten Ladeinfrastrukturkonzept nicht verlangen. Die Beschlussersetzungsklage diene der gerichtlichen Durchsetzung des Anspruchs des Wohnungseigentümers auf ordnungsmäßige Verwaltung. Die Klage sei daher begründet, wenn der klagende Wohnungseigentümer einen Anspruch auf den seinem Rechtsschutzziel entsprechenden Beschluss habe, weil nur eine Beschlussfassung ordnungsmäßiger Verwaltung entspreche.
Zwar könne jeder Wohnungseigentümer einen Beschluss über das „Ob“ solcher baulichen Veränderungen verlangen, so das LG; dies beinhalte aber keinen Anspruch auf eine bestimmte Art und Weise der Durchführung. Darüber entscheiden die Wohnungseigentümer im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung nach eigenem Ermessen. Der einzelne Wohnungseigentümer habe mithin keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung, solange das Ermessen der Gemeinschaft nicht aufgrund der Einzelfallumstände auf null reduziert sei.
Quelle | LG Stuttgart, Urteil vom 5.7.2023, 10 S 39/21
| Das Finanzministerium Baden-Württemberg stellt einen Ratgeber „Steuertipps für Familien“ zur Verfügung. Der 100 Seiten umfassende Ratgeber gibt neben Informationen rund um das Kindergeld u. a. einen Überblick über die Steuervergünstigungen für Familien und Alleinerziehende.
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden, wann ein Widerspruch vorliegt, durch den ein älteres Testament – ganz oder teilweise – aufgehoben wird. |
Vier handschriftliche Testamente
Die Erblasserin verstarb ledig und kinderlos. Sie hatte zwei Geschwister: eine Schwester und einen Bruder, die beide vorverstorben sind. Insgesamt hinterließ die Erblasserin vier handschriftlich verfasste Testamente.
Im ersten Testament vom 3.4.2007 setzte sie ihre Schwester als Alleinerbin und ihren Bruder als Ersatzerben ein. Dieses Testament änderte sie am 26.4.2009 durch Durchstreichen derart, dass die Ersatzerbenstellung des Bruders aufgehoben wurde mit der Bemerkung, dass er gestorben sei. Im Testament vom 26.4.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Später ergänzte sie den Text mit folgendem unvollständigen Wortlaut: „Für den Fall, dass meine Schwester das Erbe nicht antreten kann, setze ich meine Großnichte als“. Im Testament vom 18.10.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Weiter heißt es in dem Testament: „Für den Fall, dass meine Schwester verstorben ist, setze ich zur Nacherbin meine Großnichte ein.“ Schließlich testierte sie am 27.4.2016 erneut und setzte wiederum ihre Schwester als Alleinerbin ein. In diesem Testament wurde weder eine Ersatzerbschaft noch eine Nacherbschaft angeordnet und die Großnichte wurde nicht mehr erwähnt.
Die Großnichte beantragte einen Alleinerbschein. Dem traten die Kinder des vorverstorbenen Bruder entgegen. Das Nachlassgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, die Erblasserin habe mit ihrer letzten Verfügung von Todes wegen die vorangegangenen Testamente aufgehoben. Der gegen diesen Beschluss durch die Großnichte eingelegten Beschwerde hat das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Akten dem OLG Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat die Beschwerde zurückgewiesen.
So sah es das Oberlandesgericht
Die Großnichte könnte ihre Alleinerbenstellung allein aus dem Testament vom 18.10.2009 herleiten. Diese Stellung sei indes von der Erblasserin vollständig aufgehoben worden, als sie am 27.4.2016 ein neues Testament errichtet habe, in dem die Großnichte nicht mehr als Ersatzerbin berufen sei, so das OLG.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 2258 Abs. 1 BGB) werde durch die Errichtung eines Testaments ein früheres Testament insoweit aufgehoben, als dass das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch stehe. Ein derartiger Widerspruch liege zum einen vor, wenn die Testamente sachlich miteinander nicht vereinbar seien, die getroffenen Anordnungen also nicht nebeneinander Geltung erlangen könnten, sondern sich gegenseitig ausschließen. Ein Widerspruch sei zum anderen (auch) gegeben, wenn die einzelnen Anordnungen einander zwar nicht entgegengesetzt seien, aber die kumulative Geltung der mehreren Verfügungen den in einem späteren Testament zum Ausdruck kommenden Absichten des Erblassers zuwiderliefe. Das sei der Fall, wenn der Erblasser mit dem späteren Testament seine Erbfolge insgesamt, nämlich abschließend und umfassend (ausschließlich) habe neu regeln wollen. So liege der Fall hier.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.12.2023, I-3 Wx 189/23
| Zwei Investoren sind zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von insgesamt 300.000 Euro nebst Zinsen an einen Planungsverband verpflichtet worden, weil sie die Erteilung einer Baugenehmigung zur Realisierung eines Hotelbauvorhabens nicht rechtzeitig beantragt haben. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz. |
Frist für Bebauungsplan vereinbart
Im Dezember 2016 schloss der Planungsverband mit den Investoren einen städtebaulichen Vertrag. In diesem verpflichteten sich die Investoren, binnen 36 Monaten ab Inkrafttreten eines vom Planungsverband aufzustellenden Bebauungsplans einen vollständigen Bauantrag zur Errichtung eines Hotelbaus zu stellen. Unterbleibt eine rechtzeitige Bauantragstellung, ist eine Vertragsstrafe in Höhe von 15.000 Euro monatlich, höchstens in Höhe von 300.000 Euro, vorgesehen.
Frist überschritten: Vertragsstrafe
Weil die Investoren ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen waren, verlangte der Planungsverband zunächst außergerichtlich und dann mit seiner Klage, die vereinbarte Vertragsstrafe zu zahlen. Die Investoren beriefen sich dagegen auf Formfehler beim Zustandekommen des Vertrags und machten geltend, die Stellung eines vollständigen Bauantrags sei ihnen unmöglich gewesen, weil der Planungsverband Gestaltungsvorgaben nicht hinreichend konkret vorgegeben habe. Ferner stünde ein Lärmschutzkonflikt mit den Betreibern der auf dem Plateau vorhandenen Freilichtbühne einer Umsetzung des Hotelkonzepts entgegen.
Anforderungen eingehalten
Die Klage hatte Erfolg. Der Verband habe einen Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe, so das VG. Der Vertrag sei frei von Verfahrens- und Formfehlern zustande gekommen und entspreche den an einen städtebaulichen Vertrag zu stellenden gesetzlichen Anforderungen.
Rechtzeitigkeit wäre möglich gewesen
Den Investoren sei es zudem möglich gewesen, rechtzeitig vollständige Bauantragsunterlagen einzureichen. Insbesondere habe der Lärmschutzkonflikt zwischen dem geplanten Hotelvorhaben und der Freilichtbühne die Vorlage vollständiger Bauantragsunterlagen nicht unmöglich gemacht. Eine Lösung des Konflikts wäre vielmehr im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens herbeizuführen gewesen.
Gegen die Entscheidung wurde Rechtsmittel zum Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz erhoben.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 6.12.2023, 4 K 388/23.KO, PM 1/24
| Die Errichtung von Kleinwindenergieanlagen ist ein im Außenbereich baurechtlich privilegiertes Vorhaben der Nutzung der Windenergie, auch wenn es nicht mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms der öffentlichen Energieversorgung, sondern der Deckung des privaten Verbrauchs dient. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |
Landkreis lehnte Erlass eines Bauvorbescheids ab
Die Kläger beantragten, ihnen einen Bauvorbescheid zur Errichtung von vier Kleinwindenergieanlagen (Gesamthöhe 6,5 m) auf ihrem Grundstück im Außenbereich zu erteilen. Der Landkreis lehnte dies mit der Begründung ab, die Anlagen seien nicht als im Außenbereich privilegierte Vorhaben der Nutzung der Windenergie zu behandeln, da die Privilegierung auf solche Windenergieanlagen zu beschränken sei, die der öffentlichen Versorgung dienten. Zudem stünden öffentliche Belange dem Vorhaben entgegen. Hiergegen erhoben die Kläger Klage. Das Verwaltungsgericht (VG) verpflichtete den beklagten Landkreis, den beantragten Bauvorbescheid zu erteilen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Landkreises wies das OVG zurück.
Privilegiertes Bauvorhaben auch bei Privatnutzung der erzeugten Energie
Das VG habe den Beklagten zu Recht zur Erteilung des beantragten Bauvorbescheids verpflichtet. Bei der Errichtung und dem Betrieb der vier Kleinwindenergieanlagen handele es sich um ein der Nutzung der Windenergie dienendes privilegiertes Vorhaben im Sinne des Baugesetzbuchs (hier: § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB), das im Außenbereich zugelassen werden könne.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ließen sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal herleiten, wonach das Vorhaben nicht nur der Nutzung der Windenergie, sondern – mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms – auch der öffentlichen Energieversorgung dienen müsse. Gegen ein solches ungeschriebenes Erfordernis sprächen auch Sinn und Zweck der Norm. Diese diene letztlich einer umwelt- und ressourcenschonenden Energieversorgung mittels einer verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien, wozu Windenergieanlagen auch dann beitrügen, wenn sie allein zur Deckung eines privaten Verbrauchs errichtet würden. Die überragende Bedeutung dieses Ziels habe der Gesetzgeber mehrfach in seiner weiteren Normsetzung herausgestellt.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus einem Urteil des OVG aus dem Jahr 2018, an dem der dort erkennende Senat in Bezug auf den geforderten öffentlichen Versorgungszweck in einer neueren Entscheidung aus dem Jahr 2023 ersichtlich nicht mehr festhalte.
Keine Gefahr von Wildwuchs
Nicht nachvollziehbar sei die vom Beklagten ferner geltend gemachte Befürchtung, dass bei einer Privilegierung von allein der privaten Versorgung dienenden Kleinwindenergieanlagen ein Wildwuchs derartiger Vorhaben zulasten der Landschaft drohe. Denn die Errichtung einer Kleinwindenergieanlage im Außenbereich komme unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nur in Betracht, wenn der erzeugte Strom entweder durch einen dort in der Nähe der Anlage vorhandenen Verbraucher abgenommen oder ins Stromnetz eingespeist werde. Dies sei jedoch regelmäßig nicht der Fall, da ein Endabnehmer vor Ort im Außenbereich nur in Ausnahmefällen vorhanden sei und der Bau einer Leitung allein zum Zweck der Einspeisung des mit der Kleinanlage erzeugten Stroms in ein öffentliches Netz unter Rentabilitätsaspekten ausscheide. Dem privilegierten Vorhaben stünden auch keine öffentlichen Belange entgegen.
Quelle | OVG Koblenz, Urteil vom 4.4.2024, 1 A 10247/23. OVG, PM 6/24
| Das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz hat die Entlassung eines Polizeikommissars aus dem Beamtenverhältnis auf Probe für rechtmäßig erklärt. |
Das war geschehen
Der Kläger war im Jahr 2021 nach bestandener Laufbahnprüfung in das Probebeamtenverhältnis berufen und als Einsatzsachbearbeiter in einer Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei eingesetzt worden. Bereits zuvor, noch während seines Vorbereitungsdienstes, hatte er über mehrere Monate hinweg wiederholt Bilddateien (sog. Sticker) in verschiedene WhatsApp-Chatgruppen mit diskriminierenden, antisemitischen, rassistischen, menschenverachtenden sowie frauen- und behindertenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Inhalten hochgeladen. Als sein Dienstherr, der Beklagte, hiervon erfuhr, leitete er zunächst ein Disziplinarverfahren und dann ein Entlassungsverfahren ein und entließ den Kläger wegen erheblicher Zweifel an dessen charakterlicher Eignung für den Polizeidienst mit Ablauf des Jahres 2022 aus dem Probebeamtenverhältnis.
Hiergegen erhob der Kläger zunächst Widerspruch und in der Folge Klage. Zur Begründung gab er an, aus dem Kontext der Verwendung der Sticker werde hinreichend deutlich, dass es sich nur um „schwarzen Humor“ handele; der Inhalt der Sticker entspreche in keiner Weise seiner inneren Haltung.
Kläger kein „unbescholtenes Blatt“
Die Klage hatte keinen Erfolg. Der Beklagte sei vielmehr beurteilungsfehlerfrei von der charakterlichen Nichteignung des Klägers für den Polizeidienst ausgegangen. Damit knüpfte das VG an seine bereits im November 2023 getroffenen Beschluss an, mit dem er die vom Kläger beantragte Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussichten seiner Klage abgelehnt hatte. In dem Beschluss hatte das Gericht betont, es sei unerheblich, ob die vom Kläger verwandten „Sticker“ tatsächlich Ausdruck seiner Gesinnung seien. Der Kläger müsse diese so gegen sich gelten lassen, wie sie aus Sicht eines objektiven Betrachters zu verstehen seien. Es werde deutlich, dass der Kläger sich seiner beamtenrechtlichen Pflichten nicht einmal ansatzweise bewusst sei und dass ihm erkennbar die erforderliche charakterliche Reife und Stabilität für das Amt eines Polizeivollzugsbeamten fehle. Außerdem berücksichtigten die Richter, dass der Kläger im Februar 2024 strafrechtlich wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in vier Fällen, in drei Fällen hiervon in Tateinheit mit Volksverhetzung, schuldig gesprochen worden war.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 20.2.2024, 5 K 733/23. KO, PM 5/24
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung einer TV-Moderatorin wirksam ist, die trotz Abmahnungen eine Online-Kolumne für eine im Wettbewerb stehende Tageszeitung verfasst. |
Einschränkungen im Arbeitsvertrag
Die Klägerin war langjährig im Bereich Finanz- und Börsenberichterstattung für die Beklagte tätig, die einen Nachrichtensender mit TV- und Onlineberichterstattung betreibt. Der Arbeitsvertrag schränkt die Möglichkeit von Nebentätigkeiten ein und sieht vor, dass zuvor eine Genehmigung erfolgen muss.
Abmahnung wegen Online-Börsenkolumne
Die Klägerin hat unter anderem am 29.9.2022 eine Online-Börsenkolumne für eine Tageszeitung verfasst, wegen der sie am 4.10.2022 abgemahnt wurde. Dennoch veröffentlichte die Klägerin dort am 1.1.2023 eine weitere Kolumne, aufgrund der die Beklagte die streitgegenständliche Kündigung aussprach.
Zuvor war die Klägerin auch vor dem ArbG Köln in einem einstweiligen Verfügungsverfahren unterlegen, in dem sie ihren Arbeitgeber verpflichten wollte, die Nebentätigkeit zum Verfassen einer wöchentlichen Kolumne zu genehmigen. Hier hatte das ArbG geurteilt, dass die begehrte Nebentätigkeit eine nicht genehmigungsfähige Konkurrenztätigkeit darstelle.
Arbeitsgericht bestätigt Kündigung
Das ArG Köln hat die Kündigung bestätigt. Bei der Online-Kolumne handele es sich um eine Wettbewerbstätigkeit, da sowohl der Arbeitgeber als auch der Zeitungsverlag Unternehmen sind, die sowohl im Bereich der TV- wie auch der Onlineberichterstattung aktiv seien.
Zudem betreffe die Börsenkolumne der Klägerin den fachlichen Kernbereich ihrer Tätigkeit für die Beklagte. Gerade in diesen Themen hat die Klägerin sich in der Vergangenheit eine große Reputation aufgebaut, mit der sie bislang für die Beklagte in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten ist. Ein Arbeitnehmer, der während des bestehenden Arbeitsverhältnisses Wettbewerbstätigkeiten entfaltet, verstoße gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers. Dies könne eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar
Hier sei der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar. Das Vertrauen der Beklagten in einen störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses sei nach den bewussten, fortgesetzten und groben Pflichtverletzungen der Klägerin gänzlich aufgebraucht.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 11.10.2023, 9 Ca 5402/22, PM 11/23
| Ein Busunternehmer steht unter Unfallversicherungsschutz, wenn er im Homeoffice beim Hochdrehen der Heizung durch eine Verpuffung im Heizkessel verletzt wird. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Im Homeoffice Heizkessel überprüft und nach Verpuffung schwer verletzt
Der Kläger war als selbstständiger Busunternehmer bei der beklagten Berufsgenossenschaft pflichtversichert. Er bewohnte ein Haus, dessen Wohnzimmer er als häuslichen Arbeitsplatz (Homeoffice) für Büroarbeiten nutzte. Am Unfalltag holte der Kläger seine Kinder von der Schule ab und arbeitete anschließend an seinem Schreibtisch im Wohnzimmer. Nachdem er festgestellt hatte, dass die Heizkörper im ganzen Haus kalt waren, begab er sich zur Überprüfung der Kesselanlage in den Heizungskeller. Beim Hochdrehen des Temperaturschalters kam es aufgrund eines Defekts der Heizungsanlage zu einer Verpuffung im Heizkessel, in deren Folge der Kläger eine schwere Augenverletzung erlitt.
Bundessozialgericht erkennt Arbeitsunfall an
Die beklagte Berufsgenossenschaft, das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) lehnten einen Arbeitsunfall ab. Das BSG hat dagegen einen Arbeitsunfall anerkannt.
Der Kläger wollte nicht nur seine Kinder, sondern auch seinen häuslichen Arbeitsplatz mit höheren Temperaturen versorgen. Die Benutzung des Temperaturreglers war deshalb unternehmensdienlich, der Heizungsdefekt kein unversichertes privates Risiko.
Quelle | BSG, Urteil vom 21.3.2024, B 2 U 14/21 R, PM 11/24
| Die Zweifelsregelung im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 271 Abs. 2 BGB) gestattet es einem Arbeitgeber nicht, eine dem Arbeitnehmer bisher zustehende jährliche Einmalzahlung wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld kraft einseitiger Entscheidung stattdessen in anteilig umgelegten monatlichen Teilbeträgen zu gewähren, um sie „pro rata temporis“ – also zeitanteilig – auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen zu können. Diese Auffassung vertritt das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg im Streit über die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs durch Sonderzahlungen. |
Das LAG hat die Revision zugelassen.
Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.1.2024, 3 Sa 4/23
| Eine durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Vermögensverschiebung von einer Kapitalgesellschaft an einen Gesellschafter setzt einen Zuwendungswillen voraus – und ein solcher kann aufgrund eines Irrtums des Gesellschafter-Geschäftsführers fehlen. Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs (BFH) ist es insoweit maßgebend, ob der konkrete Gesellschafter-Geschäftsführer einem Irrtum unterlegen ist, nicht hingegen, ob einem ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiter der Irrtum gleichfalls unterlaufen wäre. |
Hintergrund: Bei einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) handelt es sich – vereinfacht – um Vermögensvorteile, die dem Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung gewährt werden. Eine vGA darf den Gewinn der Gesellschaft nicht mindern.
Das war geschehen
Geklagt hatte eine GmbH, deren Stammkapital durch die alleinige Gesellschafter-Geschäftsführerin u. a. durch die Einbringung einer Beteiligung von 100 % an einer weiteren GmbH erbracht werden sollte. Bei der einzubringenden GmbH wurde eine Kapitalerhöhung durchgeführt, die die Gesellschafter-Geschäftsführerin begünstigte. Das Finanzamt sah hierin eine vGA der GmbH an ihre Gesellschafter-Geschäftsführerin. Dagegen argumentierte die GmbH, dass die Zuwendung an die Gesellschafter-Geschäftsführerin irrtümlich wegen eines Versehens bei der notariellen Beurkundung der Kapitalerhöhung erfolgt sei.
So entschieden die gerichtlichen Instanzen
Das Finanzgericht (FG) Schleswig-Holstein wies die Klage ab, weil einem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführer der von der GmbH dargelegte Irrtum nicht unterlaufen wäre. Der BFH hat nun aber klargestellt, dass es für die Frage, ob der für die Annahme einer vGA erforderliche Zuwendungswille vorliegt, allein auf die Person der konkreten Gesellschafter-Geschäftsführerin ankommt. Er verwies den Streitfall deshalb zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurück.
Beachten Sie | In seiner Urteilsbegründung zum Vorliegen einer vGA führt der BFH aber auch Folgendes aus: Der handelnde Gesellschafter muss nicht mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis handeln, er muss den Tatbestand der vGA nicht kennen und er muss das Geschehene auch nicht richtig würdigen. Vielmehr genügt in aller Regel ein persönlich zurechenbares Handeln.
Diese Grundsätze gelten aber nicht uneingeschränkt, da es zur Annahme einer vGA – so wie bei einer offenen Gewinnausschüttung – eines Zuwendungswillens bedarf.
Quelle | BFH, Urteil vom 22.11.2023, I R 9/20, PM 20/24 vom 11.4.2024
| Schweizer Banken können Informationen zu Konten und Depots deutscher Staatsangehöriger an die deutsche Finanzverwaltung übermitteln. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. Er sieht in der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden keine Verletzung der Grundrechte der inländischen Steuerpflichtigen. |
Geklagt hatten Steuerpflichtige, die sich durch Übermittlung der Kontostände ihrer Schweizer Bankkonten in ihren Grundrechten verletzt sahen, vor allem in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Nachdem bereits das Finanzgericht (FG) Köln diese Ansicht nicht teilte, bestätigte nun auch der BFH die Verfassungsmäßigkeit der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden. Jedenfalls ist die Übermittlung der Informationen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung gerechtfertigt.
Beachten Sie | Deutschland sowie mehrere andere Staaten haben sich zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung dazu verpflichtet, Informationen zu Bankkonten auszutauschen, u. a. werden hierfür die Kontostände ausländischer Bankkonten an die deutsche Steuerverwaltung übermittelt. Der automatische Informationsaustausch über Finanzkonten dient der Sicherung der Steuerehrlichkeit und der Verhinderung von Steuerflucht.
Quelle | BFH, Urteil vom 23.1.2024, IX R 36/21, PM 17/24 vom 28.3.2024
| Ohne Betriebssitz kann kein Gelegenheitsverkehr mit Mietwagen betrieben werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin in einem Eilverfahren entschieden. |
Behörde widerrief Erlaubnis
Der Antragsteller ist Inhaber einer vom Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) erteilten Genehmigung für den Gelegenheitsverkehr mit insgesamt zehn Mietwagen nach dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG). Nach den Feststellungen der Behörde fanden sich an der vom Antragsteller angegeben Adresse – anders als von ihm ursprünglich behauptet – weder Büroräume noch reservierte Stellplätze für die Fahrzeuge. Daraufhin widerrief die Behörde die Erlaubnis unter Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Verwaltungsgericht bestätigt Behörde
Das VG hat den hiergegen gerichteten Eilantrag zurückgewiesen. Zu Recht sei die Behörde von einer fehlenden Zuverlässigkeit des Antragstellers ausgegangen. Denn dieser habe gegen eine Kernpflicht des Mietwagenverkehrs verstoßen.
Das wesentliche Merkmal des Mietwagenverkehrs bestehe darin, dass Aufträge nicht an beliebigen Orten, sondern grundsätzlich nur am Betriebssitz entgegengenommen werden dürften; dorthin müssten die Fahrzeuge daher regelmäßig nach Beendigung eines jeden Auftrags zurückkehren. Die Begründung und Unterhaltung eines in der Genehmigung festgeschriebenen Betriebssitzes sei daher Voraussetzung für die Erfüllung der Rückkehrpflicht. Das Rückkehrgebot sei nicht Selbstzweck, sondern solle auf wirksame Weise unterbinden, dass Mietwagen nach Beendigung eines Beförderungsauftrags taxiähnlich auf öffentlichen Straßen und Plätzen bereitgestellt würden und dort Beförderungsaufträge annähmen.
Das VG ließ offen, ob ungeachtet dessen der Widerruf auch auf die fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit des Antragstellers hätte gestützt werden können. Es spreche allerdings einiges dafür, dass dies schon bei der Genehmigungserteilung der Fall gewesen sei. Ein Mietwagenunternehmer müsse über ein angemessenes Eigenkapital verfügen, was hier nicht ersichtlich sei. Der Zeitwert der Fahrzeuge selbst dürfe – anders als von der Behörde bei Genehmigungserteilung fälschlich angenommen – gerade nicht berücksichtigt werden.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 25.3.2024, VG 11 L 53/24, PM vom 2.4.2024
| Die Klausel „Die Mobile Briefmarke ist lediglich als ad-hoc-Frankierung zum sofortigen Gebrauch gedacht. Erworbene Mobile Briefmarken verlieren daher mit Ablauf einer 14-tägigen Frist nach Kaufdatum ihre Gültigkeit. Das maßgebliche Kaufdatum ist in der Auftragsbestätigung genannt. Eine Erstattung des Portos nach Ablauf der Gültigkeit ist ausgeschlossen.“ ist nach § 307 BGB unwirksam. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Köln entschieden. |
Es gab damit der Unterlassungsklage der Verbraucherzentrale statt. Es handele sich bei dem Erwerb einer Briefmarke um einen Kaufvertrag und nicht um einen Frachtvertrag.
Das bürgerliche Recht kenne für Verpflichtungen aus schuldrechtlichen Verträgen im Allgemeinen nur die im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: §§ 194 ff. BGB) geregelten Verjährungsvorschriften, nicht dagegen besondere, von der Frage der Verjährung unabhängige Ausschlussfristen. Es handele sich um eine unangemessene und erhebliche zeitliche Beschränkung des Erfüllungsanspruchs.
Das OLG hob hervor: Durch die Beschränkung der Gültigkeitauf 14 Tage wird der Erfüllungsanspruch auf etwa ein Prozent der gesetzlich vorgesehenen Verjährungsfrist verkürzt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 13.6.2023, I-3 U 148/22
| Im Rahmen einer inländischen doppelten Haushaltsführung ist der Werbungskostenabzug von Unterkunftskosten auf 1.000 Euro monatlich beschränkt. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat nun entschieden, dass unter diesen Höchstbetrag auch eine für die Wohnung am Beschäftigungsort zu entrichtende Zweitwohnungssteuer fällt. |
Hintergrund: Eine beruflich veranlasste doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer außerhalb des Ortes seiner ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Haushalt unterhält (Hauptwohnung) und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnt (Zweitwohnung). In diesen Fällen können Arbeitnehmer Unterkunftskosten bis maximal 1.000 Euro im Monat als Werbungskosten abziehen.
Das war geschehen
Eine Arbeitnehmerin hatte an ihrem Tätigkeitsort in München eine Zweitwohnung gemietet. Die hierfür in den Streitjahren entrichtete Zweitwohnungssteuer i. H. von 896 Euro bzw. 1.157 Euro machte sie neben weiteren Kosten für die Wohnung i. H. von jeweils mehr als 12.000 Euro als Aufwendungen für ihre doppelte Haushaltsführung geltend. Das Finanzamt erkannte die Kosten der Unterkunft am Ort der ersten Tätigkeitsstätte in München jeweils mit dem Höchstbetrag von 12.000 Euro an. Die Zweitwohnungssteuer bei den sonstigen Aufwendungen im Rahmen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigte es nicht.
Die hiergegen gerichtete Klage war erfolgreich. Der BFH hat die Vorentscheidung nun aber aufgehoben.
Was der Höchstbetrag umfasst – und was nicht
Der Höchstbetrag umfasst sämtliche entstehenden Aufwendungen, wie beispielsweise Miete, Betriebskosten sowie Kosten der laufenden Reinigung und Pflege der Zweitwohnung oder -unterkunft; nicht jedoch Aufwendungen für Hausrat, Einrichtungsgegenstände oder Arbeitsmittel, mit denen die Zweitwohnung ausgestattet ist. Aufwendungen für die erforderliche Einrichtung und Ausstattung der Zweitwohnung, soweit sie nicht überhöht sind, können als sonstige notwendige Mehraufwendungen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigt werden.
Die Zweitwohnungssteuer ist Aufwand für die Nutzung der Unterkunft und unterfällt daher bei den Mehraufwendungen für die doppelte Haushaltsführung der Abzugsbeschränkung.
Das Entstehen der Zweitwohnungssteuer knüpft maßgeblich an das Innehaben einer weiteren Wohnung in München neben der Hauptwohnung und so an die damit regelmäßig einhergehende Nutzung dieser Wohnung an. Die Steuer findet als örtliche Aufwandsteuer i. S. von Art. 105 Abs. 2 a des Grundgesetzes (GG) ihre Rechtfertigung darin, dass das Innehaben einer weiteren Wohnung für den persönlichen Lebensbedarf (Zweitwohnung) neben der Hauptwohnung ein Zustand ist, der gewöhnlich die Verwendung von finanziellen Mitteln (Einkommen) erfordert und damit regelmäßig die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Wohnungsinhabers zum Ausdruck bringt.
Beachten Sie | Der BFH hat damit die von der Finanzverwaltung vertretene Rechtsauffassung bestätigt. Noch nicht höchstrichterlich entschieden und derzeit beim BFH anhängig ist die Frage, wie Kosten für einen separat angemieteten Stellplatz zu behandeln sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 13.12.2023, VI R 30/21, PM 18/24 vom 4.4.2024; Stellplatz: Rev. BFH, VI R 4/23
| Zum 1.1.2020 wurde mit § 35 c Einkommensteuergesetz (EStG) eine Steuerermäßigung für energetische Maßnahmen bei zu eigenen Wohnzwecken genutzten Gebäuden eingeführt. Diese komplexe Regelung weist jedoch einige Fragen auf, die das Bundesfinanzministerium (BMF) in einem Schreiben teilweise beantwortet hat. Nun ist nach einem vorinstanzlichen Urteil des Finanzgerichts (FG) München ein Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) zum Heizungstausch anhängig, in dem es darum geht, ob die Steuerermäßigung erst ab der vollständigen Begleichung der Rechnung in Betracht kommt. |
Hintergrund: Begünstigte Aufwendungen/Maßnahmen sind u. a. die Wärmedämmung von Wänden, Dachflächen und Geschossdecken sowie die Erneuerung der Fenster, Außentüren oder der Heizungsanlage.
Je begünstigtem Objekt beträgt der Höchstbetrag der Steuerermäßigung 40.000 Euro, wobei die Ermäßigung nach der Maßgabe des § 35 c Abs. 1 EStG über drei Jahre verteilt wird.
Das war geschehen
Die Steuerpflichtigen ließen 2021 eine neue Heizungsanlage in ihrem selbstgenutzten Gebäude einbauen. Zur Begleichung der Rechnung wurde eine monatliche Ratenzahlung für die Jahre 2021 bis 2024 vereinbart. Fraglich ist nun, ob ein Abschluss der energetischen Maßnahmen bereits mit der ausgeführten Erneuerung der Heizungsanlage (hier im Jahr 2021) oder erst mit der vollständigen Begleichung des Rechnungsbetrags (voraussichtlich im Jahr 2024) vorliegt.
Voraussetzungen für die Steuerermäßigung
Das BMF hat in seinem Schreiben vom 14.1.2021 in der Rn. 43 ausgeführt, dass die Steuerermäßigung erstmalig in dem Veranlagungszeitraum zu gewähren ist, in dem die energetische Maßnahme abgeschlossen wurde. Voraussetzung ist, dass mit der Durchführung der energetischen Maßnahme nach dem 31.12.2019 begonnen wurde und diese vor dem 1.1.2030 abgeschlossen ist.
Die energetische (Einzel-)Maßnahme ist dann abgeschlossen, wenn
- die Leistung tatsächlich erbracht (vollständig durchgeführt) ist,
- der Steuerpflichtige eine Rechnung (Schlussrechnung) erhalten und
- den Rechnungsbetrag auf das Konto des Leistungserbringers eingezahlt hat.
Die Erledigung unwesentlicher Restarbeiten, die für die tatsächliche Reduzierung von Emissionen nicht hinderlich sind, ist unschädlich. Auch, soweit bei einer mehrteiligen Maßnahme für einzelne Teilleistungen Teilrechnungen erstellt und diese beglichen wurden, wird die Steuerermäßigung abweichend vom Abflussprinzip erst ab dem Veranlagungszeitraum des Abschlusses der energetischen Maßnahme gewährt, so das BMF.
Beachten Sie | Da die Revision gegen die Entscheidung anhängig ist, wird nun der BFH entscheiden. Bis dahin können geeignete Fälle mit einem Einspruch offengehalten werden.
Quelle | FG München, Urteil vom 8.12.2023, 8 K 1534/23, Rev. BFH: IX R 31/23; BMF, Schreiben vom 14.1.2021, IV C 1 - S 2296-c/20/10004 :006
| Für Geburten ab dem 1.4.2024 gilt eine neue Einkommensgrenze, ab der der Anspruch auf Elterngeld entfällt. Zudem werden die Möglichkeiten für einen parallelen Bezug von Elterngeld neu gestaltet. Antworten auf wichtige Fragen gibt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). |
Quelle | BMFSFJ, „Neuregelungen beim Elterngeld für Geburten ab 1. April 2024“ vom 28.3.2024
| Der Bezug eines Nutzungsersatzes im Rahmen der reinen Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags nach Widerruf löst keine Einkommensteuer aus. Diese für Verbraucher frohe Kunde kommt vom Bundesfinanzhof (BFH). |
Das war geschehen
Ehegatten schlossen 2008 einen Darlehensvertrag zur Finanzierung einer selbstgenutzten Wohnimmobilie ab. 2016 widerriefen sie den Darlehensvertrag unter Berufung auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung. Auf der Grundlage eines zivilgerichtlichen Vergleichs zahlte die Bank an die Eheleute Nutzungsersatz für bis zum Widerruf erbrachte Zins- undTilgungsleistungen i. H. von 14.500 Euro. Das Finanzamt erfasste den Nutzungsersatz als Einkünfte aus Kapitalvermögen – allerdings zu Unrecht, wie nun der BFH entschieden hat.
Nutzungsersatz: weder Kapitalertrag noch sonstige Einkünfte
Der Nutzungsersatz ist kein Kapitalertrag i. S. des Einkommensteuergesetzes (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG). Die Rückabwicklung eines vom Darlehensnehmer widerrufenen Vertrags vollzieht sich außerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre. Das Rückgewährschuldverhältnis ist ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln. Daher können die einzelnen Ansprüche aus dem Rückgewährschuldverhältnis auch nicht für sich betrachtet – i. S. einer unfreiwilligen Kapitalüberlassung – Teil einer steuerbaren erwerbsgerichteten Tätigkeit sein.
Beachten Sie | Es liegen auch keine sonstigen Einkünfte (§ 22 Nr. 3 EStG) vor.
Verbraucherschutzrecht inzwischen reformiert
Die Entscheidung betrifft „alte“ Verbraucherdarlehensverträge. Der mit der Reform des Verbraucherschutzrechts in das BGB eingefügte § 357 a Abs. 3 S. 1 BGB a. F. (jetzt § 357 b BGB) hat u. a. den Anspruch des Darlehensnehmers auf Nutzungsersatz für die Zukunft beseitigt. Die neue Rechtslage ist auf nach dem 12.6.2014 abgeschlossene Verbraucherdarlehensverträge anwendbar.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.11.2023, VIII R 7/21, PM 16/24 vom 21.3.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über einen Fall entschieden, in dem eine Pkw-Fahrerin an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifuhr und mit einem gerade entleerten Müllcontainer kollidierte. Der BGH hat in diesem Fall einen Verstoß der Fahrerin gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO) bejaht. |
Das war geschehen
Die Klägerin, ein Pflegedienst, macht gegen einen für die Abfallwirtschaft zuständigen kommunalen Zweckverband Schadenersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, bei dem eines ihrer Pflegedienstfahrzeuge beschädigt wurde. Eine Mitarbeiterin der Klägerin fuhr mit diesem Fahrzeug aus der Gegenrichtung kommend an einem Müllabfuhrfahrzeug des beklagtenZweckverbands vorbei, das mit laufendem Motor, laufender Schüttung und eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie Warnblinkanlage in der Straße stand. Dabei kam es zu einer Kollision des klägerischen Fahrzeugs mit einem Müllcontainer, den ein bei dem Beklagten angestellter Müllwerker hinter dem Müllabfuhrfahrzeug quer über die Straße schob.
Mit der Klage hat die Klägerin Erstattung der Fahrzeugreparaturkosten verlangt.
So sahen es die Vorinstanzen
Das Landgericht (LG) hat der Klage gegen den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 zu 50 teilweise stattgegeben.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht (OLG) das Urteil des LG teilweise geändert und den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 75 (Beklagter) zu 25 (Klägerin) zu weiterem Schadenersatz verurteilt. Es ist dabei davon ausgegangen, dass der Fahrerin des Pkw kein Verstoß gegen die StVO anzulasten sei.
So sieht es der Bundesgerichtshof
Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Das Urteil des OLG wurde aufgehoben und die Sache an das OLG zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Der Klägerin steht gegen den Beklagten als Halter des Müllabfuhrfahrzeugs ein Schadenersatzanspruch gemäß StVO (hier: § 7) zu, da das Fahrzeug der Klägerin „bei dem Betrieb“ des Müllabfuhrfahrzeugs beschädigt worden ist. Die Gefahr, die von einer gerade entleerten Mülltonne auf der Straße für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, ist dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs zuzurechnen.
Bei der Entscheidung über die Haftungsverteilung hat das OLG zu Recht dem Müllwerker einen schuldhaften Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorgeworfen, weil er hinter dem Müllabfuhrfahrzeug einen Müllcontainer quer über die Straße schob, ohne auf den Verkehr und das Fahrzeug der Klägerin zu achten, welches für ihn – hätte er den Müllcontainer nicht vor sich hergeschoben – erkennbar gewesen wäre.
Allerdings ist entgegen der Ansicht des OLG auch der Mitarbeiterin der Klägerin als Fahrerin des Pkw ein Verstoß gegen die StVO vorzuwerfen.
Mit dem Verhalten des Müllwerkers konnte gerechnet werden
Das Hauptaugenmerk der mit dem Holen, Entleeren und Zurückbringen von Müllcontainern befassten Müllwerker ist auf ihre Arbeit gerichtet, die sie überwiegend auf der Straße und effizient, also in möglichst kurzer Zeit und auf möglichst kurzen Wegen, zu erledigen haben. Wer an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifährt, das erkennbar im Einsatz ist, darf daher nicht uneingeschränkt auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Müllwerker vertrauen. Er muss damit rechnen, dass Müllwerker plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortreten und unachtsam einige Schritte weiter in den Verkehrsraum tun, bevor sie sich über den Verkehr vergewissern. Auf diese mit dem Einsatz von Müllabfuhrfahrzeugen verbundenen Gefahren hat der vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer sein Fahrverhalten einzurichten. Wenn es nicht möglich ist, einen ausreichenden Seitenabstand zu einem Müllabfuhrfahrzeug einzuhalten, um die Gefahr eines plötzlich auftauchenden Müllwerkers vor oder hinter dem Fahrzeugzu vermeiden, muss die Geschwindigkeit gemäß der Straßenverkehrsordnung (StVO) reduziert werden, sodass der Fahrer sein Fahrzeug bei Bedarf sofort zum Stillstand bringen kann.
Den dargelegten Anforderungen genügte die vom Berufungsgericht festgestellte Fahrweise der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nicht. Bei einem Seitenabstand von maximal 50 cm zum Müllabfuhrfahrzeug war die Ausgangsgeschwindigkeit von 13 km/h zu hoch, als dass die Fahrerin das Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen hätte bringen können.
Quelle | BGH, Urteil vom 12.12.2023, VI ZR 77/23, PM 12/24
| Gibt ein Kunde mittels PushTAN und Verifizierung über eine Gesichtserkennung nach einer Phishing-Nachricht die temporäre Erhöhung seines Überweisungslimits und eine anschließende Überweisung telefonisch frei, handelt er grob fahrlässig. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt. |
Der Bankkunde – ein Rechtsanwalt und Steuerberater in einer internationalen Sozietät – führt bei der beklagten Bank ein Girokonto und forderte erfolglos, eine Überweisung von knapp 50.000 Euro zurückzuerstatten. Das OLG: Die Bank schuldet in einem solchen Fall nicht die Rückerstattung des überwiesenen Betrags. Denn angesichts der fortlaufenden Warnungen der Banken vor Phishing-Mails und der öffentlichen Diskussion hierüber müssten Kunden spätestens bei der telefonischen Aufforderung, Sicherheitsmerkmale preiszugeben, misstrauisch werden. Dies gelte auch, wenn der äußere Rahmen der besuchten Website vertraut erscheint.
Quelle | OLG Frankfurt, Urteil vom 6.12.2023, 3 U 3/23
| Wer an der Grenze zu seinem Nachbargrundstück eine Hecke anlegt, muss nach dem geltenden Nachbarrecht dafür sorgen, dass die Pflanzen je nach Grenzabstand eine bestimmte Höhe nicht überschreiten. Tut er das nicht, kann der Nachbar den Rückschnitt der Hecke verlangen und im Notfall auch gerichtlich durchsetzen. Der Anspruch auf den Rückschnitt kann jedoch nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein, wenn sich der Nachbar selbst regel- und damit treuwidrig verhält. Das hat das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Das war geschehen
Das LG hat mit dieser Begründung die Klage eines Nachbarn auf Rückschnitt einer Hecke an der Grundstücksgrenze abgewiesen. Denn auch einzelne Pflanzen auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn verstießen nach den Feststellungen der Kammer gegen die Regelungen des Nachbarrechts.
Im konkreten Fall hatten zwei Grundbesitzer Streit über die zulässige Höhe einer direkt an der Grundstücksgrenze gepflanzten Hecke, die durchgehend eine Höhe von 2,20 Metern aufweist. Unter Berufung auf das geltende Landesrecht verlangte der Nachbar, dass die Hecke auf einer Höhe von maximal eineinhalb Metern gehalten werde. Dem gab das AG statt und verurteilte den Eigentümer zum entsprechenden Rückschnitt in der Zeit von 1.10. und 15.3. eines jeweiligen Jahres.
Höhe der Hecke zwar einzuhalten, aber …
Die dagegen gerichtete Berufung zum LG hatte jedoch Erfolg. Die Berufungskammer hat dem Nachbarn zwar grundsätzlich zugebilligt, dass die nach dem Nachbarrecht zulässige Höhe der Hecke einzuhalten ist.
… Grundsätze von Treu und Glauben zu beachten
Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis sei aber stark von den sog. Grundsätzen von Treu und Glauben geprägt. Hieraus entspringen Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme, die zu einer Beschränkung bis hin zum Ausschluss nachbarrechtlicher Rechte führen könnten, so das LG. Deshalb müsse berücksichtigt werden, dass auch auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn direkt hinter dem Zaun eine drei bis vier Meter hohe Kugelhecke und eine etwa zweieinhalb Meter hohe Zypresse gepflanzt sei. Dadurch werde ebenfalls gegen das Nachbarrecht verstoßen. Wer sich aber selbst nicht regelgerecht verhalte, sei nach Treu und Glauben von Ansprüchen gegen seinen Nachbarn ausgeschlossen.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 24.1.2024, 2 S 85/23, PM vom 31.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Karlsruhe hat die Klage eines E-Autofahrers gegen die EnBW auf Rückzahlung von Blockiergebühren abgewiesen. |
Überschreiten der zulässigen Standzeit
Die Blockiergebühren in Höhe von insgesamt 19,80 Euro waren wegen Überschreitung der zulässigen Höchststandzeit an Ladesäulen der EnBW an drei verschiedenen Terminen im März 2022 angefallen. Die Blockiergebühr ist nach den Bedingungen des ADAC e-Charge Tarifs, der von der EnBW angeboten wird, ab einer Standzeit von mehr als 240 Minuten fällig. Ab diesem Zeitpunkt sind 12 Cent pro Minute zu zahlen, maximal jedoch 12 Euro. Auf die Blockiergebühr wird sowohl beim Abschluss des Tarifs als auch beim Start des Ladevorgangs hingewiesen. Der Kläger hatte diesen Bedingungen bei Nutzung der App zugestimmt.
Klausel wirksam
Der Kläger hatte argumentiert, die Klausel sei unwirksam. Im Übrigen verlangten andere Anbieter keine Blockiergebühr. Nach Auffassung des AG ist die Klausel jedoch wirksam, da das Interesse der EnBW berechtigt ist, die Ladesäule zeitnah weiteren Kunden zur Verfügung stellen zu können.
Die Entscheidung erging ohne mündliche Verhandlung. Sie ist rechtskräftig.
Quelle | AG Karlsruhe, Urteil vom 4.1.2024, 6 C 184/23, PM vom 24.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Hannover hält ein „französisches Bett“ nicht für ein Doppelbett. Das war in einem Reiserechtsfall entscheidend. |
Ist ein Bett mit einer Breite von 1,40 m ein Doppelbett? Ist es breit genug, um zwei erwachsenen Menschen einen erholsamen Urlaub zu ermöglichen? Das AG hat diese Fragen verneint. Es hat entschieden, dass Reisende jedenfalls in einem Hotel, das der Reiseveranstalter selbst mit fünf „Sonnen“ bewertet, für jeden Reisenden mit einem Schlafplatz von mehr als 70 cm Breite rechnen dürfen.
Im Fall des AG hatten drei erwachsene Personen gemeinsam ein Dreibettzimmer gebucht. Zur Verfügung gestellt wurde ihnen ein Zimmer, das über zwei Betten mit einer Breite von jeweils 1,40 m verfügte. Weil diese Ausstattung nicht der vertraglichen Vereinbarung entsprach, erhalten die beiden Reisenden, die sich ein Bett teilen mussten, nun 15 Prozent des auf sie entfallenden Reisepreises zurück.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 22.2.2024, 471 C 6110/23, PM vom 26.2.2024
| Ein gesetzlich versicherter Patient verlangte von seiner Krankenversicherung, ihm die Kosten für ein Einzelzimmer während eines stationären Krankenhausaufenthalts zu erstatten. Einen solchen Anspruch lehnte das Sozialgericht (SG) Mainz aber ab. |
Patient lag im Einzelzimmer
Ein Patient ließ sich längere Zeit stationär in einem Krankenhaus behandeln. Mit dem Krankenhaus hatte er einen Vertrag über das Unterbringen in einem Einzelzimmer geschlossen.
Krankenkasse wollte Kosten nicht übernehmen
Die dabei entstandenen Kosten wollte die Krankenkasse nicht übernehmen. Der Patient klagte. Seine Argumentation: Aus medizinischen Gründen sei ein Einzelzimmer erforderlich gewesen.
Sozialgericht wies Klage ab
Vor dem SG hatte er jedoch keinen Erfolg. Selbst wenn ein Einzelzimmer erforderlich gewesen sei, hätte das Krankenhaus dafür sorgen müssen, dass der Patient entsprechend untergebracht sei. Die Kosten einer erforderlichen Einzelzimmerbelegung seien dann in den pauschal von der Krankenkasse an das Krankenhaus zu zahlenden Entgelten enthalten. Die Kosten hierfür habe die Krankenkasse bereits gezahlt. Zusätzliche Kosten für ein Einzelzimmer könne der Patient folgerichtig nicht bei seiner Krankenkasse einfordern.
Quelle | SG Mainz, Urteil vom 23.2.2024, S 7 526/20
| Das Mietrecht (hier: § 556 Abs. 3 S. 3 BGB) schließt eine nachträgliche Abrechnung zulasten des Mieters nicht aus, durch die ein Guthaben verringert wird. Das entschied das Landgericht (LG) München. |
Grundsteuer in der Abrechnung vergessen
Der Vermieter hatte über die Betriebskosten abgerechnet und dabei die Grundsteuer vergessen. Bevor er das ursprünglich berechnete Guthaben an den Mieter auszahlte, verstrich die Abrechnungsfrist. Nun korrigierte der Vermieter die Betriebskostenabrechnung und berücksichtigte die Grundsteuer. Dabei ergab sich ein geringeres Guthaben, das er an den Mieter zahlte. Der Mieter klagte auf Rückzahlung des ursprünglich berechneten höheren Guthabens.
Amtsgericht und Landgericht vermieterfreundlich
Das Amtsgericht (AG) sprach jedoch nur das korrigierte geringere Guthaben zu. Es bestünde kein Anspruch des Mieters, weil eine nachträgliche Verringerung des Guthabens vom Gesetz nicht ausgeschlossen sei.
Die Berufung des Mieters blieb erfolglos. Das LG teilte die Rechtsauffassung des AG. § 556 Abs. 3 S. 3 BGB solle den Mieter nur davor schützen, nach Ablauf der Abrechnungsfrist Zahlungen leisten zu müssen, die die Vorauszahlungen übersteigen. Darüber hinaus gewähre das Gesetz keinen Vertrauensschutz für eine zugunsten des Mieters unrichtige Abrechnung.
Der Mieter darf also nicht darauf vertrauen, dass ein Guthaben unveränderlich bleibt. Dies gilt auch, wenn die Korrektur erst nach Ablauf der Abrechnungsfrist erfolgt. Eine weitergehende Schutzwirkung zugunsten des Mieters sieht das Gesetz schon nach dem Wortlaut der Vorschrift („Geltendmachung einer Nachzahlung“) nicht vor.
Die Entscheidung entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 31.10.07, VIII ZR 261/06).
Quelle | LG München I, Beschluss vom 30.11.2023, 31 S 10140/23
| Eine fristlose Kündigung ist auch gegenüber einem psychisch kranken oder schuldunfähigen Mieter möglich, wenn trotz Abmahnung der Hausfrieden systematisch, wiederholt und nachhaltig gestört wird mit der Folge der vorzeitigen Kündigung von anderen Mietern und der Nichtvermietbarkeit angrenzender Wohnungen. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Gesundheitszustand bedarf es dann nicht. So entschied es der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) Sachsen. |
Wiederholte Lärmstörungen
Der Vermieter kündigte nach Abmahnung das Mietverhältnis mit einem psychisch kranken Mieter wegen wiederholten Lärmstörungen fristlos, hilfsweise ordentlich. Andere Mieter hatten wegen des Lärms ihr Mietverhältnis gekündigt und eine Neuvermietung der angrenzenden Wohnung war nicht möglich.
Gegen die erfolgreiche Räumungsklage legte der Mieter Berufung ein, die er nach Hinweisbeschluss des Landgerichts (LG) Dresden zurücknahm. Das LG hatte ausgeführt, dass zwar in der Regel ein schuldhaftes Verhalten des Mieters für die Begründung des Kündigungsgrundes erforderlich sei. Dies gelte aber nicht absolut, da auch bei Schuldlosigkeit das zumutbare Maß und damit die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter überschritten sei und in der Abwägung überwiegen kann. Zwar ergebe sich aus den Wertentscheidungen des Grundgesetzes (hier: Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG) eine erhöhte Toleranzbereitschaft gegenüber nicht oder nur eingeschränkt verantwortlichen Mietern, z. B. Verschlechterung des Gesundheitszustands, Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche oder Suizidgefährdung. Aber auch wenn der Mieter aufgrund der psychischen Erkrankung nicht in der Lage sei, das Unrecht seines Handelns zu erkennen, sei hier die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter deutlich überschritten.
Mieter legte Verfassungsbeschwerde ein
Gegen das Urteil und den Beschluss legte der Mieter Verfassungsbeschwerde ein – doch ohne Erfolg. Die Beschwerde sei unzulässig, sie genüge nicht den Begründungsanforderungen, so der VerfGH. Das LG habe sich umfassend – auch – mit Grundrechten auseinandergesetzt. Eine konkrete Grundrechtsverletzung rüge der Beschwerdeführer nicht.
Quelle | VerfGH Sachsen, Urteil vom 30.8.2023, Vf. 40-IV-23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg ist der Frage nachgegangen, was der mehrdeutige Begriff „vorhandenes Barvermögen“ in einem Vermächtnis bedeutet. |
Die Parteien stritten um die Erfüllung eines Vermächtnisses und hierbei um den Begriff „Barvermögen“. In einem notariellen Testament beschwerte der Erblasser die eingesetzten Erben mit einem Vermächtnis zugunsten einer weiteren Person wie folgt: „Das bei Eintritt des Erbfalls vorhandene Barvermögen soll zu einem 1/3 Anteil an meine Tochter …, geb. am …, ausgezahlt werden“. Die Bedachte hat die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ seine gesamten liquiden Mittel, insbesondere sämtliche Guthaben bei Kreditinstituten, Wertpapiere und Bargeld im engeren Sinne verstanden. Demgegenüber haben die beschwerten Erben die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ lediglich das vorhandene Bargeld verstanden.
Barvermögen = auch unbares Geld, das sofort verfügbar ist
Das Landgericht (LG) hat sich in erster Instanz der Auffassung der Bedachten angeschlossen und die Erben verurteilt, zu zahlen. Aufgrund der gegen dieses Urteil durch die Erben eingelegten Berufung hat das OLG Oldenburg den Begriff wie folgt verstanden: Danach umfasst der Begriff des Barvermögens heutzutage das gesamte Geld, das sofort verfügbar ist, also auch über eine Kartenzahlung. Wertpapiere fallen nicht unter den Begriff des Barvermögens. Vielmehr werden Wertpapiere durch den erweiterten Begriff des Kapitalvermögens mit abgedeckt, der das Barvermögen einschließlich weiterer Kapitalwerte in Geld beschreibt.
Wertpapiere gehörten hier nicht zum Barvermögen
Nach Beweisaufnahme hat das OLG festgestellt, dass die Bedachte nicht habe nachweisen können, dass der Erblasser mit dem Begriff „Barvermögen“ das gesamte Kapitalvermögen, also auch das nicht sofort verfügbare Kapital in der Form von Genossenschaftsanteilen und Wertpapieren gemeint habe. Im Ergebnis habe der vernommene Zeuge – der beurkundende Notar – keine konkreten Aussagen zum Willen des Erblassers in Bezug auf Wertpapiere und dessen Begriffsverständnis vom Begriff „Barvermögen“ machen können.
Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 20.12.2023, 3 U 8/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) München hat entschieden: Ein Tragwerksplaner ist nur verpflichtet, den Prüfbericht des Prüfingenieurs und die diesem beigefügten Bewehrungspläne zu prüfen, wenn eine entsprechende vertragliche Vereinbarung getroffen wurde. |
Wichtige Entscheidung
Diese Aussage ist für das Tagesgeschäft der Tragwerksplanung wichtig, da es in den meisten Fällen für den Tragwerksplaner von Eigeninteresse sein dürfte, Prüfbericht und Prüfeintragungen durchzusehen. Denn der Prüfingenieur könnte ja auch eigene Mängel verhindern helfen. Schwierig wird es, wenn der Prüfingenieur eine andere Auffassung vertritt, aber dennoch kein Planungsfehler vorliegt. Dann muss man abwägen.
Das gehört nicht zuden Aufgaben eines Tragwerksplaners
Das OLG hat auch noch weitere Feststellungen getroffen: Es gehört danach nicht zu den Aufgaben eines Tragwerksplaners, geänderte Ausführungspläne des Architekten an das bauausführende Unternehmen weiterzuleiten. Dies ist ein ständiges Streitthema. Um hier Auseinandersetzungen zu vermeiden, ist es wichtig, zu Planungsbeginn eine Regelung zu treffen, wer welche Pläne an wen weiterleitet. In den meisten Fällen macht es Sinn, dass der Objektplaner hier koordinierend Regelungsvorschläge macht und dafür Sorge trägt, dass seine Pläne an die ausführenden Unternehmen weitergeleitet werden.
Schutzwürdiges Eigeninteresse erforderlich
Außerdem, so das OLG, setze ein Anspruch des Auftraggebers auf Lieferung von Plänen nach Abschluss der Bauarbeiten ein schutzwürdiges Eigeninteresse voraus. Daran fehle es, wenn der Auftraggeber das Bauwerk jahrelang ohne die verlangten Pläne nutzen und verwalten konnte. Hierdurch wird klargestellt, dass Planungsbüros im Regelfall nicht jahrelang als Planarchiv für ehemalige Auftraggeber fungieren müssen.
Quelle | OLG München, Urteil vom 16.5.2023, 9 U 1801/21 Bau
| Die ungenehmigte Nutzung eines Einfamilienwohnhauses als Monteursunterkunft darf nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Neustadt an der Weinstraße untersagt werden. |
Das war geschehen
Die Stadt Ludwigshafen hatte durch ihre Bauaufsichtsbehörde eine Ortsbesichtigung durchgeführt, die ein zur Wohnnutzung genehmigtes Einfamilienhaus betraf. Hierbei stellte sie fest, dass sich in dem Wohnraum im Erdgeschoss zwei Einzelbetten und in einem Wohnraum im Dachgeschoss vier weitere Betten befanden. Insgesamt wohnten dort sechs männliche Personen. Die Stadt untersagte daraufhin gegenüber dem Eigentümer die Nutzung des Hauses für die Zwecke einer „Monteursunterkunft“ bzw. für eine „Beherbergung“ und ordnete hierfür die sofortige Vollziehung an. Dieser legte Widerspruch ein und stellte wegen des Sofortvollzugs zudem einen Eilantrag beim VG. Der Antrag blieb hinsichtlich der Nutzungsuntersagung ohne Erfolg.
So argumentierte das Verwaltungsgericht
Nach der Landesbauordnung Rheinland-Pfalz (hier: § 81 LBauO) könne die Bauaufsichtsbehörde die Benutzung solcher Anlagen untersagen, die gegen baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften über die Errichtung, die Änderung, die Instandhaltung oder die Nutzungsänderung dieser Anlagen verstießen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden könnten.
Dies sei hier der Fall. Die von der Stadt ausgesprochene Nutzungsuntersagungsverfügung sei nicht zu beanstanden, da die tatsächliche Nutzung des Einfamilienhauses als Monteursunterkunft oder sonst als Beherbergungsbetrieb weder genehmigt noch genehmigungsfrei sei. Vorliegend sei nämlich von einer tatsächlich nicht Wohnzwecken dienenden Nutzung des Einfamilienwohnhauses auszugehen.
Definition der „Wohnnutzung“
Eine Wohnnutzung zeichne sich durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts aus. Dies setze bestimmte Ausstattungsmerkmale des Gebäudes voraus. Erforderlich seien insbesondere eine Küche bzw. Kochgelegenheit sowie Toiletten und Waschgelegenheiten, die auch in Gestalt von Gemeinschaftseinrichtungen zur Verfügung stehen könnten.
Der Begriff des Wohnens verlange zudem, dass Aufenthalts- und private Rückzugsräume vorhanden seien, die eine Eigengestaltung des häuslichen Wirkungskreises erst ermöglichten. Auch Wohnheime – etwa Studentenwohnheime – könnten daher als Wohngebäude einzustufen sein, wenn sie nach ihrer Zweckbestimmung und Ausstattung Wohnbedürfnisse erfüllen könnten und sollten. Die Grenzen des Wohnens seien allerdings überschritten, wenn das Gebäude – wie im Fall einer Unterkunft für Monteure – aufgrund seiner spartanischen Ausstattung lediglich als Schlafstätte diene und auch einfache Wohnbedürfnisse nicht befriedige. Dabei spiele zudem die Wohndichte eine Rolle. Der Umstand, dass sich zwei Bewohner einen Schlafraum teilten, spreche zwar nicht zwingend gegen eine Wohnnutzung im Rechtssinne; die dadurch bewirkte Einschränkung der Privatsphäre schließe aber unter Berücksichtigung der hierzulande üblichen Wohnstandards die Annahme einer Wohnnutzung jedenfalls dann regelmäßig aus, wenn zwischen den Bewohnern keine persönliche Bindung bestehe bzw. sich diese Bindung in dem gemeinsamen Interesse an einer möglichst kostengünstigen Unterbringung erschöpfe.
Mindestanforderungen der Wohnnutzung waren zwar erfüllt...
Zwar verfüge das Wohnhaus hier mit zwei Toiletten und einer Küche über die für eine Wohnnutzung erforderlichen Mindestanforderungen. Alle Räume seien aber sehr spartanisch lediglich mit Betten und Schreibtischen eingerichtet.
... Bewohner lebten aber „aus dem Koffer“
Die Bewohner lebten augenscheinlich „aus dem Koffer“, Kleiderschränke oder auch sonstiger Stauraum seien nicht vorhanden. Zudem spreche das Vorbringen des Antragstellers im Eilverfahren, wonach die Bewohner allesamt unter der Woche als Monteure an weit entfernten Orten beschäftigt seien und lediglich am Wochenende oder im Urlaub in dem Haus verweilten, erheblich dafür, dass der Zweck des Zusammenlebens nicht über das Interesse an einer günstigen Unterkunft hinausgehe und tatsächlich kein Interesse an einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit bestehe, sondern das Haus lediglich als Schlafplatz zwischen den Arbeitsaufträgen diene. Insbesondere wegen der Unterbringung in Mehrbettzimmern und des vollständigen Fehlens von Aufenthaltsräumen sei nicht ersichtlich, dass die Unterkunft über den Nutzen als Schlafstätte hinaus Wohnbedürfnisse befriedige.
Quelle | VG Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 4.1.2024, 4 L 1213/23.NW, PM 2/24
| Eine Vorschlagsliste für die Betriebsratswahl, die in ihrem Kennwort ein „Smiley-Symbol“ enthält, ist ungültig. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln in einem Wahlanfechtungsverfahren entschieden. |
Betriebsratswahl angefochten
Fünf Arbeitnehmer eines weltweit tätigen Logistikunternehmens mit einem Betrieb am Flughafen Köln/Bonn und einer weiteren Betriebsstätte im benachbarten Troisdorf hatten die Wahl des 25-köpfigen Betriebsrats angefochten und dies u. a. damit begründet, dass der Wahlvorstand ihren Wahlvorschlag zu Unrecht wegen des verwendeten Listenkennworts zurückgewiesen und stattdessen mit den Familien- und Vornamen der beiden in der Liste an erster Stelle benannten Wahlbewerbern versehen habe.
Die Arbeitnehmer hatten beim Wahlvorstand zunächst einen Wahlvorschlag mit dem Kennwort ,,fair.die“ eingereicht. Nachdem der Wahlvorstand den Vorschlag wegen einer phonetischen Verwechslungsgefahr mit der Gewerkschaft ver.di zurückgewiesen hatte, teilten die Arbeitnehmer mit, dass ihr Wahlvorschlag das Kennwort „FAIR“ (mit dem zusätzlichen „Smiley-Symbol“) die Liste“ tragen solle.
Dieses Kennwort sowie drei weitere Alternativvorschläge, die ebenfalls einen „Smiley“ enthielten, lehnte der Wahlvorstand wiederum ab.
Landesarbeitsgericht: Bildzeichen unzulässig
Wie das LAG entschieden hat, ist ein Bildzeichen als Bestandteil eines Kennworts unzulässig, wenn es wie das „Smiley“ lediglich einen Stimmungs- oder Gefühlszustand ausdrückt, keine eindeutige Wortersatzfunktion hat und demgemäß üblicherweise nicht mit ausgesprochen wird. Zudem hätte auch bei dem oben genannten Kennwort eine Verwechslungsgefahr bestanden, da es lautsprachlich wie „ver.di-Liste“ klingt.
Zudem hat das LAG die Betriebsratswahl für unwirksam erklärt, weil der Wahlvorstand für die Betriebsstätte Troisdorf trotz ihrer räumlichen Nähe zum Hauptbetrieb unzulässigerweise die generelle Briefwahl angeordnet hatte.
Quelle | LAG Köln, Beschluss vom 1.12.2023, 9 TaBV 3/23, PM 13/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat den koordinierten Beschäftigtentausch als Sparmodell für Sozialversicherungsbeiträge für unzulässig erklärt. |
Darum ging es
Ausgangspunkt war die Klage eines niedersächsischen Obstbauern, der einen Betrieb für Apfelanbau führt und an einem weiteren Betrieb für Erdbeeranbau beteiligt ist. Seine Erntehelfer beschäftigt er formal ganzjährig im Apfelanbau. Sie erhalten dort einen festen Monatslohn auf Basis eines Jahresarbeitsstundensolls. In der Zeit von Mai bis Juli wurden die Helfer jedoch im Erdbeerbetrieb eingesetzt. Auf den Lohn dieser Arbeit zahlte der Bauer keine Sozialversicherungsbeiträge, da er die Arbeit als zeitgeringfügige Aushilfstätigkeit betrachtete. Während der Apfelernte im Herbst verfuhr er bei jeweils wechselnder Arbeitsfreistellung mit den Beschäftigten des Erdbeerbetriebs in ähnlicher Weise.
Kurzzeitige Saisonaushilfen oder berufsmäßige Beschäftigte?
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) kam nach einer Betriebsprüfung zu dem Ergebnis, dass die Mitarbeiter nicht nur kurzzeitige Saisonaushilfen seien, sondern berufsmäßig Beschäftigte, für die rd. 58.000 Euro Sozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten seien.
Bauer reklamierte für sich „angepasste Gestaltung“
Hiergegen klagte der Bauer und meinte, dass in rechtlich selbstständigen Betrieben eine Arbeitnehmertätigkeit im Hauptberuf und eine kurzzeitige Beschäftigung bei einem weiteren Arbeitnehmer möglich und erlaubt sei. Steigende Preise und politische Unsicherheiten würden eine angepasste Gestaltung notwendig machen.
Landessozialgericht spricht Klartext
Das LSG hat die Rechtsauffassung der DRV bestätigt. Zur Begründung hat es auf die Berufsmäßigkeit der Helfer abgestellt, die eine Beitragspflicht für die gesamte Tätigkeit auslöse. Das praktizierte Modell verfolge zielgerichtet das Bestreben, über wechselseitige betriebliche Absprachen und mittels langfristig geplanter und aufeinander abgestimmter organisatorischer und vertraglicher Maßnahmen rund ein Drittel des Jahreseinkommens der Arbeitskräfte der Beitragspflicht zur gesetzlichen Sozialversicherung zu entziehen. Die Gefahr der Altersarmut aufseiten der Erntehelfer sei von den Arbeitgebern sehenden Auges hingenommen worden. Die sozialrechtlichen Vorgaben ließen keinen Raum für eine entsprechende Beitragsverkürzung.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.12.2023, L 2 BA 59/23, PM vom 5.2.2024
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung eines Schwerbehinderten in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses diskriminierend im Sinne des Sozialgesetzbuchs IX (hier: § 164 Abs. 2 SGB IX) ist. Sie kann damit unwirksam sein, wenn der Arbeitgeber das Präventionsverfahren nach dem Sozialgesetzbuch (§ 167 Abs. 1 SGB IX) nicht durchgeführt hat. |
Der mit einem Grad der Behinderung von 80 schwerbehinderte Kläger ist seit dem 1.1.2023 bei der beklagten Kommune als „Beschäftigter im Bauhof“ beschäftigt. Der Kläger wurde zwischen dem 2.1. und 14.4.2023 in verschiedenen Kolonnen des Bauhofs eingesetzt und war ab Ende Mai arbeitsunfähig. Am 22.6.2023 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 31.7.2023.
Das ArbG hat entschieden: Die Kündigung verstößt gegen das Diskriminierungsverbot des § 164 Abs. 2 SGB IX und ist damit unwirksam. Der Arbeitgeber sei – entgegen bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) – auch während der Wartezeit gemäß Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 Abs. 1 KSchG) verpflichtet, das o. g. Präventionsverfahren durchzuführen.
§ 167 Abs. 1 SGB IX regelt, dass möglichst frühzeitig als Präventionsmaßnahme die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt einzuschalten sind, wenn Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis eintreten, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können. Dies habe die Arbeitgeberin hier nicht getan. Sie hätte, als sie bemerkte, dass der schwerbehinderte Kläger sich während der Wartezeit – wie sie vorträgt – nicht bewährte bzw. sich nicht ins Team einfügte und ihren Erwartungen nicht entsprach, Präventionsmaßnahmen ergreifen und gegebenenfalls die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt präventiv einschalten müssen.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 20.12.2023, 18 Ca 3954/23, PM 2/24
| Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch verpflichtet. Das Sozialrecht (hier: § 165 S. 3 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX)) sieht die grundsätzliche Einladungspflicht nur für öffentliche Arbeitgeber vor. Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist kein öffentlicher Arbeitgeber. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Schwerbehinderten nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen
Der schwerbehinderte Kläger hatte sich um eine Stelle in der Verwaltung eines Kirchenkreises der Evangelischen Kirche im Rheinland beworben. Trotz Offenlegung seiner Schwerbehinderung wurde er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Seine Bewerbung blieb erfolglos.
Lag Diskriminierung vor?
Nach Ansicht des Klägers wurde er im Auswahlverfahren wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Dies indiziere die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Hierzu sei der Kirchenkreis nach der o. g. Vorschrift verpflichtet gewesen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts gelte er als öffentlicher Arbeitgeber. Mit seiner Klage hat der Kläger deshalb die Zahlung einer Entschädigung verlangt. Der beklagte Kirchenkreis hat dies abgelehnt. Er sei kein öffentlicher Arbeitgeber. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Bundesarbeitsgericht spricht Klartext
Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung dargelegt.
Eine solche kann nicht aufgrund der unterbliebenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch vermutet werden. Hierzu war der beklagte Kirchenkreis nicht verpflichtet. Die Einladungspflicht besteht zwar u. a. für Körperschaften des öffentlichen Rechts. Dies betrifft aber nach dem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Begriffsverständnis nur Körperschaften, die staatliche Aufgaben wahrnehmen. Kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts dienen demgegenüber primär der Erfüllung kirchlicher Aufgaben. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts soll dabei die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgesellschaft unterstützen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Einladungspflicht auf kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts erstrecken wollte. Insoweit stehen sie den ebenfalls staatsfernen privaten Arbeitgebern gleich.
Quelle | BAG, Urteil vom 25.1.2024, 8 AZ R 318/22, PM 2/24
| Bereits im Juli 2023 hatte das Bundesfinanzministerium (BMF) einen Referentenentwurf für ein milliardenschweres Wachstumschancengesetz vorgelegt. Das Ziel: Eine Verabschiedung im Jahr 2023. Bekanntlich wurde daraus nichts. Vielmehr kam das Gesetzgebungsverfahren einem „Possenspiel“ gleich, das durch die Zustimmung des Bundesrats am 22.3.2024 und der Gesetzesverkündung am 27.3.2024 nun beendet ist. |
Das verabschiedete Gesetz enthält im Vergleich zum ursprünglichen Referenten- und Regierungsentwurf viele Änderungen. So wurde u. a. das Entlastungsvolumen reduziert und die Klimaschutz-Investitionsprämie gestrichen.
Zudem wurden zeitkritische Regelungen bereits Ende 2023 durch das Kreditzweitmarktförderungsgesetz umgesetzt, z. B. die Beseitigung von Unsicherheiten bei der Grunderwerbsteuer aufgrund des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts sowie Anpassungen bei der Zinsschrankenregelung.
Dennoch enthält das Gesetzespaket weiterhin zahlreiche Änderungen bzw. Neuregelungen, die im Folgenden auszugsweise vorgestellt werden:
Degressive Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter
Bei beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die nach dem 31.12.2019 und vor dem 1.1.2023 angeschafft oder hergestellt wurden, kann der Steuerpflichtige statt der linearen eine degressive Abschreibung von 25 % (höchstens das 2,5-Fache der linearen Abschreibung) wählen.
Die als Investitionsanreiz gedachte degressive Abschreibung wurde nun wieder eingeführt – und zwar erneut befristet für Anschaffungen oder Herstellungen nach dem 31.3.2024 und vor dem 1.1.2025. Der Abschreibungssatz wurde auf 20 % (höchstens das 2-Fache der linearen Abschreibung) reduziert.
E-Fahrzeuge/Firmenwagen
Die Besteuerung eines Firmenwagens (außerdienstliche Nutzung) kann reduziert werden, indem kein Verbrenner, sondern ein Elektrofahrzeug gewählt wird. Denn hier ist nur ein Viertel des Bruttolistenpreises anzusetzen, wenn der Höchstbetrag von 60.000 Euro eingehalten wird. Dieser wurde für nach dem 31.12.2023 angeschaffte Fahrzeuge auf 70.000 Euro erhöht.
Geschenkegrenze
Geschenke an Geschäftspartner und Kunden sind nur dann steuermindernde Betriebsausgaben, wenn eine Grenze eingehalten wird. Diese wurde für nach dem 31.12.2023 beginnende Wirtschaftsjahre von 35 Euro auf 50 Euro erhöht.
Verlustvortrag
Nach der Regelung des § 10 d Abs. 2 EStG ist ein Verlustvortrag bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1 Mio. Euro (bei Zusammenveranlagung: 2 Mio. Euro) unbeschränkt, darüber hinaus bis zu 60 % des 1 Mio. bzw. 2 Mio. Euro übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte möglich. Ab dem Veranlagungszeitraum 2024 gelten anstelle der 60 % dann 70 % (ab 2028 sind wieder 60 % relevant).
Thesaurierungsbegünstigung
Für bilanzierende Einzel- und Personenunternehmen sieht § 34 a EStG eine steuerliche Begünstigung für nicht entnommene Gewinne vor, die (langfristig) im Unternehmen verbleiben sollen. Da von dieser Begünstigung (nicht zuletzt infolge der Komplexität) bis dato eher selten Gebrauch gemacht wurde, hat der Gesetzgeber § 34 a EStG mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2024 „reformiert“. Ob die Änderungen zu einer höheren „Nachfrage“ bzw. Nutzung führen, bleibt aber abzuwarten.
Option zur Körperschaftsbesteuerung
Nach § 1 a des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) können Personenhandels- und Partnerschaftsgesellschaften im ertragsteuerlichen Bereich wie Körperschaften behandelt werden. Durch einige Änderungen (z. B. können nun auch eingetragene GbRs optieren) soll die Option attraktiver werden.
Elektronische Rechnung
Im Bereich der Umsatzsteuer stellt die Einführung der obligatorischen elektronischen Rechnung für Umsätze zwischen inländischen Unternehmen (B2B) sicherlich die relevanteste Änderung dar.
Die Neuregelung tritt bereits am 1.1.2025 in Kraft. Da die Umsetzung aber einige Zeit beanspruchen wird, können nach den Vorgaben des § 27 Umsatzsteuergesetz (UStG) Übergangsregelungen genutzt werden. Der allgemeine Übergangszeitraum beträgt zwei Jahre (Pflicht somit ab 2027); drei Jahre gelten für Unternehmer mit einem Gesamtumsatz von bis zu 800.000 Euro im Jahr 2026.
Bürokratieabbau bei der Umsatzsteuer
Unter gewissen Voraussetzungen kann die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten (Ist-Besteuerung) berechnet werden, was einen Liquiditätsvorteil ermöglicht. Die relevante Vorjahresumsatzgrenze wurde von 600.000 Euro auf 800.000 Euro erhöht (gilt ab dem Besteuerungszeitraum 2024).
Die Grenze, ab der Unternehmer von der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung befreit werden können, wurde angehoben – und zwar von 1.000 Euro auf 2.000 Euro (gilt ab dem Besteuerungszeitraum 2025).
Grundsätzlich sind Kleinunternehmer (§ 19 UStG) von der Abgabe einer Umsatzsteuererklärung (Nullmeldung) ab dem Besteuerungszeitraum 2024 befreit.
Anhebung von Buchführungsgrenzen
Überschreiten gewerbliche Unternehmer gewisse Buchführungsgrenzen, können sie ihren Gewinn nicht mehr mittels Einnahmen-Überschussrechnung ermitteln, sondern sind zur Bilanzierung verpflichtet. Die in § 141 der Abgabenordnung geregelten Grenzen wurden von 600.000 Euro auf 800.000 Euro (Umsatz) und von 60.000 Euro auf 80.000 Euro (Gewinn) erhöht. Dies gilt für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2023 beginnen (mit Übergangsregelung).
Auch die Buchführungsgrenzen in § 241 a Handelsgesetzbuch (HGB) wurden auf 800.000 Euro (Umsatzerlöse) bzw. 80.000 Euro (Jahresüberschuss) erhöht.
Quelle | Wachstumschancengesetz, BGBl I 2024, Nr. 108
| Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat entschieden: Die von der Stadt Fulda verfügte Schließung von ohne Personal betriebenen Verkaufsmodulen an Sonn- und Feiertagen hat Bestand. |
Das war geschehen
Die Antragstellerin und Inhaberin einer Supermarktkette betreibt im Gebiet der Stadt Fulda Verkaufsmodule, die an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr geöffnet sind und zu denen die Kunden nach einer digitalen Kontrolle Zugang erhalten. Angeboten werden dort Waren des täglichen Bedarfs, die digital bezahlt werden. An Sonn- und Feiertagen wird in diesen Verkaufsmodulen kein Personal eingesetzt.
Die Stadt Fulda hatte gegenüber der Antragstellerin mit sofortiger Wirkung verfügt, die im Stadtgebiet aufgestellten Verkaufsmodule insbesondere an Sonn- und Feiertagen zu schließen. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit einem gerichtlichen Eilantrag, den das Verwaltungsgericht (VG) Kassel ablehnte.
So sieht es der Verwaltungsgerichtshof
Der VGH hat die Entscheidung des VG bestätigt und sich hierbei maßgebend auf die Bestimmungen des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes gestützt. Nach § 3 Abs. 2 dieses Gesetzes müssen Verkaufsstellen unter anderem an Sonn- und Feiertagen für den geschäftlichen Verkehr mit Kundinnen und Kunden geschlossen sein. Verkaufsstellen sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes Ladengeschäfte aller Art, falls in ihnen von einer festen Stelle aus ständig Waren zum Verkauf an jedermann „feilgehalten“ werden.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat der VGH im Wesentlichen ausgeführt, das VG sei zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständlichen Verkaufsmodule Verkaufsstellen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes seien. Das „Feilhalten“ von Waren im Sinne dieser Vorschrift setze nach der gesetzlichen Definition dieses Begriffs keinen persönlichen Kontakt mit einem Verkäufer voraus. Es mache für das „Feilhalten“ von Waren keinen Unterschied, ob der Kunde die begehrte Ware aus einem Automaten oder aus einem Verkaufsregal bzw. von einem Verkaufstisch an sich nehme; der Verkaufsvorgang setze in beiden Fällen ein aktives Handeln des Kunden voraus, dem nicht zwangsläufig ein aktives Tun des Verkäufers gegenüberstehe. Richtig sei zwar das von der Antragstellerin vorgetragene Argument, dass bei einem Verzicht auf den Einsatz von Verkaufspersonal das dem Ladenschlussrecht zugrunde liegende Ziel des Arbeitnehmerschutzes erreicht werde.
Das Hessische Ladenöffnungsgesetz diene allerdings nicht allein dem Arbeitnehmerschutz, sondern auch dem Ziel, die Sonntage und staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erholung zu schützen. Es bestehe auch keine Vergleichbarkeit zwischen dem Einkauf in den streitgegenständlichen Verkaufsmodulen und den auch sonn- und feiertags durchgängig möglichen Onlinebestellungen. Insbesondere habe der Onlinebestellvorgang keinerlei Außenwirkungen und sei daher nicht geeignet, die Sonn- und Feiertagsruhe der übrigen Bevölkerung zu beeinträchtigen.
