Arbeitsrecht
| Erhält ein Arbeitnehmer aufgrund seines Dienstverhältnisses Waren oder Dienstleistungen, die vom Arbeitgeber nicht überwiegend für den Bedarf seiner Arbeitnehmer hergestellt, vertrieben oder erbracht werden, sind diese Vorteile steuerfrei, soweit sie den Rabattfreibetrag von 1.080 Euro im Kalenderjahr nicht übersteigen (§ 8 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG)). Das Landesozialgericht (LSG) Bayern musste nun in einem Konzernfall über die Beitragspflicht von Warengutscheinen entscheiden. Dabei hat es herausgestellt, dass hinsichtlich des Arbeitgeberbegriffs keine unterschiedliche Beurteilung nach Steuer- und nach Beitragsrecht veranlasst ist. |
Arbeitgeber kann nur derjenige sein, der die Arbeitsverträge mit den Beschäftigten abgeschlossen hat. Dies entspricht auch dem Grundsatz, den der Bundesfinanzhof (BFH) für das Steuerrecht aufgestellt hat.
Begriff des „Arbeitgebers“: keine Konzernklausel
Der BFH hat es abgelehnt, den Begriff des Arbeitgebers über den Wortlaut hinaus extensiv auszulegen. Im Vorfeld der gesetzlichen Neuregelung wurde eine Konzernklausel ausdrücklich diskutiert.
Da sie aber nicht aufgenommen worden ist, kann daraus geschlossen werden, dass sich die bereits in der Begründung des Gesetzentwurfs vertretene Meinung durchgesetzt hat, nach der § 8 Abs. 3 EStG nicht für Waren und Dienstleistungen gelten soll, die nicht im Unternehmen des Arbeitgebers hergestellt, vertrieben oder erbracht werden. Es sollen weder Arbeitnehmer von Konzerngesellschaften noch ein überbetrieblicher Belegschaftshandel steuerlich begünstigt werden.
Warengutscheine = Sachbezüge
Nach Ansicht des LSG hat das Unternehmen im Streitfall auch keinen so gewichtigen Beitrag geleistet, als dass es unter Anwendung des „erweiterten Hersteller- bzw. Vertreiberbegriffs“ als Hersteller bzw. Vertreiber der Waren i. S. des § 8 Abs. 3 EStG angesehen werden kann. Deshalb handelt es sich bei den Warengutscheinen um Sachbezüge, für die Beiträge erhoben werden müssen.
Quelle | LSG Bayern, Urteil vom 6.6.2023, L 7 BA 80/22, Abruf-Nr. 240136; unter www.iww.de; BFH, Urteil vom 26.4.2018, VI R39/16
| Mit einem kuriosen Nachbarstreit zwischen einem Restaurantbetreiber und dem Anbieter von Parkraum hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Dem Restaurantbesitzer drohen nun 250.000 Euro Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft. |
Das war geschehen
Der Parkplatzbetreiber hatte die Parkgebühren angehoben und den bislang gewährten Rabatt für die Besucher des Restaurants abgeschafft. Daraufhin positionierte der Restaurantbesitzer gezielt eigene Mitarbeiter an der Parkschranke, um die Autofahrer von der Einfahrt in den Parkplatz abzuhalten und auf andere, kostenfreie Plätze in der Nähe zu verweisen. Dieses Verhalten stellt eine unzulässige Verletzungshandlung dar, die darauf angelegt ist, den Betrieb des Parkraumbewirtschafters zu schädigen, entschied das LG. Es untersagte in einem Eilverfahren entsprechende Aktionen.
Boykottaufruf unverhältnismäßig
Das Argument, über den Rabatt für Restaurantkunden gebe es eine Vereinbarung und die hohen Parkkosten hätten bereits Kunden abgeschreckt und vom Besuch abgehalten, überzeugte das LG nicht. Das Vorgehen des Restaurantbetreibers sei unverhältnismäßig.
Im Bereich der Einfahrt gezielt Parkplatzsuchende anzusprechen, um diese zum anderweitigen Parken zu bewegen, sei eine gegen das Geschäftsmodell des Parkraumanbieters gerichtete verbotene Eigenmacht. Es seien nicht nur Restaurantbesucher, sondern sämtliche Parkplatzsuchende angesprochen und zum Boykott des Parkplatzes aufgerufen worden. Der Restaurantbesitzer müsse seine Kunden auf andere Weise darüber informieren, dass die Parkgebühren nicht mehr übernommen werden und den Streit um den Parkrabatt, wenn nötig, gerichtlich austragen.
„Saftiges“ Ordnungsgeld droht
Für den Fall, dass der Restaurantbetreiber dem Urteil zuwiderhandelt, hat das LG ihm ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro sowie Ordnungshaft angedroht.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 18.1.2024, 5 O46/23, PM vom 30.4.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Feststellung des Bundeskartellamts bestätigt, dass Amazon eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb hat. |
Der Hintergrund
Amazon ist weltweit u. a. im Bereich des E-Commerce, als stationärer Einzelhändler und als Anbieter von cloudbasierten IT-Dienstleistungen (Amazon Web Services, AWS) tätig. Der Konzern war zum 27.12.2021 mit einer Marktkapitalisierung von 1,721 Billionen USD das fünftwertvollste Unternehmen der Welt, wobei der Börsenwert innerhalb der vorangegangenen sieben Jahre um etwa 443 % gestiegen war. Das Unternehmen erzielte im Geschäftsjahr 2021 weltweit Umsätze von rund 469,8 Mrd. USD. Auf Deutschland entfielen davon rund 37,3 Mrd. USD. Damit stellte Deutschland auf den Umsatz bezogen nach den USA den zweitwichtigsten (Absatz-)Markt für Amazon dar. Die jährlichen Gewinne stiegen von (weltweit) 3 Mrd. USD im Geschäftsjahr 2017 auf 33,4 Mrd. USD in 2021, mithin um 1013 %. Amazon gehört mit 1,6 Mio. Mitarbeitern zum 31. Dezember 2021 zu den größten Arbeitgebern weltweit.
Das war geschehen
Das Bundeskartellamt hatte festgestellt, dass Amazon.com, Inc. einschließlich der mit ihr verbundenen Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Die Feststellung ist auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft befristet. Gegen diesen Beschluss haben Amazon.com, Inc. und eine deutsche Konzerngesellschaft Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, den Beschluss aufzuheben. Während des Beschwerdeverfahrens wurde Amazon von der Europäischen Kommission als sog. Torwächter benannt.
Das sagt der Bundesgerichtshof
Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Das Bundeskartellamt hat nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (hier: § 19 a Abs. 1 GWB) zu Recht festgestellt, dass Amazon in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten tätig ist und dem Konzern eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt.
Amazon unterhält weltweit 21 länderspezifische Domains mit Handelsplattformen (Amazon Stores) und vertreibt darüber als Hersteller und Einzelhändler physische und digitale Waren an Endkunden (etwa Amazon Retail, Home Entertainment, Twitch, Prime Video, Kindle Content, Amazon Music, Amazon Games, Amazon Echo und Amazon Alexa, Amazon Fire, Fire TV, SmartHome-Geräte). Gleichzeitig betreibt Amazon die Handelsplattformen als Online-Marktplätze und ermöglicht es dritten Online-Händlern gegen Provisionszahlung, ihre Waren Endkunden anzubieten. Amazon hat eine eigene Logistikinfrastruktur und vermittelt – auch in Deutschland – Versandaufträge zwischen dritten Online-Händlern und Versanddienstleistern. Amazon Advertising bringt Werbekunden und Anbieter von Werbeflächen zusammen.
Das heißt „marktübergreifende Bedeutung“
Die Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb setzt keine konkrete Wettbewerbsgefahr oder Wettbewerbsbeeinträchtigung voraus. Vielmehr reicht dafür das Vorliegen der strategischen und wettbewerblichen Möglichkeiten aus, deren abstraktes Gefährdungspotenzial durch die Vorschrift adressiert wird. § 19 a Abs. 1 GWB soll dem Bundeskartellamt eine effektivere Kontrolle derjenigen großen Digitalunternehmen ermöglichen, deren Ressourcen und strategische Positionierung ihnen erlauben, erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen, den Wettbewerbsprozess zum eigenen Vorteil zu verfälschen sowie ihre bestehende Marktmacht auf immer neue Märkte und Sektoren zu übertragen.
Bundeskartellamt: zutreffende Feststellungen
Das Bundeskartellamt hat zutreffend festgestellt, dass Amazon über solche strategischen und wettbewerblichen Potenziale verfügt. Der Konzern ist auf einer Vielzahl von verschiedenen, vertikal integrierten und in vielfältiger und konglomerater Weise miteinander verbundenen Märkten tätig und hat eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt für Online-Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler. Er verfügt über eine überragende Finanzkraft und einen überragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten, wie etwa Kunden- und Nutzerdaten, Daten aus dem Betrieb der Handelsplattformen und Werbeplattformen und damit verbundenen Diensten sowie aus dem Betrieb von Amazon Web Services, Inc. (AWS). Amazon hat als Betreiber von zahlreichen nationalen Online-Marktplätzen weltweit und in Deutschland eine Schlüsselposition für den Zugang von Einzelhändlern zu ihren Absatzmärkten und kann erheblichen Einfluss auf die Vertriebstätigkeit von Dritthändlern ausüben.
Die jetzige Geltung der Regelungen des Digital Markets Acts (DMA) und die während des Beschwerdeverfahrens gegenüber der Europäischen Kommission im Rahmen eines Missbrauchsverfahrens abgegebenen Zusagen von Amazon stehen der Feststellung nicht entgegen.
Quelle | BGH, Beschluss vom 23.4.2024, KVB 56/22, PM 97/24
| Durch die Unwetter mit Hochwasser in der Zeit von Ende Mai bis Anfang Juni 2024 sind in weiten Teilen Baden-Württembergs beträchtliche Schäden entstanden. Die Beseitigung dieser Schäden wird bei vielen Steuerpflichtigen zu erheblichen finanziellen Belastungen führen. Daher möchte das Finanzministerium (FinMin) Baden-Württemberg den Geschädigten durch steuerliche Maßnahmen entgegenkommen. |
Möglich sind u. a.:
- Anpassung steuerlicher Vorauszahlungen,
- Stundung fälliger Einkommen-, Körperschaft- oder Umsatzsteuerbeträge und
- Aufschub von Vollstreckungen.
Beachten Sie | Auch in anderen Bundesländern sind im Mai und Juni 2024 durch die Unwetter mit Hochwasser Schäden entstanden. Daher wurden auch für Bayern, Rheinland-Pfalz und das Saarland Katastrophenerlasse mit steuerlichen Erleichterungen veröffentlicht. Dabei ist zu beachten, dass einige Erlasse bereits aktualisiert wurden.
Quelle | FinMin Baden-Württemberg, Erlass vom 20.6.2024; Ministerium der Finanzen und für Wissenschaft Saarland, Erlass vom 21.5.2024; Landesamt für Steuern Rheinland-Pfalz, Erlass vom 25.6.2024; Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, Erlass vom 24.6.2024
| Ein steuerlicher Verlustvortrag bleibt bei der Bestimmung des auf eine Witwenrente anzurechnenden Arbeitseinkommens unberücksichtigt. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten ist ein steuerlicher Verlustvortrag nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 10 d Abs. 2 EStG) nicht einzubeziehen. Das BSG hält damit an seiner bisherigen Auffassung auch unter Geltung des zum 1.1.2002 eingeführten § 18 a Abs. 2 a Sozialgesetzbuch IV fest.
Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass für die Einkommensanrechnung grundsätzlich alle Arten von Arbeitseinkommen berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung eines steuerlichen Verlustvortrags entspricht dem Sinn und Zweck der Hinterbliebenenversorgung. Diese dient als Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten nicht mehr geleistet wird. Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen wird in einem bestimmten Umfang angerechnet, weil der Hinterbliebene sich dadurch ganz oder zumindest teilweise selbst unterhalten kann. Abzustellen ist dabei auf das verfügbare Einkommen.
Beachten Sie | Dass ein Hinterbliebener berechtigt ist, seine Einkommensteuerpflicht im Veranlagungszeitraum zu mindern, indem er negative Einkünfte aus im Einzelfall weit zurückliegenden früheren Veranlagungszeiträumen in Abzug bringt, sagt nichts über seine aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aus.
Quelle | BSG, Urteil vom 22.2.2024, B 5 R 3/23 R; BSG, PM Nr. 7/24 vom 22.2.2024
| Der Bundesrat hat dem Postrechtsmodernisierungsgesetz (PostModG) Anfang Juli 2024 zugestimmt. Dadurch werden insbesondere die Laufzeitvorgaben für die Zustellung von Briefen verlängert. Folgerichtig erfolgte auch eine Anpassung der Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten (z. B. Steuerbescheiden). |
Einspruchsfrist von einem Monat
Zum Hintergrund: Das Problem, „Recht zu haben, aber es nicht zu bekommen“, ergibt sich immer dann, wenn ein Steuerbescheid zu einer zu hohen Steuerfestsetzung führt, es jedoch versäumt wurde, innerhalb der Rechtsbehelfsfrist von einem Monat Einspruch einzulegen. Für den fristgerechten Eingang beim Finanzamt kommt es darauf an, wann der Bescheid bekannt gegeben wurde und wann die Einspruchsfrist endet.
Gesetzliche Neuregelung: Vier- statt Dreitagesfiktion
Um die Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten nach der Abgabenordnung an die verlängerten Laufzeitvorgaben anzupassen, wird aus der bisherigen Dreitages- eine Viertagesfiktion. Damit gelten Steuerbescheide und andere Verwaltungsakte künftig als am vierten Tag nach deren Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, statt wie bisher nach drei Tagen.
Was unverändert bleibt: Fällt der vierte Tag auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, erfolgt die Bekanntgabe am nächstfolgenden Werktag. Die noch im Regierungsentwurf vorgesehene Bekanntgabe von Steuerbescheiden an Samstagen wurde nicht umgesetzt.
Die Neuregelung gilt für Verwaltungsakte, die nach dem 31.12.2024 übermittelt werden.
Neuregelung ab dem Jahr 2025
Beispiel: Das Finanzamt versendet an den Steuerpflichtigen einen Steuerbescheid. Er gibt den Brief am Dienstag, den 14.1.2025, zur Post. Bekanntgabezeitpunkt ist der 20.1.2025 (Montag), da der 18.1.2025 („vier Tage“) ein Samstag ist.
Ein Einspruch gegen den Steuerbescheid ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Die Einspruchsfrist endet somit am 20.2.2025 um 24:00 Uhr.
Beachten Sie | Auch ein elektronisch übermittelter Verwaltungsakt gilt am dritten (ab 2025: vierten) Tag nach der Absendung als bekannt gegeben.
Steuerbescheid später zugegangen oder nicht erhalten
Die Bekanntgabefiktion gilt allerdings nicht, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich später oder gar nicht zugegangen ist.
Hier ist wie folgt zu unterscheiden:
- Bestreitet der Steuerpflichtige den Zugang, ist das Finanzamt regelmäßig nicht in der Lage, den Zugang nachzuweisen. Daher ist eine erneute (ordnungsgemäße) Bekanntgabe erforderlich.
- Behauptet der Steuerpflichtige einen späteren Zugang, muss er dies substanziiert darlegen bzw. nachweisen. Dabei stellt eine Abwesenheit wegen Urlaubs regelmäßig keine spätere Bekanntgabe dar.
Quelle | PostModG, BR-Drs. 298/24 (B) vom 5.7.2024; DStV, Mitteilung vom 13.6.2024
| Bei der Erbschaftsteuer zählt ein Parkhaus zum nichtbegünstigten Verwaltungsvermögen. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) aktuell entschieden. |
Das war geschehen
Der Steuerpflichtige war testamentarisch eingesetzter Alleinerbe seines im Jahr 2018 verstorbenen Vaters (= Erblasser). Zum Erbe gehörte ein mit einem Parkhaus bebautes Grundstück. Der Erblasser hatte das Parkhaus als Einzelunternehmen ursprünglich selbst betrieben und ab dem Jahr 2000 dann unbefristet an seinen Sohn verpachtet.
Finanzamt: Parkhaus ist Verwaltungsvermögen
Das Finanzamt stellte den Wert des Betriebsvermögens fest und behandelte das Parkhaus dabei als sogenanntes Verwaltungsvermögen, das bei der Erbschaftsteuer nicht begünstigt ist. Das Finanzgericht (FG) und der BFH schlossen sich dieser Auffassung an.
Grundsätzlich wird Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer privilegiert. Das gilt allerdings nicht für bestimmte Gegenstände des Verwaltungsvermögens. Darunter fallen dem Grunde nach auch Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke. Diese können im Rahmen der Erbschaftsteuer zwar auch begünstigt sein, etwa wenn (wie im Streitfall) der Erblasser seinen ursprünglich selbst betriebenen Gewerbebetrieb unbefristet verpachtet und den Pächter testamentarisch als Erben einsetzt.
Keine erbschaftsteuerliche Privilegierung
Eine Ausnahme besteht dabei jedoch für solche Betriebe, die schon vor der Verpachtung nicht die Voraussetzungen der erbschaftsteuerrechtlichen Privilegierung erfüllt haben. Dies ist bei einem Parkhaus der Fall. Denn die dort verfügbaren Parkplätze als Teile des Parkhausgrundstücks wurden schon durch den Erblasser als damaligem Betreiber an die Autofahrer – und somit an Dritte – zur Nutzung überlassen.
Beachten Sie | Zudem handelt es sich dabei auch nicht um die Überlassung von Wohnungen, die der Gesetzgeber wiederum aus Gründen des Gemeinwohls für die Erbschaftsteuer privilegiert hat.
Keine Rolle spielt auch, ob zu der Überlassung der Parkplätze weitere gewerbliche Leistungen (z. B. eine Ein- und Ausfahrtkontrolle und eine Entgeltzahlungsdienstleistung) hinzukommen. Darauf stellt das Erbschaftsteuergesetz nämlich nicht ab.
Der BFH sah auch keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Verhältnis zu anderen Grundstücksüberlassungen, wie z. B. im Rahmen des Absatzes eigener Erzeugnisse durch einen Brauereibetrieb oder im Zusammenhang mit einer land- und forstwirtschaftlichen Betriebstätigkeit. Dass der Gesetzgeber solche Betriebe (wie auch die erwähnten Wohnungsunternehmen) als förderungswürdig ansah, ist von seinem weiten Entscheidungsspielraum gedeckt.
Quelle | BFH, Urteil vom 28.2.2024, II R 27/21
| Oft werden private Ausfahrten zugeparkt oder der private Parkplatz von anderen unberechtigt genutzt. Das störende Fahrzeug muss dann abgeschleppt werden und der Berechtigte muss zusehen, wie er etwaig verauslagte Kosten, z. B. Verwahrkosten, erstattet erhält. Hierzu hat jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) Wissenswertes entschieden. |
Parken trotz Parkverbots
Der auf den Kläger zugelassene Pkw wurde von dessen Schwester im Innenhof eines privaten Gebäudekomplexes abgestellt, der von einer Immobilienverwalterin verwaltet wird. An der Hofeinfahrt war ein Parkverbotsschild mit dem Zusatz „gilt im gesamten Innenhof“ angebracht. Die Verwalterin beauftragte die Beklagte, das Fahrzeug abzuschleppen, es anschließend zu verwahren und vor Wertminderung sowie unbefugtem Zugriff Dritter zu sichern. Die Beklagte verbrachte das Fahrzeug noch am selben Tag auf ihr Firmengelände. Kurz darauf forderte der Kläger von der Beklagten schriftlich unter Fristsetzung, das Fahrzeug herauszugeben. Auf das Schreiben erfolgte keine Reaktion.
Mit seiner Klage hat der Kläger von der Beklagten zunächst die Herausgabe seines Fahrzeugs verlangt. Nach erfolgter Herausgabe während des Prozesses haben die Parteien die Herausgabeklage übereinstimmend für erledigt erklärt. Gegenstand des Verfahrens war dann nur noch die Frage, wer die Standkosten tragen musste.
Herausgabeverlangen: Auf den Zeitpunkt kommt es an
Die Sache ging bis vor den Bundesgerichtshof (BGH). Dieser entschied: Zu erstattungsfähigen Kosten für die Entfernung eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs zählen auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der Verwahrung des Fahrzeugs im Anschluss an den Abschleppvorgang entstehen. Das gilt aber nur bis zu einem Herausgabeverlangen des Halters.
Es kommt auch ein Anspruch auf Ersatz von Verwahrkosten in Betracht, wenn der das Fahrzeug herausverlangende Halter nicht bereit ist, im Gegenzug die für das Abschleppen und die Verwahrung angefallenen ortsüblichen Kosten zu zahlen und der Abschleppunternehmer daraufhin die Herausgabe des Fahrzeugs verweigert, sodass der Halter in Annahmeverzug gerät.
Quelle | BGH, Urteil vom 17.11.2023, V ZR 192/22
| Muss der Verkäufer einer Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze unaufgefordert über den Härtegrad der Matratze aufklären und beraten? Das Amtsgericht (AG) Hannover hat diese Frage verneint. Es hat entschieden, dass ein Verkäufer im Grundsatz nur dann über den Härtegrad einer Matratze aufklären und beraten muss, wenn der Käufer danach fragt. |
Matratze war Käuferin zu hart: Verkäuferin bot Rabatt an
Die Klägerin kaufte im November 2022 bei der Beklagten eine Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze für ihre Tochter, die zuvor für wenige Minuten zur Probe gelegen hatte. Im Kaufvertrag war für die Matratze der Härtegrad H5 angegeben. Nachdem die Möbel im Januar 2023 geliefert worden waren, empfanden die Klägerin und ihre Tochter die Matratze als zu hart. Dies reklamierte die Klägerin bei der Beklagten. Diese bot der Klägerin u. a. einen Rabatt auf zwei neue Matratzen an, verweigerte aber eine Rückabwicklung des Kaufvertrags. Die Klägerin erklärte daraufhin die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung.
Rückabwicklung des Kaufvertrags?
Mit der Klage hatte die Käuferin eine teilweise Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Bettes nebst Matratze verlangt. Sie meinte, es sei für den Verkäufer klar erkennbar gewesen, dass das Schlafzimmer für ihre Tochter gewesen sei. Für das Gewicht ihrer Tochter sei aber ein Härtegrad von H2 angemessen.
Die Verkäuferin hatte vorgetragen, dass die Klägerin keine Beratung gewünscht habe. Sie habe es vielmehr sehr eilig gehabt, da sie einen Transporter angemietet habe. Sie habe sich lediglich nach einem Rabatt erkundigt, sonst aber keine Fragen gestellt.
So sah es das Amtsgericht
Das AG hat die Klage abgewiesen. Dabei ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die erworbene Matratze nicht mangelhaft war. Denn die Klägerin habe genau das bekommen, was vertraglich vereinbart war, nämlich eine Matratze des Härtegrades H5. Zwar habe die Klägerin erwartet, dass der Verkäufer sie unaufgefordert berate. Der Verkäufer habe aber keinen Anlass gehabt, eingehend über den Härtegrad aufzuklären und zu beraten. Denn die Klägerin habe ihre Erwartung einer Beratung nicht geäußert.
Keine Verletzung der Aufklärungspflicht
Zudem sei der Verkäufer erst hinzugezogen worden, als die Klägerin bereits zum Kauf entschlossen gewesen sei. Im Verkaufsgespräch sei es lediglich darum gegangen, die Daten der Klägerin aufzunehmen und über den Preis zu verhandeln. Die Tochter der Klägerin habe sich nach dem Probeliegen auch nicht über den Härtegrad beschwert. Daher habe der Verkäufer auch keine Aufklärungspflicht verletzt, sodass die Klägerin den Vertrag weder anfechten könne noch vom Vertrag zurücktreten könne.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 30.1.2024, 510 C 7814/23, PM vom 4.4.2024
| Reiserücktrittsversicherungen für den Krankheitsfall sichern regelmäßig nur solche Erkrankungen ab, die bei Vertragsschluss nicht bereits bekannt oder zu erwarten waren. Wer vor dem Abschluss der Reiserücktrittsversicherung eine Schürfwunde am Knöchel infolge eines Leitersturzes erlitten hatte, verliert seinen Versicherungsschutz nicht, wenn sich die Schürfwunde anschließend infiziert und ein Geschwür (Ulkus) hervorruft. Das hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) entschieden. |
Das war geschehen
Das OLG musste über die Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts (LG) Itzehoe entscheiden. Der Kläger hatte für sich, seine Ehefrau und seinen Sohn im November 2019 eine Reise nach Kuba für Februar 2020 gebucht. Nur wenige Tage später stürzte die Frau des Klägers von der Leiter und zog sich hierbei u. a. eine Schürfwunde am Knöchel zu. Im Anschluss bestellte der Kläger für seine Familie eine „Jahres-Reise-Karte“, die auch eine Reiserücktrittskostenversicherung beinhaltete. In dieser war Versicherungsschutz für Tod, schweren Unfall und unerwartet schwere Erkrankung vereinbart. Für den Fall einer unerwarteten Verschlechterung einer schon bestehenden Krankheit wurde in den Klauseln Versicherungsschutz ausgeschlossen, sofern in den letzten sechs Monaten vor Vertragsschluss eine Behandlung wegen der Erkrankung erfolgte. Im Januar 2020 musste die Frau des Klägers sich einer stationär durchgeführten Hauttransplantation unterziehen, nachdem die Wunde am Knöchel sich im Dezember 2019 infiziert und sich infolgedessen ein Geschwür (Ulkus) entwickelt hatte. Der Kläger hat dann die Reise storniert und bei der beklagten Versicherung die ihm berechneten Stornokosten geltend gemacht.
Landgericht wies Klage ab
Das LG hatte die Klage abgewiesen, denn die Ehefrau des Klägers sei bei Abschluss der Versicherung aufgrund der Schürfwunde bereits am Knöchel erkrankt gewesen. Zwar sei – so das LG – auch eine unerwartete Verschlechterung grundsätzlich versichert. Allerdings sei die Ehefrau des Klägers hier vor Abschluss des Versicherungsvertrags bereits am Knöchel behandelt worden, weshalb aufgrund der Vertragsbedingungen kein Anspruch bestehe.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG hat über die Frage der Behandlung der Ehefrau des Klägers am Knöchel vor Vertragsschluss die behandelnden Ärzte als Zeugen vernommen und die Versicherung dann zur Übernahme der Stornokosten verurteilt.
Es hat die Kenntnis der Ehefrau des Klägers vom Vorliegen einer Erkrankung bei Vertragsschluss abgelehnt. Bei einem Ulkus, das heißt einem – erst durch einen Infekt ausgelösten – Substanzdefekt der Haut, handele es sich objektiv um ein ganz anderes Erkrankungsbild als bei einer „bloßen“ sturzbedingten Schürfwunde. Dass der Ulkus ohne diese Wunde nicht entstanden wäre, ändert nichts daran, dass es zu seiner Entstehung erst einer Infizierung der Wunde bedurft habe. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hätten noch keine Anzeichen für eine solche Infizierung vorgelegen.
Argumente der Versicherung ohne Erfolg
Ohne Erfolg habe die Versicherung eingewendet, dass die einzelnen Erkrankungsfolgen aus dem Sturz der Ehefrau einheitlich betrachtet werden müssten, weil es sich bei dem Sturz um einen Schadensfall handele. Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers knüpfen die Vertragsbedingungen die Ersatzpflicht der Versicherung nicht an den Schadensfall, sondern den Eintritt einer unerwartet schweren Erkrankung. Selbst, wenn man in der Wunde am Bein nach dem Sturz und dem später aufgetretenen Ulkus die gleiche Erkrankung sehen wollte, die sich lediglich unerwartet verschlechtert habe, sei hier ein Anspruch gegeben. Denn die Vernehmung der behandelnden Ärzte habe nicht ergeben, dass die Wunde in den letzten sechs Monaten vor Versicherungsabschluss behandelt worden sei.
Quelle | Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 18.3.2024, 16 U 74/23, PM 1/24
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg hat mit zwei Urteilen die Berufungen der Kläger in zwei Verfahren gegen Straßenreinigungsgebührenbescheide der Hansestadt Lüneburg für das Jahr 2018 zurückgewiesen. |
Die Hansestadt Lüneburg erhob bis Ende 2017 Straßenreinigungsgebühren nach dem sog. Frontmetermaßstab. Mit Wirkung zum 1.1.2018 stellte sie den Maßstab um und erhebt seitdem die Gebühren gemäß ihrer Straßenreinigungsgebührensatzung nach dem sog. Quadratwurzelmaßstab. Bei diesem wird aus der Grundstücksfläche die Quadratwurzel gezogen. Damit wird gedanklich ein quadratisches Grundstück gebildet, von dem die Länge einer Seite der Gebührenberechnung zugrunde gelegt wird.
Das OVG hat entschieden, dass der Quadratwurzelmaßstab ein rechtmäßiger Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die Bemessung der Straßenreinigungsgebühren ist. Der vormals von der Hansestadt Lüneburg angewandte Frontmetermaßstab sei gegenüber dem Quadratwurzelmaßstab nicht vorrangig anzuwenden.
Darüber hinaus hat das OVG auch die Bestimmungen in der Straßenreinigungsgebührensatzung über die Heranziehung von mehrfach anliegenden Grundstücken und von Hinterliegergrundstücken als rechtmäßig erachtet. Diese verstießen weder gegen den Bestimmtheitsgrundsatz oder den Gleichheitssatz noch gegen den Grundsatz der Vollständigkeit.
Quelle | OVG Lüneburg, Urteile vom 24.4.2024, 9 LC 117/20 und 9 LC 138/20, PM vom 25.4.2024
| Im Streit um Ansprüche auf Rückerstattung aus einem Reisevertrag wies das Amtsgericht (AG) München eine Klage auf Zahlung von rund 4.000 Euro ab. |
Reise online storniert
Der Kläger hatte bei der Beklagten zum Preis von über 4.500 Euro eine neuntägige Reise für sich und seine Ehefrau im Juni 2023 nach Portugal gebucht. Im Anschluss stornierte der Kläger im Internet auf der Website der Beklagten die Reise. Die Beklagte buchte sodann vom Konto des Klägers Stornierungsgebühren in Höhe von rund 4.000 Euro ab. Der Kläger leitete daraufhin am selben Tag eine E-Mail an die Beklagte weiter, um die Stornierung rückgängig zu machen.
Der Kläger behauptete, er habe erst nach Buchung der Reise erfahren, dass neben dem Hotel eine Baustelle liege. Er habe sich zudem im Internet lediglich über eine Umbuchung informieren wollen und habe unbeabsichtigt wegen der Unübersichtlichkeit der Homepage die Reise storniert. Er habe deswegen die abgegebene Willenserklärung zur Stornierung angefochten.
Die Beklagte trug vor, der Kläger habe keine genauen Angaben über die besagte Baustelle getroffen. Im Übrigen sei die Buchung wirksam storniert worden. Für die endgültige Stornierung seien mehrere einzelne Schritte erforderlich gewesen. Eine unbeabsichtigte Kündigung sei im System unmöglich. Dem Reiseveranstalter sei durch den Rücktritt des Kunden hingegen ein Schaden entstanden.
So sieht es das Gericht
Das AG wies die Klage ab und begründete dies wie folgt: Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde vom Kläger wirksam storniert. Eine wirksame Anfechtung der Stornierung aufgrund eines Irrtums in der Erklärungshandlung ist nicht gegeben.
Ein Irrtum im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 119 BGB) ist das unbewusste Auseinanderfallen von Willen und Erklärung. Es liegt (nach § 119 Abs. 1 2. Fall BGB) zudem ein Irrtum in der Erklärungshandlung vor, wenn schon der äußere Erklärungstatbestand nicht dem Willen des Erklärenden entspricht. Dies ist beispielsweise beim Versprechen, Verschreiben oder Vergreifen der Fall. Zwar gab der Kläger an, die Website der Beklagten sei für ihn unübersichtlich gewesen, da diverse Klicks erforderlich gewesen seien.
Fünfmaliges Verklicken unwahrscheinlich
Es kann grundsätzlich nach der allgemeinen Lebenserfahrung sein, dass man versehentlich einmalig etwas anklickt, was dem eigentlichen Willen nicht entspricht. Es erscheint jedoch lebensfremd, dass bei der Durchführung eines Vorgangs – wie hier der Buchungsstornierung – mit insgesamt fünf verschiedenen Schritten jedes Mal ein „Verklicken“, und damit ein Irrtum in der Erklärungshandlung vorgelegen haben soll.
Aus der vom Reiseveranstalter vorgelegten Anlage ergibt sich insoweit, dass der Reisende für eine endgültige Stornierung der Reise erst mehrere einzelne Schritte durchführen musste: Zur Auslösung des endgültigen Stornierungsvorgangs musste der Kläger insgesamt viermal aktiv per Mausklick bestätigen, dass er eine Stornierung wünsche.
Dabei musste er bei Schritt 1 zunächst angeben, aus welchem Grund er seine Reise stornieren wollte. Im Anschluss bei Schritt 2 musste der Kläger angeben, was genau er stornieren wollte. Bei dem darauffolgenden Schritt 3 wurde der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass beim Auswählen „Buchung stornieren“, die Stornierung durchgeführt, und im Namen des Reisenden eine Rückerstattung beantragt werde. Erst durch Anklicken dieses Feldes gelangte der Kläger zum letzten und 4. Schritt, wo nochmals um Bestätigung gebeten wurde, dass tatsächlich mit der Stornierung fortzufahren sei. […]
Wirksame Stornierung und keine Umbuchung
Dass das Anklicken versehentlich geschah, und nicht dem Willen des Reisenden entsprach, war für das AG nicht nachvollziehbar. Ein Irrtum in der Erklärungshandlung durch Vertippen sah das AG nicht gegeben. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass dem Reisenden bewusst gewesen sein muss, dass er bei Durchführung des gesamten Buchungsvorgangs eine endgültige Stornierung vornahm – und nicht bloß, wie von ihm vorgegeben – eine Umbuchung. Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde somit wirksam storniert.
Verlust von 4.000 Euro
Die Beklagte war zudem berechtigt, aufgrund des Rücktritts vom Vertrag durch den Kläger vor Reisebeginn einen Betrag in Höhe von rund 4.000 Euro als angemessene Entschädigung zu verlangen.
Das AG hob hervor: Die pauschale Behauptung des Reisenden, es habe neben dem Hotel eine Baustelle gegeben, führt nicht zu einer vertraglichen Pflicht des Reiseveranstalters, alternative Lösungen anbieten zu müssen.
Quelle | AG München, Urteil vom 18.4.2024, 275 C 20050/23, PM 15/24
| Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Einer Mieterin von Wohnraum darf fristlos gekündigt werden, wenn diese – gleich zweimal – die Vermieterin mit Wasser überschüttet. |
Die Vermieterin hatte die Mieterin auf Räumung der Wohnung verklagt, weil diese sie zwei Mal mit Wasser übergossen habe. Unstreitig zwischen den Parteien war zwar, dass die Mieterin jeweils einen Eimer Wasser aus dem Fenster in den Hof gegossen hatte, als sich die Vermieterin in diesem befand. Die Mieterin hatte allerdings bestritten, die Vermieterin getroffen zu haben oder überhaupt treffen zu wollen.
Das AG sah die Kündigung als wirksam an. Denn der vernommene Zeuge bestätigte, dass die Vermieterin beide Male tatsächlich mit dem Wasser aus dem Eimer vollständig übergossen wurde. Diese sei, so der Zeuge,„klitschnass“ gewesen, wie bei einer „Ice-Bucket-Challenge“. Das rechtfertige eine fristlose Kündigung wegen Störung des Hausfriedens, so das AG. Selbst, wenn die Mieterin keine direkte Absicht gehabt habe, die Vermieterin zu treffen, habe sie dies angesichts der Situation jedoch zumindest billigend in Kauf genommen. Denn ihr Ziel lag schon nach dem eigenen Vortrag darin, die Vermieterin davon abzuhalten, ihr Fahrrad umzustellen. Es habe auch keiner vorherigen Abmahnung bedurft, zumal die Mieterin, wie sich aus der Beweisaufnahme ergab, bereits weitere derartige Aktionen angekündigt habe.
Quelle | AG Hanau, Beschluss vom 19.2.2024, 34 C 92/23, PM vom 3.5.2024
| Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) hat sich mit dem Einwand der Testierunfähigkeit eines an Depressionen und Alkoholsucht leidenden Erblassers zu befassen, der sich das Leben nahm. |
Erblasser litt an Persönlichkeitsstörung
Der Erblasser litt an einer psychiatrisch relevanten Persönlichkeitsstörung in Form einer affektiven Störung mit sowohl depressiven als auch manischen Phasen (bipolare Störung) sowie einem Alkoholproblem. Mit eigenhändigem Testament verfügte er, dass seine Ziehtochter seinen gesamten Besitz erben solle. In zwei Abschiedsbriefen begründete er seine Entscheidung zu dem Suizid und tat im Übrigen kund, dass er alle Erbschaftsangelegenheiten regeln wolle.
Die Ziehtochter beantragte einen Erbschein, der ihre Stellung als Alleinerbin ausweisen sollte. Diesem Antrag trat die Schwester des Erblassers mit der Begründung entgegen, der Erblasser sei aufgrund seiner psychischen Erkrankungen testierunfähig gewesen. Nach Einholen eines Sachverständigengutachtens zum Einwand der Testierunfähigkeit hat das Nachlassgericht einen Feststellungsbeschluss erlassen. Gegen diese Entscheidung wandte sich die Schwester mit der Beschwerde, der das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt hat.
So entschied das Oberlandesgericht
Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Es hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Eine Testierunfähigkeit habe das Sachverständigengutachten nicht bestätigen können. Zwar habe der Erblasser an den genannten Erkrankungen und an weiteren körperlichen Einschränkungen gelitten, die die Sachverständigen bestätigten. Diese genannten Gründe allerdings ließen für sich allein keinen zwingenden Schluss auf das Vorliegen der Testierunfähigkeit zu.
Nur dann, wenn die gesundheitlichen Einschränkungen eine Geisteskrankheit oder erhebliche Geistesschwäche verursachen, die die freie Willensbestimmung ausschlössen oder zu einer solch starken Bewusstseinsstörung führten, liege auch eine Testierunfähigkeit vor. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
Quelle | Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 19.3.2024, 3 W28/24
| Ein (fördermittelschädlicher) vorzeitiger Maßnahmenbeginn liegt vor, wenn die einschlägige Förderrichtlinie eine klare Linie bei der Leistungsphase 6 zieht und der Mittelempfänger darüber informiert wurde, dass er eingeschaltete Planer vor Erhalt der Förderzusage nur mit Planungs- und Vorbereitungsleistungen bis einschließlich Leistungsphase 6 beauftragen soll. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Magdeburg entschieden. |
Bauherr verlor Förderung
Das Urteil war für den Bauherrn besonders „bitter“. Denn er verlor die gesamte Förderung in Höhe von 240.000 Euro, weil er den Planer entgegen den Förderbestimmungen schon mit kleinen Leistungen der Leistungsphase 7 beauftragt hatte.
Bauherren informieren!
Konsequenz aus dem Urteil ist u. a.: Planer sollten Bauherren stets darüber informieren, wie streng Fördermittelgeber darauf achten, dass Förderbestimmungen eingehalten werden.
Quelle | VG Magdeburg, Urteil vom 25.3.2024, 3 A 155/21
| Regelt der Auftraggeber in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) Erschwernisse, um von ihm eine Bauhandwerkersicherungshypothek zu verlangen, ist dies unwirksam. So sieht es das Landgericht (LG) Berlin. |
Anspruch nur beiVerzug?
Der Auftraggeber hatte einen Planer für Technische Gebäudeausrüstung mit Leistungen über knapp 4,7 Mio. Euro beauftragt. In seinen AGB hieß es u. a.: „Einen Anspruch aus § 650 e BGB kann der Auftragnehmer nur geltend machen, wenn sich der Auftraggeber in Verzug befindet und die angemahnte Zahlung trotz Nachfristsetzung innerhalb von zwei Wochen nicht fristgemäß leistet. Die Geltendmachung des Anspruchs aus § 650 e BGB setzt ferner voraus, dass der Auftragnehmer bei Nachfristsetzung oder danach dies mit einer Frist von drei Wochen angekündigt hat.“
Nachdem mehrere Rechnungen nicht bezahlt worden waren, verlangte der Planer erst eine Sicherheit nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 650 f BGB, Bauhandwerkersicherung). Die brachte der Auftraggeber nicht bei. Daher beantragte der Planer ohne erneute Fristsetzung im Wege der einstweiligen Verfügung die Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch zur Sicherung des Anspruchs nach § 650 e BGB (Sicherungshypothek an dem Baugrundstück) i. H. v. ca. 340.000 Euro. Der Auftraggeber berief sich auf seine o. g. AGB-Klausel und wollte nicht leisten.
Landgericht gab Planer Recht
Die Klausel im Vertrag war unwirksam, denn sie benachteiligte den Planer als Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Sie war mit den wesentlichen Grundgedanken des § 650 e BGB nicht vereinbar.
Der Anspruch auf Vormerkung einer Sicherungshypothek soll den vorleistungspflichtigen Unternehmer schützen und gewährt ihm hierzu einen im Eilverfahren zügig durchsetzbaren Anspruch. Diesen Grundgedanken stehen die mit den AGB aufgestellten Anforderungen, Verzug nach Fristsetzung und weitere Ankündigungsfrist, entgegen. Vor allem könnte der Auftraggeber ansonsten versuchen, bis zum Abschluss eines zuvor angekündigten einstweiligen Verfügungsverfahrens einen Eigentumswechsel herbeizuführen. Das könnte den Anspruch des Unternehmens vereiteln.
Quelle | LG Berlin, Urteil vom 6.7.2023, 19 O 101/23
| Wer mit Verbrauchern einen Architektenvertrag schließt, muss zum einen vermeiden, dass diese ihr Widerrufsrecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 312 b BGB) ausüben. Zum anderen ist die neue Belehrungspflicht der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (hier: § 7 Abs. 2 HOAI 2021) zu beachten. Sonst kann der Architekt maximal das Honorar nach den Basishonorarsätzen der HOAI abrechnen. Dies gilt, selbst wenn die Parteien etwas anderes vereinbart haben. Das entschied das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Das sagt die HOAI zur Form und zum Fehlen einer Vereinbarung
§ 7 HOAI sagt, dass sich das (Architekten-)Honorar nach der Vereinbarung richtet, die die Vertragsparteien in Textform treffen. Sofern keine Vereinbarung über die Höhe des Honorars in Textform getroffen wurde, gilt für Grundleistungen der jeweilige Basishonorarsatz als vereinbart.
Das sagt die HOAI zur Aufklärungspflicht des Architekten
Außerdem schreibt die Norm vor, dass der Auftragnehmer, also der Architekt, den Auftraggeber, falls dieser Verbraucher ist, vor Abgabe von dessen verbindlicher Vertragserklärung zur Honorarvereinbarung in Textform darauf hinweisen muss, dass ein höheres oder niedrigeres Honorar als die in den Honorartafeln dieser Verordnung enthaltenen Werte vereinbart werden kann. Folge: Ohne diese (rechtzeitige) Belehrung gilt für die zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Grundleistungen anstelle eines höheren Honorars ein Honorar in Höhe des jeweiligen Basishonorarsatzes als vereinbart.
Diese Konsequenzen zog das Oberlandesgericht
Im Fall des OLG gab es diese Aufklärung nicht. Das OLG: Die Aufklärungspflicht gilt auch, wenn ein Zeit- oder Pauschalhonorar vereinbart worden ist. Ohne Belehrung kann der Planer nur den Basishonorarsatz abrechnen.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 8.4.2024, 11 U 215/22
| Widerruft ein Arbeitgeber im Öffentlichen Dienst seine Einstellungszusage aufgrund eines ärztlichen Attests, ist dies keine Diskriminierung aufgrund einer Schwerbehinderung. So entschied es das Arbeitsgericht (ArbG) Siegburg. |
Einstellungszusage widerrufen
Der an Diabetes erkrankte, schwerbehinderte Kläger bewarb sich unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung im Januar 2023 auf eine von der beklagten Stadt ausgeschriebene Ausbildungsstelle als Straßenwärter. Er erhielt eine Einstellungszusage vorbehaltlich einer noch durchzuführenden ärztlichen Untersuchung. Der Arzt kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger wegen seiner Diabetes-Erkrankung nicht für die vorgesehene Ausbildungsstelle geeignet sei. Die Einstellungszusage wurde daraufhin zurückgenommen. Der Kläger erhob Klage auf Entschädigung wegen einer aus seiner Sicht erfolgten Diskriminierung als schwerbehinderter Mensch.
Kein Verstoß gegen geltendes Recht
Das ArbG wies die Klage ab. Eine diskriminierende Handlung und ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) seien nicht erkennbar.
Der Kläger sei von der Beklagten wegen seiner Behinderung nicht schlechter behandelt worden als vergleichbare nichtbehinderte Bewerber. Die Stadt habe bei der Entscheidung, den Kläger nicht einzustellen, nicht auf seine Behinderung abgestellt. Vielmehr habe man den Kläger ungeachtet seiner Behinderung gerade einstellen wollen und ihm demgemäß eine Einstellungszusage erteilt, diese jedoch vom Ergebnis einer gesundheitlichen Eignungsuntersuchung bzw. seiner Eignung abhängig gemacht.
Diese gesundheitliche Eignung sei dann von dem von ihr beauftragten Arzt verneint worden. Daraufhin habe die Beklagte unter Berufung auf den zum Ausdruck gekommenen Vorbehalt ihre Einstellungszusage zurückgezogen.
Quelle | ArbG Siegburg, Urteil vom 20.3.2024, 3 Ca 1654/23, PM 1/24
| In einem Fall vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Düsseldorf ging es im Wesentlichen um angeblich unangemessene Äußerungen des Arbeitnehmers gegenüber Kollegen über Mitarbeitern. Die daraufhin vom Arbeitgeber ausgesprochene Abmahnung hatte keinen Bestand, weil sie zu unbestimmt war. |
Das war geschehen
Der Arbeitnehmer hatte die Äußerungen bestritten. Auf seine Frage im Personalgespräch, weshalb keine Namen derjenigen Arbeitnehmer genannt würden, die die Vorwürfe an die Personalbetreuung herangetragen hätten, äußerte die Personalreferentin, dass die Arbeitnehmer eingeschüchtert seien und sich lediglich vertraulich an die Vorgesetzten sowie die Personalbetreuung gewandt hätten. Auch in der Abmahnung selbst erfolgte keine namentliche Nennung.
So sah es das Arbeitsgericht
Das ArbG stellte klar: Dieser Vorgang reicht nicht für eine Abmahnung. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Arbeitnehmer sich tatsächlich in der ihm vorgeworfenen Art und Weise verhalten habe. Die Abmahnung sei inhaltlich zu unbestimmt. Die „anderen Mitarbeiter“, gegenüber denen er die Äußerungen getätigt haben soll, würden in der Abmahnung nicht benannt, obwohl sie dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Abmahnung unstreitig bekannt gewesen seien. Da sich die Anforderungen an die Konkretisierung der in der Abmahnung enthaltenen Rüge an dem orientierten, was der Arbeitgeber wissen könne, sei die Abmahnung nicht hinreichend konkret.
Für den Arbeitnehmer als Adressat der Abmahnung diene die konkrete Nennung der Namen der Zeugen auch dazu, zu überprüfen, ob die Abmahnung inhaltlich richtig sei oder nicht; pauschale Vorwürfe ohne die Nennung der Zeugen würden diese Anforderung nicht erfüllen. Der Arbeitgeber sei auch nicht berechtigt, zum Schutz der Zeugen die Namen in der Abmahnung nicht zu nennen. Hierdurch könne zwar ein Konflikt zwischen dem Arbeitnehmer und den Zeugen im Hinblick auf den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe entstehen. Einen solchen Konflikt müsse ein Arbeitgeber, der den Aussagen der Zeugen im Hinblick auf ein angebliches Fehlverhalten eines Arbeitnehmers vertraue, allerdings hinnehmen. Es sei auch nicht ersichtlich, welche konkrete Gefahr den Zeugen durch ihre Nennung in der Abmahnung drohe.
Quelle | ArbG Düsseldorf, Urteil vom 12.1.2024, 7 Ca 1347/23
| Eine SARS-CoV-2-Infektion stellt auch bei einem symptomlosen Verlauf eine Krankheit nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (hier: § 3 Abs. 1 EFZG) dar, die zur Arbeitsunfähigkeit führt. Voraussetzung: Es muss dem Arbeitnehmer infolge einer behördlichen Absonderungsanordnung rechtlich unmöglich sein, die geschuldete Tätigkeit beim Arbeitgeber zu erbringen und eine Erbringung in der häuslichen Umgebung nicht in Betracht kommen. So hat es das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. |
Abzug vom Verdienst nach Covid-Erkrankung
Der Kläger ist als Produktionsmitarbeiter bei der Arbeitgeberin beschäftigt, einem Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie. Er hatte sich keiner Schutzimpfung gegen das Coronavirus unterzogen und wurde am 26.12.2021 positiv auf das Virus getestet. Für die Zeit vom 27. bis zum 31.12.2021 wurde dem unter Husten, Schnupfen und Kopfschmerzen leidenden Kläger eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ausgestellt. Für diese Zeit leistete die Arbeitgeberin Entgeltfortzahlung. Am 29.12.2021 erließ die Gemeinde N. eine Verfügung, nach der für den Kläger bis zum 12.1.2022 Isolierung (Quarantäne) in häuslicher Umgebung angeordnet wurde. Für die Zeit vom 3. bis zum 12.1.2022 lehnte der Arzt die Ausstellung einer Folge-AU mit der Begründung ab, das positive Testergebnis und die Absonderungsanordnung würden zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit ausreichen. Mit der Verdienstabrechnung für Januar 2022 nahm die Arbeitgeberin für diese Zeit vom Lohn des Klägers einen Abzug in Höhe von ca. 1.000 Euro brutto vor. Mit seiner Klage hat der Arbeitnehmer Zahlung dieses Betrags verlangt. Das Arbeitsgericht (ArbG) hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat auf die Berufung des Arbeitnehmers das Urteil des ArbG geändert und die Arbeitgeberin verurteilt, zu zahlen.
Bundesarbeitsgericht gab Arbeitnehmer Recht
Die Revision der Arbeitgeberin blieb vor dem BAG ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert war, ohne dass es darauf ankam, ob bei ihm durchgehend Symptome von COVID-19 vorlagen. Die SARS-CoV-2-Infektion stellt einen regelwidrigen Körperzustand und damit eine Krankheit dar, die zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat.
Die Absonderungsanordnung ist keine eigenständige, parallele Ursache für Arbeitsunfähigkeit, vielmehr beruht das daraus resultierende Tätigkeitsverbot gerade auf der Infektion (Monokausalität). Diese ist die nicht hinwegzudenkende Ursache für die nachfolgende Absonderungsanordnung. Aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion war es dem Kläger rechtlich nicht möglich, die geschuldete Arbeitsleistung im Betrieb der Beklagten zu erbringen.
Es konnte auch nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden, dass das Unterlassen der empfohlenen Corona-Schutzimpfung für die SARS-CoV-2-Infektion ursächlich war. Das Berufungsgericht hat hierbei zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt, dass die Nichtvornahme der Schutzimpfungen einen groben Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen zu erwartende Verhalten darstellte. Jedoch ließen die wöchentlichen Lageberichte des RKI und dessen Einschätzung der Impfeffektivität nicht den Schluss zu, dass Ende Dezember 2021 bzw. Anfang Januar 2022 die beim Kläger aufgetretene Corona-Infektion durch die Inanspruchnahme der Schutzimpfung hätte verhindert werden können.
Der Arbeitgeberin stand ein Leistungsverweigerungsrecht wegen nicht vorgelegter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht zu. Das LAG hatte richtig erkannt, dass der Kläger der Beklagten durch Vorlage der Ordnungsverfügung der Gemeinde N. in anderer, geeigneter Weise nachgewiesen hat, infolge seiner Corona-Infektion objektiv an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert zu sein.
Quelle | BAG, Urteil vom 20.3.2024, 5 AZ R 234/23, PM 8/24
| Eine Bank kann nicht unter Berufung auf das Bankgeheimnis die Vorlage von Original-Urkunden verweigern, wenn im Einzelfall das Interesse des Beweisführers an ihrer Vorlage höher zu gewichten ist. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Bank wollte Originalurkunden nicht herausgeben
Ein Mann hatte geltend gemacht, seine – inzwischen getrenntlebende und in Scheidung befindliche – Ehefrau habe auf einer Bürgschaftsurkunde und einer Eigentümererklärung unberechtigt seine Unterschriften angebracht. Er hat beantragt, ein Schriftsachverständigengutachten einzuholen. Das Kreditinstitut – eine Bausparkasse – hat die Herausgabe der zur Begutachtung erforderlichen Originalurkunden unter Bezugnahme auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht verweigert. Das machte der BGH nicht mit.
Hier gilt ein Zeugnisverweigerungsrecht
Personen, denen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, sind zur Verweigerung des Zeugnisses der Tatsachen berechtigt, auf die sich die Verpflichtung zur Verschwiegenheit bezieht. Dies gilt dann auch für hierauf bezogene Urkunden. Im Fall des BGH hatten die Interessen des Mannes jedoch Vorrang.
Quelle | BGH, Beschluss vom 29.11.2023, XII ZB 141/22
| Unternehmen müssen den Inhalt der Bilanz und der Gewinn-und Verlustrechnung grundsätzlich nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung übermitteln. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nun das aktualisierte Datenschema der Taxonomien (Version 6.8) als amtlich vorgeschriebenen Datensatz veröffentlicht. Die aktualisierten Taxonomien stehen unter www.esteuer.de zur Ansicht und zum Abruf bereit. |
Beachten Sie | Die neuen Taxonomien sind grundsätzlich für die Bilanzen der Wirtschaftsjahre zu verwenden, die nach dem 31.12.2024 beginnen (Wirtschaftsjahr 2025 oder 2025/2026). Es wird aber nicht beanstandet, wenn diese auch für das Wirtschaftsjahr 2024 oder 2024/2025 verwendet werden.
Die Übermittlungsmöglichkeit mit diesen neuen Taxonomien wird für Testfälle voraussichtlich ab November 2024 gegeben sein, für Echtfälle ab Mai 2025.
Quelle | BMF-Schreiben vom 27.5.2024, IV C 6 - S 2133-b/24/10001 :002
| Nach den statistischen Aufzeichnungen der obersten Finanzbehörden der Länder haben die im Jahr 2023 durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfungen bei der Umsatzsteuer zu einem Mehrergebnis von rund 1,52 Mrd. Euro geführt. Die Ergebnisse aus der Teilnahme von Umsatzsteuer-Sonderprüfern an allgemeinen Betriebsprüfungen oder an den Prüfungen der Steuerfahndung sind in diesem Mehrergebnis nicht enthalten. |
Umsatzsteuer-Sonderprüfungen werden unabhängig vom Turnus der allgemeinen Betriebsprüfung und ohne Unterscheidung der Größe der Betriebe vorgenommen. Im Jahr 2023 wurden 63.282 Umsatzsteuer-Sonderprüfungen durchgeführt. Im Jahresdurchschnitt waren 1.604 Umsatzsteuer-Sonderprüfer eingesetzt. Jeder Prüfer führte im Durchschnitt 39 Sonderprüfungen durch. Dies bedeutet für jeden eingesetzten Prüfer ein durchschnittliches Mehrergebnis von rund 0,94 Mio. Euro.