Der Beschluss ist im verwaltungsgerichtlichen Instanzenzug nicht anfechtbar.
Quelle | VGH Kassel, Beschluss vom 22.12.2023, 8 B 77/22, PM 1/24
| Mehraufwendungen für einen behindertengerechten Um- oder Neubau eines Hauses oder einer Wohnung sind grundsätzlich als außergewöhnliche Belastung abziehbar. Dies gilt auch für eine dadurch ausgelöste Mieterhöhung. Aber: Ein Abzug ist nur zulässig, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Das hat das Finanzgericht (FG) München entschieden. |
Im Streitfall des FG München ging es um die umbaubedingte Erhöhung einer jährlichen Miete, die durch die Errichtung eines behindertengerechten Verbindungsbaus mit Pflegebad zwischen zwei Einfamilienhäusern veranlasst war.
Der Höhe nach hat das FG eine Begrenzung der Abzugsfähigkeit der Aufwendungen gesehen – und zwar im Hinblick darauf, dass es zu den durchgeführten Umbaumaßnahmen eine kostengünstigere Alternative gegeben hätte, die der Behinderung in gleicher Weise Rechnung getragen hätte.
Beachten Sie | Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Revision zugelassen. Er kann nun klären, ob dem Steuerpflichtigen bei der Beurteilung, ob Aufwendungen notwendig und angemessen sind, ein Ermessensspielraum einzuräumen ist. Bis dahin können geeignete Fälle durch einen Einspruch offengehalten werden.
Quelle | FG München, Urteil vom 27.10.2022, 10 K 3292/18, Rev. BFH: VI R 15/23
| Das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg musste jüngst über einen „Wohn-Riester-Fall“ entscheiden. Hierbei ging es um einen Ehemann, der von seiner verstorbenen Frau deren Wohnung und den Darlehensvertrag geerbt hatte. Das Darlehen wollte er tilgen. Deshalb begehrte er, die Entnahme von gefördertem Kapital zur wohnungswirtschaftlichen Verwendung aus einem Altersvorsorgevermögen (gemäß § 92 b Abs. 1 S. 3 Einkommensteuergesetz [EStG]) zu bewilligen. Soviel vorab: Die Entscheidung ging zugunsten des Steuerpflichtigen aus. |
Hintergrund: Durch die sogenannte Riester-Rente sollen mögliche Versorgungslücken im Alter zumindest teilweise aufgefangen werden. Dies geschieht durch den Aufbau einer kapitalgedeckten Versorgung.
Staatlich gefördert wird aber auch der „Wohn-Riester“, eine Variante des Bausparens, bei der Anleger aus dem Vertrag Kapital für den Kauf oder Bau einer Wohnung erhalten. Sie können den „Wohn-Riester“ aber auch nutzen, um ein Immobilien-Darlehen abzutragen.
Das war geschehen
Ein Ehemann erbte als Alleinerbe von seiner Ehefrau eine durch die Ehefrau errichtete und mit dieser gemeinsam bewohnte Wohnung sowie das durch die Ehefrau zur Finanzierung der Wohnung aufgenommene Darlehen. Zur Tilgung des Darlehens begehrte der Ehemann die Bewilligung der Entnahme von gefördertem Kapital zur wohnungswirtschaftlichen Verwendung aus einem Altersvorsorgevermögen.
Ehemann hatte die Wohnung nicht angeschafft, sondern geerbt
Dies wurde ihm allerdings versagt und zwar mit folgender Begründung: Ein nach dem EStG (§ 92 a Abs. 1 S. 1 Nr. 1) für die wohnungswirtschaftliche Verwendung erforderlicher entgeltlicher Anschaffungsvorgang liege in der Person des Ehemanns nicht vor, da er die Wohnung unentgeltlich im Wege der Erbfolge erworben habe. Dies sah der Ehemann aber anders und klagte. Eine gute Entscheidung, denn das FG Berlin-Brandenburg schloss sich seiner Ansicht an.
Ehemann übernahm Tilgung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge
Die Übernahme eines Darlehens als Nachlassverbindlichkeit begründet zwar keine entgeltliche Anschaffung der finanzierten Wohnung durch den Erben. Allerdings ist die Tilgungsvariante gemäß EStG so auszulegen, dass diese auch in Fällen gilt, in denen ein Erbe ein zur Anschaffung oder Herstellung begünstigten Wohnraums aufgenommenes Darlehen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übernimmt.
Der Wortlaut des o. g. Paragrafen im EStG verlangt zwar die Verwendung des Altersvorsorge-Eigenheimbetrags zur Tilgung eines zu diesem Zweck (also zur Anschaffung oder Herstellung) aufgenommenen Darlehens. Jedoch tritt der Gesamtrechtsnachfolger in die Rechtsstellung des Erblassers dergestalt ein, dass ihm die Anschaffung bzw. Herstellung durch den Erblasser zuzurechnen ist.
Mithin besteht eine ununterbrochene Kausalität zwischen der Tilgung des Darlehens und dem ursprünglich für die Anschaffung oder Herstellung aufgewandten Darlehen.
Bundesfinanzhof muss entscheiden
Die Deutsche Rentenversicherung Bund Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen gibt sich mit dem Urteil nicht zufrieden und hat Revision beim Bundesfinanzhof (BFH) eingelegt.
Quelle | FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.12.2023, 15 K 15045/23, Rev. BFH: X R 2/24
| Beim Berliner Testament setzen sich Ehegatten für den ersten Erbfall gegenseitig als Alleinerben ein und bestimmen die Kinder als Schlusserben (z. B. zu gleichen Teilen). Ziel ist die gerechte Verteilung des Nachlasses zwischen den Kindern, aber zunächst die Versorgung des überlebenden Ehegatten. Die Kinder können das Konstrukt jedoch dadurch aus den Angeln heben, dass sie beim Tod des Erstversterbenden ihre Pflichtteilsansprüche geltend machen. Um dies zu verhindern, kann eine Strafklausel aufgenommen werden, z. B. die sog. Jastrowsche Klausel. Über einen solchen Fall musste nun der Bundesfinanzhof (BFH) entscheiden. Das Urteil zeigt, dass derartige Regelungen zumindest aus erbschaftsteuerlicher Sicht nachteilig sein können. |
Das war geschehen
Die Eltern der Klägerin setzten sich gegenseitig als Alleinerben ein, wobei der überlebende Ehegatte über den Nachlass und sein eigenes Vermögen frei verfügen konnte. Als Erben des überlebenden Ehegatten setzten die Eheleute die Klägerin und drei ihrer Schwestern ein. Ein Bruder und eine weitere Schwester wurden enterbt.
Zudem enthielt das Berliner Testament eine Jastrowsche Klausel. Diese regelte, dass für den Fall, dass eines der Kinder nach dem Tod des zuerst sterbenden Elternteils den Pflichtteil verlangt, dieses Kind auch vom Nachlass des zuletzt sterbenden Elternteils nur den Pflichtteil erhalten soll. Diejenigen Erben, die den Pflichtteil beim Tod des Erstverstorbenen nicht fordern, sollten bei Tod des länger lebenden Ehegatten aus dem Nachlass des Erstverstorbenen ein erst beim Tod des länger lebenden Ehegatten fälliges Vermächtnis in Höhe des Pflichtteils erhalten.
Geschwister machten Pflichtteil geltend
Die enterbten Geschwister der Klägerin machten nach dem Tod des erstverstorbenen Vaters ihren Pflichtteil geltend. Die Klägerin erwarb daher beim Tod des Vaters ein entsprechendes Vermächtnis, das mit dem Tod der Mutter fällig wurde.
Nachdem auch die Mutter verstorben war, setzte das Finanzamt gegenüber der Klägerin Erbschaftsteuer für den Erwerb nach der Mutter fest. Das Vermächtnis rechnete es weder dem Erwerb hinzu noch wurde es als Nachlassverbindlichkeit abgezogen. Die Klägerin war hingegen der Ansicht, das Vermächtnis sei bei ihr doppelt hinzugerechnet worden und deshalb als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig. Dies sah der BFH aber anders.
Vermächtnis nach Tod des Vaters entstanden, aber erst nach dem Tod der Mutter fällig
Der Wert des Vermächtnisses wurde zunächst einmal besteuert, nämlich nach dem Tod des Vaters bei der Mutter als dessen Alleinerbin. Da das Vermächtnis zwar damals bereits entstanden war, aber erst bei dem Tod der Mutter fällig wurde, ging der Nachlass des Vaters ungeschmälert (einschließlich des Vermögens, aus dem das Vermächtnis zu erfüllen war) auf die Mutter über. Die Mutter konnte die Vermächtnisverbindlichkeit bei ihrem Erbe nicht abziehen, weil sie diese Schuld mangels Fälligkeit nicht zu begleichen hatte.
Nach dem Tod der Mutter musste die Klägerin das jetzt fällig gewordene Vermächtnis versteuern.
Als Schlusserbin unterlag bei ihr außerdem der Nachlass nach der Mutter der Erbschaftsteuer. Dort konnte sie die dann fällig gewordene Vermächtnisverbindlichkeit als Nachlassverbindlichkeit abziehen. Das Vermächtnis unterlag bei der Klägerin daher nur einmal der Besteuerung.
Dass hinsichtlich des betagten Vermächtnisses im Ergebnis zweimal Erbschaftsteuer entsteht – einmal (ohne Abzugsmöglichkeit als Nachlassverbindlichkeit) bei der Mutter nach dem Tod des Vaters und ein weiteres Mal bei der Klägerin nach dem Tod der Mutter – ist zwar ungünstig, aus rechtlicher Sicht aber nicht zu beanstanden. Es liegt, so der BFH, an der Jastrowschen Klausel, die das Vermächtnis zwar bei Tod des Erstverstorbenen anfallen, aber erst bei Tod des länger lebenden Ehegatten fällig werden lässt.
Beachten Sie | Wer also ein Berliner Testament aufsetzen möchte, sollte nicht nur die zivilrechtlichen Aspekte, sondern auch die erbschaftsteuerlichen Folgen bedenken.
Quelle | BFH-Urteil vom 11.10.2023, II R 34/20, PM 11/24 vom 27.2.2024
| Das Landgericht (LG) Frankenthal hat die gegen eine Gemeinde gerichtete Schadenersatzklage eines Rennradfahrers abgewiesen, der auf einem Radweg aufgrund von Wurzelschäden gestürzt war. Ein Radfahrer müsse seine Fahrweise so einrichten, dass er sichtbare Hindernisse auf einem Radweg rechtzeitig wahrnehmen und vor ihnen anhalten kann, so das LG. |
Grundsätze der Verkehrssicherungspflicht
Grundsätzlich muss der, der eine Gefahrenquelle (z. B. eine aus dem Boden ragende Baumwurzel) schafft oder eine solche andauern lässt, notwendige und zumutbare Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer zu verhindern (sog. „Verkehrssicherungspflicht“). Er muss Gefahren ausräumen oder vor ihnen warnen.
Ausnahmen von der Verkehrssicherungspflicht
Dies gilt jedoch nur, soweit sie für andere trotz aufmerksamen Verhaltens im Straßenverkehr nicht erkennbar oder nicht beherrschbar sind. Die Anforderungen an die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht für einen Radweg bemessen sich an einem normalen Radfahrer mit einer üblichen Geschwindigkeit.
Rennradfahrer muss besonders vorsichtig sein
Ein Rennradfahrer muss von sich aus besonders vorsichtig fahren, da er mit seinen dünnen Reifen bei Unebenheiten im Boden besonders gefährdet ist. Vorliegend seien die Wurzelschäden nach Ansicht der Kammer gut und rechtzeitig erkennbar gewesen.
Wurzelschäden waren sichtbar
Das LG: Der Wegabschnitt habe auch an anderen Stellen Unebenheiten, wie Bodenschwellen, Risse oder eben Wurzelschäden aufgewiesen, sodass Schäden auch an der Unfallstelle nicht überraschend gewesen sein könnten. Ein konzentrierter Radfahrer hätte sein Fahrverhalten an die vorgefundenen Hindernisse anpassen können und müssen. Aufgrund der ausreichenden Erkennbarkeit der Wurzelschäden sei auch eine Warnung bspw. durch ein Hinweisschild nicht erforderlich gewesen.
Auch ein unter Umständen störendes Licht- und Schattenspiel auf dem Radweg wegen eines ungünstigen Sonnenstands, weswegen der Rennradfahrer das Hindernis nicht erkannt haben will, ändere daran nichts. Auf witterungsbedingte Umstände müsse sich ein Radfahrer einstellen und dementsprechend noch vorsichtiger fahren.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 31.8.2023, 3 O 71/22, PM vom 29.12.2023
| Eine Einbahnstraße darf nur in vorgeschriebener Fahrtrichtung befahren werden. Verboten ist auch das Rückwärtsfahren entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung. Lediglich (unmittelbares) Rückwärtseinparken („Rangieren“) ist – ebenso wie Rückwärtseinfahren aus einem Grundstück auf die Straße – kein unzulässiges Rückwärtsfahren auf Richtungsfahrbahnen gegen die Fahrtrichtung. So stellte es der BGH jetzt fest. |
Demgegenüber ist Rückwärtsfahren auch unzulässig, wenn es dazu dient, erst zu einer (freien oder frei werdenden) Parklücke zu gelangen. Entsprechendes gilt, wenn das Rückwärtsfahren dazu dient, einem Fahrzeug die Ausfahrt aus einer Parklücke zu ermöglichen, um anschließend selbst in diese einfahren zu können.
Der Unfall ereignete sich, als der eine Verkehrsteilnehmer rückwärts aus einer Grundstücksausfahrt in die Einbahnstraße einfuhr, während der andere unzulässig die Einbahnstraße rückwärts befuhr. Der Anscheinsbeweis, dass der, der rückwärts aus einer Grundstücksausfahrt fährt, seinen Sorgfaltspflichten nicht genügt habe, wenn es dabei zu einer Kollision kommt, ist nicht anzuwenden. Denn das verbotene Rückwärtsfahren des Unfallgegners hebt das „typische Geschehen“ auf, das für die Anwendung eines Anscheinsbeweis nötig ist. Der Ausfahrt-Ausfahrer muss grundsätzlich nicht mit einem verbotswidrig die Einbahnstraße rückwärts befahrenden Verkehrsteilnehmer rechnen.
Quelle | BGH, Urteil vom 10.10.2023, VI ZR 287/22
| Wird ein Schüler von einer Klassenfahrt ausgeschlossen, weil er dort unzulässigerweise Alkohol erworben hat, können Erziehungsberechtigte zu den Mehrkosten der verfrühten Rückreise heranzogen werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin entschieden. |
Im Juni 2022 fand eine Klassenfahrt einer 10. Klasse eines Gymnasiums nach München statt. Zuvor hatte sich die Beklagte, Mutter eines minderjährigen Schülers, schriftlich verpflichtet, die Kosten einschließlich etwaiger Zusatzkosten bei vorzeitiger Heimreise zu tragen. Während der Fahrt kauften insgesamt sieben Schüler, darunter der Sohn der Beklagten, zwei Wodkaflaschen, woraufhin sie von der Fahrt ausgeschlossen wurden. Die Beklagte zahlte die hierdurch entstandenen Mehrkosten von 143,60 Euro nicht, woraufhin das Land Berlin sie auf Zahlung verklagte.
Die Klage hatte Erfolg. Der Anspruch auf Kostenerstattung ergebe sich aus dem öffentlich-rechtlichen Vertrag, den die Beteiligten miteinander geschlossen hätten. Dieser Vertrag sei wirksam zustande gekommen. Der Ausschluss sei als Ordnungsmaßnahme nach dem Berliner Schulgesetz ergangen und von der Beklagten nicht angegriffen worden, wodurch die vereinbarte Kostenfolge entstanden sei. Die Forderung einschließlich der geltend gemachten Zinsen sei schließlich der Höhe nach nicht zu beanstanden.
Der Gerichtsbescheid ist rechtskräftig.
Quelle | VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 15.11.2023, VG 3 K191/23, PM 2/24
| Das Landgericht (LG) Frankenthal hat die Klage eines Fahrradbesitzers gegen seine Hausratversicherung wegen eines gestohlenen Fahrrads abgewiesen. Das teure Bike war nach seinen Angaben bei einem Einbruch in den Keller seiner Zweitwohnung entwendet worden. |
Das umfasst die Außenversicherung
Das LG hat klargestellt, dass eine Außenversicherung nur Gegenstände in Zweitwohnungen umfasst, die eigentlich in der Hauptwohnung ihren Platz haben und sich nur vorübergehend außerhalb des Hauptwohnsitzes befinden. Als Erweiterung des grundsätzlich an den Versicherungsort gebundenen Versicherungsschutzes sei es dagegen nicht ihr Sinn und Zweck, Gegenstände zu versichern, die üblicherweise in der Zweitwohnung aufbewahrt werden.
Kein versicherter Hausrat
Weil der Mann sein Fahrrad hauptsächlich im Keller der Zweitwohnung abgestellt hatte und nur in mehrwöchigen Urlaubszeiten mit nach Hause nahm, gehört es nicht zum versicherten Hausrat, der tatsächlich nur vorübergehend außerhalb der Hauptwohnung verbracht worden sei, so das LG. Der Radfahrer blieb deshalb auf dem gesamten Diebstahlschaden seines knapp 5.000 Euro teuren Fahrrads sitzen.
Hausratversicherung bestand nur für die Hauptwohnung
Die Hausratversicherung verweigerte nach Auffassung der Kammer zu Recht den Versicherungsschutz, weil der Radbesitzer die Versicherung nur für seine Hauptwohnung besaß. Außerhalb dieser Hauptwohnung befindliche Sachen waren lediglich über einen sog. „Außenversicherungsschutz“ abgedeckt. Eine gesonderte Hausratversicherung für die Zweitwohnung, ein möbliertes Appartement, in dem er sich üblicherweise werktags aufhielt, hatte der Biker nicht abgeschlossen.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 29.3.2023, 3 O 236/22, PM vom 29.11.2023
| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass die operative Therapie eines grauen Stars im Ausland nicht als Notfallbehandlung zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung qualifiziert werden kann. |
Linsenoperation in türkischer Privatklinik wegen grauem Star
Geklagt hatte eine türkischstämmige Frau (geb. 1965) aus Niedersachsen, die seit dem Jahr 2015 an einem beginnenden Katarakt (grauer Star) der Augen litt. Während eines Urlaubs in der Türkei im Jahr 2019 ließ sie an beiden Augen eine Linsenoperation in einer Privatklinik durchführen. Die entstandenen Kosten von rd. 1.600 Euro wollte die Frau von ihrer Krankenkasse erstattet haben.
Die gesetzliche Krankenkasse – und die private Auslandskrankenversicherung – lehnte eine Erstattung ab. Bei vorübergehenden Auslandsaufenthalten könnten nur Notfallbehandlungen übernommen werden. Ein grauer Star sei jedoch ein schleichender Prozess und kein Notfall.
Hiergegen klagte die Frau und schilderte, dass es in der Türkei mit den Augen so schlimm geworden sei, dass sie gestürzt sei. Ihr sei schwarz vor Augen geworden und sie sei in größter Sorge gewesen, das Augenlicht zu verlieren. Es habe sich um einen Notfall gehandelt. Obwohl sie schon länger an grauem Star erkrankt sei, könne ein „plötzlich bemerkter“ Sehverlust mit einem akuten Sehverlust verwechselt werden.
Gericht bestätigt Rechtsauffassung der Krankenkasse
Das LSG hat die Rechtsauffassung der Krankenkasse bestätigt. Der Anspruch scheitere schon deshalb, weil die Klägerin sich als Privatpatientin in einer Privatklinik habe behandeln lassen. Diesbezügliche Behandlungen seien vom Leistungsumfang generell nicht umfasst.
Keine Notfallbehandlung
Unabhängig davon habe bei der Klägerin kein medizinischer Zustand vorgelegen, der während des Türkei-Urlaubs an beiden Augen aufgetreten sei und einer sofortigen Behandlung bedurft hätte. Der behandelnde Augenarzt habe einen senilen Katarakt, d. h. eine Alterserkrankung diagnostiziert. Eine plötzliche Verschlechterung mit dringender Operationsindikation habe er ausgeschlossen. Ein grauer Star sei eine Alterserkrankung, die durch ein schleichendes Fortschreiten gekennzeichnet sei und nicht durch einen plötzlichen Sehverlust im Sinne eines Notfalls.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19.12.2023, L 16 KR 196/23, PM vom 8.1.2024
| Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat den für zwei große Hunde aus dem Landkreis Günzburg angeordneten Leinenzwang bestätigt. Begründet hat es den Leinenzwang u. a. damit, dass die Hunde nach Aussagen mehrerer Betroffener frei herumlaufen würden. Die vom Kläger gegen den Leinenzwang erhobenen Klagen hatte schon das Verwaltungsgericht (VG) Augsburg abgewiesen. Hiergegen stellte der Kläger beim BayVGH Anträge auf Zulassung der Berufung. |
Das war geschehen
Der Kläger ist Halter zweier Hunde. Mit Bescheiden aus dem Monat Februar 2023 hatte die Verwaltungsgemeinschaft als örtlich zuständige Sicherheitsbehörde für die beiden Hunde einen Leinenzwang angeordnet.
Der BayVGH hat die Anträge abgelehnt und die Urteile des VG bestätigt. Gründe, die eine Zulassung der Berufung rechtfertigen würden, lägen nach Ansicht des BayVGH nicht vor. Es bestünden insbesondere keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Urteile des VG.
Gefahr durch große Hunde
Der Einwand des Klägers, die Hunde seien ungefährlich, greife nicht durch. Nach ständiger Rechtsprechung des BayVGH gehe von freilaufenden großen Hunden auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr in der Regel eine konkrete Gefahr für Eigentum und Gesundheit Dritter aus. Der Leinenzwang sei deshalb bereits allein wegen der Größe der Hunde gerechtfertigt. Grund für die Unterscheidung nach der Größe sei, dass es bei großen unangeleinten Hunden in Wohngebieten regelmäßig mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu unvorhergesehenen Reaktionen von Menschen oder Hunden und damit zu erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit kommen könne. Der Feststellung, dass es sich hier um große Hunde mit einer Schulterhöhe von mindestens 50 Zentimetern handele, habe der Kläger nicht in Zweifel gezogen.
Es gab bereits einen Beißvorfall
Ein Einschreiten sei bei einem der Hunde auch deshalb geboten gewesen, weil es im November 2022 zu einem Beißvorfall gekommen sei. Bei beiden Hunden habe somit eine konkrete und nicht bloß abstrakte Gefahr für die Gesundheit Dritter vorgelegen.
Durch die Beschlüsse des BayVGH wurden die Urteile des VG rechtskräftig.
Quelle | BayVGH, Beschlüsse vom 22.1.2024, 10 ZB 23.1558 u. a., PM vom 30.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Hannover hat jetzt klargestellt: Eine Pauschalreise kann mangelhaft sein, wenn der Reiseveranstalter in einer Hotelanlage entweder nur wenige Poolliegen zur Verfügung stellt oder nicht einschreitet, wenn andere Reisegäste Poolliegen etwa mittels eines Handtuchs längere Zeit reservieren, ohne sie tatsächlich zu nutzen. |
Das war geschehen
Der Kläger buchte für sich und seine Familie eine Pauschalreise zum Preis von insgesamt 5.260 Euro. Das gebuchte Hotel verfügte über sechs Swimmingpools und etwa 500 Poolliegen. Nach den ausgeschilderten Verhaltensregeln war es den Badegästen untersagt, Poolliegen für mehr als 30 Minuten zu reservieren, ohne sie zu nutzen. Tatsächlich war es aber so, dass Badegäste Poolliegen auch länger mit ihren Handtüchern reservierten. Leitung und Personal des Hotels unternahmen nichts dagegen. Der Kläger und seine Familie hingegen hielten sich an die vorgegebenen Verhaltensregeln. Der Kläger rügte mehrfach, dass ihm und seiner Familie deswegen keine Liegen zur Verfügung gestanden hätten. Darin sah der Kläger einen Reisemangel und forderte von dem Reiseveranstalter (der Beklagten) u. a. einen Teil des Reisepreises (798,00 Euro) zurück.
Die Beklagte war der Auffassung, dass es sich um ein friedliches Wettrennen um die begehrten Plätze am Pool mit dem besseren Ende für den sprichwörtlichen „frühen Vogel“ gehandelt habe, nicht aber um einen Reisemangel. Möglicherweise hätten sich nur der Kläger und seine Familie an die Poolregeln gehalten, obwohl sie nicht mit Sanktionen hätten rechnen müssen, wenn der Kläger abends oder seine Lebensgefährtin morgens zum Sonnenaufgang sein Handtuch auf eine Liege gelegt hätte.
Amtsgericht: Pflicht des Reiseveranstalters
Das AG hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger einen Betrag von 322,77 Euro zugesprochen. Dabei hat es angenommen, dass der Reiseveranstalter nicht gehalten ist, jedem Hotelgast eine Liege zur Verfügung zu stellen. Vielmehr müsse die Anzahl der Liegen in einem angemessenen Verhältnis zur Auslastung des Hotels und damit zur Anzahl der Hotelgäste stehen. Stünden zwar genug Liegen zur Verfügung, seien diese für den Reisenden aber faktisch nicht nutzbar, weil andere Hotelgäste entgegen den Verhaltensregeln Poolliegen mit eigenen Handtüchern reservierten, ohne sie zu nutzen, sei der Reiseveranstalter zum Einschreiten verpflichtet.
Gäste mussten nichts selbst unternehmen – Reisepreisminderung von 15 Prozent
Es sei in diesem Zusammenhang auch nicht Sache des Reisenden, selbst für Abhilfe zu sorgen, indem er entweder fremde Handtücher eigenmächtig entferne oder seinerseits entgegen den Verhaltensregeln Liegen reserviere. Dies sei unzumutbar, da Streitigkeiten mit anderen Hotelgästen zu befürchten seien, auf die sich kein Reisender einlassen müsse.
Das Gericht gelangte zu der Überzeugung, dass es dem Kläger und seiner Familie mit Ausnahme des letzten Tages nicht möglich gewesen sei, nach dem Frühstück ab etwa 9.00 Uhr Poolliegen zu nutzen, weil diese entweder belegt, durch Handtücher anderer Badegäste „reserviert“ oder aber defekt gewesen seien. Es hat insoweit eine Reisepreisminderung von 15 Prozent des Tagesreisepreises der ab der erstmaligen Rüge des Klägers betroffenen Tage angenommen.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 20.12.2023, 553 C 5141/23, PM vom 4.1.2023
| Das LG Berlin II hat der Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil des Amtsgerichts (AG) Berlin-Mitte teilweise stattgegeben. Dieses hatte eine von der Vermieterin erhobene Räumungsklage mit der Begründung abgewiesen, die von der Vermieterin ausgesprochene Eigenbedarfskündigung sei formunwirksam. Das LG hat die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Vermieterin – anders als zuvor das AG – zwar für wirksam erachtet, jedoch zugleich die Fortsetzung des Mietverhältnisses für die Dauer von zwei Jahren angeordnet. |
Zweijährige Verlängerung der Mietdauer
Die angeordnete Fortsetzung des Mietverhältnisses für die Dauer von zwei Jahren begründete das LG damit, dass es den beklagten Mietern in dem vorliegenden Fall nicht möglich gewesen sei, angemessenen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen zu beschaffen. Demzufolge können Mieter unter Berufung auf die sog. Sozialklausel des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 574 Abs. 1 und 2 BGB) nach Abwägung mit den Vermieterinteressen unter gewissen Voraussetzungen die Fortsetzung ihres Mietverhältnisses verlangen, auch wenn die zuvor ausgesprochene Kündigung wirksam ist.
Mieter fanden keinen Ersatzwohnraum in Berlin
Das LG hat darauf abgestellt, dass sich die Mieter nach Ausspruch der Eigenbedarfskündigung über einen Zeitraum von fast zwei Jahren auf eine Vielzahl von Wohnungen im gesamten Berliner Stadtgebiet beworben haben, jedoch aufgrund der angespannten Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt sowie des nur noch geringen Angebotes freier Wohnungen mit ihren Bewerbungen keinen Erfolg hatten. Zudem hat das LG bei seiner Entscheidung berücksichtigt, dass auch über das sog. Geschützte Marktsegment (GMS) in absehbarer Zeit kein freier Alternativwohnraum in Berlin für die Mieter zur Verfügung stand.
Schließlich hat das LG auch den Umstand, dass das gesamte Stadtgebiet von Berlin durch eine Mietenbegrenzungsverordnung (MietBegrV Bln) als Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt ausgewiesen ist, als weiteren Beleg für die Richtigkeit des Mietervortrags gewertet und außerdem berücksichtigt, dass der von der Vermieterin geltend gemachte Eigenbedarf nicht besonders dringlich war.
Landgericht: Vertragsbedingungen angepasst und Miete angehoben
Das LG hat bei seiner Entscheidung die bisherigen Vertragsbedingungen von Amts wegen geändert und neben der Anordnung der befristeten Fortdauer des Mietverhältnisses auch die von den Mietern bisher geschuldete Nettokaltmiete auf ein marktübliches Niveau angehoben.
Quelle | LG Berlin II, Urteil vom 25.1.2024, 67 S 264/22, PM 5/24
| Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat entschieden: Ein (notarielles) Testament kann sittenwidrig sein, wenn eine Berufsbetreuerin ihre gerichtlich verliehene Stellung und ihren Einfluss auf einen älteren, kranken und alleinstehenden Erblasser dazu benutzt, gezielt auf den leicht beeinflussbaren Erblasser einzuwirken und ihn dazu zu bewegen, vor einem von ihr herangezogenen Notar in ihrem Sinne letztwillig zu verfügen. |
Das war geschehen
Eine 92 Jahre alte Frau, deren einzige noch lebende Angehörige ihre Tochter war, befand sich wegen ihres Gesundheitszustands ab Anfang September 2022 im Krankenhaus. In den letzten Tagen vor dem Tod ihrer Tochter, die sich zuvor um die Angelegenheiten der Mutter gekümmert hatte, teilten die beiden das Krankenzimmer. Zwei Tage nach dem Tod der Tochter – noch im September 2022 – bestellte das Amtsgericht (AG) für die Frau während des Krankenhausaufenthalts eine Berufsbetreuerin.
Anfang Oktober 2022 erfolgte mit Notarztbegleitung die Einweisung in ein anderes Krankenhaus. Nur kurz war die Frau zwischen den beiden Krankenhausaufenthalten in einer Pflegeeinrichtung untergebracht. Während des zweiten Krankenhausaufenthalts beauftragte die Berufsbetreuerin einen Notar mit der Erstellung eines notariellen Testaments für die Frau. Im Krankenhaus beurkundete der Notar ein Testament der Frau, mit dem sie die Berufsbetreuerin zur Alleinerbin einsetzte. Den Wert des Vermögens gab sie mit 350.000 Euro an. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus – Mitte Oktober 2022 – nahm die Berufsbetreuerin die Frau bei sich zu Hause auf. Vier Tage danach starb die Frau dort eines natürlichen Todes.
Verstoß gegen die guten Sitten
§ 138 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) lautet: Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. Das OLG ist hier davon ausgegangen, dass das notarielle Testament sittenwidrig und damit nichtig ist und die Berufsbetreuerin deshalb hieraus für sich keine Rechte herleiten und insbesondere keinen Erbschein ausgestellt erhalten kann.
Das OLG: Ein notarielles Testament zugunsten einer Berufsbetreuerin kann sittenwidrig sein. Hier sei dies aufgrund des hohen Alters der Erblasserin, ihrer schlechten gesundheitlichen Verfassung, ihrem Gemütszustand nach dem Tod ihrer Tochter, den Umständen im Zusammenhang mit der notariellen Beurkundung sowie dem engen zeitlichen Ablauf zwischen Einrichtung der Betreuung und der Testierung der Fall.
Der Beschluss ist rechtskräftig.
Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 9.1.2024, 6 W 175/23, PM vom 25.1.2024
| Öffnungen in Brandwänden sind unzulässig und deshalb auf Aufforderung der Bauaufsichtsbehörde auch zu verschließen, wenn der angrenzende Nachbar sich mit diesen einverstanden erklärt hat und die Behörde erst nach längerer Zeit gegen den baurechtswidrigen Zustand vorgeht. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Mainz. |
Nachbar stimmte Einbau von Fenstern zu
Das Wohngebäude der klagenden Grundstückseigentümer steht auf der Grenze zum Nachbargrundstück. Die grenzständige Brandwand des Gebäudes wies zunächst an zwei Stellen Glasbauflächen auf. Im Jahr 2009 wurde eine Glasbaufläche durch ein öffenbares Fenster ersetzt, einige Jahre später kam es an der zweiten Stelle zu einem Fenstereinbau. Daraufhin gab der Beklagte, die Bauaufsichtsbehörde, den Klägern auf, die Fenster zu beseitigen und die dabei entstehenden Öffnungen feuerbeständig zu verschließen. Die Kläger wandten sich gegen die Anordnung und machten geltend, der unmittelbar angrenzende Grundstücksnachbar habe schriftlich erklärt, mit den Fenstern einverstanden zu sein. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid im Wesentlichen zurückgewiesen, verlangte aber nur noch einen hochfeuerhemmenden Abschluss der Brandwand. Die Kläger verfolgten die Aufhebung der Anordnung mit einer Klage weiter. Sie führten zusätzlich an, infolge der Zustimmung des Nachbarn und des jahrelangen Nichteinschreitens der Bauaufsichtsbehörde sei bei ihnen ein Vertrauenstatbestand entstanden, der eine baubehördliche Anordnung ausschließe. Das VG wies die Klage ab.
Brandwände: Öffnungen unzulässig
In Brandwänden seien Öffnungen von Gesetzes wegen unzulässig. Von der gesetzlichen Vorgabe dürfe nur ausnahmsweise unter Beachtung des öffentlichen Interesses des Schutzes der Allgemeinheit vor Brandgefahr und des Bauinteresses des Bauherrn abgewichen werden. Das Einverständnis eines Nachbarn zur Abweichung von dem Öffnungsverbot allein mindere das allgemeine Brandschutzbedürfnis nicht, zumal wenn – wie hier – ein weiterer Nachbar durch die betreffende Brandschutzwand gesetzlich geschützt werde, dieser der Baumaßnahme aber nicht zugestimmt habe.
Der Beklagte habe seine Befugnis zum Einschreiten gegen den baurechtswidrigen Zustand auch nicht verwirkt, weil er trotz dessen Kenntnis über längere Zeit hinweg nicht eingeschritten sei. Eingriffsbefugnisse auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr unterlägen nicht der Verwirkung durch die Verwaltung. Die bloße Untätigkeit der Bauaufsichtsbehörde könne auch kein Vertrauen beim Bauherrn begründen, dass die Behörde nicht mehr gegen die rechtswidrige Baumaßnahme vorgehen werde. Die Kläger könnten sich deshalb auch nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen, weil sie eigenmächtig die Glasbausteine durch Fenster ersetzt hätten, ohne zuvor den notwendigen Bauantrag gestellt oder die Baubehörde sonst einbezogen zu haben.
Quelle | VG Mainz, Urteil vom 6.12.2023, 3 K 39/23.MZ, PM 1/24
| Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken hat entschieden: Ein Bauunternehmen kann die zu einem Festpreis vereinbarte Errichtung eines Massivhauses nicht unter Verweis auf unvorhersehbare Materialpreissteigerungen verweigern, wenn es eine Formularklausel in den Bauvertrag eingebracht hat, die ihm eine unbegrenzte einseitige Anpassung der Vergütung ermöglicht. |
Bauvertrag des Bauunternehmens unterzeichnet
Das klagende Ehepaar und das beklagte Bauunternehmen schlossen im Dezember 2020 einen Vertrag, in dem sich das Unternehmen dazu verpflichtete, auf dem Grundstück der Kläger ein Massivhaus zu einem Pauschalpreis von rund 300.000 Euro zu errichten. Hierzu verwendeten die Parteien ein Vertragsmuster des Unternehmens, in dem es heißt, dass beide Seiten bis zum Ablauf eines Jahres ab Vertragsunterzeichnung an den vereinbarten Preis gebunden seien, wenn innerhalb von drei Monaten nach Vertragsschluss mit den Bauarbeiten begonnen werde. Unter Verweis auf diese Bestimmung teilte das Unternehmen den Eheleuten im Juni 2021 mit, dass sich der vereinbarte Preis um etwa 50.000 Euro erhöhe. Es begründete den Schritt mit außerordentlichen und nicht vorhersehbaren Preissteigerungen beim Baumaterial.
Bauherren akzeptierten Preiserhöhung nicht
Das Ehepaar akzeptierte die Preiserhöhung nicht und forderte das Unternehmen seinerseits auf, mit den Bauarbeiten zu beginnen. Auf die Weigerung des Unternehmens erklärten die Eheleute die Vertragskündigung und beauftragten ein anderes Bauunternehmen mit der Errichtung eines Massivhauses zu einem höheren als dem mit der Beklagten vereinbarten Festpreis.
Wer trägt Mehrkosten?
Mit ihrer Klage haben die Eheleute verlangt, festzustellen, dass das beklagte Bauunternehmen verpflichtet ist, ihnen Mehrkosten bei der Errichtung des Hauses zu ersetzen, die deshalb entstehen, weil das Unternehmen sich geweigert hat, den Vertrag zum vereinbarten Preis zu erfüllen.
So entschieden die gerichtlichen Instanzen
Das Landgericht (LG) hat der Klage stattgegeben. Hiergegen hat das Bauunternehmen Berufung eingelegt. Es hat im Wesentlichen geltend gemacht, dass eine Errichtung des Hauses zum ursprünglich vereinbarten Preis existenzbedrohend und ihm daher nicht zumutbar gewesen sei.
Das OLG hat das Bauunternehmen auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung hingewiesen, woraufhin es sein Rechtsmittel zurückgenommen hat. Zur Begründung hat das OLG ausgeführt, dass den Eheleuten der geltend gemachte Ersatz zustehe. Die Weigerung des Unternehmens, zum vereinbarten Preis zu erfüllen, habe sie zur Vertragskündigung und zur Beauftragung eines anderen Unternehmens veranlasst. Hierauf zurückzuführende Mehrkosten des Baus müsse das Unternehmen ersetzen.
Bauunternehmen schuldete den Hausbau zum Festpreis
Das Bauunternehmen habe den Bau des Hauses zum vereinbarten Festpreis geschuldet. Die Preisanpassungsklausel im Vertrag sei unwirksam gewesen. Sie benachteilige die Kunden des Unternehmens unangemessen, wenn es die vereinbarte Vergütung durch die Festlegung der Listenpreise ohne Begrenzung einseitig anheben könne. Die Kunden könnten der Bestimmung bei Vertragsschluss nicht entnehmen, mit Preissteigerungen welchen Umfangs sie zu rechnen hätten.
Bauunternehmen hatte Risikoabsicherung in der Hand
Gerade Besteller eines Neubaus seien darauf aber in besonderem Maße angewiesen. Häufig sei die Finanzierung auf den Festpreis ausgerichtet, sodass schon vermeintlich geringfügige Änderungen die Kunden an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bringen könnten. Das Unternehmen habe die Vertragserfüllung zum vereinbarten Preis auch nicht verweigern dürfen, weil sich die Vertragsgrundlage aufgrund unvorhersehbarer Materialpreissteigerungen geändert habe, denn es habe bei Vertragsschluss die Möglichkeit gehabt, sich mit einer Bestimmung gegen dieses Risiko abzusichern, die auch den Interessen seiner Kunden Rechnung getragen hätte.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 13.7.2023, 5 U 188/22, PM vom 15.2.2024
| Nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) haben Betriebsräte Anspruch auf für die Betriebsratsarbeit erforderlichen Schulungen, deren Kosten der Arbeitgeber tragen muss. Davon können Übernachtungs- und Verpflegungskosten für ein auswärtiges Präsenzseminar auch dann erfasst sein, wenn derselbe Schulungsträger ein inhaltsgleiches Webinar anbietet. So entschied es das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Arbeitgeberin verweigerte Erstattung von Übernachtungs- und Verpflegungskosten
Bei der Arbeitgeberin – einer Fluggesellschaft – ist durch Tarifvertrag eine Personalvertretung (PV) errichtet, deren Schulungsanspruch sich nach dem BetrVG richtet. Die PV entsandte zwei ihrer Mitglieder zu einer mehrtägigen betriebsverfassungsrechtlichen Grundlagenschulung Ende August 2021 in Potsdam. Hierfür zahlte die Arbeitgeberin die Seminargebühr, verweigerte aber die Übernahme der Übernachtungs- und Verpflegungskosten.
Dies begründete sie vor allem damit, die Mitglieder der PV hätten an einem zeit- und inhaltsgleich angebotenen mehrtägigen Webinar desselben Schulungsanbieters teilnehmen können. In dem von der PV eingeleiteten Verfahren hat diese geltend gemacht, dass die Arbeitgeberin auch die Übernachtungs- und Verpflegungskosten tragen muss. Hierzu haben die Vorinstanzen die Arbeitgeberin verpflichtet.
Bundesarbeitsgericht: Betriebsrat hat Spielraum
Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Ebenso wie ein Betriebsrat hat die PV bei der Beurteilung, zu welchen Schulungen sie ihre Mitglieder entsendet, einen gewissen Spielraum. Dieser umfasst grundsätzlich auch das Schulungsformat. Dem steht nicht von vornherein entgegen, dass bei einem Präsenzseminar im Hinblick auf die Übernachtung und Verpflegung der Schulungsteilnehmer regelmäßig höhere Kosten anfallen als bei einem Webinar.
Quelle | BAG, Beschluss vom 7.2.2024, 7 ABR 8/23, PM 5/24
| Wer mit einem äußerst scharfen Filetiermesser hantiert, muss besonders sorgfältig agieren, um Verletzungen von Kollegen auszuschließen. Nicht jeder Fehlgebrauch rechtfertigt aber eine Kündigung ohne vorherige einschlägige Abmahnung. Dies hat – wie bereits zuvor das Arbeitsgericht (ArbG) Lübeck – auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein entschieden. |
Kollegin Messer an den Hals gehalten
Der 29-jährige Kläger ist bei der Beklagten seit Juni 2019 als Industriemechaniker beschäftigt. Am 1.6.2022 arbeitete er mit einer Mitarbeiterin und einem Mitarbeiter an einem Probierstand. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger der Mitarbeiterin ein Filetiermesser mit einer Klingenlänge von 20 cm mit einem Abstand von 10 bis 20 cm an den Hals hielt und damit deren Leib und Leben bedrohte. Die Beklagte kündigte dem Kläger daraufhin am 14.7.2022 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.10.2022.
Kündigungsschutzklage erfolgreich
Die Kündigungsschutzklage des Klägers war in zwei Instanzen erfolgreich. Sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung waren unwirksam. Es fehlte an einem hinreichenden Kündigungsgrund. Zwar kommt eine ernstliche Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben u. a. von Arbeitskollegen als „an sich“ wichtiger Grund für eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung in Betracht. Dies setzt aber voraus, dass der Arbeitnehmer mit dem Willen handelt, dass der Kollege die Drohung zur Kenntnis nimmt und als ernst gemeint auffasst.
Vorsatz war nicht nachzuweisen
Selbst den Vortrag der Beklagten als zutreffend unterstellt, konnte jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts auf einen bedingten Vorsatz beim Kläger geschlossen werden. Vielmehr war es auch möglich, dass der Kläger das Messer schlicht in der rechten Hand haltend sich mit dem Oberkörper zur Mitarbeiterin gedreht hat und bei dieser Drehbewegung dessen rechte Hand mit dem Messer nahe an deren Hals gelangt ist.
Verhältnismäßigkeit muss gewahrt werden
Die Kündigungen konnten auch nicht darauf gestützt werden, dass der Kläger allein durch das Hantieren mit dem Messer Leib und Leben der Mitarbeiterin objektiv und fahrlässig gefährdet hat. Der unsachgemäße Umgang mit einem Messer stellt zwar eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar. Diese hätte nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz den Ausspruch einer fristlosen oder fristgerechten Kündigung nur gerechtfertigt, wenn der Kläger zuvor wegen einer ähnlichen Pflichtverletzung abgemahnt worden wäre. Insbesondere steht auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht zur Überzeugung des Landesarbeitsgerichts fest, dass der Kläger das Messer bewusst und aktiv an den Hals der Mitarbeiterin gehalten hat.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 13.7.2023, 5 Sa 5/23
| Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gekündigt worden, ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. So sieht es das Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 KSchG) vor. Diesen Grundsatz hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf jetzt noch einmal bekräftigt. |
Das war geschehen
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 1.2.2012 beschäftigt. Die Beklagte beschäftigte in ihrem einzigen Betrieb zuletzt knapp 600 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Am 1.3.2022 wurde über das Vermögen der Beklagten das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet. Der Sachwalter und der Gläubigerausschuss stimmten der Einstellung der Geschäftstätigkeit zum 31.12.2022 zu.
Nachdem die Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs am 24.11.2022 durch Spruch der Einigungsstelle für gescheitert erklärt wurden, stellte die Beklagte am 28.11.2022 Anträge auf behördliche Zustimmungen zur betriebsbedingten Kündigung nach dem SGB IX (schwerbehinderte Menschen) und BEEG (Elternzeit). Den Beschäftigten wurde die Gelegenheit eingeräumt, in eine Transfergesellschaft zu wechseln. Im Dezember 2022 sprach die Beklagte gegenüber allen Beschäftigten betriebsbedingte Beendigungskündigungen aus, soweit das Ende des Arbeitsverhältnisses nicht aus anderen Gründen feststand.
Alle Mitarbeitenden, auch der Kläger, wurden ab dem 1.1.2023 unwiderruflich freigestellt. Ausgenommen waren die Beschäftigten des Abwicklungsteams, das ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Anlage 53 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer umfasste, wobei gegenüber dreizehn Personen Kündigungen zum 31.3.2023 und gegenüber den übrigen vierzig Personen Kündigungen zum 30.6.2023 ausgesprochen wurden. Das Arbeitsverhältnis des Klägers kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 16.12.2022 zum 31.3.2023.
Erfolgreiche Kündigungsschutzklage nicht aufgrund Gesetzeslage ...
Die vom Kläger hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hatte vor dem LAG Düsseldorf ebenso wie zuvor beim Arbeitsgericht (ArbG) Solingen Erfolg. Dies folgte zwar nicht aus § 17 KSchG i. V. m. § 134 BGB wegen einer nicht ordnungsgemäßen Massenentlassungszeige. Etwaige Fehler in diesem Zusammenhang stellen keinen Unwirksamkeitsgrund dar, weil Zweck der Anzeige nicht der Individualschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist.
...sondern aufgrund fehlerhafter Sozialauswahl
Die Kündigung war indes aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) rechtsunwirksam, wie es bereits das ArbG zutreffend ausgeführt hatte. Bei einer etappenweisen Betriebsstillegung hat der Arbeitgeber keine freie Auswahl, wem er früher oder später kündigt. Es sind grundsätzlich die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit den Abwicklungsarbeiten zu beschäftigen.
Fehlerhafte Vergleichsgruppen
Die Beklagte hatte hier die Sozialauswahl methodisch fehlerhaft durchgeführt, weil sie die Vergleichsgruppen fehlerhaft gebildet hatte. So hatte sie diese u. a. anhand der ursprünglich ausgeübten Tätigkeiten gebildet. Sie hätte die soziale Auswahl stattdessen anhand der noch im Abwicklungsteam anfallenden Tätigkeiten vornehmen müssen, zu denen die Beklagte nur unvollständig vorgetragen hatte. Es fehlte weitgehend an Vortrag dazu, welche Aufgaben mit welcher Dauer im Abwicklungsteam anfielen, welche Anforderungsprofile dafür erforderlich waren und wie auf dieser Grundlage ein Vergleich vorgenommen werden soll. Die daraus folgende Vermutung der fehlerhaften Sozialauswahl hatte die Beklagte auch in zweiter Instanz nicht widerlegt.
Das LAG hat die Revision nicht zugelassen.
Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 9.1.2024, 3 Sa 529/23, PM 2/24
| Oft müssen sich die Gerichte mit den Voraussetzungen für einen Investitionsabzugsbetrag (IAB nach § 7 g Einkommensteuergesetz [EStG]) beschäftigen. Jüngst haben es zwei Verfahren (Vorinstanz: Finanzgericht (FG) Niedersachsen) mit dieser Frage bis vor den Bundesfinanzhof (BFH) geschafft: Ist für die Gewinngrenze der Steuerbilanzgewinn oder ein um außerbilanzielle Effekte (wie nichtabziehbare Betriebsausgaben sowie einkommensteuerfreie Einnahmen) korrigierter Gewinn relevant? |
Gewinngrenze von 200.000 Euro
Hintergrund: Für die künftige (Investitionszeitraum von drei Jahren) Anschaffung oder Herstellung von abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens (beispielsweise Maschinen) können bis zu 50 % der voraussichtlichen Anschaffungs-/Herstellungskosten gewinnmindernd abgezogen werden. Da der Gesetzgeber durch diese Steuerstundungsmöglichkeit vor allem Investitionen von kleinen und mittleren Betrieben erleichtern will, darf der Gewinn 200.000 Euro nicht überschreiten.
Das war geschehen
In einem Fall des FG Niedersachsen betrug der Bilanzgewinn 189.821 Euro und lag damit unter der (in § 7 g EStG normierten) Grenze von 200.000 Euro. Dennoch versagte das Finanzamt die Bildung eines IAB, da es nach der Hinzurechnung der Gewerbesteuer (vgl. hierzu § 4 Abs. 5 b EStG) von 25.722 Euro auf einen über dem Grenzbetrag liegenden Gewinn von 215.543 Euro kam.
Unterschiedliche Sichtweisen
Die Frage, wie der Gewinn (nach § 7 g Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG) zu ermitteln ist, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt. Hierzu werden (vereinfacht) zwei Meinungen vertreten:
Bundesfinanzministerium: keine Berücksichtigung von Abzügen und Hinzurechnungen
Für das Bundesfinanzministerium (BMF) ist Gewinn der Betrag, der ohne Berücksichtigung von Abzügen und Hinzurechnungen (gemäß § 7 g Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 EStG) der Besteuerung zugrunde zu legen ist; außerbilanzielle Korrekturen der Steuerbilanz sowie Hinzu-/Abrechnungen bei der Einnahmen-Überschussrechnung sind zu berücksichtigen.
Gegenteilige Position: allein steuerbilanzieller Gewinn „zählt“
Teile des Schrifttums vertreten indes die Position, dass allein auf den steuerbilanziellen Gewinn abzustellen ist, was im Streitfall zu einem günstigeren Ergebnis führen würde. Auch für das FG Baden-Württemberg ist der Steuerbilanzgewinn relevant – und nicht der Gewinn i. S. des § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG. Eine Korrektur um außerbilanzielle Positionen findet nicht statt.
Beachten Sie | Das FG Niedersachsen hat sich der Ansicht des BMF angeschlossen. Weil hiergegen die Revision anhängig ist, können Steuerpflichtige in geeigneten Fällen Einspruch einlegen.
Quelle | FG Niedersachsen, Urteile vom 9.5.2023, 2 K 202/22, Rev. BFH: X R 16/23 und 2 K 203/22, Rev. BFH: X R 17/23; BMF-Schreiben vom 15.6.2022, IV C 6 - S 2139-b/21/10001 :001; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 2.5.2023, 10 K 1873/22, Rev. BFH: III R 38/23
| Zwei unterschiedliche Urteile zum Schadenersatz für immaterielle Schäden bei verspäteter Auskunft nach der Datenschutz-Grundverordnung (hier: Art. 15 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 12 DS-GVO) lassen aufhorchen. So hat das Arbeitsgericht (ArbG) jetzt verbraucherfreundlich entschieden, während das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf unternehmensfreundlich war. |
Arbeitsgericht Duisburg: „Unverzüglichkeit“ entscheidend
Das ArbG Duisburg entschied, dass einem Kläger, der sich am 14.3.2017 auf eine Stelle bei dem beklagten Unternehmen beworben und über sechs Jahre später (am 18.5.2023) erstmals Auskunft über ihn dort gespeicherte personenbezogene Daten verlangt hat, eine Geldentschädigung von 750 Euro (verlangt waren 2.000 Euro) zusteht. Dies geschah, obwohl das Unternehmen schon am 5.6.2023 die Auskunft in Form eines Negativattests erteilte – also innerhalb der gesetzlichen Monatsfrist (gemäß Art. 12 Abs. 3 DS-GVO).
Das ArbG sah die Auskunft nicht als „unverzüglich“ im Sinne dieser Vorschrift an. Die dortige Monatsfrist sei nicht als Regel- sondern als Höchstfrist zu verstehen. Sie dürfe nicht routinemäßig, sondern nur in schwierigen Fällen und bei Hinzutreten besonderer Umstände ausgeschöpft werden.
Hier habe das Unternehmen auch keine konkreten Anhaltspunkte vorgetragen, die eine Überschreitung dieser Zeitspanne rechtfertigen würden. Bei der Schadenersatzbemessung hat das ArbG berücksichtigt, dass die gesetzliche Frist nicht erheblich überschritten sei. Eine objektive Dringlichkeit der Anfrage sechs Jahre nach der Bewerbung sei unerheblich.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf: keine datenschutzrechtsverletzende Datenverarbeitung
Da LAG Düsseldorf sieht dies jedoch anders: Es sprach einem Anspruchsteller trotz verspäteter Auskunft durch Überschreiten der Monatsfrist einen Schadenersatzanspruch ab.
Ein Verstoß gegen Art. 15 DS-GVO falle schon nicht in den Anwendungsbereich des Art. 82 DS-GVO. Es fehle an einer gegen die DS-GVO verstoßenden Datenverarbeitung bei einer rein verzögerten Datenauskunft oder einer anfänglich unvollständigen Erfüllung des Auskunftsbegehrens. Darüber hinaus liege allein in der schlagwortartigen Behauptung eines solchen „Kontrollverlusts“ über personenbezogene Daten auch keine Darlegung eines immateriellen Schadens.
Quelle | ArbG Duisburg, Urteil vom 3.11.2023, 5 Ca 877/23; LAG Düsseldorf, Urteil vom 28.11.2023, 3 Sa 285/23, PM 29/23
| Das Landgericht (LG) München hat ein Handelsunternehmen für Getränke dazu verurteilt, es zu unterlassen, das von ihm vertriebene Bier als WUNDERBRAEU zu bezeichnen, wenn dies in Zusammenhang mit einer auf der Bierflasche abgedruckten Münchner Adresse geschieht, an der das Bier jedoch nicht gebraut wird. Dies stelle eine Herkunftstäuschung dar. Zudem muss das beklagte Unternehmen in Zukunft die Bewerbung des Biers mit „CO2 positiv“ bzw. „klimaneutrale Herstellung“ auf der Bierflasche unterlassen. Die Bewertungsmaßstäbe, aufgrund derer diese Äußerungen getroffen würden, seien auf den Etiketten der Flaschen nicht hinreichend transparent offengelegt. |
Irreführende Bezeichnung des Biers
Die Beklagte hatte argumentiert, dass die Bezeichnung „WUNDERBRAEU“ für sich nicht irreführend sei. Zudem habe sie ihren Verwaltungssitz an der angegebenen Münchner Adresse und es sei gesetzlich vorgeschrieben, die Adresse auf der Flasche abzudrucken.
Dem folgte das LG nicht. Die für sich gesehen nicht eindeutige Bezeichnung „WUNDERBRAEU“ sei jedenfalls mit der auf dem rückwärtigen Etikett enthaltenen Adresse einer für Brauereien bekannten Straße in München irreführend. Durch die fragliche Aufschrift werde ein Bezug des Produkts mit einer Anschrift in München hergestellt, obwohl dort unstreitig nicht die Produktionsstätte, sondern allein der Sitz des Handelsunternehmens sei. Zwar möge die Bezeichnung für sich gesehen auch für die Beklagte als Vertriebsunternehmen zulässig sein und die Angabe auch insgesamt den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Das ändere aber nichts daran, dass die Aufschrift im Zusammenhang den Eindruck erwecke, die angegebene Anschrift bezeichne den Herkunftsort des Produktes selbst. Dies sei unzulässig.
Eine Täuschung über die Herkunft des Bieres sei auch geeignet, die Entscheidung der Verbraucherinnen und Verbraucher zu beeinflussen.
Diese Bezeichnung mit Klimabezug ist verboten
Die weiteren, von dem klagenden Verband beanstandeten Angaben „CO2 positiv“ und „klimaneutrale Herstellung“ stellen laut Gericht ebenfalls eine unzulässige Irreführung dar und wurden dem beklagten Unternehmen deshalb, so wie es die Angaben verwendet hatte, verboten.
Die Beklagtenseite hatte angeführt, dass ein QR-Code auf der Flasche zu den gewünschten Informationen über die Bedeutung der beanstandeten Angaben zur Klimabilanz führe. Dies reichte dem LG nicht aus. Gerade in der heutigen Zeit, in der Unternehmen in den Verdacht des sogenannten „Greenwashing“ kämen und in dem Ausgleichsmaßnahmen kontrovers diskutiert würden, sei es wichtig, die Verbraucher über die Grundlagen der jeweiligen werbenden Behauptung aufzuklären. Verbraucher hätten daher ein maßgebliches Interesse daran, inwieweit behauptete Klimaneutralität durch Einsparungen oder durch Ausgleichsmaßnahmen und, wenn ja, durch welche Ausgleichsmaßnahmen erreicht würden. Daher müssten den Verbrauchern die Bewertungsmaßstäbe für die werbenden Angaben „CO2 positiv“ und „klimaneutrale Herstellung“ auf der Bierflasche offengelegt werden.
Letztendlich bestünden zudem erhebliche Zweifel daran, ob die auf der Website des beklagten Unternehmens aufgeführten Informationen ausreichend wären. Denn genaue Angaben zur berechneten Klimabilanz und Angaben darüber, in welchem Umfang die Klimaneutralität durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werden sollen und in welchem Umfang durch Einsparung, fänden sich dort gerade nicht.
Quelle | LG München I, Urteil vom 8.12.2023, 37 O 2041/23, PM 32/23
| Der Anleger eines Investmentfonds muss als Investmentertrag u. a. die Vorabpauschale nach § 18 des Investmentsteuergesetzes (InvStG) versteuern. Geregelt ist dies in § 16 Abs. 1 Nr. 2 InvStG. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nun den Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale 2024 veröffentlicht. |
Hintergrund: Nach § 16 Abs. 1 InvStG sind Erträge aus Investmentfonds (Investmenterträge)
- Ausschüttungen des Investmentfonds,
- Vorabpauschalen und
- Gewinne aus der Veräußerung von Investmentanteilen.
Die Vorabpauschale ist der Betrag, um den die Ausschüttungen eines Investmentfonds innerhalb eines Kalenderjahrs den Basisertrag für dieses Kalenderjahr unterschreiten. Die Vorabpauschale gilt (nach § 18 Abs. 3 InvStG) beim Anleger am ersten Werktag des folgenden Kalenderjahrs als zugeflossen.
Der Basiszins ist aus der langfristig erzielbaren Rendite öffentlicher Anleihen abzuleiten. Dabei ist auf den Zinssatz abzustellen, den die Deutsche Bundesbank anhand der Zinsstrukturdaten jeweils auf den ersten Börsentag des Jahres errechnet. Das BMF muss den maßgebenden Zinssatz im Bundessteuerblatt veröffentlichen. Der Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale für das Jahr 2024 beträgt 2,29 %.
Ob es infolge der Vorabpauschale tatsächlich zu einer Steuerbelastung kommt, hängt von mehreren Faktoren ab. Beispielsweise ist ein erteilter Freistellungsauftrag für Kapitalerträge (maximal 1.000 Euro; bei Zusammenveranlagung von Ehegatten: 2.000 Euro) zu berücksichtigen.
Eine Steuerbelastung setzt ferner voraus, dass der Basiszins positiv ist. Aufgrund des negativen Basiszinses für die Jahre 2021 und für 2022 wurde insoweit auch keine Vorabpauschale erhoben.
Beachten Sie | Der ermittelte Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale für das Jahr 2023 beträgt 2,55 %. Eine etwaige steuerliche Belastung erfolgte zum Jahresbeginn 2024.
Quelle | BMF, Schreiben vom 5.1.2024, IV C 1 - S 1980-1/19/10038 :008; BMF, Schreiben vom 4.1.2023, IV C 1 - S 1980-1/19/10038: 007
| Das Bundeszentralamt für Steuern hat am 7.2.2024 mitgeteilt, dass das Zuwendungsempfängerregister ab sofort online zur Verfügung steht. |
Das Zuwendungsempfängerregister umfasst alle Organisationen, die berechtigt sind, ihren Spendern Zuwendungsbestätigungen auszustellen. Somit bietet das Register u. a. eine einfache Möglichkeit, sich über den Gemeinnützigkeitsstatus von Organisationen zu informieren.
| In Betriebsprüfungen gibt es oft Streit, ob Fahrtenbücher als ordnungsgemäß anzuerkennen sind. Aktuell hat das Finanzgericht (FG) Düsseldorf Folgendes entschieden: Ein elektronisches Fahrtenbuch erfüllt nicht die Anforderungen an den Nachweis des tatsächlichen Umfangs der Privatnutzung eines betrieblichen Kfz, wenn nachträgliche Veränderungen an den zu einem früheren Zeitpunkt eingegebenen Daten nicht in der Datei selbst, sondern in externen Protokolldateien dokumentiert werden. Dem Erfordernis des zeitnahen Führens eines Fahrtenbuchs wird nicht genügt, wenn die – zwischenzeitlich auf Notizzetteln festgehaltenen – Eintragungen erst mehrere Tage oder Wochen nach Abschluss der betreffenden Fahrten vorgenommen werden. |
Quelle | FG Düsseldorf, Urteil vom 24.11.2023, 3 K 1887/22 H[L]
| Zu den Werbungskosten zählt auch die zur vorzeitigen Ablösung eines Darlehens gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung, soweit die Schuldzinsen mit den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Dieser Zusammenhang besteht, wenn bereits im Zeitpunkt der Veräußerung eines Grundstücks anhand objektiver Umstände der endgültige Entschluss feststellbar ist, mit dem nach der vorzeitigen Darlehensablösung verbleibenden Verkaufserlös wiederum konkret bestimmtes Grundvermögen mit dem Ziel anzuschaffen, hieraus Vermietungseinkünfte zu erzielen. Dies hat das Finanzgericht (FG) Köln entschieden. |
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ergibt sich ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit den Vermietungseinkünften aus einem neuen Objekt allenfalls dann, wenn der Steuerpflichtige bereits bei der Veräußerung – z. B. im Kaufvertrag selbst oder zumindest beim Abschluss des Kaufvertrags – im Vorhinein so unwiderruflich über den verbleibenden Restkaufpreis verfügt, dass er ihn unmittelbar zum Erzielen von Vermietungseinkünften mit einem bestimmten Objekt festlegt.
Beachten Sie | Verbleibende Zweifel gehen zulasten des Steuerpflichtigen, denn er trägt die Feststellungslast für die den Steueranspruch mindernden Tatsachen.
Infolge dieser restriktiven Rechtsprechung kam im Streitfall des FG Köln kein Werbungskostenabzug in Betracht. Denn der Steuerpflichtige hatte den überschießenden Verkaufserlös (also Verkaufspreis abzüglich abzulösendes Darlehen) zunächst selbst vereinnahmt und dann zur Teilrückführung einzelner Darlehen verwendet.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | FG Köln, Urteil vom 19.10.2023, 11 K 1802/22
| Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen hat sich mit der Frage befasst, ob eine Influencerin Aufwendungen für Kleidung und Accessoires steuerlich geltend machen kann. Die Entscheidung fiel zu ungunsten der Steuerpflichtigen aus. |
Das war geschehen
Eine Steuerpflichtige betrieb auf verschiedenen Social-Media-Kanälen und über eine Website einen Mode- und Lifestyleblog und erstellte hierzu Fotos und Stories. Zusätzlich zu den Waren, die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit von verschiedenen Firmen erhalten hatte, um sie zu bewerben, erwarb sie diverse Kleidungsstücke und Accessoires (beispielsweise Handtaschen namhafter Marken). Die Influencerin wollte die Aufwendungen für die Kleidungsstücke und Accessoires als Betriebsausgaben bei ihrer gewerblichen Tätigkeit berücksichtigen.
Argumentation: Keine Abgrenzung zwischen privater und betrieblicher Nutzung möglich
Das Finanzamt verwehrte den Betriebsausgabenabzug mit der Begründung, dass sämtliche Gegenstände auch privat genutzt werden können und eine Abgrenzung der privaten zur betrieblichen Sphäre nicht möglich sei. Insbesondere habe die Steuerpflichtige nicht dargelegt, in welchem Umfang sie die Kleidungsstücke und Accessoires jeweils für private oder betriebliche Zwecke genutzt hatte.
Die hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos.
Finanzgericht: Abzugsverbot für Aufwendungen zur Lebensführung
Das FG Niedersachsen war ebenfalls der Meinung, dass eine Trennung zwischen privater und betrieblicher Sphäre bei gewöhnlicher bürgerlicher Kleidung und Mode-Accessoires nicht möglich ist. Gemäß Einkommensteuergesetz (§ 12 Nr. 1 EStG) folgt insoweit ein Abzugsverbot für Aufwendungen für die Lebensführung der Steuerpflichtigen, die ihre wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung mit sich bringt, auch wenn die Aufwendungen zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit der Steuerpflichtigen erfolgen.
Beachten Sie | Es kommt nicht darauf an, wie die Steuerpflichtige die Gegenstände konkret genutzt hat. Allein die naheliegende Möglichkeit der Privatnutzung von bürgerlicher Kleidung und Mode-Accessoires führt dazu, dass eine steuerliche Berücksichtigung ausgeschlossen ist.
Zudem handelt es sich bei den von der Influencerin erworbenen Gegenständen nicht um typische Berufskleidung, für die ein Betriebsausgabenabzug möglich ist. Hierunter fallen nur solche Kleidungsstücke, die nach ihrer Beschaffenheit objektiv nahezu ausschließlich für die berufliche Nutzung bestimmt und geeignet und wegen der Eigenart des Berufs nötig sind, bzw. bei denen die berufliche Verwendungsbestimmung bereits aus ihrer Beschaffenheit entweder durch ihre Unterscheidungsfunktion oder durch ihre Schutzfunktion (z. B bei Arbeitsschuhen) folgt.
Beachten Sie | Der Beruf einer Influencerin bzw. Bloggerin ist insoweit nicht anders zu beurteilen als sonstige Berufe. Ob die Kleidungsstücke und Mode-Accessoires tatsächlich ausschließlich betrieblich genutzt werden, ist unbeachtlich. Somit war die Aufklärung des Umfangs der tatsächlichen privaten Nutzung der Kleidung nicht entscheidend.
Quelle | FG Niedersachsen, Urteil vom 13.11.2023, 3 K 11195/21
| Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Bei einem Unfall, der in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Einfahren von einer Parkbucht in den Straßenverkehr stattfindet, gilt das einfahrende Fahrzeug als Verursacher, wenn eine weitere Aufklärung nicht möglich ist. |
Der Fahrer eines zuvor in einer Parkbucht am Straßenrand stehenden Fahrzeugs ist mit diesem in den Straßenverkehr eingefahren. Hierauf kam es zu einer Kollision mit einem dort in gleicher Richtung fahrenden Wagen. Über den Unfallhergang machten die Beteiligten jeweils unterschiedliche Angaben.
Das AG hat entschieden, dass der Verkehrsunfall vollständig von dem einfahrenden Fahrzeug verursacht wurde. Zwar ließ sich das Geschehen überwiegend nicht mehr aufklären, allerdings habe derjenige, der vom Straßenrand in den Verkehr einfährt, nach der Straßenverkehrsordnung besonders darauf zu achten, dass er andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet.
Aufgrund der zeitlichen und örtlichen Nähe des Unfallgeschehens zu dem Einfahren des parkenden Fahrzeugs in den Straßenverkehr bestehe daher der Anschein, dass dessen Fahrer nicht ausreichend auf den Verkehr geachtet und somit den Unfall herbeigeführt habe. Dafür spreche zudem, dasss eine Version des Unfallgeschehens, er sei bereits einige Zeit auf der Straße gefahren, mit dem Schadensbild nicht in Einklang zu bringen sei. Zudem habe der Fahrer selbst erklärt, das andere Fahrzeug erst durch den Anstoß bemerkt zu haben, was darauf hinweise, dass er das Verkehrsgeschehen beim Losfahren von dem Parkplatz nicht ausreichend beobachtet habe.
Quelle | AG Hanau, Urteil vom 5.6.2023, 39 C 329/21 (19)
| Kindergeld für sich selbst können Kinder nur erhalten, wenn sie Vollwaise sind oder den Aufenthalt der Eltern nicht kennen. Kein Kindergeld beanspruchen kann ein Kind, wenn es gelegentlich mit seiner Mutter im Ausland telefonieren und sich dabei nach ihrem Aufenthaltsort erkundigen kann. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) jetzt entschieden. |
Regelmäßige Telefonate
Der Kläger hatte Kindergeld für sich selbst beansprucht mit der Begründung, er kenne den Aufenthalt seiner Mutter nicht. Diese hatte sich Ende 2017 auf die Flucht begeben und zunächst jeweils nur für kurze Dauer an verschiedenen Orten in Syrien gelebt, zuletzt in der Nähe von Damaskus. Allerdings hatte der Kläger in seinem Kindergeldantrag angegeben, zwei- bis dreimal monatlich mit ihr zu telefonieren. Dadurch hatte er zumindest die zumutbare Möglichkeit, sich nach dem aktuellen Aufenthaltsort seiner Mutter zu erkundigen.
Voraussetzungen der Aufenthaltskenntnis
Ein Kind kennt den Aufenthalt seiner Eltern, wenn es weiß, an welchem für ihn bestimmbaren Ort sich seine Eltern oder zumindest ein Elternteil aufhalten. Auf die Kenntnis einer postalischen Adresse oder eines „verstetigten“ Aufenthalts kommt es dagegen nicht an, weil sich seit Einführung des Kindergelds für „alleinstehende Kinder“ im Jahr 1986 die Kommunikationsmöglichkeiten und -gewohnheiten durch Internet und Mobilfunk grundlegend verändert haben. Für die erforderliche Aufenthaltskenntnis genügt es zudem, wenn aus Sicht des Kindes die zumutbare Möglichkeit besteht, innerhalb eines angemessenen Zeitraums Kontakt mit seinen Eltern aufzunehmen. Die Kenntnis fehlt erst, wenn Dauer und Ausmaß der Unkenntnis über den Verbleib der Eltern den endgültigen Verlust der Eltern-Kind-Beziehung wie bei einer Vollwaise befürchten lassen.
Quelle | BSG, Urteil vom 14.12.2023, B 10 KG 1/22 R, PM 46/23
| Ein Versicherungsnehmer, der nach einer verbalen Auseinandersetzung im Straßenverkehr einem anderen, für ihn erkennbar schwerbeschädigten Verkehrsteilnehmer in den Rücken schlägt und diesen dadurch zu Fall bringt, nimmt regelmäßig dessen schwere Gesundheitsbeschädigung in Kauf. Als Folge kann sich sein Haftpflichtversicherer auf einen Leistungsausschluss berufen. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Dresden entschieden. |
Auseinandersetzung im Straßenverkehr
Auseinandersetzungen im Straßenverkehr enden immer häufiger damit, dass ein oder mehrere Beteiligte verletzt werden. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung regelt das nicht unbedingt die Haftpflichtversicherung.
Versicherung darf Leistung verweigern
Der Versicherer ist nämlich nach dem Versicherungsvertragsgesetz (hier: § 103 VVG) nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen Schaden herbeigeführt hat.
Einzelfall entscheidend
Ob die Versicherung tatsächlich leistungsfrei ist, entscheidet sich anhand des jeweiligen Einzelfalls. Dazu muss vorgetragen werden, wie sich der Vorfall ereignete und was genau Auslöser der schadenstiftenden Handlung war. Es ist nämlich ein Unterschied, ob es sich um eine Angriffs- oder Verteidigungshandlung handelte.
Quelle | OLG Dresden, Urteil vom 29.6.2023, 4 U 2626/22
| Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das einen Fluggast im Voraus darüber unterrichtet hat, dass es ihm gegen seinen Willen die Beförderung auf einem Flug verweigern werde, für den er über eine bestätigte Buchung verfügt, muss diesem einen Ausgleich zahlen. Das gilt selbst, wenn er sich nicht unter den in der Fluggastrechteverordnung (hier: Art. 3 Abs. 2 FluggastrechteVO) genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden hat. So sieht es der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). |
Fluggast ohne Information umgebucht
Der EuGH zeigt sich damit – wieder einmal – verbraucherfreundlich. Im konkreten Fall hatte die Fluggesellschaft einen Fluggast umgebucht, ihn aber nicht darüber informiert. Auf seine Rückfrage wurde ihm zugleich mitgeteilt, dass er für den gebuchten Rückflug gesperrt sei, weil er zum umgebuchten Flug nicht erschienen sei. Es sei nicht mehr möglich, den Rückflug anzutreten.
Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung
Der EuGH hat darüber hinaus entschieden, dass dem Fluggast zwar bei Annullierung eines Flugs u. U. kein Ausgleichsanspruch zusteht. Dies gelte aber nicht, wenn ein Fluggast – wie im Fall des EuGH für den Rückflug – mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit darüber unterrichtet wurde, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen ihn gegen seinen Willen nicht befördern werde. Ihm steht dann ein Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung i. S. d. Art. 4 der FluggastrechteVO zu.
Quelle | EuGH, Urteil vom 26.10.2023, C-238/22
| Das Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat der Verfassungsbeschwerde eines verbeamteten Lehrers stattgegeben, die sich gegen eine Durchsuchungsanordnung richtete. |
Das war geschehen
Gegen den Lehrer wurde wegen des Verdachts der Beleidigung von zwei Polizeibeamten ermittelt. Um Informationen über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu erlangen, ordnete das Amtsgericht (AG) an, seine Wohnung zu durchsuchen. Der Lehrer gewährte den die Durchsuchungsanordnung vollziehenden Beamten Eintritt in seine Wohnung und übergab ihnen verschiedene Unterlagen. Das Strafverfahren endete mit einer Einstellung gegen Zahlung einer Geldauflage.
Verletzung von Grundrechten
Die Anordnung der Durchsuchung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach dem Grundgesetz (Art. 13 Abs. 1 GG). Sie war unverhältnismäßig. Angesichts grundrechtsschonender, alternativer Ermittlungshandlungen stand eine Durchsuchung außer Verhältnis zur Schwere der verfolgten Straftat.
Zwar war die Durchsuchung nicht bereits deshalb unzulässig, weil lediglich die Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers ermittelt werden sollten. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft müssen sich nämlich auch auf Umstände beziehen, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind. Dazu zählen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten zwecks Bestimmung der Tagessatzhöhe.
Lehrer hätte zuerst befragt werden müssen
Naheliegend und grundrechtsschonend wäre es gewesen, zunächst den Beschwerdeführer über seinen Verteidiger zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu befragen. Eine solche Nachfrage hätte im Streitfall mit realistischer Wahrscheinlichkeit dazu geführt, ausreichende Informationen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu erlangen. Auch die Gefahr eines Beweismittelverlustes bestand nicht.
Anfrage an Besoldungsstelle als Alternative
Als naheliegende und grundrechtsschonende Alternative zu einer Wohnungsdurchsuchung wäre aber auch eine Anfrage bei der Besoldungsstelle des Beschwerdeführers nach dem von dort bezogenen Einkommen in Betracht gekommen. Durch eine solche Anfrage sind zwar nicht zwingend Informationen zu allen Einkünften zu erlangen. Das Strafgesetzbuch (hier: § 40 Abs. 3 StGB) erfordert aber – zumal in Fällen der kleineren Kriminalität – auch nicht die Ausschöpfung aller Beweismittel, wenn ansonsten die fachrechtlichen Voraussetzungen für eine Schätzung der Einkünfte vorliegen. Durchsuchungen zur Ermittlung der für die Bestimmung der Tagessatzhöhe entscheidenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten sind daher grundsätzlich nur verhältnismäßig, wenn anhand der übrigen zur Verfügung stehenden Beweismittel keine Schätzung möglich ist.
Weitere alternative Anfragen möglich
Hätten sich Staatsanwaltschaft und AG mit den durch die genannten Maßnahmen zu erlangenden Informationen zum Einkommen des Beschwerdeführers nicht begnügen wollen, wären darüber hinaus eine Abfrage bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und anschließende Bankanfragen in Betracht gekommen. Auch insoweit handelt es sich im Vergleich zur angeordneten Durchsuchung um eine meist weniger grundrechtsintensive Maßnahme.
Quelle | BVerfG, Beschluss vom 15.11.2023, 1 BvR 52/23, PM 115/23
| In einem Nachbarschaftsstreit sah das Amtsgericht (AG) München in dem Aufstellen einer Kamera auf dem Nachbargrundstück eine Persönlichkeitsrechtsverletzung und untersagte dies der Antragsgegnerin. |
Überwachungs- oder Wildkamera?
Die Parteien sind unmittelbare Nachbarn in München und stritten über eine im April 2022 auf der Terrasse der Antragsgegnerin aufgestellte Wildüberwachungskamera, die von der Terrasse der Antragstellerin aus sichtbar war. Die Antragstellerin wehrte sich hiergegen unter Verweis auf ihre Persönlichkeitsrechte und forderte die Antragsgegnerin im Juli 2022 u. a. auf, die Videoüberwachung zu beenden und künftig zu unterlassen. Die Antragsgegnerin verweigerte dies mit der Begründung, dass es sich nicht um eine Videoüberwachung, sondern um eine sogenannte Wild-Kamera handeln würde. Es ginge ausschließlich um die Kontrolle des eigenen Gartens.
Kamera musste entfernt werden
Zunächst erließ das AG im einstweiligen Rechtsschutz auf Antrag der Antragstellerin eine einstweilige Verfügung. Danach wurde es dieser untersagt, auf ihrem Grundstück eine Überwachungskamera aufzustellen, die die Terrasse oder den Garten der Antragstellerin erfasst oder erfassen kann oder den Eindruck hiervon erweckt. Anschließend entfernte die Antragsgegnerin die Kamera.
Einstweilige Verfügung war rechtens
Auf Antrag der Antragstellerin bestätigte das AG dann mit einem Urteil die einstweilige Verfügung. Die vormals aufgestellte Kamera habe die Antragstellerin in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Kamera tatsächlich ausschließlich den Bereich der Antragsgegnerin erfasst hat oder nicht. Denn es komme insoweit auf die Umstände des Einzelfalls an. Die Befürchtung, durch vorhandene Überwachungsgeräte überwacht zu werden, sei gerechtfertigt, wenn sie aufgrund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit oder aufgrund objektiv Verdacht erregender Umstände. Lägen solche Umstände vor, könne das Persönlichkeitsrecht des (vermeintlich) Überwachten schon wegen der Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch Videokameras und ähnliche Überwachungsgeräte beeinträchtige hingegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen nicht, die dadurch betroffen sein könnten.
Hypothetische Möglichkeit der Überwachung ausreichend für Beseitigungsanspruch
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs habe die Antragstellerin einen Anspruch auf Beseitigung der Kamera und entsprechende Unterlassung der etwaigen weiteren Installation einer vergleichbaren Kamera. Nach Ansicht der Lichtbilder sei das Gericht der Überzeugung, dass die Antragstellerin zu der Ansicht gelangen konnte, dass ihr Grundstück von der Kamera erfasst werde. Es handelte sich nicht mehr um die rein hypothetische Möglichkeit der Überwachung.
Der Sachverhalt habe sich zwar mittlerweile maßgeblich verändert, da die Kamera entfernt worden sei. Weiterhin habe die Antragsgegnerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass sie nicht die Absicht habe, eine weitere Kamera aufzustellen. Dieser Umstand allein kann aber nicht ausreichen, eine Wiederholungsgefahr aufzuheben.
Quelle | AG München, Urteil vom 1.2.2023, 171 C 11188/22, PM 43/23
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über die Frage entschieden, ob ein Anspruch des Mieters auf Gestattung der Gebrauchsüberlassung an einen Dritten (Untervermietung) auch im Fall einer Einzimmerwohnung gegeben sein kann. Er hat den Anspruch des Mieters bestätigt. |
Das war geschehen
Der Mieter einer in Berlin gelegenen Einzimmerwohnung bat mit Schreiben von März 2021 seinen Vermieter wegen eines beruflichen Auslandsaufenthalts um die Gestattung der Untervermietung an eine namentlich benannte Person vom 15.6.2021 bis zum 30.11.2022. Die Vermieter lehnten dies ab.
Mit der im Mai 2021 erhobenen, auf die Erlaubnis der Untervermietung „eines Teils der Wohnung“ an den bezeichneten Untermieter gerichteten Klage hat der Mieter vorgetragen, er wolle für die Dauer seiner berufsbedingten Abwesenheit einen Teil der Wohnung an die benannte Person untervermieten, jedoch persönliche Gegenstände weiter in der Wohnung lagern. Während seines Auslandaufenthalts lagere er seine in der (untervermieteten) Wohnung verbliebenen persönlichen Gegenstände dort in einem Schrank und einer Kommode sowie in einem am Ende des Flurs gelegenen, durch einen Vorhang abgetrennten, nur von ihm zu nutzenden Bereich von der Größe eines Quadratmeters. Ferner blieb er im Besitz eines Wohnungsschlüssels.
Die Klage hatte beim Amtsgericht (AG) keinen Erfolg. Auf die Berufung des Mieters hat das Landgericht (LG) die Vermieter antragsgemäß verurteilt, die Untervermietung „eines Teils der Wohnung“ an die vom Mieter benannte Person zu gestatten. Mit der Revision begehren die Vermieter die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
So entschied der Bundesgerichtshof
Die Revision der Vermieter hatte keinen Erfolg. Der BGH hat entschieden, dass dem Mieter ein Anspruch auf Gestattung der befristeten, teilweisen Gebrauchsüberlassung an den von ihm benannten Dritten zusteht.
Wie der Senat in der Vergangenheit bereits (zu Wohnungen mit mehreren Zimmern) entschieden hat, stellt das Bürgerliche Gesetzbuch (hier: § 553 Abs. 1 BGB) weder quantitative Vorgaben hinsichtlich des beim Mieter verbleibenden Anteils des Wohnraums noch qualitative Anforderungen bezüglich dessen weiterer Nutzung durch den Mieter auf. Von einer Überlassung eines Teils des Wohnraums an einen Dritten im Sinne des § 553 Abs. 1 BGB ist daher regelmäßig bereits auszugehen, wenn der Mieter den Gewahrsam an dem Wohnraum nicht vollständig aufgibt.
Danach kann ein Anspruch des Mieters gegen den Vermieter auf Gestattung der Gebrauchsüberlassung an einen Dritten auch bei einer Einzimmerwohnung gegeben sein. Ein Ausschluss von Einzimmerwohnungen aus dem Anwendungsbereich des § 553 Abs. 1 BGB ergibt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut, der Gesetzesgeschichte noch aus dem mieterschützenden Zweck der Vorschrift. Letzterer liefe für Mieter einer Einzimmerwohnung andernfalls gänzlich leer. Sachgerechte Gründe dafür, solche Mieter insoweit als weniger schutzwürdig anzusehen als Mieter einer Mehrzimmerwohnung, erschließen sich indes nicht, denn auch dem Mieter einer Einzimmerwohnung kann es, namentlich bei – wie hier – befristeter Abwesenheit, darum gehen, sich den Wohnraum zu erhalten.
Die Beurteilung des LG, dass der Mieter dem Untermieter die Einzimmerwohnung nur teilweise überlassen wollte, ist laut BGH nicht zu beanstanden. Der Mieter hat seinen Gewahrsam an der Wohnung nicht vollständig aufgegeben. Denn er hat persönliche Gegenstände in der Wohnung in Bereichen zurückgelassen, die seiner alleinigen Nutzung vorbehalten waren, und sich den Zugriff hierauf zudem durch Zurückbehaltung eines Wohnungsschlüssels gesichert. Hinzu tritt der Wille des Mieters, die Wohnung nur für die Zeit seines Auslandsaufenthalts teilweise einem Dritten zu überlassen.
Quelle | BGH, Urteil vom 13.9.2023, VIII ZR 109/22, PM 158/2023 vom 14.9.2023
| Eine Grabbeigabe (Goldkette und Eheringe) durch den Testamentsvollstrecker ist auch bei einer Auswirkung auf ein Vermächtnis nicht grob pflichtwidrig. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. |
Testamentsvollstrecker kam Wunsch der Erblasserin nach
Die Erblasserin errichtete mit ihrem verstorbenen Ehemann ein gemeinschaftliches Testament. Sie setzten unter anderem ihre gemeinsamen Kinder, die Beteiligten zu 1) bis 3), als Erben zu gleichen Teilen ein und vermachten der Beteiligten zu 3) vorab den Schmuck der Erblasserin. Später ordnete die Erblasserin in einer notariellen Ergänzung Testamentsvollstreckung an und bestimmte den Beteiligten zu 2) zum Testamentsvollstrecker.
Der Beteiligte zu 2) legte der Erblasserin – seiner Behauptung zufolge auf deren Wunsch – die Eheringe der Erblasserin und ihres Ehemannes an einer Goldkette mit ins Grab, obwohl sich die Beteiligten zu 1)und zu 3) mit der Grabbeigabe der Goldkette zuvor nicht einverstanden erklärt hatten. Dies veranlasste den Beteiligten zu 1), die Entlassung des Beteiligten zu 2) aus dem Amt des Testamentsvollstreckers zu beantragen. Das Nachlassgericht hat den Antrag nach Vernehmung verschiedener Zeugen zurückgewiesen.
So sah es das Oberlandesgericht
Die hiergegen eingelegte Beschwerde hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Ein Testamentsvollstrecker begeht keine grobe Pflichtverletzung, sofern er die Eheringe und eine Kette der Erblasserin auf deren Wunsch ihr mit ins Grab legt, auch wenn er dadurch einem angeordneten Vermächtnis teilweise nicht nachkommen kann. Das OLG hat die Beschwerde einer Tochter der Erblasserin zurückgewiesen.
Zu Recht habe das Amtsgericht (AG) eine als grob zu wertende Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers verneint. Es fehle bereits an dem Nachweis einer Pflichtverletzung. Der Beteiligte zu 1) habe nicht nachweisen können, dass die Grabbeilage nicht auf Wunsch der Erblasserin erfolgt sei. Die Erblasserin sei nicht gehindert gewesen, noch zu ihren Lebzeiten einer Vertrauensperson den rechtsverbindlichen Auftrag zu erteilen, die Goldkette nebst den Eheringen nach ihrem Tod als Grabbeigabe zu verwenden. Dieser insoweit als gegeben zu unterstellende geäußerte Wunsch der Erblasserin sei als – wirksamer – Auftrag zu deren Lebzeiten an den Beteiligten zu 2) zu verstehen. Diesen Auftrag hätten allenfalls alle drei Erben widerrufen können. Dies sei nicht geschehen.
Es lag eine Pflichtenkollision vor
Die aus dem Vermächtnis einerseits und dem Auftrag der Erblasserin andererseits resultierende Pflichtenkollision habe der Testamentsvollstrecker zugunsten einer Grabbeigabe entscheiden können, ohne dass dies als objektiv pflichtwidriger Verstoß gegen die Pflichten als Testamentsvollstrecker zu werten ist. Darüber hinaus sei selbst eine unterstellte Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers nicht schwerwiegend.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 19.12.2023, 21 W 120/23, PM 77/23
| Der Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Wohngebäudes an der Grundstücksgrenze fehlt es an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse, wenn eine Baulast im Baulastenverzeichnis eingetragen ist, die für den Grenzbereich die Freihaltung von jeglicher Bebauung regelt. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Mainz. |
Baulast seit 40 Jahren eingetragen
Die Klägerin stellte einen Bauantrag zur Errichtung eines Wohngebäudes an der Grenze zum Nachbargrundstück. Im Baulastenverzeichnis ist seit mehr als 40 Jahren eine Baulast eingetragen, nach der das Baugrundstück der Klägerin in der Länge eines (seinerzeit geplanten und genehmigten) Anbaus an ein Wohngebäude auf dem Nachbargrundstück und in einer Breite von drei Metern von jeglicher Bebauung freizuhalten ist.
Unter Hinweis auf diese Baulastregelung lehnte der Beklagte, die Baugenehmigungsbehörde, den im vereinfachten Genehmigungsverfahren gestellten Bauantrag ab. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage, mit der sie u. a. die Erteilung der Baugenehmigung beanspruchte. Sie machte im Wesentlichen geltend, die Baulast sei hinsichtlich der Länge der freizuhaltenden Fläche unbestimmt und deshalb unwirksam. Jedenfalls sei die Baulast in dem Baulastenverzeichnis zu löschen, weil zwischenzeitlich in der Umgebung nahezu auf allen Grundstücken grenzständige Bauten entstanden seien. Das VG wies die Klage ab.
Kein Rechtsschutzbedürfnis gegeben
Es fehle der Klage an einem sog. Rechtsschutzinteresse. Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren sei der Prüfungsumfang der Bauaufsichtsbehörde gesetzlich beschränkt. So seien Vorschriften nach der Landesbauordnung grundsätzlich nicht zu prüfen. Dementsprechend blieben auch eingetragene Baulasten generell unberücksichtigt.
Baulast war unmissverständlich
Gleichwohl sei die Baubehörde im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht verpflichtet, bauordnungsrechtliche Fragen gänzlich auszublenden. So dürfe sie im vereinfachten Verfahren die Erteilung einer Baugenehmigung versagen, wenn das Bauvorhaben offensichtlich gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften verstoße und deshalb nicht verwirklicht werden könne. So sei es hier. Die in Rede stehende Baulast enthalte die unmissverständliche Aussage, dass der Grenzbereich auf dem Klägergrundstück, auf dem das geplante Wohngebäude zu stehen kommen solle, von jeglicher Bebauung freizuhalten sei. Unter verständiger objektiver Würdigung sei auch bestimmbar, in welcher Länge das Bauverbot gelte: Diese ergebe sich aus den seinerzeitigen Baugenehmigungsunterlagen zu dem Nachbaranbau. Sei eine Baulast in das Baulastenverzeichnis eingetragen, entfalte sie ihre Wirksamkeit. Sie sei – anders als bei einer hier nicht gegebenen Nichtigkeit – nicht ständig auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen.
Bauantragsteller muss handeln
Erst im Fall der Eintragung eines (allerdings in einem eigenem Verwaltungsverfahren nach Wegfall eines öffentlichen Interesses durch die Bauaufsichtsbehörde auszusprechenden) Verzichts auf die Baulast entfalle ihre Wirksamkeit. Es sei Sache des Bauantragstellers, ein solches Verzichtsverfahren (ggf. nach zivilrechtlicher Abklärung von Nachbarrechtspositionen) anzustoßen. Die Baugenehmigungsbehörde sei indes nicht verpflichtet, mit der Bescheidung eines Bauantrags zuzuwarten, bis der Erteilung der Baugenehmigung entgegenstehende Hindernisse ausgeräumt seien.
Quelle | VG Mainz, Urteil vom 6.12.2023, 3 K 47/23.MZ, PM 2/24
| Die Naturschutzbehörden sind grundsätzlich befugt, gegenüber Betreibern bestandskräftig genehmigter Windenergieanlagen nachträgliche Anordnungen zur Verhinderung von Verstößen gegen das artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsverbot gemäß des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) zu treffen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage nach Genehmigungserteilung wesentlich geändert hat. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden. |
Zeitweise Abschaltung der Anlage
Die Klägerin wendet sich gegen nachträgliche zeitliche Beschränkungen des Betriebs ihrer bestandskräftig genehmigten Windenergieanlagen, die die Beklagte gestützt aus Gründen des Fledermausschutzes angeordnet hat. Die im Jahr 2006 erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung enthält keine Betriebsbeschränkungen zum Schutz von Fledermäusen. Nachdem später Totfunde verschiedener Fledermausarten im Bereich der Anlagen gemeldet und Bestandserfassungen zu Fledermäusen angestellt worden waren, verfügte die Beklagte unter näheren Maßgaben zu meteorologischen Rahmenbedingungen eine nächtliche Abschaltung der Anlagen vom 15. April bis zum 31. August eines Jahres. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen.
Wenn sich die Sach-oder Rechtslage ändert, sind nachträgliche Anordnungen möglich
Das BVerwG hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Eine bestandskräftige immissionsschutzrechtliche Genehmigung steht nachträglichen artenschutzrechtlichen Anordnungen auf der gesetzlichen Grundlage (hier: § 3 Abs. 2 BNatSchG) nicht generell entgegen. Das BNatSchG (§ 44 Abs. 1 Nr. 1) begründet eine unmittelbare und dauerhafte Verhaltenspflicht, die auch bei Errichtung und Betrieb immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Windenergieanlagen zu beachten ist.
Zwar ist aufgrund der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung der Anlagenbetrieb auch als rechtmäßig anzusehen. Das gilt aber nur in den Grenzen der auf den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung bezogenen Feststellungswirkung der Genehmigung, wonach die genehmigte Anlage mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar ist. Aufgrund der Anknüpfung an den Genehmigungszeitpunkt erstreckt sich diese Feststellungswirkung nicht auf nachträgliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage, wie im vorliegenden Fall. Die streitige Anordnung bewirkt auch keine – der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörde vorbehaltene – (Teil-)Aufhebung der Genehmigung.
Es war rechtlich auch einwandfrei, so das BVerwG, dass das OVG hier einen Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG bejaht hat, weil durch den Betrieb der Windenergieanlagen das Tötungs- und Verletzungsrisiko von Exemplaren der besonders geschützten Fledermausarten signifikant erhöht sei.
Quelle | BVerwG, Urteil vom 19.12.2023, 7 C 4.22, PM 95/23
| Stiehlt ein Polizist nach einem Verkehrsunfall Käse, ist er aus dem Dienst zu entfernen. So entschied es das Verwaltungsgericht (VG) Trier. |
Das war geschehen
Ein Lkw hatte einen Unfall. Der Polizeibeamte, der eine Uniform und eine Dienstwaffe trug, verlangte von der Bergungsfirma, aus der verunfallten Ladung neun unbeschädigte Packungen Käse herauszugeben. So geschah es. Diese Pakete verlud der Polizist mit einer Kollegin in einen Einsatzbus und deckte sie ab. U. a. ein knappes Viertel des Käses fand sich später in der Polizeistation des Beamten. Seine Erklärung: Der Gutachter der Versicherung habe den Käse freigegeben. Es habe sich quasi um Müll gehandelt. Was er verschwieg: Der Käse wurde später noch zum Restwert verkauft.
Verwaltungsgericht „kennt keine Gnade“
Der Polizist kam zwar vor dem Strafgericht „mit einem blauen Auge“ davon. Das VG, bei dem es um disziplinarische Maßnahmen gegen den Beamten ging, entfernte ihn aus dem Dienst. Er habe während der Dienstzeit in Uniform einen Diebstahl mit Waffen begangen. Das VG verhängte daher die Höchstmaßnahme. Das VG betonte: Einem Polizisten, der in Uniform stiehlt, könne man nicht mehr glauben, dass er sich an Recht und Gesetz hält.
Das VG bewertete es als besonders negativ, dass der Beamte das Vertrauen in die Polizei ausgenutzt hatte, indem er der Bergungsfirma falsche Tatsachen vorgespiegelt hatte. Hinzu kamen Lügen gegenüber seinen Vorgesetzten. Unerheblich sei es, falls der Käse nur als Geschenk an Kollegen dienen sollte.
Quelle | VG Trier, Urteil vom 18.1.2024, 3 K 1752/23 TR
| Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern hat jetzt klargestellt: Beschreibt der Arbeitgeber das Arbeitsumfeld als „jung und dynamisch“, bezieht sich dies auf den Arbeitsplatz. Es wird kein Bewerber wegen seines Alters ausgeschlossen.|
Ein Tankstellenpächter suchte in einem Zeitungsinserat wie folgt nach einem neuen Mitarbeiter: „Wir sind ein junges und dynamisches Team mit Benzin im Blut und suchen Verstärkung.“ Anschließend folgten Einzelheiten zu Anforderungen und Gehalt. Die konkreten Arbeitsbedingungen wurden beschrieben. Der 50-jährige Kläger bewarb sich erfolglos. Eingestellt wurde ein 48-jähriger Mann. Der Kläger forderte eine Entschädigung. Die Stellenanzeige enthalte eine Altersdiskriminierung. Damit scheiterte er in erster und zweiter Instanz.
Das LAG stellte fest: Das Inserat formulierte keine Anforderungen, die den Kläger wegen seines Alters von einer Bewerbung hätte abhalten sollen. Hier lag vielmehr eine werbende Eigendarstellung vor. Es handele sich um eine überspitzte, ironische, nicht ernsthaft gemeinte, in der Form eines Werbeslogans gehaltene Beschreibung des Arbeitsumfeldes. Das LAG: Einzelne Begriffe, z. B. „jung“, herauszupicken und auf sich selbst zu beziehen, sei nicht zulässig, zumal die konkreten Anforderungen an die Bewerber im Inserat deutlich beschrieben wurden.
Quelle | LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 17.10.2023, 2 Sa 61/23
| Der Kläger war seit dem 1.7.2018 als Rezeptionist in einem Beherbergungsbetrieb tätig und regelmäßig in der Spätschicht eingesetzt. Er hatte am 12.1.2022 sein Hybridauto vor der Herberge geparkt und über ein Ladekabel an einer 220 Volt-Steckdose im Flur des Seminartrakts aufgeladen. Nachdem die Beklagte dies entdeckt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis am 14.1.2022 fristlos. Hiergegen hatte der Kläger sich mit seiner Kündigungsschutzklage gewandt und in erster Instanz obsiegt. In dem vom Arbeitgeber angestrengten Berufungsverfahren haben die Parteien ihren Streit vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf nun per Vergleich beigelegt. |
Unerlaubtes Laden an sich ein Kündigungsgrund
In der mündlichen Verhandlung bestätigte das LAG, dass das unerlaubte Laden des Privatfahrzeugs auf Kosten des Arbeitgebers an sich ein Kündigungsgrund ist. Dies gilt erst recht, wenn das Laden an einer 220 Volt-Steckdose und nicht an einer Wallbox oder eingerichteten Ladestation erfolgt.
Erteilte Erlaubnis war unklar
Das LAG hatte allerdings bereits Zweifel, ob von einem unerlaubten Laden auszugehen sei. Dazu hätte ggf. die Beweisaufnahme erster Instanz zur Frage der gegenüber dem Kläger erteilten Erlaubnis wiederholt werden müssen.
Hier hätte Abmahnung ausgereicht
Unabhängig davon sprach nach Ansicht des LAG mehr dafür, dass hier eine Abmahnung ausgereicht hätte. Eine Kündigung wäre wohl unverhältnismäßig gewesen.
„Schaden“ von rund 40 Cent
So lagen die Kosten für den Ladevorgang am 12.1.2022 bei lediglich 0,4076 Euro. Ein Verbot zum Laden von Elektromotoren für die Mitarbeitenden existierte nicht. Die Hausordnung, die dies vorsah, richtete sich ausdrücklich nur an Gäste. Das Laden anderer elektronischer Geräte, z. B. Handys, durch Mitarbeitende wurde geduldet. Auch wenn dies wertungsmäßig etwas anderes als das Laden eines Hybridautos ist, hätte im konkreten Fall angesichts der bislang beanstandungsfreien Beschäftigungszeit eine Abmahnung genügt.
Am Ende verglichen sich die Parteien
Auf Vorschlag des Gerichts haben sich die Parteien u. a. auf eine ordentliche Kündigung zum 28.2.2022 und eine Abfindung von 8.000 Euro brutto geeinigt.
Quelle | LAG Düsseldorf, Vergleich vom 19.12.2023, 8 Sa 244/23, PM 32/23
| Der Beweiswert von (Folge-)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann erschüttert sein, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen, und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun klargestellt. |
War der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert?
Der Kläger war seit März 2021 als Helfer bei der Beklagten beschäftigt. Er legte am Montag, dem 2.5.2022, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 2. bis zum 6.5.2022 vor. Anfang Mai kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.5.2022. Mit Folgebescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 wurde Arbeitsunfähigkeit bis zum 20.5.2022 und bis zum 31.5.2022 (einem Dienstag) bescheinigt. Ab dem 1.6.2022 war der Kläger wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung auf. Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Beweiswert der vorgelegten AU-Bescheinigungen sei erschüttert. Dem widersprach der Kläger, weil die Arbeitsunfähigkeit bereits vor dem Zugang der Kündigung bestanden habe. Die Vorinstanzen haben der auf Entgeltfortzahlung gerichteten Klage für die Zeit vom 1. bis zum 31.5.2022 stattgegeben.
Gesetzliches Beweismittel
Die Revision der Beklagten hatte teilweise – bezogen auf den Zeitraum vom 7. bis zum 31.5.2022 – Erfolg. Ein Arbeitnehmer kann die von ihm behauptete Arbeitsunfähigkeit mit ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachweisen. Diese sind das gesetzlich vorgesehene Beweismittel.
Arbeitgeber kann Beweiswert erschüttern
Deren Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die nach einer Gesamtbetrachtung Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geben. Hiervon ausgehend ist das Landesarbeitsgericht (LAG) bei der Prüfung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die während einer laufenden Kündigungsfrist ausgestellt werden, zutreffend davon ausgegangen, dass für die Erschütterung des Beweiswerts dieser Bescheinigungen nicht entscheidend ist, ob es sich um eine Kündigung des Arbeitnehmers oder eine Kündigung des Arbeitgebers handelt und ob für den Beweis der Arbeitsunfähigkeit eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden.
Einzelfall ist zu würdigen
Stets erforderlich ist allerdings eine einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände. Hiernach hat das Berufungsgericht richtig erkannt, dass der Beweiswert für die Bescheinigung vom 2.5.2022 nicht erschüttert ist. Eine zeitliche Koinzidenz zwischen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und dem Zugang der Kündigung ist nicht gegeben. Der Kläger hatte zum Zeitpunkt der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine Kenntnis von der beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses, etwa durch eine Anhörung des Betriebsrats. Weitere Umstände hat die Beklagte nicht dargelegt. Bezüglich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 ist der Beweiswert dagegen erschüttert. Das LAG hatte insoweit nicht ausreichend berücksichtigt, dass zwischen der in den Folgebescheinigungen festgestellten passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestand und der Kläger unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen hat. Dies hat zur Folge, dass der Kläger nun für die Zeit vom 7.5.bis zum 31.5.2022 die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch trägt.
Da das LAG – aus seiner Sicht konsequent – hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückzuverweisen.
Quelle | BAG, Urteil vom 13.12.2023, 5 AZ R 137/23, PM 45/23
Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht
| Der Bundesfinanzhof hat entschieden: Kostenerstattungen eines kirchlichen Arbeitgebers an seine Beschäftigten für die Erteilung erweiterter Führungszeugnisse, zu deren Einholung der Arbeitgeber zum Zwecke der Prävention gegen sexualisierte Gewalt kirchenrechtlich verpflichtet ist, führen nicht zu Arbeitslohn. |
Die Einholung der erweiterten Führungszeugnisse durch die Arbeitnehmer erfolgte aufgrund einer nur die kirchlichen Rechtsträger, nicht aber die Arbeitnehmer treffenden (kirchenrechtlichen) Verpflichtung.
Durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasste, zu Lohn führende Zuwendungen erbringt der Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern aber regelmäßig nicht, wenn er ausschließlich eine eigene, insbesondere nicht gegenüber den Arbeitnehmern bestehende Verpflichtung erfüllt.
Die zur Erfüllung einer entsprechenden Verpflichtung entstehenden Kosten wendet der Arbeitgeber in einer solchen Konstellation im eigenen Interesse auf. Sie sind Ausfluss seiner eigenbetrieblichen Tätigkeit.
Beachten Sie | Haben die Arbeitnehmer die vom Arbeitgeber für dessen eigenbetriebliche Tätigkeit zu tragenden Kosten (wie im Streitfall) zunächst aus eigenen Mitteln verauslagt, wendet der Arbeitgeber ihnen mit der Erstattung ihrer Aufwendungen keinen Vorteil zu, der sich im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweisen könnte.
Quelle | BFH, Urteil vom 8.2.2024, IV R 19/22
| Nach dem neuen Partnerschaftsgesetz (hier: § 2 Abs. 1 PartGG), das am 1.1.2024 in Kraft getreten ist, muss der Name der Partnerschaft nur noch den Zusatz „und Partner“ oder „Partnerschaft“ enthalten. Die Aufnahme des Namens mindestens eines Partners ist nicht mehr erforderlich. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Der Zwang zur Benennung mindestens eines Partners ist zum Jahreswechsel entfallen. Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass die grundsätzlich zu schützende Vertrauensbeziehung zwischen Freiberufler und Auftraggeber es jedenfalls aus gesellschaftsrechtlicher Sicht nicht erfordert, dass der Name der Partnerschaftsgesellschaft den Namen mindestens eines Partners enthalten muss. Hinzu kommt, dass die Identifizierung der Partnerschaftsgesellschaft mit dem Namen der Partner weitgehend an Bedeutung verloren hat.
Quelle | BGH, Beschluss vom 6.2.2024, II ZB 23/22
| Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken bestätigte, dass in einer Tageszeitung anlässlich einer damals anstehenden Neuwahl des Ortsvorstehers zulässig über die erstinstanzliche strafrechtliche Verurteilung eines lokalen Bauunternehmers berichtet worden sei, der mit zwei der Kandidaten verwandt ist. |
Das war geschehen
Eine große pfälzische Tageszeitung berichtete in ihrer Online-Ausgabe vom 30.6.2023 und in ihrer Print-Ausgabe vom 1.7.2023 über die damals anstehende Neuwahl eines Ortsvorstehers. Diese war notwendig geworden, weil der bisherige Ortsvorsteher nach diversen Anfeindungen zurückgetreten war.
Im Artikel wurden die drei Kandidaten vorgestellt und dabei erwähnt, dass zwei der Kandidaten mit einem lokalen Bauunternehmer und Landwirt verwandt seien, dem Anwohner vorwerfen, für den stark angestiegenen Lkw-Verkehr im Ort verantwortlich zu sein. Dabei wurde auch berichtet, dass der Bauunternehmer erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung u. a. wegen Beleidigung, Nötigung, Bedrohung und versuchter gefährlicher Körperverletzung von Anwohnern verurteilt worden sei.
Auf eine Abmahnung des Bauunternehmers hin schwärzte die Zeitung das E-Paper und ergänzte den Online-Beitrag um den Hinweis, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig sei. Der Bauunternehmer verlangte hierauf im gerichtlichen Eilverfahren den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Zeitung, wonach sie den ihn betreffenden Bericht unterlassen sollte. Das Landgericht (LG) wies den Antrag zurück. Hiergegen hat der Bauunternehmer sofortige Beschwerde eingelegt. Diese wies das OLG zurück.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG begründete seine Entscheidung damit, dass es schon an der erforderlichen Eilbedürftigkeit für das beschrittene gerichtliche Eilverfahren fehle. Der Bauunternehmer habe mehr als fünf Wochen mit seinem Antrag gewartet und die Zeitung habe den Online-Artikel um den Zusatz, wonach das strafrechtliche Urteil noch nicht rechtskräftig sei, bereits ergänzt.
Zulässige Verdachtsberichterstattung
Unabhängig davon handele es sich um eine zulässige Verdachtsberichterstattung. Zwar könnten anhand der im Artikel genannten Einzelinformationen zumindest die Einwohner des betroffenen Ortsteils den Bauunternehmer identifizieren. Der Bericht beruhe aber auf wahren Tatsachen, nämlich die tatsächliche Verurteilung des Bauunternehmers. Außerdem werde zumindest durch den Zusatz klar, dass die Verurteilung auch noch nicht rechtskräftig sei.
Persönlichkeitsrecht vs. Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit
Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Bauunternehmers stehe nicht außer Verhältnis zum Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Es gehöre gerade zu den Aufgaben der Presse, in Zusammenhang mit demokratischen Prozessen zu berichten. Hierzu gehöre auch die Berichterstattung über den Hintergrund der Kandidaten, insbesondere deren verwandtschaftliche Beziehungen, da diese möglicherweise Einfluss auf zukünftige Entscheidungen der Kandidaten haben könnten. Sowohl der erhöhte Lkw-Verkehr im Ort, als auch die erstinstanzlich abgeurteilten Straftaten des Antragstellers zulasten der Anwohner seien von lokalem Interesse.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.10.2023, 4 W 23/23, PM vom 11.3.2024
| Die Nutzung eines Bootes als schwimmende Bar auf der Havel muss nach einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin umgehend beendet werden. |
Boot = bauliche Anlage?
Der Antragsteller ist Eigentümer eines Bootes, das er überwiegend an Dritte vermietet, im Sommer aber an drei Tagen am Wochenende zum Ausschank von Getränken an Gäste nutzt. Die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt forderte ihn im August 2023 sofort vollziehbar auf, die schwimmende Bar innerhalb einer Woche ab Zugang der Anordnung „zu beseitigen“. Zur Begründung führte die Behörde im Wesentlichen aus, die auf einer Plattform betriebene Bar sei nach dem Berliner Wassergesetz genehmigungsbedürftig; eine Genehmigung werde aber nicht erteilt.
Der Antragsteller hat um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er meint, bei seinem Boot handele es sich weder um eine bauliche Anlage im Wasser noch um eine schwimmende Plattform, sondern um ein zugelassenes Sportboot. Es werde wegen der Vermietung an Dritte auch nicht vorwiegend stationär genutzt.
Während der Woche Sportboot, an Wochenenden Anlage im Gewässer
Das VG hat die Rechtmäßigkeit der Anordnung überwiegend bestätigt. Bei der schwimmenden Bar handele es sich um eine nicht genehmigte Anlage, deren Beseitigung die Wasserbehörde nach dem Berliner Wassergesetz habe anordnen dürfen. Auch wenn das Boot während der Woche als Sportboot einzustufen sei, führe seine wiederkehrende stationäre Nutzung als schwimmende Bar in der Sommersaison von Freitagabend bis Sonntag dazu, dass es in diesem Zeitraum als Anlage im Gewässer einzustufen sei. Diese Nutzung überschreite qualitativ die Grenze der gemeinverträglichen Nutzung des Gewässers und stelle sich damit wie eine Sondernutzung dar.
Strenger Maßstab war anzulegen
Wegen der besonderen Bedeutung, die dem Wasser für die Allgemeinheit wie für den Einzelnen zukomme und mit Rücksicht darauf, dass das Wasser und der Wasserhaushalt gegenüber Verunreinigungen und sonstigen nachteiligen Einwirkungen in besonderer Weise anfällig sei, sei ein strenger Maßstab gerechtfertigt. Daher könne der Antragsteller auch keine Sondernutzungserlaubnis beanspruchen.
Das VG beanstandete den Bescheid allerdings hinsichtlich der zur Durchsetzung der Verfügung angedrohten Ersatzvornahme, da nur der Antragsteller selbst die stationäre Nutzung unterlassen könne und es sich somit um eine unvertretbare Handlung handele.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 19.1.2024, VG 10 L 419.23, PM 4/24
| Prozesskosten zur Erlangung nachehelichen Unterhalts sind privat veranlasste Aufwendungen und keine (vorweggenommenen) Werbungskosten bei den späteren Unterhaltseinkünften i. S. des Einkommensteuergesetzes (hier: § 22 Nr. 1 a EStG). Mit dieser Entscheidung hat der Bundesfinanzhof (BFH) der anderslautenden Sichtweise des Finanzgerichts (FG) Münster (Vorinstanz) widersprochen. |
Hintergrund: Beim begrenzten Realsplitting kann der Unterhaltsverpflichtete die Unterhaltszahlungen bis zu 13.805 Euro im Jahr (zuzüglich der aufgewandten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung als Basisversorgung) als Sonderausgaben abziehen. Dies bedarf allerdings der Zustimmung des Unterhaltsberechtigten, der die Unterhaltszahlungen seinerseits als sonstige Einkünfte versteuern muss.
Erst durch den Antrag und die Zustimmung werden Unterhaltsleistungen in den steuerrelevanten Bereich überführt. Die Umqualifizierung markiert die zeitliche Grenze für das Vorliegen abzugsfähiger Erwerbsaufwendungen; zuvor verursachte Aufwendungen des Unterhaltsempfängers stellen keine Werbungskosten dar.
Beachten Sie | Der BFH hat den Streitfall an das FG Münster zurückverwiesen. Dieses muss nun klären, ob ggf. außergewöhnliche Belastungen vorliegen. Es besteht zwar ein Abzugsverbot für Prozesskosten (§ 33 Abs. 2 S. 4 EStG). Dieses greift aber nicht, wenn die Existenzgrundlage oder lebensnotwendige Bedürfnisse des Steuerpflichtigen betroffen sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 18.10.2023, X R 7/20
| Nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die pauschale Besteuerung (Steuersatz i. H. von 25 %) für Betriebsveranstaltungen auch für Veranstaltungen zulässig, die nicht allen Betriebsangehörigen offenstehen. Nicht so erfreulich ist dagegen ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG), wonach die verspätete Pauschalbesteuerung nicht zur Beitragsfreiheit in der Sozialversicherung führt. |
Hintergrund: Zuwendungen des Arbeitgebers an seinen Arbeitnehmer und dessen Begleitpersonen anlässlich von Veranstaltungen auf betrieblicher Ebene mit gesellschaftlichem Charakter (Betriebsveranstaltung) führen gemäß Einkommensteuergesetz (hier: § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 1 EStG) zu Arbeitslohn.
Soweit die Zuwendungen den Betrag von 110 Euro je Betriebsveranstaltung und teilnehmendem Arbeitnehmer nicht übersteigen, gehören sie jedoch nicht zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, wenn die Teilnahme allen Angehörigen des Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. Dies gilt für bis zu zwei Betriebsveranstaltungen jährlich (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 3 und S. 4 EStG).
Urteil des Bundesfinanzhofs
Ungeklärt war bislang die Frage, ob eine„Betriebsveranstaltung“ auch bei einem geschlossenen Kreis (beispielsweise Vorstands- und Führungskräfte feiern) vorliegt.
Beachten Sie | In diesen Fällen kann zwar kein Freibetrag i. H. von 110 Euro gewährt werden, aber es wäre eine Lohnsteuerpauschalierung (nach § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) mit 25 % möglich.
Auch bei eingeschränktem Kreis: Betriebsveranstaltung
Diese Frage hat der BFH – im Gegensatz zur Vorinstanz – nun zugunsten der Steuerpflichtigen entschieden. Nach der ab dem Veranlagungszeitraum 2015 geltenden Definition im Einkommensteuergesetz (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 1 EStG) kann eine Betriebsveranstaltung auch vorliegen, wenn sie nicht allen Angehörigen eines Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. Und da diese Definition dem Tatbestandsmerkmal „Betriebsveranstaltung“ (gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) entspricht, ist eine pauschale Besteuerung möglich.
Urteil des Bundessozialgerichts
Im Streitfall des BSG ging es auch um Betriebsveranstaltungen – und zwar um die Frage, welche Folgen eine verspätete Lohnsteuerpauschalierung für die Sozialversicherung hat.
Das war geschehen
Ein Unternehmen feierte mit seinen Beschäftigten am 5.9.2015 ein Firmenjubiläum. Am 31.3.2016 zahlte es für September 2015 auf einen Betrag von rund 163.000 Euro die für 162 Arbeitnehmer angemeldete Pauschalsteuer. Nach einer Betriebsprüfung forderte der Rentenversicherungsträger von dem Unternehmen Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen in Höhe von rund 60.000 Euro nach – und zwar zu Recht, wie das BSG entschieden hat (die gegenteiligen Entscheidungen der Vorinstanzen wurden aufgehoben).
Aufwendungen von mehr als 110 Euro je Beschäftigten für eine betriebliche Jubiläumsfeier sind als geldwerter Vorteil in der Sozialversicherung beitragspflichtig, wenn sie nicht mit der Entgeltabrechnung, sondern erst erheblich später pauschal versteuert werden.
Pauschalversteuerung erfolgte zu spät
Es kommt entscheidend darauf an, dass die pauschale Besteuerung „mit der Entgeltabrechnung für den jeweiligen Abrechnungszeitraum“ erfolgt. Dies wäre im konkreten Fall die Entgeltabrechnung für September 2015 gewesen. Tatsächlich wurde die Pauschalbesteuerung aber erst Ende März 2016 durchgeführt und damit sogar nach dem Zeitpunkt, zu dem die Lohnsteuerbescheinigung für das Vorjahr übermittelt werden musste.
Beachten Sie | Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung vertreten im Besprechungsergebnis vom 20.4.2016 (TOP 5) die Auffassung, dass eine nachträgliche Pauschalbesteuerung nur bis zur Erstellung der Lohnsteuerbescheinigung geltend gemacht werden kann, also längstens bis zum 28.2. des Folgejahrs. Dem hat sich das BSG nun im Ergebnis angeschlossen.
Quelle | BFH, Urteil vom 27.3.2024, VI R 5/22; BSG, Urteil vom 23.4.2024, B 12 BA 3/22 R Abruf-Nr. 241172 unter www.iww.de, PM Nr. 15/24 vom 23.4.2024; Spitzenorganisationen der Sozialversicherung, Besprechungsergebnis vom 20.4.2016, TOP 5
| Aufwendungen einer gesunden Steuerpflichtigen für eine durch eine Krankheit des Partners veranlasste Präimplantationsdiagnostik (PID) können als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein. So lautet eine steuerzahlerfreundliche Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH). |
Hintergrund: Bei der PID handelt es sich um ein genetisches Diagnoseverfahren zur vorgeburtlichen Feststellung von Veränderungen des Erbmaterials, die eine Fehl- oder Totgeburt verursachen bzw. zu einer schweren Erkrankung eines lebend geborenen Kindes führen können. Es erfolgt eine zielgerichtete genetische Analyse von Zellen eines durch künstliche Befruchtung entstandenen Embryos vor seiner Übertragung und Einnistung in die Gebärmutter.
Das war geschehen
Bei dem Partner der Steuerpflichtigen lag eine chromosomale Translokation vor. Aufgrund dieser Chromosomenmutation bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein auf natürlichem Weg gezeugtes gemeinsames Kind an schwersten körperlichen oder geistigen Behinderungen leidet und unter Umständen nicht lebensfähig ist. Daher wurde eine PID durchgeführt. Der Großteil der hierfür notwendigen Behandlungen betraf die Steuerpflichtige, die den Abzug der Kosten als außergewöhnliche Belastungen beantragte.
Das Finanzamt lehnte eine Berücksichtigung der Behandlungskosten ab. Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen gab der Klage hinsichtlich der von der Steuerpflichtigen selbst getragenen Aufwendungen hingegen statt.
Bundesfinanzhof: zwangsläufig entstandene Aufwendungen
Der BFH bestätigte nun die Vorentscheidung. Die Aufwendungen für die Behandlung der Steuerpflichtigen sind zwangsläufig entstanden, weil die ärztlichen Maßnahmen in ihrer Gesamtheit dem Zweck dienten, eine durch Krankheit beeinträchtigte körperliche Funktion ihres Partners auszugleichen. Wegen der biologischen Zusammenhänge konnte (anders als bei anderen Erkrankungen) durch eine medizinische Behandlung allein des erkrankten Partners keine Linderung der Krankheit eintreten. Daher steht der Umstand, dass die Steuerpflichtige selbst gesund ist, der Berücksichtigung der Aufwendungen nicht entgegen.
Auch auf den Familienstatus kam es nicht an
Unschädlich war auch, dass die Steuerpflichtige und ihr Partner nicht verheiratet waren – und schließlich war auch das Erfordernis der Übereinstimmung der vorgenommenen Behandlungsschritte mit gesetzlichen Vorschriften (insbesondere dem Embryonenschutzgesetz) erfüllt.
Beachten Sie | Außergewöhnliche Belastungen wirken sich nur steuermindernd aus, wenn sie die im Einkommensteuergesetz (hier: § 33 Abs. 3 EStG) festgelegte zumutbare Belastung übersteigen. Die Höhe der zumutbaren Belastung hängt dabei u. a. vom Gesamtbetrag der Einkünfte ab.
Quelle | BFH, Urteil vom 29.2.2024, VI R 2/22, PM 23/24 vom 10.5.2024
| Das Ordnungsamt darf einen privaten Pkw, der auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellt worden ist, unabhängig davon abschleppen lassen, ob ein Carsharing-Fahrzeug an der Nutzung dieses Parkplatzes konkret gehindert worden ist. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf entschieden und die Klage der Fahrzeugführerin gegen einen Leistungs- und Gebührenbescheid abgewiesen. |
Die Klägerin hatte ihren Pkw auf einer Fläche abgestellt, die durch Verkehrsschilder als Parkplatz für Carsharing-Fahrzeuge gekennzeichnet war. Ein Mitarbeiter der städtischen Verkehrsüberwachung stellte den Verstoß fest und beauftragte einen Abschleppwagen. Kurz vor dessen Eintreffen erschien die Klägerin und entfernte ihr Fahrzeug von dem Parkplatz. Die Stadt machte ihr gegenüber mit Leistungs- und Gebührenbescheid die Kosten der Leerfahrt des Abschleppwagens geltend und setzte eine Verwaltungsgebühr fest. Zur Begründung ihrer Klage gegen diesen Bescheid trug die Klägerin vor, sie habe nur elf Minuten auf dem Carsharing-Platz geparkt und zu dieser Zeit seien noch weitere Parkplätze frei gewesen, sodass ein Abschleppen nicht notwendig gewesen sei.
Das VG: Die Beauftragung des Abschleppwagens war rechtmäßig. Ein Fahrzeug, das auf einem nach der Beschilderung ausschließlich Carsharing-Fahrzeugen vorbehaltenen Parkplatz steht, aber nicht am Carsharing teilnimmt, wird so betrachtet, als wenn es in einem absoluten Halteverbot stünde. Die Abschleppmaßnahme war verhältnismäßig, weil die Funktion der Parkplätze für Carsharing-Fahrzeuge nur gewährleistet ist, wenn sie jederzeit von nicht parkberechtigten Fahrzeugen freigehalten werden. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob die Klägerin durch das verbotswidrige Abstellen konkret ein bevorrechtigtes Carsharing-Fahrzeug am Parken gehindert hat. Das Abschleppen ist auch unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, dass von einem zu Unrecht auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellten Fahrzeug eine negative Vorbildwirkung für andere Kraftfahrer ausgeht.
Quelle | VG Düsseldorf, Urteil vom 20.2.2024, 14 K 491/23, PM vom 28.2.2024
| Die Abschleppunternehmer rechnen üblicherweise nach Einsatzstunden ab, wobei im Stundensatz die Kosten für das Fahrzeug und den Fahrer enthalten sind. Die Preis- und Strukturbefragung des Verbands Bergen und Abschleppen (VBA) differenziert dabei im unteren Segment nach Abschleppfahrzeugen unter und über zwölf Tonnen zulässigem Gesamtgewicht (zGG). Das Amtsgericht (AG) Pforzheim musste einen Fall entscheiden, bei dem der Abschleppunternehmer mit einem 13-Tonner vorgefahren kam. |
Der Versicherer trug vor, bei dem konkreten Gewicht des zu transportierenden Fahrzeugs hätte auch ein 11-Tonner genügt. Auf dieser Grundlage hatte er die Abschleppkosten nur reduziert erstattet.
Das Gericht entschied: Es möge sein, dass ein 11-Tonner genügt hätte. Doch sei dies im Vorhinein nicht abschätzbar.
Quelle | AG Pforzheim, Urteil vom 11.1.2024, 9 C 1207/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat sich in seiner Entscheidung mit der Frage befasst, ob der Klägerin ein Anspruch auf Sterbegeld und Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusteht, nachdem ihr Ehemann einen tödlichen Motorradunfall erlitten hatte. |
Ehemann der Klägerin bei Verkehrsunfall tödlich verletzt
Der Ehemann der Klägerin war Inhaber eines Autohauses in Berlin und als Unternehmer freiwillig bei der beklagten Berufsgenossenschaft versichert. Die Klägerin war in dem Autohaus angestellt tätig. Die gemeinsame Wohnung der Eheleute lag etwa 14 km vom Autohaus entfernt. Am 19.8.2013 reisten beide gemeinsam auf ihrem Motorrad aus einem mehrtägigen Urlaub in Thüringen die rund 400 km lange Strecke zurück nach Berlin, der Ehemann lenkte das Motorrad. Da die Tochter des Ehepaares während des Urlaubs die Geschäfte des Autohauses weitergeführt hatte und wegen eines Zahnarzttermins um 14:00 Uhr auf ihrer Arbeit abgelöst werden sollte, wollten sich die Eheleute aus Thüringen kommend direkt zum Autohaus begeben. Dort sollten von beiden die weiteren Geschäfte aufgenommen werden, ohne zuvor in die Familienwohnung zu fahren. Bereits auf dem Berliner Stadtgebiet, noch bevor sich die Wege zum Autohaus und zur Familienwohnung gabelten, kam es gegen 13:25 Uhr zu einem Verkehrsunfall, bei dem sich die Klägerin erheblich verletzte und ihr Ehemann verstarb.
Berufsgenossenschaft lehnte Sterbegeld ab
Die Berufsgenossenschaft lehnte es ab, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen (Sterbegeld und Witwenrente) zu erbringen. Ihr Ehemann habe sich bei dem Unfall nicht auf einem versicherten Arbeitsweg befunden, sondern lediglich auf einem privat veranlassten Rückweg von einer Urlaubsreise. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin und die Berufung vor dem LSG blieben zunächst ohne Erfolg. Auf die vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassene und von der Klägerin eingelegte Revision hin hat das Bundessozialgericht (BSG) das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache dorthin zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts sowie zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Landessozialgericht spricht Hinterbliebenenleistungen zu
Das LSG hat jetzt entschieden: Der Ehefrau stehen Hinterbliebenenleistungen zu. Der tödliche Motorradunfall stelle für den Ehemann als freiwillig versicherten Unternehmer einen Arbeitsunfall dar.
Zum einen sei der Ehemann versichert gewesen, weil er sich selbst zum Zeitpunkt des Unfalls auf dem direkten Weg zum Autohaus begeben wollte, um dort seiner Arbeit nachzugehen. Zum anderen habe Versicherungsschutz auch deshalb bestanden, weil die objektiven Begleitumstände und die Angaben der Ehefrau darauf schließen ließen, dass der verunglückte Ehemann seine Frau direkt zum Autohaus gefahren habe, damit diese dort die gemeinsame Tochter bei der Arbeit habe ablösen können. Damit liege ein versicherter, sogenannter „Betriebsweg“ vor, der nicht auf das Betriebsgelände beschränkt sei, aber dennoch im unmittelbaren betrieblichen Interesse liege.
Dem Versicherungsschutz stehe nicht entgegen, dass der Weg aus dem Urlaub (von einem „dritten Ort“ aus) angetreten worden sei und mithin erheblich länger gewesen sei, als es die Strecke von der Wohnung zur Arbeit gewesen wäre. Entscheidend sei, dass der zurückgelegte Weg die direkte Strecke zum Autohaus gewesen sei bzw. dass der subjektive Wille in erster Linie auf die Wiederaufnahme der Arbeit gerichtet gewesen sei. Dies hat das LSG anhand der vorliegenden Indizien des Falls bejaht. Insbesondere seien auch der Unfallzeitpunkt (13:25 Uhr) und der Zeitpunkt, zu dem die Tochter im Autohaus abgelöst werden sollte (14:00 Uhr), zeitlich stimmig.
Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.1.2024, L 21 U 202/21, PM vom 1.2.2024
| Mit den Besonderheiten bei der Versicherung historischer Fahrzeuge hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Es entschied: Steigt der Wert eines Oldtimers nach Abschluss der Versicherung an, ist der Betrag der Wertsteigerung womöglich vom Versicherungsschutz ganz oder teilweise nicht erfasst. Der Eigentümer des Fahrzeugs muss selbst darauf achten, den versicherten Wert regelmäßig dem etwa gestiegenen Marktwert anzupassen. Eine auf vollständigen Ersatz gerichtete Klage gegen die Kfz-Versicherung hat das Gericht im zugrundeliegenden Fall wegen Unterdeckung abgewiesen. |
Das war geschehen
Ein Oldtimerfan hatte sein historisches Fahrzeug gegen Beschädigung oder Zerstörung zum jeweils aktuellen Marktwert versichert. Später kam es dazu, dass das Fahrzeug bei einem Brand in einer Tiefgarage erheblich beschädigt worden war.
Die Kfz-Versicherung kam nach eingeholtem Gutachten zu einem Wert des Fahrzeugs am Schadenstag in Höhe von knapp 41.000 Euro und zahlte dem Eigentümer den entsprechenden Geldbetrag aus. Dieser war jedoch davon überzeugt, dass sein Oldtimer deutlich mehr wert gewesen sei und ließ deshalb ein weiteres Gutachten einholen. Dieses kam tatsächlich zu dem Ergebnis, dass das historische Fahrzeug im Wert deutlich gestiegen und fast 8.000 Euro mehr wert war, als von der Versicherung angenommen. Der Mann verlangte nun die Differenz.
Sonderbedingungen des Versicherungsvertrags entscheidend
Das LG verwies, wie auch zuvor bereits die Versicherung, den Oldtimerfan auf die im Versicherungsvertrag enthaltenen Sonderbedingungen für historische Fahrzeuge. Danach werde grundsätzlich ein Schaden bis zur Höhe des aktuellen Marktwerts ersetzt. Die Höchstentschädigung sei aber durch den Marktwert begrenzt, der bei Versicherungsabschluss vereinbart wurde.
Im Fall von Wertsteigerungen könne maximal zehn Prozent mehr als der damals vereinbarte Marktwert verlangt werden. Der habe im konkreten Fall rund 36.000 Euro betragen. Dem Oldtimerbesitzer stehe deshalb keine höhere Entschädigung zu, als von der Versicherung bereits ausgezahlt.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 17.1.2024, 3 O230/23, PM vom 28.2.2024
| Das Amtsgericht (AG) Frankfurt hatte nach der Wegnahme eines Fan-Schals keinen Diebstahl, sondern lediglich eine Nötigung angenommen. Ob ein Diebstahl vorliege, hänge davon ab, ob der Täter den Schal seinem Vermögen einverleiben wolle. |
Wegnahme nach Fußballspiel
Der angeschuldigte Eintracht-Fan soll bei einem Fußballspiel der Frankfurter Eintracht gegen den FC Schalke 04 im Deutsche Bank-Park einem Fan der gegnerischen Mannschaft einen Fan-Schal abgenommen haben. Beim Verlassen des Stadions habe er dem Schalke-Anhänger den Fan-Schal im Vorbeilaufen vom Hals gezogen. Als der Schalke-Fan ihn zur Rückgabe aufforderte, habe er ihn mit beiden Händen weggeschoben.
Staatsanwaltschaft bejahte Diebstahl
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main wertete dies als Diebstahl. Da der Angeschuldigte zudem den Schalke-Fan mit Gewalt weggedrückt habe, um den erbeuteten Schal behalten zu können, erhob sie Anklage wegen räuberischen Diebstahls - einem Verbrechenstatbestand mit einer Mindeststrafe von einem Jahr.
Amtsgericht differenzierte
Das AG sah in der Handlung des Angeschuldigten jedoch keinen Diebstahl. Es fehle an der hierfür notwendigen „Zueignungsabsicht“. Diese liege nur vor, wenn der Täter sich die Sache aneignen, sie also seinem Vermögen zuführen wolle. Nehme der Täter den Schal aber lediglich an sich, um jemanden zu ärgern, fehle es an einer Zueignungsabsicht. Es handele sich dann lediglich um eine straflose „Gebrauchsanmaßung“ und – sofern der Schal anschließend beschädigt würde – um eine Sachbeschädigung.
Da das Gericht keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür sah, dass der Angeschuldigte den Schal behalten wollte, eröffnete es das Hauptverfahren nicht wegen räuberischen Diebstahls, sondern lediglich wegen Nötigung. Diese habe der Angeschuldigte durch das Wegdrücken des Schalke-Fans begangen.
Quelle | AG Frankfurt am Main, Beschluss vom 23.10.2023, 917 Ls 6443 Js 217242/23, PM vom 8.3.2024
| Bei der Zerstörung eines älteren Baumes ist in der Regel keine sog. Naturalrestitution zu leisten, also nicht der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Der Anspruch geht vielmehr auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines jungen Baumes und darüber hinaus einen Ausgleich für eine etwa verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Das Oberlandgericht (OLG) Frankfurt am Main hat ein den eingeklagten Schadenersatzanspruch größtenteils zurückweisendes Urteil des Landgerichts (LG) aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das LG zurückverwiesen. |
Rückschnitt ja, aber nicht so gravierend
Die Parteien sind Nachbarn. Die Klägerin ist Eigentümerin eines großen Grundstücks im Vordertaunus mit rund 70-jährigem Baumbestand. Der Baum- und Strauchbestand wird jährlich mehrfach durch ein Fachunternehmen beschnitten. An den hinteren Gartenbereich grenzt u. a. das Grundstück des Beklagten. Im Abstand von 1,60 m hierzu steht auf dem klägerischen Grundstück eine Birke, im Abstand von 3,35 m ein Kirschbaum. Beide Bäume waren zum Zeitpunkt des Erwerbs des Beklagten schon lange vorhanden. Die Klägerin war einverstanden, dass der Beklagte die auf sein Grundstück herüberhängenden Äste der Gehölze zurückschneidet.
Ende Mai 2020 betrat der Beklagte das klägerische Grundstück in ihrer Abwesenheit und führte gravierende Schnittarbeiten unter anderem an den beiden Bäumen durch. An der Birke verblieb kein einziges Blatt. Der kurz vor der Ernte befindliche Kirschbaum wurde vollständig eingekürzt. Ob sich die Bäume wieder komplett erholen oder die derzeitigen Triebe allein sog. Nottriebe sind, die an dem Absterben nichts ändern, ist zwischen den Parteien streitig.
Landgericht sprach Schadenersatz von 4.000 Euro zu
Das LG hat der auf Zahlung von Schadenersatz von knapp 35.000 Euro gerichteten Klage in Höhe von gut 4.000 Euro stattgegeben. Es führte aus, dass die Wertminderung der Bäume sowie die Kosten für die Entsorgung des Schnittguts zu ersetzen seien.
Oberlandesgericht: Sachverhalt muss aufgeklärt werden
Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LG. Der Sachverhalt sei zur Bemessung des Schadenersatzes weiter aufzuklären, begründete das OLG die Entscheidung.
Bei der Zerstörung eines Baumes sei in der Regel nicht Schadenersatz in Form von Naturalrestitution zu leisten, da die Ersatzbeschaffung in Form der Verpflanzung eines ausgewachsenen Baumes regelmäßig mit besonders hohen und damit unverhältnismäßigen Kosten verbunden sei. Der Schadenersatz richte sich vielmehr üblicherweise auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines neuen jungen Baumes sowie einen Ausgleichsanspruch für die verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Diese Werteinbuße sei zu schätzen. Nach einer möglichen Bewertungsmethode könnten dafür die für die Herstellung des geschädigten Gehölzes bis zu seiner Funktionserfüllung erforderlichen Anschaffungs-, Pflanzungs- und Pflegekosten sowie das Anwachsrisiko berechnet und anschließend kapitalisiert werden. Dieser Wert sei um eine Alterswertminderung, Vorschäden und sonstige wertbeeinflussende Umstände zu bereinigen.
Ausnahmsweise seien die vollen Wiederbeschaffungskosten zuzuerkennen, „wenn Art, Standort und Funktion des Baumes für einen wirtschaftlich vernünftig denkenden Menschen den Ersatz durch einen gleichartigen Baum wenigstens nahelegen würden“, erläutert das OLG weiter. Aufzuklären sei deshalb bei der Bewertung des Schadenersatzes die Funktion der Bäume für das konkrete Grundstück. Zu berücksichtigen sei dabei auch der klägerische Vortrag, wonach es ihr bei der sehr aufwändigen, gleichzeitig naturnahen Gartengestaltung auch darauf angekommen sei, Lebensraum für Vögel und sonstige Tiere zu schaffen und einen Beitrag zur Umwandlung von Kohlenstoffdioxid in Sauerstoff zu leisten.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 6.2.2024, 9 U 35/23, PM 12/24
Impfpflicht: Vorlage eines Masernimmunitätsnachweises für schulpflichtige Kinder
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat in mehreren Eilverfahren die Beschwerden von Eltern schulpflichtiger Kinder gegen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin zurückgewiesen, wonach Gesundheitsämter für den Schulbesuch den Nachweis einer Impfung oder Immunität gegen Masern fordern dürfen, sofern keine Kontraindikation besteht. Für den Fall, dass der Nachweis nicht vorgelegt wird, kann auch ein Zwangsgeld angedroht werden. |
Infektionsschutzgesetz verfassungskonform
Zur Begründung hat das OVG u. a. ausgeführt: Die Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes zur Nachweispflicht seien angesichts der hochansteckenden Viruskrankheit mit möglicherweise schwerwiegenden Komplikationen nicht offenkundig verfassungswidrig. Zwar greife die Nachweispflicht in das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes ein. Die Regelung sei aber verhältnismäßig, weil sie – wie das Bundesverfassungsgericht bereits zur Nachweispflicht bei noch nicht schulpflichtigen Kindern entschieden habe – einen legitimen Zweck verfolge und nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehe.
Impfpflicht besteht
Der Gesetzgeber des Masernschutzgesetzes sei von einer grundsätzlich bestehenden „Impfpflicht“ bzw. „verpflichtenden Impfung“ ausgegangen. Er habe lediglich von deren Durchsetzung im Wege des unmittelbaren Zwangs abgesehen. Andere Zwangsmittel, wie Zwangsgeld und Geldbuße, seien hingegen vorgesehen, um eine tatsächliche Erhöhung der Impfquote in Schulen und sonstigen Gemeinschaftseinrichtungen – und damit letztlich in der gesamten Bevölkerung – zu erreichen.
Die Beschlüsse sind unanfechtbar.
Quelle | OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 28.2.2024, OVG 1 S 80/23 u. a., PM 9/24
| Nach Modernisierungsarbeiten vor Mietbeginn kann der Vermieter eine Miete vereinbaren, die die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 10 % übersteigt. Bestreitet der Mieter die Maßnahmen, ist das unbeachtlich, wenn der Vermieter eine substanziierte Berechnung vorgelegt und Einsicht in sämtliche Unterlagen angeboten hat. Das hat jetzt das Amtsgericht (AG) Berlin-Charlottenburg entschieden. |
Mieter verlangte Rückerstattung überhöhter Miete
Die Miete für eine Wohnung in einem durch Verordnung bestimmten Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt lag bei 1.700 Euro. Unter Berücksichtigung eines zehnprozentigen Zuschlags gemäß Mietspiegel war von einer ortsüblichen Vergleichsmiete von maximal 867,71 Euro auszugehen. Der Mieter forderte die Rückerstattung der überhöht verlangten Miete. Im Prozess nahm der Vermieter detailliert zu den von ihm durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen Stellung und legte dar, in welchem Umfang Abzüge für Instandsetzungsmaßnahmen vorgenommen wurden, insbesondere, dass anrechenbare Modernisierungskosten in Höhe von 441,33 Euro pro Monat entstanden seien.
Klage hatte teilweise Erfolg
Das AG gab der Klage teilweise statt. Bei den Baumaßnahmen des Vermieters handele es sich zwar nicht um eine umfassende Modernisierung im Sinne des § 556 f BGB, sodass der Vermieter die Wohnung nicht preisfrei vermieten durfte. Bei einer umfassenden Modernisierung sei zum einen auf den Investitionsaufwand und zum anderen auf das Ergebnis der Maßnahme, also die qualitativen Auswirkungen auf die Gesamtwohnung, abzustellen. Die aufgewandten Kosten einer reinen Erhaltungsmaßnahme zählten insgesamt nicht zu den Modernisierungskosten. Allein die Höhe des Bauaufwands reiche nicht aus; entscheidend sei das Resultat, also der geschaffene Zustand. Der Begriff „umfassend“ bezeichne nämlich nicht nur ein quantitatives (Kosten-)Element, sondern gleichberechtigt ein qualitatives Kriterium. Zu berücksichtigen seien die qualitativen Auswirkungen der Maßnahmen auf die Gesamtwohnung. Eine solche Auslegung werde dem Gesetzeszweck gerecht, Modernisierungen zu fördern. Durch diesen Aufwand müsse ein Zustand erreicht werden, der einer Neubauwohnung in etwa – nicht notwendig vollständig – entspreche.
Im Fall des AG fehlten Darlegungen des Vermieters, dass durch die Maßnahmen ein Zustand erreicht wurde, der insbesondere in energetischer Hinsicht einem Neubau gleichkommt. Jedoch sei der Vermieter berechtigt, die Kosten für die Modernisierungsmaßnahmen (nach § 556 e Abs. 2 BGB) in Höhe von 441,33 Euro pro Monat anzurechnen. Insgesamt sei daher eine Nettokaltmiete für die Wohnung in Höhe von 1.309,04 Euro berechtigt.
Quelle | AG Berlin-Charlottenburg, Urteil vom 9.6.2023, 209 C 29/22
| Nach dem Wohnungseigentumsgesetz (hier: § 20 Abs. 1 Abs. 2 S. 1 WEG) kann jeder Wohnungseigentümer angemessene bauliche Veränderungen verlangen, die u. a. dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen (sog. privilegierte bauliche Veränderungen). Verlangt ein Wohnungseigentümer eine solche bauliche Veränderung, entscheidet die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer über das „Wie“ der Maßnahme nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung. Der einzelne Wohnungseigentümer hat grundsätzlich keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung. So entschied es das Landgericht (LG) Stuttgart. |
Eigentümer errichtete zunächst Ladesäule
Ein Wohnungseigentümer hatte ein Sondernutzungsrecht an einem Stellplatz im Freien. Seit Jahren versuchte er vergeblich zu erreichen, dass eine Ladesäule für Elektrofahrzeuge an seinem Stellplatz errichtet wird. Schließlich montierte er im Sommer 2019 ohne Gestattung neben seinem Außenstellplatz eine Ladesäule auf einem Betonfundament. Für die Errichtung als „öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur“ erhielt er eine Förderung aus Bundesmitteln. Die Eigentümergemeinschaft verklagte ihn erfolgreich auf Entfernen der Ladestation und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Im Rahmen der Vollstreckung wurde die Ladesäule demontiert.
Dann verlangte er bestimmte bauliche Veränderungen
Der Eigentümer verlangte daraufhin „bauliche Veränderungen, die dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen gemäß (von ihm) vorgelegtem Ladeinfrastrukturkonzept“. Dieser Antrag wurde in der Eigentümerversammlung 2020 nicht beraten und zur Abstimmung gestellt, sondern beschlossen, ein Gesamtkonzept zum Betreiben von Ladepunkten für E-Mobilität erstellen zu lassen. Die Eigentümerversammlung 2021 lehnte das inzwischen vorliegende Gesamtkonzept ab und ebenso die von dem Eigentümer erneut beantragte Genehmigung baulicher Veränderungen gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept, das alternativ eine öffentliche oder nichtöffentliche Nutzung vorsah. Zugleich wurde anderen Wohnungseigentümern auf deren Antrag gestattet, eine Wallbox an insgesamt vier Stellplätzen anzubringen.
Darauf erhob der Eigentümer Beschlussersetzungsklage, gerichtet auf die Gestattung, auf dem Gemeinschaftseigentum neben seinem Stellplatz die zuvor entfernte Ladestation gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept errichten zu dürfen, hilfsweise, ihm die Anbringung einer Wallbox zu gestatten. Damit hatte der Eigentümer in beiden Instanzen keinen Erfolg.
Landgericht: kein Anspruch auf bestimmte Ausführung einer Maßnahme
Der Eigentümer könne die Gestattung der Errichtung einer Ladestation nach dem von ihm entwickelten Ladeinfrastrukturkonzept nicht verlangen. Die Beschlussersetzungsklage diene der gerichtlichen Durchsetzung des Anspruchs des Wohnungseigentümers auf ordnungsmäßige Verwaltung. Die Klage sei daher begründet, wenn der klagende Wohnungseigentümer einen Anspruch auf den seinem Rechtsschutzziel entsprechenden Beschluss habe, weil nur eine Beschlussfassung ordnungsmäßiger Verwaltung entspreche.
Zwar könne jeder Wohnungseigentümer einen Beschluss über das „Ob“ solcher baulichen Veränderungen verlangen, so das LG; dies beinhalte aber keinen Anspruch auf eine bestimmte Art und Weise der Durchführung. Darüber entscheiden die Wohnungseigentümer im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung nach eigenem Ermessen. Der einzelne Wohnungseigentümer habe mithin keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung, solange das Ermessen der Gemeinschaft nicht aufgrund der Einzelfallumstände auf null reduziert sei.
Quelle | LG Stuttgart, Urteil vom 5.7.2023, 10 S 39/21
| Das Finanzministerium Baden-Württemberg stellt einen Ratgeber „Steuertipps für Familien“ zur Verfügung. Der 100 Seiten umfassende Ratgeber gibt neben Informationen rund um das Kindergeld u. a. einen Überblick über die Steuervergünstigungen für Familien und Alleinerziehende.
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden, wann ein Widerspruch vorliegt, durch den ein älteres Testament – ganz oder teilweise – aufgehoben wird. |
Vier handschriftliche Testamente
Die Erblasserin verstarb ledig und kinderlos. Sie hatte zwei Geschwister: eine Schwester und einen Bruder, die beide vorverstorben sind. Insgesamt hinterließ die Erblasserin vier handschriftlich verfasste Testamente.
Im ersten Testament vom 3.4.2007 setzte sie ihre Schwester als Alleinerbin und ihren Bruder als Ersatzerben ein. Dieses Testament änderte sie am 26.4.2009 durch Durchstreichen derart, dass die Ersatzerbenstellung des Bruders aufgehoben wurde mit der Bemerkung, dass er gestorben sei. Im Testament vom 26.4.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Später ergänzte sie den Text mit folgendem unvollständigen Wortlaut: „Für den Fall, dass meine Schwester das Erbe nicht antreten kann, setze ich meine Großnichte als“. Im Testament vom 18.10.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Weiter heißt es in dem Testament: „Für den Fall, dass meine Schwester verstorben ist, setze ich zur Nacherbin meine Großnichte ein.“ Schließlich testierte sie am 27.4.2016 erneut und setzte wiederum ihre Schwester als Alleinerbin ein. In diesem Testament wurde weder eine Ersatzerbschaft noch eine Nacherbschaft angeordnet und die Großnichte wurde nicht mehr erwähnt.
Die Großnichte beantragte einen Alleinerbschein. Dem traten die Kinder des vorverstorbenen Bruder entgegen. Das Nachlassgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, die Erblasserin habe mit ihrer letzten Verfügung von Todes wegen die vorangegangenen Testamente aufgehoben. Der gegen diesen Beschluss durch die Großnichte eingelegten Beschwerde hat das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Akten dem OLG Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat die Beschwerde zurückgewiesen.
So sah es das Oberlandesgericht
Die Großnichte könnte ihre Alleinerbenstellung allein aus dem Testament vom 18.10.2009 herleiten. Diese Stellung sei indes von der Erblasserin vollständig aufgehoben worden, als sie am 27.4.2016 ein neues Testament errichtet habe, in dem die Großnichte nicht mehr als Ersatzerbin berufen sei, so das OLG.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 2258 Abs. 1 BGB) werde durch die Errichtung eines Testaments ein früheres Testament insoweit aufgehoben, als dass das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch stehe. Ein derartiger Widerspruch liege zum einen vor, wenn die Testamente sachlich miteinander nicht vereinbar seien, die getroffenen Anordnungen also nicht nebeneinander Geltung erlangen könnten, sondern sich gegenseitig ausschließen. Ein Widerspruch sei zum anderen (auch) gegeben, wenn die einzelnen Anordnungen einander zwar nicht entgegengesetzt seien, aber die kumulative Geltung der mehreren Verfügungen den in einem späteren Testament zum Ausdruck kommenden Absichten des Erblassers zuwiderliefe. Das sei der Fall, wenn der Erblasser mit dem späteren Testament seine Erbfolge insgesamt, nämlich abschließend und umfassend (ausschließlich) habe neu regeln wollen. So liege der Fall hier.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.12.2023, I-3 Wx 189/23
| Zwei Investoren sind zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von insgesamt 300.000 Euro nebst Zinsen an einen Planungsverband verpflichtet worden, weil sie die Erteilung einer Baugenehmigung zur Realisierung eines Hotelbauvorhabens nicht rechtzeitig beantragt haben. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz. |
Frist für Bebauungsplan vereinbart
Im Dezember 2016 schloss der Planungsverband mit den Investoren einen städtebaulichen Vertrag. In diesem verpflichteten sich die Investoren, binnen 36 Monaten ab Inkrafttreten eines vom Planungsverband aufzustellenden Bebauungsplans einen vollständigen Bauantrag zur Errichtung eines Hotelbaus zu stellen. Unterbleibt eine rechtzeitige Bauantragstellung, ist eine Vertragsstrafe in Höhe von 15.000 Euro monatlich, höchstens in Höhe von 300.000 Euro, vorgesehen.
Frist überschritten: Vertragsstrafe
Weil die Investoren ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen waren, verlangte der Planungsverband zunächst außergerichtlich und dann mit seiner Klage, die vereinbarte Vertragsstrafe zu zahlen. Die Investoren beriefen sich dagegen auf Formfehler beim Zustandekommen des Vertrags und machten geltend, die Stellung eines vollständigen Bauantrags sei ihnen unmöglich gewesen, weil der Planungsverband Gestaltungsvorgaben nicht hinreichend konkret vorgegeben habe. Ferner stünde ein Lärmschutzkonflikt mit den Betreibern der auf dem Plateau vorhandenen Freilichtbühne einer Umsetzung des Hotelkonzepts entgegen.
Anforderungen eingehalten
Die Klage hatte Erfolg. Der Verband habe einen Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe, so das VG. Der Vertrag sei frei von Verfahrens- und Formfehlern zustande gekommen und entspreche den an einen städtebaulichen Vertrag zu stellenden gesetzlichen Anforderungen.
Rechtzeitigkeit wäre möglich gewesen
Den Investoren sei es zudem möglich gewesen, rechtzeitig vollständige Bauantragsunterlagen einzureichen. Insbesondere habe der Lärmschutzkonflikt zwischen dem geplanten Hotelvorhaben und der Freilichtbühne die Vorlage vollständiger Bauantragsunterlagen nicht unmöglich gemacht. Eine Lösung des Konflikts wäre vielmehr im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens herbeizuführen gewesen.
Gegen die Entscheidung wurde Rechtsmittel zum Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz erhoben.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 6.12.2023, 4 K 388/23.KO, PM 1/24
| Die Errichtung von Kleinwindenergieanlagen ist ein im Außenbereich baurechtlich privilegiertes Vorhaben der Nutzung der Windenergie, auch wenn es nicht mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms der öffentlichen Energieversorgung, sondern der Deckung des privaten Verbrauchs dient. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |
Landkreis lehnte Erlass eines Bauvorbescheids ab
Die Kläger beantragten, ihnen einen Bauvorbescheid zur Errichtung von vier Kleinwindenergieanlagen (Gesamthöhe 6,5 m) auf ihrem Grundstück im Außenbereich zu erteilen. Der Landkreis lehnte dies mit der Begründung ab, die Anlagen seien nicht als im Außenbereich privilegierte Vorhaben der Nutzung der Windenergie zu behandeln, da die Privilegierung auf solche Windenergieanlagen zu beschränken sei, die der öffentlichen Versorgung dienten. Zudem stünden öffentliche Belange dem Vorhaben entgegen. Hiergegen erhoben die Kläger Klage. Das Verwaltungsgericht (VG) verpflichtete den beklagten Landkreis, den beantragten Bauvorbescheid zu erteilen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Landkreises wies das OVG zurück.
Privilegiertes Bauvorhaben auch bei Privatnutzung der erzeugten Energie
Das VG habe den Beklagten zu Recht zur Erteilung des beantragten Bauvorbescheids verpflichtet. Bei der Errichtung und dem Betrieb der vier Kleinwindenergieanlagen handele es sich um ein der Nutzung der Windenergie dienendes privilegiertes Vorhaben im Sinne des Baugesetzbuchs (hier: § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB), das im Außenbereich zugelassen werden könne.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ließen sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal herleiten, wonach das Vorhaben nicht nur der Nutzung der Windenergie, sondern – mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms – auch der öffentlichen Energieversorgung dienen müsse. Gegen ein solches ungeschriebenes Erfordernis sprächen auch Sinn und Zweck der Norm. Diese diene letztlich einer umwelt- und ressourcenschonenden Energieversorgung mittels einer verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien, wozu Windenergieanlagen auch dann beitrügen, wenn sie allein zur Deckung eines privaten Verbrauchs errichtet würden. Die überragende Bedeutung dieses Ziels habe der Gesetzgeber mehrfach in seiner weiteren Normsetzung herausgestellt.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus einem Urteil des OVG aus dem Jahr 2018, an dem der dort erkennende Senat in Bezug auf den geforderten öffentlichen Versorgungszweck in einer neueren Entscheidung aus dem Jahr 2023 ersichtlich nicht mehr festhalte.
Keine Gefahr von Wildwuchs
Nicht nachvollziehbar sei die vom Beklagten ferner geltend gemachte Befürchtung, dass bei einer Privilegierung von allein der privaten Versorgung dienenden Kleinwindenergieanlagen ein Wildwuchs derartiger Vorhaben zulasten der Landschaft drohe. Denn die Errichtung einer Kleinwindenergieanlage im Außenbereich komme unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nur in Betracht, wenn der erzeugte Strom entweder durch einen dort in der Nähe der Anlage vorhandenen Verbraucher abgenommen oder ins Stromnetz eingespeist werde. Dies sei jedoch regelmäßig nicht der Fall, da ein Endabnehmer vor Ort im Außenbereich nur in Ausnahmefällen vorhanden sei und der Bau einer Leitung allein zum Zweck der Einspeisung des mit der Kleinanlage erzeugten Stroms in ein öffentliches Netz unter Rentabilitätsaspekten ausscheide. Dem privilegierten Vorhaben stünden auch keine öffentlichen Belange entgegen.
Quelle | OVG Koblenz, Urteil vom 4.4.2024, 1 A 10247/23. OVG, PM 6/24
| Das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz hat die Entlassung eines Polizeikommissars aus dem Beamtenverhältnis auf Probe für rechtmäßig erklärt. |
Das war geschehen
Der Kläger war im Jahr 2021 nach bestandener Laufbahnprüfung in das Probebeamtenverhältnis berufen und als Einsatzsachbearbeiter in einer Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei eingesetzt worden. Bereits zuvor, noch während seines Vorbereitungsdienstes, hatte er über mehrere Monate hinweg wiederholt Bilddateien (sog. Sticker) in verschiedene WhatsApp-Chatgruppen mit diskriminierenden, antisemitischen, rassistischen, menschenverachtenden sowie frauen- und behindertenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Inhalten hochgeladen. Als sein Dienstherr, der Beklagte, hiervon erfuhr, leitete er zunächst ein Disziplinarverfahren und dann ein Entlassungsverfahren ein und entließ den Kläger wegen erheblicher Zweifel an dessen charakterlicher Eignung für den Polizeidienst mit Ablauf des Jahres 2022 aus dem Probebeamtenverhältnis.
Hiergegen erhob der Kläger zunächst Widerspruch und in der Folge Klage. Zur Begründung gab er an, aus dem Kontext der Verwendung der Sticker werde hinreichend deutlich, dass es sich nur um „schwarzen Humor“ handele; der Inhalt der Sticker entspreche in keiner Weise seiner inneren Haltung.