Quelle | BMF, Mitteilung vom 25.4.2024
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Er möchte wissen, ob das gesetzliche Aufteilungsgebot für Beherbergungsleistungen rechtmäßig ist. Danach unterliegt die Übernachtungsleistung dem ermäßigten Umsatzsteuersatz i. H. von 7 %. Für Nebenleistungen, die nicht unmittelbar der Beherbergung dienen, gilt dagegen der Regelsteuersatz (19 %). In den drei Streitfällen ging es um Parkplatzgestellungen, Frühstücksleistungen, die Gestellung von Fitness- und Wellnesseinrichtungen sowie von W-LAN. |
Für die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, greift die Umsatzsteuerermäßigung auf 7 %.
Beachten Sie | Dies gilt nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 12 Abs. 2 Nr. 11 S. 2 UStG) aber nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind.
Bisher war der BFH der Ansicht, dass das Aufteilungsgebot in Einklang mit dem Unionsrecht steht und dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung vorgeht, wonach eine (unselbstständige) Nebenleistung das Schicksal der Hauptleistung teilt.
Ganz so sicher ist sich der BFH aber infolge der jüngeren Rechtsprechung des EuGH nicht mehr. Deshalb hat er nun beim EuGH angefragt. Es ist zu hoffen, dass sich der EuGH zeitnah und eindeutig äußern wird, damit zu dieser Frage (endlich) Rechtssicherheit besteht.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 10.1.2024, XI R 11/23 (XI R 34/20), XI R 13/23 (XI R 7/21), XI R 14/23 (XI R 22/21)
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat erstmals zu den Voraussetzungen und der Reichweite des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs entschieden. |
Hintergrund: Die Datenschutz-Grundverordnung gewährt (in Art. 15 Abs. 1 DS-GVO) einen Anspruch auf Auskunft, welche personenbezogenen Daten über einen Steuerpflichtigen verarbeitet werden.
Finanzamt und Finanzgericht lehnten Auskunftsersuchen ab
Im Streitfall verlangte ein Steuerpflichtiger gegenüber dem Finanzamt die Zurverfügungstellung (elektronischer) Kopien von Verwaltungsakten mit den ihn betreffenden personenbezogenen Daten, was sowohl das Finanzamt als auch das Finanzgericht (FG) ablehnten.
Bundesfinanzhof widersprach
Der BFH hat nun entschieden, dass ein Steuerpflichtiger vom Finanzamt grundsätzlich Auskunft über die ihn betreffenden personenbezogenen Daten verlangen kann – und zwar ungeachtet der Art der Aktenführung, der Art der Dokumente oder der Form der Datenverarbeitung durch die Finanzverwaltung.
Auskunftsanspruch unabhängig von Art der Steuer
Der Auskunftsanspruch ist auch nicht davon abhängig, für welche Steuerart die Datenverarbeitung erfolgt. Grundsätzlich ist der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch darauf beschränkt, dass der Steuerpflichtige darüber informiert wird, welche ihn betreffenden personenbezogenen Daten verarbeitet werden.
Der Auskunftsanspruch gewährt grundsätzlich aber kein Recht auf die (elektronische) Zurverfügungstellung von Kopien von ganzen Akten bzw. einzelnen Dokumenten mit personenbezogenen Daten. Nur ausnahmsweise, wenn der Steuerpflichtige diese zwingend benötigt, um seine Rechte nach der DS-GVO durchsetzen zu können, sind ihm auch Kopien von Dokumenten mit seinen personenbezogenen Daten (elektronisch) zur Verfügung zu stellen.
Grenzen: unbegründete oder exzessive Auskunftsersuchen
Zu den Grenzen des Auskunftsanspruchs hat der BFH im Übrigen klargestellt, dass die Finanzverwaltung zwar einen gegen sie gerichteten Auskunftsanspruch nach der DS-GVO zurückweisen kann, falls dieser offenkundig unbegründet oder exzessiv ist. Hierfür muss sie jedoch die Umstände darlegen, die zu einer offenkundigen Unbegründetheit bzw. zu einem Exzess des Auskunftsersuchens führen. Dass der Steuerpflichtige mit seinem Auskunftsersuchen Ziele außerhalb der DS-GVO verfolgt, erlaubt der Finanzverwaltung nicht, die Auskunft über die verarbeiteten personenbezogenen Daten zu verweigern.
Quelle | BFH, Urteil vom 12.3.2024, IX R 35/21, PM Nr. 27/24 vom 20.6.2024
| Die Auszahlung einer Direktversicherung nach Ausübung eines vertraglich eingeräumten Kapitalwahlrechts unterliegt nicht dem ermäßigten Steuersatz. Gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Münster ist allerdings die Revision anhängig. |
Das war geschehen
Im Streitfall hatte die Steuerpflichtige mit ihrem damaligen Arbeitgeber die Umwandlung eines Teils ihres Gehalts in Beiträge zu einer Direktversicherung nach dem Betriebsrentengesetz vereinbart. Daraufhin schloss der Arbeitgeber für die Steuerpflichtige eine solche Versicherung mit einer Beitragszahlungsdauer von 14 Jahren ab. Es sollte eine lebenslange monatliche Rente gezahlt werden oder auf Antrag eine einmalige Kapitalabfindung erfolgen.
Im Streitjahr 2019 übte die Steuerpflichtige das Kapitalwahlrecht aus und erhielt ca. 44.500 Euro. Diesen Betrag behandelte das Finanzamt als steuerpflichtige Rente und besteuerte ihn mit dem regulären Steuersatz. Die hiergegen gerichtete Klage war erfolglos.
Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten können als außerordentliche Einkünfte in Betracht kommen, die ermäßigt zu besteuern sind (Fünftel-Regelung). Da es im Streitfall aber an dem Tatbestandsmerkmal der Außerordentlichkeit fehlte, kam keine ermäßigte Besteuerung in Betracht.
Höchstrichterliche Rechtsprechung
Im Hinblick auf die Kapitalauszahlung von Renten kam es nach der früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ausschließlich auf die vertragliche Vereinbarung an (keine ermäßigte Besteuerung, wenn das Kapitalwahlrecht schon in der ursprünglichen Versorgungsregelung enthalten war). In späteren Entscheidungen hat es der BFH jedoch vielmehr für maßgeblich gehalten, ob das Kapitalwahlrecht nur in atypischen Einzelfällen tatsächlich ausgeübt wird, wofür statistisches Material ausgewertet werden muss.
Bundesfinanzhof ist erneut gefragt
Vor diesem Hintergrund hat das FG Münster nun die Revision mit folgendem Wortlaut zugelassen: „Dem Bundesfinanzhof ist Gelegenheit zu geben, über die Ausschärfung der Kriterien zur Bestimmung der Atypik bei Kapitalauszahlungen von Renten erneut zu entscheiden, da er bei seinen bisherigen Entscheidungen (irrtümlich) davon ausgegangen ist, dass statistisches Material über die Häufigkeit der Ausübung von Kapitalwahlrechten verfügbar ist.“
Beachten Sie | Da die Steuerpflichtige die Revision eingelegt hat, können geeignete Fälle mit einem Einspruch bis zur Entscheidung des BFH offen gehalten werden.
Quelle | FG Münster, Urteil vom 24.10.2023, 1 K 1990/22 E, Rev. BFH: X R 25/23
| Bei Lohnsteuer-Außenprüfungen stoßen Prüfer immer häufiger auf Sachverhalte, in denen der Arbeitgeber im Rahmen einer Gehaltsumwandlung den Grundlohn abgesenkt und einen nach § 3 Nr. 30 und Nr. 50 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfreien Heimarbeiterzuschlag zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen (z. B. für Miete, Heizung und Beleuchtung der Arbeitsräume) bezahlt hat. Hier ist Vorsicht geboten: Denn in vielen Fällen sind die Voraussetzungen für den steuerfreien Heimarbeiterzuschlag nach dem Heimarbeitsgesetz (HAG) nicht erfüllt. |
Informationen zum Heimarbeiterzuschlag enthält vor allem die Lohnsteuerrichtlinie 9.13. Hier heißt es in Abs. 2: „Lohnzuschläge, die den Heimarbeitern zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen neben dem Grundlohn gezahlt werden, sind insgesamt aus Vereinfachungsgründen nach § 3 Nr. 30 und 50 EStG steuerfrei, soweit sie 10 % des Grundlohns nicht übersteigen.“
Beachten Sie | Die im Einkommensteuergesetz geregelte Steuerfreiheit gilt allerdings nur für Heimarbeiter i. S. des § 2 Abs. 1 HAG. Die steuerfreien Zuschläge können also nicht von Arbeitnehmern in Anspruch genommen werden, die ihre Tätigkeit seit der Coronapandemie (teilweise) im Homeoffice ausüben.
Quelle | R 9.13 Abs. 2 Lohnsteuerrichtlinien; § 2 Heimarbeitsgesetz
| Schuldet der Vermieter von Wohnraum zum vertragsgemäßen Gebrauch auch die Versorgung mit Wärme und warmem Wasser, stehen Kosten des Vermieters für eine neue Heizungsanlage jedenfalls dann im direkten und unmittelbaren Zusammenhang zur steuerfreien Vermietung, wenn es sich dabei nicht um Betriebskosten handelt, die der Mieter gesondert zu tragen hat. Die Quintessenz aus dieser Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH): Der Vermieter kann für die Heizungsanlage keinen Vorsteuerabzug beanspruchen. |
Hintergrund: Nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG) ist der Vorsteuerabzug für Lieferungen und sonstige Leistungen ausgeschlossen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet.
Das Finanzgericht (FG) Münster hatte den Streitfall noch anders beurteilt und auf getrennte Leistungen abgestellt, nämlich einerseits steuerfreie Vermietungsleistungen und andererseits steuerpflichtige Energielieferungen.
Der BFH lehnte den vom Vermieter begehrten Vorsteuerabzug aus dem Heizungsaustausch aber bereits deshalb ab, weil der Vermieter dort entsprechend den mietrechtlichen Rahmenbedingungen die Gestellung einer Wohnung zum bestimmungsgemäßen Gebrauch – d. h. einschließlich der Gestellung warmen Brauchwassers – schuldete und die diesbezüglichen Zahlungen nicht als dem Mieter gesondert berechenbare Betriebskosten i. S. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 556 BGB) anzusehen waren.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.12.2023, V R 15/21
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in zwei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu den Bewertungsregelungen des neuen Grundsteuer- und Bewertungsrechts entschieden. Danach müssen Steuerpflichtige unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit haben, einen unter dem festgestellten Grundsteuerwert liegenden Wert ihres Grundstücks nachzuweisen. Weil deswegen bereits Zweifel an der Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte bestanden, war nicht mehr zu prüfen, ob die neue Grundsteuer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln unterliegt. |
Steuerpflichtige vor Finanzgericht erfolgreich
In beiden Streitfällen hatten die Antragsteller beim Finanzgericht (FG) erfolgreich beantragt, die Grundsteuerwertfeststellungen für ihre Wohnimmobilien von der Vollziehung auszusetzen. Die Bescheide waren auf der Grundlage des neuen Bundesmodells ergangen, das in mehreren Bundesländern (z. B. in Nordrhein-Westfalen) Anwendung findet.
Danach wird die Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer, die ab 2025 von den Gemeinden erhoben wird, durch Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 1.1.2022 als einheitlichem Hauptfeststellungsstichtag ermittelt. Die für die Feststellung des Grundsteuerwerts maßgeblichen Vorschriften enthalten nicht zuletzt wegen der Neubewertung von über 36 Millionen wirtschaftlichen Einheiten zahlreiche Typisierungen und Pauschalierungen.
Bundesfinanzhof: Beschwerden des Finanzamts zurückgewiesen
Das FG hatte ernstliche Zweifel sowohl an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertbescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der Bewertungsvorschriften und gewährte deshalb die beantragte Aussetzung der Vollziehung. Die dagegen erhobenen Beschwerden des Finanzamts hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit in Bezug auf Grundsteuerwerte
Nach Ansicht des BFH bestehen bereits einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertfeststellungen in Bezug auf die Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte. Denn die Steuerpflichtigen müssen bei einer Verletzung des Übermaßverbots die Möglichkeit haben, einen niedrigeren Wert nachzuweisen – auch wenn der Gesetzgeber dies nicht ausdrücklich geregelt hat.
Übermaßverbot ist zu berücksichtigen
Der Gesetzgeber verfügt gerade in Massenverfahren über einen großen Typisierungs- und Pauschalierungsspielraum. Das Übermaßverbot kann aber verletzt sein, wenn sich der Grundsteuerwert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweist. Dies setzt nach der Rechtsprechung zu anderen typisierenden Bewertungsvorschriften voraus, dass der festgestellte Wert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 % oder mehr übersteigt – und dies war infolge der Besonderheiten in den Streitfällen nicht auszuschließen.
Beachten Sie | Eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des neuen Bewertungsrechts ist damit nicht verbunden. Es handelt sich bisher lediglich um Beschlüsse im Rahmen der summarischen Prüfung des Aussetzungsverfahrens.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 27.5.2024, II B 78/23 (AdV) und II B 79/23 (AdV); PM Nr. 26/24 vom 13.6.2024
| Ist ein Fahrzeug mehr als fünf Jahre alt, stuft das Amtsgericht (AG) Aue-Bad Schlema die Nutzungsausfallentschädigung um eine und bei mehr als zehn Jahren um zwei Gruppen ab. |
So rechnete das Amtsgericht
Wenn ein ca. 15 Jahre alter Kleinwagen mit ca. 194.000 km Laufleistung, der ohne Altersabstufung in die Gruppe B gehört, betroffen ist, wird jedoch nur eine Gruppe abgestuft. Denn tiefer geht es nicht. So gab es im vom AG entschiedenen Fall einen Tagessatz von 23 Euro.
Der Versicherer hatte nur minimale Vorhaltekosten erstattet. Das lehnt das Gericht ab. Denn das komme nur in Betracht, wenn ein Fahrzeug nicht nur alt, sondern in einem so schlechten Zustand ist, dass seine Nutzbarkeit deutlich eingeschränkt ist.
Entgangene Fortbewegungsmöglichkeit
Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass sich hinter den Vorhaltekosten letztlich kaum mehr als die Fixkosten wie Steuern, Versicherung etc. verbergen, es sich hierbei also um einen weitaus geringeren Betrag handelt. Mit zunehmendem Fahrzeugalter spiele letztlich nur die entgangene Fortbewegungs- und Transportmöglichkeit eine Rolle. Allein aufgrund des Alters des Fahrzeugs könne daher nicht ohne Weiteres von einer weiteren Einschränkung des Nutzungswerts bis zum Betrag von Vorhaltekosten ausgegangen werden.
Quelle | AG Aue-Bad Schlema, Urteil vom 28.2.2024, 3 C 241/23
| Ist ein durch eine Verbraucherzentrale geltend gemachter Unterlassungsanspruch begründet, wenn eine Firma die online erklärte Kündigung eines Kunden von einem Bestätigungstelefonat abhängig macht? Diese Frage hat das Landgericht (LG) Koblenz bejaht. |
Zusätzliches Telefonat nötig, damit Online-Kündigung wirksam wird?
Die Beklagte bietet, auch gegenüber Verbrauchern, den Abschluss von Dienstleistungsverträgen über Dauerschuldverhältnisse unter anderem zur Bereitstellung von Webspeicherplatz, E-Mail-Postfächern und Servern an.
Der Kläger, ein eingetragener Verein (Verbraucherzentrale), begehrt von der Beklagten, es zu unterlassen, dass sie auf eine online erklärte Kündigung gegenüber Verbrauchern behauptet, dass zur Wirksamkeit der Kündigung noch ein Telefonat erforderlich sei. Konkret hat ein Kunde seinen Vertrag bei der Beklagten per Internet gekündigt. Der Kunde hat daraufhin von der Beklagten die Mitteilung erhalten, er möge seine Kündigung binnen 14 Tagen telefonisch bestätigen, ansonsten bleibe das Vertragsverhältnis unverändert bestehen.
Verbraucherzentrale: Telefonat dient zum Umstimmen der Verbraucher
Der Kläger hat daraufhin die Beklagte abgemahnt und erfolglos zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert. Er behauptet, im Fall eines Anrufs nach der Kündigung werde seitens der Beklagten – mittels rhetorischer Kunstfertigkeit oder Anbieten anderer Vertragskonditionen – versucht, den Verbraucher zu überzeugen, von seinem Kündigungswillen Abstand zu nehmen. Der Kläger ist zudem der Ansicht, die Mitteilung der Beklagten gegenüber Verbrauchern, dass nach einer Kündigung eine Rückbestätigung erfolgen müsse, stelle eine unlautere geschäftliche Handlung dar. Sie enthalte unwahre Angaben über Rechte des Verbrauchers.
Der Kläger beantragte u. a., der Beklagten unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro zu untersagen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern diesen nach einer der Beklagten zugegangenen Kündigungserklärung eines Dienstleistungsvertrags in Form eines Dauerschuldverhältnisses zu behaupten, die telefonische Bestätigung der erklärten Kündigung sei erforderlich. Die Beklagte meint, ohne telefonische Rückbestätigung der Kündigung bestünde das Risiko, dass unberechtigte Dritte den Vertrag eines Kunden kündigen könnten. Es sei deshalb erforderlich, sich davon zu überzeugen, dass die Kündigung vom Erklärenden stammt. Dabei biete ein Telefonat ein Mehr an Sicherheit verglichen mit einem Bestätigungslink innerhalb einer E-Mail. Es finde keine Irreführung des Verbrauchers statt. Außerdem werde eine geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers nicht beeinflusst.
So sah es das Landgericht
Das LG hat der Klage antragsgemäß stattgegeben. Dem Kläger stehe ein Unterlassungsanspruch zu. Das Vorgehen der Beklagten, den Verbraucher aufzufordern, seine Kündigung innerhalb von 14 Tagen telefonisch zu bestätigen, stelle eine geschäftliche Handlung dar. Dazu gehörten auch Verhaltensweisen, die auf eine Fortsetzung der Geschäftsbeziehung oder das Verhindern einer Geschäftsbeendigung gerichtet sind. Diese geschäftliche Handlung der Beklagten sei unzulässig, da sie unlauter sei. Unlauter handele, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornehme, die geeignet sei, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
Bestätigungslink in E-Mail genügt
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch irreführend. Dies sei gegeben, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über Rechte des Verbrauchers enthalte. Erfasst seien auch irreführende Angaben über deren Inhalt, Umfang und Dauer sowie etwaige Voraussetzungen für die Geltendmachung bestimmter Rechte, zu denen auch das Kündigungsrecht zähle. Auch, wenn die Beklagte nach Auffassung des LG ein grundsätzliches Interesse an einer Authentifizierung haben könne, wäre eine solche vorrangig durch eine Bestätigung über den von dem Verbraucher gewählten Kommunikationskanal zu erreichen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb ein an den Verbraucher unter der von ihm hinterlegten E-Mail-Adresse gesendeter Bestätigungslink zur Identifizierung weniger geeignet wäre als ein Telefonat. Auch während eines Telefonats sei es der Beklagten nicht möglich, sich umfassende Gewissheit über die wahre Person ihres Gesprächspartners zu verschaffen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass es einem unbefugten Dritten, der sich Zugang zu der Kundennummer, der Vertragsnummer und dem E-Mail-Konto des wahren Vertragspartners verschafft hat, auch gelänge, in einem Telefonat über seine Identität zu täuschen.
Zusätzliche Entscheidung
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Die Beklagte stelle den Verbraucher nach Zugang seiner Kündigung vor die Wahl, seine Kündigung nicht telefonisch zu bestätigen, und in der Folge das Vertragsverhältnis fortzusetzen, oder innerhalb von 14 Tagen telefonisch Kontakt zu der Beklagten aufzunehmen. Es werde dadurch eine zusätzliche Entscheidung des Verbrauchers verlangt, ob er an der Ausübung seines Kündigungsrechts festhalten will. Ohne die irreführende Aufforderung der Beklagten würde der Verbraucher weder die eine noch die andere Entscheidung treffen. Die erforderliche Wiederholungsgefahr ergebe sich daraus, dass die Beklagte eingeräumt habe, dass die beanstandete Vorgehensweise der Beklagten deren übliche Vorgehensweise sei.
Quelle | LG Koblenz, Urteil vom 27.2.2024, 11 O 12/23
| Das Landgericht (LG) Oldenburg hat den von einer Frau geltend gemachten Anspruch auf Schadenersatz zurückgewiesen. Sie hatte sich an einem Becher Tee verbrüht. |
Warnhinweis auf dem Pappbecher
Die Frau hatte in einem Restaurant einen Tee in einem Einwegbecher gekauft. Auf dem Becher war der Warnhinweis angebracht: „VORSICHT HEISS“. Außerdem enthielt er ein Piktogramm mit einer Tasse mit Dampfschwaden. Der Becher war der Frau mit einem von Hand zu öffnenden Deckel übergeben worden. Er wurde ihr in einer Pappschale ausgehändigt. Wenige Minuten nach dem Kauf hob die Frau den Becher am Deckel aus der Schale. Da passierte es: Der Deckel löste sich. Der Tee ergoss sich auf ihre Oberschenkel. Die Frau erlitt Verbrennungen 1. und 2. Grades. Sie musste sich später einer teuren Behandlung unterziehen.
So sah es die Frau
Die Frau argumentierte vor dem LG, der Tee sei zu heiß gewesen. Folglich seien von ihm unnötige Gesundheitsgefahren ausgegangen. Zudem sei der Deckel nicht fest verschlossen gewesen. Mit diesen beiden Umständen habe sie nicht rechnen müssen.
So sah es das Landgericht
Das LG lehnte den geltend gemachten Schadenersatzanspruch ab. Es hob hervor: Dass frisch zubereiteter Tee heiß sei (zwischen 90 und 100 Grad), sei allgemein bekannt. Er müsse daher nicht in verzehrfertiger Temperatur übergeben werden. Die Frau sei zudem durch die o. g. Hinweise auf dem Becher ausdrücklich gewarnt worden. Vor einem eventuell losen Deckel habe die Restaurantbesitzerin ebenfalls nicht warnen müssen.
Quelle | LG Oldenburg, Urteil vom 15.3.2024, 16 O 2015/23
| Kosten für eine einem Hotel ähnliche Unterbringung im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung können auch die Aufwendungen für das Mieten eines Wohnmobils sein. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Haus unbewohnbar – Wohnmobil als Ersatz gemietet
Das Haus eines Versicherungsnehmers war unbewohnbar geworden. Er mietete sich daher für 260 Euro pro Tag ein Wohnmobil und verlangte den Betrag später vom Versicherer zurück. Dieser wollte die Kosten jedoch nicht übernehmen.
Wohnmobil mit Hotel vergleichbar
Das OLG Köln verurteilte den Versicherer schließlich, rund 86.000 Euro an Mietkosten zu übernehmen. Auch die Kosten für das Mieten des Wohnmobils seien Kosten einer einem Hotel ähnlichen Unterbringung i. S. d. Versicherungsbedingungen.
Für Versicherungsnehmer ist Wohnmobil eine dem Hotel ähnliche Unterkunft
Die Auslegung ergebe, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer auch die stationäre Unterbringung in einem Mietwohnwagen oder Mietwohnmobil als eine einer Hotelunterbringung ähnliche Unterkunft ansehen werde. Denn ebenso wie ein Hotel, eine Ferienwohnung, eine Pension oder Gaststätte mit „Fremdenzimmern“ zeichnet sich ein Wohnmobil bzw. ein Wohnwagen, der zeitweise vermietet wird, dadurch aus, dass wechselnde Gäste darin für eine befristete Zeit wohnen, sei es zu Arbeitsaufenthalten (bspw. Saisonarbeiter, Arbeiter auf Montage) oder zu touristischen Zwecken. Allein der Aspekt der Mobilität des Wohnmobils im Unterschied zur Hotelunterkunft – also der Umstand, dass ein Wohnwagen grundsätzlich mithilfe eines Pkw bzw. ein Wohnmobil aus eigener Motorkraft im Straßenverkehr zum Reisen benutzt und zu wechselnden Standorten bewegt werden kann – steht der Vergleichbarkeit zu einer Hotelunterbringung aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers nicht entgegen.
Motorisierung spielt keine Rolle
Das OLG sieht zwar, dass ein Wohnmobil gerade durch die Motorisierung deutlich teurer ist als ein Wohnwagen. Darauf kommt es im Rahmen der Erstattung der Unterbringungskosten aber nicht an.
Der Versicherungsnehmer muss keine dem Wohnungsstandard entsprechende Unterkunft finden. Er ist in der Wahl der Unterkunft grundsätzlich frei und darf sich dabei von persönlichen Bedürfnissen und privaten Befindlichkeiten leiten lassen. Bis zur Höhe der vertraglich vereinbarten Grenzen besteht der zugesagte Versicherungsschutz. Danach sind Kosten für das Mieten eines Wohnmobils als Kosten einer ähnlichen Unterbringung, wie Hotelkosten, grundsätzlich im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung (nach Abschnitt A. § 8 Nr. 1 c VHB 2014) erstattungsfähig.
Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger das Wohnmobil nicht als Wohnraumersatz, sondern etwa zu Reisezwecken angemietet haben, hat der Versicherer nicht konkret vorgetragen. Sie ergaben sich für das OLG auch nicht aus dem Akteninhalt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 5.12.2023, 9 U 46/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden: Der Versicherer muss die Kosten für die Versorgung mit Medizinal-Cannabis nicht tragen, wenn der Versicherungsnehmer an der Glasknochenkrankheit leidet. |
Konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft?
Der Versicherungsnehmer meinte, dass konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft seien. Es liege zumindest eine schwere Erkrankung mit wesentlichen Funktionseinschränkungen vor. Daher müsse der Versicherer die medizinisch notwendige Heilbehandlung durch Medizinal-Cannabis übernehmen.
Der Versicherer entgegnete: Bei akut auftretenden Schüben sei Cannabis wegen seiner „Behandlungsträgheit“ nicht geeignet. Das Landgericht (LG) war dem gefolgt und hatte in erster Instanz die Klage des Versicherungsnehmers abgewiesen.
Oberlandesgericht sieht es wie der Versicherer
Das OLG hat dies bestätigt. Der Versicherungsnehmer habe nach dem Versicherungsvertrag einen Leistungsanspruch, wenn es sich bei der Behandlung seiner Beschwerden um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung handelt, die entweder von der Schulmedizin überwiegend anerkannt ist oder es sich um eine Methode oder ein Arzneimittel handelt, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen. Diese Voraussetzungen lägen hier aber nicht vor.
Zwar leide der Versicherungsnehmer unter einem schweren, multilokulären generalisierten Schmerzsyndrom bei Glasknochenkrankheit und bei entsprechender Symptomatik komme die Erstattung von Medizinal-Cannabis grundsätzlich in Betracht. Wesentliche gelenkarthrotische Veränderungen seien jedoch ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens nicht feststellbar. Weitere Befunde, die den Vortrag zu seinen körperlichen Beschwerden – insbesondere der behaupteten Vielzahl von Brüchen – stützen könnten, habe der darlegungs- und beweisbelastete Versicherungsnehmer ebenfalls nicht vorgelegt.