Kläger kein „unbescholtenes Blatt“
Die Klage hatte keinen Erfolg. Der Beklagte sei vielmehr beurteilungsfehlerfrei von der charakterlichen Nichteignung des Klägers für den Polizeidienst ausgegangen. Damit knüpfte das VG an seine bereits im November 2023 getroffenen Beschluss an, mit dem er die vom Kläger beantragte Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussichten seiner Klage abgelehnt hatte. In dem Beschluss hatte das Gericht betont, es sei unerheblich, ob die vom Kläger verwandten „Sticker“ tatsächlich Ausdruck seiner Gesinnung seien. Der Kläger müsse diese so gegen sich gelten lassen, wie sie aus Sicht eines objektiven Betrachters zu verstehen seien. Es werde deutlich, dass der Kläger sich seiner beamtenrechtlichen Pflichten nicht einmal ansatzweise bewusst sei und dass ihm erkennbar die erforderliche charakterliche Reife und Stabilität für das Amt eines Polizeivollzugsbeamten fehle. Außerdem berücksichtigten die Richter, dass der Kläger im Februar 2024 strafrechtlich wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in vier Fällen, in drei Fällen hiervon in Tateinheit mit Volksverhetzung, schuldig gesprochen worden war.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 20.2.2024, 5 K 733/23. KO, PM 5/24
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung einer TV-Moderatorin wirksam ist, die trotz Abmahnungen eine Online-Kolumne für eine im Wettbewerb stehende Tageszeitung verfasst. |
Einschränkungen im Arbeitsvertrag
Die Klägerin war langjährig im Bereich Finanz- und Börsenberichterstattung für die Beklagte tätig, die einen Nachrichtensender mit TV- und Onlineberichterstattung betreibt. Der Arbeitsvertrag schränkt die Möglichkeit von Nebentätigkeiten ein und sieht vor, dass zuvor eine Genehmigung erfolgen muss.
Abmahnung wegen Online-Börsenkolumne
Die Klägerin hat unter anderem am 29.9.2022 eine Online-Börsenkolumne für eine Tageszeitung verfasst, wegen der sie am 4.10.2022 abgemahnt wurde. Dennoch veröffentlichte die Klägerin dort am 1.1.2023 eine weitere Kolumne, aufgrund der die Beklagte die streitgegenständliche Kündigung aussprach.
Zuvor war die Klägerin auch vor dem ArbG Köln in einem einstweiligen Verfügungsverfahren unterlegen, in dem sie ihren Arbeitgeber verpflichten wollte, die Nebentätigkeit zum Verfassen einer wöchentlichen Kolumne zu genehmigen. Hier hatte das ArbG geurteilt, dass die begehrte Nebentätigkeit eine nicht genehmigungsfähige Konkurrenztätigkeit darstelle.
Arbeitsgericht bestätigt Kündigung
Das ArG Köln hat die Kündigung bestätigt. Bei der Online-Kolumne handele es sich um eine Wettbewerbstätigkeit, da sowohl der Arbeitgeber als auch der Zeitungsverlag Unternehmen sind, die sowohl im Bereich der TV- wie auch der Onlineberichterstattung aktiv seien.
Zudem betreffe die Börsenkolumne der Klägerin den fachlichen Kernbereich ihrer Tätigkeit für die Beklagte. Gerade in diesen Themen hat die Klägerin sich in der Vergangenheit eine große Reputation aufgebaut, mit der sie bislang für die Beklagte in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten ist. Ein Arbeitnehmer, der während des bestehenden Arbeitsverhältnisses Wettbewerbstätigkeiten entfaltet, verstoße gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers. Dies könne eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar
Hier sei der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar. Das Vertrauen der Beklagten in einen störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses sei nach den bewussten, fortgesetzten und groben Pflichtverletzungen der Klägerin gänzlich aufgebraucht.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 11.10.2023, 9 Ca 5402/22, PM 11/23
| Ein Busunternehmer steht unter Unfallversicherungsschutz, wenn er im Homeoffice beim Hochdrehen der Heizung durch eine Verpuffung im Heizkessel verletzt wird. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Im Homeoffice Heizkessel überprüft und nach Verpuffung schwer verletzt
Der Kläger war als selbstständiger Busunternehmer bei der beklagten Berufsgenossenschaft pflichtversichert. Er bewohnte ein Haus, dessen Wohnzimmer er als häuslichen Arbeitsplatz (Homeoffice) für Büroarbeiten nutzte. Am Unfalltag holte der Kläger seine Kinder von der Schule ab und arbeitete anschließend an seinem Schreibtisch im Wohnzimmer. Nachdem er festgestellt hatte, dass die Heizkörper im ganzen Haus kalt waren, begab er sich zur Überprüfung der Kesselanlage in den Heizungskeller. Beim Hochdrehen des Temperaturschalters kam es aufgrund eines Defekts der Heizungsanlage zu einer Verpuffung im Heizkessel, in deren Folge der Kläger eine schwere Augenverletzung erlitt.
Bundessozialgericht erkennt Arbeitsunfall an
Die beklagte Berufsgenossenschaft, das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) lehnten einen Arbeitsunfall ab. Das BSG hat dagegen einen Arbeitsunfall anerkannt.
Der Kläger wollte nicht nur seine Kinder, sondern auch seinen häuslichen Arbeitsplatz mit höheren Temperaturen versorgen. Die Benutzung des Temperaturreglers war deshalb unternehmensdienlich, der Heizungsdefekt kein unversichertes privates Risiko.
Quelle | BSG, Urteil vom 21.3.2024, B 2 U 14/21 R, PM 11/24
| Die Zweifelsregelung im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 271 Abs. 2 BGB) gestattet es einem Arbeitgeber nicht, eine dem Arbeitnehmer bisher zustehende jährliche Einmalzahlung wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld kraft einseitiger Entscheidung stattdessen in anteilig umgelegten monatlichen Teilbeträgen zu gewähren, um sie „pro rata temporis“ – also zeitanteilig – auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen zu können. Diese Auffassung vertritt das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg im Streit über die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs durch Sonderzahlungen. |
Das LAG hat die Revision zugelassen.
Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.1.2024, 3 Sa 4/23
| Eine durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Vermögensverschiebung von einer Kapitalgesellschaft an einen Gesellschafter setzt einen Zuwendungswillen voraus – und ein solcher kann aufgrund eines Irrtums des Gesellschafter-Geschäftsführers fehlen. Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs (BFH) ist es insoweit maßgebend, ob der konkrete Gesellschafter-Geschäftsführer einem Irrtum unterlegen ist, nicht hingegen, ob einem ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiter der Irrtum gleichfalls unterlaufen wäre. |
Hintergrund: Bei einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) handelt es sich – vereinfacht – um Vermögensvorteile, die dem Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung gewährt werden. Eine vGA darf den Gewinn der Gesellschaft nicht mindern.
Das war geschehen
Geklagt hatte eine GmbH, deren Stammkapital durch die alleinige Gesellschafter-Geschäftsführerin u. a. durch die Einbringung einer Beteiligung von 100 % an einer weiteren GmbH erbracht werden sollte. Bei der einzubringenden GmbH wurde eine Kapitalerhöhung durchgeführt, die die Gesellschafter-Geschäftsführerin begünstigte. Das Finanzamt sah hierin eine vGA der GmbH an ihre Gesellschafter-Geschäftsführerin. Dagegen argumentierte die GmbH, dass die Zuwendung an die Gesellschafter-Geschäftsführerin irrtümlich wegen eines Versehens bei der notariellen Beurkundung der Kapitalerhöhung erfolgt sei.
So entschieden die gerichtlichen Instanzen
Das Finanzgericht (FG) Schleswig-Holstein wies die Klage ab, weil einem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführer der von der GmbH dargelegte Irrtum nicht unterlaufen wäre. Der BFH hat nun aber klargestellt, dass es für die Frage, ob der für die Annahme einer vGA erforderliche Zuwendungswille vorliegt, allein auf die Person der konkreten Gesellschafter-Geschäftsführerin ankommt. Er verwies den Streitfall deshalb zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurück.
Beachten Sie | In seiner Urteilsbegründung zum Vorliegen einer vGA führt der BFH aber auch Folgendes aus: Der handelnde Gesellschafter muss nicht mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis handeln, er muss den Tatbestand der vGA nicht kennen und er muss das Geschehene auch nicht richtig würdigen. Vielmehr genügt in aller Regel ein persönlich zurechenbares Handeln.
Diese Grundsätze gelten aber nicht uneingeschränkt, da es zur Annahme einer vGA – so wie bei einer offenen Gewinnausschüttung – eines Zuwendungswillens bedarf.
Quelle | BFH, Urteil vom 22.11.2023, I R 9/20, PM 20/24 vom 11.4.2024
| Schweizer Banken können Informationen zu Konten und Depots deutscher Staatsangehöriger an die deutsche Finanzverwaltung übermitteln. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. Er sieht in der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden keine Verletzung der Grundrechte der inländischen Steuerpflichtigen. |
Geklagt hatten Steuerpflichtige, die sich durch Übermittlung der Kontostände ihrer Schweizer Bankkonten in ihren Grundrechten verletzt sahen, vor allem in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Nachdem bereits das Finanzgericht (FG) Köln diese Ansicht nicht teilte, bestätigte nun auch der BFH die Verfassungsmäßigkeit der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden. Jedenfalls ist die Übermittlung der Informationen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung gerechtfertigt.
Beachten Sie | Deutschland sowie mehrere andere Staaten haben sich zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung dazu verpflichtet, Informationen zu Bankkonten auszutauschen, u. a. werden hierfür die Kontostände ausländischer Bankkonten an die deutsche Steuerverwaltung übermittelt. Der automatische Informationsaustausch über Finanzkonten dient der Sicherung der Steuerehrlichkeit und der Verhinderung von Steuerflucht.
Quelle | BFH, Urteil vom 23.1.2024, IX R 36/21, PM 17/24 vom 28.3.2024
| Ohne Betriebssitz kann kein Gelegenheitsverkehr mit Mietwagen betrieben werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin in einem Eilverfahren entschieden. |
Behörde widerrief Erlaubnis
Der Antragsteller ist Inhaber einer vom Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) erteilten Genehmigung für den Gelegenheitsverkehr mit insgesamt zehn Mietwagen nach dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG). Nach den Feststellungen der Behörde fanden sich an der vom Antragsteller angegeben Adresse – anders als von ihm ursprünglich behauptet – weder Büroräume noch reservierte Stellplätze für die Fahrzeuge. Daraufhin widerrief die Behörde die Erlaubnis unter Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Verwaltungsgericht bestätigt Behörde
Das VG hat den hiergegen gerichteten Eilantrag zurückgewiesen. Zu Recht sei die Behörde von einer fehlenden Zuverlässigkeit des Antragstellers ausgegangen. Denn dieser habe gegen eine Kernpflicht des Mietwagenverkehrs verstoßen.
Das wesentliche Merkmal des Mietwagenverkehrs bestehe darin, dass Aufträge nicht an beliebigen Orten, sondern grundsätzlich nur am Betriebssitz entgegengenommen werden dürften; dorthin müssten die Fahrzeuge daher regelmäßig nach Beendigung eines jeden Auftrags zurückkehren. Die Begründung und Unterhaltung eines in der Genehmigung festgeschriebenen Betriebssitzes sei daher Voraussetzung für die Erfüllung der Rückkehrpflicht. Das Rückkehrgebot sei nicht Selbstzweck, sondern solle auf wirksame Weise unterbinden, dass Mietwagen nach Beendigung eines Beförderungsauftrags taxiähnlich auf öffentlichen Straßen und Plätzen bereitgestellt würden und dort Beförderungsaufträge annähmen.
Das VG ließ offen, ob ungeachtet dessen der Widerruf auch auf die fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit des Antragstellers hätte gestützt werden können. Es spreche allerdings einiges dafür, dass dies schon bei der Genehmigungserteilung der Fall gewesen sei. Ein Mietwagenunternehmer müsse über ein angemessenes Eigenkapital verfügen, was hier nicht ersichtlich sei. Der Zeitwert der Fahrzeuge selbst dürfe – anders als von der Behörde bei Genehmigungserteilung fälschlich angenommen – gerade nicht berücksichtigt werden.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 25.3.2024, VG 11 L 53/24, PM vom 2.4.2024
| Die Klausel „Die Mobile Briefmarke ist lediglich als ad-hoc-Frankierung zum sofortigen Gebrauch gedacht. Erworbene Mobile Briefmarken verlieren daher mit Ablauf einer 14-tägigen Frist nach Kaufdatum ihre Gültigkeit. Das maßgebliche Kaufdatum ist in der Auftragsbestätigung genannt. Eine Erstattung des Portos nach Ablauf der Gültigkeit ist ausgeschlossen.“ ist nach § 307 BGB unwirksam. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Köln entschieden. |
Es gab damit der Unterlassungsklage der Verbraucherzentrale statt. Es handele sich bei dem Erwerb einer Briefmarke um einen Kaufvertrag und nicht um einen Frachtvertrag.
Das bürgerliche Recht kenne für Verpflichtungen aus schuldrechtlichen Verträgen im Allgemeinen nur die im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: §§ 194 ff. BGB) geregelten Verjährungsvorschriften, nicht dagegen besondere, von der Frage der Verjährung unabhängige Ausschlussfristen. Es handele sich um eine unangemessene und erhebliche zeitliche Beschränkung des Erfüllungsanspruchs.
Das OLG hob hervor: Durch die Beschränkung der Gültigkeitauf 14 Tage wird der Erfüllungsanspruch auf etwa ein Prozent der gesetzlich vorgesehenen Verjährungsfrist verkürzt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 13.6.2023, I-3 U 148/22
| Im Rahmen einer inländischen doppelten Haushaltsführung ist der Werbungskostenabzug von Unterkunftskosten auf 1.000 Euro monatlich beschränkt. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat nun entschieden, dass unter diesen Höchstbetrag auch eine für die Wohnung am Beschäftigungsort zu entrichtende Zweitwohnungssteuer fällt. |
Hintergrund: Eine beruflich veranlasste doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer außerhalb des Ortes seiner ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Haushalt unterhält (Hauptwohnung) und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnt (Zweitwohnung). In diesen Fällen können Arbeitnehmer Unterkunftskosten bis maximal 1.000 Euro im Monat als Werbungskosten abziehen.
Das war geschehen
Eine Arbeitnehmerin hatte an ihrem Tätigkeitsort in München eine Zweitwohnung gemietet. Die hierfür in den Streitjahren entrichtete Zweitwohnungssteuer i. H. von 896 Euro bzw. 1.157 Euro machte sie neben weiteren Kosten für die Wohnung i. H. von jeweils mehr als 12.000 Euro als Aufwendungen für ihre doppelte Haushaltsführung geltend. Das Finanzamt erkannte die Kosten der Unterkunft am Ort der ersten Tätigkeitsstätte in München jeweils mit dem Höchstbetrag von 12.000 Euro an. Die Zweitwohnungssteuer bei den sonstigen Aufwendungen im Rahmen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigte es nicht.
Die hiergegen gerichtete Klage war erfolgreich. Der BFH hat die Vorentscheidung nun aber aufgehoben.
Was der Höchstbetrag umfasst – und was nicht
Der Höchstbetrag umfasst sämtliche entstehenden Aufwendungen, wie beispielsweise Miete, Betriebskosten sowie Kosten der laufenden Reinigung und Pflege der Zweitwohnung oder -unterkunft; nicht jedoch Aufwendungen für Hausrat, Einrichtungsgegenstände oder Arbeitsmittel, mit denen die Zweitwohnung ausgestattet ist. Aufwendungen für die erforderliche Einrichtung und Ausstattung der Zweitwohnung, soweit sie nicht überhöht sind, können als sonstige notwendige Mehraufwendungen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigt werden.
Die Zweitwohnungssteuer ist Aufwand für die Nutzung der Unterkunft und unterfällt daher bei den Mehraufwendungen für die doppelte Haushaltsführung der Abzugsbeschränkung.
Das Entstehen der Zweitwohnungssteuer knüpft maßgeblich an das Innehaben einer weiteren Wohnung in München neben der Hauptwohnung und so an die damit regelmäßig einhergehende Nutzung dieser Wohnung an. Die Steuer findet als örtliche Aufwandsteuer i. S. von Art. 105 Abs. 2 a des Grundgesetzes (GG) ihre Rechtfertigung darin, dass das Innehaben einer weiteren Wohnung für den persönlichen Lebensbedarf (Zweitwohnung) neben der Hauptwohnung ein Zustand ist, der gewöhnlich die Verwendung von finanziellen Mitteln (Einkommen) erfordert und damit regelmäßig die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Wohnungsinhabers zum Ausdruck bringt.
Beachten Sie | Der BFH hat damit die von der Finanzverwaltung vertretene Rechtsauffassung bestätigt. Noch nicht höchstrichterlich entschieden und derzeit beim BFH anhängig ist die Frage, wie Kosten für einen separat angemieteten Stellplatz zu behandeln sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 13.12.2023, VI R 30/21, PM 18/24 vom 4.4.2024; Stellplatz: Rev. BFH, VI R 4/23
| Zum 1.1.2020 wurde mit § 35 c Einkommensteuergesetz (EStG) eine Steuerermäßigung für energetische Maßnahmen bei zu eigenen Wohnzwecken genutzten Gebäuden eingeführt. Diese komplexe Regelung weist jedoch einige Fragen auf, die das Bundesfinanzministerium (BMF) in einem Schreiben teilweise beantwortet hat. Nun ist nach einem vorinstanzlichen Urteil des Finanzgerichts (FG) München ein Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) zum Heizungstausch anhängig, in dem es darum geht, ob die Steuerermäßigung erst ab der vollständigen Begleichung der Rechnung in Betracht kommt. |
Hintergrund: Begünstigte Aufwendungen/Maßnahmen sind u. a. die Wärmedämmung von Wänden, Dachflächen und Geschossdecken sowie die Erneuerung der Fenster, Außentüren oder der Heizungsanlage.
Je begünstigtem Objekt beträgt der Höchstbetrag der Steuerermäßigung 40.000 Euro, wobei die Ermäßigung nach der Maßgabe des § 35 c Abs. 1 EStG über drei Jahre verteilt wird.
Das war geschehen
Die Steuerpflichtigen ließen 2021 eine neue Heizungsanlage in ihrem selbstgenutzten Gebäude einbauen. Zur Begleichung der Rechnung wurde eine monatliche Ratenzahlung für die Jahre 2021 bis 2024 vereinbart. Fraglich ist nun, ob ein Abschluss der energetischen Maßnahmen bereits mit der ausgeführten Erneuerung der Heizungsanlage (hier im Jahr 2021) oder erst mit der vollständigen Begleichung des Rechnungsbetrags (voraussichtlich im Jahr 2024) vorliegt.
Voraussetzungen für die Steuerermäßigung
Das BMF hat in seinem Schreiben vom 14.1.2021 in der Rn. 43 ausgeführt, dass die Steuerermäßigung erstmalig in dem Veranlagungszeitraum zu gewähren ist, in dem die energetische Maßnahme abgeschlossen wurde. Voraussetzung ist, dass mit der Durchführung der energetischen Maßnahme nach dem 31.12.2019 begonnen wurde und diese vor dem 1.1.2030 abgeschlossen ist.
Die energetische (Einzel-)Maßnahme ist dann abgeschlossen, wenn
- die Leistung tatsächlich erbracht (vollständig durchgeführt) ist,
- der Steuerpflichtige eine Rechnung (Schlussrechnung) erhalten und
- den Rechnungsbetrag auf das Konto des Leistungserbringers eingezahlt hat.
Die Erledigung unwesentlicher Restarbeiten, die für die tatsächliche Reduzierung von Emissionen nicht hinderlich sind, ist unschädlich. Auch, soweit bei einer mehrteiligen Maßnahme für einzelne Teilleistungen Teilrechnungen erstellt und diese beglichen wurden, wird die Steuerermäßigung abweichend vom Abflussprinzip erst ab dem Veranlagungszeitraum des Abschlusses der energetischen Maßnahme gewährt, so das BMF.
Beachten Sie | Da die Revision gegen die Entscheidung anhängig ist, wird nun der BFH entscheiden. Bis dahin können geeignete Fälle mit einem Einspruch offengehalten werden.
Quelle | FG München, Urteil vom 8.12.2023, 8 K 1534/23, Rev. BFH: IX R 31/23; BMF, Schreiben vom 14.1.2021, IV C 1 - S 2296-c/20/10004 :006
| Für Geburten ab dem 1.4.2024 gilt eine neue Einkommensgrenze, ab der der Anspruch auf Elterngeld entfällt. Zudem werden die Möglichkeiten für einen parallelen Bezug von Elterngeld neu gestaltet. Antworten auf wichtige Fragen gibt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). |
Quelle | BMFSFJ, „Neuregelungen beim Elterngeld für Geburten ab 1. April 2024“ vom 28.3.2024
| Der Bezug eines Nutzungsersatzes im Rahmen der reinen Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags nach Widerruf löst keine Einkommensteuer aus. Diese für Verbraucher frohe Kunde kommt vom Bundesfinanzhof (BFH). |
Das war geschehen
Ehegatten schlossen 2008 einen Darlehensvertrag zur Finanzierung einer selbstgenutzten Wohnimmobilie ab. 2016 widerriefen sie den Darlehensvertrag unter Berufung auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung. Auf der Grundlage eines zivilgerichtlichen Vergleichs zahlte die Bank an die Eheleute Nutzungsersatz für bis zum Widerruf erbrachte Zins- undTilgungsleistungen i. H. von 14.500 Euro. Das Finanzamt erfasste den Nutzungsersatz als Einkünfte aus Kapitalvermögen – allerdings zu Unrecht, wie nun der BFH entschieden hat.
Nutzungsersatz: weder Kapitalertrag noch sonstige Einkünfte
Der Nutzungsersatz ist kein Kapitalertrag i. S. des Einkommensteuergesetzes (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG). Die Rückabwicklung eines vom Darlehensnehmer widerrufenen Vertrags vollzieht sich außerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre. Das Rückgewährschuldverhältnis ist ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln. Daher können die einzelnen Ansprüche aus dem Rückgewährschuldverhältnis auch nicht für sich betrachtet – i. S. einer unfreiwilligen Kapitalüberlassung – Teil einer steuerbaren erwerbsgerichteten Tätigkeit sein.
Beachten Sie | Es liegen auch keine sonstigen Einkünfte (§ 22 Nr. 3 EStG) vor.
Verbraucherschutzrecht inzwischen reformiert
Die Entscheidung betrifft „alte“ Verbraucherdarlehensverträge. Der mit der Reform des Verbraucherschutzrechts in das BGB eingefügte § 357 a Abs. 3 S. 1 BGB a. F. (jetzt § 357 b BGB) hat u. a. den Anspruch des Darlehensnehmers auf Nutzungsersatz für die Zukunft beseitigt. Die neue Rechtslage ist auf nach dem 12.6.2014 abgeschlossene Verbraucherdarlehensverträge anwendbar.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.11.2023, VIII R 7/21, PM 16/24 vom 21.3.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über einen Fall entschieden, in dem eine Pkw-Fahrerin an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifuhr und mit einem gerade entleerten Müllcontainer kollidierte. Der BGH hat in diesem Fall einen Verstoß der Fahrerin gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO) bejaht. |
Das war geschehen
Die Klägerin, ein Pflegedienst, macht gegen einen für die Abfallwirtschaft zuständigen kommunalen Zweckverband Schadenersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, bei dem eines ihrer Pflegedienstfahrzeuge beschädigt wurde. Eine Mitarbeiterin der Klägerin fuhr mit diesem Fahrzeug aus der Gegenrichtung kommend an einem Müllabfuhrfahrzeug des beklagtenZweckverbands vorbei, das mit laufendem Motor, laufender Schüttung und eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie Warnblinkanlage in der Straße stand. Dabei kam es zu einer Kollision des klägerischen Fahrzeugs mit einem Müllcontainer, den ein bei dem Beklagten angestellter Müllwerker hinter dem Müllabfuhrfahrzeug quer über die Straße schob.
Mit der Klage hat die Klägerin Erstattung der Fahrzeugreparaturkosten verlangt.
So sahen es die Vorinstanzen
Das Landgericht (LG) hat der Klage gegen den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 zu 50 teilweise stattgegeben.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht (OLG) das Urteil des LG teilweise geändert und den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 75 (Beklagter) zu 25 (Klägerin) zu weiterem Schadenersatz verurteilt. Es ist dabei davon ausgegangen, dass der Fahrerin des Pkw kein Verstoß gegen die StVO anzulasten sei.
So sieht es der Bundesgerichtshof
Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Das Urteil des OLG wurde aufgehoben und die Sache an das OLG zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Der Klägerin steht gegen den Beklagten als Halter des Müllabfuhrfahrzeugs ein Schadenersatzanspruch gemäß StVO (hier: § 7) zu, da das Fahrzeug der Klägerin „bei dem Betrieb“ des Müllabfuhrfahrzeugs beschädigt worden ist. Die Gefahr, die von einer gerade entleerten Mülltonne auf der Straße für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, ist dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs zuzurechnen.
Bei der Entscheidung über die Haftungsverteilung hat das OLG zu Recht dem Müllwerker einen schuldhaften Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorgeworfen, weil er hinter dem Müllabfuhrfahrzeug einen Müllcontainer quer über die Straße schob, ohne auf den Verkehr und das Fahrzeug der Klägerin zu achten, welches für ihn – hätte er den Müllcontainer nicht vor sich hergeschoben – erkennbar gewesen wäre.
Allerdings ist entgegen der Ansicht des OLG auch der Mitarbeiterin der Klägerin als Fahrerin des Pkw ein Verstoß gegen die StVO vorzuwerfen.
Mit dem Verhalten des Müllwerkers konnte gerechnet werden
Das Hauptaugenmerk der mit dem Holen, Entleeren und Zurückbringen von Müllcontainern befassten Müllwerker ist auf ihre Arbeit gerichtet, die sie überwiegend auf der Straße und effizient, also in möglichst kurzer Zeit und auf möglichst kurzen Wegen, zu erledigen haben. Wer an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifährt, das erkennbar im Einsatz ist, darf daher nicht uneingeschränkt auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Müllwerker vertrauen. Er muss damit rechnen, dass Müllwerker plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortreten und unachtsam einige Schritte weiter in den Verkehrsraum tun, bevor sie sich über den Verkehr vergewissern. Auf diese mit dem Einsatz von Müllabfuhrfahrzeugen verbundenen Gefahren hat der vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer sein Fahrverhalten einzurichten. Wenn es nicht möglich ist, einen ausreichenden Seitenabstand zu einem Müllabfuhrfahrzeug einzuhalten, um die Gefahr eines plötzlich auftauchenden Müllwerkers vor oder hinter dem Fahrzeugzu vermeiden, muss die Geschwindigkeit gemäß der Straßenverkehrsordnung (StVO) reduziert werden, sodass der Fahrer sein Fahrzeug bei Bedarf sofort zum Stillstand bringen kann.
Den dargelegten Anforderungen genügte die vom Berufungsgericht festgestellte Fahrweise der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nicht. Bei einem Seitenabstand von maximal 50 cm zum Müllabfuhrfahrzeug war die Ausgangsgeschwindigkeit von 13 km/h zu hoch, als dass die Fahrerin das Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen hätte bringen können.
Quelle | BGH, Urteil vom 12.12.2023, VI ZR 77/23, PM 12/24
| Gibt ein Kunde mittels PushTAN und Verifizierung über eine Gesichtserkennung nach einer Phishing-Nachricht die temporäre Erhöhung seines Überweisungslimits und eine anschließende Überweisung telefonisch frei, handelt er grob fahrlässig. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt. |
Der Bankkunde – ein Rechtsanwalt und Steuerberater in einer internationalen Sozietät – führt bei der beklagten Bank ein Girokonto und forderte erfolglos, eine Überweisung von knapp 50.000 Euro zurückzuerstatten. Das OLG: Die Bank schuldet in einem solchen Fall nicht die Rückerstattung des überwiesenen Betrags. Denn angesichts der fortlaufenden Warnungen der Banken vor Phishing-Mails und der öffentlichen Diskussion hierüber müssten Kunden spätestens bei der telefonischen Aufforderung, Sicherheitsmerkmale preiszugeben, misstrauisch werden. Dies gelte auch, wenn der äußere Rahmen der besuchten Website vertraut erscheint.
Quelle | OLG Frankfurt, Urteil vom 6.12.2023, 3 U 3/23
| Wer an der Grenze zu seinem Nachbargrundstück eine Hecke anlegt, muss nach dem geltenden Nachbarrecht dafür sorgen, dass die Pflanzen je nach Grenzabstand eine bestimmte Höhe nicht überschreiten. Tut er das nicht, kann der Nachbar den Rückschnitt der Hecke verlangen und im Notfall auch gerichtlich durchsetzen. Der Anspruch auf den Rückschnitt kann jedoch nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein, wenn sich der Nachbar selbst regel- und damit treuwidrig verhält. Das hat das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Das war geschehen
Das LG hat mit dieser Begründung die Klage eines Nachbarn auf Rückschnitt einer Hecke an der Grundstücksgrenze abgewiesen. Denn auch einzelne Pflanzen auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn verstießen nach den Feststellungen der Kammer gegen die Regelungen des Nachbarrechts.
Im konkreten Fall hatten zwei Grundbesitzer Streit über die zulässige Höhe einer direkt an der Grundstücksgrenze gepflanzten Hecke, die durchgehend eine Höhe von 2,20 Metern aufweist. Unter Berufung auf das geltende Landesrecht verlangte der Nachbar, dass die Hecke auf einer Höhe von maximal eineinhalb Metern gehalten werde. Dem gab das AG statt und verurteilte den Eigentümer zum entsprechenden Rückschnitt in der Zeit von 1.10. und 15.3. eines jeweiligen Jahres.
Höhe der Hecke zwar einzuhalten, aber …
Die dagegen gerichtete Berufung zum LG hatte jedoch Erfolg. Die Berufungskammer hat dem Nachbarn zwar grundsätzlich zugebilligt, dass die nach dem Nachbarrecht zulässige Höhe der Hecke einzuhalten ist.
… Grundsätze von Treu und Glauben zu beachten
Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis sei aber stark von den sog. Grundsätzen von Treu und Glauben geprägt. Hieraus entspringen Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme, die zu einer Beschränkung bis hin zum Ausschluss nachbarrechtlicher Rechte führen könnten, so das LG. Deshalb müsse berücksichtigt werden, dass auch auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn direkt hinter dem Zaun eine drei bis vier Meter hohe Kugelhecke und eine etwa zweieinhalb Meter hohe Zypresse gepflanzt sei. Dadurch werde ebenfalls gegen das Nachbarrecht verstoßen. Wer sich aber selbst nicht regelgerecht verhalte, sei nach Treu und Glauben von Ansprüchen gegen seinen Nachbarn ausgeschlossen.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 24.1.2024, 2 S 85/23, PM vom 31.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Karlsruhe hat die Klage eines E-Autofahrers gegen die EnBW auf Rückzahlung von Blockiergebühren abgewiesen. |
Überschreiten der zulässigen Standzeit
Die Blockiergebühren in Höhe von insgesamt 19,80 Euro waren wegen Überschreitung der zulässigen Höchststandzeit an Ladesäulen der EnBW an drei verschiedenen Terminen im März 2022 angefallen. Die Blockiergebühr ist nach den Bedingungen des ADAC e-Charge Tarifs, der von der EnBW angeboten wird, ab einer Standzeit von mehr als 240 Minuten fällig. Ab diesem Zeitpunkt sind 12 Cent pro Minute zu zahlen, maximal jedoch 12 Euro. Auf die Blockiergebühr wird sowohl beim Abschluss des Tarifs als auch beim Start des Ladevorgangs hingewiesen. Der Kläger hatte diesen Bedingungen bei Nutzung der App zugestimmt.
Klausel wirksam
Der Kläger hatte argumentiert, die Klausel sei unwirksam. Im Übrigen verlangten andere Anbieter keine Blockiergebühr. Nach Auffassung des AG ist die Klausel jedoch wirksam, da das Interesse der EnBW berechtigt ist, die Ladesäule zeitnah weiteren Kunden zur Verfügung stellen zu können.
Die Entscheidung erging ohne mündliche Verhandlung. Sie ist rechtskräftig.
Quelle | AG Karlsruhe, Urteil vom 4.1.2024, 6 C 184/23, PM vom 24.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Hannover hält ein „französisches Bett“ nicht für ein Doppelbett. Das war in einem Reiserechtsfall entscheidend. |
Ist ein Bett mit einer Breite von 1,40 m ein Doppelbett? Ist es breit genug, um zwei erwachsenen Menschen einen erholsamen Urlaub zu ermöglichen? Das AG hat diese Fragen verneint. Es hat entschieden, dass Reisende jedenfalls in einem Hotel, das der Reiseveranstalter selbst mit fünf „Sonnen“ bewertet, für jeden Reisenden mit einem Schlafplatz von mehr als 70 cm Breite rechnen dürfen.
Im Fall des AG hatten drei erwachsene Personen gemeinsam ein Dreibettzimmer gebucht. Zur Verfügung gestellt wurde ihnen ein Zimmer, das über zwei Betten mit einer Breite von jeweils 1,40 m verfügte. Weil diese Ausstattung nicht der vertraglichen Vereinbarung entsprach, erhalten die beiden Reisenden, die sich ein Bett teilen mussten, nun 15 Prozent des auf sie entfallenden Reisepreises zurück.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 22.2.2024, 471 C 6110/23, PM vom 26.2.2024
| Ein gesetzlich versicherter Patient verlangte von seiner Krankenversicherung, ihm die Kosten für ein Einzelzimmer während eines stationären Krankenhausaufenthalts zu erstatten. Einen solchen Anspruch lehnte das Sozialgericht (SG) Mainz aber ab. |
Patient lag im Einzelzimmer
Ein Patient ließ sich längere Zeit stationär in einem Krankenhaus behandeln. Mit dem Krankenhaus hatte er einen Vertrag über das Unterbringen in einem Einzelzimmer geschlossen.
Krankenkasse wollte Kosten nicht übernehmen
Die dabei entstandenen Kosten wollte die Krankenkasse nicht übernehmen. Der Patient klagte. Seine Argumentation: Aus medizinischen Gründen sei ein Einzelzimmer erforderlich gewesen.
Sozialgericht wies Klage ab
Vor dem SG hatte er jedoch keinen Erfolg. Selbst wenn ein Einzelzimmer erforderlich gewesen sei, hätte das Krankenhaus dafür sorgen müssen, dass der Patient entsprechend untergebracht sei. Die Kosten einer erforderlichen Einzelzimmerbelegung seien dann in den pauschal von der Krankenkasse an das Krankenhaus zu zahlenden Entgelten enthalten. Die Kosten hierfür habe die Krankenkasse bereits gezahlt. Zusätzliche Kosten für ein Einzelzimmer könne der Patient folgerichtig nicht bei seiner Krankenkasse einfordern.
Quelle | SG Mainz, Urteil vom 23.2.2024, S 7 526/20
| Das Mietrecht (hier: § 556 Abs. 3 S. 3 BGB) schließt eine nachträgliche Abrechnung zulasten des Mieters nicht aus, durch die ein Guthaben verringert wird. Das entschied das Landgericht (LG) München. |
Grundsteuer in der Abrechnung vergessen
Der Vermieter hatte über die Betriebskosten abgerechnet und dabei die Grundsteuer vergessen. Bevor er das ursprünglich berechnete Guthaben an den Mieter auszahlte, verstrich die Abrechnungsfrist. Nun korrigierte der Vermieter die Betriebskostenabrechnung und berücksichtigte die Grundsteuer. Dabei ergab sich ein geringeres Guthaben, das er an den Mieter zahlte. Der Mieter klagte auf Rückzahlung des ursprünglich berechneten höheren Guthabens.
Amtsgericht und Landgericht vermieterfreundlich
Das Amtsgericht (AG) sprach jedoch nur das korrigierte geringere Guthaben zu. Es bestünde kein Anspruch des Mieters, weil eine nachträgliche Verringerung des Guthabens vom Gesetz nicht ausgeschlossen sei.
Die Berufung des Mieters blieb erfolglos. Das LG teilte die Rechtsauffassung des AG. § 556 Abs. 3 S. 3 BGB solle den Mieter nur davor schützen, nach Ablauf der Abrechnungsfrist Zahlungen leisten zu müssen, die die Vorauszahlungen übersteigen. Darüber hinaus gewähre das Gesetz keinen Vertrauensschutz für eine zugunsten des Mieters unrichtige Abrechnung.
Der Mieter darf also nicht darauf vertrauen, dass ein Guthaben unveränderlich bleibt. Dies gilt auch, wenn die Korrektur erst nach Ablauf der Abrechnungsfrist erfolgt. Eine weitergehende Schutzwirkung zugunsten des Mieters sieht das Gesetz schon nach dem Wortlaut der Vorschrift („Geltendmachung einer Nachzahlung“) nicht vor.
Die Entscheidung entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 31.10.07, VIII ZR 261/06).
Quelle | LG München I, Beschluss vom 30.11.2023, 31 S 10140/23
| Eine fristlose Kündigung ist auch gegenüber einem psychisch kranken oder schuldunfähigen Mieter möglich, wenn trotz Abmahnung der Hausfrieden systematisch, wiederholt und nachhaltig gestört wird mit der Folge der vorzeitigen Kündigung von anderen Mietern und der Nichtvermietbarkeit angrenzender Wohnungen. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Gesundheitszustand bedarf es dann nicht. So entschied es der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) Sachsen. |
Wiederholte Lärmstörungen
Der Vermieter kündigte nach Abmahnung das Mietverhältnis mit einem psychisch kranken Mieter wegen wiederholten Lärmstörungen fristlos, hilfsweise ordentlich. Andere Mieter hatten wegen des Lärms ihr Mietverhältnis gekündigt und eine Neuvermietung der angrenzenden Wohnung war nicht möglich.
Gegen die erfolgreiche Räumungsklage legte der Mieter Berufung ein, die er nach Hinweisbeschluss des Landgerichts (LG) Dresden zurücknahm. Das LG hatte ausgeführt, dass zwar in der Regel ein schuldhaftes Verhalten des Mieters für die Begründung des Kündigungsgrundes erforderlich sei. Dies gelte aber nicht absolut, da auch bei Schuldlosigkeit das zumutbare Maß und damit die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter überschritten sei und in der Abwägung überwiegen kann. Zwar ergebe sich aus den Wertentscheidungen des Grundgesetzes (hier: Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG) eine erhöhte Toleranzbereitschaft gegenüber nicht oder nur eingeschränkt verantwortlichen Mietern, z. B. Verschlechterung des Gesundheitszustands, Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche oder Suizidgefährdung. Aber auch wenn der Mieter aufgrund der psychischen Erkrankung nicht in der Lage sei, das Unrecht seines Handelns zu erkennen, sei hier die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter deutlich überschritten.
Mieter legte Verfassungsbeschwerde ein
Gegen das Urteil und den Beschluss legte der Mieter Verfassungsbeschwerde ein – doch ohne Erfolg. Die Beschwerde sei unzulässig, sie genüge nicht den Begründungsanforderungen, so der VerfGH. Das LG habe sich umfassend – auch – mit Grundrechten auseinandergesetzt. Eine konkrete Grundrechtsverletzung rüge der Beschwerdeführer nicht.
Quelle | VerfGH Sachsen, Urteil vom 30.8.2023, Vf. 40-IV-23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg ist der Frage nachgegangen, was der mehrdeutige Begriff „vorhandenes Barvermögen“ in einem Vermächtnis bedeutet. |
Die Parteien stritten um die Erfüllung eines Vermächtnisses und hierbei um den Begriff „Barvermögen“. In einem notariellen Testament beschwerte der Erblasser die eingesetzten Erben mit einem Vermächtnis zugunsten einer weiteren Person wie folgt: „Das bei Eintritt des Erbfalls vorhandene Barvermögen soll zu einem 1/3 Anteil an meine Tochter …, geb. am …, ausgezahlt werden“. Die Bedachte hat die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ seine gesamten liquiden Mittel, insbesondere sämtliche Guthaben bei Kreditinstituten, Wertpapiere und Bargeld im engeren Sinne verstanden. Demgegenüber haben die beschwerten Erben die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ lediglich das vorhandene Bargeld verstanden.
Barvermögen = auch unbares Geld, das sofort verfügbar ist
Das Landgericht (LG) hat sich in erster Instanz der Auffassung der Bedachten angeschlossen und die Erben verurteilt, zu zahlen. Aufgrund der gegen dieses Urteil durch die Erben eingelegten Berufung hat das OLG Oldenburg den Begriff wie folgt verstanden: Danach umfasst der Begriff des Barvermögens heutzutage das gesamte Geld, das sofort verfügbar ist, also auch über eine Kartenzahlung. Wertpapiere fallen nicht unter den Begriff des Barvermögens. Vielmehr werden Wertpapiere durch den erweiterten Begriff des Kapitalvermögens mit abgedeckt, der das Barvermögen einschließlich weiterer Kapitalwerte in Geld beschreibt.
Wertpapiere gehörten hier nicht zum Barvermögen
Nach Beweisaufnahme hat das OLG festgestellt, dass die Bedachte nicht habe nachweisen können, dass der Erblasser mit dem Begriff „Barvermögen“ das gesamte Kapitalvermögen, also auch das nicht sofort verfügbare Kapital in der Form von Genossenschaftsanteilen und Wertpapieren gemeint habe. Im Ergebnis habe der vernommene Zeuge – der beurkundende Notar – keine konkreten Aussagen zum Willen des Erblassers in Bezug auf Wertpapiere und dessen Begriffsverständnis vom Begriff „Barvermögen“ machen können.
Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 20.12.2023, 3 U 8/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) München hat entschieden: Ein Tragwerksplaner ist nur verpflichtet, den Prüfbericht des Prüfingenieurs und die diesem beigefügten Bewehrungspläne zu prüfen, wenn eine entsprechende vertragliche Vereinbarung getroffen wurde. |
Wichtige Entscheidung
Diese Aussage ist für das Tagesgeschäft der Tragwerksplanung wichtig, da es in den meisten Fällen für den Tragwerksplaner von Eigeninteresse sein dürfte, Prüfbericht und Prüfeintragungen durchzusehen. Denn der Prüfingenieur könnte ja auch eigene Mängel verhindern helfen. Schwierig wird es, wenn der Prüfingenieur eine andere Auffassung vertritt, aber dennoch kein Planungsfehler vorliegt. Dann muss man abwägen.
Das gehört nicht zuden Aufgaben eines Tragwerksplaners
Das OLG hat auch noch weitere Feststellungen getroffen: Es gehört danach nicht zu den Aufgaben eines Tragwerksplaners, geänderte Ausführungspläne des Architekten an das bauausführende Unternehmen weiterzuleiten. Dies ist ein ständiges Streitthema. Um hier Auseinandersetzungen zu vermeiden, ist es wichtig, zu Planungsbeginn eine Regelung zu treffen, wer welche Pläne an wen weiterleitet. In den meisten Fällen macht es Sinn, dass der Objektplaner hier koordinierend Regelungsvorschläge macht und dafür Sorge trägt, dass seine Pläne an die ausführenden Unternehmen weitergeleitet werden.
Schutzwürdiges Eigeninteresse erforderlich
Außerdem, so das OLG, setze ein Anspruch des Auftraggebers auf Lieferung von Plänen nach Abschluss der Bauarbeiten ein schutzwürdiges Eigeninteresse voraus. Daran fehle es, wenn der Auftraggeber das Bauwerk jahrelang ohne die verlangten Pläne nutzen und verwalten konnte. Hierdurch wird klargestellt, dass Planungsbüros im Regelfall nicht jahrelang als Planarchiv für ehemalige Auftraggeber fungieren müssen.
Quelle | OLG München, Urteil vom 16.5.2023, 9 U 1801/21 Bau
| Die ungenehmigte Nutzung eines Einfamilienwohnhauses als Monteursunterkunft darf nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Neustadt an der Weinstraße untersagt werden. |
Das war geschehen
Die Stadt Ludwigshafen hatte durch ihre Bauaufsichtsbehörde eine Ortsbesichtigung durchgeführt, die ein zur Wohnnutzung genehmigtes Einfamilienhaus betraf. Hierbei stellte sie fest, dass sich in dem Wohnraum im Erdgeschoss zwei Einzelbetten und in einem Wohnraum im Dachgeschoss vier weitere Betten befanden. Insgesamt wohnten dort sechs männliche Personen. Die Stadt untersagte daraufhin gegenüber dem Eigentümer die Nutzung des Hauses für die Zwecke einer „Monteursunterkunft“ bzw. für eine „Beherbergung“ und ordnete hierfür die sofortige Vollziehung an. Dieser legte Widerspruch ein und stellte wegen des Sofortvollzugs zudem einen Eilantrag beim VG. Der Antrag blieb hinsichtlich der Nutzungsuntersagung ohne Erfolg.
So argumentierte das Verwaltungsgericht
Nach der Landesbauordnung Rheinland-Pfalz (hier: § 81 LBauO) könne die Bauaufsichtsbehörde die Benutzung solcher Anlagen untersagen, die gegen baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften über die Errichtung, die Änderung, die Instandhaltung oder die Nutzungsänderung dieser Anlagen verstießen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden könnten.
Dies sei hier der Fall. Die von der Stadt ausgesprochene Nutzungsuntersagungsverfügung sei nicht zu beanstanden, da die tatsächliche Nutzung des Einfamilienhauses als Monteursunterkunft oder sonst als Beherbergungsbetrieb weder genehmigt noch genehmigungsfrei sei. Vorliegend sei nämlich von einer tatsächlich nicht Wohnzwecken dienenden Nutzung des Einfamilienwohnhauses auszugehen.
Definition der „Wohnnutzung“
Eine Wohnnutzung zeichne sich durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts aus. Dies setze bestimmte Ausstattungsmerkmale des Gebäudes voraus. Erforderlich seien insbesondere eine Küche bzw. Kochgelegenheit sowie Toiletten und Waschgelegenheiten, die auch in Gestalt von Gemeinschaftseinrichtungen zur Verfügung stehen könnten.
Der Begriff des Wohnens verlange zudem, dass Aufenthalts- und private Rückzugsräume vorhanden seien, die eine Eigengestaltung des häuslichen Wirkungskreises erst ermöglichten. Auch Wohnheime – etwa Studentenwohnheime – könnten daher als Wohngebäude einzustufen sein, wenn sie nach ihrer Zweckbestimmung und Ausstattung Wohnbedürfnisse erfüllen könnten und sollten. Die Grenzen des Wohnens seien allerdings überschritten, wenn das Gebäude – wie im Fall einer Unterkunft für Monteure – aufgrund seiner spartanischen Ausstattung lediglich als Schlafstätte diene und auch einfache Wohnbedürfnisse nicht befriedige. Dabei spiele zudem die Wohndichte eine Rolle. Der Umstand, dass sich zwei Bewohner einen Schlafraum teilten, spreche zwar nicht zwingend gegen eine Wohnnutzung im Rechtssinne; die dadurch bewirkte Einschränkung der Privatsphäre schließe aber unter Berücksichtigung der hierzulande üblichen Wohnstandards die Annahme einer Wohnnutzung jedenfalls dann regelmäßig aus, wenn zwischen den Bewohnern keine persönliche Bindung bestehe bzw. sich diese Bindung in dem gemeinsamen Interesse an einer möglichst kostengünstigen Unterbringung erschöpfe.
Mindestanforderungen der Wohnnutzung waren zwar erfüllt...
Zwar verfüge das Wohnhaus hier mit zwei Toiletten und einer Küche über die für eine Wohnnutzung erforderlichen Mindestanforderungen. Alle Räume seien aber sehr spartanisch lediglich mit Betten und Schreibtischen eingerichtet.
... Bewohner lebten aber „aus dem Koffer“
Die Bewohner lebten augenscheinlich „aus dem Koffer“, Kleiderschränke oder auch sonstiger Stauraum seien nicht vorhanden. Zudem spreche das Vorbringen des Antragstellers im Eilverfahren, wonach die Bewohner allesamt unter der Woche als Monteure an weit entfernten Orten beschäftigt seien und lediglich am Wochenende oder im Urlaub in dem Haus verweilten, erheblich dafür, dass der Zweck des Zusammenlebens nicht über das Interesse an einer günstigen Unterkunft hinausgehe und tatsächlich kein Interesse an einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit bestehe, sondern das Haus lediglich als Schlafplatz zwischen den Arbeitsaufträgen diene. Insbesondere wegen der Unterbringung in Mehrbettzimmern und des vollständigen Fehlens von Aufenthaltsräumen sei nicht ersichtlich, dass die Unterkunft über den Nutzen als Schlafstätte hinaus Wohnbedürfnisse befriedige.
Quelle | VG Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 4.1.2024, 4 L 1213/23.NW, PM 2/24
| Eine Vorschlagsliste für die Betriebsratswahl, die in ihrem Kennwort ein „Smiley-Symbol“ enthält, ist ungültig. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln in einem Wahlanfechtungsverfahren entschieden. |
Betriebsratswahl angefochten
Fünf Arbeitnehmer eines weltweit tätigen Logistikunternehmens mit einem Betrieb am Flughafen Köln/Bonn und einer weiteren Betriebsstätte im benachbarten Troisdorf hatten die Wahl des 25-köpfigen Betriebsrats angefochten und dies u. a. damit begründet, dass der Wahlvorstand ihren Wahlvorschlag zu Unrecht wegen des verwendeten Listenkennworts zurückgewiesen und stattdessen mit den Familien- und Vornamen der beiden in der Liste an erster Stelle benannten Wahlbewerbern versehen habe.
Die Arbeitnehmer hatten beim Wahlvorstand zunächst einen Wahlvorschlag mit dem Kennwort ,,fair.die“ eingereicht. Nachdem der Wahlvorstand den Vorschlag wegen einer phonetischen Verwechslungsgefahr mit der Gewerkschaft ver.di zurückgewiesen hatte, teilten die Arbeitnehmer mit, dass ihr Wahlvorschlag das Kennwort „FAIR“ (mit dem zusätzlichen „Smiley-Symbol“) die Liste“ tragen solle.
Dieses Kennwort sowie drei weitere Alternativvorschläge, die ebenfalls einen „Smiley“ enthielten, lehnte der Wahlvorstand wiederum ab.
Landesarbeitsgericht: Bildzeichen unzulässig
Wie das LAG entschieden hat, ist ein Bildzeichen als Bestandteil eines Kennworts unzulässig, wenn es wie das „Smiley“ lediglich einen Stimmungs- oder Gefühlszustand ausdrückt, keine eindeutige Wortersatzfunktion hat und demgemäß üblicherweise nicht mit ausgesprochen wird. Zudem hätte auch bei dem oben genannten Kennwort eine Verwechslungsgefahr bestanden, da es lautsprachlich wie „ver.di-Liste“ klingt.
Zudem hat das LAG die Betriebsratswahl für unwirksam erklärt, weil der Wahlvorstand für die Betriebsstätte Troisdorf trotz ihrer räumlichen Nähe zum Hauptbetrieb unzulässigerweise die generelle Briefwahl angeordnet hatte.
Quelle | LAG Köln, Beschluss vom 1.12.2023, 9 TaBV 3/23, PM 13/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat den koordinierten Beschäftigtentausch als Sparmodell für Sozialversicherungsbeiträge für unzulässig erklärt. |
Darum ging es
Ausgangspunkt war die Klage eines niedersächsischen Obstbauern, der einen Betrieb für Apfelanbau führt und an einem weiteren Betrieb für Erdbeeranbau beteiligt ist. Seine Erntehelfer beschäftigt er formal ganzjährig im Apfelanbau. Sie erhalten dort einen festen Monatslohn auf Basis eines Jahresarbeitsstundensolls. In der Zeit von Mai bis Juli wurden die Helfer jedoch im Erdbeerbetrieb eingesetzt. Auf den Lohn dieser Arbeit zahlte der Bauer keine Sozialversicherungsbeiträge, da er die Arbeit als zeitgeringfügige Aushilfstätigkeit betrachtete. Während der Apfelernte im Herbst verfuhr er bei jeweils wechselnder Arbeitsfreistellung mit den Beschäftigten des Erdbeerbetriebs in ähnlicher Weise.
Kurzzeitige Saisonaushilfen oder berufsmäßige Beschäftigte?
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) kam nach einer Betriebsprüfung zu dem Ergebnis, dass die Mitarbeiter nicht nur kurzzeitige Saisonaushilfen seien, sondern berufsmäßig Beschäftigte, für die rd. 58.000 Euro Sozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten seien.
Bauer reklamierte für sich „angepasste Gestaltung“
Hiergegen klagte der Bauer und meinte, dass in rechtlich selbstständigen Betrieben eine Arbeitnehmertätigkeit im Hauptberuf und eine kurzzeitige Beschäftigung bei einem weiteren Arbeitnehmer möglich und erlaubt sei. Steigende Preise und politische Unsicherheiten würden eine angepasste Gestaltung notwendig machen.
Landessozialgericht spricht Klartext
Das LSG hat die Rechtsauffassung der DRV bestätigt. Zur Begründung hat es auf die Berufsmäßigkeit der Helfer abgestellt, die eine Beitragspflicht für die gesamte Tätigkeit auslöse. Das praktizierte Modell verfolge zielgerichtet das Bestreben, über wechselseitige betriebliche Absprachen und mittels langfristig geplanter und aufeinander abgestimmter organisatorischer und vertraglicher Maßnahmen rund ein Drittel des Jahreseinkommens der Arbeitskräfte der Beitragspflicht zur gesetzlichen Sozialversicherung zu entziehen. Die Gefahr der Altersarmut aufseiten der Erntehelfer sei von den Arbeitgebern sehenden Auges hingenommen worden. Die sozialrechtlichen Vorgaben ließen keinen Raum für eine entsprechende Beitragsverkürzung.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.12.2023, L 2 BA 59/23, PM vom 5.2.2024
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung eines Schwerbehinderten in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses diskriminierend im Sinne des Sozialgesetzbuchs IX (hier: § 164 Abs. 2 SGB IX) ist. Sie kann damit unwirksam sein, wenn der Arbeitgeber das Präventionsverfahren nach dem Sozialgesetzbuch (§ 167 Abs. 1 SGB IX) nicht durchgeführt hat. |
Der mit einem Grad der Behinderung von 80 schwerbehinderte Kläger ist seit dem 1.1.2023 bei der beklagten Kommune als „Beschäftigter im Bauhof“ beschäftigt. Der Kläger wurde zwischen dem 2.1. und 14.4.2023 in verschiedenen Kolonnen des Bauhofs eingesetzt und war ab Ende Mai arbeitsunfähig. Am 22.6.2023 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 31.7.2023.
Das ArbG hat entschieden: Die Kündigung verstößt gegen das Diskriminierungsverbot des § 164 Abs. 2 SGB IX und ist damit unwirksam. Der Arbeitgeber sei – entgegen bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) – auch während der Wartezeit gemäß Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 Abs. 1 KSchG) verpflichtet, das o. g. Präventionsverfahren durchzuführen.
§ 167 Abs. 1 SGB IX regelt, dass möglichst frühzeitig als Präventionsmaßnahme die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt einzuschalten sind, wenn Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis eintreten, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können. Dies habe die Arbeitgeberin hier nicht getan. Sie hätte, als sie bemerkte, dass der schwerbehinderte Kläger sich während der Wartezeit – wie sie vorträgt – nicht bewährte bzw. sich nicht ins Team einfügte und ihren Erwartungen nicht entsprach, Präventionsmaßnahmen ergreifen und gegebenenfalls die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt präventiv einschalten müssen.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 20.12.2023, 18 Ca 3954/23, PM 2/24
| Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch verpflichtet. Das Sozialrecht (hier: § 165 S. 3 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX)) sieht die grundsätzliche Einladungspflicht nur für öffentliche Arbeitgeber vor. Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist kein öffentlicher Arbeitgeber. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Schwerbehinderten nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen
Der schwerbehinderte Kläger hatte sich um eine Stelle in der Verwaltung eines Kirchenkreises der Evangelischen Kirche im Rheinland beworben. Trotz Offenlegung seiner Schwerbehinderung wurde er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Seine Bewerbung blieb erfolglos.
Lag Diskriminierung vor?
Nach Ansicht des Klägers wurde er im Auswahlverfahren wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Dies indiziere die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Hierzu sei der Kirchenkreis nach der o. g. Vorschrift verpflichtet gewesen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts gelte er als öffentlicher Arbeitgeber. Mit seiner Klage hat der Kläger deshalb die Zahlung einer Entschädigung verlangt. Der beklagte Kirchenkreis hat dies abgelehnt. Er sei kein öffentlicher Arbeitgeber. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Bundesarbeitsgericht spricht Klartext
Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung dargelegt.
Eine solche kann nicht aufgrund der unterbliebenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch vermutet werden. Hierzu war der beklagte Kirchenkreis nicht verpflichtet. Die Einladungspflicht besteht zwar u. a. für Körperschaften des öffentlichen Rechts. Dies betrifft aber nach dem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Begriffsverständnis nur Körperschaften, die staatliche Aufgaben wahrnehmen. Kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts dienen demgegenüber primär der Erfüllung kirchlicher Aufgaben. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts soll dabei die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgesellschaft unterstützen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Einladungspflicht auf kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts erstrecken wollte. Insoweit stehen sie den ebenfalls staatsfernen privaten Arbeitgebern gleich.
Quelle | BAG, Urteil vom 25.1.2024, 8 AZ R 318/22, PM 2/24
| Bereits im Juli 2023 hatte das Bundesfinanzministerium (BMF) einen Referentenentwurf für ein milliardenschweres Wachstumschancengesetz vorgelegt. Das Ziel: Eine Verabschiedung im Jahr 2023. Bekanntlich wurde daraus nichts. Vielmehr kam das Gesetzgebungsverfahren einem „Possenspiel“ gleich, das durch die Zustimmung des Bundesrats am 22.3.2024 und der Gesetzesverkündung am 27.3.2024 nun beendet ist. |
Das verabschiedete Gesetz enthält im Vergleich zum ursprünglichen Referenten- und Regierungsentwurf viele Änderungen. So wurde u. a. das Entlastungsvolumen reduziert und die Klimaschutz-Investitionsprämie gestrichen.
Zudem wurden zeitkritische Regelungen bereits Ende 2023 durch das Kreditzweitmarktförderungsgesetz umgesetzt, z. B. die Beseitigung von Unsicherheiten bei der Grunderwerbsteuer aufgrund des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts sowie Anpassungen bei der Zinsschrankenregelung.
Dennoch enthält das Gesetzespaket weiterhin zahlreiche Änderungen bzw. Neuregelungen, die im Folgenden auszugsweise vorgestellt werden:
Degressive Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter
Bei beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die nach dem 31.12.2019 und vor dem 1.1.2023 angeschafft oder hergestellt wurden, kann der Steuerpflichtige statt der linearen eine degressive Abschreibung von 25 % (höchstens das 2,5-Fache der linearen Abschreibung) wählen.
Die als Investitionsanreiz gedachte degressive Abschreibung wurde nun wieder eingeführt – und zwar erneut befristet für Anschaffungen oder Herstellungen nach dem 31.3.2024 und vor dem 1.1.2025. Der Abschreibungssatz wurde auf 20 % (höchstens das 2-Fache der linearen Abschreibung) reduziert.
E-Fahrzeuge/Firmenwagen
Die Besteuerung eines Firmenwagens (außerdienstliche Nutzung) kann reduziert werden, indem kein Verbrenner, sondern ein Elektrofahrzeug gewählt wird. Denn hier ist nur ein Viertel des Bruttolistenpreises anzusetzen, wenn der Höchstbetrag von 60.000 Euro eingehalten wird. Dieser wurde für nach dem 31.12.2023 angeschaffte Fahrzeuge auf 70.000 Euro erhöht.
Geschenkegrenze
Geschenke an Geschäftspartner und Kunden sind nur dann steuermindernde Betriebsausgaben, wenn eine Grenze eingehalten wird. Diese wurde für nach dem 31.12.2023 beginnende Wirtschaftsjahre von 35 Euro auf 50 Euro erhöht.
Verlustvortrag
Nach der Regelung des § 10 d Abs. 2 EStG ist ein Verlustvortrag bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1 Mio. Euro (bei Zusammenveranlagung: 2 Mio. Euro) unbeschränkt, darüber hinaus bis zu 60 % des 1 Mio. bzw. 2 Mio. Euro übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte möglich. Ab dem Veranlagungszeitraum 2024 gelten anstelle der 60 % dann 70 % (ab 2028 sind wieder 60 % relevant).
Thesaurierungsbegünstigung
Für bilanzierende Einzel- und Personenunternehmen sieht § 34 a EStG eine steuerliche Begünstigung für nicht entnommene Gewinne vor, die (langfristig) im Unternehmen verbleiben sollen. Da von dieser Begünstigung (nicht zuletzt infolge der Komplexität) bis dato eher selten Gebrauch gemacht wurde, hat der Gesetzgeber § 34 a EStG mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2024 „reformiert“. Ob die Änderungen zu einer höheren „Nachfrage“ bzw. Nutzung führen, bleibt aber abzuwarten.
Option zur Körperschaftsbesteuerung
Nach § 1 a des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) können Personenhandels- und Partnerschaftsgesellschaften im ertragsteuerlichen Bereich wie Körperschaften behandelt werden. Durch einige Änderungen (z. B. können nun auch eingetragene GbRs optieren) soll die Option attraktiver werden.
Elektronische Rechnung
Im Bereich der Umsatzsteuer stellt die Einführung der obligatorischen elektronischen Rechnung für Umsätze zwischen inländischen Unternehmen (B2B) sicherlich die relevanteste Änderung dar.
Die Neuregelung tritt bereits am 1.1.2025 in Kraft. Da die Umsetzung aber einige Zeit beanspruchen wird, können nach den Vorgaben des § 27 Umsatzsteuergesetz (UStG) Übergangsregelungen genutzt werden. Der allgemeine Übergangszeitraum beträgt zwei Jahre (Pflicht somit ab 2027); drei Jahre gelten für Unternehmer mit einem Gesamtumsatz von bis zu 800.000 Euro im Jahr 2026.
Bürokratieabbau bei der Umsatzsteuer
Unter gewissen Voraussetzungen kann die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten (Ist-Besteuerung) berechnet werden, was einen Liquiditätsvorteil ermöglicht. Die relevante Vorjahresumsatzgrenze wurde von 600.000 Euro auf 800.000 Euro erhöht (gilt ab dem Besteuerungszeitraum 2024).
Die Grenze, ab der Unternehmer von der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung befreit werden können, wurde angehoben – und zwar von 1.000 Euro auf 2.000 Euro (gilt ab dem Besteuerungszeitraum 2025).
Grundsätzlich sind Kleinunternehmer (§ 19 UStG) von der Abgabe einer Umsatzsteuererklärung (Nullmeldung) ab dem Besteuerungszeitraum 2024 befreit.
Anhebung von Buchführungsgrenzen
Überschreiten gewerbliche Unternehmer gewisse Buchführungsgrenzen, können sie ihren Gewinn nicht mehr mittels Einnahmen-Überschussrechnung ermitteln, sondern sind zur Bilanzierung verpflichtet. Die in § 141 der Abgabenordnung geregelten Grenzen wurden von 600.000 Euro auf 800.000 Euro (Umsatz) und von 60.000 Euro auf 80.000 Euro (Gewinn) erhöht. Dies gilt für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2023 beginnen (mit Übergangsregelung).
Auch die Buchführungsgrenzen in § 241 a Handelsgesetzbuch (HGB) wurden auf 800.000 Euro (Umsatzerlöse) bzw. 80.000 Euro (Jahresüberschuss) erhöht.
Quelle | Wachstumschancengesetz, BGBl I 2024, Nr. 108
| Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat entschieden: Die von der Stadt Fulda verfügte Schließung von ohne Personal betriebenen Verkaufsmodulen an Sonn- und Feiertagen hat Bestand. |
Das war geschehen
Die Antragstellerin und Inhaberin einer Supermarktkette betreibt im Gebiet der Stadt Fulda Verkaufsmodule, die an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr geöffnet sind und zu denen die Kunden nach einer digitalen Kontrolle Zugang erhalten. Angeboten werden dort Waren des täglichen Bedarfs, die digital bezahlt werden. An Sonn- und Feiertagen wird in diesen Verkaufsmodulen kein Personal eingesetzt.
Die Stadt Fulda hatte gegenüber der Antragstellerin mit sofortiger Wirkung verfügt, die im Stadtgebiet aufgestellten Verkaufsmodule insbesondere an Sonn- und Feiertagen zu schließen. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit einem gerichtlichen Eilantrag, den das Verwaltungsgericht (VG) Kassel ablehnte.
So sieht es der Verwaltungsgerichtshof
Der VGH hat die Entscheidung des VG bestätigt und sich hierbei maßgebend auf die Bestimmungen des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes gestützt. Nach § 3 Abs. 2 dieses Gesetzes müssen Verkaufsstellen unter anderem an Sonn- und Feiertagen für den geschäftlichen Verkehr mit Kundinnen und Kunden geschlossen sein. Verkaufsstellen sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes Ladengeschäfte aller Art, falls in ihnen von einer festen Stelle aus ständig Waren zum Verkauf an jedermann „feilgehalten“ werden.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat der VGH im Wesentlichen ausgeführt, das VG sei zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständlichen Verkaufsmodule Verkaufsstellen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes seien. Das „Feilhalten“ von Waren im Sinne dieser Vorschrift setze nach der gesetzlichen Definition dieses Begriffs keinen persönlichen Kontakt mit einem Verkäufer voraus. Es mache für das „Feilhalten“ von Waren keinen Unterschied, ob der Kunde die begehrte Ware aus einem Automaten oder aus einem Verkaufsregal bzw. von einem Verkaufstisch an sich nehme; der Verkaufsvorgang setze in beiden Fällen ein aktives Handeln des Kunden voraus, dem nicht zwangsläufig ein aktives Tun des Verkäufers gegenüberstehe. Richtig sei zwar das von der Antragstellerin vorgetragene Argument, dass bei einem Verzicht auf den Einsatz von Verkaufspersonal das dem Ladenschlussrecht zugrunde liegende Ziel des Arbeitnehmerschutzes erreicht werde.
Das Hessische Ladenöffnungsgesetz diene allerdings nicht allein dem Arbeitnehmerschutz, sondern auch dem Ziel, die Sonntage und staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erholung zu schützen. Es bestehe auch keine Vergleichbarkeit zwischen dem Einkauf in den streitgegenständlichen Verkaufsmodulen und den auch sonn- und feiertags durchgängig möglichen Onlinebestellungen. Insbesondere habe der Onlinebestellvorgang keinerlei Außenwirkungen und sei daher nicht geeignet, die Sonn- und Feiertagsruhe der übrigen Bevölkerung zu beeinträchtigen.
Der Beschluss ist im verwaltungsgerichtlichen Instanzenzug nicht anfechtbar.
Quelle | VGH Kassel, Beschluss vom 22.12.2023, 8 B 77/22, PM 1/24
| Mehraufwendungen für einen behindertengerechten Um- oder Neubau eines Hauses oder einer Wohnung sind grundsätzlich als außergewöhnliche Belastung abziehbar. Dies gilt auch für eine dadurch ausgelöste Mieterhöhung. Aber: Ein Abzug ist nur zulässig, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Das hat das Finanzgericht (FG) München entschieden. |
Im Streitfall des FG München ging es um die umbaubedingte Erhöhung einer jährlichen Miete, die durch die Errichtung eines behindertengerechten Verbindungsbaus mit Pflegebad zwischen zwei Einfamilienhäusern veranlasst war.
Der Höhe nach hat das FG eine Begrenzung der Abzugsfähigkeit der Aufwendungen gesehen – und zwar im Hinblick darauf, dass es zu den durchgeführten Umbaumaßnahmen eine kostengünstigere Alternative gegeben hätte, die der Behinderung in gleicher Weise Rechnung getragen hätte.
Beachten Sie | Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Revision zugelassen. Er kann nun klären, ob dem Steuerpflichtigen bei der Beurteilung, ob Aufwendungen notwendig und angemessen sind, ein Ermessensspielraum einzuräumen ist. Bis dahin können geeignete Fälle durch einen Einspruch offengehalten werden.
Quelle | FG München, Urteil vom 27.10.2022, 10 K 3292/18, Rev. BFH: VI R 15/23
| Das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg musste jüngst über einen „Wohn-Riester-Fall“ entscheiden. Hierbei ging es um einen Ehemann, der von seiner verstorbenen Frau deren Wohnung und den Darlehensvertrag geerbt hatte. Das Darlehen wollte er tilgen. Deshalb begehrte er, die Entnahme von gefördertem Kapital zur wohnungswirtschaftlichen Verwendung aus einem Altersvorsorgevermögen (gemäß § 92 b Abs. 1 S. 3 Einkommensteuergesetz [EStG]) zu bewilligen. Soviel vorab: Die Entscheidung ging zugunsten des Steuerpflichtigen aus. |
Hintergrund: Durch die sogenannte Riester-Rente sollen mögliche Versorgungslücken im Alter zumindest teilweise aufgefangen werden. Dies geschieht durch den Aufbau einer kapitalgedeckten Versorgung.
Staatlich gefördert wird aber auch der „Wohn-Riester“, eine Variante des Bausparens, bei der Anleger aus dem Vertrag Kapital für den Kauf oder Bau einer Wohnung erhalten. Sie können den „Wohn-Riester“ aber auch nutzen, um ein Immobilien-Darlehen abzutragen.
Das war geschehen
Ein Ehemann erbte als Alleinerbe von seiner Ehefrau eine durch die Ehefrau errichtete und mit dieser gemeinsam bewohnte Wohnung sowie das durch die Ehefrau zur Finanzierung der Wohnung aufgenommene Darlehen. Zur Tilgung des Darlehens begehrte der Ehemann die Bewilligung der Entnahme von gefördertem Kapital zur wohnungswirtschaftlichen Verwendung aus einem Altersvorsorgevermögen.
Ehemann hatte die Wohnung nicht angeschafft, sondern geerbt
Dies wurde ihm allerdings versagt und zwar mit folgender Begründung: Ein nach dem EStG (§ 92 a Abs. 1 S. 1 Nr. 1) für die wohnungswirtschaftliche Verwendung erforderlicher entgeltlicher Anschaffungsvorgang liege in der Person des Ehemanns nicht vor, da er die Wohnung unentgeltlich im Wege der Erbfolge erworben habe. Dies sah der Ehemann aber anders und klagte. Eine gute Entscheidung, denn das FG Berlin-Brandenburg schloss sich seiner Ansicht an.
Ehemann übernahm Tilgung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge
Die Übernahme eines Darlehens als Nachlassverbindlichkeit begründet zwar keine entgeltliche Anschaffung der finanzierten Wohnung durch den Erben. Allerdings ist die Tilgungsvariante gemäß EStG so auszulegen, dass diese auch in Fällen gilt, in denen ein Erbe ein zur Anschaffung oder Herstellung begünstigten Wohnraums aufgenommenes Darlehen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übernimmt.
Der Wortlaut des o. g. Paragrafen im EStG verlangt zwar die Verwendung des Altersvorsorge-Eigenheimbetrags zur Tilgung eines zu diesem Zweck (also zur Anschaffung oder Herstellung) aufgenommenen Darlehens. Jedoch tritt der Gesamtrechtsnachfolger in die Rechtsstellung des Erblassers dergestalt ein, dass ihm die Anschaffung bzw. Herstellung durch den Erblasser zuzurechnen ist.
Mithin besteht eine ununterbrochene Kausalität zwischen der Tilgung des Darlehens und dem ursprünglich für die Anschaffung oder Herstellung aufgewandten Darlehen.
Bundesfinanzhof muss entscheiden
Die Deutsche Rentenversicherung Bund Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen gibt sich mit dem Urteil nicht zufrieden und hat Revision beim Bundesfinanzhof (BFH) eingelegt.
Quelle | FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.12.2023, 15 K 15045/23, Rev. BFH: X R 2/24
| Beim Berliner Testament setzen sich Ehegatten für den ersten Erbfall gegenseitig als Alleinerben ein und bestimmen die Kinder als Schlusserben (z. B. zu gleichen Teilen). Ziel ist die gerechte Verteilung des Nachlasses zwischen den Kindern, aber zunächst die Versorgung des überlebenden Ehegatten. Die Kinder können das Konstrukt jedoch dadurch aus den Angeln heben, dass sie beim Tod des Erstversterbenden ihre Pflichtteilsansprüche geltend machen. Um dies zu verhindern, kann eine Strafklausel aufgenommen werden, z. B. die sog. Jastrowsche Klausel. Über einen solchen Fall musste nun der Bundesfinanzhof (BFH) entscheiden. Das Urteil zeigt, dass derartige Regelungen zumindest aus erbschaftsteuerlicher Sicht nachteilig sein können. |
Das war geschehen
Die Eltern der Klägerin setzten sich gegenseitig als Alleinerben ein, wobei der überlebende Ehegatte über den Nachlass und sein eigenes Vermögen frei verfügen konnte. Als Erben des überlebenden Ehegatten setzten die Eheleute die Klägerin und drei ihrer Schwestern ein. Ein Bruder und eine weitere Schwester wurden enterbt.
Zudem enthielt das Berliner Testament eine Jastrowsche Klausel. Diese regelte, dass für den Fall, dass eines der Kinder nach dem Tod des zuerst sterbenden Elternteils den Pflichtteil verlangt, dieses Kind auch vom Nachlass des zuletzt sterbenden Elternteils nur den Pflichtteil erhalten soll. Diejenigen Erben, die den Pflichtteil beim Tod des Erstverstorbenen nicht fordern, sollten bei Tod des länger lebenden Ehegatten aus dem Nachlass des Erstverstorbenen ein erst beim Tod des länger lebenden Ehegatten fälliges Vermächtnis in Höhe des Pflichtteils erhalten.
Geschwister machten Pflichtteil geltend
Die enterbten Geschwister der Klägerin machten nach dem Tod des erstverstorbenen Vaters ihren Pflichtteil geltend. Die Klägerin erwarb daher beim Tod des Vaters ein entsprechendes Vermächtnis, das mit dem Tod der Mutter fällig wurde.
Nachdem auch die Mutter verstorben war, setzte das Finanzamt gegenüber der Klägerin Erbschaftsteuer für den Erwerb nach der Mutter fest. Das Vermächtnis rechnete es weder dem Erwerb hinzu noch wurde es als Nachlassverbindlichkeit abgezogen. Die Klägerin war hingegen der Ansicht, das Vermächtnis sei bei ihr doppelt hinzugerechnet worden und deshalb als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig. Dies sah der BFH aber anders.
Vermächtnis nach Tod des Vaters entstanden, aber erst nach dem Tod der Mutter fällig
Der Wert des Vermächtnisses wurde zunächst einmal besteuert, nämlich nach dem Tod des Vaters bei der Mutter als dessen Alleinerbin. Da das Vermächtnis zwar damals bereits entstanden war, aber erst bei dem Tod der Mutter fällig wurde, ging der Nachlass des Vaters ungeschmälert (einschließlich des Vermögens, aus dem das Vermächtnis zu erfüllen war) auf die Mutter über. Die Mutter konnte die Vermächtnisverbindlichkeit bei ihrem Erbe nicht abziehen, weil sie diese Schuld mangels Fälligkeit nicht zu begleichen hatte.
Nach dem Tod der Mutter musste die Klägerin das jetzt fällig gewordene Vermächtnis versteuern.
Als Schlusserbin unterlag bei ihr außerdem der Nachlass nach der Mutter der Erbschaftsteuer. Dort konnte sie die dann fällig gewordene Vermächtnisverbindlichkeit als Nachlassverbindlichkeit abziehen. Das Vermächtnis unterlag bei der Klägerin daher nur einmal der Besteuerung.
Dass hinsichtlich des betagten Vermächtnisses im Ergebnis zweimal Erbschaftsteuer entsteht – einmal (ohne Abzugsmöglichkeit als Nachlassverbindlichkeit) bei der Mutter nach dem Tod des Vaters und ein weiteres Mal bei der Klägerin nach dem Tod der Mutter – ist zwar ungünstig, aus rechtlicher Sicht aber nicht zu beanstanden. Es liegt, so der BFH, an der Jastrowschen Klausel, die das Vermächtnis zwar bei Tod des Erstverstorbenen anfallen, aber erst bei Tod des länger lebenden Ehegatten fällig werden lässt.
Beachten Sie | Wer also ein Berliner Testament aufsetzen möchte, sollte nicht nur die zivilrechtlichen Aspekte, sondern auch die erbschaftsteuerlichen Folgen bedenken.
Quelle | BFH-Urteil vom 11.10.2023, II R 34/20, PM 11/24 vom 27.2.2024
| Das Landgericht (LG) Frankenthal hat die gegen eine Gemeinde gerichtete Schadenersatzklage eines Rennradfahrers abgewiesen, der auf einem Radweg aufgrund von Wurzelschäden gestürzt war. Ein Radfahrer müsse seine Fahrweise so einrichten, dass er sichtbare Hindernisse auf einem Radweg rechtzeitig wahrnehmen und vor ihnen anhalten kann, so das LG. |
Grundsätze der Verkehrssicherungspflicht
Grundsätzlich muss der, der eine Gefahrenquelle (z. B. eine aus dem Boden ragende Baumwurzel) schafft oder eine solche andauern lässt, notwendige und zumutbare Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer zu verhindern (sog. „Verkehrssicherungspflicht“). Er muss Gefahren ausräumen oder vor ihnen warnen.
Ausnahmen von der Verkehrssicherungspflicht
Dies gilt jedoch nur, soweit sie für andere trotz aufmerksamen Verhaltens im Straßenverkehr nicht erkennbar oder nicht beherrschbar sind. Die Anforderungen an die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht für einen Radweg bemessen sich an einem normalen Radfahrer mit einer üblichen Geschwindigkeit.
Rennradfahrer muss besonders vorsichtig sein
Ein Rennradfahrer muss von sich aus besonders vorsichtig fahren, da er mit seinen dünnen Reifen bei Unebenheiten im Boden besonders gefährdet ist. Vorliegend seien die Wurzelschäden nach Ansicht der Kammer gut und rechtzeitig erkennbar gewesen.
Wurzelschäden waren sichtbar
Das LG: Der Wegabschnitt habe auch an anderen Stellen Unebenheiten, wie Bodenschwellen, Risse oder eben Wurzelschäden aufgewiesen, sodass Schäden auch an der Unfallstelle nicht überraschend gewesen sein könnten. Ein konzentrierter Radfahrer hätte sein Fahrverhalten an die vorgefundenen Hindernisse anpassen können und müssen. Aufgrund der ausreichenden Erkennbarkeit der Wurzelschäden sei auch eine Warnung bspw. durch ein Hinweisschild nicht erforderlich gewesen.