Die Behandlung der beim Versicherungsnehmer feststellbaren Symptomatik mit Medizinal-Cannabis sei nach heutiger medizinischer Einschätzung und aktuellem Wissensstand nicht als von der Schulmedizin allgemein anerkannte Methode anzusehen. Auch sei sie keine Methode, die sich in der Praxis als ebenso Erfolg versprechend bewährt habe wie die Methoden und Arzneimittel der Schulmedizin. Der gerichtlich bestellte Sachverständige habe ausgeführt, mangels ausreichender Datenlage könne nicht festgestellt werden, dass die Therapie mit Medizinal-Cannabis eine entsprechende Linderung der im Zusammenhang mit der Glasknochenkrankheit stehenden Schmerzsymptomatik verspreche. Schließlich seien schulmedizinisch sowohl nichtmedikamentöse als auch verschiedene medikamentöse Behandlungen verfügbar. Der Versicherungsnehmer habe nicht nachgewiesen, dass diese Behandlungsmethoden bei ihm nicht wirksam seien oder gravierende Nebenwirkungen verursachten.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2023, I-13 U 222/22
| Der Vermieter ist verpflichtet, dem Mieter auf dessen Verlangen Einsicht in die Abrechnungsbelege zu gewähren und diese in einer geordneten Form vorzulegen. Es ist nicht Aufgabe des Mieters, die Belege selbstständig zu ordnen. So entschied es das Amtsgericht (AG) Münster. |
Die Wohnungsmieter hatten Einsicht in die Belege zu den Betriebskostenabrechnungen von 2018 bis 2020 verlangt. Die Vermieterin legte die Unterlagen ungeordnet, weder thematisch noch chronologisch stringent sortiert, vor. Daher weigerten sich die Mieter, die Nachforderungen aus den Abrechnungen auszugleichen.
Die Zahlungsklage der Vermieterin hatte keinen Erfolg. Sie habe keinen Anspruch auf die Nachzahlungen, da den Mietern ein Zurückbehaltungsrecht zustehe. Die Vermieterin habe keine umfassende Belegeinsicht gewährt.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 259 Abs. 1 BGB) bedürfe es einer geordneten Zusammenstellung der Abrechnungsbelege, so das AG. Das umfasse eine zweckmäßige und übersichtliche Aufgliederung in Abrechnungsposten.
Dabei sei auf einen juristisch und betriebswirtschaftlich ungeschulten Mieter abzustellen. Anderenfalls könne der Mieter sein Prüfungsrecht nicht sinnvoll ausüben. Der Mieter sei nicht verpflichtet, die Belege selbstständig zu ordnen oder Zusammenhänge in den Rechnungen fortlaufender Verträge zu erkennen.
Quelle | AG Münster, Urteil vom 25.10.2023, 38 C 1947/22
| Das Landgericht (LG) Hanau hat entschieden, dass ein Vermieter in einem Gebäude mit nur zwei Wohnungen dem Mieter der zweiten Wohnung nicht ohne besonderen Grund kündigen kann, wenn er selbst die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr nutzt. |
Vermieterin wohnte überwiegend im Ausland
Zwischen der hauptsächlich im Ausland lebenden Vermieterin und den Mietern besteht ein Mietvertrag über eine Wohnung in einem Haus mit nur zwei Wohneinheiten. Sie selbst nutzt die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr. Die Vermieterin hat die Kündigung nach § 573 a BGB ausgesprochen. Nach dieser Vorschrift kann der Vermieter ein Mietverhältnis über eine Wohnung in einem vom ihm selbst bewohnten Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen jederzeit ohne Grund beenden. Die Mieter halten die Kündigung für unwirksam, weil die Vermieterin die andere Wohnung nicht im Sinne der Vorschrift bewohne. Das Amtsgericht (AG) ist dieser Auffassung gefolgt und hat die Räumungsklage abgewiesen.
Lebensmittelpunkt erforderlich
Das LG hat die Berufung der Vermieterin zurückgewiesen. Für die erleichterte Kündigung nach § 573 a BGB reiche es nicht aus, dass der Vermieter die zweite Wohnung in dem Haus lediglich zusätzlich nutze, selbst, wenn das vereinzelt, wie für das Jahr 2021 behauptet, insgesamt 40 Wochen seien. Er müsse vielmehr seinen Lebensmittelpunkt in der Wohnung haben. Eine enge Auslegung der Vorschrift sei insbesondere deshalb geboten, weil diese es ermögliche, den Mietvertrag mit dem ansonsten von dem Gesetz erheblich geschützten Wohnraummieter zu beenden, ohne dass der Mieter eine Pflichtverletzung begangen oder der Vermieter sonst ein besonderes Interesse hieran habe.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LG Hanau, Urteil vom 15.11.2023, 2 S 107/22, PM vom 8.2.2024
| Dass ein Testament nicht zwingend auf einem weißen Blatt Papier entstehen muss, zeigt ein Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg. Es ging letztlich darum, ob jemand Erbe geworden war oder nicht. |
Gastwirt verstarb – Testament auf „Kneipenblock“
Verstorben war ein Gastwirt aus dem Landkreis Ammerland. Seine Partnerin sah sich als Erbin und beantragte, einen Erbschein zu erteilen. Als Testament legte sie dem Gericht einen Kneipenblock vor, den sie im Gastraum hinter der Theke aufgefunden habe. Dort war unter Angabe des Datums und einer Unterschrift auch der Spitzname einer Person („X“) vermerkt. Auf dem Zettel hieß es lediglich „X bekommt alles“.
Amtsgericht: Testierwille fehlte
Das Amtsgericht (AG) sah die Partnerin nicht als Erbin an. Es war der Auffassung, dass nicht sicher feststellbar sei, dass mit dem Kneipenblock ein Testament errichtet werden sollte. Daher fehle der für ein Testament erforderliche Testierwille.
Oberlandesgericht: Testament wirksam
Der auf das Erbrecht spezialisierte Senat des OLG gelangte zu einer anderen Bewertung. Der handschriftliche Text auf dem Zettel sei ein wirksames Testament.
Das OLG war aufgrund der Einzelheiten des Verfahrens überzeugt, dass der Erblasser das Schriftstück selbst verfasst hatte und dass er mit dem genannten Spitznamen allein seine Partnerin gemeint habe. Auch, dass der Erblasser mit der handschriftlichen Notiz seinen Nachlass verbindlich regeln wollte, stand für den Senat aufgrund von Zeugenangaben fest.
Dass sich die Notiz auf einer ungewöhnlichen Unterlage befinde, nicht als Testament bezeichnet und zudem hinter der Theke gelagert war, stehe der Einordnung als Testament nicht entgegen. Zum einen sei es eine Eigenart des Erblassers gewesen, für ihn wichtige Dokumente hinter dem Tresen zu lagern. Zum anderen reiche es für die Annahme eines Testaments aus, dass der Testierwille des Erblassers eindeutig zu ermitteln sei und die vom ihm erstellte Notiz seine Unterschrift trage. Das OLG stellte die Partnerin daher als rechtmäßige Erbin fest.
Quelle | OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.12.2023, 3 W 96/23, PM 10/24
| Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund bewilligte der Klägerin eine Altersrente. Einen Grundrentenzuschlag nach dem Sozialgesetzbuch VI (hier: § 76 g SGB VI) für langjährige Versicherung berücksichtigte sie nicht, weil das anzurechnende Einkommen des Ehemannes höher als der Zuschlag war. Zu Recht, wie das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen nun bestätigte. |
Klägerin rügte Grundrechtsverstoß
Die Klägerin rügte, dass die Einkommensanrechnung gemäß § 97 a Abs. 1 SGB VI gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes verstoße. Verheiratete und unverheiratete Menschen würden ungleich behandelt und durch den Familienstand „verheiratet“ benachteiligt, weil das Gesetz eine Einkommensanrechnung bei unverheirateten Personen nicht vorsehe. Das SG wies die Klage durch Gerichtsbescheid ab.
Landessozialgericht: kein Grundrechtsverstoß
Die dagegen gerichtete Berufung hat das LSG nun zurückgewiesen. Die von der Beklagten angewandte gesetzliche Regelung sei nicht verfassungswidrig. Der Nachteil der Einkommensanrechnung werde bei Gesamtbetrachtung aller an die Ehe bzw. eingetragenen Lebenspartnerschaft anknüpfenden Regelungen sowohl in der gesetzlichen Rentenversicherung als auch in anderen Regelungsbereichen im Ergebnis ausgeglichen.
Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs
Dabei sei zudem zu berücksichtigen, dass das Ziel der Grundrente nach dem Willen des Gesetzgebers neben der Anerkennung der Lebensarbeitsleistung eine bessere finanzielle Versorgung von langjährig Versicherten sei. Dieses Ziel werde erreicht. Dem Grundrentenberechtigten verbleibe bei Einbeziehung des Einkommens des Ehegatten ein Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs. Er stehe besser da als jemand, der wenig oder gar nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung verpflichtend versichert gearbeitet habe und entsprechend wenig oder gar nicht in diese eingezahlt habe.
Das gelte zwar auch für jemanden, der in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit jemandem zusammenlebe, der entsprechende Einkünfte habe. Allerdings seien Ehepartner aufgrund der unterhaltsrechtlichen wechselseitigen Verpflichtung wirksamer als in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft versorgt.
Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.1.2024, L 18R 707/22, PM vom 15.3.2024
| Allein mit der Rüge, es seien nicht alle in § 34 HOAI aufgeführten Grundleistungen erbracht worden, kann der Auftraggeber das Architektenhonorar nicht wirksam mindern. Die Bezeichnung „im Allgemeinen erforderlich“ in § 3 Abs. 3 HOAI soll nämlich klarstellen, dass nicht alle in den Leistungsbildern aufgeführten Leistungen bei jedem Objekt notwendig sind, um die Vertragsziele zu erreichen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Celle. |
Maßgeblich sind die vertraglichen Vereinbarungen
Maßgeblich sind nach dem OLG nicht die in der HOAI genannten Leistungsbilder, sondern die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Was ein Planer vertraglich schuldet, ergibt sich aus dem Vertrag, in der Regel also aus dem Recht des Werkvertrags. Der Inhalt dieses Vertrags ist nach den allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Vertragsrechts zu ermitteln.
Die HOAI enthält keine normativen Leitbilder für den Inhalt von Architekten- und Ingenieurverträgen. Die in der HOAI geregelten „Leistungsbilder“ sind Gebührentatbestände für die Berechnung des Honorars der Höhe nach.
Daraus folgt, dass es sich bei den Vorgaben des § 34 Abs. 3 und Anlage 10.1 HOAI nicht um eine abschließende Darstellung, sondern um eine Auslegungshilfe handelt.
Es müssen nicht stets alle Grundleistungen erbracht werden
Die in Anlage 10.1 aufgeführten Grundleistungen sind nicht alle zwingend für einen vollständigen Honoraranspruch zu erbringen, wenn dies für den vereinbarten Leistungsumfang nicht erforderlich ist. Dies ergibt sich auch aus § 3 Abs. 2 S. 1 HOAI, wonach die in den Leistungsbildern erfassten Grundleistungen im Allgemeinen zur ordnungsgemäßen Erfüllung eines Auftrags erforderlich sind.
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass nicht immer alle in der jeweiligen Leistungsphase aufgeführten Grundleistungen zur Lösung der jeweiligen konkreten Planungsaufgabe zwingend erbracht werden müssen. Sind bestimmte Grundleistungen nicht zur Lösung der konkreten Planungsaufgabe erforderlich, führt es nicht zu einer Honorarkürzung, wenn diese – nicht erforderlichen – Leistungen nicht erbracht wurden.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 7.2.2024, 14 U 12/23
| In letzter Zeit häufen sich die Entscheidungen dazu, dass es nicht zu den Aufgaben des Architekten gehört, Rechtsfragen zu bearbeiten. Jetzt hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt eine neue Variante hinzugefügt und sich klar positioniert. |
Das OLG: Ob eine Nachtragsforderung des bauausführenden Unternehmers berechtigt ist, liegt außerhalb der Fragestellungen, für deren Richtigkeit der Architekt mit seiner Rechnungsprüfung im Verhältnis zum Auftraggeber einzustehen hat.
Quelle | OLG Frankfurt, Beschluss vom 2.3.2023, 21 U 69/21
| Ein Architekt, der bei der Gebäudesanierung seine Kunden nicht nur in technischer Hinsicht berät, sondern auch Ratschläge zum Erhalt von Fördermitteln erteilt, muss für Schäden einstehen, wenn er die Fördervoraussetzungen fehlerhaft einschätzt. So hat es das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Empfehlung des Architekten
Die Frau hatte sich zusammen mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann dazu entschlossen, ihr Mehrfamilienhaus energetisch sanieren zu lassen und wollte dafür möglichst auch Fördermittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) erhalten. Sie ließ sich dahingehend von einem Architekten beraten, der auch Leistungen im Bereich der Energieberatung anbietet. Dieser empfahl, das Objekt in Wohnungseigentum umzuwandeln, da dies eine Voraussetzung für die Gewährung von KfW-Fördermitteln im Rahmen des Programms „Energieeffizient Sanieren“ sei.
KfW verweigerte Fördermittel
Entsprechend der Beratung des Architekten stellte das Ehepaar den Antrag auf die Fördermittel, noch bevor die Umwandlung des Hauses in Wohnungseigentum vollzogen war. Nachdem die Sanierungsarbeiten durchgeführt und die Umwandlung in Wohnungseigentum abgeschlossen waren, rief das Ehepaar die Fördermittel ab. Die KfW verweigerte jedoch die Auszahlung, da nach den Förderbedingungen nur Eigentümer von bestehenden Eigentumswohnungen antragsberechtigt seien; eine Umwandlung in Wohnungseigentum erst nach Antragstellung genüge dagegen nicht. Die nun entgangenen Vorteile verlangten die Eigentümer von dem Architekten ersetzt.
Architekt erbrachte Rechtsdienstleistung
Das LG gab der Klage statt. Der Architekt habe nicht nur auf technischer Ebene zugearbeitet, sondern mit seiner beratenden Tätigkeit zu den Fördervoraussetzungen der geplanten Sanierungsmaßnahme eine sogenannte Rechtsdienstleistung erbracht. Da die Information über die Voraussetzungen für die KfW-Förderung der geplanten Maßnahme unzureichend gewesen sei, habe er seine Schutzpflichten aus dem Beratungsvertrag verletzt. Hätten die Eheleute den Antrag erst nach der Umwandlung in Wohnungseigentum gestellt, hätten sie die Fördermittel erhalten. Den daraus entstandenen Schaden muss der Architekt nun erstatten.
Das LG: Der Architekt kann sich im Nachhinein nicht darauf berufen, er arbeite im Rahmen der Energieberatung nur auf technischer Ebene.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 25.1.2024, 7 O 13/23, PM vom 28.3.2024
| Ein ehemaliger Polizist hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Hautkrebserkrankung als Berufskrankheit infolge früher wahrgenommener Tätigkeiten u. a. im Streifendienst. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Aachen entschieden. |
Der Kläger begründete, er sei während seiner nahezu 46-jährigen Dienstzeit zu erheblichen Teilen im Außendienst eingesetzt gewesen, ohne dass sein Dienstherr ihm Mittel zum UV-Schutz zur Verfügung gestellt oder auch auf die Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen hingewiesen habe. Infolgedessen leide er unter Hautkrebs am Kopf, im Gesicht und an den Unterarmen.
Das VG hat die Ablehnung der Anerkennung als Berufskrankheit bestätigt, denn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Dienstunfall lägen hier nicht vor. Erforderlich ist im Fall von Hautkrebs durch UV-Strahlung, dass der Betroffene bei der Ausübung seiner Tätigkeit der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt ist, d. h. das Erkrankungsrisiko aufgrund der dienstlichen Tätigkeit in entscheidendem Maß höher als das der Allgemeinbevölkerung ist. Davon kann bei Polizeibeamten im Außendienst nicht die Rede sein. Polizisten bewegen sich in unterschiedlichen örtlichen Begebenheiten und nicht nur bei strahlendem Sonnenschein im Freien.
Quelle | VG Aachen, Urteil vom 15.4.2024, 1 K 2399/23, PM vom 15.4.2024
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW hat entschieden: Eine Entschädigung wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) scheidet aus, wenn der Bewerber eine klassische kaufmännische Ausbildung hat, die nicht mit der Laufbahn des mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienstes (Bundeswehrverwaltung) vergleichbar ist. Hat der Bewerber später nicht entsprechend seiner Qualifikation gearbeitet, sammelt er auch keine Zeiten „hauptberuflicher Tätigkeit“. |
Kläger erhielt keine Einladung zum Vorstellungsgespräch
Der Kläger bewarb sich auf die o. g. Stelle und wurde nicht eingeladen. Vor dem Verwaltungsgericht (VG) klagte er auf eine Entschädigung nach dem AGG (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 AGG) und unterlag. Seinen Antrag auf Zulassung der Berufung wies das OVG zurück. Zu Recht habe das VG ausnahmsweise eine Einladung eines schwerbehinderten Menschen durch einen öffentlichen Arbeitgeber als entbehrlich angesehen. Denn die fachliche Eignung fehlte offensichtlich.
Wesentliche Unterschiede in der Ausbildung
Der Kläger hatte eine Ausbildung zum Kaufmann in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft absolviert. Deren Inhalte unterschieden sich wesentlich von denen, die im Vorbereitungsdienst für den mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienst in der Bundeswehrverwaltung vermittelt würden und allein zur Laufbahnbefähigung für den mittleren Dienst führen könnten. Das VG verglich insoweit die Ausbildung des Klägers mit den Anforderungen des fachspezifischen Vorbereitungsdienstes. Er konnte auch nicht nachweisen, dass seine späteren hauptberuflichen Tätigkeiten seiner Qualifikation entsprachen bzw. anzuerkennen seien. Hier wäre ein Zeitraum von mindestens einem Jahr und sechs Monaten notwendig gewesen. Er hatte auf verschiedenen Stellen überwiegend einfache Büro- und Verwaltungsarbeiten ausgeführt, die häufig nicht einmal eine kaufmännische Ausbildung voraussetzten.
Quelle | OVG NRW, Urteil vom 8.5.2023, 1 A 3340/20
| Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz bei Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen. Zu den Arbeitsunfällen gehören auch Unfälle auf dem Weg von und zur Arbeit, die sogenannten Wegeunfälle. Auch ein Abweichen von dem direkten Arbeitsweg kann unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich unfallversichert sein. Dabei muss aber ein ausreichender Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit bestehen bleiben. Eine solche Ausnahme kommt gesetzlich etwa für einen vom Arbeitsweg abweichenden Weg in Betracht, um ein Kind wegen der beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen. In einem solchen Zusammenhang hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg nun eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen. |
Begleitung auf dem Schulweg
Die Klägerin hatte ihre Tochter im Grundschulalter zu einem Sammelpunkt auf dem Schulweg begleitet, an dem sich eine Gruppe von Mitschülern für den restlichen Weg traf. Dieser Sammelpunkt lag, von der Wohnung der Klägerin aus gesehen, in entgegengesetzter Richtung zu ihrer Arbeitsstätte. Auf dem Weg von dem Sammelpunkt zu ihrer Arbeit, aber noch vor Erreichen des Wegstücks von ihrer Wohnung zur Arbeit, wurde die Klägerin – als sie trotz einer roten Fußgängerampel eine Straße überquerte – von einem PKW erfasst. Sie erlitt unter anderem eine Gehirnerschütterung und verschiedene Knochenbrüche.
Nachdem die zuständige gesetzliche Unfallversicherung die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ablehnte, bekam die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Stuttgart zunächst recht. Sie hatte insbesondere geltend gemacht, dass die Begleitung ihrer Tochter aus Sicherheitsgründen erforderlich gewesen sei.
Landessozialgericht: Kein Arbeitsweg
Auf die Berufung des Unfallversicherungsträgers hat das LSG Baden-Württemberg die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Ein Arbeitsunfall setze, wie der zuständige Senat klargestellt hat, u. a. voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei. Die Klägerin habe sich zwar im Unfallzeitpunkt objektiv auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstätte befunden. Dies sei aber nicht hinreichend, denn das Überqueren der Straße am Unfallort zum Unfallzeitpunkt sei nicht auf dem direkten Weg zum Ort der versicherten Tätigkeit erfolgt, sodass der erforderliche sachliche Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit fehle.
Entscheidend: nicht Umweg, sondern Abweg
Bewege sich der Versicherte – wie vorliegend die Klägerin – nicht auf einem direkten Weg in Richtung seines Ziels, sondern in entgegengesetzter Richtung von diesem fort, handele es sich eben nicht um einen bloßen Umweg, sondern um einen Abweg. Werde der direkte Weg mehr als geringfügig unterbrochen und ein solcher Abweg allein aus eigenwirtschaftlichen, also nicht betrieblichen Gründen – ebenfalls wie vorliegend – zurückgelegt, bestehe kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Klägerin habe auch bis zum Eintritt des Unfallereignisses die unmittelbare Wegstrecke zwischen ihrer Wohnung und der Arbeitsstätte noch nicht wieder erreicht. Der Wegeunfallversicherungsschutz sei damit zum Unfallzeitpunkt noch nicht erneut begründet worden.
Keine Ausnahme gegeben
Es liege auch kein ausnahmsweise versicherter Abweg vor. Die Klägerin habe ihre Tochter nicht – wie für den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz insoweit erforderlich – zum Sammelpunkt begleitet, um ihrer Beschäftigung nachzugehen, sondern allein und ausschließlich aus allgemeinen Sicherheitserwägungen zum Schutz der Tochter. Damit fehle vorliegend jeglicher sachlich-inhaltlich kausaler Zusammenhang zwischen der Beschäftigung der Klägerin und dem Begleiten der Tochter. Denn erfasst würden keine Fälle, in denen das Kind in fremde Obhut unabhängig davon verbracht werde, ob der Versicherte seine Beschäftigung alsbald aufnehmen wolle. Schließlich stelle auch die Begleitung der Tochter zu einem Sammelpunkt der Kinder-„Laufgruppe“, von wo aus die Grundschulkinder gemeinsam den Schulweg beschritten, schon kein „Anvertrauen in fremde Obhut“ im Sinne des Gesetzes dar.
Beachten Sie | Wenn ein Unfall – wie in dem dargestellten Fall – nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung erfasst ist, wird Versicherungsschutz typischerweise durch die – gesetzliche oder private – Krankenversicherung gewährleistet. Auch sind Schülerinnen und Schüler allgemein- und berufsbildender Schulen während des Schulbesuchs sowie auf dem Schulweg gesetzlich unfallversichert.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.2.2022, L 10 U 3232/21, PM vom 19.3.2024
| Der Bundesfinanzhof hat entschieden: Kostenerstattungen eines kirchlichen Arbeitgebers an seine Beschäftigten für die Erteilung erweiterter Führungszeugnisse, zu deren Einholung der Arbeitgeber zum Zwecke der Prävention gegen sexualisierte Gewalt kirchenrechtlich verpflichtet ist, führen nicht zu Arbeitslohn. |
Die Einholung der erweiterten Führungszeugnisse durch die Arbeitnehmer erfolgte aufgrund einer nur die kirchlichen Rechtsträger, nicht aber die Arbeitnehmer treffenden (kirchenrechtlichen) Verpflichtung.
Durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasste, zu Lohn führende Zuwendungen erbringt der Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern aber regelmäßig nicht, wenn er ausschließlich eine eigene, insbesondere nicht gegenüber den Arbeitnehmern bestehende Verpflichtung erfüllt.
Die zur Erfüllung einer entsprechenden Verpflichtung entstehenden Kosten wendet der Arbeitgeber in einer solchen Konstellation im eigenen Interesse auf. Sie sind Ausfluss seiner eigenbetrieblichen Tätigkeit.
Beachten Sie | Haben die Arbeitnehmer die vom Arbeitgeber für dessen eigenbetriebliche Tätigkeit zu tragenden Kosten (wie im Streitfall) zunächst aus eigenen Mitteln verauslagt, wendet der Arbeitgeber ihnen mit der Erstattung ihrer Aufwendungen keinen Vorteil zu, der sich im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweisen könnte.
Quelle | BFH, Urteil vom 8.2.2024, IV R 19/22
| Nach dem neuen Partnerschaftsgesetz (hier: § 2 Abs. 1 PartGG), das am 1.1.2024 in Kraft getreten ist, muss der Name der Partnerschaft nur noch den Zusatz „und Partner“ oder „Partnerschaft“ enthalten. Die Aufnahme des Namens mindestens eines Partners ist nicht mehr erforderlich. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Der Zwang zur Benennung mindestens eines Partners ist zum Jahreswechsel entfallen. Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass die grundsätzlich zu schützende Vertrauensbeziehung zwischen Freiberufler und Auftraggeber es jedenfalls aus gesellschaftsrechtlicher Sicht nicht erfordert, dass der Name der Partnerschaftsgesellschaft den Namen mindestens eines Partners enthalten muss. Hinzu kommt, dass die Identifizierung der Partnerschaftsgesellschaft mit dem Namen der Partner weitgehend an Bedeutung verloren hat.
Quelle | BGH, Beschluss vom 6.2.2024, II ZB 23/22
| Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken bestätigte, dass in einer Tageszeitung anlässlich einer damals anstehenden Neuwahl des Ortsvorstehers zulässig über die erstinstanzliche strafrechtliche Verurteilung eines lokalen Bauunternehmers berichtet worden sei, der mit zwei der Kandidaten verwandt ist. |
Das war geschehen
Eine große pfälzische Tageszeitung berichtete in ihrer Online-Ausgabe vom 30.6.2023 und in ihrer Print-Ausgabe vom 1.7.2023 über die damals anstehende Neuwahl eines Ortsvorstehers. Diese war notwendig geworden, weil der bisherige Ortsvorsteher nach diversen Anfeindungen zurückgetreten war.
Im Artikel wurden die drei Kandidaten vorgestellt und dabei erwähnt, dass zwei der Kandidaten mit einem lokalen Bauunternehmer und Landwirt verwandt seien, dem Anwohner vorwerfen, für den stark angestiegenen Lkw-Verkehr im Ort verantwortlich zu sein. Dabei wurde auch berichtet, dass der Bauunternehmer erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung u. a. wegen Beleidigung, Nötigung, Bedrohung und versuchter gefährlicher Körperverletzung von Anwohnern verurteilt worden sei.
Auf eine Abmahnung des Bauunternehmers hin schwärzte die Zeitung das E-Paper und ergänzte den Online-Beitrag um den Hinweis, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig sei. Der Bauunternehmer verlangte hierauf im gerichtlichen Eilverfahren den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Zeitung, wonach sie den ihn betreffenden Bericht unterlassen sollte. Das Landgericht (LG) wies den Antrag zurück. Hiergegen hat der Bauunternehmer sofortige Beschwerde eingelegt. Diese wies das OLG zurück.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG begründete seine Entscheidung damit, dass es schon an der erforderlichen Eilbedürftigkeit für das beschrittene gerichtliche Eilverfahren fehle. Der Bauunternehmer habe mehr als fünf Wochen mit seinem Antrag gewartet und die Zeitung habe den Online-Artikel um den Zusatz, wonach das strafrechtliche Urteil noch nicht rechtskräftig sei, bereits ergänzt.
Zulässige Verdachtsberichterstattung
Unabhängig davon handele es sich um eine zulässige Verdachtsberichterstattung. Zwar könnten anhand der im Artikel genannten Einzelinformationen zumindest die Einwohner des betroffenen Ortsteils den Bauunternehmer identifizieren. Der Bericht beruhe aber auf wahren Tatsachen, nämlich die tatsächliche Verurteilung des Bauunternehmers. Außerdem werde zumindest durch den Zusatz klar, dass die Verurteilung auch noch nicht rechtskräftig sei.