Auch ein unter Umständen störendes Licht- und Schattenspiel auf dem Radweg wegen eines ungünstigen Sonnenstands, weswegen der Rennradfahrer das Hindernis nicht erkannt haben will, ändere daran nichts. Auf witterungsbedingte Umstände müsse sich ein Radfahrer einstellen und dementsprechend noch vorsichtiger fahren.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 31.8.2023, 3 O 71/22, PM vom 29.12.2023
| Eine Einbahnstraße darf nur in vorgeschriebener Fahrtrichtung befahren werden. Verboten ist auch das Rückwärtsfahren entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung. Lediglich (unmittelbares) Rückwärtseinparken („Rangieren“) ist – ebenso wie Rückwärtseinfahren aus einem Grundstück auf die Straße – kein unzulässiges Rückwärtsfahren auf Richtungsfahrbahnen gegen die Fahrtrichtung. So stellte es der BGH jetzt fest. |
Demgegenüber ist Rückwärtsfahren auch unzulässig, wenn es dazu dient, erst zu einer (freien oder frei werdenden) Parklücke zu gelangen. Entsprechendes gilt, wenn das Rückwärtsfahren dazu dient, einem Fahrzeug die Ausfahrt aus einer Parklücke zu ermöglichen, um anschließend selbst in diese einfahren zu können.
Der Unfall ereignete sich, als der eine Verkehrsteilnehmer rückwärts aus einer Grundstücksausfahrt in die Einbahnstraße einfuhr, während der andere unzulässig die Einbahnstraße rückwärts befuhr. Der Anscheinsbeweis, dass der, der rückwärts aus einer Grundstücksausfahrt fährt, seinen Sorgfaltspflichten nicht genügt habe, wenn es dabei zu einer Kollision kommt, ist nicht anzuwenden. Denn das verbotene Rückwärtsfahren des Unfallgegners hebt das „typische Geschehen“ auf, das für die Anwendung eines Anscheinsbeweis nötig ist. Der Ausfahrt-Ausfahrer muss grundsätzlich nicht mit einem verbotswidrig die Einbahnstraße rückwärts befahrenden Verkehrsteilnehmer rechnen.
Quelle | BGH, Urteil vom 10.10.2023, VI ZR 287/22
| Wird ein Schüler von einer Klassenfahrt ausgeschlossen, weil er dort unzulässigerweise Alkohol erworben hat, können Erziehungsberechtigte zu den Mehrkosten der verfrühten Rückreise heranzogen werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin entschieden. |
Im Juni 2022 fand eine Klassenfahrt einer 10. Klasse eines Gymnasiums nach München statt. Zuvor hatte sich die Beklagte, Mutter eines minderjährigen Schülers, schriftlich verpflichtet, die Kosten einschließlich etwaiger Zusatzkosten bei vorzeitiger Heimreise zu tragen. Während der Fahrt kauften insgesamt sieben Schüler, darunter der Sohn der Beklagten, zwei Wodkaflaschen, woraufhin sie von der Fahrt ausgeschlossen wurden. Die Beklagte zahlte die hierdurch entstandenen Mehrkosten von 143,60 Euro nicht, woraufhin das Land Berlin sie auf Zahlung verklagte.
Die Klage hatte Erfolg. Der Anspruch auf Kostenerstattung ergebe sich aus dem öffentlich-rechtlichen Vertrag, den die Beteiligten miteinander geschlossen hätten. Dieser Vertrag sei wirksam zustande gekommen. Der Ausschluss sei als Ordnungsmaßnahme nach dem Berliner Schulgesetz ergangen und von der Beklagten nicht angegriffen worden, wodurch die vereinbarte Kostenfolge entstanden sei. Die Forderung einschließlich der geltend gemachten Zinsen sei schließlich der Höhe nach nicht zu beanstanden.
Der Gerichtsbescheid ist rechtskräftig.
Quelle | VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 15.11.2023, VG 3 K191/23, PM 2/24
| Das Landgericht (LG) Frankenthal hat die Klage eines Fahrradbesitzers gegen seine Hausratversicherung wegen eines gestohlenen Fahrrads abgewiesen. Das teure Bike war nach seinen Angaben bei einem Einbruch in den Keller seiner Zweitwohnung entwendet worden. |
Das umfasst die Außenversicherung
Das LG hat klargestellt, dass eine Außenversicherung nur Gegenstände in Zweitwohnungen umfasst, die eigentlich in der Hauptwohnung ihren Platz haben und sich nur vorübergehend außerhalb des Hauptwohnsitzes befinden. Als Erweiterung des grundsätzlich an den Versicherungsort gebundenen Versicherungsschutzes sei es dagegen nicht ihr Sinn und Zweck, Gegenstände zu versichern, die üblicherweise in der Zweitwohnung aufbewahrt werden.
Kein versicherter Hausrat
Weil der Mann sein Fahrrad hauptsächlich im Keller der Zweitwohnung abgestellt hatte und nur in mehrwöchigen Urlaubszeiten mit nach Hause nahm, gehört es nicht zum versicherten Hausrat, der tatsächlich nur vorübergehend außerhalb der Hauptwohnung verbracht worden sei, so das LG. Der Radfahrer blieb deshalb auf dem gesamten Diebstahlschaden seines knapp 5.000 Euro teuren Fahrrads sitzen.
Hausratversicherung bestand nur für die Hauptwohnung
Die Hausratversicherung verweigerte nach Auffassung der Kammer zu Recht den Versicherungsschutz, weil der Radbesitzer die Versicherung nur für seine Hauptwohnung besaß. Außerhalb dieser Hauptwohnung befindliche Sachen waren lediglich über einen sog. „Außenversicherungsschutz“ abgedeckt. Eine gesonderte Hausratversicherung für die Zweitwohnung, ein möbliertes Appartement, in dem er sich üblicherweise werktags aufhielt, hatte der Biker nicht abgeschlossen.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 29.3.2023, 3 O 236/22, PM vom 29.11.2023
| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass die operative Therapie eines grauen Stars im Ausland nicht als Notfallbehandlung zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung qualifiziert werden kann. |
Linsenoperation in türkischer Privatklinik wegen grauem Star
Geklagt hatte eine türkischstämmige Frau (geb. 1965) aus Niedersachsen, die seit dem Jahr 2015 an einem beginnenden Katarakt (grauer Star) der Augen litt. Während eines Urlaubs in der Türkei im Jahr 2019 ließ sie an beiden Augen eine Linsenoperation in einer Privatklinik durchführen. Die entstandenen Kosten von rd. 1.600 Euro wollte die Frau von ihrer Krankenkasse erstattet haben.
Die gesetzliche Krankenkasse – und die private Auslandskrankenversicherung – lehnte eine Erstattung ab. Bei vorübergehenden Auslandsaufenthalten könnten nur Notfallbehandlungen übernommen werden. Ein grauer Star sei jedoch ein schleichender Prozess und kein Notfall.
Hiergegen klagte die Frau und schilderte, dass es in der Türkei mit den Augen so schlimm geworden sei, dass sie gestürzt sei. Ihr sei schwarz vor Augen geworden und sie sei in größter Sorge gewesen, das Augenlicht zu verlieren. Es habe sich um einen Notfall gehandelt. Obwohl sie schon länger an grauem Star erkrankt sei, könne ein „plötzlich bemerkter“ Sehverlust mit einem akuten Sehverlust verwechselt werden.
Gericht bestätigt Rechtsauffassung der Krankenkasse
Das LSG hat die Rechtsauffassung der Krankenkasse bestätigt. Der Anspruch scheitere schon deshalb, weil die Klägerin sich als Privatpatientin in einer Privatklinik habe behandeln lassen. Diesbezügliche Behandlungen seien vom Leistungsumfang generell nicht umfasst.
Keine Notfallbehandlung
Unabhängig davon habe bei der Klägerin kein medizinischer Zustand vorgelegen, der während des Türkei-Urlaubs an beiden Augen aufgetreten sei und einer sofortigen Behandlung bedurft hätte. Der behandelnde Augenarzt habe einen senilen Katarakt, d. h. eine Alterserkrankung diagnostiziert. Eine plötzliche Verschlechterung mit dringender Operationsindikation habe er ausgeschlossen. Ein grauer Star sei eine Alterserkrankung, die durch ein schleichendes Fortschreiten gekennzeichnet sei und nicht durch einen plötzlichen Sehverlust im Sinne eines Notfalls.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19.12.2023, L 16 KR 196/23, PM vom 8.1.2024
| Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat den für zwei große Hunde aus dem Landkreis Günzburg angeordneten Leinenzwang bestätigt. Begründet hat es den Leinenzwang u. a. damit, dass die Hunde nach Aussagen mehrerer Betroffener frei herumlaufen würden. Die vom Kläger gegen den Leinenzwang erhobenen Klagen hatte schon das Verwaltungsgericht (VG) Augsburg abgewiesen. Hiergegen stellte der Kläger beim BayVGH Anträge auf Zulassung der Berufung. |
Das war geschehen
Der Kläger ist Halter zweier Hunde. Mit Bescheiden aus dem Monat Februar 2023 hatte die Verwaltungsgemeinschaft als örtlich zuständige Sicherheitsbehörde für die beiden Hunde einen Leinenzwang angeordnet.
Der BayVGH hat die Anträge abgelehnt und die Urteile des VG bestätigt. Gründe, die eine Zulassung der Berufung rechtfertigen würden, lägen nach Ansicht des BayVGH nicht vor. Es bestünden insbesondere keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Urteile des VG.
Gefahr durch große Hunde
Der Einwand des Klägers, die Hunde seien ungefährlich, greife nicht durch. Nach ständiger Rechtsprechung des BayVGH gehe von freilaufenden großen Hunden auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr in der Regel eine konkrete Gefahr für Eigentum und Gesundheit Dritter aus. Der Leinenzwang sei deshalb bereits allein wegen der Größe der Hunde gerechtfertigt. Grund für die Unterscheidung nach der Größe sei, dass es bei großen unangeleinten Hunden in Wohngebieten regelmäßig mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu unvorhergesehenen Reaktionen von Menschen oder Hunden und damit zu erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit kommen könne. Der Feststellung, dass es sich hier um große Hunde mit einer Schulterhöhe von mindestens 50 Zentimetern handele, habe der Kläger nicht in Zweifel gezogen.
Es gab bereits einen Beißvorfall
Ein Einschreiten sei bei einem der Hunde auch deshalb geboten gewesen, weil es im November 2022 zu einem Beißvorfall gekommen sei. Bei beiden Hunden habe somit eine konkrete und nicht bloß abstrakte Gefahr für die Gesundheit Dritter vorgelegen.
Durch die Beschlüsse des BayVGH wurden die Urteile des VG rechtskräftig.
Quelle | BayVGH, Beschlüsse vom 22.1.2024, 10 ZB 23.1558 u. a., PM vom 30.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Hannover hat jetzt klargestellt: Eine Pauschalreise kann mangelhaft sein, wenn der Reiseveranstalter in einer Hotelanlage entweder nur wenige Poolliegen zur Verfügung stellt oder nicht einschreitet, wenn andere Reisegäste Poolliegen etwa mittels eines Handtuchs längere Zeit reservieren, ohne sie tatsächlich zu nutzen. |
Das war geschehen
Der Kläger buchte für sich und seine Familie eine Pauschalreise zum Preis von insgesamt 5.260 Euro. Das gebuchte Hotel verfügte über sechs Swimmingpools und etwa 500 Poolliegen. Nach den ausgeschilderten Verhaltensregeln war es den Badegästen untersagt, Poolliegen für mehr als 30 Minuten zu reservieren, ohne sie zu nutzen. Tatsächlich war es aber so, dass Badegäste Poolliegen auch länger mit ihren Handtüchern reservierten. Leitung und Personal des Hotels unternahmen nichts dagegen. Der Kläger und seine Familie hingegen hielten sich an die vorgegebenen Verhaltensregeln. Der Kläger rügte mehrfach, dass ihm und seiner Familie deswegen keine Liegen zur Verfügung gestanden hätten. Darin sah der Kläger einen Reisemangel und forderte von dem Reiseveranstalter (der Beklagten) u. a. einen Teil des Reisepreises (798,00 Euro) zurück.
Die Beklagte war der Auffassung, dass es sich um ein friedliches Wettrennen um die begehrten Plätze am Pool mit dem besseren Ende für den sprichwörtlichen „frühen Vogel“ gehandelt habe, nicht aber um einen Reisemangel. Möglicherweise hätten sich nur der Kläger und seine Familie an die Poolregeln gehalten, obwohl sie nicht mit Sanktionen hätten rechnen müssen, wenn der Kläger abends oder seine Lebensgefährtin morgens zum Sonnenaufgang sein Handtuch auf eine Liege gelegt hätte.
Amtsgericht: Pflicht des Reiseveranstalters
Das AG hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger einen Betrag von 322,77 Euro zugesprochen. Dabei hat es angenommen, dass der Reiseveranstalter nicht gehalten ist, jedem Hotelgast eine Liege zur Verfügung zu stellen. Vielmehr müsse die Anzahl der Liegen in einem angemessenen Verhältnis zur Auslastung des Hotels und damit zur Anzahl der Hotelgäste stehen. Stünden zwar genug Liegen zur Verfügung, seien diese für den Reisenden aber faktisch nicht nutzbar, weil andere Hotelgäste entgegen den Verhaltensregeln Poolliegen mit eigenen Handtüchern reservierten, ohne sie zu nutzen, sei der Reiseveranstalter zum Einschreiten verpflichtet.
Gäste mussten nichts selbst unternehmen – Reisepreisminderung von 15 Prozent
Es sei in diesem Zusammenhang auch nicht Sache des Reisenden, selbst für Abhilfe zu sorgen, indem er entweder fremde Handtücher eigenmächtig entferne oder seinerseits entgegen den Verhaltensregeln Liegen reserviere. Dies sei unzumutbar, da Streitigkeiten mit anderen Hotelgästen zu befürchten seien, auf die sich kein Reisender einlassen müsse.
Das Gericht gelangte zu der Überzeugung, dass es dem Kläger und seiner Familie mit Ausnahme des letzten Tages nicht möglich gewesen sei, nach dem Frühstück ab etwa 9.00 Uhr Poolliegen zu nutzen, weil diese entweder belegt, durch Handtücher anderer Badegäste „reserviert“ oder aber defekt gewesen seien. Es hat insoweit eine Reisepreisminderung von 15 Prozent des Tagesreisepreises der ab der erstmaligen Rüge des Klägers betroffenen Tage angenommen.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 20.12.2023, 553 C 5141/23, PM vom 4.1.2023
| Das LG Berlin II hat der Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil des Amtsgerichts (AG) Berlin-Mitte teilweise stattgegeben. Dieses hatte eine von der Vermieterin erhobene Räumungsklage mit der Begründung abgewiesen, die von der Vermieterin ausgesprochene Eigenbedarfskündigung sei formunwirksam. Das LG hat die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Vermieterin – anders als zuvor das AG – zwar für wirksam erachtet, jedoch zugleich die Fortsetzung des Mietverhältnisses für die Dauer von zwei Jahren angeordnet. |
Zweijährige Verlängerung der Mietdauer
Die angeordnete Fortsetzung des Mietverhältnisses für die Dauer von zwei Jahren begründete das LG damit, dass es den beklagten Mietern in dem vorliegenden Fall nicht möglich gewesen sei, angemessenen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen zu beschaffen. Demzufolge können Mieter unter Berufung auf die sog. Sozialklausel des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 574 Abs. 1 und 2 BGB) nach Abwägung mit den Vermieterinteressen unter gewissen Voraussetzungen die Fortsetzung ihres Mietverhältnisses verlangen, auch wenn die zuvor ausgesprochene Kündigung wirksam ist.
Mieter fanden keinen Ersatzwohnraum in Berlin
Das LG hat darauf abgestellt, dass sich die Mieter nach Ausspruch der Eigenbedarfskündigung über einen Zeitraum von fast zwei Jahren auf eine Vielzahl von Wohnungen im gesamten Berliner Stadtgebiet beworben haben, jedoch aufgrund der angespannten Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt sowie des nur noch geringen Angebotes freier Wohnungen mit ihren Bewerbungen keinen Erfolg hatten. Zudem hat das LG bei seiner Entscheidung berücksichtigt, dass auch über das sog. Geschützte Marktsegment (GMS) in absehbarer Zeit kein freier Alternativwohnraum in Berlin für die Mieter zur Verfügung stand.
Schließlich hat das LG auch den Umstand, dass das gesamte Stadtgebiet von Berlin durch eine Mietenbegrenzungsverordnung (MietBegrV Bln) als Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt ausgewiesen ist, als weiteren Beleg für die Richtigkeit des Mietervortrags gewertet und außerdem berücksichtigt, dass der von der Vermieterin geltend gemachte Eigenbedarf nicht besonders dringlich war.
Landgericht: Vertragsbedingungen angepasst und Miete angehoben
Das LG hat bei seiner Entscheidung die bisherigen Vertragsbedingungen von Amts wegen geändert und neben der Anordnung der befristeten Fortdauer des Mietverhältnisses auch die von den Mietern bisher geschuldete Nettokaltmiete auf ein marktübliches Niveau angehoben.
Quelle | LG Berlin II, Urteil vom 25.1.2024, 67 S 264/22, PM 5/24
| Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat entschieden: Ein (notarielles) Testament kann sittenwidrig sein, wenn eine Berufsbetreuerin ihre gerichtlich verliehene Stellung und ihren Einfluss auf einen älteren, kranken und alleinstehenden Erblasser dazu benutzt, gezielt auf den leicht beeinflussbaren Erblasser einzuwirken und ihn dazu zu bewegen, vor einem von ihr herangezogenen Notar in ihrem Sinne letztwillig zu verfügen. |
Das war geschehen
Eine 92 Jahre alte Frau, deren einzige noch lebende Angehörige ihre Tochter war, befand sich wegen ihres Gesundheitszustands ab Anfang September 2022 im Krankenhaus. In den letzten Tagen vor dem Tod ihrer Tochter, die sich zuvor um die Angelegenheiten der Mutter gekümmert hatte, teilten die beiden das Krankenzimmer. Zwei Tage nach dem Tod der Tochter – noch im September 2022 – bestellte das Amtsgericht (AG) für die Frau während des Krankenhausaufenthalts eine Berufsbetreuerin.
Anfang Oktober 2022 erfolgte mit Notarztbegleitung die Einweisung in ein anderes Krankenhaus. Nur kurz war die Frau zwischen den beiden Krankenhausaufenthalten in einer Pflegeeinrichtung untergebracht. Während des zweiten Krankenhausaufenthalts beauftragte die Berufsbetreuerin einen Notar mit der Erstellung eines notariellen Testaments für die Frau. Im Krankenhaus beurkundete der Notar ein Testament der Frau, mit dem sie die Berufsbetreuerin zur Alleinerbin einsetzte. Den Wert des Vermögens gab sie mit 350.000 Euro an. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus – Mitte Oktober 2022 – nahm die Berufsbetreuerin die Frau bei sich zu Hause auf. Vier Tage danach starb die Frau dort eines natürlichen Todes.
Verstoß gegen die guten Sitten
§ 138 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) lautet: Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. Das OLG ist hier davon ausgegangen, dass das notarielle Testament sittenwidrig und damit nichtig ist und die Berufsbetreuerin deshalb hieraus für sich keine Rechte herleiten und insbesondere keinen Erbschein ausgestellt erhalten kann.
Das OLG: Ein notarielles Testament zugunsten einer Berufsbetreuerin kann sittenwidrig sein. Hier sei dies aufgrund des hohen Alters der Erblasserin, ihrer schlechten gesundheitlichen Verfassung, ihrem Gemütszustand nach dem Tod ihrer Tochter, den Umständen im Zusammenhang mit der notariellen Beurkundung sowie dem engen zeitlichen Ablauf zwischen Einrichtung der Betreuung und der Testierung der Fall.
Der Beschluss ist rechtskräftig.
Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 9.1.2024, 6 W 175/23, PM vom 25.1.2024
| Öffnungen in Brandwänden sind unzulässig und deshalb auf Aufforderung der Bauaufsichtsbehörde auch zu verschließen, wenn der angrenzende Nachbar sich mit diesen einverstanden erklärt hat und die Behörde erst nach längerer Zeit gegen den baurechtswidrigen Zustand vorgeht. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Mainz. |
Nachbar stimmte Einbau von Fenstern zu
Das Wohngebäude der klagenden Grundstückseigentümer steht auf der Grenze zum Nachbargrundstück. Die grenzständige Brandwand des Gebäudes wies zunächst an zwei Stellen Glasbauflächen auf. Im Jahr 2009 wurde eine Glasbaufläche durch ein öffenbares Fenster ersetzt, einige Jahre später kam es an der zweiten Stelle zu einem Fenstereinbau. Daraufhin gab der Beklagte, die Bauaufsichtsbehörde, den Klägern auf, die Fenster zu beseitigen und die dabei entstehenden Öffnungen feuerbeständig zu verschließen. Die Kläger wandten sich gegen die Anordnung und machten geltend, der unmittelbar angrenzende Grundstücksnachbar habe schriftlich erklärt, mit den Fenstern einverstanden zu sein. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid im Wesentlichen zurückgewiesen, verlangte aber nur noch einen hochfeuerhemmenden Abschluss der Brandwand. Die Kläger verfolgten die Aufhebung der Anordnung mit einer Klage weiter. Sie führten zusätzlich an, infolge der Zustimmung des Nachbarn und des jahrelangen Nichteinschreitens der Bauaufsichtsbehörde sei bei ihnen ein Vertrauenstatbestand entstanden, der eine baubehördliche Anordnung ausschließe. Das VG wies die Klage ab.
Brandwände: Öffnungen unzulässig
In Brandwänden seien Öffnungen von Gesetzes wegen unzulässig. Von der gesetzlichen Vorgabe dürfe nur ausnahmsweise unter Beachtung des öffentlichen Interesses des Schutzes der Allgemeinheit vor Brandgefahr und des Bauinteresses des Bauherrn abgewichen werden. Das Einverständnis eines Nachbarn zur Abweichung von dem Öffnungsverbot allein mindere das allgemeine Brandschutzbedürfnis nicht, zumal wenn – wie hier – ein weiterer Nachbar durch die betreffende Brandschutzwand gesetzlich geschützt werde, dieser der Baumaßnahme aber nicht zugestimmt habe.
Der Beklagte habe seine Befugnis zum Einschreiten gegen den baurechtswidrigen Zustand auch nicht verwirkt, weil er trotz dessen Kenntnis über längere Zeit hinweg nicht eingeschritten sei. Eingriffsbefugnisse auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr unterlägen nicht der Verwirkung durch die Verwaltung. Die bloße Untätigkeit der Bauaufsichtsbehörde könne auch kein Vertrauen beim Bauherrn begründen, dass die Behörde nicht mehr gegen die rechtswidrige Baumaßnahme vorgehen werde. Die Kläger könnten sich deshalb auch nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen, weil sie eigenmächtig die Glasbausteine durch Fenster ersetzt hätten, ohne zuvor den notwendigen Bauantrag gestellt oder die Baubehörde sonst einbezogen zu haben.
Quelle | VG Mainz, Urteil vom 6.12.2023, 3 K 39/23.MZ, PM 1/24
| Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken hat entschieden: Ein Bauunternehmen kann die zu einem Festpreis vereinbarte Errichtung eines Massivhauses nicht unter Verweis auf unvorhersehbare Materialpreissteigerungen verweigern, wenn es eine Formularklausel in den Bauvertrag eingebracht hat, die ihm eine unbegrenzte einseitige Anpassung der Vergütung ermöglicht. |
Bauvertrag des Bauunternehmens unterzeichnet
Das klagende Ehepaar und das beklagte Bauunternehmen schlossen im Dezember 2020 einen Vertrag, in dem sich das Unternehmen dazu verpflichtete, auf dem Grundstück der Kläger ein Massivhaus zu einem Pauschalpreis von rund 300.000 Euro zu errichten. Hierzu verwendeten die Parteien ein Vertragsmuster des Unternehmens, in dem es heißt, dass beide Seiten bis zum Ablauf eines Jahres ab Vertragsunterzeichnung an den vereinbarten Preis gebunden seien, wenn innerhalb von drei Monaten nach Vertragsschluss mit den Bauarbeiten begonnen werde. Unter Verweis auf diese Bestimmung teilte das Unternehmen den Eheleuten im Juni 2021 mit, dass sich der vereinbarte Preis um etwa 50.000 Euro erhöhe. Es begründete den Schritt mit außerordentlichen und nicht vorhersehbaren Preissteigerungen beim Baumaterial.
Bauherren akzeptierten Preiserhöhung nicht
Das Ehepaar akzeptierte die Preiserhöhung nicht und forderte das Unternehmen seinerseits auf, mit den Bauarbeiten zu beginnen. Auf die Weigerung des Unternehmens erklärten die Eheleute die Vertragskündigung und beauftragten ein anderes Bauunternehmen mit der Errichtung eines Massivhauses zu einem höheren als dem mit der Beklagten vereinbarten Festpreis.
Wer trägt Mehrkosten?
Mit ihrer Klage haben die Eheleute verlangt, festzustellen, dass das beklagte Bauunternehmen verpflichtet ist, ihnen Mehrkosten bei der Errichtung des Hauses zu ersetzen, die deshalb entstehen, weil das Unternehmen sich geweigert hat, den Vertrag zum vereinbarten Preis zu erfüllen.
So entschieden die gerichtlichen Instanzen
Das Landgericht (LG) hat der Klage stattgegeben. Hiergegen hat das Bauunternehmen Berufung eingelegt. Es hat im Wesentlichen geltend gemacht, dass eine Errichtung des Hauses zum ursprünglich vereinbarten Preis existenzbedrohend und ihm daher nicht zumutbar gewesen sei.
Das OLG hat das Bauunternehmen auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung hingewiesen, woraufhin es sein Rechtsmittel zurückgenommen hat. Zur Begründung hat das OLG ausgeführt, dass den Eheleuten der geltend gemachte Ersatz zustehe. Die Weigerung des Unternehmens, zum vereinbarten Preis zu erfüllen, habe sie zur Vertragskündigung und zur Beauftragung eines anderen Unternehmens veranlasst. Hierauf zurückzuführende Mehrkosten des Baus müsse das Unternehmen ersetzen.
Bauunternehmen schuldete den Hausbau zum Festpreis
Das Bauunternehmen habe den Bau des Hauses zum vereinbarten Festpreis geschuldet. Die Preisanpassungsklausel im Vertrag sei unwirksam gewesen. Sie benachteilige die Kunden des Unternehmens unangemessen, wenn es die vereinbarte Vergütung durch die Festlegung der Listenpreise ohne Begrenzung einseitig anheben könne. Die Kunden könnten der Bestimmung bei Vertragsschluss nicht entnehmen, mit Preissteigerungen welchen Umfangs sie zu rechnen hätten.
Bauunternehmen hatte Risikoabsicherung in der Hand
Gerade Besteller eines Neubaus seien darauf aber in besonderem Maße angewiesen. Häufig sei die Finanzierung auf den Festpreis ausgerichtet, sodass schon vermeintlich geringfügige Änderungen die Kunden an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bringen könnten. Das Unternehmen habe die Vertragserfüllung zum vereinbarten Preis auch nicht verweigern dürfen, weil sich die Vertragsgrundlage aufgrund unvorhersehbarer Materialpreissteigerungen geändert habe, denn es habe bei Vertragsschluss die Möglichkeit gehabt, sich mit einer Bestimmung gegen dieses Risiko abzusichern, die auch den Interessen seiner Kunden Rechnung getragen hätte.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 13.7.2023, 5 U 188/22, PM vom 15.2.2024
| Nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) haben Betriebsräte Anspruch auf für die Betriebsratsarbeit erforderlichen Schulungen, deren Kosten der Arbeitgeber tragen muss. Davon können Übernachtungs- und Verpflegungskosten für ein auswärtiges Präsenzseminar auch dann erfasst sein, wenn derselbe Schulungsträger ein inhaltsgleiches Webinar anbietet. So entschied es das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Arbeitgeberin verweigerte Erstattung von Übernachtungs- und Verpflegungskosten
Bei der Arbeitgeberin – einer Fluggesellschaft – ist durch Tarifvertrag eine Personalvertretung (PV) errichtet, deren Schulungsanspruch sich nach dem BetrVG richtet. Die PV entsandte zwei ihrer Mitglieder zu einer mehrtägigen betriebsverfassungsrechtlichen Grundlagenschulung Ende August 2021 in Potsdam. Hierfür zahlte die Arbeitgeberin die Seminargebühr, verweigerte aber die Übernahme der Übernachtungs- und Verpflegungskosten.
Dies begründete sie vor allem damit, die Mitglieder der PV hätten an einem zeit- und inhaltsgleich angebotenen mehrtägigen Webinar desselben Schulungsanbieters teilnehmen können. In dem von der PV eingeleiteten Verfahren hat diese geltend gemacht, dass die Arbeitgeberin auch die Übernachtungs- und Verpflegungskosten tragen muss. Hierzu haben die Vorinstanzen die Arbeitgeberin verpflichtet.
Bundesarbeitsgericht: Betriebsrat hat Spielraum
Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Ebenso wie ein Betriebsrat hat die PV bei der Beurteilung, zu welchen Schulungen sie ihre Mitglieder entsendet, einen gewissen Spielraum. Dieser umfasst grundsätzlich auch das Schulungsformat. Dem steht nicht von vornherein entgegen, dass bei einem Präsenzseminar im Hinblick auf die Übernachtung und Verpflegung der Schulungsteilnehmer regelmäßig höhere Kosten anfallen als bei einem Webinar.
Quelle | BAG, Beschluss vom 7.2.2024, 7 ABR 8/23, PM 5/24
| Wer mit einem äußerst scharfen Filetiermesser hantiert, muss besonders sorgfältig agieren, um Verletzungen von Kollegen auszuschließen. Nicht jeder Fehlgebrauch rechtfertigt aber eine Kündigung ohne vorherige einschlägige Abmahnung. Dies hat – wie bereits zuvor das Arbeitsgericht (ArbG) Lübeck – auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein entschieden. |
Kollegin Messer an den Hals gehalten
Der 29-jährige Kläger ist bei der Beklagten seit Juni 2019 als Industriemechaniker beschäftigt. Am 1.6.2022 arbeitete er mit einer Mitarbeiterin und einem Mitarbeiter an einem Probierstand. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger der Mitarbeiterin ein Filetiermesser mit einer Klingenlänge von 20 cm mit einem Abstand von 10 bis 20 cm an den Hals hielt und damit deren Leib und Leben bedrohte. Die Beklagte kündigte dem Kläger daraufhin am 14.7.2022 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.10.2022.
Kündigungsschutzklage erfolgreich
Die Kündigungsschutzklage des Klägers war in zwei Instanzen erfolgreich. Sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung waren unwirksam. Es fehlte an einem hinreichenden Kündigungsgrund. Zwar kommt eine ernstliche Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben u. a. von Arbeitskollegen als „an sich“ wichtiger Grund für eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung in Betracht. Dies setzt aber voraus, dass der Arbeitnehmer mit dem Willen handelt, dass der Kollege die Drohung zur Kenntnis nimmt und als ernst gemeint auffasst.
Vorsatz war nicht nachzuweisen
Selbst den Vortrag der Beklagten als zutreffend unterstellt, konnte jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts auf einen bedingten Vorsatz beim Kläger geschlossen werden. Vielmehr war es auch möglich, dass der Kläger das Messer schlicht in der rechten Hand haltend sich mit dem Oberkörper zur Mitarbeiterin gedreht hat und bei dieser Drehbewegung dessen rechte Hand mit dem Messer nahe an deren Hals gelangt ist.
Verhältnismäßigkeit muss gewahrt werden
Die Kündigungen konnten auch nicht darauf gestützt werden, dass der Kläger allein durch das Hantieren mit dem Messer Leib und Leben der Mitarbeiterin objektiv und fahrlässig gefährdet hat. Der unsachgemäße Umgang mit einem Messer stellt zwar eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar. Diese hätte nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz den Ausspruch einer fristlosen oder fristgerechten Kündigung nur gerechtfertigt, wenn der Kläger zuvor wegen einer ähnlichen Pflichtverletzung abgemahnt worden wäre. Insbesondere steht auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht zur Überzeugung des Landesarbeitsgerichts fest, dass der Kläger das Messer bewusst und aktiv an den Hals der Mitarbeiterin gehalten hat.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 13.7.2023, 5 Sa 5/23
| Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gekündigt worden, ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. So sieht es das Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 KSchG) vor. Diesen Grundsatz hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf jetzt noch einmal bekräftigt. |
Das war geschehen
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 1.2.2012 beschäftigt. Die Beklagte beschäftigte in ihrem einzigen Betrieb zuletzt knapp 600 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Am 1.3.2022 wurde über das Vermögen der Beklagten das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet. Der Sachwalter und der Gläubigerausschuss stimmten der Einstellung der Geschäftstätigkeit zum 31.12.2022 zu.
Nachdem die Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs am 24.11.2022 durch Spruch der Einigungsstelle für gescheitert erklärt wurden, stellte die Beklagte am 28.11.2022 Anträge auf behördliche Zustimmungen zur betriebsbedingten Kündigung nach dem SGB IX (schwerbehinderte Menschen) und BEEG (Elternzeit). Den Beschäftigten wurde die Gelegenheit eingeräumt, in eine Transfergesellschaft zu wechseln. Im Dezember 2022 sprach die Beklagte gegenüber allen Beschäftigten betriebsbedingte Beendigungskündigungen aus, soweit das Ende des Arbeitsverhältnisses nicht aus anderen Gründen feststand.
Alle Mitarbeitenden, auch der Kläger, wurden ab dem 1.1.2023 unwiderruflich freigestellt. Ausgenommen waren die Beschäftigten des Abwicklungsteams, das ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Anlage 53 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer umfasste, wobei gegenüber dreizehn Personen Kündigungen zum 31.3.2023 und gegenüber den übrigen vierzig Personen Kündigungen zum 30.6.2023 ausgesprochen wurden. Das Arbeitsverhältnis des Klägers kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 16.12.2022 zum 31.3.2023.
Erfolgreiche Kündigungsschutzklage nicht aufgrund Gesetzeslage ...
Die vom Kläger hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hatte vor dem LAG Düsseldorf ebenso wie zuvor beim Arbeitsgericht (ArbG) Solingen Erfolg. Dies folgte zwar nicht aus § 17 KSchG i. V. m. § 134 BGB wegen einer nicht ordnungsgemäßen Massenentlassungszeige. Etwaige Fehler in diesem Zusammenhang stellen keinen Unwirksamkeitsgrund dar, weil Zweck der Anzeige nicht der Individualschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist.
...sondern aufgrund fehlerhafter Sozialauswahl
Die Kündigung war indes aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) rechtsunwirksam, wie es bereits das ArbG zutreffend ausgeführt hatte. Bei einer etappenweisen Betriebsstillegung hat der Arbeitgeber keine freie Auswahl, wem er früher oder später kündigt. Es sind grundsätzlich die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit den Abwicklungsarbeiten zu beschäftigen.
Fehlerhafte Vergleichsgruppen
Die Beklagte hatte hier die Sozialauswahl methodisch fehlerhaft durchgeführt, weil sie die Vergleichsgruppen fehlerhaft gebildet hatte. So hatte sie diese u. a. anhand der ursprünglich ausgeübten Tätigkeiten gebildet. Sie hätte die soziale Auswahl stattdessen anhand der noch im Abwicklungsteam anfallenden Tätigkeiten vornehmen müssen, zu denen die Beklagte nur unvollständig vorgetragen hatte. Es fehlte weitgehend an Vortrag dazu, welche Aufgaben mit welcher Dauer im Abwicklungsteam anfielen, welche Anforderungsprofile dafür erforderlich waren und wie auf dieser Grundlage ein Vergleich vorgenommen werden soll. Die daraus folgende Vermutung der fehlerhaften Sozialauswahl hatte die Beklagte auch in zweiter Instanz nicht widerlegt.
Das LAG hat die Revision nicht zugelassen.
Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 9.1.2024, 3 Sa 529/23, PM 2/24
| Oft müssen sich die Gerichte mit den Voraussetzungen für einen Investitionsabzugsbetrag (IAB nach § 7 g Einkommensteuergesetz [EStG]) beschäftigen. Jüngst haben es zwei Verfahren (Vorinstanz: Finanzgericht (FG) Niedersachsen) mit dieser Frage bis vor den Bundesfinanzhof (BFH) geschafft: Ist für die Gewinngrenze der Steuerbilanzgewinn oder ein um außerbilanzielle Effekte (wie nichtabziehbare Betriebsausgaben sowie einkommensteuerfreie Einnahmen) korrigierter Gewinn relevant? |
Gewinngrenze von 200.000 Euro
Hintergrund: Für die künftige (Investitionszeitraum von drei Jahren) Anschaffung oder Herstellung von abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens (beispielsweise Maschinen) können bis zu 50 % der voraussichtlichen Anschaffungs-/Herstellungskosten gewinnmindernd abgezogen werden. Da der Gesetzgeber durch diese Steuerstundungsmöglichkeit vor allem Investitionen von kleinen und mittleren Betrieben erleichtern will, darf der Gewinn 200.000 Euro nicht überschreiten.
Das war geschehen
In einem Fall des FG Niedersachsen betrug der Bilanzgewinn 189.821 Euro und lag damit unter der (in § 7 g EStG normierten) Grenze von 200.000 Euro. Dennoch versagte das Finanzamt die Bildung eines IAB, da es nach der Hinzurechnung der Gewerbesteuer (vgl. hierzu § 4 Abs. 5 b EStG) von 25.722 Euro auf einen über dem Grenzbetrag liegenden Gewinn von 215.543 Euro kam.
Unterschiedliche Sichtweisen
Die Frage, wie der Gewinn (nach § 7 g Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG) zu ermitteln ist, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt. Hierzu werden (vereinfacht) zwei Meinungen vertreten:
Bundesfinanzministerium: keine Berücksichtigung von Abzügen und Hinzurechnungen
Für das Bundesfinanzministerium (BMF) ist Gewinn der Betrag, der ohne Berücksichtigung von Abzügen und Hinzurechnungen (gemäß § 7 g Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 EStG) der Besteuerung zugrunde zu legen ist; außerbilanzielle Korrekturen der Steuerbilanz sowie Hinzu-/Abrechnungen bei der Einnahmen-Überschussrechnung sind zu berücksichtigen.
Gegenteilige Position: allein steuerbilanzieller Gewinn „zählt“
Teile des Schrifttums vertreten indes die Position, dass allein auf den steuerbilanziellen Gewinn abzustellen ist, was im Streitfall zu einem günstigeren Ergebnis führen würde. Auch für das FG Baden-Württemberg ist der Steuerbilanzgewinn relevant – und nicht der Gewinn i. S. des § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG. Eine Korrektur um außerbilanzielle Positionen findet nicht statt.
Beachten Sie | Das FG Niedersachsen hat sich der Ansicht des BMF angeschlossen. Weil hiergegen die Revision anhängig ist, können Steuerpflichtige in geeigneten Fällen Einspruch einlegen.
Quelle | FG Niedersachsen, Urteile vom 9.5.2023, 2 K 202/22, Rev. BFH: X R 16/23 und 2 K 203/22, Rev. BFH: X R 17/23; BMF-Schreiben vom 15.6.2022, IV C 6 - S 2139-b/21/10001 :001; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 2.5.2023, 10 K 1873/22, Rev. BFH: III R 38/23
| Zwei unterschiedliche Urteile zum Schadenersatz für immaterielle Schäden bei verspäteter Auskunft nach der Datenschutz-Grundverordnung (hier: Art. 15 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 12 DS-GVO) lassen aufhorchen. So hat das Arbeitsgericht (ArbG) jetzt verbraucherfreundlich entschieden, während das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf unternehmensfreundlich war. |
Arbeitsgericht Duisburg: „Unverzüglichkeit“ entscheidend
Das ArbG Duisburg entschied, dass einem Kläger, der sich am 14.3.2017 auf eine Stelle bei dem beklagten Unternehmen beworben und über sechs Jahre später (am 18.5.2023) erstmals Auskunft über ihn dort gespeicherte personenbezogene Daten verlangt hat, eine Geldentschädigung von 750 Euro (verlangt waren 2.000 Euro) zusteht. Dies geschah, obwohl das Unternehmen schon am 5.6.2023 die Auskunft in Form eines Negativattests erteilte – also innerhalb der gesetzlichen Monatsfrist (gemäß Art. 12 Abs. 3 DS-GVO).
Das ArbG sah die Auskunft nicht als „unverzüglich“ im Sinne dieser Vorschrift an. Die dortige Monatsfrist sei nicht als Regel- sondern als Höchstfrist zu verstehen. Sie dürfe nicht routinemäßig, sondern nur in schwierigen Fällen und bei Hinzutreten besonderer Umstände ausgeschöpft werden.
Hier habe das Unternehmen auch keine konkreten Anhaltspunkte vorgetragen, die eine Überschreitung dieser Zeitspanne rechtfertigen würden. Bei der Schadenersatzbemessung hat das ArbG berücksichtigt, dass die gesetzliche Frist nicht erheblich überschritten sei. Eine objektive Dringlichkeit der Anfrage sechs Jahre nach der Bewerbung sei unerheblich.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf: keine datenschutzrechtsverletzende Datenverarbeitung
Da LAG Düsseldorf sieht dies jedoch anders: Es sprach einem Anspruchsteller trotz verspäteter Auskunft durch Überschreiten der Monatsfrist einen Schadenersatzanspruch ab.
Ein Verstoß gegen Art. 15 DS-GVO falle schon nicht in den Anwendungsbereich des Art. 82 DS-GVO. Es fehle an einer gegen die DS-GVO verstoßenden Datenverarbeitung bei einer rein verzögerten Datenauskunft oder einer anfänglich unvollständigen Erfüllung des Auskunftsbegehrens. Darüber hinaus liege allein in der schlagwortartigen Behauptung eines solchen „Kontrollverlusts“ über personenbezogene Daten auch keine Darlegung eines immateriellen Schadens.
Quelle | ArbG Duisburg, Urteil vom 3.11.2023, 5 Ca 877/23; LAG Düsseldorf, Urteil vom 28.11.2023, 3 Sa 285/23, PM 29/23
| Das Landgericht (LG) München hat ein Handelsunternehmen für Getränke dazu verurteilt, es zu unterlassen, das von ihm vertriebene Bier als WUNDERBRAEU zu bezeichnen, wenn dies in Zusammenhang mit einer auf der Bierflasche abgedruckten Münchner Adresse geschieht, an der das Bier jedoch nicht gebraut wird. Dies stelle eine Herkunftstäuschung dar. Zudem muss das beklagte Unternehmen in Zukunft die Bewerbung des Biers mit „CO2 positiv“ bzw. „klimaneutrale Herstellung“ auf der Bierflasche unterlassen. Die Bewertungsmaßstäbe, aufgrund derer diese Äußerungen getroffen würden, seien auf den Etiketten der Flaschen nicht hinreichend transparent offengelegt. |
Irreführende Bezeichnung des Biers
Die Beklagte hatte argumentiert, dass die Bezeichnung „WUNDERBRAEU“ für sich nicht irreführend sei. Zudem habe sie ihren Verwaltungssitz an der angegebenen Münchner Adresse und es sei gesetzlich vorgeschrieben, die Adresse auf der Flasche abzudrucken.
Dem folgte das LG nicht. Die für sich gesehen nicht eindeutige Bezeichnung „WUNDERBRAEU“ sei jedenfalls mit der auf dem rückwärtigen Etikett enthaltenen Adresse einer für Brauereien bekannten Straße in München irreführend. Durch die fragliche Aufschrift werde ein Bezug des Produkts mit einer Anschrift in München hergestellt, obwohl dort unstreitig nicht die Produktionsstätte, sondern allein der Sitz des Handelsunternehmens sei. Zwar möge die Bezeichnung für sich gesehen auch für die Beklagte als Vertriebsunternehmen zulässig sein und die Angabe auch insgesamt den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Das ändere aber nichts daran, dass die Aufschrift im Zusammenhang den Eindruck erwecke, die angegebene Anschrift bezeichne den Herkunftsort des Produktes selbst. Dies sei unzulässig.
Eine Täuschung über die Herkunft des Bieres sei auch geeignet, die Entscheidung der Verbraucherinnen und Verbraucher zu beeinflussen.
Diese Bezeichnung mit Klimabezug ist verboten
Die weiteren, von dem klagenden Verband beanstandeten Angaben „CO2 positiv“ und „klimaneutrale Herstellung“ stellen laut Gericht ebenfalls eine unzulässige Irreführung dar und wurden dem beklagten Unternehmen deshalb, so wie es die Angaben verwendet hatte, verboten.
Die Beklagtenseite hatte angeführt, dass ein QR-Code auf der Flasche zu den gewünschten Informationen über die Bedeutung der beanstandeten Angaben zur Klimabilanz führe. Dies reichte dem LG nicht aus. Gerade in der heutigen Zeit, in der Unternehmen in den Verdacht des sogenannten „Greenwashing“ kämen und in dem Ausgleichsmaßnahmen kontrovers diskutiert würden, sei es wichtig, die Verbraucher über die Grundlagen der jeweiligen werbenden Behauptung aufzuklären. Verbraucher hätten daher ein maßgebliches Interesse daran, inwieweit behauptete Klimaneutralität durch Einsparungen oder durch Ausgleichsmaßnahmen und, wenn ja, durch welche Ausgleichsmaßnahmen erreicht würden. Daher müssten den Verbrauchern die Bewertungsmaßstäbe für die werbenden Angaben „CO2 positiv“ und „klimaneutrale Herstellung“ auf der Bierflasche offengelegt werden.
Letztendlich bestünden zudem erhebliche Zweifel daran, ob die auf der Website des beklagten Unternehmens aufgeführten Informationen ausreichend wären. Denn genaue Angaben zur berechneten Klimabilanz und Angaben darüber, in welchem Umfang die Klimaneutralität durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werden sollen und in welchem Umfang durch Einsparung, fänden sich dort gerade nicht.
Quelle | LG München I, Urteil vom 8.12.2023, 37 O 2041/23, PM 32/23
| Der Anleger eines Investmentfonds muss als Investmentertrag u. a. die Vorabpauschale nach § 18 des Investmentsteuergesetzes (InvStG) versteuern. Geregelt ist dies in § 16 Abs. 1 Nr. 2 InvStG. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nun den Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale 2024 veröffentlicht. |
Hintergrund: Nach § 16 Abs. 1 InvStG sind Erträge aus Investmentfonds (Investmenterträge)
- Ausschüttungen des Investmentfonds,
- Vorabpauschalen und
- Gewinne aus der Veräußerung von Investmentanteilen.
Die Vorabpauschale ist der Betrag, um den die Ausschüttungen eines Investmentfonds innerhalb eines Kalenderjahrs den Basisertrag für dieses Kalenderjahr unterschreiten. Die Vorabpauschale gilt (nach § 18 Abs. 3 InvStG) beim Anleger am ersten Werktag des folgenden Kalenderjahrs als zugeflossen.
Der Basiszins ist aus der langfristig erzielbaren Rendite öffentlicher Anleihen abzuleiten. Dabei ist auf den Zinssatz abzustellen, den die Deutsche Bundesbank anhand der Zinsstrukturdaten jeweils auf den ersten Börsentag des Jahres errechnet. Das BMF muss den maßgebenden Zinssatz im Bundessteuerblatt veröffentlichen. Der Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale für das Jahr 2024 beträgt 2,29 %.
Ob es infolge der Vorabpauschale tatsächlich zu einer Steuerbelastung kommt, hängt von mehreren Faktoren ab. Beispielsweise ist ein erteilter Freistellungsauftrag für Kapitalerträge (maximal 1.000 Euro; bei Zusammenveranlagung von Ehegatten: 2.000 Euro) zu berücksichtigen.
Eine Steuerbelastung setzt ferner voraus, dass der Basiszins positiv ist. Aufgrund des negativen Basiszinses für die Jahre 2021 und für 2022 wurde insoweit auch keine Vorabpauschale erhoben.
Beachten Sie | Der ermittelte Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale für das Jahr 2023 beträgt 2,55 %. Eine etwaige steuerliche Belastung erfolgte zum Jahresbeginn 2024.
Quelle | BMF, Schreiben vom 5.1.2024, IV C 1 - S 1980-1/19/10038 :008; BMF, Schreiben vom 4.1.2023, IV C 1 - S 1980-1/19/10038: 007
| Das Bundeszentralamt für Steuern hat am 7.2.2024 mitgeteilt, dass das Zuwendungsempfängerregister ab sofort online zur Verfügung steht. |
Das Zuwendungsempfängerregister umfasst alle Organisationen, die berechtigt sind, ihren Spendern Zuwendungsbestätigungen auszustellen. Somit bietet das Register u. a. eine einfache Möglichkeit, sich über den Gemeinnützigkeitsstatus von Organisationen zu informieren.
| In Betriebsprüfungen gibt es oft Streit, ob Fahrtenbücher als ordnungsgemäß anzuerkennen sind. Aktuell hat das Finanzgericht (FG) Düsseldorf Folgendes entschieden: Ein elektronisches Fahrtenbuch erfüllt nicht die Anforderungen an den Nachweis des tatsächlichen Umfangs der Privatnutzung eines betrieblichen Kfz, wenn nachträgliche Veränderungen an den zu einem früheren Zeitpunkt eingegebenen Daten nicht in der Datei selbst, sondern in externen Protokolldateien dokumentiert werden. Dem Erfordernis des zeitnahen Führens eines Fahrtenbuchs wird nicht genügt, wenn die – zwischenzeitlich auf Notizzetteln festgehaltenen – Eintragungen erst mehrere Tage oder Wochen nach Abschluss der betreffenden Fahrten vorgenommen werden. |
Quelle | FG Düsseldorf, Urteil vom 24.11.2023, 3 K 1887/22 H[L]
| Zu den Werbungskosten zählt auch die zur vorzeitigen Ablösung eines Darlehens gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung, soweit die Schuldzinsen mit den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Dieser Zusammenhang besteht, wenn bereits im Zeitpunkt der Veräußerung eines Grundstücks anhand objektiver Umstände der endgültige Entschluss feststellbar ist, mit dem nach der vorzeitigen Darlehensablösung verbleibenden Verkaufserlös wiederum konkret bestimmtes Grundvermögen mit dem Ziel anzuschaffen, hieraus Vermietungseinkünfte zu erzielen. Dies hat das Finanzgericht (FG) Köln entschieden. |
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ergibt sich ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit den Vermietungseinkünften aus einem neuen Objekt allenfalls dann, wenn der Steuerpflichtige bereits bei der Veräußerung – z. B. im Kaufvertrag selbst oder zumindest beim Abschluss des Kaufvertrags – im Vorhinein so unwiderruflich über den verbleibenden Restkaufpreis verfügt, dass er ihn unmittelbar zum Erzielen von Vermietungseinkünften mit einem bestimmten Objekt festlegt.
Beachten Sie | Verbleibende Zweifel gehen zulasten des Steuerpflichtigen, denn er trägt die Feststellungslast für die den Steueranspruch mindernden Tatsachen.
Infolge dieser restriktiven Rechtsprechung kam im Streitfall des FG Köln kein Werbungskostenabzug in Betracht. Denn der Steuerpflichtige hatte den überschießenden Verkaufserlös (also Verkaufspreis abzüglich abzulösendes Darlehen) zunächst selbst vereinnahmt und dann zur Teilrückführung einzelner Darlehen verwendet.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | FG Köln, Urteil vom 19.10.2023, 11 K 1802/22
| Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen hat sich mit der Frage befasst, ob eine Influencerin Aufwendungen für Kleidung und Accessoires steuerlich geltend machen kann. Die Entscheidung fiel zu ungunsten der Steuerpflichtigen aus. |
Das war geschehen
Eine Steuerpflichtige betrieb auf verschiedenen Social-Media-Kanälen und über eine Website einen Mode- und Lifestyleblog und erstellte hierzu Fotos und Stories. Zusätzlich zu den Waren, die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit von verschiedenen Firmen erhalten hatte, um sie zu bewerben, erwarb sie diverse Kleidungsstücke und Accessoires (beispielsweise Handtaschen namhafter Marken). Die Influencerin wollte die Aufwendungen für die Kleidungsstücke und Accessoires als Betriebsausgaben bei ihrer gewerblichen Tätigkeit berücksichtigen.
Argumentation: Keine Abgrenzung zwischen privater und betrieblicher Nutzung möglich
Das Finanzamt verwehrte den Betriebsausgabenabzug mit der Begründung, dass sämtliche Gegenstände auch privat genutzt werden können und eine Abgrenzung der privaten zur betrieblichen Sphäre nicht möglich sei. Insbesondere habe die Steuerpflichtige nicht dargelegt, in welchem Umfang sie die Kleidungsstücke und Accessoires jeweils für private oder betriebliche Zwecke genutzt hatte.
Die hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos.
Finanzgericht: Abzugsverbot für Aufwendungen zur Lebensführung
Das FG Niedersachsen war ebenfalls der Meinung, dass eine Trennung zwischen privater und betrieblicher Sphäre bei gewöhnlicher bürgerlicher Kleidung und Mode-Accessoires nicht möglich ist. Gemäß Einkommensteuergesetz (§ 12 Nr. 1 EStG) folgt insoweit ein Abzugsverbot für Aufwendungen für die Lebensführung der Steuerpflichtigen, die ihre wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung mit sich bringt, auch wenn die Aufwendungen zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit der Steuerpflichtigen erfolgen.
Beachten Sie | Es kommt nicht darauf an, wie die Steuerpflichtige die Gegenstände konkret genutzt hat. Allein die naheliegende Möglichkeit der Privatnutzung von bürgerlicher Kleidung und Mode-Accessoires führt dazu, dass eine steuerliche Berücksichtigung ausgeschlossen ist.
Zudem handelt es sich bei den von der Influencerin erworbenen Gegenständen nicht um typische Berufskleidung, für die ein Betriebsausgabenabzug möglich ist. Hierunter fallen nur solche Kleidungsstücke, die nach ihrer Beschaffenheit objektiv nahezu ausschließlich für die berufliche Nutzung bestimmt und geeignet und wegen der Eigenart des Berufs nötig sind, bzw. bei denen die berufliche Verwendungsbestimmung bereits aus ihrer Beschaffenheit entweder durch ihre Unterscheidungsfunktion oder durch ihre Schutzfunktion (z. B bei Arbeitsschuhen) folgt.
Beachten Sie | Der Beruf einer Influencerin bzw. Bloggerin ist insoweit nicht anders zu beurteilen als sonstige Berufe. Ob die Kleidungsstücke und Mode-Accessoires tatsächlich ausschließlich betrieblich genutzt werden, ist unbeachtlich. Somit war die Aufklärung des Umfangs der tatsächlichen privaten Nutzung der Kleidung nicht entscheidend.
Quelle | FG Niedersachsen, Urteil vom 13.11.2023, 3 K 11195/21
| Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Bei einem Unfall, der in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Einfahren von einer Parkbucht in den Straßenverkehr stattfindet, gilt das einfahrende Fahrzeug als Verursacher, wenn eine weitere Aufklärung nicht möglich ist. |
Der Fahrer eines zuvor in einer Parkbucht am Straßenrand stehenden Fahrzeugs ist mit diesem in den Straßenverkehr eingefahren. Hierauf kam es zu einer Kollision mit einem dort in gleicher Richtung fahrenden Wagen. Über den Unfallhergang machten die Beteiligten jeweils unterschiedliche Angaben.
Das AG hat entschieden, dass der Verkehrsunfall vollständig von dem einfahrenden Fahrzeug verursacht wurde. Zwar ließ sich das Geschehen überwiegend nicht mehr aufklären, allerdings habe derjenige, der vom Straßenrand in den Verkehr einfährt, nach der Straßenverkehrsordnung besonders darauf zu achten, dass er andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet.
Aufgrund der zeitlichen und örtlichen Nähe des Unfallgeschehens zu dem Einfahren des parkenden Fahrzeugs in den Straßenverkehr bestehe daher der Anschein, dass dessen Fahrer nicht ausreichend auf den Verkehr geachtet und somit den Unfall herbeigeführt habe. Dafür spreche zudem, dasss eine Version des Unfallgeschehens, er sei bereits einige Zeit auf der Straße gefahren, mit dem Schadensbild nicht in Einklang zu bringen sei. Zudem habe der Fahrer selbst erklärt, das andere Fahrzeug erst durch den Anstoß bemerkt zu haben, was darauf hinweise, dass er das Verkehrsgeschehen beim Losfahren von dem Parkplatz nicht ausreichend beobachtet habe.
Quelle | AG Hanau, Urteil vom 5.6.2023, 39 C 329/21 (19)
| Kindergeld für sich selbst können Kinder nur erhalten, wenn sie Vollwaise sind oder den Aufenthalt der Eltern nicht kennen. Kein Kindergeld beanspruchen kann ein Kind, wenn es gelegentlich mit seiner Mutter im Ausland telefonieren und sich dabei nach ihrem Aufenthaltsort erkundigen kann. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) jetzt entschieden. |
Regelmäßige Telefonate
Der Kläger hatte Kindergeld für sich selbst beansprucht mit der Begründung, er kenne den Aufenthalt seiner Mutter nicht. Diese hatte sich Ende 2017 auf die Flucht begeben und zunächst jeweils nur für kurze Dauer an verschiedenen Orten in Syrien gelebt, zuletzt in der Nähe von Damaskus. Allerdings hatte der Kläger in seinem Kindergeldantrag angegeben, zwei- bis dreimal monatlich mit ihr zu telefonieren. Dadurch hatte er zumindest die zumutbare Möglichkeit, sich nach dem aktuellen Aufenthaltsort seiner Mutter zu erkundigen.
Voraussetzungen der Aufenthaltskenntnis
Ein Kind kennt den Aufenthalt seiner Eltern, wenn es weiß, an welchem für ihn bestimmbaren Ort sich seine Eltern oder zumindest ein Elternteil aufhalten. Auf die Kenntnis einer postalischen Adresse oder eines „verstetigten“ Aufenthalts kommt es dagegen nicht an, weil sich seit Einführung des Kindergelds für „alleinstehende Kinder“ im Jahr 1986 die Kommunikationsmöglichkeiten und -gewohnheiten durch Internet und Mobilfunk grundlegend verändert haben. Für die erforderliche Aufenthaltskenntnis genügt es zudem, wenn aus Sicht des Kindes die zumutbare Möglichkeit besteht, innerhalb eines angemessenen Zeitraums Kontakt mit seinen Eltern aufzunehmen. Die Kenntnis fehlt erst, wenn Dauer und Ausmaß der Unkenntnis über den Verbleib der Eltern den endgültigen Verlust der Eltern-Kind-Beziehung wie bei einer Vollwaise befürchten lassen.
Quelle | BSG, Urteil vom 14.12.2023, B 10 KG 1/22 R, PM 46/23
| Ein Versicherungsnehmer, der nach einer verbalen Auseinandersetzung im Straßenverkehr einem anderen, für ihn erkennbar schwerbeschädigten Verkehrsteilnehmer in den Rücken schlägt und diesen dadurch zu Fall bringt, nimmt regelmäßig dessen schwere Gesundheitsbeschädigung in Kauf. Als Folge kann sich sein Haftpflichtversicherer auf einen Leistungsausschluss berufen. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Dresden entschieden. |
Auseinandersetzung im Straßenverkehr
Auseinandersetzungen im Straßenverkehr enden immer häufiger damit, dass ein oder mehrere Beteiligte verletzt werden. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung regelt das nicht unbedingt die Haftpflichtversicherung.
Versicherung darf Leistung verweigern
Der Versicherer ist nämlich nach dem Versicherungsvertragsgesetz (hier: § 103 VVG) nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen Schaden herbeigeführt hat.
Einzelfall entscheidend
Ob die Versicherung tatsächlich leistungsfrei ist, entscheidet sich anhand des jeweiligen Einzelfalls. Dazu muss vorgetragen werden, wie sich der Vorfall ereignete und was genau Auslöser der schadenstiftenden Handlung war. Es ist nämlich ein Unterschied, ob es sich um eine Angriffs- oder Verteidigungshandlung handelte.
Quelle | OLG Dresden, Urteil vom 29.6.2023, 4 U 2626/22
| Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das einen Fluggast im Voraus darüber unterrichtet hat, dass es ihm gegen seinen Willen die Beförderung auf einem Flug verweigern werde, für den er über eine bestätigte Buchung verfügt, muss diesem einen Ausgleich zahlen. Das gilt selbst, wenn er sich nicht unter den in der Fluggastrechteverordnung (hier: Art. 3 Abs. 2 FluggastrechteVO) genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden hat. So sieht es der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). |
Fluggast ohne Information umgebucht
Der EuGH zeigt sich damit – wieder einmal – verbraucherfreundlich. Im konkreten Fall hatte die Fluggesellschaft einen Fluggast umgebucht, ihn aber nicht darüber informiert. Auf seine Rückfrage wurde ihm zugleich mitgeteilt, dass er für den gebuchten Rückflug gesperrt sei, weil er zum umgebuchten Flug nicht erschienen sei. Es sei nicht mehr möglich, den Rückflug anzutreten.
Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung
Der EuGH hat darüber hinaus entschieden, dass dem Fluggast zwar bei Annullierung eines Flugs u. U. kein Ausgleichsanspruch zusteht. Dies gelte aber nicht, wenn ein Fluggast – wie im Fall des EuGH für den Rückflug – mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit darüber unterrichtet wurde, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen ihn gegen seinen Willen nicht befördern werde. Ihm steht dann ein Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung i. S. d. Art. 4 der FluggastrechteVO zu.
Quelle | EuGH, Urteil vom 26.10.2023, C-238/22
| Das Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat der Verfassungsbeschwerde eines verbeamteten Lehrers stattgegeben, die sich gegen eine Durchsuchungsanordnung richtete. |
Das war geschehen
Gegen den Lehrer wurde wegen des Verdachts der Beleidigung von zwei Polizeibeamten ermittelt. Um Informationen über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu erlangen, ordnete das Amtsgericht (AG) an, seine Wohnung zu durchsuchen. Der Lehrer gewährte den die Durchsuchungsanordnung vollziehenden Beamten Eintritt in seine Wohnung und übergab ihnen verschiedene Unterlagen. Das Strafverfahren endete mit einer Einstellung gegen Zahlung einer Geldauflage.
Verletzung von Grundrechten
Die Anordnung der Durchsuchung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach dem Grundgesetz (Art. 13 Abs. 1 GG). Sie war unverhältnismäßig. Angesichts grundrechtsschonender, alternativer Ermittlungshandlungen stand eine Durchsuchung außer Verhältnis zur Schwere der verfolgten Straftat.
Zwar war die Durchsuchung nicht bereits deshalb unzulässig, weil lediglich die Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers ermittelt werden sollten. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft müssen sich nämlich auch auf Umstände beziehen, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind. Dazu zählen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten zwecks Bestimmung der Tagessatzhöhe.
Lehrer hätte zuerst befragt werden müssen
Naheliegend und grundrechtsschonend wäre es gewesen, zunächst den Beschwerdeführer über seinen Verteidiger zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu befragen. Eine solche Nachfrage hätte im Streitfall mit realistischer Wahrscheinlichkeit dazu geführt, ausreichende Informationen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu erlangen. Auch die Gefahr eines Beweismittelverlustes bestand nicht.
Anfrage an Besoldungsstelle als Alternative
Als naheliegende und grundrechtsschonende Alternative zu einer Wohnungsdurchsuchung wäre aber auch eine Anfrage bei der Besoldungsstelle des Beschwerdeführers nach dem von dort bezogenen Einkommen in Betracht gekommen. Durch eine solche Anfrage sind zwar nicht zwingend Informationen zu allen Einkünften zu erlangen. Das Strafgesetzbuch (hier: § 40 Abs. 3 StGB) erfordert aber – zumal in Fällen der kleineren Kriminalität – auch nicht die Ausschöpfung aller Beweismittel, wenn ansonsten die fachrechtlichen Voraussetzungen für eine Schätzung der Einkünfte vorliegen. Durchsuchungen zur Ermittlung der für die Bestimmung der Tagessatzhöhe entscheidenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten sind daher grundsätzlich nur verhältnismäßig, wenn anhand der übrigen zur Verfügung stehenden Beweismittel keine Schätzung möglich ist.
Weitere alternative Anfragen möglich
Hätten sich Staatsanwaltschaft und AG mit den durch die genannten Maßnahmen zu erlangenden Informationen zum Einkommen des Beschwerdeführers nicht begnügen wollen, wären darüber hinaus eine Abfrage bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und anschließende Bankanfragen in Betracht gekommen. Auch insoweit handelt es sich im Vergleich zur angeordneten Durchsuchung um eine meist weniger grundrechtsintensive Maßnahme.
Quelle | BVerfG, Beschluss vom 15.11.2023, 1 BvR 52/23, PM 115/23
| In einem Nachbarschaftsstreit sah das Amtsgericht (AG) München in dem Aufstellen einer Kamera auf dem Nachbargrundstück eine Persönlichkeitsrechtsverletzung und untersagte dies der Antragsgegnerin. |
Überwachungs- oder Wildkamera?
Die Parteien sind unmittelbare Nachbarn in München und stritten über eine im April 2022 auf der Terrasse der Antragsgegnerin aufgestellte Wildüberwachungskamera, die von der Terrasse der Antragstellerin aus sichtbar war. Die Antragstellerin wehrte sich hiergegen unter Verweis auf ihre Persönlichkeitsrechte und forderte die Antragsgegnerin im Juli 2022 u. a. auf, die Videoüberwachung zu beenden und künftig zu unterlassen. Die Antragsgegnerin verweigerte dies mit der Begründung, dass es sich nicht um eine Videoüberwachung, sondern um eine sogenannte Wild-Kamera handeln würde. Es ginge ausschließlich um die Kontrolle des eigenen Gartens.
Kamera musste entfernt werden
Zunächst erließ das AG im einstweiligen Rechtsschutz auf Antrag der Antragstellerin eine einstweilige Verfügung. Danach wurde es dieser untersagt, auf ihrem Grundstück eine Überwachungskamera aufzustellen, die die Terrasse oder den Garten der Antragstellerin erfasst oder erfassen kann oder den Eindruck hiervon erweckt. Anschließend entfernte die Antragsgegnerin die Kamera.
Einstweilige Verfügung war rechtens
Auf Antrag der Antragstellerin bestätigte das AG dann mit einem Urteil die einstweilige Verfügung. Die vormals aufgestellte Kamera habe die Antragstellerin in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Kamera tatsächlich ausschließlich den Bereich der Antragsgegnerin erfasst hat oder nicht. Denn es komme insoweit auf die Umstände des Einzelfalls an. Die Befürchtung, durch vorhandene Überwachungsgeräte überwacht zu werden, sei gerechtfertigt, wenn sie aufgrund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit oder aufgrund objektiv Verdacht erregender Umstände. Lägen solche Umstände vor, könne das Persönlichkeitsrecht des (vermeintlich) Überwachten schon wegen der Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch Videokameras und ähnliche Überwachungsgeräte beeinträchtige hingegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen nicht, die dadurch betroffen sein könnten.
Hypothetische Möglichkeit der Überwachung ausreichend für Beseitigungsanspruch
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs habe die Antragstellerin einen Anspruch auf Beseitigung der Kamera und entsprechende Unterlassung der etwaigen weiteren Installation einer vergleichbaren Kamera. Nach Ansicht der Lichtbilder sei das Gericht der Überzeugung, dass die Antragstellerin zu der Ansicht gelangen konnte, dass ihr Grundstück von der Kamera erfasst werde. Es handelte sich nicht mehr um die rein hypothetische Möglichkeit der Überwachung.
Der Sachverhalt habe sich zwar mittlerweile maßgeblich verändert, da die Kamera entfernt worden sei. Weiterhin habe die Antragsgegnerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass sie nicht die Absicht habe, eine weitere Kamera aufzustellen. Dieser Umstand allein kann aber nicht ausreichen, eine Wiederholungsgefahr aufzuheben.
Quelle | AG München, Urteil vom 1.2.2023, 171 C 11188/22, PM 43/23
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über die Frage entschieden, ob ein Anspruch des Mieters auf Gestattung der Gebrauchsüberlassung an einen Dritten (Untervermietung) auch im Fall einer Einzimmerwohnung gegeben sein kann. Er hat den Anspruch des Mieters bestätigt. |
Das war geschehen
Der Mieter einer in Berlin gelegenen Einzimmerwohnung bat mit Schreiben von März 2021 seinen Vermieter wegen eines beruflichen Auslandsaufenthalts um die Gestattung der Untervermietung an eine namentlich benannte Person vom 15.6.2021 bis zum 30.11.2022. Die Vermieter lehnten dies ab.
Mit der im Mai 2021 erhobenen, auf die Erlaubnis der Untervermietung „eines Teils der Wohnung“ an den bezeichneten Untermieter gerichteten Klage hat der Mieter vorgetragen, er wolle für die Dauer seiner berufsbedingten Abwesenheit einen Teil der Wohnung an die benannte Person untervermieten, jedoch persönliche Gegenstände weiter in der Wohnung lagern. Während seines Auslandaufenthalts lagere er seine in der (untervermieteten) Wohnung verbliebenen persönlichen Gegenstände dort in einem Schrank und einer Kommode sowie in einem am Ende des Flurs gelegenen, durch einen Vorhang abgetrennten, nur von ihm zu nutzenden Bereich von der Größe eines Quadratmeters. Ferner blieb er im Besitz eines Wohnungsschlüssels.
Die Klage hatte beim Amtsgericht (AG) keinen Erfolg. Auf die Berufung des Mieters hat das Landgericht (LG) die Vermieter antragsgemäß verurteilt, die Untervermietung „eines Teils der Wohnung“ an die vom Mieter benannte Person zu gestatten. Mit der Revision begehren die Vermieter die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
So entschied der Bundesgerichtshof
Die Revision der Vermieter hatte keinen Erfolg. Der BGH hat entschieden, dass dem Mieter ein Anspruch auf Gestattung der befristeten, teilweisen Gebrauchsüberlassung an den von ihm benannten Dritten zusteht.
Wie der Senat in der Vergangenheit bereits (zu Wohnungen mit mehreren Zimmern) entschieden hat, stellt das Bürgerliche Gesetzbuch (hier: § 553 Abs. 1 BGB) weder quantitative Vorgaben hinsichtlich des beim Mieter verbleibenden Anteils des Wohnraums noch qualitative Anforderungen bezüglich dessen weiterer Nutzung durch den Mieter auf. Von einer Überlassung eines Teils des Wohnraums an einen Dritten im Sinne des § 553 Abs. 1 BGB ist daher regelmäßig bereits auszugehen, wenn der Mieter den Gewahrsam an dem Wohnraum nicht vollständig aufgibt.
Danach kann ein Anspruch des Mieters gegen den Vermieter auf Gestattung der Gebrauchsüberlassung an einen Dritten auch bei einer Einzimmerwohnung gegeben sein. Ein Ausschluss von Einzimmerwohnungen aus dem Anwendungsbereich des § 553 Abs. 1 BGB ergibt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut, der Gesetzesgeschichte noch aus dem mieterschützenden Zweck der Vorschrift. Letzterer liefe für Mieter einer Einzimmerwohnung andernfalls gänzlich leer. Sachgerechte Gründe dafür, solche Mieter insoweit als weniger schutzwürdig anzusehen als Mieter einer Mehrzimmerwohnung, erschließen sich indes nicht, denn auch dem Mieter einer Einzimmerwohnung kann es, namentlich bei – wie hier – befristeter Abwesenheit, darum gehen, sich den Wohnraum zu erhalten.
Die Beurteilung des LG, dass der Mieter dem Untermieter die Einzimmerwohnung nur teilweise überlassen wollte, ist laut BGH nicht zu beanstanden. Der Mieter hat seinen Gewahrsam an der Wohnung nicht vollständig aufgegeben. Denn er hat persönliche Gegenstände in der Wohnung in Bereichen zurückgelassen, die seiner alleinigen Nutzung vorbehalten waren, und sich den Zugriff hierauf zudem durch Zurückbehaltung eines Wohnungsschlüssels gesichert. Hinzu tritt der Wille des Mieters, die Wohnung nur für die Zeit seines Auslandsaufenthalts teilweise einem Dritten zu überlassen.
Quelle | BGH, Urteil vom 13.9.2023, VIII ZR 109/22, PM 158/2023 vom 14.9.2023
| Eine Grabbeigabe (Goldkette und Eheringe) durch den Testamentsvollstrecker ist auch bei einer Auswirkung auf ein Vermächtnis nicht grob pflichtwidrig. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. |
Testamentsvollstrecker kam Wunsch der Erblasserin nach
Die Erblasserin errichtete mit ihrem verstorbenen Ehemann ein gemeinschaftliches Testament. Sie setzten unter anderem ihre gemeinsamen Kinder, die Beteiligten zu 1) bis 3), als Erben zu gleichen Teilen ein und vermachten der Beteiligten zu 3) vorab den Schmuck der Erblasserin. Später ordnete die Erblasserin in einer notariellen Ergänzung Testamentsvollstreckung an und bestimmte den Beteiligten zu 2) zum Testamentsvollstrecker.
Der Beteiligte zu 2) legte der Erblasserin – seiner Behauptung zufolge auf deren Wunsch – die Eheringe der Erblasserin und ihres Ehemannes an einer Goldkette mit ins Grab, obwohl sich die Beteiligten zu 1)und zu 3) mit der Grabbeigabe der Goldkette zuvor nicht einverstanden erklärt hatten. Dies veranlasste den Beteiligten zu 1), die Entlassung des Beteiligten zu 2) aus dem Amt des Testamentsvollstreckers zu beantragen. Das Nachlassgericht hat den Antrag nach Vernehmung verschiedener Zeugen zurückgewiesen.
So sah es das Oberlandesgericht
Die hiergegen eingelegte Beschwerde hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Ein Testamentsvollstrecker begeht keine grobe Pflichtverletzung, sofern er die Eheringe und eine Kette der Erblasserin auf deren Wunsch ihr mit ins Grab legt, auch wenn er dadurch einem angeordneten Vermächtnis teilweise nicht nachkommen kann. Das OLG hat die Beschwerde einer Tochter der Erblasserin zurückgewiesen.
Zu Recht habe das Amtsgericht (AG) eine als grob zu wertende Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers verneint. Es fehle bereits an dem Nachweis einer Pflichtverletzung. Der Beteiligte zu 1) habe nicht nachweisen können, dass die Grabbeilage nicht auf Wunsch der Erblasserin erfolgt sei. Die Erblasserin sei nicht gehindert gewesen, noch zu ihren Lebzeiten einer Vertrauensperson den rechtsverbindlichen Auftrag zu erteilen, die Goldkette nebst den Eheringen nach ihrem Tod als Grabbeigabe zu verwenden. Dieser insoweit als gegeben zu unterstellende geäußerte Wunsch der Erblasserin sei als – wirksamer – Auftrag zu deren Lebzeiten an den Beteiligten zu 2) zu verstehen. Diesen Auftrag hätten allenfalls alle drei Erben widerrufen können. Dies sei nicht geschehen.
Es lag eine Pflichtenkollision vor
Die aus dem Vermächtnis einerseits und dem Auftrag der Erblasserin andererseits resultierende Pflichtenkollision habe der Testamentsvollstrecker zugunsten einer Grabbeigabe entscheiden können, ohne dass dies als objektiv pflichtwidriger Verstoß gegen die Pflichten als Testamentsvollstrecker zu werten ist. Darüber hinaus sei selbst eine unterstellte Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers nicht schwerwiegend.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 19.12.2023, 21 W 120/23, PM 77/23
| Der Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Wohngebäudes an der Grundstücksgrenze fehlt es an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse, wenn eine Baulast im Baulastenverzeichnis eingetragen ist, die für den Grenzbereich die Freihaltung von jeglicher Bebauung regelt. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Mainz. |
Baulast seit 40 Jahren eingetragen
Die Klägerin stellte einen Bauantrag zur Errichtung eines Wohngebäudes an der Grenze zum Nachbargrundstück. Im Baulastenverzeichnis ist seit mehr als 40 Jahren eine Baulast eingetragen, nach der das Baugrundstück der Klägerin in der Länge eines (seinerzeit geplanten und genehmigten) Anbaus an ein Wohngebäude auf dem Nachbargrundstück und in einer Breite von drei Metern von jeglicher Bebauung freizuhalten ist.
Unter Hinweis auf diese Baulastregelung lehnte der Beklagte, die Baugenehmigungsbehörde, den im vereinfachten Genehmigungsverfahren gestellten Bauantrag ab. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage, mit der sie u. a. die Erteilung der Baugenehmigung beanspruchte. Sie machte im Wesentlichen geltend, die Baulast sei hinsichtlich der Länge der freizuhaltenden Fläche unbestimmt und deshalb unwirksam. Jedenfalls sei die Baulast in dem Baulastenverzeichnis zu löschen, weil zwischenzeitlich in der Umgebung nahezu auf allen Grundstücken grenzständige Bauten entstanden seien. Das VG wies die Klage ab.
Kein Rechtsschutzbedürfnis gegeben
Es fehle der Klage an einem sog. Rechtsschutzinteresse. Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren sei der Prüfungsumfang der Bauaufsichtsbehörde gesetzlich beschränkt. So seien Vorschriften nach der Landesbauordnung grundsätzlich nicht zu prüfen. Dementsprechend blieben auch eingetragene Baulasten generell unberücksichtigt.
Baulast war unmissverständlich
Gleichwohl sei die Baubehörde im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht verpflichtet, bauordnungsrechtliche Fragen gänzlich auszublenden. So dürfe sie im vereinfachten Verfahren die Erteilung einer Baugenehmigung versagen, wenn das Bauvorhaben offensichtlich gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften verstoße und deshalb nicht verwirklicht werden könne. So sei es hier. Die in Rede stehende Baulast enthalte die unmissverständliche Aussage, dass der Grenzbereich auf dem Klägergrundstück, auf dem das geplante Wohngebäude zu stehen kommen solle, von jeglicher Bebauung freizuhalten sei. Unter verständiger objektiver Würdigung sei auch bestimmbar, in welcher Länge das Bauverbot gelte: Diese ergebe sich aus den seinerzeitigen Baugenehmigungsunterlagen zu dem Nachbaranbau. Sei eine Baulast in das Baulastenverzeichnis eingetragen, entfalte sie ihre Wirksamkeit. Sie sei – anders als bei einer hier nicht gegebenen Nichtigkeit – nicht ständig auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen.
Bauantragsteller muss handeln
Erst im Fall der Eintragung eines (allerdings in einem eigenem Verwaltungsverfahren nach Wegfall eines öffentlichen Interesses durch die Bauaufsichtsbehörde auszusprechenden) Verzichts auf die Baulast entfalle ihre Wirksamkeit. Es sei Sache des Bauantragstellers, ein solches Verzichtsverfahren (ggf. nach zivilrechtlicher Abklärung von Nachbarrechtspositionen) anzustoßen. Die Baugenehmigungsbehörde sei indes nicht verpflichtet, mit der Bescheidung eines Bauantrags zuzuwarten, bis der Erteilung der Baugenehmigung entgegenstehende Hindernisse ausgeräumt seien.
Quelle | VG Mainz, Urteil vom 6.12.2023, 3 K 47/23.MZ, PM 2/24
| Die Naturschutzbehörden sind grundsätzlich befugt, gegenüber Betreibern bestandskräftig genehmigter Windenergieanlagen nachträgliche Anordnungen zur Verhinderung von Verstößen gegen das artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsverbot gemäß des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) zu treffen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage nach Genehmigungserteilung wesentlich geändert hat. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden. |
Zeitweise Abschaltung der Anlage
Die Klägerin wendet sich gegen nachträgliche zeitliche Beschränkungen des Betriebs ihrer bestandskräftig genehmigten Windenergieanlagen, die die Beklagte gestützt aus Gründen des Fledermausschutzes angeordnet hat. Die im Jahr 2006 erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung enthält keine Betriebsbeschränkungen zum Schutz von Fledermäusen. Nachdem später Totfunde verschiedener Fledermausarten im Bereich der Anlagen gemeldet und Bestandserfassungen zu Fledermäusen angestellt worden waren, verfügte die Beklagte unter näheren Maßgaben zu meteorologischen Rahmenbedingungen eine nächtliche Abschaltung der Anlagen vom 15. April bis zum 31. August eines Jahres. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen.
Wenn sich die Sach-oder Rechtslage ändert, sind nachträgliche Anordnungen möglich
Das BVerwG hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Eine bestandskräftige immissionsschutzrechtliche Genehmigung steht nachträglichen artenschutzrechtlichen Anordnungen auf der gesetzlichen Grundlage (hier: § 3 Abs. 2 BNatSchG) nicht generell entgegen. Das BNatSchG (§ 44 Abs. 1 Nr. 1) begründet eine unmittelbare und dauerhafte Verhaltenspflicht, die auch bei Errichtung und Betrieb immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Windenergieanlagen zu beachten ist.
Zwar ist aufgrund der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung der Anlagenbetrieb auch als rechtmäßig anzusehen. Das gilt aber nur in den Grenzen der auf den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung bezogenen Feststellungswirkung der Genehmigung, wonach die genehmigte Anlage mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar ist. Aufgrund der Anknüpfung an den Genehmigungszeitpunkt erstreckt sich diese Feststellungswirkung nicht auf nachträgliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage, wie im vorliegenden Fall. Die streitige Anordnung bewirkt auch keine – der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörde vorbehaltene – (Teil-)Aufhebung der Genehmigung.
Es war rechtlich auch einwandfrei, so das BVerwG, dass das OVG hier einen Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG bejaht hat, weil durch den Betrieb der Windenergieanlagen das Tötungs- und Verletzungsrisiko von Exemplaren der besonders geschützten Fledermausarten signifikant erhöht sei.
Quelle | BVerwG, Urteil vom 19.12.2023, 7 C 4.22, PM 95/23
| Stiehlt ein Polizist nach einem Verkehrsunfall Käse, ist er aus dem Dienst zu entfernen. So entschied es das Verwaltungsgericht (VG) Trier. |
Das war geschehen
Ein Lkw hatte einen Unfall. Der Polizeibeamte, der eine Uniform und eine Dienstwaffe trug, verlangte von der Bergungsfirma, aus der verunfallten Ladung neun unbeschädigte Packungen Käse herauszugeben. So geschah es. Diese Pakete verlud der Polizist mit einer Kollegin in einen Einsatzbus und deckte sie ab. U. a. ein knappes Viertel des Käses fand sich später in der Polizeistation des Beamten. Seine Erklärung: Der Gutachter der Versicherung habe den Käse freigegeben. Es habe sich quasi um Müll gehandelt. Was er verschwieg: Der Käse wurde später noch zum Restwert verkauft.
Verwaltungsgericht „kennt keine Gnade“
Der Polizist kam zwar vor dem Strafgericht „mit einem blauen Auge“ davon. Das VG, bei dem es um disziplinarische Maßnahmen gegen den Beamten ging, entfernte ihn aus dem Dienst. Er habe während der Dienstzeit in Uniform einen Diebstahl mit Waffen begangen. Das VG verhängte daher die Höchstmaßnahme. Das VG betonte: Einem Polizisten, der in Uniform stiehlt, könne man nicht mehr glauben, dass er sich an Recht und Gesetz hält.
Das VG bewertete es als besonders negativ, dass der Beamte das Vertrauen in die Polizei ausgenutzt hatte, indem er der Bergungsfirma falsche Tatsachen vorgespiegelt hatte. Hinzu kamen Lügen gegenüber seinen Vorgesetzten. Unerheblich sei es, falls der Käse nur als Geschenk an Kollegen dienen sollte.
Quelle | VG Trier, Urteil vom 18.1.2024, 3 K 1752/23 TR
| Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern hat jetzt klargestellt: Beschreibt der Arbeitgeber das Arbeitsumfeld als „jung und dynamisch“, bezieht sich dies auf den Arbeitsplatz. Es wird kein Bewerber wegen seines Alters ausgeschlossen.|
Ein Tankstellenpächter suchte in einem Zeitungsinserat wie folgt nach einem neuen Mitarbeiter: „Wir sind ein junges und dynamisches Team mit Benzin im Blut und suchen Verstärkung.“ Anschließend folgten Einzelheiten zu Anforderungen und Gehalt. Die konkreten Arbeitsbedingungen wurden beschrieben. Der 50-jährige Kläger bewarb sich erfolglos. Eingestellt wurde ein 48-jähriger Mann. Der Kläger forderte eine Entschädigung. Die Stellenanzeige enthalte eine Altersdiskriminierung. Damit scheiterte er in erster und zweiter Instanz.
Das LAG stellte fest: Das Inserat formulierte keine Anforderungen, die den Kläger wegen seines Alters von einer Bewerbung hätte abhalten sollen. Hier lag vielmehr eine werbende Eigendarstellung vor. Es handele sich um eine überspitzte, ironische, nicht ernsthaft gemeinte, in der Form eines Werbeslogans gehaltene Beschreibung des Arbeitsumfeldes. Das LAG: Einzelne Begriffe, z. B. „jung“, herauszupicken und auf sich selbst zu beziehen, sei nicht zulässig, zumal die konkreten Anforderungen an die Bewerber im Inserat deutlich beschrieben wurden.
Quelle | LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 17.10.2023, 2 Sa 61/23
| Der Kläger war seit dem 1.7.2018 als Rezeptionist in einem Beherbergungsbetrieb tätig und regelmäßig in der Spätschicht eingesetzt. Er hatte am 12.1.2022 sein Hybridauto vor der Herberge geparkt und über ein Ladekabel an einer 220 Volt-Steckdose im Flur des Seminartrakts aufgeladen. Nachdem die Beklagte dies entdeckt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis am 14.1.2022 fristlos. Hiergegen hatte der Kläger sich mit seiner Kündigungsschutzklage gewandt und in erster Instanz obsiegt. In dem vom Arbeitgeber angestrengten Berufungsverfahren haben die Parteien ihren Streit vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf nun per Vergleich beigelegt. |
Unerlaubtes Laden an sich ein Kündigungsgrund
In der mündlichen Verhandlung bestätigte das LAG, dass das unerlaubte Laden des Privatfahrzeugs auf Kosten des Arbeitgebers an sich ein Kündigungsgrund ist. Dies gilt erst recht, wenn das Laden an einer 220 Volt-Steckdose und nicht an einer Wallbox oder eingerichteten Ladestation erfolgt.
Erteilte Erlaubnis war unklar
Das LAG hatte allerdings bereits Zweifel, ob von einem unerlaubten Laden auszugehen sei. Dazu hätte ggf. die Beweisaufnahme erster Instanz zur Frage der gegenüber dem Kläger erteilten Erlaubnis wiederholt werden müssen.
Hier hätte Abmahnung ausgereicht
Unabhängig davon sprach nach Ansicht des LAG mehr dafür, dass hier eine Abmahnung ausgereicht hätte. Eine Kündigung wäre wohl unverhältnismäßig gewesen.
„Schaden“ von rund 40 Cent
So lagen die Kosten für den Ladevorgang am 12.1.2022 bei lediglich 0,4076 Euro. Ein Verbot zum Laden von Elektromotoren für die Mitarbeitenden existierte nicht. Die Hausordnung, die dies vorsah, richtete sich ausdrücklich nur an Gäste. Das Laden anderer elektronischer Geräte, z. B. Handys, durch Mitarbeitende wurde geduldet. Auch wenn dies wertungsmäßig etwas anderes als das Laden eines Hybridautos ist, hätte im konkreten Fall angesichts der bislang beanstandungsfreien Beschäftigungszeit eine Abmahnung genügt.
Am Ende verglichen sich die Parteien
Auf Vorschlag des Gerichts haben sich die Parteien u. a. auf eine ordentliche Kündigung zum 28.2.2022 und eine Abfindung von 8.000 Euro brutto geeinigt.
Quelle | LAG Düsseldorf, Vergleich vom 19.12.2023, 8 Sa 244/23, PM 32/23
| Der Beweiswert von (Folge-)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann erschüttert sein, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen, und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun klargestellt. |
War der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert?
Der Kläger war seit März 2021 als Helfer bei der Beklagten beschäftigt. Er legte am Montag, dem 2.5.2022, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 2. bis zum 6.5.2022 vor. Anfang Mai kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.5.2022. Mit Folgebescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 wurde Arbeitsunfähigkeit bis zum 20.5.2022 und bis zum 31.5.2022 (einem Dienstag) bescheinigt. Ab dem 1.6.2022 war der Kläger wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung auf. Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Beweiswert der vorgelegten AU-Bescheinigungen sei erschüttert. Dem widersprach der Kläger, weil die Arbeitsunfähigkeit bereits vor dem Zugang der Kündigung bestanden habe. Die Vorinstanzen haben der auf Entgeltfortzahlung gerichteten Klage für die Zeit vom 1. bis zum 31.5.2022 stattgegeben.
Gesetzliches Beweismittel
Die Revision der Beklagten hatte teilweise – bezogen auf den Zeitraum vom 7. bis zum 31.5.2022 – Erfolg. Ein Arbeitnehmer kann die von ihm behauptete Arbeitsunfähigkeit mit ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachweisen. Diese sind das gesetzlich vorgesehene Beweismittel.
Arbeitgeber kann Beweiswert erschüttern
Deren Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die nach einer Gesamtbetrachtung Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geben. Hiervon ausgehend ist das Landesarbeitsgericht (LAG) bei der Prüfung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die während einer laufenden Kündigungsfrist ausgestellt werden, zutreffend davon ausgegangen, dass für die Erschütterung des Beweiswerts dieser Bescheinigungen nicht entscheidend ist, ob es sich um eine Kündigung des Arbeitnehmers oder eine Kündigung des Arbeitgebers handelt und ob für den Beweis der Arbeitsunfähigkeit eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden.
Einzelfall ist zu würdigen
Stets erforderlich ist allerdings eine einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände. Hiernach hat das Berufungsgericht richtig erkannt, dass der Beweiswert für die Bescheinigung vom 2.5.2022 nicht erschüttert ist. Eine zeitliche Koinzidenz zwischen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und dem Zugang der Kündigung ist nicht gegeben. Der Kläger hatte zum Zeitpunkt der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine Kenntnis von der beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses, etwa durch eine Anhörung des Betriebsrats. Weitere Umstände hat die Beklagte nicht dargelegt. Bezüglich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 ist der Beweiswert dagegen erschüttert. Das LAG hatte insoweit nicht ausreichend berücksichtigt, dass zwischen der in den Folgebescheinigungen festgestellten passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestand und der Kläger unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen hat. Dies hat zur Folge, dass der Kläger nun für die Zeit vom 7.5.bis zum 31.5.2022 die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch trägt.
Da das LAG – aus seiner Sicht konsequent – hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückzuverweisen.
Quelle | BAG, Urteil vom 13.12.2023, 5 AZ R 137/23, PM 45/23
Abschließende Hinweise
| Der Bundesfinanzhof hat entschieden: Kostenerstattungen eines kirchlichen Arbeitgebers an seine Beschäftigten für die Erteilung erweiterter Führungszeugnisse, zu deren Einholung der Arbeitgeber zum Zwecke der Prävention gegen sexualisierte Gewalt kirchenrechtlich verpflichtet ist, führen nicht zu Arbeitslohn. |
Die Einholung der erweiterten Führungszeugnisse durch die Arbeitnehmer erfolgte aufgrund einer nur die kirchlichen Rechtsträger, nicht aber die Arbeitnehmer treffenden (kirchenrechtlichen) Verpflichtung.
Durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasste, zu Lohn führende Zuwendungen erbringt der Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern aber regelmäßig nicht, wenn er ausschließlich eine eigene, insbesondere nicht gegenüber den Arbeitnehmern bestehende Verpflichtung erfüllt.
Die zur Erfüllung einer entsprechenden Verpflichtung entstehenden Kosten wendet der Arbeitgeber in einer solchen Konstellation im eigenen Interesse auf. Sie sind Ausfluss seiner eigenbetrieblichen Tätigkeit.
Beachten Sie | Haben die Arbeitnehmer die vom Arbeitgeber für dessen eigenbetriebliche Tätigkeit zu tragenden Kosten (wie im Streitfall) zunächst aus eigenen Mitteln verauslagt, wendet der Arbeitgeber ihnen mit der Erstattung ihrer Aufwendungen keinen Vorteil zu, der sich im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweisen könnte.
Quelle | BFH, Urteil vom 8.2.2024, IV R 19/22
| Nach dem neuen Partnerschaftsgesetz (hier: § 2 Abs. 1 PartGG), das am 1.1.2024 in Kraft getreten ist, muss der Name der Partnerschaft nur noch den Zusatz „und Partner“ oder „Partnerschaft“ enthalten. Die Aufnahme des Namens mindestens eines Partners ist nicht mehr erforderlich. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Der Zwang zur Benennung mindestens eines Partners ist zum Jahreswechsel entfallen. Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass die grundsätzlich zu schützende Vertrauensbeziehung zwischen Freiberufler und Auftraggeber es jedenfalls aus gesellschaftsrechtlicher Sicht nicht erfordert, dass der Name der Partnerschaftsgesellschaft den Namen mindestens eines Partners enthalten muss. Hinzu kommt, dass die Identifizierung der Partnerschaftsgesellschaft mit dem Namen der Partner weitgehend an Bedeutung verloren hat.
Quelle | BGH, Beschluss vom 6.2.2024, II ZB 23/22
| Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken bestätigte, dass in einer Tageszeitung anlässlich einer damals anstehenden Neuwahl des Ortsvorstehers zulässig über die erstinstanzliche strafrechtliche Verurteilung eines lokalen Bauunternehmers berichtet worden sei, der mit zwei der Kandidaten verwandt ist. |
Das war geschehen
Eine große pfälzische Tageszeitung berichtete in ihrer Online-Ausgabe vom 30.6.2023 und in ihrer Print-Ausgabe vom 1.7.2023 über die damals anstehende Neuwahl eines Ortsvorstehers. Diese war notwendig geworden, weil der bisherige Ortsvorsteher nach diversen Anfeindungen zurückgetreten war.
Im Artikel wurden die drei Kandidaten vorgestellt und dabei erwähnt, dass zwei der Kandidaten mit einem lokalen Bauunternehmer und Landwirt verwandt seien, dem Anwohner vorwerfen, für den stark angestiegenen Lkw-Verkehr im Ort verantwortlich zu sein. Dabei wurde auch berichtet, dass der Bauunternehmer erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung u. a. wegen Beleidigung, Nötigung, Bedrohung und versuchter gefährlicher Körperverletzung von Anwohnern verurteilt worden sei.
Auf eine Abmahnung des Bauunternehmers hin schwärzte die Zeitung das E-Paper und ergänzte den Online-Beitrag um den Hinweis, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig sei. Der Bauunternehmer verlangte hierauf im gerichtlichen Eilverfahren den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Zeitung, wonach sie den ihn betreffenden Bericht unterlassen sollte. Das Landgericht (LG) wies den Antrag zurück. Hiergegen hat der Bauunternehmer sofortige Beschwerde eingelegt. Diese wies das OLG zurück.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG begründete seine Entscheidung damit, dass es schon an der erforderlichen Eilbedürftigkeit für das beschrittene gerichtliche Eilverfahren fehle. Der Bauunternehmer habe mehr als fünf Wochen mit seinem Antrag gewartet und die Zeitung habe den Online-Artikel um den Zusatz, wonach das strafrechtliche Urteil noch nicht rechtskräftig sei, bereits ergänzt.
Zulässige Verdachtsberichterstattung
Unabhängig davon handele es sich um eine zulässige Verdachtsberichterstattung. Zwar könnten anhand der im Artikel genannten Einzelinformationen zumindest die Einwohner des betroffenen Ortsteils den Bauunternehmer identifizieren. Der Bericht beruhe aber auf wahren Tatsachen, nämlich die tatsächliche Verurteilung des Bauunternehmers. Außerdem werde zumindest durch den Zusatz klar, dass die Verurteilung auch noch nicht rechtskräftig sei.
Persönlichkeitsrecht vs. Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit
Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Bauunternehmers stehe nicht außer Verhältnis zum Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Es gehöre gerade zu den Aufgaben der Presse, in Zusammenhang mit demokratischen Prozessen zu berichten. Hierzu gehöre auch die Berichterstattung über den Hintergrund der Kandidaten, insbesondere deren verwandtschaftliche Beziehungen, da diese möglicherweise Einfluss auf zukünftige Entscheidungen der Kandidaten haben könnten. Sowohl der erhöhte Lkw-Verkehr im Ort, als auch die erstinstanzlich abgeurteilten Straftaten des Antragstellers zulasten der Anwohner seien von lokalem Interesse.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.10.2023, 4 W 23/23, PM vom 11.3.2024
| Die Nutzung eines Bootes als schwimmende Bar auf der Havel muss nach einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin umgehend beendet werden. |
Boot = bauliche Anlage?
Der Antragsteller ist Eigentümer eines Bootes, das er überwiegend an Dritte vermietet, im Sommer aber an drei Tagen am Wochenende zum Ausschank von Getränken an Gäste nutzt. Die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt forderte ihn im August 2023 sofort vollziehbar auf, die schwimmende Bar innerhalb einer Woche ab Zugang der Anordnung „zu beseitigen“. Zur Begründung führte die Behörde im Wesentlichen aus, die auf einer Plattform betriebene Bar sei nach dem Berliner Wassergesetz genehmigungsbedürftig; eine Genehmigung werde aber nicht erteilt.
Der Antragsteller hat um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er meint, bei seinem Boot handele es sich weder um eine bauliche Anlage im Wasser noch um eine schwimmende Plattform, sondern um ein zugelassenes Sportboot. Es werde wegen der Vermietung an Dritte auch nicht vorwiegend stationär genutzt.
Während der Woche Sportboot, an Wochenenden Anlage im Gewässer
Das VG hat die Rechtmäßigkeit der Anordnung überwiegend bestätigt. Bei der schwimmenden Bar handele es sich um eine nicht genehmigte Anlage, deren Beseitigung die Wasserbehörde nach dem Berliner Wassergesetz habe anordnen dürfen. Auch wenn das Boot während der Woche als Sportboot einzustufen sei, führe seine wiederkehrende stationäre Nutzung als schwimmende Bar in der Sommersaison von Freitagabend bis Sonntag dazu, dass es in diesem Zeitraum als Anlage im Gewässer einzustufen sei. Diese Nutzung überschreite qualitativ die Grenze der gemeinverträglichen Nutzung des Gewässers und stelle sich damit wie eine Sondernutzung dar.
Strenger Maßstab war anzulegen
Wegen der besonderen Bedeutung, die dem Wasser für die Allgemeinheit wie für den Einzelnen zukomme und mit Rücksicht darauf, dass das Wasser und der Wasserhaushalt gegenüber Verunreinigungen und sonstigen nachteiligen Einwirkungen in besonderer Weise anfällig sei, sei ein strenger Maßstab gerechtfertigt. Daher könne der Antragsteller auch keine Sondernutzungserlaubnis beanspruchen.
Das VG beanstandete den Bescheid allerdings hinsichtlich der zur Durchsetzung der Verfügung angedrohten Ersatzvornahme, da nur der Antragsteller selbst die stationäre Nutzung unterlassen könne und es sich somit um eine unvertretbare Handlung handele.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 19.1.2024, VG 10 L 419.23, PM 4/24
| Prozesskosten zur Erlangung nachehelichen Unterhalts sind privat veranlasste Aufwendungen und keine (vorweggenommenen) Werbungskosten bei den späteren Unterhaltseinkünften i. S. des Einkommensteuergesetzes (hier: § 22 Nr. 1 a EStG). Mit dieser Entscheidung hat der Bundesfinanzhof (BFH) der anderslautenden Sichtweise des Finanzgerichts (FG) Münster (Vorinstanz) widersprochen. |
Hintergrund: Beim begrenzten Realsplitting kann der Unterhaltsverpflichtete die Unterhaltszahlungen bis zu 13.805 Euro im Jahr (zuzüglich der aufgewandten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung als Basisversorgung) als Sonderausgaben abziehen. Dies bedarf allerdings der Zustimmung des Unterhaltsberechtigten, der die Unterhaltszahlungen seinerseits als sonstige Einkünfte versteuern muss.
Erst durch den Antrag und die Zustimmung werden Unterhaltsleistungen in den steuerrelevanten Bereich überführt. Die Umqualifizierung markiert die zeitliche Grenze für das Vorliegen abzugsfähiger Erwerbsaufwendungen; zuvor verursachte Aufwendungen des Unterhaltsempfängers stellen keine Werbungskosten dar.
Beachten Sie | Der BFH hat den Streitfall an das FG Münster zurückverwiesen. Dieses muss nun klären, ob ggf. außergewöhnliche Belastungen vorliegen. Es besteht zwar ein Abzugsverbot für Prozesskosten (§ 33 Abs. 2 S. 4 EStG). Dieses greift aber nicht, wenn die Existenzgrundlage oder lebensnotwendige Bedürfnisse des Steuerpflichtigen betroffen sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 18.10.2023, X R 7/20
| Nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die pauschale Besteuerung (Steuersatz i. H. von 25 %) für Betriebsveranstaltungen auch für Veranstaltungen zulässig, die nicht allen Betriebsangehörigen offenstehen. Nicht so erfreulich ist dagegen ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG), wonach die verspätete Pauschalbesteuerung nicht zur Beitragsfreiheit in der Sozialversicherung führt. |
Hintergrund: Zuwendungen des Arbeitgebers an seinen Arbeitnehmer und dessen Begleitpersonen anlässlich von Veranstaltungen auf betrieblicher Ebene mit gesellschaftlichem Charakter (Betriebsveranstaltung) führen gemäß Einkommensteuergesetz (hier: § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 1 EStG) zu Arbeitslohn.
Soweit die Zuwendungen den Betrag von 110 Euro je Betriebsveranstaltung und teilnehmendem Arbeitnehmer nicht übersteigen, gehören sie jedoch nicht zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, wenn die Teilnahme allen Angehörigen des Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. Dies gilt für bis zu zwei Betriebsveranstaltungen jährlich (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 3 und S. 4 EStG).
Urteil des Bundesfinanzhofs
Ungeklärt war bislang die Frage, ob eine„Betriebsveranstaltung“ auch bei einem geschlossenen Kreis (beispielsweise Vorstands- und Führungskräfte feiern) vorliegt.
Beachten Sie | In diesen Fällen kann zwar kein Freibetrag i. H. von 110 Euro gewährt werden, aber es wäre eine Lohnsteuerpauschalierung (nach § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) mit 25 % möglich.
Auch bei eingeschränktem Kreis: Betriebsveranstaltung
Diese Frage hat der BFH – im Gegensatz zur Vorinstanz – nun zugunsten der Steuerpflichtigen entschieden. Nach der ab dem Veranlagungszeitraum 2015 geltenden Definition im Einkommensteuergesetz (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 1 EStG) kann eine Betriebsveranstaltung auch vorliegen, wenn sie nicht allen Angehörigen eines Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. Und da diese Definition dem Tatbestandsmerkmal „Betriebsveranstaltung“ (gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) entspricht, ist eine pauschale Besteuerung möglich.
Urteil des Bundessozialgerichts
Im Streitfall des BSG ging es auch um Betriebsveranstaltungen – und zwar um die Frage, welche Folgen eine verspätete Lohnsteuerpauschalierung für die Sozialversicherung hat.
Das war geschehen
Ein Unternehmen feierte mit seinen Beschäftigten am 5.9.2015 ein Firmenjubiläum. Am 31.3.2016 zahlte es für September 2015 auf einen Betrag von rund 163.000 Euro die für 162 Arbeitnehmer angemeldete Pauschalsteuer. Nach einer Betriebsprüfung forderte der Rentenversicherungsträger von dem Unternehmen Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen in Höhe von rund 60.000 Euro nach – und zwar zu Recht, wie das BSG entschieden hat (die gegenteiligen Entscheidungen der Vorinstanzen wurden aufgehoben).
Aufwendungen von mehr als 110 Euro je Beschäftigten für eine betriebliche Jubiläumsfeier sind als geldwerter Vorteil in der Sozialversicherung beitragspflichtig, wenn sie nicht mit der Entgeltabrechnung, sondern erst erheblich später pauschal versteuert werden.
Pauschalversteuerung erfolgte zu spät
Es kommt entscheidend darauf an, dass die pauschale Besteuerung „mit der Entgeltabrechnung für den jeweiligen Abrechnungszeitraum“ erfolgt. Dies wäre im konkreten Fall die Entgeltabrechnung für September 2015 gewesen. Tatsächlich wurde die Pauschalbesteuerung aber erst Ende März 2016 durchgeführt und damit sogar nach dem Zeitpunkt, zu dem die Lohnsteuerbescheinigung für das Vorjahr übermittelt werden musste.
Beachten Sie | Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung vertreten im Besprechungsergebnis vom 20.4.2016 (TOP 5) die Auffassung, dass eine nachträgliche Pauschalbesteuerung nur bis zur Erstellung der Lohnsteuerbescheinigung geltend gemacht werden kann, also längstens bis zum 28.2. des Folgejahrs. Dem hat sich das BSG nun im Ergebnis angeschlossen.
Quelle | BFH, Urteil vom 27.3.2024, VI R 5/22; BSG, Urteil vom 23.4.2024, B 12 BA 3/22 R Abruf-Nr. 241172 unter www.iww.de, PM Nr. 15/24 vom 23.4.2024; Spitzenorganisationen der Sozialversicherung, Besprechungsergebnis vom 20.4.2016, TOP 5
| Aufwendungen einer gesunden Steuerpflichtigen für eine durch eine Krankheit des Partners veranlasste Präimplantationsdiagnostik (PID) können als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein. So lautet eine steuerzahlerfreundliche Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH). |
Hintergrund: Bei der PID handelt es sich um ein genetisches Diagnoseverfahren zur vorgeburtlichen Feststellung von Veränderungen des Erbmaterials, die eine Fehl- oder Totgeburt verursachen bzw. zu einer schweren Erkrankung eines lebend geborenen Kindes führen können. Es erfolgt eine zielgerichtete genetische Analyse von Zellen eines durch künstliche Befruchtung entstandenen Embryos vor seiner Übertragung und Einnistung in die Gebärmutter.
Das war geschehen
Bei dem Partner der Steuerpflichtigen lag eine chromosomale Translokation vor. Aufgrund dieser Chromosomenmutation bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein auf natürlichem Weg gezeugtes gemeinsames Kind an schwersten körperlichen oder geistigen Behinderungen leidet und unter Umständen nicht lebensfähig ist. Daher wurde eine PID durchgeführt. Der Großteil der hierfür notwendigen Behandlungen betraf die Steuerpflichtige, die den Abzug der Kosten als außergewöhnliche Belastungen beantragte.
Das Finanzamt lehnte eine Berücksichtigung der Behandlungskosten ab. Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen gab der Klage hinsichtlich der von der Steuerpflichtigen selbst getragenen Aufwendungen hingegen statt.
Bundesfinanzhof: zwangsläufig entstandene Aufwendungen
Der BFH bestätigte nun die Vorentscheidung. Die Aufwendungen für die Behandlung der Steuerpflichtigen sind zwangsläufig entstanden, weil die ärztlichen Maßnahmen in ihrer Gesamtheit dem Zweck dienten, eine durch Krankheit beeinträchtigte körperliche Funktion ihres Partners auszugleichen. Wegen der biologischen Zusammenhänge konnte (anders als bei anderen Erkrankungen) durch eine medizinische Behandlung allein des erkrankten Partners keine Linderung der Krankheit eintreten. Daher steht der Umstand, dass die Steuerpflichtige selbst gesund ist, der Berücksichtigung der Aufwendungen nicht entgegen.
Auch auf den Familienstatus kam es nicht an
Unschädlich war auch, dass die Steuerpflichtige und ihr Partner nicht verheiratet waren – und schließlich war auch das Erfordernis der Übereinstimmung der vorgenommenen Behandlungsschritte mit gesetzlichen Vorschriften (insbesondere dem Embryonenschutzgesetz) erfüllt.
Beachten Sie | Außergewöhnliche Belastungen wirken sich nur steuermindernd aus, wenn sie die im Einkommensteuergesetz (hier: § 33 Abs. 3 EStG) festgelegte zumutbare Belastung übersteigen. Die Höhe der zumutbaren Belastung hängt dabei u. a. vom Gesamtbetrag der Einkünfte ab.
Quelle | BFH, Urteil vom 29.2.2024, VI R 2/22, PM 23/24 vom 10.5.2024
| Das Ordnungsamt darf einen privaten Pkw, der auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellt worden ist, unabhängig davon abschleppen lassen, ob ein Carsharing-Fahrzeug an der Nutzung dieses Parkplatzes konkret gehindert worden ist. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf entschieden und die Klage der Fahrzeugführerin gegen einen Leistungs- und Gebührenbescheid abgewiesen. |
Die Klägerin hatte ihren Pkw auf einer Fläche abgestellt, die durch Verkehrsschilder als Parkplatz für Carsharing-Fahrzeuge gekennzeichnet war. Ein Mitarbeiter der städtischen Verkehrsüberwachung stellte den Verstoß fest und beauftragte einen Abschleppwagen. Kurz vor dessen Eintreffen erschien die Klägerin und entfernte ihr Fahrzeug von dem Parkplatz. Die Stadt machte ihr gegenüber mit Leistungs- und Gebührenbescheid die Kosten der Leerfahrt des Abschleppwagens geltend und setzte eine Verwaltungsgebühr fest. Zur Begründung ihrer Klage gegen diesen Bescheid trug die Klägerin vor, sie habe nur elf Minuten auf dem Carsharing-Platz geparkt und zu dieser Zeit seien noch weitere Parkplätze frei gewesen, sodass ein Abschleppen nicht notwendig gewesen sei.
Das VG: Die Beauftragung des Abschleppwagens war rechtmäßig. Ein Fahrzeug, das auf einem nach der Beschilderung ausschließlich Carsharing-Fahrzeugen vorbehaltenen Parkplatz steht, aber nicht am Carsharing teilnimmt, wird so betrachtet, als wenn es in einem absoluten Halteverbot stünde. Die Abschleppmaßnahme war verhältnismäßig, weil die Funktion der Parkplätze für Carsharing-Fahrzeuge nur gewährleistet ist, wenn sie jederzeit von nicht parkberechtigten Fahrzeugen freigehalten werden. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob die Klägerin durch das verbotswidrige Abstellen konkret ein bevorrechtigtes Carsharing-Fahrzeug am Parken gehindert hat. Das Abschleppen ist auch unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, dass von einem zu Unrecht auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellten Fahrzeug eine negative Vorbildwirkung für andere Kraftfahrer ausgeht.
Quelle | VG Düsseldorf, Urteil vom 20.2.2024, 14 K 491/23, PM vom 28.2.2024
| Die Abschleppunternehmer rechnen üblicherweise nach Einsatzstunden ab, wobei im Stundensatz die Kosten für das Fahrzeug und den Fahrer enthalten sind. Die Preis- und Strukturbefragung des Verbands Bergen und Abschleppen (VBA) differenziert dabei im unteren Segment nach Abschleppfahrzeugen unter und über zwölf Tonnen zulässigem Gesamtgewicht (zGG). Das Amtsgericht (AG) Pforzheim musste einen Fall entscheiden, bei dem der Abschleppunternehmer mit einem 13-Tonner vorgefahren kam. |
Der Versicherer trug vor, bei dem konkreten Gewicht des zu transportierenden Fahrzeugs hätte auch ein 11-Tonner genügt. Auf dieser Grundlage hatte er die Abschleppkosten nur reduziert erstattet.
Das Gericht entschied: Es möge sein, dass ein 11-Tonner genügt hätte. Doch sei dies im Vorhinein nicht abschätzbar.
Quelle | AG Pforzheim, Urteil vom 11.1.2024, 9 C 1207/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat sich in seiner Entscheidung mit der Frage befasst, ob der Klägerin ein Anspruch auf Sterbegeld und Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusteht, nachdem ihr Ehemann einen tödlichen Motorradunfall erlitten hatte. |
Ehemann der Klägerin bei Verkehrsunfall tödlich verletzt
Der Ehemann der Klägerin war Inhaber eines Autohauses in Berlin und als Unternehmer freiwillig bei der beklagten Berufsgenossenschaft versichert. Die Klägerin war in dem Autohaus angestellt tätig. Die gemeinsame Wohnung der Eheleute lag etwa 14 km vom Autohaus entfernt. Am 19.8.2013 reisten beide gemeinsam auf ihrem Motorrad aus einem mehrtägigen Urlaub in Thüringen die rund 400 km lange Strecke zurück nach Berlin, der Ehemann lenkte das Motorrad. Da die Tochter des Ehepaares während des Urlaubs die Geschäfte des Autohauses weitergeführt hatte und wegen eines Zahnarzttermins um 14:00 Uhr auf ihrer Arbeit abgelöst werden sollte, wollten sich die Eheleute aus Thüringen kommend direkt zum Autohaus begeben. Dort sollten von beiden die weiteren Geschäfte aufgenommen werden, ohne zuvor in die Familienwohnung zu fahren. Bereits auf dem Berliner Stadtgebiet, noch bevor sich die Wege zum Autohaus und zur Familienwohnung gabelten, kam es gegen 13:25 Uhr zu einem Verkehrsunfall, bei dem sich die Klägerin erheblich verletzte und ihr Ehemann verstarb.
Berufsgenossenschaft lehnte Sterbegeld ab
Die Berufsgenossenschaft lehnte es ab, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen (Sterbegeld und Witwenrente) zu erbringen. Ihr Ehemann habe sich bei dem Unfall nicht auf einem versicherten Arbeitsweg befunden, sondern lediglich auf einem privat veranlassten Rückweg von einer Urlaubsreise. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin und die Berufung vor dem LSG blieben zunächst ohne Erfolg. Auf die vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassene und von der Klägerin eingelegte Revision hin hat das Bundessozialgericht (BSG) das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache dorthin zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts sowie zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Landessozialgericht spricht Hinterbliebenenleistungen zu
Das LSG hat jetzt entschieden: Der Ehefrau stehen Hinterbliebenenleistungen zu. Der tödliche Motorradunfall stelle für den Ehemann als freiwillig versicherten Unternehmer einen Arbeitsunfall dar.
Zum einen sei der Ehemann versichert gewesen, weil er sich selbst zum Zeitpunkt des Unfalls auf dem direkten Weg zum Autohaus begeben wollte, um dort seiner Arbeit nachzugehen. Zum anderen habe Versicherungsschutz auch deshalb bestanden, weil die objektiven Begleitumstände und die Angaben der Ehefrau darauf schließen ließen, dass der verunglückte Ehemann seine Frau direkt zum Autohaus gefahren habe, damit diese dort die gemeinsame Tochter bei der Arbeit habe ablösen können. Damit liege ein versicherter, sogenannter „Betriebsweg“ vor, der nicht auf das Betriebsgelände beschränkt sei, aber dennoch im unmittelbaren betrieblichen Interesse liege.
Dem Versicherungsschutz stehe nicht entgegen, dass der Weg aus dem Urlaub (von einem „dritten Ort“ aus) angetreten worden sei und mithin erheblich länger gewesen sei, als es die Strecke von der Wohnung zur Arbeit gewesen wäre. Entscheidend sei, dass der zurückgelegte Weg die direkte Strecke zum Autohaus gewesen sei bzw. dass der subjektive Wille in erster Linie auf die Wiederaufnahme der Arbeit gerichtet gewesen sei. Dies hat das LSG anhand der vorliegenden Indizien des Falls bejaht. Insbesondere seien auch der Unfallzeitpunkt (13:25 Uhr) und der Zeitpunkt, zu dem die Tochter im Autohaus abgelöst werden sollte (14:00 Uhr), zeitlich stimmig.
Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.1.2024, L 21 U 202/21, PM vom 1.2.2024
| Mit den Besonderheiten bei der Versicherung historischer Fahrzeuge hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Es entschied: Steigt der Wert eines Oldtimers nach Abschluss der Versicherung an, ist der Betrag der Wertsteigerung womöglich vom Versicherungsschutz ganz oder teilweise nicht erfasst. Der Eigentümer des Fahrzeugs muss selbst darauf achten, den versicherten Wert regelmäßig dem etwa gestiegenen Marktwert anzupassen. Eine auf vollständigen Ersatz gerichtete Klage gegen die Kfz-Versicherung hat das Gericht im zugrundeliegenden Fall wegen Unterdeckung abgewiesen. |
Das war geschehen
Ein Oldtimerfan hatte sein historisches Fahrzeug gegen Beschädigung oder Zerstörung zum jeweils aktuellen Marktwert versichert. Später kam es dazu, dass das Fahrzeug bei einem Brand in einer Tiefgarage erheblich beschädigt worden war.
Die Kfz-Versicherung kam nach eingeholtem Gutachten zu einem Wert des Fahrzeugs am Schadenstag in Höhe von knapp 41.000 Euro und zahlte dem Eigentümer den entsprechenden Geldbetrag aus. Dieser war jedoch davon überzeugt, dass sein Oldtimer deutlich mehr wert gewesen sei und ließ deshalb ein weiteres Gutachten einholen. Dieses kam tatsächlich zu dem Ergebnis, dass das historische Fahrzeug im Wert deutlich gestiegen und fast 8.000 Euro mehr wert war, als von der Versicherung angenommen. Der Mann verlangte nun die Differenz.
Sonderbedingungen des Versicherungsvertrags entscheidend
Das LG verwies, wie auch zuvor bereits die Versicherung, den Oldtimerfan auf die im Versicherungsvertrag enthaltenen Sonderbedingungen für historische Fahrzeuge. Danach werde grundsätzlich ein Schaden bis zur Höhe des aktuellen Marktwerts ersetzt. Die Höchstentschädigung sei aber durch den Marktwert begrenzt, der bei Versicherungsabschluss vereinbart wurde.
Im Fall von Wertsteigerungen könne maximal zehn Prozent mehr als der damals vereinbarte Marktwert verlangt werden. Der habe im konkreten Fall rund 36.000 Euro betragen. Dem Oldtimerbesitzer stehe deshalb keine höhere Entschädigung zu, als von der Versicherung bereits ausgezahlt.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 17.1.2024, 3 O230/23, PM vom 28.2.2024
| Das Amtsgericht (AG) Frankfurt hatte nach der Wegnahme eines Fan-Schals keinen Diebstahl, sondern lediglich eine Nötigung angenommen. Ob ein Diebstahl vorliege, hänge davon ab, ob der Täter den Schal seinem Vermögen einverleiben wolle. |
Wegnahme nach Fußballspiel
Der angeschuldigte Eintracht-Fan soll bei einem Fußballspiel der Frankfurter Eintracht gegen den FC Schalke 04 im Deutsche Bank-Park einem Fan der gegnerischen Mannschaft einen Fan-Schal abgenommen haben. Beim Verlassen des Stadions habe er dem Schalke-Anhänger den Fan-Schal im Vorbeilaufen vom Hals gezogen. Als der Schalke-Fan ihn zur Rückgabe aufforderte, habe er ihn mit beiden Händen weggeschoben.
Staatsanwaltschaft bejahte Diebstahl
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main wertete dies als Diebstahl. Da der Angeschuldigte zudem den Schalke-Fan mit Gewalt weggedrückt habe, um den erbeuteten Schal behalten zu können, erhob sie Anklage wegen räuberischen Diebstahls - einem Verbrechenstatbestand mit einer Mindeststrafe von einem Jahr.
Amtsgericht differenzierte
Das AG sah in der Handlung des Angeschuldigten jedoch keinen Diebstahl. Es fehle an der hierfür notwendigen „Zueignungsabsicht“. Diese liege nur vor, wenn der Täter sich die Sache aneignen, sie also seinem Vermögen zuführen wolle. Nehme der Täter den Schal aber lediglich an sich, um jemanden zu ärgern, fehle es an einer Zueignungsabsicht. Es handele sich dann lediglich um eine straflose „Gebrauchsanmaßung“ und – sofern der Schal anschließend beschädigt würde – um eine Sachbeschädigung.
Da das Gericht keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür sah, dass der Angeschuldigte den Schal behalten wollte, eröffnete es das Hauptverfahren nicht wegen räuberischen Diebstahls, sondern lediglich wegen Nötigung. Diese habe der Angeschuldigte durch das Wegdrücken des Schalke-Fans begangen.
Quelle | AG Frankfurt am Main, Beschluss vom 23.10.2023, 917 Ls 6443 Js 217242/23, PM vom 8.3.2024
| Bei der Zerstörung eines älteren Baumes ist in der Regel keine sog. Naturalrestitution zu leisten, also nicht der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Der Anspruch geht vielmehr auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines jungen Baumes und darüber hinaus einen Ausgleich für eine etwa verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Das Oberlandgericht (OLG) Frankfurt am Main hat ein den eingeklagten Schadenersatzanspruch größtenteils zurückweisendes Urteil des Landgerichts (LG) aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das LG zurückverwiesen. |
Rückschnitt ja, aber nicht so gravierend
Die Parteien sind Nachbarn. Die Klägerin ist Eigentümerin eines großen Grundstücks im Vordertaunus mit rund 70-jährigem Baumbestand. Der Baum- und Strauchbestand wird jährlich mehrfach durch ein Fachunternehmen beschnitten. An den hinteren Gartenbereich grenzt u. a. das Grundstück des Beklagten. Im Abstand von 1,60 m hierzu steht auf dem klägerischen Grundstück eine Birke, im Abstand von 3,35 m ein Kirschbaum. Beide Bäume waren zum Zeitpunkt des Erwerbs des Beklagten schon lange vorhanden. Die Klägerin war einverstanden, dass der Beklagte die auf sein Grundstück herüberhängenden Äste der Gehölze zurückschneidet.
Ende Mai 2020 betrat der Beklagte das klägerische Grundstück in ihrer Abwesenheit und führte gravierende Schnittarbeiten unter anderem an den beiden Bäumen durch. An der Birke verblieb kein einziges Blatt. Der kurz vor der Ernte befindliche Kirschbaum wurde vollständig eingekürzt. Ob sich die Bäume wieder komplett erholen oder die derzeitigen Triebe allein sog. Nottriebe sind, die an dem Absterben nichts ändern, ist zwischen den Parteien streitig.
Landgericht sprach Schadenersatz von 4.000 Euro zu
Das LG hat der auf Zahlung von Schadenersatz von knapp 35.000 Euro gerichteten Klage in Höhe von gut 4.000 Euro stattgegeben. Es führte aus, dass die Wertminderung der Bäume sowie die Kosten für die Entsorgung des Schnittguts zu ersetzen seien.
Oberlandesgericht: Sachverhalt muss aufgeklärt werden
Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LG. Der Sachverhalt sei zur Bemessung des Schadenersatzes weiter aufzuklären, begründete das OLG die Entscheidung.
Bei der Zerstörung eines Baumes sei in der Regel nicht Schadenersatz in Form von Naturalrestitution zu leisten, da die Ersatzbeschaffung in Form der Verpflanzung eines ausgewachsenen Baumes regelmäßig mit besonders hohen und damit unverhältnismäßigen Kosten verbunden sei. Der Schadenersatz richte sich vielmehr üblicherweise auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines neuen jungen Baumes sowie einen Ausgleichsanspruch für die verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Diese Werteinbuße sei zu schätzen. Nach einer möglichen Bewertungsmethode könnten dafür die für die Herstellung des geschädigten Gehölzes bis zu seiner Funktionserfüllung erforderlichen Anschaffungs-, Pflanzungs- und Pflegekosten sowie das Anwachsrisiko berechnet und anschließend kapitalisiert werden. Dieser Wert sei um eine Alterswertminderung, Vorschäden und sonstige wertbeeinflussende Umstände zu bereinigen.
Ausnahmsweise seien die vollen Wiederbeschaffungskosten zuzuerkennen, „wenn Art, Standort und Funktion des Baumes für einen wirtschaftlich vernünftig denkenden Menschen den Ersatz durch einen gleichartigen Baum wenigstens nahelegen würden“, erläutert das OLG weiter. Aufzuklären sei deshalb bei der Bewertung des Schadenersatzes die Funktion der Bäume für das konkrete Grundstück. Zu berücksichtigen sei dabei auch der klägerische Vortrag, wonach es ihr bei der sehr aufwändigen, gleichzeitig naturnahen Gartengestaltung auch darauf angekommen sei, Lebensraum für Vögel und sonstige Tiere zu schaffen und einen Beitrag zur Umwandlung von Kohlenstoffdioxid in Sauerstoff zu leisten.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 6.2.2024, 9 U 35/23, PM 12/24
Impfpflicht: Vorlage eines Masernimmunitätsnachweises für schulpflichtige Kinder
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat in mehreren Eilverfahren die Beschwerden von Eltern schulpflichtiger Kinder gegen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin zurückgewiesen, wonach Gesundheitsämter für den Schulbesuch den Nachweis einer Impfung oder Immunität gegen Masern fordern dürfen, sofern keine Kontraindikation besteht. Für den Fall, dass der Nachweis nicht vorgelegt wird, kann auch ein Zwangsgeld angedroht werden. |
Infektionsschutzgesetz verfassungskonform
Zur Begründung hat das OVG u. a. ausgeführt: Die Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes zur Nachweispflicht seien angesichts der hochansteckenden Viruskrankheit mit möglicherweise schwerwiegenden Komplikationen nicht offenkundig verfassungswidrig. Zwar greife die Nachweispflicht in das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes ein. Die Regelung sei aber verhältnismäßig, weil sie – wie das Bundesverfassungsgericht bereits zur Nachweispflicht bei noch nicht schulpflichtigen Kindern entschieden habe – einen legitimen Zweck verfolge und nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehe.
Impfpflicht besteht
Der Gesetzgeber des Masernschutzgesetzes sei von einer grundsätzlich bestehenden „Impfpflicht“ bzw. „verpflichtenden Impfung“ ausgegangen. Er habe lediglich von deren Durchsetzung im Wege des unmittelbaren Zwangs abgesehen. Andere Zwangsmittel, wie Zwangsgeld und Geldbuße, seien hingegen vorgesehen, um eine tatsächliche Erhöhung der Impfquote in Schulen und sonstigen Gemeinschaftseinrichtungen – und damit letztlich in der gesamten Bevölkerung – zu erreichen.
Die Beschlüsse sind unanfechtbar.
Quelle | OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 28.2.2024, OVG 1 S 80/23 u. a., PM 9/24
| Nach Modernisierungsarbeiten vor Mietbeginn kann der Vermieter eine Miete vereinbaren, die die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 10 % übersteigt. Bestreitet der Mieter die Maßnahmen, ist das unbeachtlich, wenn der Vermieter eine substanziierte Berechnung vorgelegt und Einsicht in sämtliche Unterlagen angeboten hat. Das hat jetzt das Amtsgericht (AG) Berlin-Charlottenburg entschieden. |
Mieter verlangte Rückerstattung überhöhter Miete
Die Miete für eine Wohnung in einem durch Verordnung bestimmten Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt lag bei 1.700 Euro. Unter Berücksichtigung eines zehnprozentigen Zuschlags gemäß Mietspiegel war von einer ortsüblichen Vergleichsmiete von maximal 867,71 Euro auszugehen. Der Mieter forderte die Rückerstattung der überhöht verlangten Miete. Im Prozess nahm der Vermieter detailliert zu den von ihm durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen Stellung und legte dar, in welchem Umfang Abzüge für Instandsetzungsmaßnahmen vorgenommen wurden, insbesondere, dass anrechenbare Modernisierungskosten in Höhe von 441,33 Euro pro Monat entstanden seien.
Klage hatte teilweise Erfolg
Das AG gab der Klage teilweise statt. Bei den Baumaßnahmen des Vermieters handele es sich zwar nicht um eine umfassende Modernisierung im Sinne des § 556 f BGB, sodass der Vermieter die Wohnung nicht preisfrei vermieten durfte. Bei einer umfassenden Modernisierung sei zum einen auf den Investitionsaufwand und zum anderen auf das Ergebnis der Maßnahme, also die qualitativen Auswirkungen auf die Gesamtwohnung, abzustellen. Die aufgewandten Kosten einer reinen Erhaltungsmaßnahme zählten insgesamt nicht zu den Modernisierungskosten. Allein die Höhe des Bauaufwands reiche nicht aus; entscheidend sei das Resultat, also der geschaffene Zustand. Der Begriff „umfassend“ bezeichne nämlich nicht nur ein quantitatives (Kosten-)Element, sondern gleichberechtigt ein qualitatives Kriterium. Zu berücksichtigen seien die qualitativen Auswirkungen der Maßnahmen auf die Gesamtwohnung. Eine solche Auslegung werde dem Gesetzeszweck gerecht, Modernisierungen zu fördern. Durch diesen Aufwand müsse ein Zustand erreicht werden, der einer Neubauwohnung in etwa – nicht notwendig vollständig – entspreche.
Im Fall des AG fehlten Darlegungen des Vermieters, dass durch die Maßnahmen ein Zustand erreicht wurde, der insbesondere in energetischer Hinsicht einem Neubau gleichkommt. Jedoch sei der Vermieter berechtigt, die Kosten für die Modernisierungsmaßnahmen (nach § 556 e Abs. 2 BGB) in Höhe von 441,33 Euro pro Monat anzurechnen. Insgesamt sei daher eine Nettokaltmiete für die Wohnung in Höhe von 1.309,04 Euro berechtigt.
Quelle | AG Berlin-Charlottenburg, Urteil vom 9.6.2023, 209 C 29/22
| Nach dem Wohnungseigentumsgesetz (hier: § 20 Abs. 1 Abs. 2 S. 1 WEG) kann jeder Wohnungseigentümer angemessene bauliche Veränderungen verlangen, die u. a. dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen (sog. privilegierte bauliche Veränderungen). Verlangt ein Wohnungseigentümer eine solche bauliche Veränderung, entscheidet die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer über das „Wie“ der Maßnahme nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung. Der einzelne Wohnungseigentümer hat grundsätzlich keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung. So entschied es das Landgericht (LG) Stuttgart. |
Eigentümer errichtete zunächst Ladesäule
Ein Wohnungseigentümer hatte ein Sondernutzungsrecht an einem Stellplatz im Freien. Seit Jahren versuchte er vergeblich zu erreichen, dass eine Ladesäule für Elektrofahrzeuge an seinem Stellplatz errichtet wird. Schließlich montierte er im Sommer 2019 ohne Gestattung neben seinem Außenstellplatz eine Ladesäule auf einem Betonfundament. Für die Errichtung als „öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur“ erhielt er eine Förderung aus Bundesmitteln. Die Eigentümergemeinschaft verklagte ihn erfolgreich auf Entfernen der Ladestation und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Im Rahmen der Vollstreckung wurde die Ladesäule demontiert.
Dann verlangte er bestimmte bauliche Veränderungen
Der Eigentümer verlangte daraufhin „bauliche Veränderungen, die dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen gemäß (von ihm) vorgelegtem Ladeinfrastrukturkonzept“. Dieser Antrag wurde in der Eigentümerversammlung 2020 nicht beraten und zur Abstimmung gestellt, sondern beschlossen, ein Gesamtkonzept zum Betreiben von Ladepunkten für E-Mobilität erstellen zu lassen. Die Eigentümerversammlung 2021 lehnte das inzwischen vorliegende Gesamtkonzept ab und ebenso die von dem Eigentümer erneut beantragte Genehmigung baulicher Veränderungen gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept, das alternativ eine öffentliche oder nichtöffentliche Nutzung vorsah. Zugleich wurde anderen Wohnungseigentümern auf deren Antrag gestattet, eine Wallbox an insgesamt vier Stellplätzen anzubringen.
Darauf erhob der Eigentümer Beschlussersetzungsklage, gerichtet auf die Gestattung, auf dem Gemeinschaftseigentum neben seinem Stellplatz die zuvor entfernte Ladestation gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept errichten zu dürfen, hilfsweise, ihm die Anbringung einer Wallbox zu gestatten. Damit hatte der Eigentümer in beiden Instanzen keinen Erfolg.
Landgericht: kein Anspruch auf bestimmte Ausführung einer Maßnahme
Der Eigentümer könne die Gestattung der Errichtung einer Ladestation nach dem von ihm entwickelten Ladeinfrastrukturkonzept nicht verlangen. Die Beschlussersetzungsklage diene der gerichtlichen Durchsetzung des Anspruchs des Wohnungseigentümers auf ordnungsmäßige Verwaltung. Die Klage sei daher begründet, wenn der klagende Wohnungseigentümer einen Anspruch auf den seinem Rechtsschutzziel entsprechenden Beschluss habe, weil nur eine Beschlussfassung ordnungsmäßiger Verwaltung entspreche.
Zwar könne jeder Wohnungseigentümer einen Beschluss über das „Ob“ solcher baulichen Veränderungen verlangen, so das LG; dies beinhalte aber keinen Anspruch auf eine bestimmte Art und Weise der Durchführung. Darüber entscheiden die Wohnungseigentümer im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung nach eigenem Ermessen. Der einzelne Wohnungseigentümer habe mithin keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung, solange das Ermessen der Gemeinschaft nicht aufgrund der Einzelfallumstände auf null reduziert sei.
Quelle | LG Stuttgart, Urteil vom 5.7.2023, 10 S 39/21
| Das Finanzministerium Baden-Württemberg stellt einen Ratgeber „Steuertipps für Familien“ zur Verfügung. Der 100 Seiten umfassende Ratgeber gibt neben Informationen rund um das Kindergeld u. a. einen Überblick über die Steuervergünstigungen für Familien und Alleinerziehende.
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden, wann ein Widerspruch vorliegt, durch den ein älteres Testament – ganz oder teilweise – aufgehoben wird. |
Vier handschriftliche Testamente
Die Erblasserin verstarb ledig und kinderlos. Sie hatte zwei Geschwister: eine Schwester und einen Bruder, die beide vorverstorben sind. Insgesamt hinterließ die Erblasserin vier handschriftlich verfasste Testamente.
Im ersten Testament vom 3.4.2007 setzte sie ihre Schwester als Alleinerbin und ihren Bruder als Ersatzerben ein. Dieses Testament änderte sie am 26.4.2009 durch Durchstreichen derart, dass die Ersatzerbenstellung des Bruders aufgehoben wurde mit der Bemerkung, dass er gestorben sei. Im Testament vom 26.4.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Später ergänzte sie den Text mit folgendem unvollständigen Wortlaut: „Für den Fall, dass meine Schwester das Erbe nicht antreten kann, setze ich meine Großnichte als“. Im Testament vom 18.10.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Weiter heißt es in dem Testament: „Für den Fall, dass meine Schwester verstorben ist, setze ich zur Nacherbin meine Großnichte ein.“ Schließlich testierte sie am 27.4.2016 erneut und setzte wiederum ihre Schwester als Alleinerbin ein. In diesem Testament wurde weder eine Ersatzerbschaft noch eine Nacherbschaft angeordnet und die Großnichte wurde nicht mehr erwähnt.
Die Großnichte beantragte einen Alleinerbschein. Dem traten die Kinder des vorverstorbenen Bruder entgegen. Das Nachlassgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, die Erblasserin habe mit ihrer letzten Verfügung von Todes wegen die vorangegangenen Testamente aufgehoben. Der gegen diesen Beschluss durch die Großnichte eingelegten Beschwerde hat das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Akten dem OLG Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat die Beschwerde zurückgewiesen.
So sah es das Oberlandesgericht
Die Großnichte könnte ihre Alleinerbenstellung allein aus dem Testament vom 18.10.2009 herleiten. Diese Stellung sei indes von der Erblasserin vollständig aufgehoben worden, als sie am 27.4.2016 ein neues Testament errichtet habe, in dem die Großnichte nicht mehr als Ersatzerbin berufen sei, so das OLG.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 2258 Abs. 1 BGB) werde durch die Errichtung eines Testaments ein früheres Testament insoweit aufgehoben, als dass das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch stehe. Ein derartiger Widerspruch liege zum einen vor, wenn die Testamente sachlich miteinander nicht vereinbar seien, die getroffenen Anordnungen also nicht nebeneinander Geltung erlangen könnten, sondern sich gegenseitig ausschließen. Ein Widerspruch sei zum anderen (auch) gegeben, wenn die einzelnen Anordnungen einander zwar nicht entgegengesetzt seien, aber die kumulative Geltung der mehreren Verfügungen den in einem späteren Testament zum Ausdruck kommenden Absichten des Erblassers zuwiderliefe. Das sei der Fall, wenn der Erblasser mit dem späteren Testament seine Erbfolge insgesamt, nämlich abschließend und umfassend (ausschließlich) habe neu regeln wollen. So liege der Fall hier.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.12.2023, I-3 Wx 189/23
| Zwei Investoren sind zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von insgesamt 300.000 Euro nebst Zinsen an einen Planungsverband verpflichtet worden, weil sie die Erteilung einer Baugenehmigung zur Realisierung eines Hotelbauvorhabens nicht rechtzeitig beantragt haben. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz. |
Frist für Bebauungsplan vereinbart
Im Dezember 2016 schloss der Planungsverband mit den Investoren einen städtebaulichen Vertrag. In diesem verpflichteten sich die Investoren, binnen 36 Monaten ab Inkrafttreten eines vom Planungsverband aufzustellenden Bebauungsplans einen vollständigen Bauantrag zur Errichtung eines Hotelbaus zu stellen. Unterbleibt eine rechtzeitige Bauantragstellung, ist eine Vertragsstrafe in Höhe von 15.000 Euro monatlich, höchstens in Höhe von 300.000 Euro, vorgesehen.
Frist überschritten: Vertragsstrafe
Weil die Investoren ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen waren, verlangte der Planungsverband zunächst außergerichtlich und dann mit seiner Klage, die vereinbarte Vertragsstrafe zu zahlen. Die Investoren beriefen sich dagegen auf Formfehler beim Zustandekommen des Vertrags und machten geltend, die Stellung eines vollständigen Bauantrags sei ihnen unmöglich gewesen, weil der Planungsverband Gestaltungsvorgaben nicht hinreichend konkret vorgegeben habe. Ferner stünde ein Lärmschutzkonflikt mit den Betreibern der auf dem Plateau vorhandenen Freilichtbühne einer Umsetzung des Hotelkonzepts entgegen.
Anforderungen eingehalten
Die Klage hatte Erfolg. Der Verband habe einen Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe, so das VG. Der Vertrag sei frei von Verfahrens- und Formfehlern zustande gekommen und entspreche den an einen städtebaulichen Vertrag zu stellenden gesetzlichen Anforderungen.
Rechtzeitigkeit wäre möglich gewesen
Den Investoren sei es zudem möglich gewesen, rechtzeitig vollständige Bauantragsunterlagen einzureichen. Insbesondere habe der Lärmschutzkonflikt zwischen dem geplanten Hotelvorhaben und der Freilichtbühne die Vorlage vollständiger Bauantragsunterlagen nicht unmöglich gemacht. Eine Lösung des Konflikts wäre vielmehr im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens herbeizuführen gewesen.
Gegen die Entscheidung wurde Rechtsmittel zum Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz erhoben.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 6.12.2023, 4 K 388/23.KO, PM 1/24
| Die Errichtung von Kleinwindenergieanlagen ist ein im Außenbereich baurechtlich privilegiertes Vorhaben der Nutzung der Windenergie, auch wenn es nicht mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms der öffentlichen Energieversorgung, sondern der Deckung des privaten Verbrauchs dient. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |
Landkreis lehnte Erlass eines Bauvorbescheids ab
Die Kläger beantragten, ihnen einen Bauvorbescheid zur Errichtung von vier Kleinwindenergieanlagen (Gesamthöhe 6,5 m) auf ihrem Grundstück im Außenbereich zu erteilen. Der Landkreis lehnte dies mit der Begründung ab, die Anlagen seien nicht als im Außenbereich privilegierte Vorhaben der Nutzung der Windenergie zu behandeln, da die Privilegierung auf solche Windenergieanlagen zu beschränken sei, die der öffentlichen Versorgung dienten. Zudem stünden öffentliche Belange dem Vorhaben entgegen. Hiergegen erhoben die Kläger Klage. Das Verwaltungsgericht (VG) verpflichtete den beklagten Landkreis, den beantragten Bauvorbescheid zu erteilen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Landkreises wies das OVG zurück.
Privilegiertes Bauvorhaben auch bei Privatnutzung der erzeugten Energie
Das VG habe den Beklagten zu Recht zur Erteilung des beantragten Bauvorbescheids verpflichtet. Bei der Errichtung und dem Betrieb der vier Kleinwindenergieanlagen handele es sich um ein der Nutzung der Windenergie dienendes privilegiertes Vorhaben im Sinne des Baugesetzbuchs (hier: § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB), das im Außenbereich zugelassen werden könne.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ließen sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal herleiten, wonach das Vorhaben nicht nur der Nutzung der Windenergie, sondern – mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms – auch der öffentlichen Energieversorgung dienen müsse. Gegen ein solches ungeschriebenes Erfordernis sprächen auch Sinn und Zweck der Norm. Diese diene letztlich einer umwelt- und ressourcenschonenden Energieversorgung mittels einer verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien, wozu Windenergieanlagen auch dann beitrügen, wenn sie allein zur Deckung eines privaten Verbrauchs errichtet würden. Die überragende Bedeutung dieses Ziels habe der Gesetzgeber mehrfach in seiner weiteren Normsetzung herausgestellt.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus einem Urteil des OVG aus dem Jahr 2018, an dem der dort erkennende Senat in Bezug auf den geforderten öffentlichen Versorgungszweck in einer neueren Entscheidung aus dem Jahr 2023 ersichtlich nicht mehr festhalte.
Keine Gefahr von Wildwuchs
Nicht nachvollziehbar sei die vom Beklagten ferner geltend gemachte Befürchtung, dass bei einer Privilegierung von allein der privaten Versorgung dienenden Kleinwindenergieanlagen ein Wildwuchs derartiger Vorhaben zulasten der Landschaft drohe. Denn die Errichtung einer Kleinwindenergieanlage im Außenbereich komme unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nur in Betracht, wenn der erzeugte Strom entweder durch einen dort in der Nähe der Anlage vorhandenen Verbraucher abgenommen oder ins Stromnetz eingespeist werde. Dies sei jedoch regelmäßig nicht der Fall, da ein Endabnehmer vor Ort im Außenbereich nur in Ausnahmefällen vorhanden sei und der Bau einer Leitung allein zum Zweck der Einspeisung des mit der Kleinanlage erzeugten Stroms in ein öffentliches Netz unter Rentabilitätsaspekten ausscheide. Dem privilegierten Vorhaben stünden auch keine öffentlichen Belange entgegen.
Quelle | OVG Koblenz, Urteil vom 4.4.2024, 1 A 10247/23. OVG, PM 6/24
| Das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz hat die Entlassung eines Polizeikommissars aus dem Beamtenverhältnis auf Probe für rechtmäßig erklärt. |
Das war geschehen
Der Kläger war im Jahr 2021 nach bestandener Laufbahnprüfung in das Probebeamtenverhältnis berufen und als Einsatzsachbearbeiter in einer Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei eingesetzt worden. Bereits zuvor, noch während seines Vorbereitungsdienstes, hatte er über mehrere Monate hinweg wiederholt Bilddateien (sog. Sticker) in verschiedene WhatsApp-Chatgruppen mit diskriminierenden, antisemitischen, rassistischen, menschenverachtenden sowie frauen- und behindertenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Inhalten hochgeladen. Als sein Dienstherr, der Beklagte, hiervon erfuhr, leitete er zunächst ein Disziplinarverfahren und dann ein Entlassungsverfahren ein und entließ den Kläger wegen erheblicher Zweifel an dessen charakterlicher Eignung für den Polizeidienst mit Ablauf des Jahres 2022 aus dem Probebeamtenverhältnis.
Hiergegen erhob der Kläger zunächst Widerspruch und in der Folge Klage. Zur Begründung gab er an, aus dem Kontext der Verwendung der Sticker werde hinreichend deutlich, dass es sich nur um „schwarzen Humor“ handele; der Inhalt der Sticker entspreche in keiner Weise seiner inneren Haltung.
Kläger kein „unbescholtenes Blatt“
Die Klage hatte keinen Erfolg. Der Beklagte sei vielmehr beurteilungsfehlerfrei von der charakterlichen Nichteignung des Klägers für den Polizeidienst ausgegangen. Damit knüpfte das VG an seine bereits im November 2023 getroffenen Beschluss an, mit dem er die vom Kläger beantragte Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussichten seiner Klage abgelehnt hatte. In dem Beschluss hatte das Gericht betont, es sei unerheblich, ob die vom Kläger verwandten „Sticker“ tatsächlich Ausdruck seiner Gesinnung seien. Der Kläger müsse diese so gegen sich gelten lassen, wie sie aus Sicht eines objektiven Betrachters zu verstehen seien. Es werde deutlich, dass der Kläger sich seiner beamtenrechtlichen Pflichten nicht einmal ansatzweise bewusst sei und dass ihm erkennbar die erforderliche charakterliche Reife und Stabilität für das Amt eines Polizeivollzugsbeamten fehle. Außerdem berücksichtigten die Richter, dass der Kläger im Februar 2024 strafrechtlich wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in vier Fällen, in drei Fällen hiervon in Tateinheit mit Volksverhetzung, schuldig gesprochen worden war.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 20.2.2024, 5 K 733/23. KO, PM 5/24
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung einer TV-Moderatorin wirksam ist, die trotz Abmahnungen eine Online-Kolumne für eine im Wettbewerb stehende Tageszeitung verfasst. |
Einschränkungen im Arbeitsvertrag
Die Klägerin war langjährig im Bereich Finanz- und Börsenberichterstattung für die Beklagte tätig, die einen Nachrichtensender mit TV- und Onlineberichterstattung betreibt. Der Arbeitsvertrag schränkt die Möglichkeit von Nebentätigkeiten ein und sieht vor, dass zuvor eine Genehmigung erfolgen muss.
Abmahnung wegen Online-Börsenkolumne
Die Klägerin hat unter anderem am 29.9.2022 eine Online-Börsenkolumne für eine Tageszeitung verfasst, wegen der sie am 4.10.2022 abgemahnt wurde. Dennoch veröffentlichte die Klägerin dort am 1.1.2023 eine weitere Kolumne, aufgrund der die Beklagte die streitgegenständliche Kündigung aussprach.
Zuvor war die Klägerin auch vor dem ArbG Köln in einem einstweiligen Verfügungsverfahren unterlegen, in dem sie ihren Arbeitgeber verpflichten wollte, die Nebentätigkeit zum Verfassen einer wöchentlichen Kolumne zu genehmigen. Hier hatte das ArbG geurteilt, dass die begehrte Nebentätigkeit eine nicht genehmigungsfähige Konkurrenztätigkeit darstelle.
Arbeitsgericht bestätigt Kündigung
Das ArG Köln hat die Kündigung bestätigt. Bei der Online-Kolumne handele es sich um eine Wettbewerbstätigkeit, da sowohl der Arbeitgeber als auch der Zeitungsverlag Unternehmen sind, die sowohl im Bereich der TV- wie auch der Onlineberichterstattung aktiv seien.
Zudem betreffe die Börsenkolumne der Klägerin den fachlichen Kernbereich ihrer Tätigkeit für die Beklagte. Gerade in diesen Themen hat die Klägerin sich in der Vergangenheit eine große Reputation aufgebaut, mit der sie bislang für die Beklagte in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten ist. Ein Arbeitnehmer, der während des bestehenden Arbeitsverhältnisses Wettbewerbstätigkeiten entfaltet, verstoße gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers. Dies könne eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar
Hier sei der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar. Das Vertrauen der Beklagten in einen störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses sei nach den bewussten, fortgesetzten und groben Pflichtverletzungen der Klägerin gänzlich aufgebraucht.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 11.10.2023, 9 Ca 5402/22, PM 11/23
| Ein Busunternehmer steht unter Unfallversicherungsschutz, wenn er im Homeoffice beim Hochdrehen der Heizung durch eine Verpuffung im Heizkessel verletzt wird. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Im Homeoffice Heizkessel überprüft und nach Verpuffung schwer verletzt
Der Kläger war als selbstständiger Busunternehmer bei der beklagten Berufsgenossenschaft pflichtversichert. Er bewohnte ein Haus, dessen Wohnzimmer er als häuslichen Arbeitsplatz (Homeoffice) für Büroarbeiten nutzte. Am Unfalltag holte der Kläger seine Kinder von der Schule ab und arbeitete anschließend an seinem Schreibtisch im Wohnzimmer. Nachdem er festgestellt hatte, dass die Heizkörper im ganzen Haus kalt waren, begab er sich zur Überprüfung der Kesselanlage in den Heizungskeller. Beim Hochdrehen des Temperaturschalters kam es aufgrund eines Defekts der Heizungsanlage zu einer Verpuffung im Heizkessel, in deren Folge der Kläger eine schwere Augenverletzung erlitt.
Bundessozialgericht erkennt Arbeitsunfall an
Die beklagte Berufsgenossenschaft, das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) lehnten einen Arbeitsunfall ab. Das BSG hat dagegen einen Arbeitsunfall anerkannt.
Der Kläger wollte nicht nur seine Kinder, sondern auch seinen häuslichen Arbeitsplatz mit höheren Temperaturen versorgen. Die Benutzung des Temperaturreglers war deshalb unternehmensdienlich, der Heizungsdefekt kein unversichertes privates Risiko.
Quelle | BSG, Urteil vom 21.3.2024, B 2 U 14/21 R, PM 11/24
| Die Zweifelsregelung im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 271 Abs. 2 BGB) gestattet es einem Arbeitgeber nicht, eine dem Arbeitnehmer bisher zustehende jährliche Einmalzahlung wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld kraft einseitiger Entscheidung stattdessen in anteilig umgelegten monatlichen Teilbeträgen zu gewähren, um sie „pro rata temporis“ – also zeitanteilig – auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen zu können. Diese Auffassung vertritt das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg im Streit über die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs durch Sonderzahlungen. |
Das LAG hat die Revision zugelassen.
Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.1.2024, 3 Sa 4/23
| Eine durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Vermögensverschiebung von einer Kapitalgesellschaft an einen Gesellschafter setzt einen Zuwendungswillen voraus – und ein solcher kann aufgrund eines Irrtums des Gesellschafter-Geschäftsführers fehlen. Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs (BFH) ist es insoweit maßgebend, ob der konkrete Gesellschafter-Geschäftsführer einem Irrtum unterlegen ist, nicht hingegen, ob einem ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiter der Irrtum gleichfalls unterlaufen wäre. |
Hintergrund: Bei einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) handelt es sich – vereinfacht – um Vermögensvorteile, die dem Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung gewährt werden. Eine vGA darf den Gewinn der Gesellschaft nicht mindern.
Das war geschehen
Geklagt hatte eine GmbH, deren Stammkapital durch die alleinige Gesellschafter-Geschäftsführerin u. a. durch die Einbringung einer Beteiligung von 100 % an einer weiteren GmbH erbracht werden sollte. Bei der einzubringenden GmbH wurde eine Kapitalerhöhung durchgeführt, die die Gesellschafter-Geschäftsführerin begünstigte. Das Finanzamt sah hierin eine vGA der GmbH an ihre Gesellschafter-Geschäftsführerin. Dagegen argumentierte die GmbH, dass die Zuwendung an die Gesellschafter-Geschäftsführerin irrtümlich wegen eines Versehens bei der notariellen Beurkundung der Kapitalerhöhung erfolgt sei.
So entschieden die gerichtlichen Instanzen
Das Finanzgericht (FG) Schleswig-Holstein wies die Klage ab, weil einem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführer der von der GmbH dargelegte Irrtum nicht unterlaufen wäre. Der BFH hat nun aber klargestellt, dass es für die Frage, ob der für die Annahme einer vGA erforderliche Zuwendungswille vorliegt, allein auf die Person der konkreten Gesellschafter-Geschäftsführerin ankommt. Er verwies den Streitfall deshalb zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurück.
Beachten Sie | In seiner Urteilsbegründung zum Vorliegen einer vGA führt der BFH aber auch Folgendes aus: Der handelnde Gesellschafter muss nicht mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis handeln, er muss den Tatbestand der vGA nicht kennen und er muss das Geschehene auch nicht richtig würdigen. Vielmehr genügt in aller Regel ein persönlich zurechenbares Handeln.
Diese Grundsätze gelten aber nicht uneingeschränkt, da es zur Annahme einer vGA – so wie bei einer offenen Gewinnausschüttung – eines Zuwendungswillens bedarf.
Quelle | BFH, Urteil vom 22.11.2023, I R 9/20, PM 20/24 vom 11.4.2024
| Schweizer Banken können Informationen zu Konten und Depots deutscher Staatsangehöriger an die deutsche Finanzverwaltung übermitteln. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. Er sieht in der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden keine Verletzung der Grundrechte der inländischen Steuerpflichtigen. |
Geklagt hatten Steuerpflichtige, die sich durch Übermittlung der Kontostände ihrer Schweizer Bankkonten in ihren Grundrechten verletzt sahen, vor allem in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Nachdem bereits das Finanzgericht (FG) Köln diese Ansicht nicht teilte, bestätigte nun auch der BFH die Verfassungsmäßigkeit der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden. Jedenfalls ist die Übermittlung der Informationen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung gerechtfertigt.
Beachten Sie | Deutschland sowie mehrere andere Staaten haben sich zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung dazu verpflichtet, Informationen zu Bankkonten auszutauschen, u. a. werden hierfür die Kontostände ausländischer Bankkonten an die deutsche Steuerverwaltung übermittelt. Der automatische Informationsaustausch über Finanzkonten dient der Sicherung der Steuerehrlichkeit und der Verhinderung von Steuerflucht.
Quelle | BFH, Urteil vom 23.1.2024, IX R 36/21, PM 17/24 vom 28.3.2024
| Ohne Betriebssitz kann kein Gelegenheitsverkehr mit Mietwagen betrieben werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin in einem Eilverfahren entschieden. |
Behörde widerrief Erlaubnis
Der Antragsteller ist Inhaber einer vom Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) erteilten Genehmigung für den Gelegenheitsverkehr mit insgesamt zehn Mietwagen nach dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG). Nach den Feststellungen der Behörde fanden sich an der vom Antragsteller angegeben Adresse – anders als von ihm ursprünglich behauptet – weder Büroräume noch reservierte Stellplätze für die Fahrzeuge. Daraufhin widerrief die Behörde die Erlaubnis unter Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Verwaltungsgericht bestätigt Behörde
Das VG hat den hiergegen gerichteten Eilantrag zurückgewiesen. Zu Recht sei die Behörde von einer fehlenden Zuverlässigkeit des Antragstellers ausgegangen. Denn dieser habe gegen eine Kernpflicht des Mietwagenverkehrs verstoßen.
Das wesentliche Merkmal des Mietwagenverkehrs bestehe darin, dass Aufträge nicht an beliebigen Orten, sondern grundsätzlich nur am Betriebssitz entgegengenommen werden dürften; dorthin müssten die Fahrzeuge daher regelmäßig nach Beendigung eines jeden Auftrags zurückkehren. Die Begründung und Unterhaltung eines in der Genehmigung festgeschriebenen Betriebssitzes sei daher Voraussetzung für die Erfüllung der Rückkehrpflicht. Das Rückkehrgebot sei nicht Selbstzweck, sondern solle auf wirksame Weise unterbinden, dass Mietwagen nach Beendigung eines Beförderungsauftrags taxiähnlich auf öffentlichen Straßen und Plätzen bereitgestellt würden und dort Beförderungsaufträge annähmen.
Das VG ließ offen, ob ungeachtet dessen der Widerruf auch auf die fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit des Antragstellers hätte gestützt werden können. Es spreche allerdings einiges dafür, dass dies schon bei der Genehmigungserteilung der Fall gewesen sei. Ein Mietwagenunternehmer müsse über ein angemessenes Eigenkapital verfügen, was hier nicht ersichtlich sei. Der Zeitwert der Fahrzeuge selbst dürfe – anders als von der Behörde bei Genehmigungserteilung fälschlich angenommen – gerade nicht berücksichtigt werden.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 25.3.2024, VG 11 L 53/24, PM vom 2.4.2024
| Die Klausel „Die Mobile Briefmarke ist lediglich als ad-hoc-Frankierung zum sofortigen Gebrauch gedacht. Erworbene Mobile Briefmarken verlieren daher mit Ablauf einer 14-tägigen Frist nach Kaufdatum ihre Gültigkeit. Das maßgebliche Kaufdatum ist in der Auftragsbestätigung genannt. Eine Erstattung des Portos nach Ablauf der Gültigkeit ist ausgeschlossen.“ ist nach § 307 BGB unwirksam. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Köln entschieden. |
Es gab damit der Unterlassungsklage der Verbraucherzentrale statt. Es handele sich bei dem Erwerb einer Briefmarke um einen Kaufvertrag und nicht um einen Frachtvertrag.