Persönlichkeitsrecht vs. Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit
Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Bauunternehmers stehe nicht außer Verhältnis zum Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Es gehöre gerade zu den Aufgaben der Presse, in Zusammenhang mit demokratischen Prozessen zu berichten. Hierzu gehöre auch die Berichterstattung über den Hintergrund der Kandidaten, insbesondere deren verwandtschaftliche Beziehungen, da diese möglicherweise Einfluss auf zukünftige Entscheidungen der Kandidaten haben könnten. Sowohl der erhöhte Lkw-Verkehr im Ort, als auch die erstinstanzlich abgeurteilten Straftaten des Antragstellers zulasten der Anwohner seien von lokalem Interesse.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.10.2023, 4 W 23/23, PM vom 11.3.2024
| Die Nutzung eines Bootes als schwimmende Bar auf der Havel muss nach einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin umgehend beendet werden. |
Boot = bauliche Anlage?
Der Antragsteller ist Eigentümer eines Bootes, das er überwiegend an Dritte vermietet, im Sommer aber an drei Tagen am Wochenende zum Ausschank von Getränken an Gäste nutzt. Die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt forderte ihn im August 2023 sofort vollziehbar auf, die schwimmende Bar innerhalb einer Woche ab Zugang der Anordnung „zu beseitigen“. Zur Begründung führte die Behörde im Wesentlichen aus, die auf einer Plattform betriebene Bar sei nach dem Berliner Wassergesetz genehmigungsbedürftig; eine Genehmigung werde aber nicht erteilt.
Der Antragsteller hat um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er meint, bei seinem Boot handele es sich weder um eine bauliche Anlage im Wasser noch um eine schwimmende Plattform, sondern um ein zugelassenes Sportboot. Es werde wegen der Vermietung an Dritte auch nicht vorwiegend stationär genutzt.
Während der Woche Sportboot, an Wochenenden Anlage im Gewässer
Das VG hat die Rechtmäßigkeit der Anordnung überwiegend bestätigt. Bei der schwimmenden Bar handele es sich um eine nicht genehmigte Anlage, deren Beseitigung die Wasserbehörde nach dem Berliner Wassergesetz habe anordnen dürfen. Auch wenn das Boot während der Woche als Sportboot einzustufen sei, führe seine wiederkehrende stationäre Nutzung als schwimmende Bar in der Sommersaison von Freitagabend bis Sonntag dazu, dass es in diesem Zeitraum als Anlage im Gewässer einzustufen sei. Diese Nutzung überschreite qualitativ die Grenze der gemeinverträglichen Nutzung des Gewässers und stelle sich damit wie eine Sondernutzung dar.
Strenger Maßstab war anzulegen
Wegen der besonderen Bedeutung, die dem Wasser für die Allgemeinheit wie für den Einzelnen zukomme und mit Rücksicht darauf, dass das Wasser und der Wasserhaushalt gegenüber Verunreinigungen und sonstigen nachteiligen Einwirkungen in besonderer Weise anfällig sei, sei ein strenger Maßstab gerechtfertigt. Daher könne der Antragsteller auch keine Sondernutzungserlaubnis beanspruchen.
Das VG beanstandete den Bescheid allerdings hinsichtlich der zur Durchsetzung der Verfügung angedrohten Ersatzvornahme, da nur der Antragsteller selbst die stationäre Nutzung unterlassen könne und es sich somit um eine unvertretbare Handlung handele.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 19.1.2024, VG 10 L 419.23, PM 4/24
| Prozesskosten zur Erlangung nachehelichen Unterhalts sind privat veranlasste Aufwendungen und keine (vorweggenommenen) Werbungskosten bei den späteren Unterhaltseinkünften i. S. des Einkommensteuergesetzes (hier: § 22 Nr. 1 a EStG). Mit dieser Entscheidung hat der Bundesfinanzhof (BFH) der anderslautenden Sichtweise des Finanzgerichts (FG) Münster (Vorinstanz) widersprochen. |
Hintergrund: Beim begrenzten Realsplitting kann der Unterhaltsverpflichtete die Unterhaltszahlungen bis zu 13.805 Euro im Jahr (zuzüglich der aufgewandten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung als Basisversorgung) als Sonderausgaben abziehen. Dies bedarf allerdings der Zustimmung des Unterhaltsberechtigten, der die Unterhaltszahlungen seinerseits als sonstige Einkünfte versteuern muss.
Erst durch den Antrag und die Zustimmung werden Unterhaltsleistungen in den steuerrelevanten Bereich überführt. Die Umqualifizierung markiert die zeitliche Grenze für das Vorliegen abzugsfähiger Erwerbsaufwendungen; zuvor verursachte Aufwendungen des Unterhaltsempfängers stellen keine Werbungskosten dar.
Beachten Sie | Der BFH hat den Streitfall an das FG Münster zurückverwiesen. Dieses muss nun klären, ob ggf. außergewöhnliche Belastungen vorliegen. Es besteht zwar ein Abzugsverbot für Prozesskosten (§ 33 Abs. 2 S. 4 EStG). Dieses greift aber nicht, wenn die Existenzgrundlage oder lebensnotwendige Bedürfnisse des Steuerpflichtigen betroffen sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 18.10.2023, X R 7/20
| Nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die pauschale Besteuerung (Steuersatz i. H. von 25 %) für Betriebsveranstaltungen auch für Veranstaltungen zulässig, die nicht allen Betriebsangehörigen offenstehen. Nicht so erfreulich ist dagegen ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG), wonach die verspätete Pauschalbesteuerung nicht zur Beitragsfreiheit in der Sozialversicherung führt. |
Hintergrund: Zuwendungen des Arbeitgebers an seinen Arbeitnehmer und dessen Begleitpersonen anlässlich von Veranstaltungen auf betrieblicher Ebene mit gesellschaftlichem Charakter (Betriebsveranstaltung) führen gemäß Einkommensteuergesetz (hier: § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 1 EStG) zu Arbeitslohn.
Soweit die Zuwendungen den Betrag von 110 Euro je Betriebsveranstaltung und teilnehmendem Arbeitnehmer nicht übersteigen, gehören sie jedoch nicht zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, wenn die Teilnahme allen Angehörigen des Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. Dies gilt für bis zu zwei Betriebsveranstaltungen jährlich (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 3 und S. 4 EStG).
Urteil des Bundesfinanzhofs
Ungeklärt war bislang die Frage, ob eine„Betriebsveranstaltung“ auch bei einem geschlossenen Kreis (beispielsweise Vorstands- und Führungskräfte feiern) vorliegt.
Beachten Sie | In diesen Fällen kann zwar kein Freibetrag i. H. von 110 Euro gewährt werden, aber es wäre eine Lohnsteuerpauschalierung (nach § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) mit 25 % möglich.
Auch bei eingeschränktem Kreis: Betriebsveranstaltung
Diese Frage hat der BFH – im Gegensatz zur Vorinstanz – nun zugunsten der Steuerpflichtigen entschieden. Nach der ab dem Veranlagungszeitraum 2015 geltenden Definition im Einkommensteuergesetz (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 1 EStG) kann eine Betriebsveranstaltung auch vorliegen, wenn sie nicht allen Angehörigen eines Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. Und da diese Definition dem Tatbestandsmerkmal „Betriebsveranstaltung“ (gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) entspricht, ist eine pauschale Besteuerung möglich.
Urteil des Bundessozialgerichts
Im Streitfall des BSG ging es auch um Betriebsveranstaltungen – und zwar um die Frage, welche Folgen eine verspätete Lohnsteuerpauschalierung für die Sozialversicherung hat.
Das war geschehen
Ein Unternehmen feierte mit seinen Beschäftigten am 5.9.2015 ein Firmenjubiläum. Am 31.3.2016 zahlte es für September 2015 auf einen Betrag von rund 163.000 Euro die für 162 Arbeitnehmer angemeldete Pauschalsteuer. Nach einer Betriebsprüfung forderte der Rentenversicherungsträger von dem Unternehmen Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen in Höhe von rund 60.000 Euro nach – und zwar zu Recht, wie das BSG entschieden hat (die gegenteiligen Entscheidungen der Vorinstanzen wurden aufgehoben).
Aufwendungen von mehr als 110 Euro je Beschäftigten für eine betriebliche Jubiläumsfeier sind als geldwerter Vorteil in der Sozialversicherung beitragspflichtig, wenn sie nicht mit der Entgeltabrechnung, sondern erst erheblich später pauschal versteuert werden.
Pauschalversteuerung erfolgte zu spät
Es kommt entscheidend darauf an, dass die pauschale Besteuerung „mit der Entgeltabrechnung für den jeweiligen Abrechnungszeitraum“ erfolgt. Dies wäre im konkreten Fall die Entgeltabrechnung für September 2015 gewesen. Tatsächlich wurde die Pauschalbesteuerung aber erst Ende März 2016 durchgeführt und damit sogar nach dem Zeitpunkt, zu dem die Lohnsteuerbescheinigung für das Vorjahr übermittelt werden musste.
Beachten Sie | Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung vertreten im Besprechungsergebnis vom 20.4.2016 (TOP 5) die Auffassung, dass eine nachträgliche Pauschalbesteuerung nur bis zur Erstellung der Lohnsteuerbescheinigung geltend gemacht werden kann, also längstens bis zum 28.2. des Folgejahrs. Dem hat sich das BSG nun im Ergebnis angeschlossen.
Quelle | BFH, Urteil vom 27.3.2024, VI R 5/22; BSG, Urteil vom 23.4.2024, B 12 BA 3/22 R Abruf-Nr. 241172 unter www.iww.de, PM Nr. 15/24 vom 23.4.2024; Spitzenorganisationen der Sozialversicherung, Besprechungsergebnis vom 20.4.2016, TOP 5
| Aufwendungen einer gesunden Steuerpflichtigen für eine durch eine Krankheit des Partners veranlasste Präimplantationsdiagnostik (PID) können als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein. So lautet eine steuerzahlerfreundliche Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH). |
Hintergrund: Bei der PID handelt es sich um ein genetisches Diagnoseverfahren zur vorgeburtlichen Feststellung von Veränderungen des Erbmaterials, die eine Fehl- oder Totgeburt verursachen bzw. zu einer schweren Erkrankung eines lebend geborenen Kindes führen können. Es erfolgt eine zielgerichtete genetische Analyse von Zellen eines durch künstliche Befruchtung entstandenen Embryos vor seiner Übertragung und Einnistung in die Gebärmutter.
Das war geschehen
Bei dem Partner der Steuerpflichtigen lag eine chromosomale Translokation vor. Aufgrund dieser Chromosomenmutation bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein auf natürlichem Weg gezeugtes gemeinsames Kind an schwersten körperlichen oder geistigen Behinderungen leidet und unter Umständen nicht lebensfähig ist. Daher wurde eine PID durchgeführt. Der Großteil der hierfür notwendigen Behandlungen betraf die Steuerpflichtige, die den Abzug der Kosten als außergewöhnliche Belastungen beantragte.
Das Finanzamt lehnte eine Berücksichtigung der Behandlungskosten ab. Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen gab der Klage hinsichtlich der von der Steuerpflichtigen selbst getragenen Aufwendungen hingegen statt.
Bundesfinanzhof: zwangsläufig entstandene Aufwendungen
Der BFH bestätigte nun die Vorentscheidung. Die Aufwendungen für die Behandlung der Steuerpflichtigen sind zwangsläufig entstanden, weil die ärztlichen Maßnahmen in ihrer Gesamtheit dem Zweck dienten, eine durch Krankheit beeinträchtigte körperliche Funktion ihres Partners auszugleichen. Wegen der biologischen Zusammenhänge konnte (anders als bei anderen Erkrankungen) durch eine medizinische Behandlung allein des erkrankten Partners keine Linderung der Krankheit eintreten. Daher steht der Umstand, dass die Steuerpflichtige selbst gesund ist, der Berücksichtigung der Aufwendungen nicht entgegen.
Auch auf den Familienstatus kam es nicht an
Unschädlich war auch, dass die Steuerpflichtige und ihr Partner nicht verheiratet waren – und schließlich war auch das Erfordernis der Übereinstimmung der vorgenommenen Behandlungsschritte mit gesetzlichen Vorschriften (insbesondere dem Embryonenschutzgesetz) erfüllt.
Beachten Sie | Außergewöhnliche Belastungen wirken sich nur steuermindernd aus, wenn sie die im Einkommensteuergesetz (hier: § 33 Abs. 3 EStG) festgelegte zumutbare Belastung übersteigen. Die Höhe der zumutbaren Belastung hängt dabei u. a. vom Gesamtbetrag der Einkünfte ab.
Quelle | BFH, Urteil vom 29.2.2024, VI R 2/22, PM 23/24 vom 10.5.2024
| Das Ordnungsamt darf einen privaten Pkw, der auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellt worden ist, unabhängig davon abschleppen lassen, ob ein Carsharing-Fahrzeug an der Nutzung dieses Parkplatzes konkret gehindert worden ist. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf entschieden und die Klage der Fahrzeugführerin gegen einen Leistungs- und Gebührenbescheid abgewiesen. |
Die Klägerin hatte ihren Pkw auf einer Fläche abgestellt, die durch Verkehrsschilder als Parkplatz für Carsharing-Fahrzeuge gekennzeichnet war. Ein Mitarbeiter der städtischen Verkehrsüberwachung stellte den Verstoß fest und beauftragte einen Abschleppwagen. Kurz vor dessen Eintreffen erschien die Klägerin und entfernte ihr Fahrzeug von dem Parkplatz. Die Stadt machte ihr gegenüber mit Leistungs- und Gebührenbescheid die Kosten der Leerfahrt des Abschleppwagens geltend und setzte eine Verwaltungsgebühr fest. Zur Begründung ihrer Klage gegen diesen Bescheid trug die Klägerin vor, sie habe nur elf Minuten auf dem Carsharing-Platz geparkt und zu dieser Zeit seien noch weitere Parkplätze frei gewesen, sodass ein Abschleppen nicht notwendig gewesen sei.
Das VG: Die Beauftragung des Abschleppwagens war rechtmäßig. Ein Fahrzeug, das auf einem nach der Beschilderung ausschließlich Carsharing-Fahrzeugen vorbehaltenen Parkplatz steht, aber nicht am Carsharing teilnimmt, wird so betrachtet, als wenn es in einem absoluten Halteverbot stünde. Die Abschleppmaßnahme war verhältnismäßig, weil die Funktion der Parkplätze für Carsharing-Fahrzeuge nur gewährleistet ist, wenn sie jederzeit von nicht parkberechtigten Fahrzeugen freigehalten werden. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob die Klägerin durch das verbotswidrige Abstellen konkret ein bevorrechtigtes Carsharing-Fahrzeug am Parken gehindert hat. Das Abschleppen ist auch unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, dass von einem zu Unrecht auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellten Fahrzeug eine negative Vorbildwirkung für andere Kraftfahrer ausgeht.
Quelle | VG Düsseldorf, Urteil vom 20.2.2024, 14 K 491/23, PM vom 28.2.2024
| Die Abschleppunternehmer rechnen üblicherweise nach Einsatzstunden ab, wobei im Stundensatz die Kosten für das Fahrzeug und den Fahrer enthalten sind. Die Preis- und Strukturbefragung des Verbands Bergen und Abschleppen (VBA) differenziert dabei im unteren Segment nach Abschleppfahrzeugen unter und über zwölf Tonnen zulässigem Gesamtgewicht (zGG). Das Amtsgericht (AG) Pforzheim musste einen Fall entscheiden, bei dem der Abschleppunternehmer mit einem 13-Tonner vorgefahren kam. |
Der Versicherer trug vor, bei dem konkreten Gewicht des zu transportierenden Fahrzeugs hätte auch ein 11-Tonner genügt. Auf dieser Grundlage hatte er die Abschleppkosten nur reduziert erstattet.
Das Gericht entschied: Es möge sein, dass ein 11-Tonner genügt hätte. Doch sei dies im Vorhinein nicht abschätzbar.
Quelle | AG Pforzheim, Urteil vom 11.1.2024, 9 C 1207/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat sich in seiner Entscheidung mit der Frage befasst, ob der Klägerin ein Anspruch auf Sterbegeld und Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusteht, nachdem ihr Ehemann einen tödlichen Motorradunfall erlitten hatte. |
Ehemann der Klägerin bei Verkehrsunfall tödlich verletzt
Der Ehemann der Klägerin war Inhaber eines Autohauses in Berlin und als Unternehmer freiwillig bei der beklagten Berufsgenossenschaft versichert. Die Klägerin war in dem Autohaus angestellt tätig. Die gemeinsame Wohnung der Eheleute lag etwa 14 km vom Autohaus entfernt. Am 19.8.2013 reisten beide gemeinsam auf ihrem Motorrad aus einem mehrtägigen Urlaub in Thüringen die rund 400 km lange Strecke zurück nach Berlin, der Ehemann lenkte das Motorrad. Da die Tochter des Ehepaares während des Urlaubs die Geschäfte des Autohauses weitergeführt hatte und wegen eines Zahnarzttermins um 14:00 Uhr auf ihrer Arbeit abgelöst werden sollte, wollten sich die Eheleute aus Thüringen kommend direkt zum Autohaus begeben. Dort sollten von beiden die weiteren Geschäfte aufgenommen werden, ohne zuvor in die Familienwohnung zu fahren. Bereits auf dem Berliner Stadtgebiet, noch bevor sich die Wege zum Autohaus und zur Familienwohnung gabelten, kam es gegen 13:25 Uhr zu einem Verkehrsunfall, bei dem sich die Klägerin erheblich verletzte und ihr Ehemann verstarb.
Berufsgenossenschaft lehnte Sterbegeld ab
Die Berufsgenossenschaft lehnte es ab, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen (Sterbegeld und Witwenrente) zu erbringen. Ihr Ehemann habe sich bei dem Unfall nicht auf einem versicherten Arbeitsweg befunden, sondern lediglich auf einem privat veranlassten Rückweg von einer Urlaubsreise. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin und die Berufung vor dem LSG blieben zunächst ohne Erfolg. Auf die vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassene und von der Klägerin eingelegte Revision hin hat das Bundessozialgericht (BSG) das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache dorthin zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts sowie zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Landessozialgericht spricht Hinterbliebenenleistungen zu
Das LSG hat jetzt entschieden: Der Ehefrau stehen Hinterbliebenenleistungen zu. Der tödliche Motorradunfall stelle für den Ehemann als freiwillig versicherten Unternehmer einen Arbeitsunfall dar.
Zum einen sei der Ehemann versichert gewesen, weil er sich selbst zum Zeitpunkt des Unfalls auf dem direkten Weg zum Autohaus begeben wollte, um dort seiner Arbeit nachzugehen. Zum anderen habe Versicherungsschutz auch deshalb bestanden, weil die objektiven Begleitumstände und die Angaben der Ehefrau darauf schließen ließen, dass der verunglückte Ehemann seine Frau direkt zum Autohaus gefahren habe, damit diese dort die gemeinsame Tochter bei der Arbeit habe ablösen können. Damit liege ein versicherter, sogenannter „Betriebsweg“ vor, der nicht auf das Betriebsgelände beschränkt sei, aber dennoch im unmittelbaren betrieblichen Interesse liege.
Dem Versicherungsschutz stehe nicht entgegen, dass der Weg aus dem Urlaub (von einem „dritten Ort“ aus) angetreten worden sei und mithin erheblich länger gewesen sei, als es die Strecke von der Wohnung zur Arbeit gewesen wäre. Entscheidend sei, dass der zurückgelegte Weg die direkte Strecke zum Autohaus gewesen sei bzw. dass der subjektive Wille in erster Linie auf die Wiederaufnahme der Arbeit gerichtet gewesen sei. Dies hat das LSG anhand der vorliegenden Indizien des Falls bejaht. Insbesondere seien auch der Unfallzeitpunkt (13:25 Uhr) und der Zeitpunkt, zu dem die Tochter im Autohaus abgelöst werden sollte (14:00 Uhr), zeitlich stimmig.
Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.1.2024, L 21 U 202/21, PM vom 1.2.2024
| Mit den Besonderheiten bei der Versicherung historischer Fahrzeuge hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Es entschied: Steigt der Wert eines Oldtimers nach Abschluss der Versicherung an, ist der Betrag der Wertsteigerung womöglich vom Versicherungsschutz ganz oder teilweise nicht erfasst. Der Eigentümer des Fahrzeugs muss selbst darauf achten, den versicherten Wert regelmäßig dem etwa gestiegenen Marktwert anzupassen. Eine auf vollständigen Ersatz gerichtete Klage gegen die Kfz-Versicherung hat das Gericht im zugrundeliegenden Fall wegen Unterdeckung abgewiesen. |
Das war geschehen
Ein Oldtimerfan hatte sein historisches Fahrzeug gegen Beschädigung oder Zerstörung zum jeweils aktuellen Marktwert versichert. Später kam es dazu, dass das Fahrzeug bei einem Brand in einer Tiefgarage erheblich beschädigt worden war.
Die Kfz-Versicherung kam nach eingeholtem Gutachten zu einem Wert des Fahrzeugs am Schadenstag in Höhe von knapp 41.000 Euro und zahlte dem Eigentümer den entsprechenden Geldbetrag aus. Dieser war jedoch davon überzeugt, dass sein Oldtimer deutlich mehr wert gewesen sei und ließ deshalb ein weiteres Gutachten einholen. Dieses kam tatsächlich zu dem Ergebnis, dass das historische Fahrzeug im Wert deutlich gestiegen und fast 8.000 Euro mehr wert war, als von der Versicherung angenommen. Der Mann verlangte nun die Differenz.
Sonderbedingungen des Versicherungsvertrags entscheidend
Das LG verwies, wie auch zuvor bereits die Versicherung, den Oldtimerfan auf die im Versicherungsvertrag enthaltenen Sonderbedingungen für historische Fahrzeuge. Danach werde grundsätzlich ein Schaden bis zur Höhe des aktuellen Marktwerts ersetzt. Die Höchstentschädigung sei aber durch den Marktwert begrenzt, der bei Versicherungsabschluss vereinbart wurde.
Im Fall von Wertsteigerungen könne maximal zehn Prozent mehr als der damals vereinbarte Marktwert verlangt werden. Der habe im konkreten Fall rund 36.000 Euro betragen. Dem Oldtimerbesitzer stehe deshalb keine höhere Entschädigung zu, als von der Versicherung bereits ausgezahlt.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 17.1.2024, 3 O230/23, PM vom 28.2.2024
| Das Amtsgericht (AG) Frankfurt hatte nach der Wegnahme eines Fan-Schals keinen Diebstahl, sondern lediglich eine Nötigung angenommen. Ob ein Diebstahl vorliege, hänge davon ab, ob der Täter den Schal seinem Vermögen einverleiben wolle. |
Wegnahme nach Fußballspiel
Der angeschuldigte Eintracht-Fan soll bei einem Fußballspiel der Frankfurter Eintracht gegen den FC Schalke 04 im Deutsche Bank-Park einem Fan der gegnerischen Mannschaft einen Fan-Schal abgenommen haben. Beim Verlassen des Stadions habe er dem Schalke-Anhänger den Fan-Schal im Vorbeilaufen vom Hals gezogen. Als der Schalke-Fan ihn zur Rückgabe aufforderte, habe er ihn mit beiden Händen weggeschoben.
Staatsanwaltschaft bejahte Diebstahl
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main wertete dies als Diebstahl. Da der Angeschuldigte zudem den Schalke-Fan mit Gewalt weggedrückt habe, um den erbeuteten Schal behalten zu können, erhob sie Anklage wegen räuberischen Diebstahls - einem Verbrechenstatbestand mit einer Mindeststrafe von einem Jahr.
Amtsgericht differenzierte
Das AG sah in der Handlung des Angeschuldigten jedoch keinen Diebstahl. Es fehle an der hierfür notwendigen „Zueignungsabsicht“. Diese liege nur vor, wenn der Täter sich die Sache aneignen, sie also seinem Vermögen zuführen wolle. Nehme der Täter den Schal aber lediglich an sich, um jemanden zu ärgern, fehle es an einer Zueignungsabsicht. Es handele sich dann lediglich um eine straflose „Gebrauchsanmaßung“ und – sofern der Schal anschließend beschädigt würde – um eine Sachbeschädigung.
Da das Gericht keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür sah, dass der Angeschuldigte den Schal behalten wollte, eröffnete es das Hauptverfahren nicht wegen räuberischen Diebstahls, sondern lediglich wegen Nötigung. Diese habe der Angeschuldigte durch das Wegdrücken des Schalke-Fans begangen.
Quelle | AG Frankfurt am Main, Beschluss vom 23.10.2023, 917 Ls 6443 Js 217242/23, PM vom 8.3.2024
| Bei der Zerstörung eines älteren Baumes ist in der Regel keine sog. Naturalrestitution zu leisten, also nicht der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Der Anspruch geht vielmehr auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines jungen Baumes und darüber hinaus einen Ausgleich für eine etwa verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Das Oberlandgericht (OLG) Frankfurt am Main hat ein den eingeklagten Schadenersatzanspruch größtenteils zurückweisendes Urteil des Landgerichts (LG) aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das LG zurückverwiesen. |
Rückschnitt ja, aber nicht so gravierend
Die Parteien sind Nachbarn. Die Klägerin ist Eigentümerin eines großen Grundstücks im Vordertaunus mit rund 70-jährigem Baumbestand. Der Baum- und Strauchbestand wird jährlich mehrfach durch ein Fachunternehmen beschnitten. An den hinteren Gartenbereich grenzt u. a. das Grundstück des Beklagten. Im Abstand von 1,60 m hierzu steht auf dem klägerischen Grundstück eine Birke, im Abstand von 3,35 m ein Kirschbaum. Beide Bäume waren zum Zeitpunkt des Erwerbs des Beklagten schon lange vorhanden. Die Klägerin war einverstanden, dass der Beklagte die auf sein Grundstück herüberhängenden Äste der Gehölze zurückschneidet.
Ende Mai 2020 betrat der Beklagte das klägerische Grundstück in ihrer Abwesenheit und führte gravierende Schnittarbeiten unter anderem an den beiden Bäumen durch. An der Birke verblieb kein einziges Blatt. Der kurz vor der Ernte befindliche Kirschbaum wurde vollständig eingekürzt. Ob sich die Bäume wieder komplett erholen oder die derzeitigen Triebe allein sog. Nottriebe sind, die an dem Absterben nichts ändern, ist zwischen den Parteien streitig.
Landgericht sprach Schadenersatz von 4.000 Euro zu
Das LG hat der auf Zahlung von Schadenersatz von knapp 35.000 Euro gerichteten Klage in Höhe von gut 4.000 Euro stattgegeben. Es führte aus, dass die Wertminderung der Bäume sowie die Kosten für die Entsorgung des Schnittguts zu ersetzen seien.
Oberlandesgericht: Sachverhalt muss aufgeklärt werden
Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LG. Der Sachverhalt sei zur Bemessung des Schadenersatzes weiter aufzuklären, begründete das OLG die Entscheidung.
Bei der Zerstörung eines Baumes sei in der Regel nicht Schadenersatz in Form von Naturalrestitution zu leisten, da die Ersatzbeschaffung in Form der Verpflanzung eines ausgewachsenen Baumes regelmäßig mit besonders hohen und damit unverhältnismäßigen Kosten verbunden sei. Der Schadenersatz richte sich vielmehr üblicherweise auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines neuen jungen Baumes sowie einen Ausgleichsanspruch für die verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Diese Werteinbuße sei zu schätzen. Nach einer möglichen Bewertungsmethode könnten dafür die für die Herstellung des geschädigten Gehölzes bis zu seiner Funktionserfüllung erforderlichen Anschaffungs-, Pflanzungs- und Pflegekosten sowie das Anwachsrisiko berechnet und anschließend kapitalisiert werden. Dieser Wert sei um eine Alterswertminderung, Vorschäden und sonstige wertbeeinflussende Umstände zu bereinigen.