Das bürgerliche Recht kenne für Verpflichtungen aus schuldrechtlichen Verträgen im Allgemeinen nur die im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: §§ 194 ff. BGB) geregelten Verjährungsvorschriften, nicht dagegen besondere, von der Frage der Verjährung unabhängige Ausschlussfristen. Es handele sich um eine unangemessene und erhebliche zeitliche Beschränkung des Erfüllungsanspruchs.
Das OLG hob hervor: Durch die Beschränkung der Gültigkeitauf 14 Tage wird der Erfüllungsanspruch auf etwa ein Prozent der gesetzlich vorgesehenen Verjährungsfrist verkürzt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 13.6.2023, I-3 U 148/22
| Im Rahmen einer inländischen doppelten Haushaltsführung ist der Werbungskostenabzug von Unterkunftskosten auf 1.000 Euro monatlich beschränkt. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat nun entschieden, dass unter diesen Höchstbetrag auch eine für die Wohnung am Beschäftigungsort zu entrichtende Zweitwohnungssteuer fällt. |
Hintergrund: Eine beruflich veranlasste doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer außerhalb des Ortes seiner ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Haushalt unterhält (Hauptwohnung) und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnt (Zweitwohnung). In diesen Fällen können Arbeitnehmer Unterkunftskosten bis maximal 1.000 Euro im Monat als Werbungskosten abziehen.
Das war geschehen
Eine Arbeitnehmerin hatte an ihrem Tätigkeitsort in München eine Zweitwohnung gemietet. Die hierfür in den Streitjahren entrichtete Zweitwohnungssteuer i. H. von 896 Euro bzw. 1.157 Euro machte sie neben weiteren Kosten für die Wohnung i. H. von jeweils mehr als 12.000 Euro als Aufwendungen für ihre doppelte Haushaltsführung geltend. Das Finanzamt erkannte die Kosten der Unterkunft am Ort der ersten Tätigkeitsstätte in München jeweils mit dem Höchstbetrag von 12.000 Euro an. Die Zweitwohnungssteuer bei den sonstigen Aufwendungen im Rahmen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigte es nicht.
Die hiergegen gerichtete Klage war erfolgreich. Der BFH hat die Vorentscheidung nun aber aufgehoben.
Was der Höchstbetrag umfasst – und was nicht
Der Höchstbetrag umfasst sämtliche entstehenden Aufwendungen, wie beispielsweise Miete, Betriebskosten sowie Kosten der laufenden Reinigung und Pflege der Zweitwohnung oder -unterkunft; nicht jedoch Aufwendungen für Hausrat, Einrichtungsgegenstände oder Arbeitsmittel, mit denen die Zweitwohnung ausgestattet ist. Aufwendungen für die erforderliche Einrichtung und Ausstattung der Zweitwohnung, soweit sie nicht überhöht sind, können als sonstige notwendige Mehraufwendungen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigt werden.
Die Zweitwohnungssteuer ist Aufwand für die Nutzung der Unterkunft und unterfällt daher bei den Mehraufwendungen für die doppelte Haushaltsführung der Abzugsbeschränkung.
Das Entstehen der Zweitwohnungssteuer knüpft maßgeblich an das Innehaben einer weiteren Wohnung in München neben der Hauptwohnung und so an die damit regelmäßig einhergehende Nutzung dieser Wohnung an. Die Steuer findet als örtliche Aufwandsteuer i. S. von Art. 105 Abs. 2 a des Grundgesetzes (GG) ihre Rechtfertigung darin, dass das Innehaben einer weiteren Wohnung für den persönlichen Lebensbedarf (Zweitwohnung) neben der Hauptwohnung ein Zustand ist, der gewöhnlich die Verwendung von finanziellen Mitteln (Einkommen) erfordert und damit regelmäßig die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Wohnungsinhabers zum Ausdruck bringt.
Beachten Sie | Der BFH hat damit die von der Finanzverwaltung vertretene Rechtsauffassung bestätigt. Noch nicht höchstrichterlich entschieden und derzeit beim BFH anhängig ist die Frage, wie Kosten für einen separat angemieteten Stellplatz zu behandeln sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 13.12.2023, VI R 30/21, PM 18/24 vom 4.4.2024; Stellplatz: Rev. BFH, VI R 4/23
| Zum 1.1.2020 wurde mit § 35 c Einkommensteuergesetz (EStG) eine Steuerermäßigung für energetische Maßnahmen bei zu eigenen Wohnzwecken genutzten Gebäuden eingeführt. Diese komplexe Regelung weist jedoch einige Fragen auf, die das Bundesfinanzministerium (BMF) in einem Schreiben teilweise beantwortet hat. Nun ist nach einem vorinstanzlichen Urteil des Finanzgerichts (FG) München ein Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) zum Heizungstausch anhängig, in dem es darum geht, ob die Steuerermäßigung erst ab der vollständigen Begleichung der Rechnung in Betracht kommt. |
Hintergrund: Begünstigte Aufwendungen/Maßnahmen sind u. a. die Wärmedämmung von Wänden, Dachflächen und Geschossdecken sowie die Erneuerung der Fenster, Außentüren oder der Heizungsanlage.
Je begünstigtem Objekt beträgt der Höchstbetrag der Steuerermäßigung 40.000 Euro, wobei die Ermäßigung nach der Maßgabe des § 35 c Abs. 1 EStG über drei Jahre verteilt wird.
Das war geschehen
Die Steuerpflichtigen ließen 2021 eine neue Heizungsanlage in ihrem selbstgenutzten Gebäude einbauen. Zur Begleichung der Rechnung wurde eine monatliche Ratenzahlung für die Jahre 2021 bis 2024 vereinbart. Fraglich ist nun, ob ein Abschluss der energetischen Maßnahmen bereits mit der ausgeführten Erneuerung der Heizungsanlage (hier im Jahr 2021) oder erst mit der vollständigen Begleichung des Rechnungsbetrags (voraussichtlich im Jahr 2024) vorliegt.
Voraussetzungen für die Steuerermäßigung
Das BMF hat in seinem Schreiben vom 14.1.2021 in der Rn. 43 ausgeführt, dass die Steuerermäßigung erstmalig in dem Veranlagungszeitraum zu gewähren ist, in dem die energetische Maßnahme abgeschlossen wurde. Voraussetzung ist, dass mit der Durchführung der energetischen Maßnahme nach dem 31.12.2019 begonnen wurde und diese vor dem 1.1.2030 abgeschlossen ist.
Die energetische (Einzel-)Maßnahme ist dann abgeschlossen, wenn
- die Leistung tatsächlich erbracht (vollständig durchgeführt) ist,
- der Steuerpflichtige eine Rechnung (Schlussrechnung) erhalten und
- den Rechnungsbetrag auf das Konto des Leistungserbringers eingezahlt hat.
Die Erledigung unwesentlicher Restarbeiten, die für die tatsächliche Reduzierung von Emissionen nicht hinderlich sind, ist unschädlich. Auch, soweit bei einer mehrteiligen Maßnahme für einzelne Teilleistungen Teilrechnungen erstellt und diese beglichen wurden, wird die Steuerermäßigung abweichend vom Abflussprinzip erst ab dem Veranlagungszeitraum des Abschlusses der energetischen Maßnahme gewährt, so das BMF.
Beachten Sie | Da die Revision gegen die Entscheidung anhängig ist, wird nun der BFH entscheiden. Bis dahin können geeignete Fälle mit einem Einspruch offengehalten werden.
Quelle | FG München, Urteil vom 8.12.2023, 8 K 1534/23, Rev. BFH: IX R 31/23; BMF, Schreiben vom 14.1.2021, IV C 1 - S 2296-c/20/10004 :006
| Für Geburten ab dem 1.4.2024 gilt eine neue Einkommensgrenze, ab der der Anspruch auf Elterngeld entfällt. Zudem werden die Möglichkeiten für einen parallelen Bezug von Elterngeld neu gestaltet. Antworten auf wichtige Fragen gibt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). |
Quelle | BMFSFJ, „Neuregelungen beim Elterngeld für Geburten ab 1. April 2024“ vom 28.3.2024
| Der Bezug eines Nutzungsersatzes im Rahmen der reinen Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags nach Widerruf löst keine Einkommensteuer aus. Diese für Verbraucher frohe Kunde kommt vom Bundesfinanzhof (BFH). |
Das war geschehen
Ehegatten schlossen 2008 einen Darlehensvertrag zur Finanzierung einer selbstgenutzten Wohnimmobilie ab. 2016 widerriefen sie den Darlehensvertrag unter Berufung auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung. Auf der Grundlage eines zivilgerichtlichen Vergleichs zahlte die Bank an die Eheleute Nutzungsersatz für bis zum Widerruf erbrachte Zins- undTilgungsleistungen i. H. von 14.500 Euro. Das Finanzamt erfasste den Nutzungsersatz als Einkünfte aus Kapitalvermögen – allerdings zu Unrecht, wie nun der BFH entschieden hat.
Nutzungsersatz: weder Kapitalertrag noch sonstige Einkünfte
Der Nutzungsersatz ist kein Kapitalertrag i. S. des Einkommensteuergesetzes (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG). Die Rückabwicklung eines vom Darlehensnehmer widerrufenen Vertrags vollzieht sich außerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre. Das Rückgewährschuldverhältnis ist ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln. Daher können die einzelnen Ansprüche aus dem Rückgewährschuldverhältnis auch nicht für sich betrachtet – i. S. einer unfreiwilligen Kapitalüberlassung – Teil einer steuerbaren erwerbsgerichteten Tätigkeit sein.
Beachten Sie | Es liegen auch keine sonstigen Einkünfte (§ 22 Nr. 3 EStG) vor.
Verbraucherschutzrecht inzwischen reformiert
Die Entscheidung betrifft „alte“ Verbraucherdarlehensverträge. Der mit der Reform des Verbraucherschutzrechts in das BGB eingefügte § 357 a Abs. 3 S. 1 BGB a. F. (jetzt § 357 b BGB) hat u. a. den Anspruch des Darlehensnehmers auf Nutzungsersatz für die Zukunft beseitigt. Die neue Rechtslage ist auf nach dem 12.6.2014 abgeschlossene Verbraucherdarlehensverträge anwendbar.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.11.2023, VIII R 7/21, PM 16/24 vom 21.3.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über einen Fall entschieden, in dem eine Pkw-Fahrerin an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifuhr und mit einem gerade entleerten Müllcontainer kollidierte. Der BGH hat in diesem Fall einen Verstoß der Fahrerin gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO) bejaht. |
Das war geschehen
Die Klägerin, ein Pflegedienst, macht gegen einen für die Abfallwirtschaft zuständigen kommunalen Zweckverband Schadenersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, bei dem eines ihrer Pflegedienstfahrzeuge beschädigt wurde. Eine Mitarbeiterin der Klägerin fuhr mit diesem Fahrzeug aus der Gegenrichtung kommend an einem Müllabfuhrfahrzeug des beklagtenZweckverbands vorbei, das mit laufendem Motor, laufender Schüttung und eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie Warnblinkanlage in der Straße stand. Dabei kam es zu einer Kollision des klägerischen Fahrzeugs mit einem Müllcontainer, den ein bei dem Beklagten angestellter Müllwerker hinter dem Müllabfuhrfahrzeug quer über die Straße schob.
Mit der Klage hat die Klägerin Erstattung der Fahrzeugreparaturkosten verlangt.
So sahen es die Vorinstanzen
Das Landgericht (LG) hat der Klage gegen den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 zu 50 teilweise stattgegeben.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht (OLG) das Urteil des LG teilweise geändert und den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 75 (Beklagter) zu 25 (Klägerin) zu weiterem Schadenersatz verurteilt. Es ist dabei davon ausgegangen, dass der Fahrerin des Pkw kein Verstoß gegen die StVO anzulasten sei.
So sieht es der Bundesgerichtshof
Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Das Urteil des OLG wurde aufgehoben und die Sache an das OLG zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Der Klägerin steht gegen den Beklagten als Halter des Müllabfuhrfahrzeugs ein Schadenersatzanspruch gemäß StVO (hier: § 7) zu, da das Fahrzeug der Klägerin „bei dem Betrieb“ des Müllabfuhrfahrzeugs beschädigt worden ist. Die Gefahr, die von einer gerade entleerten Mülltonne auf der Straße für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, ist dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs zuzurechnen.
Bei der Entscheidung über die Haftungsverteilung hat das OLG zu Recht dem Müllwerker einen schuldhaften Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorgeworfen, weil er hinter dem Müllabfuhrfahrzeug einen Müllcontainer quer über die Straße schob, ohne auf den Verkehr und das Fahrzeug der Klägerin zu achten, welches für ihn – hätte er den Müllcontainer nicht vor sich hergeschoben – erkennbar gewesen wäre.
Allerdings ist entgegen der Ansicht des OLG auch der Mitarbeiterin der Klägerin als Fahrerin des Pkw ein Verstoß gegen die StVO vorzuwerfen.
Mit dem Verhalten des Müllwerkers konnte gerechnet werden
Das Hauptaugenmerk der mit dem Holen, Entleeren und Zurückbringen von Müllcontainern befassten Müllwerker ist auf ihre Arbeit gerichtet, die sie überwiegend auf der Straße und effizient, also in möglichst kurzer Zeit und auf möglichst kurzen Wegen, zu erledigen haben. Wer an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifährt, das erkennbar im Einsatz ist, darf daher nicht uneingeschränkt auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Müllwerker vertrauen. Er muss damit rechnen, dass Müllwerker plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortreten und unachtsam einige Schritte weiter in den Verkehrsraum tun, bevor sie sich über den Verkehr vergewissern. Auf diese mit dem Einsatz von Müllabfuhrfahrzeugen verbundenen Gefahren hat der vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer sein Fahrverhalten einzurichten. Wenn es nicht möglich ist, einen ausreichenden Seitenabstand zu einem Müllabfuhrfahrzeug einzuhalten, um die Gefahr eines plötzlich auftauchenden Müllwerkers vor oder hinter dem Fahrzeugzu vermeiden, muss die Geschwindigkeit gemäß der Straßenverkehrsordnung (StVO) reduziert werden, sodass der Fahrer sein Fahrzeug bei Bedarf sofort zum Stillstand bringen kann.
Den dargelegten Anforderungen genügte die vom Berufungsgericht festgestellte Fahrweise der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nicht. Bei einem Seitenabstand von maximal 50 cm zum Müllabfuhrfahrzeug war die Ausgangsgeschwindigkeit von 13 km/h zu hoch, als dass die Fahrerin das Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen hätte bringen können.
Quelle | BGH, Urteil vom 12.12.2023, VI ZR 77/23, PM 12/24
| Gibt ein Kunde mittels PushTAN und Verifizierung über eine Gesichtserkennung nach einer Phishing-Nachricht die temporäre Erhöhung seines Überweisungslimits und eine anschließende Überweisung telefonisch frei, handelt er grob fahrlässig. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt. |
Der Bankkunde – ein Rechtsanwalt und Steuerberater in einer internationalen Sozietät – führt bei der beklagten Bank ein Girokonto und forderte erfolglos, eine Überweisung von knapp 50.000 Euro zurückzuerstatten. Das OLG: Die Bank schuldet in einem solchen Fall nicht die Rückerstattung des überwiesenen Betrags. Denn angesichts der fortlaufenden Warnungen der Banken vor Phishing-Mails und der öffentlichen Diskussion hierüber müssten Kunden spätestens bei der telefonischen Aufforderung, Sicherheitsmerkmale preiszugeben, misstrauisch werden. Dies gelte auch, wenn der äußere Rahmen der besuchten Website vertraut erscheint.
Quelle | OLG Frankfurt, Urteil vom 6.12.2023, 3 U 3/23
| Wer an der Grenze zu seinem Nachbargrundstück eine Hecke anlegt, muss nach dem geltenden Nachbarrecht dafür sorgen, dass die Pflanzen je nach Grenzabstand eine bestimmte Höhe nicht überschreiten. Tut er das nicht, kann der Nachbar den Rückschnitt der Hecke verlangen und im Notfall auch gerichtlich durchsetzen. Der Anspruch auf den Rückschnitt kann jedoch nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein, wenn sich der Nachbar selbst regel- und damit treuwidrig verhält. Das hat das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Das war geschehen
Das LG hat mit dieser Begründung die Klage eines Nachbarn auf Rückschnitt einer Hecke an der Grundstücksgrenze abgewiesen. Denn auch einzelne Pflanzen auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn verstießen nach den Feststellungen der Kammer gegen die Regelungen des Nachbarrechts.
Im konkreten Fall hatten zwei Grundbesitzer Streit über die zulässige Höhe einer direkt an der Grundstücksgrenze gepflanzten Hecke, die durchgehend eine Höhe von 2,20 Metern aufweist. Unter Berufung auf das geltende Landesrecht verlangte der Nachbar, dass die Hecke auf einer Höhe von maximal eineinhalb Metern gehalten werde. Dem gab das AG statt und verurteilte den Eigentümer zum entsprechenden Rückschnitt in der Zeit von 1.10. und 15.3. eines jeweiligen Jahres.
Höhe der Hecke zwar einzuhalten, aber …
Die dagegen gerichtete Berufung zum LG hatte jedoch Erfolg. Die Berufungskammer hat dem Nachbarn zwar grundsätzlich zugebilligt, dass die nach dem Nachbarrecht zulässige Höhe der Hecke einzuhalten ist.
… Grundsätze von Treu und Glauben zu beachten
Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis sei aber stark von den sog. Grundsätzen von Treu und Glauben geprägt. Hieraus entspringen Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme, die zu einer Beschränkung bis hin zum Ausschluss nachbarrechtlicher Rechte führen könnten, so das LG. Deshalb müsse berücksichtigt werden, dass auch auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn direkt hinter dem Zaun eine drei bis vier Meter hohe Kugelhecke und eine etwa zweieinhalb Meter hohe Zypresse gepflanzt sei. Dadurch werde ebenfalls gegen das Nachbarrecht verstoßen. Wer sich aber selbst nicht regelgerecht verhalte, sei nach Treu und Glauben von Ansprüchen gegen seinen Nachbarn ausgeschlossen.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 24.1.2024, 2 S 85/23, PM vom 31.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Karlsruhe hat die Klage eines E-Autofahrers gegen die EnBW auf Rückzahlung von Blockiergebühren abgewiesen. |
Überschreiten der zulässigen Standzeit
Die Blockiergebühren in Höhe von insgesamt 19,80 Euro waren wegen Überschreitung der zulässigen Höchststandzeit an Ladesäulen der EnBW an drei verschiedenen Terminen im März 2022 angefallen. Die Blockiergebühr ist nach den Bedingungen des ADAC e-Charge Tarifs, der von der EnBW angeboten wird, ab einer Standzeit von mehr als 240 Minuten fällig. Ab diesem Zeitpunkt sind 12 Cent pro Minute zu zahlen, maximal jedoch 12 Euro. Auf die Blockiergebühr wird sowohl beim Abschluss des Tarifs als auch beim Start des Ladevorgangs hingewiesen. Der Kläger hatte diesen Bedingungen bei Nutzung der App zugestimmt.
Klausel wirksam
Der Kläger hatte argumentiert, die Klausel sei unwirksam. Im Übrigen verlangten andere Anbieter keine Blockiergebühr. Nach Auffassung des AG ist die Klausel jedoch wirksam, da das Interesse der EnBW berechtigt ist, die Ladesäule zeitnah weiteren Kunden zur Verfügung stellen zu können.
Die Entscheidung erging ohne mündliche Verhandlung. Sie ist rechtskräftig.
Quelle | AG Karlsruhe, Urteil vom 4.1.2024, 6 C 184/23, PM vom 24.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Hannover hält ein „französisches Bett“ nicht für ein Doppelbett. Das war in einem Reiserechtsfall entscheidend. |
Ist ein Bett mit einer Breite von 1,40 m ein Doppelbett? Ist es breit genug, um zwei erwachsenen Menschen einen erholsamen Urlaub zu ermöglichen? Das AG hat diese Fragen verneint. Es hat entschieden, dass Reisende jedenfalls in einem Hotel, das der Reiseveranstalter selbst mit fünf „Sonnen“ bewertet, für jeden Reisenden mit einem Schlafplatz von mehr als 70 cm Breite rechnen dürfen.
Im Fall des AG hatten drei erwachsene Personen gemeinsam ein Dreibettzimmer gebucht. Zur Verfügung gestellt wurde ihnen ein Zimmer, das über zwei Betten mit einer Breite von jeweils 1,40 m verfügte. Weil diese Ausstattung nicht der vertraglichen Vereinbarung entsprach, erhalten die beiden Reisenden, die sich ein Bett teilen mussten, nun 15 Prozent des auf sie entfallenden Reisepreises zurück.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 22.2.2024, 471 C 6110/23, PM vom 26.2.2024
| Ein gesetzlich versicherter Patient verlangte von seiner Krankenversicherung, ihm die Kosten für ein Einzelzimmer während eines stationären Krankenhausaufenthalts zu erstatten. Einen solchen Anspruch lehnte das Sozialgericht (SG) Mainz aber ab. |
Patient lag im Einzelzimmer
Ein Patient ließ sich längere Zeit stationär in einem Krankenhaus behandeln. Mit dem Krankenhaus hatte er einen Vertrag über das Unterbringen in einem Einzelzimmer geschlossen.
Krankenkasse wollte Kosten nicht übernehmen
Die dabei entstandenen Kosten wollte die Krankenkasse nicht übernehmen. Der Patient klagte. Seine Argumentation: Aus medizinischen Gründen sei ein Einzelzimmer erforderlich gewesen.
Sozialgericht wies Klage ab
Vor dem SG hatte er jedoch keinen Erfolg. Selbst wenn ein Einzelzimmer erforderlich gewesen sei, hätte das Krankenhaus dafür sorgen müssen, dass der Patient entsprechend untergebracht sei. Die Kosten einer erforderlichen Einzelzimmerbelegung seien dann in den pauschal von der Krankenkasse an das Krankenhaus zu zahlenden Entgelten enthalten. Die Kosten hierfür habe die Krankenkasse bereits gezahlt. Zusätzliche Kosten für ein Einzelzimmer könne der Patient folgerichtig nicht bei seiner Krankenkasse einfordern.
Quelle | SG Mainz, Urteil vom 23.2.2024, S 7 526/20
| Das Mietrecht (hier: § 556 Abs. 3 S. 3 BGB) schließt eine nachträgliche Abrechnung zulasten des Mieters nicht aus, durch die ein Guthaben verringert wird. Das entschied das Landgericht (LG) München. |
Grundsteuer in der Abrechnung vergessen
Der Vermieter hatte über die Betriebskosten abgerechnet und dabei die Grundsteuer vergessen. Bevor er das ursprünglich berechnete Guthaben an den Mieter auszahlte, verstrich die Abrechnungsfrist. Nun korrigierte der Vermieter die Betriebskostenabrechnung und berücksichtigte die Grundsteuer. Dabei ergab sich ein geringeres Guthaben, das er an den Mieter zahlte. Der Mieter klagte auf Rückzahlung des ursprünglich berechneten höheren Guthabens.
Amtsgericht und Landgericht vermieterfreundlich
Das Amtsgericht (AG) sprach jedoch nur das korrigierte geringere Guthaben zu. Es bestünde kein Anspruch des Mieters, weil eine nachträgliche Verringerung des Guthabens vom Gesetz nicht ausgeschlossen sei.
Die Berufung des Mieters blieb erfolglos. Das LG teilte die Rechtsauffassung des AG. § 556 Abs. 3 S. 3 BGB solle den Mieter nur davor schützen, nach Ablauf der Abrechnungsfrist Zahlungen leisten zu müssen, die die Vorauszahlungen übersteigen. Darüber hinaus gewähre das Gesetz keinen Vertrauensschutz für eine zugunsten des Mieters unrichtige Abrechnung.
Der Mieter darf also nicht darauf vertrauen, dass ein Guthaben unveränderlich bleibt. Dies gilt auch, wenn die Korrektur erst nach Ablauf der Abrechnungsfrist erfolgt. Eine weitergehende Schutzwirkung zugunsten des Mieters sieht das Gesetz schon nach dem Wortlaut der Vorschrift („Geltendmachung einer Nachzahlung“) nicht vor.
Die Entscheidung entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 31.10.07, VIII ZR 261/06).
Quelle | LG München I, Beschluss vom 30.11.2023, 31 S 10140/23
| Eine fristlose Kündigung ist auch gegenüber einem psychisch kranken oder schuldunfähigen Mieter möglich, wenn trotz Abmahnung der Hausfrieden systematisch, wiederholt und nachhaltig gestört wird mit der Folge der vorzeitigen Kündigung von anderen Mietern und der Nichtvermietbarkeit angrenzender Wohnungen. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Gesundheitszustand bedarf es dann nicht. So entschied es der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) Sachsen. |
Wiederholte Lärmstörungen
Der Vermieter kündigte nach Abmahnung das Mietverhältnis mit einem psychisch kranken Mieter wegen wiederholten Lärmstörungen fristlos, hilfsweise ordentlich. Andere Mieter hatten wegen des Lärms ihr Mietverhältnis gekündigt und eine Neuvermietung der angrenzenden Wohnung war nicht möglich.
Gegen die erfolgreiche Räumungsklage legte der Mieter Berufung ein, die er nach Hinweisbeschluss des Landgerichts (LG) Dresden zurücknahm. Das LG hatte ausgeführt, dass zwar in der Regel ein schuldhaftes Verhalten des Mieters für die Begründung des Kündigungsgrundes erforderlich sei. Dies gelte aber nicht absolut, da auch bei Schuldlosigkeit das zumutbare Maß und damit die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter überschritten sei und in der Abwägung überwiegen kann. Zwar ergebe sich aus den Wertentscheidungen des Grundgesetzes (hier: Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG) eine erhöhte Toleranzbereitschaft gegenüber nicht oder nur eingeschränkt verantwortlichen Mietern, z. B. Verschlechterung des Gesundheitszustands, Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche oder Suizidgefährdung. Aber auch wenn der Mieter aufgrund der psychischen Erkrankung nicht in der Lage sei, das Unrecht seines Handelns zu erkennen, sei hier die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter deutlich überschritten.
Mieter legte Verfassungsbeschwerde ein
Gegen das Urteil und den Beschluss legte der Mieter Verfassungsbeschwerde ein – doch ohne Erfolg. Die Beschwerde sei unzulässig, sie genüge nicht den Begründungsanforderungen, so der VerfGH. Das LG habe sich umfassend – auch – mit Grundrechten auseinandergesetzt. Eine konkrete Grundrechtsverletzung rüge der Beschwerdeführer nicht.
Quelle | VerfGH Sachsen, Urteil vom 30.8.2023, Vf. 40-IV-23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg ist der Frage nachgegangen, was der mehrdeutige Begriff „vorhandenes Barvermögen“ in einem Vermächtnis bedeutet. |
Die Parteien stritten um die Erfüllung eines Vermächtnisses und hierbei um den Begriff „Barvermögen“. In einem notariellen Testament beschwerte der Erblasser die eingesetzten Erben mit einem Vermächtnis zugunsten einer weiteren Person wie folgt: „Das bei Eintritt des Erbfalls vorhandene Barvermögen soll zu einem 1/3 Anteil an meine Tochter …, geb. am …, ausgezahlt werden“. Die Bedachte hat die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ seine gesamten liquiden Mittel, insbesondere sämtliche Guthaben bei Kreditinstituten, Wertpapiere und Bargeld im engeren Sinne verstanden. Demgegenüber haben die beschwerten Erben die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ lediglich das vorhandene Bargeld verstanden.
Barvermögen = auch unbares Geld, das sofort verfügbar ist
Das Landgericht (LG) hat sich in erster Instanz der Auffassung der Bedachten angeschlossen und die Erben verurteilt, zu zahlen. Aufgrund der gegen dieses Urteil durch die Erben eingelegten Berufung hat das OLG Oldenburg den Begriff wie folgt verstanden: Danach umfasst der Begriff des Barvermögens heutzutage das gesamte Geld, das sofort verfügbar ist, also auch über eine Kartenzahlung. Wertpapiere fallen nicht unter den Begriff des Barvermögens. Vielmehr werden Wertpapiere durch den erweiterten Begriff des Kapitalvermögens mit abgedeckt, der das Barvermögen einschließlich weiterer Kapitalwerte in Geld beschreibt.
Wertpapiere gehörten hier nicht zum Barvermögen
Nach Beweisaufnahme hat das OLG festgestellt, dass die Bedachte nicht habe nachweisen können, dass der Erblasser mit dem Begriff „Barvermögen“ das gesamte Kapitalvermögen, also auch das nicht sofort verfügbare Kapital in der Form von Genossenschaftsanteilen und Wertpapieren gemeint habe. Im Ergebnis habe der vernommene Zeuge – der beurkundende Notar – keine konkreten Aussagen zum Willen des Erblassers in Bezug auf Wertpapiere und dessen Begriffsverständnis vom Begriff „Barvermögen“ machen können.
Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 20.12.2023, 3 U 8/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) München hat entschieden: Ein Tragwerksplaner ist nur verpflichtet, den Prüfbericht des Prüfingenieurs und die diesem beigefügten Bewehrungspläne zu prüfen, wenn eine entsprechende vertragliche Vereinbarung getroffen wurde. |
Wichtige Entscheidung
Diese Aussage ist für das Tagesgeschäft der Tragwerksplanung wichtig, da es in den meisten Fällen für den Tragwerksplaner von Eigeninteresse sein dürfte, Prüfbericht und Prüfeintragungen durchzusehen. Denn der Prüfingenieur könnte ja auch eigene Mängel verhindern helfen. Schwierig wird es, wenn der Prüfingenieur eine andere Auffassung vertritt, aber dennoch kein Planungsfehler vorliegt. Dann muss man abwägen.
Das gehört nicht zuden Aufgaben eines Tragwerksplaners
Das OLG hat auch noch weitere Feststellungen getroffen: Es gehört danach nicht zu den Aufgaben eines Tragwerksplaners, geänderte Ausführungspläne des Architekten an das bauausführende Unternehmen weiterzuleiten. Dies ist ein ständiges Streitthema. Um hier Auseinandersetzungen zu vermeiden, ist es wichtig, zu Planungsbeginn eine Regelung zu treffen, wer welche Pläne an wen weiterleitet. In den meisten Fällen macht es Sinn, dass der Objektplaner hier koordinierend Regelungsvorschläge macht und dafür Sorge trägt, dass seine Pläne an die ausführenden Unternehmen weitergeleitet werden.
Schutzwürdiges Eigeninteresse erforderlich
Außerdem, so das OLG, setze ein Anspruch des Auftraggebers auf Lieferung von Plänen nach Abschluss der Bauarbeiten ein schutzwürdiges Eigeninteresse voraus. Daran fehle es, wenn der Auftraggeber das Bauwerk jahrelang ohne die verlangten Pläne nutzen und verwalten konnte. Hierdurch wird klargestellt, dass Planungsbüros im Regelfall nicht jahrelang als Planarchiv für ehemalige Auftraggeber fungieren müssen.
Quelle | OLG München, Urteil vom 16.5.2023, 9 U 1801/21 Bau
| Die ungenehmigte Nutzung eines Einfamilienwohnhauses als Monteursunterkunft darf nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Neustadt an der Weinstraße untersagt werden. |
Das war geschehen
Die Stadt Ludwigshafen hatte durch ihre Bauaufsichtsbehörde eine Ortsbesichtigung durchgeführt, die ein zur Wohnnutzung genehmigtes Einfamilienhaus betraf. Hierbei stellte sie fest, dass sich in dem Wohnraum im Erdgeschoss zwei Einzelbetten und in einem Wohnraum im Dachgeschoss vier weitere Betten befanden. Insgesamt wohnten dort sechs männliche Personen. Die Stadt untersagte daraufhin gegenüber dem Eigentümer die Nutzung des Hauses für die Zwecke einer „Monteursunterkunft“ bzw. für eine „Beherbergung“ und ordnete hierfür die sofortige Vollziehung an. Dieser legte Widerspruch ein und stellte wegen des Sofortvollzugs zudem einen Eilantrag beim VG. Der Antrag blieb hinsichtlich der Nutzungsuntersagung ohne Erfolg.
So argumentierte das Verwaltungsgericht
Nach der Landesbauordnung Rheinland-Pfalz (hier: § 81 LBauO) könne die Bauaufsichtsbehörde die Benutzung solcher Anlagen untersagen, die gegen baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften über die Errichtung, die Änderung, die Instandhaltung oder die Nutzungsänderung dieser Anlagen verstießen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden könnten.
Dies sei hier der Fall. Die von der Stadt ausgesprochene Nutzungsuntersagungsverfügung sei nicht zu beanstanden, da die tatsächliche Nutzung des Einfamilienhauses als Monteursunterkunft oder sonst als Beherbergungsbetrieb weder genehmigt noch genehmigungsfrei sei. Vorliegend sei nämlich von einer tatsächlich nicht Wohnzwecken dienenden Nutzung des Einfamilienwohnhauses auszugehen.
Definition der „Wohnnutzung“
Eine Wohnnutzung zeichne sich durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts aus. Dies setze bestimmte Ausstattungsmerkmale des Gebäudes voraus. Erforderlich seien insbesondere eine Küche bzw. Kochgelegenheit sowie Toiletten und Waschgelegenheiten, die auch in Gestalt von Gemeinschaftseinrichtungen zur Verfügung stehen könnten.
Der Begriff des Wohnens verlange zudem, dass Aufenthalts- und private Rückzugsräume vorhanden seien, die eine Eigengestaltung des häuslichen Wirkungskreises erst ermöglichten. Auch Wohnheime – etwa Studentenwohnheime – könnten daher als Wohngebäude einzustufen sein, wenn sie nach ihrer Zweckbestimmung und Ausstattung Wohnbedürfnisse erfüllen könnten und sollten. Die Grenzen des Wohnens seien allerdings überschritten, wenn das Gebäude – wie im Fall einer Unterkunft für Monteure – aufgrund seiner spartanischen Ausstattung lediglich als Schlafstätte diene und auch einfache Wohnbedürfnisse nicht befriedige. Dabei spiele zudem die Wohndichte eine Rolle. Der Umstand, dass sich zwei Bewohner einen Schlafraum teilten, spreche zwar nicht zwingend gegen eine Wohnnutzung im Rechtssinne; die dadurch bewirkte Einschränkung der Privatsphäre schließe aber unter Berücksichtigung der hierzulande üblichen Wohnstandards die Annahme einer Wohnnutzung jedenfalls dann regelmäßig aus, wenn zwischen den Bewohnern keine persönliche Bindung bestehe bzw. sich diese Bindung in dem gemeinsamen Interesse an einer möglichst kostengünstigen Unterbringung erschöpfe.
Mindestanforderungen der Wohnnutzung waren zwar erfüllt...
Zwar verfüge das Wohnhaus hier mit zwei Toiletten und einer Küche über die für eine Wohnnutzung erforderlichen Mindestanforderungen. Alle Räume seien aber sehr spartanisch lediglich mit Betten und Schreibtischen eingerichtet.
... Bewohner lebten aber „aus dem Koffer“
Die Bewohner lebten augenscheinlich „aus dem Koffer“, Kleiderschränke oder auch sonstiger Stauraum seien nicht vorhanden. Zudem spreche das Vorbringen des Antragstellers im Eilverfahren, wonach die Bewohner allesamt unter der Woche als Monteure an weit entfernten Orten beschäftigt seien und lediglich am Wochenende oder im Urlaub in dem Haus verweilten, erheblich dafür, dass der Zweck des Zusammenlebens nicht über das Interesse an einer günstigen Unterkunft hinausgehe und tatsächlich kein Interesse an einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit bestehe, sondern das Haus lediglich als Schlafplatz zwischen den Arbeitsaufträgen diene. Insbesondere wegen der Unterbringung in Mehrbettzimmern und des vollständigen Fehlens von Aufenthaltsräumen sei nicht ersichtlich, dass die Unterkunft über den Nutzen als Schlafstätte hinaus Wohnbedürfnisse befriedige.
Quelle | VG Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 4.1.2024, 4 L 1213/23.NW, PM 2/24
| Eine Vorschlagsliste für die Betriebsratswahl, die in ihrem Kennwort ein „Smiley-Symbol“ enthält, ist ungültig. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln in einem Wahlanfechtungsverfahren entschieden. |
Betriebsratswahl angefochten
Fünf Arbeitnehmer eines weltweit tätigen Logistikunternehmens mit einem Betrieb am Flughafen Köln/Bonn und einer weiteren Betriebsstätte im benachbarten Troisdorf hatten die Wahl des 25-köpfigen Betriebsrats angefochten und dies u. a. damit begründet, dass der Wahlvorstand ihren Wahlvorschlag zu Unrecht wegen des verwendeten Listenkennworts zurückgewiesen und stattdessen mit den Familien- und Vornamen der beiden in der Liste an erster Stelle benannten Wahlbewerbern versehen habe.
Die Arbeitnehmer hatten beim Wahlvorstand zunächst einen Wahlvorschlag mit dem Kennwort ,,fair.die“ eingereicht. Nachdem der Wahlvorstand den Vorschlag wegen einer phonetischen Verwechslungsgefahr mit der Gewerkschaft ver.di zurückgewiesen hatte, teilten die Arbeitnehmer mit, dass ihr Wahlvorschlag das Kennwort „FAIR“ (mit dem zusätzlichen „Smiley-Symbol“) die Liste“ tragen solle.
Dieses Kennwort sowie drei weitere Alternativvorschläge, die ebenfalls einen „Smiley“ enthielten, lehnte der Wahlvorstand wiederum ab.
Landesarbeitsgericht: Bildzeichen unzulässig
Wie das LAG entschieden hat, ist ein Bildzeichen als Bestandteil eines Kennworts unzulässig, wenn es wie das „Smiley“ lediglich einen Stimmungs- oder Gefühlszustand ausdrückt, keine eindeutige Wortersatzfunktion hat und demgemäß üblicherweise nicht mit ausgesprochen wird. Zudem hätte auch bei dem oben genannten Kennwort eine Verwechslungsgefahr bestanden, da es lautsprachlich wie „ver.di-Liste“ klingt.
Zudem hat das LAG die Betriebsratswahl für unwirksam erklärt, weil der Wahlvorstand für die Betriebsstätte Troisdorf trotz ihrer räumlichen Nähe zum Hauptbetrieb unzulässigerweise die generelle Briefwahl angeordnet hatte.
Quelle | LAG Köln, Beschluss vom 1.12.2023, 9 TaBV 3/23, PM 13/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat den koordinierten Beschäftigtentausch als Sparmodell für Sozialversicherungsbeiträge für unzulässig erklärt. |
Darum ging es
Ausgangspunkt war die Klage eines niedersächsischen Obstbauern, der einen Betrieb für Apfelanbau führt und an einem weiteren Betrieb für Erdbeeranbau beteiligt ist. Seine Erntehelfer beschäftigt er formal ganzjährig im Apfelanbau. Sie erhalten dort einen festen Monatslohn auf Basis eines Jahresarbeitsstundensolls. In der Zeit von Mai bis Juli wurden die Helfer jedoch im Erdbeerbetrieb eingesetzt. Auf den Lohn dieser Arbeit zahlte der Bauer keine Sozialversicherungsbeiträge, da er die Arbeit als zeitgeringfügige Aushilfstätigkeit betrachtete. Während der Apfelernte im Herbst verfuhr er bei jeweils wechselnder Arbeitsfreistellung mit den Beschäftigten des Erdbeerbetriebs in ähnlicher Weise.
Kurzzeitige Saisonaushilfen oder berufsmäßige Beschäftigte?
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) kam nach einer Betriebsprüfung zu dem Ergebnis, dass die Mitarbeiter nicht nur kurzzeitige Saisonaushilfen seien, sondern berufsmäßig Beschäftigte, für die rd. 58.000 Euro Sozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten seien.
Bauer reklamierte für sich „angepasste Gestaltung“
Hiergegen klagte der Bauer und meinte, dass in rechtlich selbstständigen Betrieben eine Arbeitnehmertätigkeit im Hauptberuf und eine kurzzeitige Beschäftigung bei einem weiteren Arbeitnehmer möglich und erlaubt sei. Steigende Preise und politische Unsicherheiten würden eine angepasste Gestaltung notwendig machen.
Landessozialgericht spricht Klartext
Das LSG hat die Rechtsauffassung der DRV bestätigt. Zur Begründung hat es auf die Berufsmäßigkeit der Helfer abgestellt, die eine Beitragspflicht für die gesamte Tätigkeit auslöse. Das praktizierte Modell verfolge zielgerichtet das Bestreben, über wechselseitige betriebliche Absprachen und mittels langfristig geplanter und aufeinander abgestimmter organisatorischer und vertraglicher Maßnahmen rund ein Drittel des Jahreseinkommens der Arbeitskräfte der Beitragspflicht zur gesetzlichen Sozialversicherung zu entziehen. Die Gefahr der Altersarmut aufseiten der Erntehelfer sei von den Arbeitgebern sehenden Auges hingenommen worden. Die sozialrechtlichen Vorgaben ließen keinen Raum für eine entsprechende Beitragsverkürzung.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.12.2023, L 2 BA 59/23, PM vom 5.2.2024
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung eines Schwerbehinderten in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses diskriminierend im Sinne des Sozialgesetzbuchs IX (hier: § 164 Abs. 2 SGB IX) ist. Sie kann damit unwirksam sein, wenn der Arbeitgeber das Präventionsverfahren nach dem Sozialgesetzbuch (§ 167 Abs. 1 SGB IX) nicht durchgeführt hat. |
Der mit einem Grad der Behinderung von 80 schwerbehinderte Kläger ist seit dem 1.1.2023 bei der beklagten Kommune als „Beschäftigter im Bauhof“ beschäftigt. Der Kläger wurde zwischen dem 2.1. und 14.4.2023 in verschiedenen Kolonnen des Bauhofs eingesetzt und war ab Ende Mai arbeitsunfähig. Am 22.6.2023 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 31.7.2023.
Das ArbG hat entschieden: Die Kündigung verstößt gegen das Diskriminierungsverbot des § 164 Abs. 2 SGB IX und ist damit unwirksam. Der Arbeitgeber sei – entgegen bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) – auch während der Wartezeit gemäß Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 Abs. 1 KSchG) verpflichtet, das o. g. Präventionsverfahren durchzuführen.
§ 167 Abs. 1 SGB IX regelt, dass möglichst frühzeitig als Präventionsmaßnahme die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt einzuschalten sind, wenn Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis eintreten, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können. Dies habe die Arbeitgeberin hier nicht getan. Sie hätte, als sie bemerkte, dass der schwerbehinderte Kläger sich während der Wartezeit – wie sie vorträgt – nicht bewährte bzw. sich nicht ins Team einfügte und ihren Erwartungen nicht entsprach, Präventionsmaßnahmen ergreifen und gegebenenfalls die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt präventiv einschalten müssen.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 20.12.2023, 18 Ca 3954/23, PM 2/24
| Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch verpflichtet. Das Sozialrecht (hier: § 165 S. 3 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX)) sieht die grundsätzliche Einladungspflicht nur für öffentliche Arbeitgeber vor. Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist kein öffentlicher Arbeitgeber. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Schwerbehinderten nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen
Der schwerbehinderte Kläger hatte sich um eine Stelle in der Verwaltung eines Kirchenkreises der Evangelischen Kirche im Rheinland beworben. Trotz Offenlegung seiner Schwerbehinderung wurde er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Seine Bewerbung blieb erfolglos.
Lag Diskriminierung vor?
Nach Ansicht des Klägers wurde er im Auswahlverfahren wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Dies indiziere die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Hierzu sei der Kirchenkreis nach der o. g. Vorschrift verpflichtet gewesen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts gelte er als öffentlicher Arbeitgeber. Mit seiner Klage hat der Kläger deshalb die Zahlung einer Entschädigung verlangt. Der beklagte Kirchenkreis hat dies abgelehnt. Er sei kein öffentlicher Arbeitgeber. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Bundesarbeitsgericht spricht Klartext
Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung dargelegt.
Eine solche kann nicht aufgrund der unterbliebenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch vermutet werden. Hierzu war der beklagte Kirchenkreis nicht verpflichtet. Die Einladungspflicht besteht zwar u. a. für Körperschaften des öffentlichen Rechts. Dies betrifft aber nach dem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Begriffsverständnis nur Körperschaften, die staatliche Aufgaben wahrnehmen. Kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts dienen demgegenüber primär der Erfüllung kirchlicher Aufgaben. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts soll dabei die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgesellschaft unterstützen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Einladungspflicht auf kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts erstrecken wollte. Insoweit stehen sie den ebenfalls staatsfernen privaten Arbeitgebern gleich.
Quelle | BAG, Urteil vom 25.1.2024, 8 AZ R 318/22, PM 2/24
| Bereits im Juli 2023 hatte das Bundesfinanzministerium (BMF) einen Referentenentwurf für ein milliardenschweres Wachstumschancengesetz vorgelegt. Das Ziel: Eine Verabschiedung im Jahr 2023. Bekanntlich wurde daraus nichts. Vielmehr kam das Gesetzgebungsverfahren einem „Possenspiel“ gleich, das durch die Zustimmung des Bundesrats am 22.3.2024 und der Gesetzesverkündung am 27.3.2024 nun beendet ist. |
Das verabschiedete Gesetz enthält im Vergleich zum ursprünglichen Referenten- und Regierungsentwurf viele Änderungen. So wurde u. a. das Entlastungsvolumen reduziert und die Klimaschutz-Investitionsprämie gestrichen.
Zudem wurden zeitkritische Regelungen bereits Ende 2023 durch das Kreditzweitmarktförderungsgesetz umgesetzt, z. B. die Beseitigung von Unsicherheiten bei der Grunderwerbsteuer aufgrund des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts sowie Anpassungen bei der Zinsschrankenregelung.
Dennoch enthält das Gesetzespaket weiterhin zahlreiche Änderungen bzw. Neuregelungen, die im Folgenden auszugsweise vorgestellt werden:
Degressive Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter
Bei beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die nach dem 31.12.2019 und vor dem 1.1.2023 angeschafft oder hergestellt wurden, kann der Steuerpflichtige statt der linearen eine degressive Abschreibung von 25 % (höchstens das 2,5-Fache der linearen Abschreibung) wählen.
Die als Investitionsanreiz gedachte degressive Abschreibung wurde nun wieder eingeführt – und zwar erneut befristet für Anschaffungen oder Herstellungen nach dem 31.3.2024 und vor dem 1.1.2025. Der Abschreibungssatz wurde auf 20 % (höchstens das 2-Fache der linearen Abschreibung) reduziert.
E-Fahrzeuge/Firmenwagen
Die Besteuerung eines Firmenwagens (außerdienstliche Nutzung) kann reduziert werden, indem kein Verbrenner, sondern ein Elektrofahrzeug gewählt wird. Denn hier ist nur ein Viertel des Bruttolistenpreises anzusetzen, wenn der Höchstbetrag von 60.000 Euro eingehalten wird. Dieser wurde für nach dem 31.12.2023 angeschaffte Fahrzeuge auf 70.000 Euro erhöht.
Geschenkegrenze
Geschenke an Geschäftspartner und Kunden sind nur dann steuermindernde Betriebsausgaben, wenn eine Grenze eingehalten wird. Diese wurde für nach dem 31.12.2023 beginnende Wirtschaftsjahre von 35 Euro auf 50 Euro erhöht.
Verlustvortrag
Nach der Regelung des § 10 d Abs. 2 EStG ist ein Verlustvortrag bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1 Mio. Euro (bei Zusammenveranlagung: 2 Mio. Euro) unbeschränkt, darüber hinaus bis zu 60 % des 1 Mio. bzw. 2 Mio. Euro übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte möglich. Ab dem Veranlagungszeitraum 2024 gelten anstelle der 60 % dann 70 % (ab 2028 sind wieder 60 % relevant).
Thesaurierungsbegünstigung
Für bilanzierende Einzel- und Personenunternehmen sieht § 34 a EStG eine steuerliche Begünstigung für nicht entnommene Gewinne vor, die (langfristig) im Unternehmen verbleiben sollen. Da von dieser Begünstigung (nicht zuletzt infolge der Komplexität) bis dato eher selten Gebrauch gemacht wurde, hat der Gesetzgeber § 34 a EStG mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2024 „reformiert“. Ob die Änderungen zu einer höheren „Nachfrage“ bzw. Nutzung führen, bleibt aber abzuwarten.
Option zur Körperschaftsbesteuerung
Nach § 1 a des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) können Personenhandels- und Partnerschaftsgesellschaften im ertragsteuerlichen Bereich wie Körperschaften behandelt werden. Durch einige Änderungen (z. B. können nun auch eingetragene GbRs optieren) soll die Option attraktiver werden.
Elektronische Rechnung
Im Bereich der Umsatzsteuer stellt die Einführung der obligatorischen elektronischen Rechnung für Umsätze zwischen inländischen Unternehmen (B2B) sicherlich die relevanteste Änderung dar.
Die Neuregelung tritt bereits am 1.1.2025 in Kraft. Da die Umsetzung aber einige Zeit beanspruchen wird, können nach den Vorgaben des § 27 Umsatzsteuergesetz (UStG) Übergangsregelungen genutzt werden. Der allgemeine Übergangszeitraum beträgt zwei Jahre (Pflicht somit ab 2027); drei Jahre gelten für Unternehmer mit einem Gesamtumsatz von bis zu 800.000 Euro im Jahr 2026.
Bürokratieabbau bei der Umsatzsteuer
Unter gewissen Voraussetzungen kann die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten (Ist-Besteuerung) berechnet werden, was einen Liquiditätsvorteil ermöglicht. Die relevante Vorjahresumsatzgrenze wurde von 600.000 Euro auf 800.000 Euro erhöht (gilt ab dem Besteuerungszeitraum 2024).
Die Grenze, ab der Unternehmer von der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung befreit werden können, wurde angehoben – und zwar von 1.000 Euro auf 2.000 Euro (gilt ab dem Besteuerungszeitraum 2025).
Grundsätzlich sind Kleinunternehmer (§ 19 UStG) von der Abgabe einer Umsatzsteuererklärung (Nullmeldung) ab dem Besteuerungszeitraum 2024 befreit.
Anhebung von Buchführungsgrenzen
Überschreiten gewerbliche Unternehmer gewisse Buchführungsgrenzen, können sie ihren Gewinn nicht mehr mittels Einnahmen-Überschussrechnung ermitteln, sondern sind zur Bilanzierung verpflichtet. Die in § 141 der Abgabenordnung geregelten Grenzen wurden von 600.000 Euro auf 800.000 Euro (Umsatz) und von 60.000 Euro auf 80.000 Euro (Gewinn) erhöht. Dies gilt für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2023 beginnen (mit Übergangsregelung).
Auch die Buchführungsgrenzen in § 241 a Handelsgesetzbuch (HGB) wurden auf 800.000 Euro (Umsatzerlöse) bzw. 80.000 Euro (Jahresüberschuss) erhöht.
Quelle | Wachstumschancengesetz, BGBl I 2024, Nr. 108
| Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat entschieden: Die von der Stadt Fulda verfügte Schließung von ohne Personal betriebenen Verkaufsmodulen an Sonn- und Feiertagen hat Bestand. |
Das war geschehen
Die Antragstellerin und Inhaberin einer Supermarktkette betreibt im Gebiet der Stadt Fulda Verkaufsmodule, die an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr geöffnet sind und zu denen die Kunden nach einer digitalen Kontrolle Zugang erhalten. Angeboten werden dort Waren des täglichen Bedarfs, die digital bezahlt werden. An Sonn- und Feiertagen wird in diesen Verkaufsmodulen kein Personal eingesetzt.
Die Stadt Fulda hatte gegenüber der Antragstellerin mit sofortiger Wirkung verfügt, die im Stadtgebiet aufgestellten Verkaufsmodule insbesondere an Sonn- und Feiertagen zu schließen. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit einem gerichtlichen Eilantrag, den das Verwaltungsgericht (VG) Kassel ablehnte.
So sieht es der Verwaltungsgerichtshof
Der VGH hat die Entscheidung des VG bestätigt und sich hierbei maßgebend auf die Bestimmungen des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes gestützt. Nach § 3 Abs. 2 dieses Gesetzes müssen Verkaufsstellen unter anderem an Sonn- und Feiertagen für den geschäftlichen Verkehr mit Kundinnen und Kunden geschlossen sein. Verkaufsstellen sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes Ladengeschäfte aller Art, falls in ihnen von einer festen Stelle aus ständig Waren zum Verkauf an jedermann „feilgehalten“ werden.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat der VGH im Wesentlichen ausgeführt, das VG sei zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständlichen Verkaufsmodule Verkaufsstellen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes seien. Das „Feilhalten“ von Waren im Sinne dieser Vorschrift setze nach der gesetzlichen Definition dieses Begriffs keinen persönlichen Kontakt mit einem Verkäufer voraus. Es mache für das „Feilhalten“ von Waren keinen Unterschied, ob der Kunde die begehrte Ware aus einem Automaten oder aus einem Verkaufsregal bzw. von einem Verkaufstisch an sich nehme; der Verkaufsvorgang setze in beiden Fällen ein aktives Handeln des Kunden voraus, dem nicht zwangsläufig ein aktives Tun des Verkäufers gegenüberstehe. Richtig sei zwar das von der Antragstellerin vorgetragene Argument, dass bei einem Verzicht auf den Einsatz von Verkaufspersonal das dem Ladenschlussrecht zugrunde liegende Ziel des Arbeitnehmerschutzes erreicht werde.
Das Hessische Ladenöffnungsgesetz diene allerdings nicht allein dem Arbeitnehmerschutz, sondern auch dem Ziel, die Sonntage und staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erholung zu schützen. Es bestehe auch keine Vergleichbarkeit zwischen dem Einkauf in den streitgegenständlichen Verkaufsmodulen und den auch sonn- und feiertags durchgängig möglichen Onlinebestellungen. Insbesondere habe der Onlinebestellvorgang keinerlei Außenwirkungen und sei daher nicht geeignet, die Sonn- und Feiertagsruhe der übrigen Bevölkerung zu beeinträchtigen.
Der Beschluss ist im verwaltungsgerichtlichen Instanzenzug nicht anfechtbar.
Quelle | VGH Kassel, Beschluss vom 22.12.2023, 8 B 77/22, PM 1/24
| Mehraufwendungen für einen behindertengerechten Um- oder Neubau eines Hauses oder einer Wohnung sind grundsätzlich als außergewöhnliche Belastung abziehbar. Dies gilt auch für eine dadurch ausgelöste Mieterhöhung. Aber: Ein Abzug ist nur zulässig, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Das hat das Finanzgericht (FG) München entschieden. |
Im Streitfall des FG München ging es um die umbaubedingte Erhöhung einer jährlichen Miete, die durch die Errichtung eines behindertengerechten Verbindungsbaus mit Pflegebad zwischen zwei Einfamilienhäusern veranlasst war.
Der Höhe nach hat das FG eine Begrenzung der Abzugsfähigkeit der Aufwendungen gesehen – und zwar im Hinblick darauf, dass es zu den durchgeführten Umbaumaßnahmen eine kostengünstigere Alternative gegeben hätte, die der Behinderung in gleicher Weise Rechnung getragen hätte.
Beachten Sie | Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Revision zugelassen. Er kann nun klären, ob dem Steuerpflichtigen bei der Beurteilung, ob Aufwendungen notwendig und angemessen sind, ein Ermessensspielraum einzuräumen ist. Bis dahin können geeignete Fälle durch einen Einspruch offengehalten werden.
Quelle | FG München, Urteil vom 27.10.2022, 10 K 3292/18, Rev. BFH: VI R 15/23
| Das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg musste jüngst über einen „Wohn-Riester-Fall“ entscheiden. Hierbei ging es um einen Ehemann, der von seiner verstorbenen Frau deren Wohnung und den Darlehensvertrag geerbt hatte. Das Darlehen wollte er tilgen. Deshalb begehrte er, die Entnahme von gefördertem Kapital zur wohnungswirtschaftlichen Verwendung aus einem Altersvorsorgevermögen (gemäß § 92 b Abs. 1 S. 3 Einkommensteuergesetz [EStG]) zu bewilligen. Soviel vorab: Die Entscheidung ging zugunsten des Steuerpflichtigen aus. |
Hintergrund: Durch die sogenannte Riester-Rente sollen mögliche Versorgungslücken im Alter zumindest teilweise aufgefangen werden. Dies geschieht durch den Aufbau einer kapitalgedeckten Versorgung.
Staatlich gefördert wird aber auch der „Wohn-Riester“, eine Variante des Bausparens, bei der Anleger aus dem Vertrag Kapital für den Kauf oder Bau einer Wohnung erhalten. Sie können den „Wohn-Riester“ aber auch nutzen, um ein Immobilien-Darlehen abzutragen.
Das war geschehen
Ein Ehemann erbte als Alleinerbe von seiner Ehefrau eine durch die Ehefrau errichtete und mit dieser gemeinsam bewohnte Wohnung sowie das durch die Ehefrau zur Finanzierung der Wohnung aufgenommene Darlehen. Zur Tilgung des Darlehens begehrte der Ehemann die Bewilligung der Entnahme von gefördertem Kapital zur wohnungswirtschaftlichen Verwendung aus einem Altersvorsorgevermögen.
Ehemann hatte die Wohnung nicht angeschafft, sondern geerbt
Dies wurde ihm allerdings versagt und zwar mit folgender Begründung: Ein nach dem EStG (§ 92 a Abs. 1 S. 1 Nr. 1) für die wohnungswirtschaftliche Verwendung erforderlicher entgeltlicher Anschaffungsvorgang liege in der Person des Ehemanns nicht vor, da er die Wohnung unentgeltlich im Wege der Erbfolge erworben habe. Dies sah der Ehemann aber anders und klagte. Eine gute Entscheidung, denn das FG Berlin-Brandenburg schloss sich seiner Ansicht an.
Ehemann übernahm Tilgung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge
Die Übernahme eines Darlehens als Nachlassverbindlichkeit begründet zwar keine entgeltliche Anschaffung der finanzierten Wohnung durch den Erben. Allerdings ist die Tilgungsvariante gemäß EStG so auszulegen, dass diese auch in Fällen gilt, in denen ein Erbe ein zur Anschaffung oder Herstellung begünstigten Wohnraums aufgenommenes Darlehen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übernimmt.
Der Wortlaut des o. g. Paragrafen im EStG verlangt zwar die Verwendung des Altersvorsorge-Eigenheimbetrags zur Tilgung eines zu diesem Zweck (also zur Anschaffung oder Herstellung) aufgenommenen Darlehens. Jedoch tritt der Gesamtrechtsnachfolger in die Rechtsstellung des Erblassers dergestalt ein, dass ihm die Anschaffung bzw. Herstellung durch den Erblasser zuzurechnen ist.
Mithin besteht eine ununterbrochene Kausalität zwischen der Tilgung des Darlehens und dem ursprünglich für die Anschaffung oder Herstellung aufgewandten Darlehen.
Bundesfinanzhof muss entscheiden
Die Deutsche Rentenversicherung Bund Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen gibt sich mit dem Urteil nicht zufrieden und hat Revision beim Bundesfinanzhof (BFH) eingelegt.
Quelle | FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.12.2023, 15 K 15045/23, Rev. BFH: X R 2/24
| Beim Berliner Testament setzen sich Ehegatten für den ersten Erbfall gegenseitig als Alleinerben ein und bestimmen die Kinder als Schlusserben (z. B. zu gleichen Teilen). Ziel ist die gerechte Verteilung des Nachlasses zwischen den Kindern, aber zunächst die Versorgung des überlebenden Ehegatten. Die Kinder können das Konstrukt jedoch dadurch aus den Angeln heben, dass sie beim Tod des Erstversterbenden ihre Pflichtteilsansprüche geltend machen. Um dies zu verhindern, kann eine Strafklausel aufgenommen werden, z. B. die sog. Jastrowsche Klausel. Über einen solchen Fall musste nun der Bundesfinanzhof (BFH) entscheiden. Das Urteil zeigt, dass derartige Regelungen zumindest aus erbschaftsteuerlicher Sicht nachteilig sein können. |
Das war geschehen
Die Eltern der Klägerin setzten sich gegenseitig als Alleinerben ein, wobei der überlebende Ehegatte über den Nachlass und sein eigenes Vermögen frei verfügen konnte. Als Erben des überlebenden Ehegatten setzten die Eheleute die Klägerin und drei ihrer Schwestern ein. Ein Bruder und eine weitere Schwester wurden enterbt.
Zudem enthielt das Berliner Testament eine Jastrowsche Klausel. Diese regelte, dass für den Fall, dass eines der Kinder nach dem Tod des zuerst sterbenden Elternteils den Pflichtteil verlangt, dieses Kind auch vom Nachlass des zuletzt sterbenden Elternteils nur den Pflichtteil erhalten soll. Diejenigen Erben, die den Pflichtteil beim Tod des Erstverstorbenen nicht fordern, sollten bei Tod des länger lebenden Ehegatten aus dem Nachlass des Erstverstorbenen ein erst beim Tod des länger lebenden Ehegatten fälliges Vermächtnis in Höhe des Pflichtteils erhalten.
Geschwister machten Pflichtteil geltend
Die enterbten Geschwister der Klägerin machten nach dem Tod des erstverstorbenen Vaters ihren Pflichtteil geltend. Die Klägerin erwarb daher beim Tod des Vaters ein entsprechendes Vermächtnis, das mit dem Tod der Mutter fällig wurde.
Nachdem auch die Mutter verstorben war, setzte das Finanzamt gegenüber der Klägerin Erbschaftsteuer für den Erwerb nach der Mutter fest. Das Vermächtnis rechnete es weder dem Erwerb hinzu noch wurde es als Nachlassverbindlichkeit abgezogen. Die Klägerin war hingegen der Ansicht, das Vermächtnis sei bei ihr doppelt hinzugerechnet worden und deshalb als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig. Dies sah der BFH aber anders.
Vermächtnis nach Tod des Vaters entstanden, aber erst nach dem Tod der Mutter fällig
Der Wert des Vermächtnisses wurde zunächst einmal besteuert, nämlich nach dem Tod des Vaters bei der Mutter als dessen Alleinerbin. Da das Vermächtnis zwar damals bereits entstanden war, aber erst bei dem Tod der Mutter fällig wurde, ging der Nachlass des Vaters ungeschmälert (einschließlich des Vermögens, aus dem das Vermächtnis zu erfüllen war) auf die Mutter über. Die Mutter konnte die Vermächtnisverbindlichkeit bei ihrem Erbe nicht abziehen, weil sie diese Schuld mangels Fälligkeit nicht zu begleichen hatte.
Nach dem Tod der Mutter musste die Klägerin das jetzt fällig gewordene Vermächtnis versteuern.
Als Schlusserbin unterlag bei ihr außerdem der Nachlass nach der Mutter der Erbschaftsteuer. Dort konnte sie die dann fällig gewordene Vermächtnisverbindlichkeit als Nachlassverbindlichkeit abziehen. Das Vermächtnis unterlag bei der Klägerin daher nur einmal der Besteuerung.
Dass hinsichtlich des betagten Vermächtnisses im Ergebnis zweimal Erbschaftsteuer entsteht – einmal (ohne Abzugsmöglichkeit als Nachlassverbindlichkeit) bei der Mutter nach dem Tod des Vaters und ein weiteres Mal bei der Klägerin nach dem Tod der Mutter – ist zwar ungünstig, aus rechtlicher Sicht aber nicht zu beanstanden. Es liegt, so der BFH, an der Jastrowschen Klausel, die das Vermächtnis zwar bei Tod des Erstverstorbenen anfallen, aber erst bei Tod des länger lebenden Ehegatten fällig werden lässt.
Beachten Sie | Wer also ein Berliner Testament aufsetzen möchte, sollte nicht nur die zivilrechtlichen Aspekte, sondern auch die erbschaftsteuerlichen Folgen bedenken.
Quelle | BFH-Urteil vom 11.10.2023, II R 34/20, PM 11/24 vom 27.2.2024
| Das Landgericht (LG) Frankenthal hat die gegen eine Gemeinde gerichtete Schadenersatzklage eines Rennradfahrers abgewiesen, der auf einem Radweg aufgrund von Wurzelschäden gestürzt war. Ein Radfahrer müsse seine Fahrweise so einrichten, dass er sichtbare Hindernisse auf einem Radweg rechtzeitig wahrnehmen und vor ihnen anhalten kann, so das LG. |
Grundsätze der Verkehrssicherungspflicht
Grundsätzlich muss der, der eine Gefahrenquelle (z. B. eine aus dem Boden ragende Baumwurzel) schafft oder eine solche andauern lässt, notwendige und zumutbare Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer zu verhindern (sog. „Verkehrssicherungspflicht“). Er muss Gefahren ausräumen oder vor ihnen warnen.
Ausnahmen von der Verkehrssicherungspflicht
Dies gilt jedoch nur, soweit sie für andere trotz aufmerksamen Verhaltens im Straßenverkehr nicht erkennbar oder nicht beherrschbar sind. Die Anforderungen an die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht für einen Radweg bemessen sich an einem normalen Radfahrer mit einer üblichen Geschwindigkeit.
Rennradfahrer muss besonders vorsichtig sein
Ein Rennradfahrer muss von sich aus besonders vorsichtig fahren, da er mit seinen dünnen Reifen bei Unebenheiten im Boden besonders gefährdet ist. Vorliegend seien die Wurzelschäden nach Ansicht der Kammer gut und rechtzeitig erkennbar gewesen.
Wurzelschäden waren sichtbar
Das LG: Der Wegabschnitt habe auch an anderen Stellen Unebenheiten, wie Bodenschwellen, Risse oder eben Wurzelschäden aufgewiesen, sodass Schäden auch an der Unfallstelle nicht überraschend gewesen sein könnten. Ein konzentrierter Radfahrer hätte sein Fahrverhalten an die vorgefundenen Hindernisse anpassen können und müssen. Aufgrund der ausreichenden Erkennbarkeit der Wurzelschäden sei auch eine Warnung bspw. durch ein Hinweisschild nicht erforderlich gewesen.
Auch ein unter Umständen störendes Licht- und Schattenspiel auf dem Radweg wegen eines ungünstigen Sonnenstands, weswegen der Rennradfahrer das Hindernis nicht erkannt haben will, ändere daran nichts. Auf witterungsbedingte Umstände müsse sich ein Radfahrer einstellen und dementsprechend noch vorsichtiger fahren.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 31.8.2023, 3 O 71/22, PM vom 29.12.2023
| Eine Einbahnstraße darf nur in vorgeschriebener Fahrtrichtung befahren werden. Verboten ist auch das Rückwärtsfahren entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung. Lediglich (unmittelbares) Rückwärtseinparken („Rangieren“) ist – ebenso wie Rückwärtseinfahren aus einem Grundstück auf die Straße – kein unzulässiges Rückwärtsfahren auf Richtungsfahrbahnen gegen die Fahrtrichtung. So stellte es der BGH jetzt fest. |
Demgegenüber ist Rückwärtsfahren auch unzulässig, wenn es dazu dient, erst zu einer (freien oder frei werdenden) Parklücke zu gelangen. Entsprechendes gilt, wenn das Rückwärtsfahren dazu dient, einem Fahrzeug die Ausfahrt aus einer Parklücke zu ermöglichen, um anschließend selbst in diese einfahren zu können.
Der Unfall ereignete sich, als der eine Verkehrsteilnehmer rückwärts aus einer Grundstücksausfahrt in die Einbahnstraße einfuhr, während der andere unzulässig die Einbahnstraße rückwärts befuhr. Der Anscheinsbeweis, dass der, der rückwärts aus einer Grundstücksausfahrt fährt, seinen Sorgfaltspflichten nicht genügt habe, wenn es dabei zu einer Kollision kommt, ist nicht anzuwenden. Denn das verbotene Rückwärtsfahren des Unfallgegners hebt das „typische Geschehen“ auf, das für die Anwendung eines Anscheinsbeweis nötig ist. Der Ausfahrt-Ausfahrer muss grundsätzlich nicht mit einem verbotswidrig die Einbahnstraße rückwärts befahrenden Verkehrsteilnehmer rechnen.
Quelle | BGH, Urteil vom 10.10.2023, VI ZR 287/22
| Wird ein Schüler von einer Klassenfahrt ausgeschlossen, weil er dort unzulässigerweise Alkohol erworben hat, können Erziehungsberechtigte zu den Mehrkosten der verfrühten Rückreise heranzogen werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin entschieden. |
Im Juni 2022 fand eine Klassenfahrt einer 10. Klasse eines Gymnasiums nach München statt. Zuvor hatte sich die Beklagte, Mutter eines minderjährigen Schülers, schriftlich verpflichtet, die Kosten einschließlich etwaiger Zusatzkosten bei vorzeitiger Heimreise zu tragen. Während der Fahrt kauften insgesamt sieben Schüler, darunter der Sohn der Beklagten, zwei Wodkaflaschen, woraufhin sie von der Fahrt ausgeschlossen wurden. Die Beklagte zahlte die hierdurch entstandenen Mehrkosten von 143,60 Euro nicht, woraufhin das Land Berlin sie auf Zahlung verklagte.
Die Klage hatte Erfolg. Der Anspruch auf Kostenerstattung ergebe sich aus dem öffentlich-rechtlichen Vertrag, den die Beteiligten miteinander geschlossen hätten. Dieser Vertrag sei wirksam zustande gekommen. Der Ausschluss sei als Ordnungsmaßnahme nach dem Berliner Schulgesetz ergangen und von der Beklagten nicht angegriffen worden, wodurch die vereinbarte Kostenfolge entstanden sei. Die Forderung einschließlich der geltend gemachten Zinsen sei schließlich der Höhe nach nicht zu beanstanden.
Der Gerichtsbescheid ist rechtskräftig.
Quelle | VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 15.11.2023, VG 3 K191/23, PM 2/24
| Das Landgericht (LG) Frankenthal hat die Klage eines Fahrradbesitzers gegen seine Hausratversicherung wegen eines gestohlenen Fahrrads abgewiesen. Das teure Bike war nach seinen Angaben bei einem Einbruch in den Keller seiner Zweitwohnung entwendet worden. |
Das umfasst die Außenversicherung
Das LG hat klargestellt, dass eine Außenversicherung nur Gegenstände in Zweitwohnungen umfasst, die eigentlich in der Hauptwohnung ihren Platz haben und sich nur vorübergehend außerhalb des Hauptwohnsitzes befinden. Als Erweiterung des grundsätzlich an den Versicherungsort gebundenen Versicherungsschutzes sei es dagegen nicht ihr Sinn und Zweck, Gegenstände zu versichern, die üblicherweise in der Zweitwohnung aufbewahrt werden.
Kein versicherter Hausrat
Weil der Mann sein Fahrrad hauptsächlich im Keller der Zweitwohnung abgestellt hatte und nur in mehrwöchigen Urlaubszeiten mit nach Hause nahm, gehört es nicht zum versicherten Hausrat, der tatsächlich nur vorübergehend außerhalb der Hauptwohnung verbracht worden sei, so das LG. Der Radfahrer blieb deshalb auf dem gesamten Diebstahlschaden seines knapp 5.000 Euro teuren Fahrrads sitzen.
Hausratversicherung bestand nur für die Hauptwohnung
Die Hausratversicherung verweigerte nach Auffassung der Kammer zu Recht den Versicherungsschutz, weil der Radbesitzer die Versicherung nur für seine Hauptwohnung besaß. Außerhalb dieser Hauptwohnung befindliche Sachen waren lediglich über einen sog. „Außenversicherungsschutz“ abgedeckt. Eine gesonderte Hausratversicherung für die Zweitwohnung, ein möbliertes Appartement, in dem er sich üblicherweise werktags aufhielt, hatte der Biker nicht abgeschlossen.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 29.3.2023, 3 O 236/22, PM vom 29.11.2023
| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass die operative Therapie eines grauen Stars im Ausland nicht als Notfallbehandlung zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung qualifiziert werden kann. |
Linsenoperation in türkischer Privatklinik wegen grauem Star
Geklagt hatte eine türkischstämmige Frau (geb. 1965) aus Niedersachsen, die seit dem Jahr 2015 an einem beginnenden Katarakt (grauer Star) der Augen litt. Während eines Urlaubs in der Türkei im Jahr 2019 ließ sie an beiden Augen eine Linsenoperation in einer Privatklinik durchführen. Die entstandenen Kosten von rd. 1.600 Euro wollte die Frau von ihrer Krankenkasse erstattet haben.
Die gesetzliche Krankenkasse – und die private Auslandskrankenversicherung – lehnte eine Erstattung ab. Bei vorübergehenden Auslandsaufenthalten könnten nur Notfallbehandlungen übernommen werden. Ein grauer Star sei jedoch ein schleichender Prozess und kein Notfall.
Hiergegen klagte die Frau und schilderte, dass es in der Türkei mit den Augen so schlimm geworden sei, dass sie gestürzt sei. Ihr sei schwarz vor Augen geworden und sie sei in größter Sorge gewesen, das Augenlicht zu verlieren. Es habe sich um einen Notfall gehandelt. Obwohl sie schon länger an grauem Star erkrankt sei, könne ein „plötzlich bemerkter“ Sehverlust mit einem akuten Sehverlust verwechselt werden.
Gericht bestätigt Rechtsauffassung der Krankenkasse
Das LSG hat die Rechtsauffassung der Krankenkasse bestätigt. Der Anspruch scheitere schon deshalb, weil die Klägerin sich als Privatpatientin in einer Privatklinik habe behandeln lassen. Diesbezügliche Behandlungen seien vom Leistungsumfang generell nicht umfasst.
Keine Notfallbehandlung
Unabhängig davon habe bei der Klägerin kein medizinischer Zustand vorgelegen, der während des Türkei-Urlaubs an beiden Augen aufgetreten sei und einer sofortigen Behandlung bedurft hätte. Der behandelnde Augenarzt habe einen senilen Katarakt, d. h. eine Alterserkrankung diagnostiziert. Eine plötzliche Verschlechterung mit dringender Operationsindikation habe er ausgeschlossen. Ein grauer Star sei eine Alterserkrankung, die durch ein schleichendes Fortschreiten gekennzeichnet sei und nicht durch einen plötzlichen Sehverlust im Sinne eines Notfalls.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19.12.2023, L 16 KR 196/23, PM vom 8.1.2024
| Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat den für zwei große Hunde aus dem Landkreis Günzburg angeordneten Leinenzwang bestätigt. Begründet hat es den Leinenzwang u. a. damit, dass die Hunde nach Aussagen mehrerer Betroffener frei herumlaufen würden. Die vom Kläger gegen den Leinenzwang erhobenen Klagen hatte schon das Verwaltungsgericht (VG) Augsburg abgewiesen. Hiergegen stellte der Kläger beim BayVGH Anträge auf Zulassung der Berufung. |
Das war geschehen
Der Kläger ist Halter zweier Hunde. Mit Bescheiden aus dem Monat Februar 2023 hatte die Verwaltungsgemeinschaft als örtlich zuständige Sicherheitsbehörde für die beiden Hunde einen Leinenzwang angeordnet.
Der BayVGH hat die Anträge abgelehnt und die Urteile des VG bestätigt. Gründe, die eine Zulassung der Berufung rechtfertigen würden, lägen nach Ansicht des BayVGH nicht vor. Es bestünden insbesondere keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Urteile des VG.
Gefahr durch große Hunde
Der Einwand des Klägers, die Hunde seien ungefährlich, greife nicht durch. Nach ständiger Rechtsprechung des BayVGH gehe von freilaufenden großen Hunden auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr in der Regel eine konkrete Gefahr für Eigentum und Gesundheit Dritter aus. Der Leinenzwang sei deshalb bereits allein wegen der Größe der Hunde gerechtfertigt. Grund für die Unterscheidung nach der Größe sei, dass es bei großen unangeleinten Hunden in Wohngebieten regelmäßig mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu unvorhergesehenen Reaktionen von Menschen oder Hunden und damit zu erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit kommen könne. Der Feststellung, dass es sich hier um große Hunde mit einer Schulterhöhe von mindestens 50 Zentimetern handele, habe der Kläger nicht in Zweifel gezogen.
Es gab bereits einen Beißvorfall
Ein Einschreiten sei bei einem der Hunde auch deshalb geboten gewesen, weil es im November 2022 zu einem Beißvorfall gekommen sei. Bei beiden Hunden habe somit eine konkrete und nicht bloß abstrakte Gefahr für die Gesundheit Dritter vorgelegen.
Durch die Beschlüsse des BayVGH wurden die Urteile des VG rechtskräftig.
Quelle | BayVGH, Beschlüsse vom 22.1.2024, 10 ZB 23.1558 u. a., PM vom 30.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Hannover hat jetzt klargestellt: Eine Pauschalreise kann mangelhaft sein, wenn der Reiseveranstalter in einer Hotelanlage entweder nur wenige Poolliegen zur Verfügung stellt oder nicht einschreitet, wenn andere Reisegäste Poolliegen etwa mittels eines Handtuchs längere Zeit reservieren, ohne sie tatsächlich zu nutzen. |
Das war geschehen
Der Kläger buchte für sich und seine Familie eine Pauschalreise zum Preis von insgesamt 5.260 Euro. Das gebuchte Hotel verfügte über sechs Swimmingpools und etwa 500 Poolliegen. Nach den ausgeschilderten Verhaltensregeln war es den Badegästen untersagt, Poolliegen für mehr als 30 Minuten zu reservieren, ohne sie zu nutzen. Tatsächlich war es aber so, dass Badegäste Poolliegen auch länger mit ihren Handtüchern reservierten. Leitung und Personal des Hotels unternahmen nichts dagegen. Der Kläger und seine Familie hingegen hielten sich an die vorgegebenen Verhaltensregeln. Der Kläger rügte mehrfach, dass ihm und seiner Familie deswegen keine Liegen zur Verfügung gestanden hätten. Darin sah der Kläger einen Reisemangel und forderte von dem Reiseveranstalter (der Beklagten) u. a. einen Teil des Reisepreises (798,00 Euro) zurück.
Die Beklagte war der Auffassung, dass es sich um ein friedliches Wettrennen um die begehrten Plätze am Pool mit dem besseren Ende für den sprichwörtlichen „frühen Vogel“ gehandelt habe, nicht aber um einen Reisemangel. Möglicherweise hätten sich nur der Kläger und seine Familie an die Poolregeln gehalten, obwohl sie nicht mit Sanktionen hätten rechnen müssen, wenn der Kläger abends oder seine Lebensgefährtin morgens zum Sonnenaufgang sein Handtuch auf eine Liege gelegt hätte.
Amtsgericht: Pflicht des Reiseveranstalters
Das AG hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger einen Betrag von 322,77 Euro zugesprochen. Dabei hat es angenommen, dass der Reiseveranstalter nicht gehalten ist, jedem Hotelgast eine Liege zur Verfügung zu stellen. Vielmehr müsse die Anzahl der Liegen in einem angemessenen Verhältnis zur Auslastung des Hotels und damit zur Anzahl der Hotelgäste stehen. Stünden zwar genug Liegen zur Verfügung, seien diese für den Reisenden aber faktisch nicht nutzbar, weil andere Hotelgäste entgegen den Verhaltensregeln Poolliegen mit eigenen Handtüchern reservierten, ohne sie zu nutzen, sei der Reiseveranstalter zum Einschreiten verpflichtet.
Gäste mussten nichts selbst unternehmen – Reisepreisminderung von 15 Prozent
Es sei in diesem Zusammenhang auch nicht Sache des Reisenden, selbst für Abhilfe zu sorgen, indem er entweder fremde Handtücher eigenmächtig entferne oder seinerseits entgegen den Verhaltensregeln Liegen reserviere. Dies sei unzumutbar, da Streitigkeiten mit anderen Hotelgästen zu befürchten seien, auf die sich kein Reisender einlassen müsse.
Das Gericht gelangte zu der Überzeugung, dass es dem Kläger und seiner Familie mit Ausnahme des letzten Tages nicht möglich gewesen sei, nach dem Frühstück ab etwa 9.00 Uhr Poolliegen zu nutzen, weil diese entweder belegt, durch Handtücher anderer Badegäste „reserviert“ oder aber defekt gewesen seien. Es hat insoweit eine Reisepreisminderung von 15 Prozent des Tagesreisepreises der ab der erstmaligen Rüge des Klägers betroffenen Tage angenommen.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 20.12.2023, 553 C 5141/23, PM vom 4.1.2023
| Das LG Berlin II hat der Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil des Amtsgerichts (AG) Berlin-Mitte teilweise stattgegeben. Dieses hatte eine von der Vermieterin erhobene Räumungsklage mit der Begründung abgewiesen, die von der Vermieterin ausgesprochene Eigenbedarfskündigung sei formunwirksam. Das LG hat die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Vermieterin – anders als zuvor das AG – zwar für wirksam erachtet, jedoch zugleich die Fortsetzung des Mietverhältnisses für die Dauer von zwei Jahren angeordnet. |
Zweijährige Verlängerung der Mietdauer
Die angeordnete Fortsetzung des Mietverhältnisses für die Dauer von zwei Jahren begründete das LG damit, dass es den beklagten Mietern in dem vorliegenden Fall nicht möglich gewesen sei, angemessenen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen zu beschaffen. Demzufolge können Mieter unter Berufung auf die sog. Sozialklausel des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 574 Abs. 1 und 2 BGB) nach Abwägung mit den Vermieterinteressen unter gewissen Voraussetzungen die Fortsetzung ihres Mietverhältnisses verlangen, auch wenn die zuvor ausgesprochene Kündigung wirksam ist.
Mieter fanden keinen Ersatzwohnraum in Berlin
Das LG hat darauf abgestellt, dass sich die Mieter nach Ausspruch der Eigenbedarfskündigung über einen Zeitraum von fast zwei Jahren auf eine Vielzahl von Wohnungen im gesamten Berliner Stadtgebiet beworben haben, jedoch aufgrund der angespannten Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt sowie des nur noch geringen Angebotes freier Wohnungen mit ihren Bewerbungen keinen Erfolg hatten. Zudem hat das LG bei seiner Entscheidung berücksichtigt, dass auch über das sog. Geschützte Marktsegment (GMS) in absehbarer Zeit kein freier Alternativwohnraum in Berlin für die Mieter zur Verfügung stand.
Schließlich hat das LG auch den Umstand, dass das gesamte Stadtgebiet von Berlin durch eine Mietenbegrenzungsverordnung (MietBegrV Bln) als Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt ausgewiesen ist, als weiteren Beleg für die Richtigkeit des Mietervortrags gewertet und außerdem berücksichtigt, dass der von der Vermieterin geltend gemachte Eigenbedarf nicht besonders dringlich war.
Landgericht: Vertragsbedingungen angepasst und Miete angehoben
Das LG hat bei seiner Entscheidung die bisherigen Vertragsbedingungen von Amts wegen geändert und neben der Anordnung der befristeten Fortdauer des Mietverhältnisses auch die von den Mietern bisher geschuldete Nettokaltmiete auf ein marktübliches Niveau angehoben.
Quelle | LG Berlin II, Urteil vom 25.1.2024, 67 S 264/22, PM 5/24
| Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat entschieden: Ein (notarielles) Testament kann sittenwidrig sein, wenn eine Berufsbetreuerin ihre gerichtlich verliehene Stellung und ihren Einfluss auf einen älteren, kranken und alleinstehenden Erblasser dazu benutzt, gezielt auf den leicht beeinflussbaren Erblasser einzuwirken und ihn dazu zu bewegen, vor einem von ihr herangezogenen Notar in ihrem Sinne letztwillig zu verfügen. |
Das war geschehen
Eine 92 Jahre alte Frau, deren einzige noch lebende Angehörige ihre Tochter war, befand sich wegen ihres Gesundheitszustands ab Anfang September 2022 im Krankenhaus. In den letzten Tagen vor dem Tod ihrer Tochter, die sich zuvor um die Angelegenheiten der Mutter gekümmert hatte, teilten die beiden das Krankenzimmer. Zwei Tage nach dem Tod der Tochter – noch im September 2022 – bestellte das Amtsgericht (AG) für die Frau während des Krankenhausaufenthalts eine Berufsbetreuerin.
Anfang Oktober 2022 erfolgte mit Notarztbegleitung die Einweisung in ein anderes Krankenhaus. Nur kurz war die Frau zwischen den beiden Krankenhausaufenthalten in einer Pflegeeinrichtung untergebracht. Während des zweiten Krankenhausaufenthalts beauftragte die Berufsbetreuerin einen Notar mit der Erstellung eines notariellen Testaments für die Frau. Im Krankenhaus beurkundete der Notar ein Testament der Frau, mit dem sie die Berufsbetreuerin zur Alleinerbin einsetzte. Den Wert des Vermögens gab sie mit 350.000 Euro an. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus – Mitte Oktober 2022 – nahm die Berufsbetreuerin die Frau bei sich zu Hause auf. Vier Tage danach starb die Frau dort eines natürlichen Todes.
Verstoß gegen die guten Sitten
§ 138 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) lautet: Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. Das OLG ist hier davon ausgegangen, dass das notarielle Testament sittenwidrig und damit nichtig ist und die Berufsbetreuerin deshalb hieraus für sich keine Rechte herleiten und insbesondere keinen Erbschein ausgestellt erhalten kann.
Das OLG: Ein notarielles Testament zugunsten einer Berufsbetreuerin kann sittenwidrig sein. Hier sei dies aufgrund des hohen Alters der Erblasserin, ihrer schlechten gesundheitlichen Verfassung, ihrem Gemütszustand nach dem Tod ihrer Tochter, den Umständen im Zusammenhang mit der notariellen Beurkundung sowie dem engen zeitlichen Ablauf zwischen Einrichtung der Betreuung und der Testierung der Fall.
Der Beschluss ist rechtskräftig.
Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 9.1.2024, 6 W 175/23, PM vom 25.1.2024
| Öffnungen in Brandwänden sind unzulässig und deshalb auf Aufforderung der Bauaufsichtsbehörde auch zu verschließen, wenn der angrenzende Nachbar sich mit diesen einverstanden erklärt hat und die Behörde erst nach längerer Zeit gegen den baurechtswidrigen Zustand vorgeht. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Mainz. |
Nachbar stimmte Einbau von Fenstern zu
Das Wohngebäude der klagenden Grundstückseigentümer steht auf der Grenze zum Nachbargrundstück. Die grenzständige Brandwand des Gebäudes wies zunächst an zwei Stellen Glasbauflächen auf. Im Jahr 2009 wurde eine Glasbaufläche durch ein öffenbares Fenster ersetzt, einige Jahre später kam es an der zweiten Stelle zu einem Fenstereinbau. Daraufhin gab der Beklagte, die Bauaufsichtsbehörde, den Klägern auf, die Fenster zu beseitigen und die dabei entstehenden Öffnungen feuerbeständig zu verschließen. Die Kläger wandten sich gegen die Anordnung und machten geltend, der unmittelbar angrenzende Grundstücksnachbar habe schriftlich erklärt, mit den Fenstern einverstanden zu sein. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid im Wesentlichen zurückgewiesen, verlangte aber nur noch einen hochfeuerhemmenden Abschluss der Brandwand. Die Kläger verfolgten die Aufhebung der Anordnung mit einer Klage weiter. Sie führten zusätzlich an, infolge der Zustimmung des Nachbarn und des jahrelangen Nichteinschreitens der Bauaufsichtsbehörde sei bei ihnen ein Vertrauenstatbestand entstanden, der eine baubehördliche Anordnung ausschließe. Das VG wies die Klage ab.
Brandwände: Öffnungen unzulässig
In Brandwänden seien Öffnungen von Gesetzes wegen unzulässig. Von der gesetzlichen Vorgabe dürfe nur ausnahmsweise unter Beachtung des öffentlichen Interesses des Schutzes der Allgemeinheit vor Brandgefahr und des Bauinteresses des Bauherrn abgewichen werden. Das Einverständnis eines Nachbarn zur Abweichung von dem Öffnungsverbot allein mindere das allgemeine Brandschutzbedürfnis nicht, zumal wenn – wie hier – ein weiterer Nachbar durch die betreffende Brandschutzwand gesetzlich geschützt werde, dieser der Baumaßnahme aber nicht zugestimmt habe.
Der Beklagte habe seine Befugnis zum Einschreiten gegen den baurechtswidrigen Zustand auch nicht verwirkt, weil er trotz dessen Kenntnis über längere Zeit hinweg nicht eingeschritten sei. Eingriffsbefugnisse auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr unterlägen nicht der Verwirkung durch die Verwaltung. Die bloße Untätigkeit der Bauaufsichtsbehörde könne auch kein Vertrauen beim Bauherrn begründen, dass die Behörde nicht mehr gegen die rechtswidrige Baumaßnahme vorgehen werde. Die Kläger könnten sich deshalb auch nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen, weil sie eigenmächtig die Glasbausteine durch Fenster ersetzt hätten, ohne zuvor den notwendigen Bauantrag gestellt oder die Baubehörde sonst einbezogen zu haben.
Quelle | VG Mainz, Urteil vom 6.12.2023, 3 K 39/23.MZ, PM 1/24
| Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken hat entschieden: Ein Bauunternehmen kann die zu einem Festpreis vereinbarte Errichtung eines Massivhauses nicht unter Verweis auf unvorhersehbare Materialpreissteigerungen verweigern, wenn es eine Formularklausel in den Bauvertrag eingebracht hat, die ihm eine unbegrenzte einseitige Anpassung der Vergütung ermöglicht. |
Bauvertrag des Bauunternehmens unterzeichnet
Das klagende Ehepaar und das beklagte Bauunternehmen schlossen im Dezember 2020 einen Vertrag, in dem sich das Unternehmen dazu verpflichtete, auf dem Grundstück der Kläger ein Massivhaus zu einem Pauschalpreis von rund 300.000 Euro zu errichten. Hierzu verwendeten die Parteien ein Vertragsmuster des Unternehmens, in dem es heißt, dass beide Seiten bis zum Ablauf eines Jahres ab Vertragsunterzeichnung an den vereinbarten Preis gebunden seien, wenn innerhalb von drei Monaten nach Vertragsschluss mit den Bauarbeiten begonnen werde. Unter Verweis auf diese Bestimmung teilte das Unternehmen den Eheleuten im Juni 2021 mit, dass sich der vereinbarte Preis um etwa 50.000 Euro erhöhe. Es begründete den Schritt mit außerordentlichen und nicht vorhersehbaren Preissteigerungen beim Baumaterial.
Bauherren akzeptierten Preiserhöhung nicht
Das Ehepaar akzeptierte die Preiserhöhung nicht und forderte das Unternehmen seinerseits auf, mit den Bauarbeiten zu beginnen. Auf die Weigerung des Unternehmens erklärten die Eheleute die Vertragskündigung und beauftragten ein anderes Bauunternehmen mit der Errichtung eines Massivhauses zu einem höheren als dem mit der Beklagten vereinbarten Festpreis.
Wer trägt Mehrkosten?
Mit ihrer Klage haben die Eheleute verlangt, festzustellen, dass das beklagte Bauunternehmen verpflichtet ist, ihnen Mehrkosten bei der Errichtung des Hauses zu ersetzen, die deshalb entstehen, weil das Unternehmen sich geweigert hat, den Vertrag zum vereinbarten Preis zu erfüllen.
So entschieden die gerichtlichen Instanzen
Das Landgericht (LG) hat der Klage stattgegeben. Hiergegen hat das Bauunternehmen Berufung eingelegt. Es hat im Wesentlichen geltend gemacht, dass eine Errichtung des Hauses zum ursprünglich vereinbarten Preis existenzbedrohend und ihm daher nicht zumutbar gewesen sei.
Das OLG hat das Bauunternehmen auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung hingewiesen, woraufhin es sein Rechtsmittel zurückgenommen hat. Zur Begründung hat das OLG ausgeführt, dass den Eheleuten der geltend gemachte Ersatz zustehe. Die Weigerung des Unternehmens, zum vereinbarten Preis zu erfüllen, habe sie zur Vertragskündigung und zur Beauftragung eines anderen Unternehmens veranlasst. Hierauf zurückzuführende Mehrkosten des Baus müsse das Unternehmen ersetzen.
Bauunternehmen schuldete den Hausbau zum Festpreis
Das Bauunternehmen habe den Bau des Hauses zum vereinbarten Festpreis geschuldet. Die Preisanpassungsklausel im Vertrag sei unwirksam gewesen. Sie benachteilige die Kunden des Unternehmens unangemessen, wenn es die vereinbarte Vergütung durch die Festlegung der Listenpreise ohne Begrenzung einseitig anheben könne. Die Kunden könnten der Bestimmung bei Vertragsschluss nicht entnehmen, mit Preissteigerungen welchen Umfangs sie zu rechnen hätten.
Bauunternehmen hatte Risikoabsicherung in der Hand
Gerade Besteller eines Neubaus seien darauf aber in besonderem Maße angewiesen. Häufig sei die Finanzierung auf den Festpreis ausgerichtet, sodass schon vermeintlich geringfügige Änderungen die Kunden an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bringen könnten. Das Unternehmen habe die Vertragserfüllung zum vereinbarten Preis auch nicht verweigern dürfen, weil sich die Vertragsgrundlage aufgrund unvorhersehbarer Materialpreissteigerungen geändert habe, denn es habe bei Vertragsschluss die Möglichkeit gehabt, sich mit einer Bestimmung gegen dieses Risiko abzusichern, die auch den Interessen seiner Kunden Rechnung getragen hätte.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 13.7.2023, 5 U 188/22, PM vom 15.2.2024
| Nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) haben Betriebsräte Anspruch auf für die Betriebsratsarbeit erforderlichen Schulungen, deren Kosten der Arbeitgeber tragen muss. Davon können Übernachtungs- und Verpflegungskosten für ein auswärtiges Präsenzseminar auch dann erfasst sein, wenn derselbe Schulungsträger ein inhaltsgleiches Webinar anbietet. So entschied es das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Arbeitgeberin verweigerte Erstattung von Übernachtungs- und Verpflegungskosten
Bei der Arbeitgeberin – einer Fluggesellschaft – ist durch Tarifvertrag eine Personalvertretung (PV) errichtet, deren Schulungsanspruch sich nach dem BetrVG richtet. Die PV entsandte zwei ihrer Mitglieder zu einer mehrtägigen betriebsverfassungsrechtlichen Grundlagenschulung Ende August 2021 in Potsdam. Hierfür zahlte die Arbeitgeberin die Seminargebühr, verweigerte aber die Übernahme der Übernachtungs- und Verpflegungskosten.
Dies begründete sie vor allem damit, die Mitglieder der PV hätten an einem zeit- und inhaltsgleich angebotenen mehrtägigen Webinar desselben Schulungsanbieters teilnehmen können. In dem von der PV eingeleiteten Verfahren hat diese geltend gemacht, dass die Arbeitgeberin auch die Übernachtungs- und Verpflegungskosten tragen muss. Hierzu haben die Vorinstanzen die Arbeitgeberin verpflichtet.
Bundesarbeitsgericht: Betriebsrat hat Spielraum
Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Ebenso wie ein Betriebsrat hat die PV bei der Beurteilung, zu welchen Schulungen sie ihre Mitglieder entsendet, einen gewissen Spielraum. Dieser umfasst grundsätzlich auch das Schulungsformat. Dem steht nicht von vornherein entgegen, dass bei einem Präsenzseminar im Hinblick auf die Übernachtung und Verpflegung der Schulungsteilnehmer regelmäßig höhere Kosten anfallen als bei einem Webinar.
Quelle | BAG, Beschluss vom 7.2.2024, 7 ABR 8/23, PM 5/24
| Wer mit einem äußerst scharfen Filetiermesser hantiert, muss besonders sorgfältig agieren, um Verletzungen von Kollegen auszuschließen. Nicht jeder Fehlgebrauch rechtfertigt aber eine Kündigung ohne vorherige einschlägige Abmahnung. Dies hat – wie bereits zuvor das Arbeitsgericht (ArbG) Lübeck – auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein entschieden. |
Kollegin Messer an den Hals gehalten
Der 29-jährige Kläger ist bei der Beklagten seit Juni 2019 als Industriemechaniker beschäftigt. Am 1.6.2022 arbeitete er mit einer Mitarbeiterin und einem Mitarbeiter an einem Probierstand. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger der Mitarbeiterin ein Filetiermesser mit einer Klingenlänge von 20 cm mit einem Abstand von 10 bis 20 cm an den Hals hielt und damit deren Leib und Leben bedrohte. Die Beklagte kündigte dem Kläger daraufhin am 14.7.2022 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.10.2022.
Kündigungsschutzklage erfolgreich
Die Kündigungsschutzklage des Klägers war in zwei Instanzen erfolgreich. Sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung waren unwirksam. Es fehlte an einem hinreichenden Kündigungsgrund. Zwar kommt eine ernstliche Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben u. a. von Arbeitskollegen als „an sich“ wichtiger Grund für eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung in Betracht. Dies setzt aber voraus, dass der Arbeitnehmer mit dem Willen handelt, dass der Kollege die Drohung zur Kenntnis nimmt und als ernst gemeint auffasst.
Vorsatz war nicht nachzuweisen
Selbst den Vortrag der Beklagten als zutreffend unterstellt, konnte jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts auf einen bedingten Vorsatz beim Kläger geschlossen werden. Vielmehr war es auch möglich, dass der Kläger das Messer schlicht in der rechten Hand haltend sich mit dem Oberkörper zur Mitarbeiterin gedreht hat und bei dieser Drehbewegung dessen rechte Hand mit dem Messer nahe an deren Hals gelangt ist.
Verhältnismäßigkeit muss gewahrt werden
Die Kündigungen konnten auch nicht darauf gestützt werden, dass der Kläger allein durch das Hantieren mit dem Messer Leib und Leben der Mitarbeiterin objektiv und fahrlässig gefährdet hat. Der unsachgemäße Umgang mit einem Messer stellt zwar eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar. Diese hätte nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz den Ausspruch einer fristlosen oder fristgerechten Kündigung nur gerechtfertigt, wenn der Kläger zuvor wegen einer ähnlichen Pflichtverletzung abgemahnt worden wäre. Insbesondere steht auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht zur Überzeugung des Landesarbeitsgerichts fest, dass der Kläger das Messer bewusst und aktiv an den Hals der Mitarbeiterin gehalten hat.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 13.7.2023, 5 Sa 5/23
| Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gekündigt worden, ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. So sieht es das Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 KSchG) vor. Diesen Grundsatz hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf jetzt noch einmal bekräftigt. |
Das war geschehen
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 1.2.2012 beschäftigt. Die Beklagte beschäftigte in ihrem einzigen Betrieb zuletzt knapp 600 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Am 1.3.2022 wurde über das Vermögen der Beklagten das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet. Der Sachwalter und der Gläubigerausschuss stimmten der Einstellung der Geschäftstätigkeit zum 31.12.2022 zu.
Nachdem die Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs am 24.11.2022 durch Spruch der Einigungsstelle für gescheitert erklärt wurden, stellte die Beklagte am 28.11.2022 Anträge auf behördliche Zustimmungen zur betriebsbedingten Kündigung nach dem SGB IX (schwerbehinderte Menschen) und BEEG (Elternzeit). Den Beschäftigten wurde die Gelegenheit eingeräumt, in eine Transfergesellschaft zu wechseln. Im Dezember 2022 sprach die Beklagte gegenüber allen Beschäftigten betriebsbedingte Beendigungskündigungen aus, soweit das Ende des Arbeitsverhältnisses nicht aus anderen Gründen feststand.
Alle Mitarbeitenden, auch der Kläger, wurden ab dem 1.1.2023 unwiderruflich freigestellt. Ausgenommen waren die Beschäftigten des Abwicklungsteams, das ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Anlage 53 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer umfasste, wobei gegenüber dreizehn Personen Kündigungen zum 31.3.2023 und gegenüber den übrigen vierzig Personen Kündigungen zum 30.6.2023 ausgesprochen wurden. Das Arbeitsverhältnis des Klägers kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 16.12.2022 zum 31.3.2023.
Erfolgreiche Kündigungsschutzklage nicht aufgrund Gesetzeslage ...
Die vom Kläger hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hatte vor dem LAG Düsseldorf ebenso wie zuvor beim Arbeitsgericht (ArbG) Solingen Erfolg. Dies folgte zwar nicht aus § 17 KSchG i. V. m. § 134 BGB wegen einer nicht ordnungsgemäßen Massenentlassungszeige. Etwaige Fehler in diesem Zusammenhang stellen keinen Unwirksamkeitsgrund dar, weil Zweck der Anzeige nicht der Individualschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist.
...sondern aufgrund fehlerhafter Sozialauswahl
Die Kündigung war indes aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) rechtsunwirksam, wie es bereits das ArbG zutreffend ausgeführt hatte. Bei einer etappenweisen Betriebsstillegung hat der Arbeitgeber keine freie Auswahl, wem er früher oder später kündigt. Es sind grundsätzlich die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit den Abwicklungsarbeiten zu beschäftigen.
Fehlerhafte Vergleichsgruppen
Die Beklagte hatte hier die Sozialauswahl methodisch fehlerhaft durchgeführt, weil sie die Vergleichsgruppen fehlerhaft gebildet hatte. So hatte sie diese u. a. anhand der ursprünglich ausgeübten Tätigkeiten gebildet. Sie hätte die soziale Auswahl stattdessen anhand der noch im Abwicklungsteam anfallenden Tätigkeiten vornehmen müssen, zu denen die Beklagte nur unvollständig vorgetragen hatte. Es fehlte weitgehend an Vortrag dazu, welche Aufgaben mit welcher Dauer im Abwicklungsteam anfielen, welche Anforderungsprofile dafür erforderlich waren und wie auf dieser Grundlage ein Vergleich vorgenommen werden soll. Die daraus folgende Vermutung der fehlerhaften Sozialauswahl hatte die Beklagte auch in zweiter Instanz nicht widerlegt.
Das LAG hat die Revision nicht zugelassen.
Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 9.1.2024, 3 Sa 529/23, PM 2/24
| Oft müssen sich die Gerichte mit den Voraussetzungen für einen Investitionsabzugsbetrag (IAB nach § 7 g Einkommensteuergesetz [EStG]) beschäftigen. Jüngst haben es zwei Verfahren (Vorinstanz: Finanzgericht (FG) Niedersachsen) mit dieser Frage bis vor den Bundesfinanzhof (BFH) geschafft: Ist für die Gewinngrenze der Steuerbilanzgewinn oder ein um außerbilanzielle Effekte (wie nichtabziehbare Betriebsausgaben sowie einkommensteuerfreie Einnahmen) korrigierter Gewinn relevant? |
Gewinngrenze von 200.000 Euro
Hintergrund: Für die künftige (Investitionszeitraum von drei Jahren) Anschaffung oder Herstellung von abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens (beispielsweise Maschinen) können bis zu 50 % der voraussichtlichen Anschaffungs-/Herstellungskosten gewinnmindernd abgezogen werden. Da der Gesetzgeber durch diese Steuerstundungsmöglichkeit vor allem Investitionen von kleinen und mittleren Betrieben erleichtern will, darf der Gewinn 200.000 Euro nicht überschreiten.
Das war geschehen
In einem Fall des FG Niedersachsen betrug der Bilanzgewinn 189.821 Euro und lag damit unter der (in § 7 g EStG normierten) Grenze von 200.000 Euro. Dennoch versagte das Finanzamt die Bildung eines IAB, da es nach der Hinzurechnung der Gewerbesteuer (vgl. hierzu § 4 Abs. 5 b EStG) von 25.722 Euro auf einen über dem Grenzbetrag liegenden Gewinn von 215.543 Euro kam.
Unterschiedliche Sichtweisen
Die Frage, wie der Gewinn (nach § 7 g Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG) zu ermitteln ist, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt. Hierzu werden (vereinfacht) zwei Meinungen vertreten:
Bundesfinanzministerium: keine Berücksichtigung von Abzügen und Hinzurechnungen
Für das Bundesfinanzministerium (BMF) ist Gewinn der Betrag, der ohne Berücksichtigung von Abzügen und Hinzurechnungen (gemäß § 7 g Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 EStG) der Besteuerung zugrunde zu legen ist; außerbilanzielle Korrekturen der Steuerbilanz sowie Hinzu-/Abrechnungen bei der Einnahmen-Überschussrechnung sind zu berücksichtigen.
Gegenteilige Position: allein steuerbilanzieller Gewinn „zählt“
Teile des Schrifttums vertreten indes die Position, dass allein auf den steuerbilanziellen Gewinn abzustellen ist, was im Streitfall zu einem günstigeren Ergebnis führen würde. Auch für das FG Baden-Württemberg ist der Steuerbilanzgewinn relevant – und nicht der Gewinn i. S. des § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG. Eine Korrektur um außerbilanzielle Positionen findet nicht statt.
Beachten Sie | Das FG Niedersachsen hat sich der Ansicht des BMF angeschlossen. Weil hiergegen die Revision anhängig ist, können Steuerpflichtige in geeigneten Fällen Einspruch einlegen.
Quelle | FG Niedersachsen, Urteile vom 9.5.2023, 2 K 202/22, Rev. BFH: X R 16/23 und 2 K 203/22, Rev. BFH: X R 17/23; BMF-Schreiben vom 15.6.2022, IV C 6 - S 2139-b/21/10001 :001; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 2.5.2023, 10 K 1873/22, Rev. BFH: III R 38/23
| Zwei unterschiedliche Urteile zum Schadenersatz für immaterielle Schäden bei verspäteter Auskunft nach der Datenschutz-Grundverordnung (hier: Art. 15 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 12 DS-GVO) lassen aufhorchen. So hat das Arbeitsgericht (ArbG) jetzt verbraucherfreundlich entschieden, während das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf unternehmensfreundlich war. |
Arbeitsgericht Duisburg: „Unverzüglichkeit“ entscheidend
Das ArbG Duisburg entschied, dass einem Kläger, der sich am 14.3.2017 auf eine Stelle bei dem beklagten Unternehmen beworben und über sechs Jahre später (am 18.5.2023) erstmals Auskunft über ihn dort gespeicherte personenbezogene Daten verlangt hat, eine Geldentschädigung von 750 Euro (verlangt waren 2.000 Euro) zusteht. Dies geschah, obwohl das Unternehmen schon am 5.6.2023 die Auskunft in Form eines Negativattests erteilte – also innerhalb der gesetzlichen Monatsfrist (gemäß Art. 12 Abs. 3 DS-GVO).
Das ArbG sah die Auskunft nicht als „unverzüglich“ im Sinne dieser Vorschrift an. Die dortige Monatsfrist sei nicht als Regel- sondern als Höchstfrist zu verstehen. Sie dürfe nicht routinemäßig, sondern nur in schwierigen Fällen und bei Hinzutreten besonderer Umstände ausgeschöpft werden.
Hier habe das Unternehmen auch keine konkreten Anhaltspunkte vorgetragen, die eine Überschreitung dieser Zeitspanne rechtfertigen würden. Bei der Schadenersatzbemessung hat das ArbG berücksichtigt, dass die gesetzliche Frist nicht erheblich überschritten sei. Eine objektive Dringlichkeit der Anfrage sechs Jahre nach der Bewerbung sei unerheblich.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf: keine datenschutzrechtsverletzende Datenverarbeitung
Da LAG Düsseldorf sieht dies jedoch anders: Es sprach einem Anspruchsteller trotz verspäteter Auskunft durch Überschreiten der Monatsfrist einen Schadenersatzanspruch ab.
Ein Verstoß gegen Art. 15 DS-GVO falle schon nicht in den Anwendungsbereich des Art. 82 DS-GVO. Es fehle an einer gegen die DS-GVO verstoßenden Datenverarbeitung bei einer rein verzögerten Datenauskunft oder einer anfänglich unvollständigen Erfüllung des Auskunftsbegehrens. Darüber hinaus liege allein in der schlagwortartigen Behauptung eines solchen „Kontrollverlusts“ über personenbezogene Daten auch keine Darlegung eines immateriellen Schadens.
Quelle | ArbG Duisburg, Urteil vom 3.11.2023, 5 Ca 877/23; LAG Düsseldorf, Urteil vom 28.11.2023, 3 Sa 285/23, PM 29/23
| Das Landgericht (LG) München hat ein Handelsunternehmen für Getränke dazu verurteilt, es zu unterlassen, das von ihm vertriebene Bier als WUNDERBRAEU zu bezeichnen, wenn dies in Zusammenhang mit einer auf der Bierflasche abgedruckten Münchner Adresse geschieht, an der das Bier jedoch nicht gebraut wird. Dies stelle eine Herkunftstäuschung dar. Zudem muss das beklagte Unternehmen in Zukunft die Bewerbung des Biers mit „CO2 positiv“ bzw. „klimaneutrale Herstellung“ auf der Bierflasche unterlassen. Die Bewertungsmaßstäbe, aufgrund derer diese Äußerungen getroffen würden, seien auf den Etiketten der Flaschen nicht hinreichend transparent offengelegt. |
Irreführende Bezeichnung des Biers
Die Beklagte hatte argumentiert, dass die Bezeichnung „WUNDERBRAEU“ für sich nicht irreführend sei. Zudem habe sie ihren Verwaltungssitz an der angegebenen Münchner Adresse und es sei gesetzlich vorgeschrieben, die Adresse auf der Flasche abzudrucken.
Dem folgte das LG nicht. Die für sich gesehen nicht eindeutige Bezeichnung „WUNDERBRAEU“ sei jedenfalls mit der auf dem rückwärtigen Etikett enthaltenen Adresse einer für Brauereien bekannten Straße in München irreführend. Durch die fragliche Aufschrift werde ein Bezug des Produkts mit einer Anschrift in München hergestellt, obwohl dort unstreitig nicht die Produktionsstätte, sondern allein der Sitz des Handelsunternehmens sei. Zwar möge die Bezeichnung für sich gesehen auch für die Beklagte als Vertriebsunternehmen zulässig sein und die Angabe auch insgesamt den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Das ändere aber nichts daran, dass die Aufschrift im Zusammenhang den Eindruck erwecke, die angegebene Anschrift bezeichne den Herkunftsort des Produktes selbst. Dies sei unzulässig.
Eine Täuschung über die Herkunft des Bieres sei auch geeignet, die Entscheidung der Verbraucherinnen und Verbraucher zu beeinflussen.
Diese Bezeichnung mit Klimabezug ist verboten
Die weiteren, von dem klagenden Verband beanstandeten Angaben „CO2 positiv“ und „klimaneutrale Herstellung“ stellen laut Gericht ebenfalls eine unzulässige Irreführung dar und wurden dem beklagten Unternehmen deshalb, so wie es die Angaben verwendet hatte, verboten.
Die Beklagtenseite hatte angeführt, dass ein QR-Code auf der Flasche zu den gewünschten Informationen über die Bedeutung der beanstandeten Angaben zur Klimabilanz führe. Dies reichte dem LG nicht aus. Gerade in der heutigen Zeit, in der Unternehmen in den Verdacht des sogenannten „Greenwashing“ kämen und in dem Ausgleichsmaßnahmen kontrovers diskutiert würden, sei es wichtig, die Verbraucher über die Grundlagen der jeweiligen werbenden Behauptung aufzuklären. Verbraucher hätten daher ein maßgebliches Interesse daran, inwieweit behauptete Klimaneutralität durch Einsparungen oder durch Ausgleichsmaßnahmen und, wenn ja, durch welche Ausgleichsmaßnahmen erreicht würden. Daher müssten den Verbrauchern die Bewertungsmaßstäbe für die werbenden Angaben „CO2 positiv“ und „klimaneutrale Herstellung“ auf der Bierflasche offengelegt werden.
Letztendlich bestünden zudem erhebliche Zweifel daran, ob die auf der Website des beklagten Unternehmens aufgeführten Informationen ausreichend wären. Denn genaue Angaben zur berechneten Klimabilanz und Angaben darüber, in welchem Umfang die Klimaneutralität durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werden sollen und in welchem Umfang durch Einsparung, fänden sich dort gerade nicht.
Quelle | LG München I, Urteil vom 8.12.2023, 37 O 2041/23, PM 32/23
| Der Anleger eines Investmentfonds muss als Investmentertrag u. a. die Vorabpauschale nach § 18 des Investmentsteuergesetzes (InvStG) versteuern. Geregelt ist dies in § 16 Abs. 1 Nr. 2 InvStG. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nun den Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale 2024 veröffentlicht. |
Hintergrund: Nach § 16 Abs. 1 InvStG sind Erträge aus Investmentfonds (Investmenterträge)
- Ausschüttungen des Investmentfonds,
- Vorabpauschalen und
- Gewinne aus der Veräußerung von Investmentanteilen.
Die Vorabpauschale ist der Betrag, um den die Ausschüttungen eines Investmentfonds innerhalb eines Kalenderjahrs den Basisertrag für dieses Kalenderjahr unterschreiten. Die Vorabpauschale gilt (nach § 18 Abs. 3 InvStG) beim Anleger am ersten Werktag des folgenden Kalenderjahrs als zugeflossen.
Der Basiszins ist aus der langfristig erzielbaren Rendite öffentlicher Anleihen abzuleiten. Dabei ist auf den Zinssatz abzustellen, den die Deutsche Bundesbank anhand der Zinsstrukturdaten jeweils auf den ersten Börsentag des Jahres errechnet. Das BMF muss den maßgebenden Zinssatz im Bundessteuerblatt veröffentlichen. Der Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale für das Jahr 2024 beträgt 2,29 %.
Ob es infolge der Vorabpauschale tatsächlich zu einer Steuerbelastung kommt, hängt von mehreren Faktoren ab. Beispielsweise ist ein erteilter Freistellungsauftrag für Kapitalerträge (maximal 1.000 Euro; bei Zusammenveranlagung von Ehegatten: 2.000 Euro) zu berücksichtigen.
Eine Steuerbelastung setzt ferner voraus, dass der Basiszins positiv ist. Aufgrund des negativen Basiszinses für die Jahre 2021 und für 2022 wurde insoweit auch keine Vorabpauschale erhoben.
Beachten Sie | Der ermittelte Basiszins zur Berechnung der Vorabpauschale für das Jahr 2023 beträgt 2,55 %. Eine etwaige steuerliche Belastung erfolgte zum Jahresbeginn 2024.
Quelle | BMF, Schreiben vom 5.1.2024, IV C 1 - S 1980-1/19/10038 :008; BMF, Schreiben vom 4.1.2023, IV C 1 - S 1980-1/19/10038: 007
| Das Bundeszentralamt für Steuern hat am 7.2.2024 mitgeteilt, dass das Zuwendungsempfängerregister ab sofort online zur Verfügung steht. |
Das Zuwendungsempfängerregister umfasst alle Organisationen, die berechtigt sind, ihren Spendern Zuwendungsbestätigungen auszustellen. Somit bietet das Register u. a. eine einfache Möglichkeit, sich über den Gemeinnützigkeitsstatus von Organisationen zu informieren.
| In Betriebsprüfungen gibt es oft Streit, ob Fahrtenbücher als ordnungsgemäß anzuerkennen sind. Aktuell hat das Finanzgericht (FG) Düsseldorf Folgendes entschieden: Ein elektronisches Fahrtenbuch erfüllt nicht die Anforderungen an den Nachweis des tatsächlichen Umfangs der Privatnutzung eines betrieblichen Kfz, wenn nachträgliche Veränderungen an den zu einem früheren Zeitpunkt eingegebenen Daten nicht in der Datei selbst, sondern in externen Protokolldateien dokumentiert werden. Dem Erfordernis des zeitnahen Führens eines Fahrtenbuchs wird nicht genügt, wenn die – zwischenzeitlich auf Notizzetteln festgehaltenen – Eintragungen erst mehrere Tage oder Wochen nach Abschluss der betreffenden Fahrten vorgenommen werden. |
Quelle | FG Düsseldorf, Urteil vom 24.11.2023, 3 K 1887/22 H[L]
| Zu den Werbungskosten zählt auch die zur vorzeitigen Ablösung eines Darlehens gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung, soweit die Schuldzinsen mit den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Dieser Zusammenhang besteht, wenn bereits im Zeitpunkt der Veräußerung eines Grundstücks anhand objektiver Umstände der endgültige Entschluss feststellbar ist, mit dem nach der vorzeitigen Darlehensablösung verbleibenden Verkaufserlös wiederum konkret bestimmtes Grundvermögen mit dem Ziel anzuschaffen, hieraus Vermietungseinkünfte zu erzielen. Dies hat das Finanzgericht (FG) Köln entschieden. |
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ergibt sich ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit den Vermietungseinkünften aus einem neuen Objekt allenfalls dann, wenn der Steuerpflichtige bereits bei der Veräußerung – z. B. im Kaufvertrag selbst oder zumindest beim Abschluss des Kaufvertrags – im Vorhinein so unwiderruflich über den verbleibenden Restkaufpreis verfügt, dass er ihn unmittelbar zum Erzielen von Vermietungseinkünften mit einem bestimmten Objekt festlegt.
Beachten Sie | Verbleibende Zweifel gehen zulasten des Steuerpflichtigen, denn er trägt die Feststellungslast für die den Steueranspruch mindernden Tatsachen.
Infolge dieser restriktiven Rechtsprechung kam im Streitfall des FG Köln kein Werbungskostenabzug in Betracht. Denn der Steuerpflichtige hatte den überschießenden Verkaufserlös (also Verkaufspreis abzüglich abzulösendes Darlehen) zunächst selbst vereinnahmt und dann zur Teilrückführung einzelner Darlehen verwendet.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | FG Köln, Urteil vom 19.10.2023, 11 K 1802/22
| Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen hat sich mit der Frage befasst, ob eine Influencerin Aufwendungen für Kleidung und Accessoires steuerlich geltend machen kann. Die Entscheidung fiel zu ungunsten der Steuerpflichtigen aus. |
Das war geschehen
Eine Steuerpflichtige betrieb auf verschiedenen Social-Media-Kanälen und über eine Website einen Mode- und Lifestyleblog und erstellte hierzu Fotos und Stories. Zusätzlich zu den Waren, die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit von verschiedenen Firmen erhalten hatte, um sie zu bewerben, erwarb sie diverse Kleidungsstücke und Accessoires (beispielsweise Handtaschen namhafter Marken). Die Influencerin wollte die Aufwendungen für die Kleidungsstücke und Accessoires als Betriebsausgaben bei ihrer gewerblichen Tätigkeit berücksichtigen.
Argumentation: Keine Abgrenzung zwischen privater und betrieblicher Nutzung möglich
Das Finanzamt verwehrte den Betriebsausgabenabzug mit der Begründung, dass sämtliche Gegenstände auch privat genutzt werden können und eine Abgrenzung der privaten zur betrieblichen Sphäre nicht möglich sei. Insbesondere habe die Steuerpflichtige nicht dargelegt, in welchem Umfang sie die Kleidungsstücke und Accessoires jeweils für private oder betriebliche Zwecke genutzt hatte.
Die hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos.
Finanzgericht: Abzugsverbot für Aufwendungen zur Lebensführung
Das FG Niedersachsen war ebenfalls der Meinung, dass eine Trennung zwischen privater und betrieblicher Sphäre bei gewöhnlicher bürgerlicher Kleidung und Mode-Accessoires nicht möglich ist. Gemäß Einkommensteuergesetz (§ 12 Nr. 1 EStG) folgt insoweit ein Abzugsverbot für Aufwendungen für die Lebensführung der Steuerpflichtigen, die ihre wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung mit sich bringt, auch wenn die Aufwendungen zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit der Steuerpflichtigen erfolgen.
Beachten Sie | Es kommt nicht darauf an, wie die Steuerpflichtige die Gegenstände konkret genutzt hat. Allein die naheliegende Möglichkeit der Privatnutzung von bürgerlicher Kleidung und Mode-Accessoires führt dazu, dass eine steuerliche Berücksichtigung ausgeschlossen ist.
Zudem handelt es sich bei den von der Influencerin erworbenen Gegenständen nicht um typische Berufskleidung, für die ein Betriebsausgabenabzug möglich ist. Hierunter fallen nur solche Kleidungsstücke, die nach ihrer Beschaffenheit objektiv nahezu ausschließlich für die berufliche Nutzung bestimmt und geeignet und wegen der Eigenart des Berufs nötig sind, bzw. bei denen die berufliche Verwendungsbestimmung bereits aus ihrer Beschaffenheit entweder durch ihre Unterscheidungsfunktion oder durch ihre Schutzfunktion (z. B bei Arbeitsschuhen) folgt.
Beachten Sie | Der Beruf einer Influencerin bzw. Bloggerin ist insoweit nicht anders zu beurteilen als sonstige Berufe. Ob die Kleidungsstücke und Mode-Accessoires tatsächlich ausschließlich betrieblich genutzt werden, ist unbeachtlich. Somit war die Aufklärung des Umfangs der tatsächlichen privaten Nutzung der Kleidung nicht entscheidend.
Quelle | FG Niedersachsen, Urteil vom 13.11.2023, 3 K 11195/21
| Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Bei einem Unfall, der in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Einfahren von einer Parkbucht in den Straßenverkehr stattfindet, gilt das einfahrende Fahrzeug als Verursacher, wenn eine weitere Aufklärung nicht möglich ist. |
Der Fahrer eines zuvor in einer Parkbucht am Straßenrand stehenden Fahrzeugs ist mit diesem in den Straßenverkehr eingefahren. Hierauf kam es zu einer Kollision mit einem dort in gleicher Richtung fahrenden Wagen. Über den Unfallhergang machten die Beteiligten jeweils unterschiedliche Angaben.
Das AG hat entschieden, dass der Verkehrsunfall vollständig von dem einfahrenden Fahrzeug verursacht wurde. Zwar ließ sich das Geschehen überwiegend nicht mehr aufklären, allerdings habe derjenige, der vom Straßenrand in den Verkehr einfährt, nach der Straßenverkehrsordnung besonders darauf zu achten, dass er andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet.
Aufgrund der zeitlichen und örtlichen Nähe des Unfallgeschehens zu dem Einfahren des parkenden Fahrzeugs in den Straßenverkehr bestehe daher der Anschein, dass dessen Fahrer nicht ausreichend auf den Verkehr geachtet und somit den Unfall herbeigeführt habe. Dafür spreche zudem, dasss eine Version des Unfallgeschehens, er sei bereits einige Zeit auf der Straße gefahren, mit dem Schadensbild nicht in Einklang zu bringen sei. Zudem habe der Fahrer selbst erklärt, das andere Fahrzeug erst durch den Anstoß bemerkt zu haben, was darauf hinweise, dass er das Verkehrsgeschehen beim Losfahren von dem Parkplatz nicht ausreichend beobachtet habe.
Quelle | AG Hanau, Urteil vom 5.6.2023, 39 C 329/21 (19)
| Kindergeld für sich selbst können Kinder nur erhalten, wenn sie Vollwaise sind oder den Aufenthalt der Eltern nicht kennen. Kein Kindergeld beanspruchen kann ein Kind, wenn es gelegentlich mit seiner Mutter im Ausland telefonieren und sich dabei nach ihrem Aufenthaltsort erkundigen kann. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) jetzt entschieden. |
Regelmäßige Telefonate
Der Kläger hatte Kindergeld für sich selbst beansprucht mit der Begründung, er kenne den Aufenthalt seiner Mutter nicht. Diese hatte sich Ende 2017 auf die Flucht begeben und zunächst jeweils nur für kurze Dauer an verschiedenen Orten in Syrien gelebt, zuletzt in der Nähe von Damaskus. Allerdings hatte der Kläger in seinem Kindergeldantrag angegeben, zwei- bis dreimal monatlich mit ihr zu telefonieren. Dadurch hatte er zumindest die zumutbare Möglichkeit, sich nach dem aktuellen Aufenthaltsort seiner Mutter zu erkundigen.
Voraussetzungen der Aufenthaltskenntnis
Ein Kind kennt den Aufenthalt seiner Eltern, wenn es weiß, an welchem für ihn bestimmbaren Ort sich seine Eltern oder zumindest ein Elternteil aufhalten. Auf die Kenntnis einer postalischen Adresse oder eines „verstetigten“ Aufenthalts kommt es dagegen nicht an, weil sich seit Einführung des Kindergelds für „alleinstehende Kinder“ im Jahr 1986 die Kommunikationsmöglichkeiten und -gewohnheiten durch Internet und Mobilfunk grundlegend verändert haben. Für die erforderliche Aufenthaltskenntnis genügt es zudem, wenn aus Sicht des Kindes die zumutbare Möglichkeit besteht, innerhalb eines angemessenen Zeitraums Kontakt mit seinen Eltern aufzunehmen. Die Kenntnis fehlt erst, wenn Dauer und Ausmaß der Unkenntnis über den Verbleib der Eltern den endgültigen Verlust der Eltern-Kind-Beziehung wie bei einer Vollwaise befürchten lassen.
Quelle | BSG, Urteil vom 14.12.2023, B 10 KG 1/22 R, PM 46/23
| Ein Versicherungsnehmer, der nach einer verbalen Auseinandersetzung im Straßenverkehr einem anderen, für ihn erkennbar schwerbeschädigten Verkehrsteilnehmer in den Rücken schlägt und diesen dadurch zu Fall bringt, nimmt regelmäßig dessen schwere Gesundheitsbeschädigung in Kauf. Als Folge kann sich sein Haftpflichtversicherer auf einen Leistungsausschluss berufen. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Dresden entschieden. |
Auseinandersetzung im Straßenverkehr
Auseinandersetzungen im Straßenverkehr enden immer häufiger damit, dass ein oder mehrere Beteiligte verletzt werden. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung regelt das nicht unbedingt die Haftpflichtversicherung.
Versicherung darf Leistung verweigern
Der Versicherer ist nämlich nach dem Versicherungsvertragsgesetz (hier: § 103 VVG) nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen Schaden herbeigeführt hat.
Einzelfall entscheidend
Ob die Versicherung tatsächlich leistungsfrei ist, entscheidet sich anhand des jeweiligen Einzelfalls. Dazu muss vorgetragen werden, wie sich der Vorfall ereignete und was genau Auslöser der schadenstiftenden Handlung war. Es ist nämlich ein Unterschied, ob es sich um eine Angriffs- oder Verteidigungshandlung handelte.
Quelle | OLG Dresden, Urteil vom 29.6.2023, 4 U 2626/22
| Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das einen Fluggast im Voraus darüber unterrichtet hat, dass es ihm gegen seinen Willen die Beförderung auf einem Flug verweigern werde, für den er über eine bestätigte Buchung verfügt, muss diesem einen Ausgleich zahlen. Das gilt selbst, wenn er sich nicht unter den in der Fluggastrechteverordnung (hier: Art. 3 Abs. 2 FluggastrechteVO) genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden hat. So sieht es der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). |
Fluggast ohne Information umgebucht
Der EuGH zeigt sich damit – wieder einmal – verbraucherfreundlich. Im konkreten Fall hatte die Fluggesellschaft einen Fluggast umgebucht, ihn aber nicht darüber informiert. Auf seine Rückfrage wurde ihm zugleich mitgeteilt, dass er für den gebuchten Rückflug gesperrt sei, weil er zum umgebuchten Flug nicht erschienen sei. Es sei nicht mehr möglich, den Rückflug anzutreten.
Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung
Der EuGH hat darüber hinaus entschieden, dass dem Fluggast zwar bei Annullierung eines Flugs u. U. kein Ausgleichsanspruch zusteht. Dies gelte aber nicht, wenn ein Fluggast – wie im Fall des EuGH für den Rückflug – mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit darüber unterrichtet wurde, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen ihn gegen seinen Willen nicht befördern werde. Ihm steht dann ein Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung i. S. d. Art. 4 der FluggastrechteVO zu.
Quelle | EuGH, Urteil vom 26.10.2023, C-238/22
| Das Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat der Verfassungsbeschwerde eines verbeamteten Lehrers stattgegeben, die sich gegen eine Durchsuchungsanordnung richtete. |
Das war geschehen
Gegen den Lehrer wurde wegen des Verdachts der Beleidigung von zwei Polizeibeamten ermittelt. Um Informationen über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu erlangen, ordnete das Amtsgericht (AG) an, seine Wohnung zu durchsuchen. Der Lehrer gewährte den die Durchsuchungsanordnung vollziehenden Beamten Eintritt in seine Wohnung und übergab ihnen verschiedene Unterlagen. Das Strafverfahren endete mit einer Einstellung gegen Zahlung einer Geldauflage.
Verletzung von Grundrechten
Die Anordnung der Durchsuchung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach dem Grundgesetz (Art. 13 Abs. 1 GG). Sie war unverhältnismäßig. Angesichts grundrechtsschonender, alternativer Ermittlungshandlungen stand eine Durchsuchung außer Verhältnis zur Schwere der verfolgten Straftat.
Zwar war die Durchsuchung nicht bereits deshalb unzulässig, weil lediglich die Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers ermittelt werden sollten. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft müssen sich nämlich auch auf Umstände beziehen, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind. Dazu zählen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten zwecks Bestimmung der Tagessatzhöhe.
Lehrer hätte zuerst befragt werden müssen
Naheliegend und grundrechtsschonend wäre es gewesen, zunächst den Beschwerdeführer über seinen Verteidiger zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu befragen. Eine solche Nachfrage hätte im Streitfall mit realistischer Wahrscheinlichkeit dazu geführt, ausreichende Informationen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu erlangen. Auch die Gefahr eines Beweismittelverlustes bestand nicht.
Anfrage an Besoldungsstelle als Alternative
Als naheliegende und grundrechtsschonende Alternative zu einer Wohnungsdurchsuchung wäre aber auch eine Anfrage bei der Besoldungsstelle des Beschwerdeführers nach dem von dort bezogenen Einkommen in Betracht gekommen. Durch eine solche Anfrage sind zwar nicht zwingend Informationen zu allen Einkünften zu erlangen. Das Strafgesetzbuch (hier: § 40 Abs. 3 StGB) erfordert aber – zumal in Fällen der kleineren Kriminalität – auch nicht die Ausschöpfung aller Beweismittel, wenn ansonsten die fachrechtlichen Voraussetzungen für eine Schätzung der Einkünfte vorliegen. Durchsuchungen zur Ermittlung der für die Bestimmung der Tagessatzhöhe entscheidenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten sind daher grundsätzlich nur verhältnismäßig, wenn anhand der übrigen zur Verfügung stehenden Beweismittel keine Schätzung möglich ist.
Weitere alternative Anfragen möglich
Hätten sich Staatsanwaltschaft und AG mit den durch die genannten Maßnahmen zu erlangenden Informationen zum Einkommen des Beschwerdeführers nicht begnügen wollen, wären darüber hinaus eine Abfrage bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und anschließende Bankanfragen in Betracht gekommen. Auch insoweit handelt es sich im Vergleich zur angeordneten Durchsuchung um eine meist weniger grundrechtsintensive Maßnahme.
Quelle | BVerfG, Beschluss vom 15.11.2023, 1 BvR 52/23, PM 115/23
| In einem Nachbarschaftsstreit sah das Amtsgericht (AG) München in dem Aufstellen einer Kamera auf dem Nachbargrundstück eine Persönlichkeitsrechtsverletzung und untersagte dies der Antragsgegnerin. |
Überwachungs- oder Wildkamera?
Die Parteien sind unmittelbare Nachbarn in München und stritten über eine im April 2022 auf der Terrasse der Antragsgegnerin aufgestellte Wildüberwachungskamera, die von der Terrasse der Antragstellerin aus sichtbar war. Die Antragstellerin wehrte sich hiergegen unter Verweis auf ihre Persönlichkeitsrechte und forderte die Antragsgegnerin im Juli 2022 u. a. auf, die Videoüberwachung zu beenden und künftig zu unterlassen. Die Antragsgegnerin verweigerte dies mit der Begründung, dass es sich nicht um eine Videoüberwachung, sondern um eine sogenannte Wild-Kamera handeln würde. Es ginge ausschließlich um die Kontrolle des eigenen Gartens.
Kamera musste entfernt werden
Zunächst erließ das AG im einstweiligen Rechtsschutz auf Antrag der Antragstellerin eine einstweilige Verfügung. Danach wurde es dieser untersagt, auf ihrem Grundstück eine Überwachungskamera aufzustellen, die die Terrasse oder den Garten der Antragstellerin erfasst oder erfassen kann oder den Eindruck hiervon erweckt. Anschließend entfernte die Antragsgegnerin die Kamera.
Einstweilige Verfügung war rechtens
Auf Antrag der Antragstellerin bestätigte das AG dann mit einem Urteil die einstweilige Verfügung. Die vormals aufgestellte Kamera habe die Antragstellerin in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Kamera tatsächlich ausschließlich den Bereich der Antragsgegnerin erfasst hat oder nicht. Denn es komme insoweit auf die Umstände des Einzelfalls an. Die Befürchtung, durch vorhandene Überwachungsgeräte überwacht zu werden, sei gerechtfertigt, wenn sie aufgrund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit oder aufgrund objektiv Verdacht erregender Umstände. Lägen solche Umstände vor, könne das Persönlichkeitsrecht des (vermeintlich) Überwachten schon wegen der Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch Videokameras und ähnliche Überwachungsgeräte beeinträchtige hingegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen nicht, die dadurch betroffen sein könnten.
Hypothetische Möglichkeit der Überwachung ausreichend für Beseitigungsanspruch
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs habe die Antragstellerin einen Anspruch auf Beseitigung der Kamera und entsprechende Unterlassung der etwaigen weiteren Installation einer vergleichbaren Kamera. Nach Ansicht der Lichtbilder sei das Gericht der Überzeugung, dass die Antragstellerin zu der Ansicht gelangen konnte, dass ihr Grundstück von der Kamera erfasst werde. Es handelte sich nicht mehr um die rein hypothetische Möglichkeit der Überwachung.
Der Sachverhalt habe sich zwar mittlerweile maßgeblich verändert, da die Kamera entfernt worden sei. Weiterhin habe die Antragsgegnerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass sie nicht die Absicht habe, eine weitere Kamera aufzustellen. Dieser Umstand allein kann aber nicht ausreichen, eine Wiederholungsgefahr aufzuheben.
Quelle | AG München, Urteil vom 1.2.2023, 171 C 11188/22, PM 43/23
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über die Frage entschieden, ob ein Anspruch des Mieters auf Gestattung der Gebrauchsüberlassung an einen Dritten (Untervermietung) auch im Fall einer Einzimmerwohnung gegeben sein kann. Er hat den Anspruch des Mieters bestätigt. |
Das war geschehen
Der Mieter einer in Berlin gelegenen Einzimmerwohnung bat mit Schreiben von März 2021 seinen Vermieter wegen eines beruflichen Auslandsaufenthalts um die Gestattung der Untervermietung an eine namentlich benannte Person vom 15.6.2021 bis zum 30.11.2022. Die Vermieter lehnten dies ab.
Mit der im Mai 2021 erhobenen, auf die Erlaubnis der Untervermietung „eines Teils der Wohnung“ an den bezeichneten Untermieter gerichteten Klage hat der Mieter vorgetragen, er wolle für die Dauer seiner berufsbedingten Abwesenheit einen Teil der Wohnung an die benannte Person untervermieten, jedoch persönliche Gegenstände weiter in der Wohnung lagern. Während seines Auslandaufenthalts lagere er seine in der (untervermieteten) Wohnung verbliebenen persönlichen Gegenstände dort in einem Schrank und einer Kommode sowie in einem am Ende des Flurs gelegenen, durch einen Vorhang abgetrennten, nur von ihm zu nutzenden Bereich von der Größe eines Quadratmeters. Ferner blieb er im Besitz eines Wohnungsschlüssels.
Die Klage hatte beim Amtsgericht (AG) keinen Erfolg. Auf die Berufung des Mieters hat das Landgericht (LG) die Vermieter antragsgemäß verurteilt, die Untervermietung „eines Teils der Wohnung“ an die vom Mieter benannte Person zu gestatten. Mit der Revision begehren die Vermieter die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
So entschied der Bundesgerichtshof
Die Revision der Vermieter hatte keinen Erfolg. Der BGH hat entschieden, dass dem Mieter ein Anspruch auf Gestattung der befristeten, teilweisen Gebrauchsüberlassung an den von ihm benannten Dritten zusteht.
Wie der Senat in der Vergangenheit bereits (zu Wohnungen mit mehreren Zimmern) entschieden hat, stellt das Bürgerliche Gesetzbuch (hier: § 553 Abs. 1 BGB) weder quantitative Vorgaben hinsichtlich des beim Mieter verbleibenden Anteils des Wohnraums noch qualitative Anforderungen bezüglich dessen weiterer Nutzung durch den Mieter auf. Von einer Überlassung eines Teils des Wohnraums an einen Dritten im Sinne des § 553 Abs. 1 BGB ist daher regelmäßig bereits auszugehen, wenn der Mieter den Gewahrsam an dem Wohnraum nicht vollständig aufgibt.
Danach kann ein Anspruch des Mieters gegen den Vermieter auf Gestattung der Gebrauchsüberlassung an einen Dritten auch bei einer Einzimmerwohnung gegeben sein. Ein Ausschluss von Einzimmerwohnungen aus dem Anwendungsbereich des § 553 Abs. 1 BGB ergibt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut, der Gesetzesgeschichte noch aus dem mieterschützenden Zweck der Vorschrift. Letzterer liefe für Mieter einer Einzimmerwohnung andernfalls gänzlich leer. Sachgerechte Gründe dafür, solche Mieter insoweit als weniger schutzwürdig anzusehen als Mieter einer Mehrzimmerwohnung, erschließen sich indes nicht, denn auch dem Mieter einer Einzimmerwohnung kann es, namentlich bei – wie hier – befristeter Abwesenheit, darum gehen, sich den Wohnraum zu erhalten.
Die Beurteilung des LG, dass der Mieter dem Untermieter die Einzimmerwohnung nur teilweise überlassen wollte, ist laut BGH nicht zu beanstanden. Der Mieter hat seinen Gewahrsam an der Wohnung nicht vollständig aufgegeben. Denn er hat persönliche Gegenstände in der Wohnung in Bereichen zurückgelassen, die seiner alleinigen Nutzung vorbehalten waren, und sich den Zugriff hierauf zudem durch Zurückbehaltung eines Wohnungsschlüssels gesichert. Hinzu tritt der Wille des Mieters, die Wohnung nur für die Zeit seines Auslandsaufenthalts teilweise einem Dritten zu überlassen.
Quelle | BGH, Urteil vom 13.9.2023, VIII ZR 109/22, PM 158/2023 vom 14.9.2023
| Eine Grabbeigabe (Goldkette und Eheringe) durch den Testamentsvollstrecker ist auch bei einer Auswirkung auf ein Vermächtnis nicht grob pflichtwidrig. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. |
Testamentsvollstrecker kam Wunsch der Erblasserin nach
Die Erblasserin errichtete mit ihrem verstorbenen Ehemann ein gemeinschaftliches Testament. Sie setzten unter anderem ihre gemeinsamen Kinder, die Beteiligten zu 1) bis 3), als Erben zu gleichen Teilen ein und vermachten der Beteiligten zu 3) vorab den Schmuck der Erblasserin. Später ordnete die Erblasserin in einer notariellen Ergänzung Testamentsvollstreckung an und bestimmte den Beteiligten zu 2) zum Testamentsvollstrecker.
Der Beteiligte zu 2) legte der Erblasserin – seiner Behauptung zufolge auf deren Wunsch – die Eheringe der Erblasserin und ihres Ehemannes an einer Goldkette mit ins Grab, obwohl sich die Beteiligten zu 1)und zu 3) mit der Grabbeigabe der Goldkette zuvor nicht einverstanden erklärt hatten. Dies veranlasste den Beteiligten zu 1), die Entlassung des Beteiligten zu 2) aus dem Amt des Testamentsvollstreckers zu beantragen. Das Nachlassgericht hat den Antrag nach Vernehmung verschiedener Zeugen zurückgewiesen.
So sah es das Oberlandesgericht
Die hiergegen eingelegte Beschwerde hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Ein Testamentsvollstrecker begeht keine grobe Pflichtverletzung, sofern er die Eheringe und eine Kette der Erblasserin auf deren Wunsch ihr mit ins Grab legt, auch wenn er dadurch einem angeordneten Vermächtnis teilweise nicht nachkommen kann. Das OLG hat die Beschwerde einer Tochter der Erblasserin zurückgewiesen.
Zu Recht habe das Amtsgericht (AG) eine als grob zu wertende Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers verneint. Es fehle bereits an dem Nachweis einer Pflichtverletzung. Der Beteiligte zu 1) habe nicht nachweisen können, dass die Grabbeilage nicht auf Wunsch der Erblasserin erfolgt sei. Die Erblasserin sei nicht gehindert gewesen, noch zu ihren Lebzeiten einer Vertrauensperson den rechtsverbindlichen Auftrag zu erteilen, die Goldkette nebst den Eheringen nach ihrem Tod als Grabbeigabe zu verwenden. Dieser insoweit als gegeben zu unterstellende geäußerte Wunsch der Erblasserin sei als – wirksamer – Auftrag zu deren Lebzeiten an den Beteiligten zu 2) zu verstehen. Diesen Auftrag hätten allenfalls alle drei Erben widerrufen können. Dies sei nicht geschehen.
Es lag eine Pflichtenkollision vor
Die aus dem Vermächtnis einerseits und dem Auftrag der Erblasserin andererseits resultierende Pflichtenkollision habe der Testamentsvollstrecker zugunsten einer Grabbeigabe entscheiden können, ohne dass dies als objektiv pflichtwidriger Verstoß gegen die Pflichten als Testamentsvollstrecker zu werten ist. Darüber hinaus sei selbst eine unterstellte Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers nicht schwerwiegend.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 19.12.2023, 21 W 120/23, PM 77/23
| Der Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Wohngebäudes an der Grundstücksgrenze fehlt es an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse, wenn eine Baulast im Baulastenverzeichnis eingetragen ist, die für den Grenzbereich die Freihaltung von jeglicher Bebauung regelt. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Mainz. |
Baulast seit 40 Jahren eingetragen
Die Klägerin stellte einen Bauantrag zur Errichtung eines Wohngebäudes an der Grenze zum Nachbargrundstück. Im Baulastenverzeichnis ist seit mehr als 40 Jahren eine Baulast eingetragen, nach der das Baugrundstück der Klägerin in der Länge eines (seinerzeit geplanten und genehmigten) Anbaus an ein Wohngebäude auf dem Nachbargrundstück und in einer Breite von drei Metern von jeglicher Bebauung freizuhalten ist.
Unter Hinweis auf diese Baulastregelung lehnte der Beklagte, die Baugenehmigungsbehörde, den im vereinfachten Genehmigungsverfahren gestellten Bauantrag ab. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage, mit der sie u. a. die Erteilung der Baugenehmigung beanspruchte. Sie machte im Wesentlichen geltend, die Baulast sei hinsichtlich der Länge der freizuhaltenden Fläche unbestimmt und deshalb unwirksam. Jedenfalls sei die Baulast in dem Baulastenverzeichnis zu löschen, weil zwischenzeitlich in der Umgebung nahezu auf allen Grundstücken grenzständige Bauten entstanden seien. Das VG wies die Klage ab.
Kein Rechtsschutzbedürfnis gegeben
Es fehle der Klage an einem sog. Rechtsschutzinteresse. Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren sei der Prüfungsumfang der Bauaufsichtsbehörde gesetzlich beschränkt. So seien Vorschriften nach der Landesbauordnung grundsätzlich nicht zu prüfen. Dementsprechend blieben auch eingetragene Baulasten generell unberücksichtigt.
Baulast war unmissverständlich
Gleichwohl sei die Baubehörde im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht verpflichtet, bauordnungsrechtliche Fragen gänzlich auszublenden. So dürfe sie im vereinfachten Verfahren die Erteilung einer Baugenehmigung versagen, wenn das Bauvorhaben offensichtlich gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften verstoße und deshalb nicht verwirklicht werden könne. So sei es hier. Die in Rede stehende Baulast enthalte die unmissverständliche Aussage, dass der Grenzbereich auf dem Klägergrundstück, auf dem das geplante Wohngebäude zu stehen kommen solle, von jeglicher Bebauung freizuhalten sei. Unter verständiger objektiver Würdigung sei auch bestimmbar, in welcher Länge das Bauverbot gelte: Diese ergebe sich aus den seinerzeitigen Baugenehmigungsunterlagen zu dem Nachbaranbau. Sei eine Baulast in das Baulastenverzeichnis eingetragen, entfalte sie ihre Wirksamkeit. Sie sei – anders als bei einer hier nicht gegebenen Nichtigkeit – nicht ständig auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen.
Bauantragsteller muss handeln
Erst im Fall der Eintragung eines (allerdings in einem eigenem Verwaltungsverfahren nach Wegfall eines öffentlichen Interesses durch die Bauaufsichtsbehörde auszusprechenden) Verzichts auf die Baulast entfalle ihre Wirksamkeit. Es sei Sache des Bauantragstellers, ein solches Verzichtsverfahren (ggf. nach zivilrechtlicher Abklärung von Nachbarrechtspositionen) anzustoßen. Die Baugenehmigungsbehörde sei indes nicht verpflichtet, mit der Bescheidung eines Bauantrags zuzuwarten, bis der Erteilung der Baugenehmigung entgegenstehende Hindernisse ausgeräumt seien.
Quelle | VG Mainz, Urteil vom 6.12.2023, 3 K 47/23.MZ, PM 2/24
| Die Naturschutzbehörden sind grundsätzlich befugt, gegenüber Betreibern bestandskräftig genehmigter Windenergieanlagen nachträgliche Anordnungen zur Verhinderung von Verstößen gegen das artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsverbot gemäß des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) zu treffen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage nach Genehmigungserteilung wesentlich geändert hat. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden. |
Zeitweise Abschaltung der Anlage
Die Klägerin wendet sich gegen nachträgliche zeitliche Beschränkungen des Betriebs ihrer bestandskräftig genehmigten Windenergieanlagen, die die Beklagte gestützt aus Gründen des Fledermausschutzes angeordnet hat. Die im Jahr 2006 erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung enthält keine Betriebsbeschränkungen zum Schutz von Fledermäusen. Nachdem später Totfunde verschiedener Fledermausarten im Bereich der Anlagen gemeldet und Bestandserfassungen zu Fledermäusen angestellt worden waren, verfügte die Beklagte unter näheren Maßgaben zu meteorologischen Rahmenbedingungen eine nächtliche Abschaltung der Anlagen vom 15. April bis zum 31. August eines Jahres. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen.
Wenn sich die Sach-oder Rechtslage ändert, sind nachträgliche Anordnungen möglich
Das BVerwG hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Eine bestandskräftige immissionsschutzrechtliche Genehmigung steht nachträglichen artenschutzrechtlichen Anordnungen auf der gesetzlichen Grundlage (hier: § 3 Abs. 2 BNatSchG) nicht generell entgegen. Das BNatSchG (§ 44 Abs. 1 Nr. 1) begründet eine unmittelbare und dauerhafte Verhaltenspflicht, die auch bei Errichtung und Betrieb immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Windenergieanlagen zu beachten ist.
Zwar ist aufgrund der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung der Anlagenbetrieb auch als rechtmäßig anzusehen. Das gilt aber nur in den Grenzen der auf den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung bezogenen Feststellungswirkung der Genehmigung, wonach die genehmigte Anlage mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar ist. Aufgrund der Anknüpfung an den Genehmigungszeitpunkt erstreckt sich diese Feststellungswirkung nicht auf nachträgliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage, wie im vorliegenden Fall. Die streitige Anordnung bewirkt auch keine – der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörde vorbehaltene – (Teil-)Aufhebung der Genehmigung.
Es war rechtlich auch einwandfrei, so das BVerwG, dass das OVG hier einen Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG bejaht hat, weil durch den Betrieb der Windenergieanlagen das Tötungs- und Verletzungsrisiko von Exemplaren der besonders geschützten Fledermausarten signifikant erhöht sei.
Quelle | BVerwG, Urteil vom 19.12.2023, 7 C 4.22, PM 95/23
| Stiehlt ein Polizist nach einem Verkehrsunfall Käse, ist er aus dem Dienst zu entfernen. So entschied es das Verwaltungsgericht (VG) Trier. |
Das war geschehen
Ein Lkw hatte einen Unfall. Der Polizeibeamte, der eine Uniform und eine Dienstwaffe trug, verlangte von der Bergungsfirma, aus der verunfallten Ladung neun unbeschädigte Packungen Käse herauszugeben. So geschah es. Diese Pakete verlud der Polizist mit einer Kollegin in einen Einsatzbus und deckte sie ab. U. a. ein knappes Viertel des Käses fand sich später in der Polizeistation des Beamten. Seine Erklärung: Der Gutachter der Versicherung habe den Käse freigegeben. Es habe sich quasi um Müll gehandelt. Was er verschwieg: Der Käse wurde später noch zum Restwert verkauft.
Verwaltungsgericht „kennt keine Gnade“
Der Polizist kam zwar vor dem Strafgericht „mit einem blauen Auge“ davon. Das VG, bei dem es um disziplinarische Maßnahmen gegen den Beamten ging, entfernte ihn aus dem Dienst. Er habe während der Dienstzeit in Uniform einen Diebstahl mit Waffen begangen. Das VG verhängte daher die Höchstmaßnahme. Das VG betonte: Einem Polizisten, der in Uniform stiehlt, könne man nicht mehr glauben, dass er sich an Recht und Gesetz hält.
Das VG bewertete es als besonders negativ, dass der Beamte das Vertrauen in die Polizei ausgenutzt hatte, indem er der Bergungsfirma falsche Tatsachen vorgespiegelt hatte. Hinzu kamen Lügen gegenüber seinen Vorgesetzten. Unerheblich sei es, falls der Käse nur als Geschenk an Kollegen dienen sollte.
Quelle | VG Trier, Urteil vom 18.1.2024, 3 K 1752/23 TR
| Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern hat jetzt klargestellt: Beschreibt der Arbeitgeber das Arbeitsumfeld als „jung und dynamisch“, bezieht sich dies auf den Arbeitsplatz. Es wird kein Bewerber wegen seines Alters ausgeschlossen.|
Ein Tankstellenpächter suchte in einem Zeitungsinserat wie folgt nach einem neuen Mitarbeiter: „Wir sind ein junges und dynamisches Team mit Benzin im Blut und suchen Verstärkung.“ Anschließend folgten Einzelheiten zu Anforderungen und Gehalt. Die konkreten Arbeitsbedingungen wurden beschrieben. Der 50-jährige Kläger bewarb sich erfolglos. Eingestellt wurde ein 48-jähriger Mann. Der Kläger forderte eine Entschädigung. Die Stellenanzeige enthalte eine Altersdiskriminierung. Damit scheiterte er in erster und zweiter Instanz.
Das LAG stellte fest: Das Inserat formulierte keine Anforderungen, die den Kläger wegen seines Alters von einer Bewerbung hätte abhalten sollen. Hier lag vielmehr eine werbende Eigendarstellung vor. Es handele sich um eine überspitzte, ironische, nicht ernsthaft gemeinte, in der Form eines Werbeslogans gehaltene Beschreibung des Arbeitsumfeldes. Das LAG: Einzelne Begriffe, z. B. „jung“, herauszupicken und auf sich selbst zu beziehen, sei nicht zulässig, zumal die konkreten Anforderungen an die Bewerber im Inserat deutlich beschrieben wurden.
Quelle | LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 17.10.2023, 2 Sa 61/23
| Der Kläger war seit dem 1.7.2018 als Rezeptionist in einem Beherbergungsbetrieb tätig und regelmäßig in der Spätschicht eingesetzt. Er hatte am 12.1.2022 sein Hybridauto vor der Herberge geparkt und über ein Ladekabel an einer 220 Volt-Steckdose im Flur des Seminartrakts aufgeladen. Nachdem die Beklagte dies entdeckt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis am 14.1.2022 fristlos. Hiergegen hatte der Kläger sich mit seiner Kündigungsschutzklage gewandt und in erster Instanz obsiegt. In dem vom Arbeitgeber angestrengten Berufungsverfahren haben die Parteien ihren Streit vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf nun per Vergleich beigelegt. |
Unerlaubtes Laden an sich ein Kündigungsgrund
In der mündlichen Verhandlung bestätigte das LAG, dass das unerlaubte Laden des Privatfahrzeugs auf Kosten des Arbeitgebers an sich ein Kündigungsgrund ist. Dies gilt erst recht, wenn das Laden an einer 220 Volt-Steckdose und nicht an einer Wallbox oder eingerichteten Ladestation erfolgt.
Erteilte Erlaubnis war unklar
Das LAG hatte allerdings bereits Zweifel, ob von einem unerlaubten Laden auszugehen sei. Dazu hätte ggf. die Beweisaufnahme erster Instanz zur Frage der gegenüber dem Kläger erteilten Erlaubnis wiederholt werden müssen.
Hier hätte Abmahnung ausgereicht
Unabhängig davon sprach nach Ansicht des LAG mehr dafür, dass hier eine Abmahnung ausgereicht hätte. Eine Kündigung wäre wohl unverhältnismäßig gewesen.
„Schaden“ von rund 40 Cent
So lagen die Kosten für den Ladevorgang am 12.1.2022 bei lediglich 0,4076 Euro. Ein Verbot zum Laden von Elektromotoren für die Mitarbeitenden existierte nicht. Die Hausordnung, die dies vorsah, richtete sich ausdrücklich nur an Gäste. Das Laden anderer elektronischer Geräte, z. B. Handys, durch Mitarbeitende wurde geduldet. Auch wenn dies wertungsmäßig etwas anderes als das Laden eines Hybridautos ist, hätte im konkreten Fall angesichts der bislang beanstandungsfreien Beschäftigungszeit eine Abmahnung genügt.
Am Ende verglichen sich die Parteien
Auf Vorschlag des Gerichts haben sich die Parteien u. a. auf eine ordentliche Kündigung zum 28.2.2022 und eine Abfindung von 8.000 Euro brutto geeinigt.
Quelle | LAG Düsseldorf, Vergleich vom 19.12.2023, 8 Sa 244/23, PM 32/23
| Der Beweiswert von (Folge-)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann erschüttert sein, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen, und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun klargestellt. |
War der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert?
Der Kläger war seit März 2021 als Helfer bei der Beklagten beschäftigt. Er legte am Montag, dem 2.5.2022, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 2. bis zum 6.5.2022 vor. Anfang Mai kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.5.2022. Mit Folgebescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 wurde Arbeitsunfähigkeit bis zum 20.5.2022 und bis zum 31.5.2022 (einem Dienstag) bescheinigt. Ab dem 1.6.2022 war der Kläger wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung auf. Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Beweiswert der vorgelegten AU-Bescheinigungen sei erschüttert. Dem widersprach der Kläger, weil die Arbeitsunfähigkeit bereits vor dem Zugang der Kündigung bestanden habe. Die Vorinstanzen haben der auf Entgeltfortzahlung gerichteten Klage für die Zeit vom 1. bis zum 31.5.2022 stattgegeben.
Gesetzliches Beweismittel
Die Revision der Beklagten hatte teilweise – bezogen auf den Zeitraum vom 7. bis zum 31.5.2022 – Erfolg. Ein Arbeitnehmer kann die von ihm behauptete Arbeitsunfähigkeit mit ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachweisen. Diese sind das gesetzlich vorgesehene Beweismittel.
Arbeitgeber kann Beweiswert erschüttern
Deren Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die nach einer Gesamtbetrachtung Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geben. Hiervon ausgehend ist das Landesarbeitsgericht (LAG) bei der Prüfung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die während einer laufenden Kündigungsfrist ausgestellt werden, zutreffend davon ausgegangen, dass für die Erschütterung des Beweiswerts dieser Bescheinigungen nicht entscheidend ist, ob es sich um eine Kündigung des Arbeitnehmers oder eine Kündigung des Arbeitgebers handelt und ob für den Beweis der Arbeitsunfähigkeit eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden.
Einzelfall ist zu würdigen
Stets erforderlich ist allerdings eine einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände. Hiernach hat das Berufungsgericht richtig erkannt, dass der Beweiswert für die Bescheinigung vom 2.5.2022 nicht erschüttert ist. Eine zeitliche Koinzidenz zwischen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und dem Zugang der Kündigung ist nicht gegeben. Der Kläger hatte zum Zeitpunkt der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine Kenntnis von der beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses, etwa durch eine Anhörung des Betriebsrats. Weitere Umstände hat die Beklagte nicht dargelegt. Bezüglich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 ist der Beweiswert dagegen erschüttert. Das LAG hatte insoweit nicht ausreichend berücksichtigt, dass zwischen der in den Folgebescheinigungen festgestellten passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestand und der Kläger unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen hat. Dies hat zur Folge, dass der Kläger nun für die Zeit vom 7.5.bis zum 31.5.2022 die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch trägt.
Da das LAG – aus seiner Sicht konsequent – hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückzuverweisen.
Quelle | BAG, Urteil vom 13.12.2023, 5 AZ R 137/23, PM 45/23