Ausnahmsweise seien die vollen Wiederbeschaffungskosten zuzuerkennen, „wenn Art, Standort und Funktion des Baumes für einen wirtschaftlich vernünftig denkenden Menschen den Ersatz durch einen gleichartigen Baum wenigstens nahelegen würden“, erläutert das OLG weiter. Aufzuklären sei deshalb bei der Bewertung des Schadenersatzes die Funktion der Bäume für das konkrete Grundstück. Zu berücksichtigen sei dabei auch der klägerische Vortrag, wonach es ihr bei der sehr aufwändigen, gleichzeitig naturnahen Gartengestaltung auch darauf angekommen sei, Lebensraum für Vögel und sonstige Tiere zu schaffen und einen Beitrag zur Umwandlung von Kohlenstoffdioxid in Sauerstoff zu leisten.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 6.2.2024, 9 U 35/23, PM 12/24
Impfpflicht: Vorlage eines Masernimmunitätsnachweises für schulpflichtige Kinder
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat in mehreren Eilverfahren die Beschwerden von Eltern schulpflichtiger Kinder gegen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin zurückgewiesen, wonach Gesundheitsämter für den Schulbesuch den Nachweis einer Impfung oder Immunität gegen Masern fordern dürfen, sofern keine Kontraindikation besteht. Für den Fall, dass der Nachweis nicht vorgelegt wird, kann auch ein Zwangsgeld angedroht werden. |
Infektionsschutzgesetz verfassungskonform
Zur Begründung hat das OVG u. a. ausgeführt: Die Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes zur Nachweispflicht seien angesichts der hochansteckenden Viruskrankheit mit möglicherweise schwerwiegenden Komplikationen nicht offenkundig verfassungswidrig. Zwar greife die Nachweispflicht in das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes ein. Die Regelung sei aber verhältnismäßig, weil sie – wie das Bundesverfassungsgericht bereits zur Nachweispflicht bei noch nicht schulpflichtigen Kindern entschieden habe – einen legitimen Zweck verfolge und nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehe.
Impfpflicht besteht
Der Gesetzgeber des Masernschutzgesetzes sei von einer grundsätzlich bestehenden „Impfpflicht“ bzw. „verpflichtenden Impfung“ ausgegangen. Er habe lediglich von deren Durchsetzung im Wege des unmittelbaren Zwangs abgesehen. Andere Zwangsmittel, wie Zwangsgeld und Geldbuße, seien hingegen vorgesehen, um eine tatsächliche Erhöhung der Impfquote in Schulen und sonstigen Gemeinschaftseinrichtungen – und damit letztlich in der gesamten Bevölkerung – zu erreichen.
Die Beschlüsse sind unanfechtbar.
Quelle | OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 28.2.2024, OVG 1 S 80/23 u. a., PM 9/24
| Nach Modernisierungsarbeiten vor Mietbeginn kann der Vermieter eine Miete vereinbaren, die die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 10 % übersteigt. Bestreitet der Mieter die Maßnahmen, ist das unbeachtlich, wenn der Vermieter eine substanziierte Berechnung vorgelegt und Einsicht in sämtliche Unterlagen angeboten hat. Das hat jetzt das Amtsgericht (AG) Berlin-Charlottenburg entschieden. |
Mieter verlangte Rückerstattung überhöhter Miete
Die Miete für eine Wohnung in einem durch Verordnung bestimmten Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt lag bei 1.700 Euro. Unter Berücksichtigung eines zehnprozentigen Zuschlags gemäß Mietspiegel war von einer ortsüblichen Vergleichsmiete von maximal 867,71 Euro auszugehen. Der Mieter forderte die Rückerstattung der überhöht verlangten Miete. Im Prozess nahm der Vermieter detailliert zu den von ihm durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen Stellung und legte dar, in welchem Umfang Abzüge für Instandsetzungsmaßnahmen vorgenommen wurden, insbesondere, dass anrechenbare Modernisierungskosten in Höhe von 441,33 Euro pro Monat entstanden seien.
Klage hatte teilweise Erfolg
Das AG gab der Klage teilweise statt. Bei den Baumaßnahmen des Vermieters handele es sich zwar nicht um eine umfassende Modernisierung im Sinne des § 556 f BGB, sodass der Vermieter die Wohnung nicht preisfrei vermieten durfte. Bei einer umfassenden Modernisierung sei zum einen auf den Investitionsaufwand und zum anderen auf das Ergebnis der Maßnahme, also die qualitativen Auswirkungen auf die Gesamtwohnung, abzustellen. Die aufgewandten Kosten einer reinen Erhaltungsmaßnahme zählten insgesamt nicht zu den Modernisierungskosten. Allein die Höhe des Bauaufwands reiche nicht aus; entscheidend sei das Resultat, also der geschaffene Zustand. Der Begriff „umfassend“ bezeichne nämlich nicht nur ein quantitatives (Kosten-)Element, sondern gleichberechtigt ein qualitatives Kriterium. Zu berücksichtigen seien die qualitativen Auswirkungen der Maßnahmen auf die Gesamtwohnung. Eine solche Auslegung werde dem Gesetzeszweck gerecht, Modernisierungen zu fördern. Durch diesen Aufwand müsse ein Zustand erreicht werden, der einer Neubauwohnung in etwa – nicht notwendig vollständig – entspreche.
Im Fall des AG fehlten Darlegungen des Vermieters, dass durch die Maßnahmen ein Zustand erreicht wurde, der insbesondere in energetischer Hinsicht einem Neubau gleichkommt. Jedoch sei der Vermieter berechtigt, die Kosten für die Modernisierungsmaßnahmen (nach § 556 e Abs. 2 BGB) in Höhe von 441,33 Euro pro Monat anzurechnen. Insgesamt sei daher eine Nettokaltmiete für die Wohnung in Höhe von 1.309,04 Euro berechtigt.
Quelle | AG Berlin-Charlottenburg, Urteil vom 9.6.2023, 209 C 29/22
| Nach dem Wohnungseigentumsgesetz (hier: § 20 Abs. 1 Abs. 2 S. 1 WEG) kann jeder Wohnungseigentümer angemessene bauliche Veränderungen verlangen, die u. a. dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen (sog. privilegierte bauliche Veränderungen). Verlangt ein Wohnungseigentümer eine solche bauliche Veränderung, entscheidet die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer über das „Wie“ der Maßnahme nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung. Der einzelne Wohnungseigentümer hat grundsätzlich keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung. So entschied es das Landgericht (LG) Stuttgart. |
Eigentümer errichtete zunächst Ladesäule
Ein Wohnungseigentümer hatte ein Sondernutzungsrecht an einem Stellplatz im Freien. Seit Jahren versuchte er vergeblich zu erreichen, dass eine Ladesäule für Elektrofahrzeuge an seinem Stellplatz errichtet wird. Schließlich montierte er im Sommer 2019 ohne Gestattung neben seinem Außenstellplatz eine Ladesäule auf einem Betonfundament. Für die Errichtung als „öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur“ erhielt er eine Förderung aus Bundesmitteln. Die Eigentümergemeinschaft verklagte ihn erfolgreich auf Entfernen der Ladestation und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Im Rahmen der Vollstreckung wurde die Ladesäule demontiert.
Dann verlangte er bestimmte bauliche Veränderungen
Der Eigentümer verlangte daraufhin „bauliche Veränderungen, die dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen gemäß (von ihm) vorgelegtem Ladeinfrastrukturkonzept“. Dieser Antrag wurde in der Eigentümerversammlung 2020 nicht beraten und zur Abstimmung gestellt, sondern beschlossen, ein Gesamtkonzept zum Betreiben von Ladepunkten für E-Mobilität erstellen zu lassen. Die Eigentümerversammlung 2021 lehnte das inzwischen vorliegende Gesamtkonzept ab und ebenso die von dem Eigentümer erneut beantragte Genehmigung baulicher Veränderungen gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept, das alternativ eine öffentliche oder nichtöffentliche Nutzung vorsah. Zugleich wurde anderen Wohnungseigentümern auf deren Antrag gestattet, eine Wallbox an insgesamt vier Stellplätzen anzubringen.
Darauf erhob der Eigentümer Beschlussersetzungsklage, gerichtet auf die Gestattung, auf dem Gemeinschaftseigentum neben seinem Stellplatz die zuvor entfernte Ladestation gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept errichten zu dürfen, hilfsweise, ihm die Anbringung einer Wallbox zu gestatten. Damit hatte der Eigentümer in beiden Instanzen keinen Erfolg.
Landgericht: kein Anspruch auf bestimmte Ausführung einer Maßnahme
Der Eigentümer könne die Gestattung der Errichtung einer Ladestation nach dem von ihm entwickelten Ladeinfrastrukturkonzept nicht verlangen. Die Beschlussersetzungsklage diene der gerichtlichen Durchsetzung des Anspruchs des Wohnungseigentümers auf ordnungsmäßige Verwaltung. Die Klage sei daher begründet, wenn der klagende Wohnungseigentümer einen Anspruch auf den seinem Rechtsschutzziel entsprechenden Beschluss habe, weil nur eine Beschlussfassung ordnungsmäßiger Verwaltung entspreche.
Zwar könne jeder Wohnungseigentümer einen Beschluss über das „Ob“ solcher baulichen Veränderungen verlangen, so das LG; dies beinhalte aber keinen Anspruch auf eine bestimmte Art und Weise der Durchführung. Darüber entscheiden die Wohnungseigentümer im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung nach eigenem Ermessen. Der einzelne Wohnungseigentümer habe mithin keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung, solange das Ermessen der Gemeinschaft nicht aufgrund der Einzelfallumstände auf null reduziert sei.
Quelle | LG Stuttgart, Urteil vom 5.7.2023, 10 S 39/21
| Das Finanzministerium Baden-Württemberg stellt einen Ratgeber „Steuertipps für Familien“ zur Verfügung. Der 100 Seiten umfassende Ratgeber gibt neben Informationen rund um das Kindergeld u. a. einen Überblick über die Steuervergünstigungen für Familien und Alleinerziehende.
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden, wann ein Widerspruch vorliegt, durch den ein älteres Testament – ganz oder teilweise – aufgehoben wird. |
Vier handschriftliche Testamente
Die Erblasserin verstarb ledig und kinderlos. Sie hatte zwei Geschwister: eine Schwester und einen Bruder, die beide vorverstorben sind. Insgesamt hinterließ die Erblasserin vier handschriftlich verfasste Testamente.
Im ersten Testament vom 3.4.2007 setzte sie ihre Schwester als Alleinerbin und ihren Bruder als Ersatzerben ein. Dieses Testament änderte sie am 26.4.2009 durch Durchstreichen derart, dass die Ersatzerbenstellung des Bruders aufgehoben wurde mit der Bemerkung, dass er gestorben sei. Im Testament vom 26.4.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Später ergänzte sie den Text mit folgendem unvollständigen Wortlaut: „Für den Fall, dass meine Schwester das Erbe nicht antreten kann, setze ich meine Großnichte als“. Im Testament vom 18.10.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Weiter heißt es in dem Testament: „Für den Fall, dass meine Schwester verstorben ist, setze ich zur Nacherbin meine Großnichte ein.“ Schließlich testierte sie am 27.4.2016 erneut und setzte wiederum ihre Schwester als Alleinerbin ein. In diesem Testament wurde weder eine Ersatzerbschaft noch eine Nacherbschaft angeordnet und die Großnichte wurde nicht mehr erwähnt.
Die Großnichte beantragte einen Alleinerbschein. Dem traten die Kinder des vorverstorbenen Bruder entgegen. Das Nachlassgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, die Erblasserin habe mit ihrer letzten Verfügung von Todes wegen die vorangegangenen Testamente aufgehoben. Der gegen diesen Beschluss durch die Großnichte eingelegten Beschwerde hat das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Akten dem OLG Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat die Beschwerde zurückgewiesen.
So sah es das Oberlandesgericht
Die Großnichte könnte ihre Alleinerbenstellung allein aus dem Testament vom 18.10.2009 herleiten. Diese Stellung sei indes von der Erblasserin vollständig aufgehoben worden, als sie am 27.4.2016 ein neues Testament errichtet habe, in dem die Großnichte nicht mehr als Ersatzerbin berufen sei, so das OLG.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 2258 Abs. 1 BGB) werde durch die Errichtung eines Testaments ein früheres Testament insoweit aufgehoben, als dass das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch stehe. Ein derartiger Widerspruch liege zum einen vor, wenn die Testamente sachlich miteinander nicht vereinbar seien, die getroffenen Anordnungen also nicht nebeneinander Geltung erlangen könnten, sondern sich gegenseitig ausschließen. Ein Widerspruch sei zum anderen (auch) gegeben, wenn die einzelnen Anordnungen einander zwar nicht entgegengesetzt seien, aber die kumulative Geltung der mehreren Verfügungen den in einem späteren Testament zum Ausdruck kommenden Absichten des Erblassers zuwiderliefe. Das sei der Fall, wenn der Erblasser mit dem späteren Testament seine Erbfolge insgesamt, nämlich abschließend und umfassend (ausschließlich) habe neu regeln wollen. So liege der Fall hier.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.12.2023, I-3 Wx 189/23
| Zwei Investoren sind zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von insgesamt 300.000 Euro nebst Zinsen an einen Planungsverband verpflichtet worden, weil sie die Erteilung einer Baugenehmigung zur Realisierung eines Hotelbauvorhabens nicht rechtzeitig beantragt haben. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz. |
Frist für Bebauungsplan vereinbart
Im Dezember 2016 schloss der Planungsverband mit den Investoren einen städtebaulichen Vertrag. In diesem verpflichteten sich die Investoren, binnen 36 Monaten ab Inkrafttreten eines vom Planungsverband aufzustellenden Bebauungsplans einen vollständigen Bauantrag zur Errichtung eines Hotelbaus zu stellen. Unterbleibt eine rechtzeitige Bauantragstellung, ist eine Vertragsstrafe in Höhe von 15.000 Euro monatlich, höchstens in Höhe von 300.000 Euro, vorgesehen.
Frist überschritten: Vertragsstrafe
Weil die Investoren ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen waren, verlangte der Planungsverband zunächst außergerichtlich und dann mit seiner Klage, die vereinbarte Vertragsstrafe zu zahlen. Die Investoren beriefen sich dagegen auf Formfehler beim Zustandekommen des Vertrags und machten geltend, die Stellung eines vollständigen Bauantrags sei ihnen unmöglich gewesen, weil der Planungsverband Gestaltungsvorgaben nicht hinreichend konkret vorgegeben habe. Ferner stünde ein Lärmschutzkonflikt mit den Betreibern der auf dem Plateau vorhandenen Freilichtbühne einer Umsetzung des Hotelkonzepts entgegen.
Anforderungen eingehalten
Die Klage hatte Erfolg. Der Verband habe einen Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe, so das VG. Der Vertrag sei frei von Verfahrens- und Formfehlern zustande gekommen und entspreche den an einen städtebaulichen Vertrag zu stellenden gesetzlichen Anforderungen.
Rechtzeitigkeit wäre möglich gewesen
Den Investoren sei es zudem möglich gewesen, rechtzeitig vollständige Bauantragsunterlagen einzureichen. Insbesondere habe der Lärmschutzkonflikt zwischen dem geplanten Hotelvorhaben und der Freilichtbühne die Vorlage vollständiger Bauantragsunterlagen nicht unmöglich gemacht. Eine Lösung des Konflikts wäre vielmehr im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens herbeizuführen gewesen.
Gegen die Entscheidung wurde Rechtsmittel zum Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz erhoben.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 6.12.2023, 4 K 388/23.KO, PM 1/24
| Die Errichtung von Kleinwindenergieanlagen ist ein im Außenbereich baurechtlich privilegiertes Vorhaben der Nutzung der Windenergie, auch wenn es nicht mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms der öffentlichen Energieversorgung, sondern der Deckung des privaten Verbrauchs dient. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |
Landkreis lehnte Erlass eines Bauvorbescheids ab
Die Kläger beantragten, ihnen einen Bauvorbescheid zur Errichtung von vier Kleinwindenergieanlagen (Gesamthöhe 6,5 m) auf ihrem Grundstück im Außenbereich zu erteilen. Der Landkreis lehnte dies mit der Begründung ab, die Anlagen seien nicht als im Außenbereich privilegierte Vorhaben der Nutzung der Windenergie zu behandeln, da die Privilegierung auf solche Windenergieanlagen zu beschränken sei, die der öffentlichen Versorgung dienten. Zudem stünden öffentliche Belange dem Vorhaben entgegen. Hiergegen erhoben die Kläger Klage. Das Verwaltungsgericht (VG) verpflichtete den beklagten Landkreis, den beantragten Bauvorbescheid zu erteilen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Landkreises wies das OVG zurück.
Privilegiertes Bauvorhaben auch bei Privatnutzung der erzeugten Energie
Das VG habe den Beklagten zu Recht zur Erteilung des beantragten Bauvorbescheids verpflichtet. Bei der Errichtung und dem Betrieb der vier Kleinwindenergieanlagen handele es sich um ein der Nutzung der Windenergie dienendes privilegiertes Vorhaben im Sinne des Baugesetzbuchs (hier: § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB), das im Außenbereich zugelassen werden könne.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ließen sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal herleiten, wonach das Vorhaben nicht nur der Nutzung der Windenergie, sondern – mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms – auch der öffentlichen Energieversorgung dienen müsse. Gegen ein solches ungeschriebenes Erfordernis sprächen auch Sinn und Zweck der Norm. Diese diene letztlich einer umwelt- und ressourcenschonenden Energieversorgung mittels einer verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien, wozu Windenergieanlagen auch dann beitrügen, wenn sie allein zur Deckung eines privaten Verbrauchs errichtet würden. Die überragende Bedeutung dieses Ziels habe der Gesetzgeber mehrfach in seiner weiteren Normsetzung herausgestellt.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus einem Urteil des OVG aus dem Jahr 2018, an dem der dort erkennende Senat in Bezug auf den geforderten öffentlichen Versorgungszweck in einer neueren Entscheidung aus dem Jahr 2023 ersichtlich nicht mehr festhalte.
Keine Gefahr von Wildwuchs
Nicht nachvollziehbar sei die vom Beklagten ferner geltend gemachte Befürchtung, dass bei einer Privilegierung von allein der privaten Versorgung dienenden Kleinwindenergieanlagen ein Wildwuchs derartiger Vorhaben zulasten der Landschaft drohe. Denn die Errichtung einer Kleinwindenergieanlage im Außenbereich komme unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nur in Betracht, wenn der erzeugte Strom entweder durch einen dort in der Nähe der Anlage vorhandenen Verbraucher abgenommen oder ins Stromnetz eingespeist werde. Dies sei jedoch regelmäßig nicht der Fall, da ein Endabnehmer vor Ort im Außenbereich nur in Ausnahmefällen vorhanden sei und der Bau einer Leitung allein zum Zweck der Einspeisung des mit der Kleinanlage erzeugten Stroms in ein öffentliches Netz unter Rentabilitätsaspekten ausscheide. Dem privilegierten Vorhaben stünden auch keine öffentlichen Belange entgegen.
Quelle | OVG Koblenz, Urteil vom 4.4.2024, 1 A 10247/23. OVG, PM 6/24
| Das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz hat die Entlassung eines Polizeikommissars aus dem Beamtenverhältnis auf Probe für rechtmäßig erklärt. |
Das war geschehen
Der Kläger war im Jahr 2021 nach bestandener Laufbahnprüfung in das Probebeamtenverhältnis berufen und als Einsatzsachbearbeiter in einer Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei eingesetzt worden. Bereits zuvor, noch während seines Vorbereitungsdienstes, hatte er über mehrere Monate hinweg wiederholt Bilddateien (sog. Sticker) in verschiedene WhatsApp-Chatgruppen mit diskriminierenden, antisemitischen, rassistischen, menschenverachtenden sowie frauen- und behindertenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Inhalten hochgeladen. Als sein Dienstherr, der Beklagte, hiervon erfuhr, leitete er zunächst ein Disziplinarverfahren und dann ein Entlassungsverfahren ein und entließ den Kläger wegen erheblicher Zweifel an dessen charakterlicher Eignung für den Polizeidienst mit Ablauf des Jahres 2022 aus dem Probebeamtenverhältnis.
Hiergegen erhob der Kläger zunächst Widerspruch und in der Folge Klage. Zur Begründung gab er an, aus dem Kontext der Verwendung der Sticker werde hinreichend deutlich, dass es sich nur um „schwarzen Humor“ handele; der Inhalt der Sticker entspreche in keiner Weise seiner inneren Haltung.
Kläger kein „unbescholtenes Blatt“
Die Klage hatte keinen Erfolg. Der Beklagte sei vielmehr beurteilungsfehlerfrei von der charakterlichen Nichteignung des Klägers für den Polizeidienst ausgegangen. Damit knüpfte das VG an seine bereits im November 2023 getroffenen Beschluss an, mit dem er die vom Kläger beantragte Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussichten seiner Klage abgelehnt hatte. In dem Beschluss hatte das Gericht betont, es sei unerheblich, ob die vom Kläger verwandten „Sticker“ tatsächlich Ausdruck seiner Gesinnung seien. Der Kläger müsse diese so gegen sich gelten lassen, wie sie aus Sicht eines objektiven Betrachters zu verstehen seien. Es werde deutlich, dass der Kläger sich seiner beamtenrechtlichen Pflichten nicht einmal ansatzweise bewusst sei und dass ihm erkennbar die erforderliche charakterliche Reife und Stabilität für das Amt eines Polizeivollzugsbeamten fehle. Außerdem berücksichtigten die Richter, dass der Kläger im Februar 2024 strafrechtlich wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in vier Fällen, in drei Fällen hiervon in Tateinheit mit Volksverhetzung, schuldig gesprochen worden war.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 20.2.2024, 5 K 733/23. KO, PM 5/24
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung einer TV-Moderatorin wirksam ist, die trotz Abmahnungen eine Online-Kolumne für eine im Wettbewerb stehende Tageszeitung verfasst. |
Einschränkungen im Arbeitsvertrag
Die Klägerin war langjährig im Bereich Finanz- und Börsenberichterstattung für die Beklagte tätig, die einen Nachrichtensender mit TV- und Onlineberichterstattung betreibt. Der Arbeitsvertrag schränkt die Möglichkeit von Nebentätigkeiten ein und sieht vor, dass zuvor eine Genehmigung erfolgen muss.
Abmahnung wegen Online-Börsenkolumne
Die Klägerin hat unter anderem am 29.9.2022 eine Online-Börsenkolumne für eine Tageszeitung verfasst, wegen der sie am 4.10.2022 abgemahnt wurde. Dennoch veröffentlichte die Klägerin dort am 1.1.2023 eine weitere Kolumne, aufgrund der die Beklagte die streitgegenständliche Kündigung aussprach.
Zuvor war die Klägerin auch vor dem ArbG Köln in einem einstweiligen Verfügungsverfahren unterlegen, in dem sie ihren Arbeitgeber verpflichten wollte, die Nebentätigkeit zum Verfassen einer wöchentlichen Kolumne zu genehmigen. Hier hatte das ArbG geurteilt, dass die begehrte Nebentätigkeit eine nicht genehmigungsfähige Konkurrenztätigkeit darstelle.
Arbeitsgericht bestätigt Kündigung
Das ArG Köln hat die Kündigung bestätigt. Bei der Online-Kolumne handele es sich um eine Wettbewerbstätigkeit, da sowohl der Arbeitgeber als auch der Zeitungsverlag Unternehmen sind, die sowohl im Bereich der TV- wie auch der Onlineberichterstattung aktiv seien.
Zudem betreffe die Börsenkolumne der Klägerin den fachlichen Kernbereich ihrer Tätigkeit für die Beklagte. Gerade in diesen Themen hat die Klägerin sich in der Vergangenheit eine große Reputation aufgebaut, mit der sie bislang für die Beklagte in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten ist. Ein Arbeitnehmer, der während des bestehenden Arbeitsverhältnisses Wettbewerbstätigkeiten entfaltet, verstoße gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers. Dies könne eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar
Hier sei der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar. Das Vertrauen der Beklagten in einen störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses sei nach den bewussten, fortgesetzten und groben Pflichtverletzungen der Klägerin gänzlich aufgebraucht.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 11.10.2023, 9 Ca 5402/22, PM 11/23
| Ein Busunternehmer steht unter Unfallversicherungsschutz, wenn er im Homeoffice beim Hochdrehen der Heizung durch eine Verpuffung im Heizkessel verletzt wird. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Im Homeoffice Heizkessel überprüft und nach Verpuffung schwer verletzt
Der Kläger war als selbstständiger Busunternehmer bei der beklagten Berufsgenossenschaft pflichtversichert. Er bewohnte ein Haus, dessen Wohnzimmer er als häuslichen Arbeitsplatz (Homeoffice) für Büroarbeiten nutzte. Am Unfalltag holte der Kläger seine Kinder von der Schule ab und arbeitete anschließend an seinem Schreibtisch im Wohnzimmer. Nachdem er festgestellt hatte, dass die Heizkörper im ganzen Haus kalt waren, begab er sich zur Überprüfung der Kesselanlage in den Heizungskeller. Beim Hochdrehen des Temperaturschalters kam es aufgrund eines Defekts der Heizungsanlage zu einer Verpuffung im Heizkessel, in deren Folge der Kläger eine schwere Augenverletzung erlitt.
Bundessozialgericht erkennt Arbeitsunfall an
Die beklagte Berufsgenossenschaft, das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) lehnten einen Arbeitsunfall ab. Das BSG hat dagegen einen Arbeitsunfall anerkannt.
Der Kläger wollte nicht nur seine Kinder, sondern auch seinen häuslichen Arbeitsplatz mit höheren Temperaturen versorgen. Die Benutzung des Temperaturreglers war deshalb unternehmensdienlich, der Heizungsdefekt kein unversichertes privates Risiko.
Quelle | BSG, Urteil vom 21.3.2024, B 2 U 14/21 R, PM 11/24
| Die Zweifelsregelung im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 271 Abs. 2 BGB) gestattet es einem Arbeitgeber nicht, eine dem Arbeitnehmer bisher zustehende jährliche Einmalzahlung wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld kraft einseitiger Entscheidung stattdessen in anteilig umgelegten monatlichen Teilbeträgen zu gewähren, um sie „pro rata temporis“ – also zeitanteilig – auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen zu können. Diese Auffassung vertritt das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg im Streit über die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs durch Sonderzahlungen. |
Das LAG hat die Revision zugelassen.
Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.1.2024, 3 Sa 4/23
| Eine durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Vermögensverschiebung von einer Kapitalgesellschaft an einen Gesellschafter setzt einen Zuwendungswillen voraus – und ein solcher kann aufgrund eines Irrtums des Gesellschafter-Geschäftsführers fehlen. Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs (BFH) ist es insoweit maßgebend, ob der konkrete Gesellschafter-Geschäftsführer einem Irrtum unterlegen ist, nicht hingegen, ob einem ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiter der Irrtum gleichfalls unterlaufen wäre. |
Hintergrund: Bei einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) handelt es sich – vereinfacht – um Vermögensvorteile, die dem Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung gewährt werden. Eine vGA darf den Gewinn der Gesellschaft nicht mindern.
Das war geschehen
Geklagt hatte eine GmbH, deren Stammkapital durch die alleinige Gesellschafter-Geschäftsführerin u. a. durch die Einbringung einer Beteiligung von 100 % an einer weiteren GmbH erbracht werden sollte. Bei der einzubringenden GmbH wurde eine Kapitalerhöhung durchgeführt, die die Gesellschafter-Geschäftsführerin begünstigte. Das Finanzamt sah hierin eine vGA der GmbH an ihre Gesellschafter-Geschäftsführerin. Dagegen argumentierte die GmbH, dass die Zuwendung an die Gesellschafter-Geschäftsführerin irrtümlich wegen eines Versehens bei der notariellen Beurkundung der Kapitalerhöhung erfolgt sei.
So entschieden die gerichtlichen Instanzen
Das Finanzgericht (FG) Schleswig-Holstein wies die Klage ab, weil einem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführer der von der GmbH dargelegte Irrtum nicht unterlaufen wäre. Der BFH hat nun aber klargestellt, dass es für die Frage, ob der für die Annahme einer vGA erforderliche Zuwendungswille vorliegt, allein auf die Person der konkreten Gesellschafter-Geschäftsführerin ankommt. Er verwies den Streitfall deshalb zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurück.
Beachten Sie | In seiner Urteilsbegründung zum Vorliegen einer vGA führt der BFH aber auch Folgendes aus: Der handelnde Gesellschafter muss nicht mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis handeln, er muss den Tatbestand der vGA nicht kennen und er muss das Geschehene auch nicht richtig würdigen. Vielmehr genügt in aller Regel ein persönlich zurechenbares Handeln.
Diese Grundsätze gelten aber nicht uneingeschränkt, da es zur Annahme einer vGA – so wie bei einer offenen Gewinnausschüttung – eines Zuwendungswillens bedarf.
Quelle | BFH, Urteil vom 22.11.2023, I R 9/20, PM 20/24 vom 11.4.2024
| Schweizer Banken können Informationen zu Konten und Depots deutscher Staatsangehöriger an die deutsche Finanzverwaltung übermitteln. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. Er sieht in der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden keine Verletzung der Grundrechte der inländischen Steuerpflichtigen. |
Geklagt hatten Steuerpflichtige, die sich durch Übermittlung der Kontostände ihrer Schweizer Bankkonten in ihren Grundrechten verletzt sahen, vor allem in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Nachdem bereits das Finanzgericht (FG) Köln diese Ansicht nicht teilte, bestätigte nun auch der BFH die Verfassungsmäßigkeit der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden. Jedenfalls ist die Übermittlung der Informationen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung gerechtfertigt.
Beachten Sie | Deutschland sowie mehrere andere Staaten haben sich zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung dazu verpflichtet, Informationen zu Bankkonten auszutauschen, u. a. werden hierfür die Kontostände ausländischer Bankkonten an die deutsche Steuerverwaltung übermittelt. Der automatische Informationsaustausch über Finanzkonten dient der Sicherung der Steuerehrlichkeit und der Verhinderung von Steuerflucht.
Quelle | BFH, Urteil vom 23.1.2024, IX R 36/21, PM 17/24 vom 28.3.2024
| Ohne Betriebssitz kann kein Gelegenheitsverkehr mit Mietwagen betrieben werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin in einem Eilverfahren entschieden. |
Behörde widerrief Erlaubnis
Der Antragsteller ist Inhaber einer vom Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) erteilten Genehmigung für den Gelegenheitsverkehr mit insgesamt zehn Mietwagen nach dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG). Nach den Feststellungen der Behörde fanden sich an der vom Antragsteller angegeben Adresse – anders als von ihm ursprünglich behauptet – weder Büroräume noch reservierte Stellplätze für die Fahrzeuge. Daraufhin widerrief die Behörde die Erlaubnis unter Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Verwaltungsgericht bestätigt Behörde
Das VG hat den hiergegen gerichteten Eilantrag zurückgewiesen. Zu Recht sei die Behörde von einer fehlenden Zuverlässigkeit des Antragstellers ausgegangen. Denn dieser habe gegen eine Kernpflicht des Mietwagenverkehrs verstoßen.
Das wesentliche Merkmal des Mietwagenverkehrs bestehe darin, dass Aufträge nicht an beliebigen Orten, sondern grundsätzlich nur am Betriebssitz entgegengenommen werden dürften; dorthin müssten die Fahrzeuge daher regelmäßig nach Beendigung eines jeden Auftrags zurückkehren. Die Begründung und Unterhaltung eines in der Genehmigung festgeschriebenen Betriebssitzes sei daher Voraussetzung für die Erfüllung der Rückkehrpflicht. Das Rückkehrgebot sei nicht Selbstzweck, sondern solle auf wirksame Weise unterbinden, dass Mietwagen nach Beendigung eines Beförderungsauftrags taxiähnlich auf öffentlichen Straßen und Plätzen bereitgestellt würden und dort Beförderungsaufträge annähmen.
Das VG ließ offen, ob ungeachtet dessen der Widerruf auch auf die fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit des Antragstellers hätte gestützt werden können. Es spreche allerdings einiges dafür, dass dies schon bei der Genehmigungserteilung der Fall gewesen sei. Ein Mietwagenunternehmer müsse über ein angemessenes Eigenkapital verfügen, was hier nicht ersichtlich sei. Der Zeitwert der Fahrzeuge selbst dürfe – anders als von der Behörde bei Genehmigungserteilung fälschlich angenommen – gerade nicht berücksichtigt werden.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 25.3.2024, VG 11 L 53/24, PM vom 2.4.2024
| Die Klausel „Die Mobile Briefmarke ist lediglich als ad-hoc-Frankierung zum sofortigen Gebrauch gedacht. Erworbene Mobile Briefmarken verlieren daher mit Ablauf einer 14-tägigen Frist nach Kaufdatum ihre Gültigkeit. Das maßgebliche Kaufdatum ist in der Auftragsbestätigung genannt. Eine Erstattung des Portos nach Ablauf der Gültigkeit ist ausgeschlossen.“ ist nach § 307 BGB unwirksam. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Köln entschieden. |
Es gab damit der Unterlassungsklage der Verbraucherzentrale statt. Es handele sich bei dem Erwerb einer Briefmarke um einen Kaufvertrag und nicht um einen Frachtvertrag.
Das bürgerliche Recht kenne für Verpflichtungen aus schuldrechtlichen Verträgen im Allgemeinen nur die im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: §§ 194 ff. BGB) geregelten Verjährungsvorschriften, nicht dagegen besondere, von der Frage der Verjährung unabhängige Ausschlussfristen. Es handele sich um eine unangemessene und erhebliche zeitliche Beschränkung des Erfüllungsanspruchs.
Das OLG hob hervor: Durch die Beschränkung der Gültigkeitauf 14 Tage wird der Erfüllungsanspruch auf etwa ein Prozent der gesetzlich vorgesehenen Verjährungsfrist verkürzt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 13.6.2023, I-3 U 148/22
| Im Rahmen einer inländischen doppelten Haushaltsführung ist der Werbungskostenabzug von Unterkunftskosten auf 1.000 Euro monatlich beschränkt. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat nun entschieden, dass unter diesen Höchstbetrag auch eine für die Wohnung am Beschäftigungsort zu entrichtende Zweitwohnungssteuer fällt. |
Hintergrund: Eine beruflich veranlasste doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer außerhalb des Ortes seiner ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Haushalt unterhält (Hauptwohnung) und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnt (Zweitwohnung). In diesen Fällen können Arbeitnehmer Unterkunftskosten bis maximal 1.000 Euro im Monat als Werbungskosten abziehen.
Das war geschehen
Eine Arbeitnehmerin hatte an ihrem Tätigkeitsort in München eine Zweitwohnung gemietet. Die hierfür in den Streitjahren entrichtete Zweitwohnungssteuer i. H. von 896 Euro bzw. 1.157 Euro machte sie neben weiteren Kosten für die Wohnung i. H. von jeweils mehr als 12.000 Euro als Aufwendungen für ihre doppelte Haushaltsführung geltend. Das Finanzamt erkannte die Kosten der Unterkunft am Ort der ersten Tätigkeitsstätte in München jeweils mit dem Höchstbetrag von 12.000 Euro an. Die Zweitwohnungssteuer bei den sonstigen Aufwendungen im Rahmen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigte es nicht.
Die hiergegen gerichtete Klage war erfolgreich. Der BFH hat die Vorentscheidung nun aber aufgehoben.
Was der Höchstbetrag umfasst – und was nicht
Der Höchstbetrag umfasst sämtliche entstehenden Aufwendungen, wie beispielsweise Miete, Betriebskosten sowie Kosten der laufenden Reinigung und Pflege der Zweitwohnung oder -unterkunft; nicht jedoch Aufwendungen für Hausrat, Einrichtungsgegenstände oder Arbeitsmittel, mit denen die Zweitwohnung ausgestattet ist. Aufwendungen für die erforderliche Einrichtung und Ausstattung der Zweitwohnung, soweit sie nicht überhöht sind, können als sonstige notwendige Mehraufwendungen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigt werden.
Die Zweitwohnungssteuer ist Aufwand für die Nutzung der Unterkunft und unterfällt daher bei den Mehraufwendungen für die doppelte Haushaltsführung der Abzugsbeschränkung.
Das Entstehen der Zweitwohnungssteuer knüpft maßgeblich an das Innehaben einer weiteren Wohnung in München neben der Hauptwohnung und so an die damit regelmäßig einhergehende Nutzung dieser Wohnung an. Die Steuer findet als örtliche Aufwandsteuer i. S. von Art. 105 Abs. 2 a des Grundgesetzes (GG) ihre Rechtfertigung darin, dass das Innehaben einer weiteren Wohnung für den persönlichen Lebensbedarf (Zweitwohnung) neben der Hauptwohnung ein Zustand ist, der gewöhnlich die Verwendung von finanziellen Mitteln (Einkommen) erfordert und damit regelmäßig die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Wohnungsinhabers zum Ausdruck bringt.
Beachten Sie | Der BFH hat damit die von der Finanzverwaltung vertretene Rechtsauffassung bestätigt. Noch nicht höchstrichterlich entschieden und derzeit beim BFH anhängig ist die Frage, wie Kosten für einen separat angemieteten Stellplatz zu behandeln sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 13.12.2023, VI R 30/21, PM 18/24 vom 4.4.2024; Stellplatz: Rev. BFH, VI R 4/23
| Zum 1.1.2020 wurde mit § 35 c Einkommensteuergesetz (EStG) eine Steuerermäßigung für energetische Maßnahmen bei zu eigenen Wohnzwecken genutzten Gebäuden eingeführt. Diese komplexe Regelung weist jedoch einige Fragen auf, die das Bundesfinanzministerium (BMF) in einem Schreiben teilweise beantwortet hat. Nun ist nach einem vorinstanzlichen Urteil des Finanzgerichts (FG) München ein Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) zum Heizungstausch anhängig, in dem es darum geht, ob die Steuerermäßigung erst ab der vollständigen Begleichung der Rechnung in Betracht kommt. |
Hintergrund: Begünstigte Aufwendungen/Maßnahmen sind u. a. die Wärmedämmung von Wänden, Dachflächen und Geschossdecken sowie die Erneuerung der Fenster, Außentüren oder der Heizungsanlage.
Je begünstigtem Objekt beträgt der Höchstbetrag der Steuerermäßigung 40.000 Euro, wobei die Ermäßigung nach der Maßgabe des § 35 c Abs. 1 EStG über drei Jahre verteilt wird.
Das war geschehen
Die Steuerpflichtigen ließen 2021 eine neue Heizungsanlage in ihrem selbstgenutzten Gebäude einbauen. Zur Begleichung der Rechnung wurde eine monatliche Ratenzahlung für die Jahre 2021 bis 2024 vereinbart. Fraglich ist nun, ob ein Abschluss der energetischen Maßnahmen bereits mit der ausgeführten Erneuerung der Heizungsanlage (hier im Jahr 2021) oder erst mit der vollständigen Begleichung des Rechnungsbetrags (voraussichtlich im Jahr 2024) vorliegt.
Voraussetzungen für die Steuerermäßigung
Das BMF hat in seinem Schreiben vom 14.1.2021 in der Rn. 43 ausgeführt, dass die Steuerermäßigung erstmalig in dem Veranlagungszeitraum zu gewähren ist, in dem die energetische Maßnahme abgeschlossen wurde. Voraussetzung ist, dass mit der Durchführung der energetischen Maßnahme nach dem 31.12.2019 begonnen wurde und diese vor dem 1.1.2030 abgeschlossen ist.
Die energetische (Einzel-)Maßnahme ist dann abgeschlossen, wenn
- die Leistung tatsächlich erbracht (vollständig durchgeführt) ist,
- der Steuerpflichtige eine Rechnung (Schlussrechnung) erhalten und
- den Rechnungsbetrag auf das Konto des Leistungserbringers eingezahlt hat.
Die Erledigung unwesentlicher Restarbeiten, die für die tatsächliche Reduzierung von Emissionen nicht hinderlich sind, ist unschädlich. Auch, soweit bei einer mehrteiligen Maßnahme für einzelne Teilleistungen Teilrechnungen erstellt und diese beglichen wurden, wird die Steuerermäßigung abweichend vom Abflussprinzip erst ab dem Veranlagungszeitraum des Abschlusses der energetischen Maßnahme gewährt, so das BMF.
Beachten Sie | Da die Revision gegen die Entscheidung anhängig ist, wird nun der BFH entscheiden. Bis dahin können geeignete Fälle mit einem Einspruch offengehalten werden.
Quelle | FG München, Urteil vom 8.12.2023, 8 K 1534/23, Rev. BFH: IX R 31/23; BMF, Schreiben vom 14.1.2021, IV C 1 - S 2296-c/20/10004 :006
| Für Geburten ab dem 1.4.2024 gilt eine neue Einkommensgrenze, ab der der Anspruch auf Elterngeld entfällt. Zudem werden die Möglichkeiten für einen parallelen Bezug von Elterngeld neu gestaltet. Antworten auf wichtige Fragen gibt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). |
Quelle | BMFSFJ, „Neuregelungen beim Elterngeld für Geburten ab 1. April 2024“ vom 28.3.2024
| Der Bezug eines Nutzungsersatzes im Rahmen der reinen Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags nach Widerruf löst keine Einkommensteuer aus. Diese für Verbraucher frohe Kunde kommt vom Bundesfinanzhof (BFH). |
Das war geschehen
Ehegatten schlossen 2008 einen Darlehensvertrag zur Finanzierung einer selbstgenutzten Wohnimmobilie ab. 2016 widerriefen sie den Darlehensvertrag unter Berufung auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung. Auf der Grundlage eines zivilgerichtlichen Vergleichs zahlte die Bank an die Eheleute Nutzungsersatz für bis zum Widerruf erbrachte Zins- undTilgungsleistungen i. H. von 14.500 Euro. Das Finanzamt erfasste den Nutzungsersatz als Einkünfte aus Kapitalvermögen – allerdings zu Unrecht, wie nun der BFH entschieden hat.
Nutzungsersatz: weder Kapitalertrag noch sonstige Einkünfte
Der Nutzungsersatz ist kein Kapitalertrag i. S. des Einkommensteuergesetzes (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG). Die Rückabwicklung eines vom Darlehensnehmer widerrufenen Vertrags vollzieht sich außerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre. Das Rückgewährschuldverhältnis ist ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln. Daher können die einzelnen Ansprüche aus dem Rückgewährschuldverhältnis auch nicht für sich betrachtet – i. S. einer unfreiwilligen Kapitalüberlassung – Teil einer steuerbaren erwerbsgerichteten Tätigkeit sein.
Beachten Sie | Es liegen auch keine sonstigen Einkünfte (§ 22 Nr. 3 EStG) vor.
Verbraucherschutzrecht inzwischen reformiert
Die Entscheidung betrifft „alte“ Verbraucherdarlehensverträge. Der mit der Reform des Verbraucherschutzrechts in das BGB eingefügte § 357 a Abs. 3 S. 1 BGB a. F. (jetzt § 357 b BGB) hat u. a. den Anspruch des Darlehensnehmers auf Nutzungsersatz für die Zukunft beseitigt. Die neue Rechtslage ist auf nach dem 12.6.2014 abgeschlossene Verbraucherdarlehensverträge anwendbar.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.11.2023, VIII R 7/21, PM 16/24 vom 21.3.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über einen Fall entschieden, in dem eine Pkw-Fahrerin an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifuhr und mit einem gerade entleerten Müllcontainer kollidierte. Der BGH hat in diesem Fall einen Verstoß der Fahrerin gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO) bejaht. |
Das war geschehen
Die Klägerin, ein Pflegedienst, macht gegen einen für die Abfallwirtschaft zuständigen kommunalen Zweckverband Schadenersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, bei dem eines ihrer Pflegedienstfahrzeuge beschädigt wurde. Eine Mitarbeiterin der Klägerin fuhr mit diesem Fahrzeug aus der Gegenrichtung kommend an einem Müllabfuhrfahrzeug des beklagtenZweckverbands vorbei, das mit laufendem Motor, laufender Schüttung und eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie Warnblinkanlage in der Straße stand. Dabei kam es zu einer Kollision des klägerischen Fahrzeugs mit einem Müllcontainer, den ein bei dem Beklagten angestellter Müllwerker hinter dem Müllabfuhrfahrzeug quer über die Straße schob.
Mit der Klage hat die Klägerin Erstattung der Fahrzeugreparaturkosten verlangt.
So sahen es die Vorinstanzen
Das Landgericht (LG) hat der Klage gegen den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 zu 50 teilweise stattgegeben.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht (OLG) das Urteil des LG teilweise geändert und den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 75 (Beklagter) zu 25 (Klägerin) zu weiterem Schadenersatz verurteilt. Es ist dabei davon ausgegangen, dass der Fahrerin des Pkw kein Verstoß gegen die StVO anzulasten sei.
So sieht es der Bundesgerichtshof
Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Das Urteil des OLG wurde aufgehoben und die Sache an das OLG zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Der Klägerin steht gegen den Beklagten als Halter des Müllabfuhrfahrzeugs ein Schadenersatzanspruch gemäß StVO (hier: § 7) zu, da das Fahrzeug der Klägerin „bei dem Betrieb“ des Müllabfuhrfahrzeugs beschädigt worden ist. Die Gefahr, die von einer gerade entleerten Mülltonne auf der Straße für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, ist dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs zuzurechnen.
Bei der Entscheidung über die Haftungsverteilung hat das OLG zu Recht dem Müllwerker einen schuldhaften Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorgeworfen, weil er hinter dem Müllabfuhrfahrzeug einen Müllcontainer quer über die Straße schob, ohne auf den Verkehr und das Fahrzeug der Klägerin zu achten, welches für ihn – hätte er den Müllcontainer nicht vor sich hergeschoben – erkennbar gewesen wäre.
Allerdings ist entgegen der Ansicht des OLG auch der Mitarbeiterin der Klägerin als Fahrerin des Pkw ein Verstoß gegen die StVO vorzuwerfen.
Mit dem Verhalten des Müllwerkers konnte gerechnet werden
Das Hauptaugenmerk der mit dem Holen, Entleeren und Zurückbringen von Müllcontainern befassten Müllwerker ist auf ihre Arbeit gerichtet, die sie überwiegend auf der Straße und effizient, also in möglichst kurzer Zeit und auf möglichst kurzen Wegen, zu erledigen haben. Wer an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifährt, das erkennbar im Einsatz ist, darf daher nicht uneingeschränkt auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Müllwerker vertrauen. Er muss damit rechnen, dass Müllwerker plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortreten und unachtsam einige Schritte weiter in den Verkehrsraum tun, bevor sie sich über den Verkehr vergewissern. Auf diese mit dem Einsatz von Müllabfuhrfahrzeugen verbundenen Gefahren hat der vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer sein Fahrverhalten einzurichten. Wenn es nicht möglich ist, einen ausreichenden Seitenabstand zu einem Müllabfuhrfahrzeug einzuhalten, um die Gefahr eines plötzlich auftauchenden Müllwerkers vor oder hinter dem Fahrzeugzu vermeiden, muss die Geschwindigkeit gemäß der Straßenverkehrsordnung (StVO) reduziert werden, sodass der Fahrer sein Fahrzeug bei Bedarf sofort zum Stillstand bringen kann.
Den dargelegten Anforderungen genügte die vom Berufungsgericht festgestellte Fahrweise der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nicht. Bei einem Seitenabstand von maximal 50 cm zum Müllabfuhrfahrzeug war die Ausgangsgeschwindigkeit von 13 km/h zu hoch, als dass die Fahrerin das Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen hätte bringen können.
Quelle | BGH, Urteil vom 12.12.2023, VI ZR 77/23, PM 12/24
| Gibt ein Kunde mittels PushTAN und Verifizierung über eine Gesichtserkennung nach einer Phishing-Nachricht die temporäre Erhöhung seines Überweisungslimits und eine anschließende Überweisung telefonisch frei, handelt er grob fahrlässig. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt. |
Der Bankkunde – ein Rechtsanwalt und Steuerberater in einer internationalen Sozietät – führt bei der beklagten Bank ein Girokonto und forderte erfolglos, eine Überweisung von knapp 50.000 Euro zurückzuerstatten. Das OLG: Die Bank schuldet in einem solchen Fall nicht die Rückerstattung des überwiesenen Betrags. Denn angesichts der fortlaufenden Warnungen der Banken vor Phishing-Mails und der öffentlichen Diskussion hierüber müssten Kunden spätestens bei der telefonischen Aufforderung, Sicherheitsmerkmale preiszugeben, misstrauisch werden. Dies gelte auch, wenn der äußere Rahmen der besuchten Website vertraut erscheint.
Quelle | OLG Frankfurt, Urteil vom 6.12.2023, 3 U 3/23
| Wer an der Grenze zu seinem Nachbargrundstück eine Hecke anlegt, muss nach dem geltenden Nachbarrecht dafür sorgen, dass die Pflanzen je nach Grenzabstand eine bestimmte Höhe nicht überschreiten. Tut er das nicht, kann der Nachbar den Rückschnitt der Hecke verlangen und im Notfall auch gerichtlich durchsetzen. Der Anspruch auf den Rückschnitt kann jedoch nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein, wenn sich der Nachbar selbst regel- und damit treuwidrig verhält. Das hat das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Das war geschehen
Das LG hat mit dieser Begründung die Klage eines Nachbarn auf Rückschnitt einer Hecke an der Grundstücksgrenze abgewiesen. Denn auch einzelne Pflanzen auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn verstießen nach den Feststellungen der Kammer gegen die Regelungen des Nachbarrechts.
Im konkreten Fall hatten zwei Grundbesitzer Streit über die zulässige Höhe einer direkt an der Grundstücksgrenze gepflanzten Hecke, die durchgehend eine Höhe von 2,20 Metern aufweist. Unter Berufung auf das geltende Landesrecht verlangte der Nachbar, dass die Hecke auf einer Höhe von maximal eineinhalb Metern gehalten werde. Dem gab das AG statt und verurteilte den Eigentümer zum entsprechenden Rückschnitt in der Zeit von 1.10. und 15.3. eines jeweiligen Jahres.
Höhe der Hecke zwar einzuhalten, aber …
Die dagegen gerichtete Berufung zum LG hatte jedoch Erfolg. Die Berufungskammer hat dem Nachbarn zwar grundsätzlich zugebilligt, dass die nach dem Nachbarrecht zulässige Höhe der Hecke einzuhalten ist.
… Grundsätze von Treu und Glauben zu beachten
Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis sei aber stark von den sog. Grundsätzen von Treu und Glauben geprägt. Hieraus entspringen Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme, die zu einer Beschränkung bis hin zum Ausschluss nachbarrechtlicher Rechte führen könnten, so das LG. Deshalb müsse berücksichtigt werden, dass auch auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn direkt hinter dem Zaun eine drei bis vier Meter hohe Kugelhecke und eine etwa zweieinhalb Meter hohe Zypresse gepflanzt sei. Dadurch werde ebenfalls gegen das Nachbarrecht verstoßen. Wer sich aber selbst nicht regelgerecht verhalte, sei nach Treu und Glauben von Ansprüchen gegen seinen Nachbarn ausgeschlossen.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 24.1.2024, 2 S 85/23, PM vom 31.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Karlsruhe hat die Klage eines E-Autofahrers gegen die EnBW auf Rückzahlung von Blockiergebühren abgewiesen. |
Überschreiten der zulässigen Standzeit
Die Blockiergebühren in Höhe von insgesamt 19,80 Euro waren wegen Überschreitung der zulässigen Höchststandzeit an Ladesäulen der EnBW an drei verschiedenen Terminen im März 2022 angefallen. Die Blockiergebühr ist nach den Bedingungen des ADAC e-Charge Tarifs, der von der EnBW angeboten wird, ab einer Standzeit von mehr als 240 Minuten fällig. Ab diesem Zeitpunkt sind 12 Cent pro Minute zu zahlen, maximal jedoch 12 Euro. Auf die Blockiergebühr wird sowohl beim Abschluss des Tarifs als auch beim Start des Ladevorgangs hingewiesen. Der Kläger hatte diesen Bedingungen bei Nutzung der App zugestimmt.
Klausel wirksam
Der Kläger hatte argumentiert, die Klausel sei unwirksam. Im Übrigen verlangten andere Anbieter keine Blockiergebühr. Nach Auffassung des AG ist die Klausel jedoch wirksam, da das Interesse der EnBW berechtigt ist, die Ladesäule zeitnah weiteren Kunden zur Verfügung stellen zu können.
Die Entscheidung erging ohne mündliche Verhandlung. Sie ist rechtskräftig.
Quelle | AG Karlsruhe, Urteil vom 4.1.2024, 6 C 184/23, PM vom 24.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Hannover hält ein „französisches Bett“ nicht für ein Doppelbett. Das war in einem Reiserechtsfall entscheidend. |
Ist ein Bett mit einer Breite von 1,40 m ein Doppelbett? Ist es breit genug, um zwei erwachsenen Menschen einen erholsamen Urlaub zu ermöglichen? Das AG hat diese Fragen verneint. Es hat entschieden, dass Reisende jedenfalls in einem Hotel, das der Reiseveranstalter selbst mit fünf „Sonnen“ bewertet, für jeden Reisenden mit einem Schlafplatz von mehr als 70 cm Breite rechnen dürfen.
Im Fall des AG hatten drei erwachsene Personen gemeinsam ein Dreibettzimmer gebucht. Zur Verfügung gestellt wurde ihnen ein Zimmer, das über zwei Betten mit einer Breite von jeweils 1,40 m verfügte. Weil diese Ausstattung nicht der vertraglichen Vereinbarung entsprach, erhalten die beiden Reisenden, die sich ein Bett teilen mussten, nun 15 Prozent des auf sie entfallenden Reisepreises zurück.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 22.2.2024, 471 C 6110/23, PM vom 26.2.2024
| Ein gesetzlich versicherter Patient verlangte von seiner Krankenversicherung, ihm die Kosten für ein Einzelzimmer während eines stationären Krankenhausaufenthalts zu erstatten. Einen solchen Anspruch lehnte das Sozialgericht (SG) Mainz aber ab. |
Patient lag im Einzelzimmer
Ein Patient ließ sich längere Zeit stationär in einem Krankenhaus behandeln. Mit dem Krankenhaus hatte er einen Vertrag über das Unterbringen in einem Einzelzimmer geschlossen.
Krankenkasse wollte Kosten nicht übernehmen
Die dabei entstandenen Kosten wollte die Krankenkasse nicht übernehmen. Der Patient klagte. Seine Argumentation: Aus medizinischen Gründen sei ein Einzelzimmer erforderlich gewesen.
Sozialgericht wies Klage ab
Vor dem SG hatte er jedoch keinen Erfolg. Selbst wenn ein Einzelzimmer erforderlich gewesen sei, hätte das Krankenhaus dafür sorgen müssen, dass der Patient entsprechend untergebracht sei. Die Kosten einer erforderlichen Einzelzimmerbelegung seien dann in den pauschal von der Krankenkasse an das Krankenhaus zu zahlenden Entgelten enthalten. Die Kosten hierfür habe die Krankenkasse bereits gezahlt. Zusätzliche Kosten für ein Einzelzimmer könne der Patient folgerichtig nicht bei seiner Krankenkasse einfordern.
Quelle | SG Mainz, Urteil vom 23.2.2024, S 7 526/20
| Das Mietrecht (hier: § 556 Abs. 3 S. 3 BGB) schließt eine nachträgliche Abrechnung zulasten des Mieters nicht aus, durch die ein Guthaben verringert wird. Das entschied das Landgericht (LG) München. |
Grundsteuer in der Abrechnung vergessen
Der Vermieter hatte über die Betriebskosten abgerechnet und dabei die Grundsteuer vergessen. Bevor er das ursprünglich berechnete Guthaben an den Mieter auszahlte, verstrich die Abrechnungsfrist. Nun korrigierte der Vermieter die Betriebskostenabrechnung und berücksichtigte die Grundsteuer. Dabei ergab sich ein geringeres Guthaben, das er an den Mieter zahlte. Der Mieter klagte auf Rückzahlung des ursprünglich berechneten höheren Guthabens.
Amtsgericht und Landgericht vermieterfreundlich
Das Amtsgericht (AG) sprach jedoch nur das korrigierte geringere Guthaben zu. Es bestünde kein Anspruch des Mieters, weil eine nachträgliche Verringerung des Guthabens vom Gesetz nicht ausgeschlossen sei.
Die Berufung des Mieters blieb erfolglos. Das LG teilte die Rechtsauffassung des AG. § 556 Abs. 3 S. 3 BGB solle den Mieter nur davor schützen, nach Ablauf der Abrechnungsfrist Zahlungen leisten zu müssen, die die Vorauszahlungen übersteigen. Darüber hinaus gewähre das Gesetz keinen Vertrauensschutz für eine zugunsten des Mieters unrichtige Abrechnung.
Der Mieter darf also nicht darauf vertrauen, dass ein Guthaben unveränderlich bleibt. Dies gilt auch, wenn die Korrektur erst nach Ablauf der Abrechnungsfrist erfolgt. Eine weitergehende Schutzwirkung zugunsten des Mieters sieht das Gesetz schon nach dem Wortlaut der Vorschrift („Geltendmachung einer Nachzahlung“) nicht vor.
Die Entscheidung entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 31.10.07, VIII ZR 261/06).
Quelle | LG München I, Beschluss vom 30.11.2023, 31 S 10140/23
| Eine fristlose Kündigung ist auch gegenüber einem psychisch kranken oder schuldunfähigen Mieter möglich, wenn trotz Abmahnung der Hausfrieden systematisch, wiederholt und nachhaltig gestört wird mit der Folge der vorzeitigen Kündigung von anderen Mietern und der Nichtvermietbarkeit angrenzender Wohnungen. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Gesundheitszustand bedarf es dann nicht. So entschied es der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) Sachsen. |
Wiederholte Lärmstörungen
Der Vermieter kündigte nach Abmahnung das Mietverhältnis mit einem psychisch kranken Mieter wegen wiederholten Lärmstörungen fristlos, hilfsweise ordentlich. Andere Mieter hatten wegen des Lärms ihr Mietverhältnis gekündigt und eine Neuvermietung der angrenzenden Wohnung war nicht möglich.
Gegen die erfolgreiche Räumungsklage legte der Mieter Berufung ein, die er nach Hinweisbeschluss des Landgerichts (LG) Dresden zurücknahm. Das LG hatte ausgeführt, dass zwar in der Regel ein schuldhaftes Verhalten des Mieters für die Begründung des Kündigungsgrundes erforderlich sei. Dies gelte aber nicht absolut, da auch bei Schuldlosigkeit das zumutbare Maß und damit die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter überschritten sei und in der Abwägung überwiegen kann. Zwar ergebe sich aus den Wertentscheidungen des Grundgesetzes (hier: Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG) eine erhöhte Toleranzbereitschaft gegenüber nicht oder nur eingeschränkt verantwortlichen Mietern, z. B. Verschlechterung des Gesundheitszustands, Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche oder Suizidgefährdung. Aber auch wenn der Mieter aufgrund der psychischen Erkrankung nicht in der Lage sei, das Unrecht seines Handelns zu erkennen, sei hier die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter deutlich überschritten.
Mieter legte Verfassungsbeschwerde ein
Gegen das Urteil und den Beschluss legte der Mieter Verfassungsbeschwerde ein – doch ohne Erfolg. Die Beschwerde sei unzulässig, sie genüge nicht den Begründungsanforderungen, so der VerfGH. Das LG habe sich umfassend – auch – mit Grundrechten auseinandergesetzt. Eine konkrete Grundrechtsverletzung rüge der Beschwerdeführer nicht.
Quelle | VerfGH Sachsen, Urteil vom 30.8.2023, Vf. 40-IV-23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg ist der Frage nachgegangen, was der mehrdeutige Begriff „vorhandenes Barvermögen“ in einem Vermächtnis bedeutet. |
Die Parteien stritten um die Erfüllung eines Vermächtnisses und hierbei um den Begriff „Barvermögen“. In einem notariellen Testament beschwerte der Erblasser die eingesetzten Erben mit einem Vermächtnis zugunsten einer weiteren Person wie folgt: „Das bei Eintritt des Erbfalls vorhandene Barvermögen soll zu einem 1/3 Anteil an meine Tochter …, geb. am …, ausgezahlt werden“. Die Bedachte hat die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ seine gesamten liquiden Mittel, insbesondere sämtliche Guthaben bei Kreditinstituten, Wertpapiere und Bargeld im engeren Sinne verstanden. Demgegenüber haben die beschwerten Erben die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ lediglich das vorhandene Bargeld verstanden.
Barvermögen = auch unbares Geld, das sofort verfügbar ist
Das Landgericht (LG) hat sich in erster Instanz der Auffassung der Bedachten angeschlossen und die Erben verurteilt, zu zahlen. Aufgrund der gegen dieses Urteil durch die Erben eingelegten Berufung hat das OLG Oldenburg den Begriff wie folgt verstanden: Danach umfasst der Begriff des Barvermögens heutzutage das gesamte Geld, das sofort verfügbar ist, also auch über eine Kartenzahlung. Wertpapiere fallen nicht unter den Begriff des Barvermögens. Vielmehr werden Wertpapiere durch den erweiterten Begriff des Kapitalvermögens mit abgedeckt, der das Barvermögen einschließlich weiterer Kapitalwerte in Geld beschreibt.
Wertpapiere gehörten hier nicht zum Barvermögen
Nach Beweisaufnahme hat das OLG festgestellt, dass die Bedachte nicht habe nachweisen können, dass der Erblasser mit dem Begriff „Barvermögen“ das gesamte Kapitalvermögen, also auch das nicht sofort verfügbare Kapital in der Form von Genossenschaftsanteilen und Wertpapieren gemeint habe. Im Ergebnis habe der vernommene Zeuge – der beurkundende Notar – keine konkreten Aussagen zum Willen des Erblassers in Bezug auf Wertpapiere und dessen Begriffsverständnis vom Begriff „Barvermögen“ machen können.
Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 20.12.2023, 3 U 8/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) München hat entschieden: Ein Tragwerksplaner ist nur verpflichtet, den Prüfbericht des Prüfingenieurs und die diesem beigefügten Bewehrungspläne zu prüfen, wenn eine entsprechende vertragliche Vereinbarung getroffen wurde. |
Wichtige Entscheidung
Diese Aussage ist für das Tagesgeschäft der Tragwerksplanung wichtig, da es in den meisten Fällen für den Tragwerksplaner von Eigeninteresse sein dürfte, Prüfbericht und Prüfeintragungen durchzusehen. Denn der Prüfingenieur könnte ja auch eigene Mängel verhindern helfen. Schwierig wird es, wenn der Prüfingenieur eine andere Auffassung vertritt, aber dennoch kein Planungsfehler vorliegt. Dann muss man abwägen.
Das gehört nicht zuden Aufgaben eines Tragwerksplaners
Das OLG hat auch noch weitere Feststellungen getroffen: Es gehört danach nicht zu den Aufgaben eines Tragwerksplaners, geänderte Ausführungspläne des Architekten an das bauausführende Unternehmen weiterzuleiten. Dies ist ein ständiges Streitthema. Um hier Auseinandersetzungen zu vermeiden, ist es wichtig, zu Planungsbeginn eine Regelung zu treffen, wer welche Pläne an wen weiterleitet. In den meisten Fällen macht es Sinn, dass der Objektplaner hier koordinierend Regelungsvorschläge macht und dafür Sorge trägt, dass seine Pläne an die ausführenden Unternehmen weitergeleitet werden.
Schutzwürdiges Eigeninteresse erforderlich
Außerdem, so das OLG, setze ein Anspruch des Auftraggebers auf Lieferung von Plänen nach Abschluss der Bauarbeiten ein schutzwürdiges Eigeninteresse voraus. Daran fehle es, wenn der Auftraggeber das Bauwerk jahrelang ohne die verlangten Pläne nutzen und verwalten konnte. Hierdurch wird klargestellt, dass Planungsbüros im Regelfall nicht jahrelang als Planarchiv für ehemalige Auftraggeber fungieren müssen.
Quelle | OLG München, Urteil vom 16.5.2023, 9 U 1801/21 Bau
| Die ungenehmigte Nutzung eines Einfamilienwohnhauses als Monteursunterkunft darf nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Neustadt an der Weinstraße untersagt werden. |
Das war geschehen
Die Stadt Ludwigshafen hatte durch ihre Bauaufsichtsbehörde eine Ortsbesichtigung durchgeführt, die ein zur Wohnnutzung genehmigtes Einfamilienhaus betraf. Hierbei stellte sie fest, dass sich in dem Wohnraum im Erdgeschoss zwei Einzelbetten und in einem Wohnraum im Dachgeschoss vier weitere Betten befanden. Insgesamt wohnten dort sechs männliche Personen. Die Stadt untersagte daraufhin gegenüber dem Eigentümer die Nutzung des Hauses für die Zwecke einer „Monteursunterkunft“ bzw. für eine „Beherbergung“ und ordnete hierfür die sofortige Vollziehung an. Dieser legte Widerspruch ein und stellte wegen des Sofortvollzugs zudem einen Eilantrag beim VG. Der Antrag blieb hinsichtlich der Nutzungsuntersagung ohne Erfolg.
So argumentierte das Verwaltungsgericht
Nach der Landesbauordnung Rheinland-Pfalz (hier: § 81 LBauO) könne die Bauaufsichtsbehörde die Benutzung solcher Anlagen untersagen, die gegen baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften über die Errichtung, die Änderung, die Instandhaltung oder die Nutzungsänderung dieser Anlagen verstießen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden könnten.
Dies sei hier der Fall. Die von der Stadt ausgesprochene Nutzungsuntersagungsverfügung sei nicht zu beanstanden, da die tatsächliche Nutzung des Einfamilienhauses als Monteursunterkunft oder sonst als Beherbergungsbetrieb weder genehmigt noch genehmigungsfrei sei. Vorliegend sei nämlich von einer tatsächlich nicht Wohnzwecken dienenden Nutzung des Einfamilienwohnhauses auszugehen.
Definition der „Wohnnutzung“
Eine Wohnnutzung zeichne sich durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts aus. Dies setze bestimmte Ausstattungsmerkmale des Gebäudes voraus. Erforderlich seien insbesondere eine Küche bzw. Kochgelegenheit sowie Toiletten und Waschgelegenheiten, die auch in Gestalt von Gemeinschaftseinrichtungen zur Verfügung stehen könnten.
Der Begriff des Wohnens verlange zudem, dass Aufenthalts- und private Rückzugsräume vorhanden seien, die eine Eigengestaltung des häuslichen Wirkungskreises erst ermöglichten. Auch Wohnheime – etwa Studentenwohnheime – könnten daher als Wohngebäude einzustufen sein, wenn sie nach ihrer Zweckbestimmung und Ausstattung Wohnbedürfnisse erfüllen könnten und sollten. Die Grenzen des Wohnens seien allerdings überschritten, wenn das Gebäude – wie im Fall einer Unterkunft für Monteure – aufgrund seiner spartanischen Ausstattung lediglich als Schlafstätte diene und auch einfache Wohnbedürfnisse nicht befriedige. Dabei spiele zudem die Wohndichte eine Rolle. Der Umstand, dass sich zwei Bewohner einen Schlafraum teilten, spreche zwar nicht zwingend gegen eine Wohnnutzung im Rechtssinne; die dadurch bewirkte Einschränkung der Privatsphäre schließe aber unter Berücksichtigung der hierzulande üblichen Wohnstandards die Annahme einer Wohnnutzung jedenfalls dann regelmäßig aus, wenn zwischen den Bewohnern keine persönliche Bindung bestehe bzw. sich diese Bindung in dem gemeinsamen Interesse an einer möglichst kostengünstigen Unterbringung erschöpfe.
Mindestanforderungen der Wohnnutzung waren zwar erfüllt...
Zwar verfüge das Wohnhaus hier mit zwei Toiletten und einer Küche über die für eine Wohnnutzung erforderlichen Mindestanforderungen. Alle Räume seien aber sehr spartanisch lediglich mit Betten und Schreibtischen eingerichtet.
... Bewohner lebten aber „aus dem Koffer“
Die Bewohner lebten augenscheinlich „aus dem Koffer“, Kleiderschränke oder auch sonstiger Stauraum seien nicht vorhanden. Zudem spreche das Vorbringen des Antragstellers im Eilverfahren, wonach die Bewohner allesamt unter der Woche als Monteure an weit entfernten Orten beschäftigt seien und lediglich am Wochenende oder im Urlaub in dem Haus verweilten, erheblich dafür, dass der Zweck des Zusammenlebens nicht über das Interesse an einer günstigen Unterkunft hinausgehe und tatsächlich kein Interesse an einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit bestehe, sondern das Haus lediglich als Schlafplatz zwischen den Arbeitsaufträgen diene. Insbesondere wegen der Unterbringung in Mehrbettzimmern und des vollständigen Fehlens von Aufenthaltsräumen sei nicht ersichtlich, dass die Unterkunft über den Nutzen als Schlafstätte hinaus Wohnbedürfnisse befriedige.
Quelle | VG Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 4.1.2024, 4 L 1213/23.NW, PM 2/24
| Eine Vorschlagsliste für die Betriebsratswahl, die in ihrem Kennwort ein „Smiley-Symbol“ enthält, ist ungültig. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln in einem Wahlanfechtungsverfahren entschieden. |
Betriebsratswahl angefochten
Fünf Arbeitnehmer eines weltweit tätigen Logistikunternehmens mit einem Betrieb am Flughafen Köln/Bonn und einer weiteren Betriebsstätte im benachbarten Troisdorf hatten die Wahl des 25-köpfigen Betriebsrats angefochten und dies u. a. damit begründet, dass der Wahlvorstand ihren Wahlvorschlag zu Unrecht wegen des verwendeten Listenkennworts zurückgewiesen und stattdessen mit den Familien- und Vornamen der beiden in der Liste an erster Stelle benannten Wahlbewerbern versehen habe.
Die Arbeitnehmer hatten beim Wahlvorstand zunächst einen Wahlvorschlag mit dem Kennwort ,,fair.die“ eingereicht. Nachdem der Wahlvorstand den Vorschlag wegen einer phonetischen Verwechslungsgefahr mit der Gewerkschaft ver.di zurückgewiesen hatte, teilten die Arbeitnehmer mit, dass ihr Wahlvorschlag das Kennwort „FAIR“ (mit dem zusätzlichen „Smiley-Symbol“) die Liste“ tragen solle.
Dieses Kennwort sowie drei weitere Alternativvorschläge, die ebenfalls einen „Smiley“ enthielten, lehnte der Wahlvorstand wiederum ab.
Landesarbeitsgericht: Bildzeichen unzulässig
Wie das LAG entschieden hat, ist ein Bildzeichen als Bestandteil eines Kennworts unzulässig, wenn es wie das „Smiley“ lediglich einen Stimmungs- oder Gefühlszustand ausdrückt, keine eindeutige Wortersatzfunktion hat und demgemäß üblicherweise nicht mit ausgesprochen wird. Zudem hätte auch bei dem oben genannten Kennwort eine Verwechslungsgefahr bestanden, da es lautsprachlich wie „ver.di-Liste“ klingt.
Zudem hat das LAG die Betriebsratswahl für unwirksam erklärt, weil der Wahlvorstand für die Betriebsstätte Troisdorf trotz ihrer räumlichen Nähe zum Hauptbetrieb unzulässigerweise die generelle Briefwahl angeordnet hatte.
Quelle | LAG Köln, Beschluss vom 1.12.2023, 9 TaBV 3/23, PM 13/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat den koordinierten Beschäftigtentausch als Sparmodell für Sozialversicherungsbeiträge für unzulässig erklärt. |
Darum ging es
Ausgangspunkt war die Klage eines niedersächsischen Obstbauern, der einen Betrieb für Apfelanbau führt und an einem weiteren Betrieb für Erdbeeranbau beteiligt ist. Seine Erntehelfer beschäftigt er formal ganzjährig im Apfelanbau. Sie erhalten dort einen festen Monatslohn auf Basis eines Jahresarbeitsstundensolls. In der Zeit von Mai bis Juli wurden die Helfer jedoch im Erdbeerbetrieb eingesetzt. Auf den Lohn dieser Arbeit zahlte der Bauer keine Sozialversicherungsbeiträge, da er die Arbeit als zeitgeringfügige Aushilfstätigkeit betrachtete. Während der Apfelernte im Herbst verfuhr er bei jeweils wechselnder Arbeitsfreistellung mit den Beschäftigten des Erdbeerbetriebs in ähnlicher Weise.
Kurzzeitige Saisonaushilfen oder berufsmäßige Beschäftigte?
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) kam nach einer Betriebsprüfung zu dem Ergebnis, dass die Mitarbeiter nicht nur kurzzeitige Saisonaushilfen seien, sondern berufsmäßig Beschäftigte, für die rd. 58.000 Euro Sozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten seien.
Bauer reklamierte für sich „angepasste Gestaltung“
Hiergegen klagte der Bauer und meinte, dass in rechtlich selbstständigen Betrieben eine Arbeitnehmertätigkeit im Hauptberuf und eine kurzzeitige Beschäftigung bei einem weiteren Arbeitnehmer möglich und erlaubt sei. Steigende Preise und politische Unsicherheiten würden eine angepasste Gestaltung notwendig machen.
Landessozialgericht spricht Klartext
Das LSG hat die Rechtsauffassung der DRV bestätigt. Zur Begründung hat es auf die Berufsmäßigkeit der Helfer abgestellt, die eine Beitragspflicht für die gesamte Tätigkeit auslöse. Das praktizierte Modell verfolge zielgerichtet das Bestreben, über wechselseitige betriebliche Absprachen und mittels langfristig geplanter und aufeinander abgestimmter organisatorischer und vertraglicher Maßnahmen rund ein Drittel des Jahreseinkommens der Arbeitskräfte der Beitragspflicht zur gesetzlichen Sozialversicherung zu entziehen. Die Gefahr der Altersarmut aufseiten der Erntehelfer sei von den Arbeitgebern sehenden Auges hingenommen worden. Die sozialrechtlichen Vorgaben ließen keinen Raum für eine entsprechende Beitragsverkürzung.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.12.2023, L 2 BA 59/23, PM vom 5.2.2024
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung eines Schwerbehinderten in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses diskriminierend im Sinne des Sozialgesetzbuchs IX (hier: § 164 Abs. 2 SGB IX) ist. Sie kann damit unwirksam sein, wenn der Arbeitgeber das Präventionsverfahren nach dem Sozialgesetzbuch (§ 167 Abs. 1 SGB IX) nicht durchgeführt hat. |
Der mit einem Grad der Behinderung von 80 schwerbehinderte Kläger ist seit dem 1.1.2023 bei der beklagten Kommune als „Beschäftigter im Bauhof“ beschäftigt. Der Kläger wurde zwischen dem 2.1. und 14.4.2023 in verschiedenen Kolonnen des Bauhofs eingesetzt und war ab Ende Mai arbeitsunfähig. Am 22.6.2023 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 31.7.2023.
Das ArbG hat entschieden: Die Kündigung verstößt gegen das Diskriminierungsverbot des § 164 Abs. 2 SGB IX und ist damit unwirksam. Der Arbeitgeber sei – entgegen bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) – auch während der Wartezeit gemäß Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 Abs. 1 KSchG) verpflichtet, das o. g. Präventionsverfahren durchzuführen.
§ 167 Abs. 1 SGB IX regelt, dass möglichst frühzeitig als Präventionsmaßnahme die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt einzuschalten sind, wenn Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis eintreten, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können. Dies habe die Arbeitgeberin hier nicht getan. Sie hätte, als sie bemerkte, dass der schwerbehinderte Kläger sich während der Wartezeit – wie sie vorträgt – nicht bewährte bzw. sich nicht ins Team einfügte und ihren Erwartungen nicht entsprach, Präventionsmaßnahmen ergreifen und gegebenenfalls die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt präventiv einschalten müssen.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 20.12.2023, 18 Ca 3954/23, PM 2/24
| Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch verpflichtet. Das Sozialrecht (hier: § 165 S. 3 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX)) sieht die grundsätzliche Einladungspflicht nur für öffentliche Arbeitgeber vor. Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist kein öffentlicher Arbeitgeber. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Schwerbehinderten nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen
Der schwerbehinderte Kläger hatte sich um eine Stelle in der Verwaltung eines Kirchenkreises der Evangelischen Kirche im Rheinland beworben. Trotz Offenlegung seiner Schwerbehinderung wurde er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Seine Bewerbung blieb erfolglos.
Lag Diskriminierung vor?
Nach Ansicht des Klägers wurde er im Auswahlverfahren wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Dies indiziere die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Hierzu sei der Kirchenkreis nach der o. g. Vorschrift verpflichtet gewesen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts gelte er als öffentlicher Arbeitgeber. Mit seiner Klage hat der Kläger deshalb die Zahlung einer Entschädigung verlangt. Der beklagte Kirchenkreis hat dies abgelehnt. Er sei kein öffentlicher Arbeitgeber. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Bundesarbeitsgericht spricht Klartext
Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung dargelegt.
Eine solche kann nicht aufgrund der unterbliebenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch vermutet werden. Hierzu war der beklagte Kirchenkreis nicht verpflichtet. Die Einladungspflicht besteht zwar u. a. für Körperschaften des öffentlichen Rechts. Dies betrifft aber nach dem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Begriffsverständnis nur Körperschaften, die staatliche Aufgaben wahrnehmen. Kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts dienen demgegenüber primär der Erfüllung kirchlicher Aufgaben. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts soll dabei die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgesellschaft unterstützen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Einladungspflicht auf kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts erstrecken wollte. Insoweit stehen sie den ebenfalls staatsfernen privaten Arbeitgebern gleich.
Quelle | BAG, Urteil vom 25.1.2024, 8 AZ R 318/22, PM 2/24
Baurecht
| Erhält ein Arbeitnehmer aufgrund seines Dienstverhältnisses Waren oder Dienstleistungen, die vom Arbeitgeber nicht überwiegend für den Bedarf seiner Arbeitnehmer hergestellt, vertrieben oder erbracht werden, sind diese Vorteile steuerfrei, soweit sie den Rabattfreibetrag von 1.080 Euro im Kalenderjahr nicht übersteigen (§ 8 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG)). Das Landesozialgericht (LSG) Bayern musste nun in einem Konzernfall über die Beitragspflicht von Warengutscheinen entscheiden. Dabei hat es herausgestellt, dass hinsichtlich des Arbeitgeberbegriffs keine unterschiedliche Beurteilung nach Steuer- und nach Beitragsrecht veranlasst ist. |
Arbeitgeber kann nur derjenige sein, der die Arbeitsverträge mit den Beschäftigten abgeschlossen hat. Dies entspricht auch dem Grundsatz, den der Bundesfinanzhof (BFH) für das Steuerrecht aufgestellt hat.
Begriff des „Arbeitgebers“: keine Konzernklausel
Der BFH hat es abgelehnt, den Begriff des Arbeitgebers über den Wortlaut hinaus extensiv auszulegen. Im Vorfeld der gesetzlichen Neuregelung wurde eine Konzernklausel ausdrücklich diskutiert.
Da sie aber nicht aufgenommen worden ist, kann daraus geschlossen werden, dass sich die bereits in der Begründung des Gesetzentwurfs vertretene Meinung durchgesetzt hat, nach der § 8 Abs. 3 EStG nicht für Waren und Dienstleistungen gelten soll, die nicht im Unternehmen des Arbeitgebers hergestellt, vertrieben oder erbracht werden. Es sollen weder Arbeitnehmer von Konzerngesellschaften noch ein überbetrieblicher Belegschaftshandel steuerlich begünstigt werden.
Warengutscheine = Sachbezüge
Nach Ansicht des LSG hat das Unternehmen im Streitfall auch keinen so gewichtigen Beitrag geleistet, als dass es unter Anwendung des „erweiterten Hersteller- bzw. Vertreiberbegriffs“ als Hersteller bzw. Vertreiber der Waren i. S. des § 8 Abs. 3 EStG angesehen werden kann. Deshalb handelt es sich bei den Warengutscheinen um Sachbezüge, für die Beiträge erhoben werden müssen.
Quelle | LSG Bayern, Urteil vom 6.6.2023, L 7 BA 80/22, Abruf-Nr. 240136; unter www.iww.de; BFH, Urteil vom 26.4.2018, VI R39/16
| Mit einem kuriosen Nachbarstreit zwischen einem Restaurantbetreiber und dem Anbieter von Parkraum hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Dem Restaurantbesitzer drohen nun 250.000 Euro Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft. |
Das war geschehen
Der Parkplatzbetreiber hatte die Parkgebühren angehoben und den bislang gewährten Rabatt für die Besucher des Restaurants abgeschafft. Daraufhin positionierte der Restaurantbesitzer gezielt eigene Mitarbeiter an der Parkschranke, um die Autofahrer von der Einfahrt in den Parkplatz abzuhalten und auf andere, kostenfreie Plätze in der Nähe zu verweisen. Dieses Verhalten stellt eine unzulässige Verletzungshandlung dar, die darauf angelegt ist, den Betrieb des Parkraumbewirtschafters zu schädigen, entschied das LG. Es untersagte in einem Eilverfahren entsprechende Aktionen.
Boykottaufruf unverhältnismäßig
Das Argument, über den Rabatt für Restaurantkunden gebe es eine Vereinbarung und die hohen Parkkosten hätten bereits Kunden abgeschreckt und vom Besuch abgehalten, überzeugte das LG nicht. Das Vorgehen des Restaurantbetreibers sei unverhältnismäßig.
Im Bereich der Einfahrt gezielt Parkplatzsuchende anzusprechen, um diese zum anderweitigen Parken zu bewegen, sei eine gegen das Geschäftsmodell des Parkraumanbieters gerichtete verbotene Eigenmacht. Es seien nicht nur Restaurantbesucher, sondern sämtliche Parkplatzsuchende angesprochen und zum Boykott des Parkplatzes aufgerufen worden. Der Restaurantbesitzer müsse seine Kunden auf andere Weise darüber informieren, dass die Parkgebühren nicht mehr übernommen werden und den Streit um den Parkrabatt, wenn nötig, gerichtlich austragen.
„Saftiges“ Ordnungsgeld droht
Für den Fall, dass der Restaurantbetreiber dem Urteil zuwiderhandelt, hat das LG ihm ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro sowie Ordnungshaft angedroht.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 18.1.2024, 5 O46/23, PM vom 30.4.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Feststellung des Bundeskartellamts bestätigt, dass Amazon eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb hat. |
Der Hintergrund
Amazon ist weltweit u. a. im Bereich des E-Commerce, als stationärer Einzelhändler und als Anbieter von cloudbasierten IT-Dienstleistungen (Amazon Web Services, AWS) tätig. Der Konzern war zum 27.12.2021 mit einer Marktkapitalisierung von 1,721 Billionen USD das fünftwertvollste Unternehmen der Welt, wobei der Börsenwert innerhalb der vorangegangenen sieben Jahre um etwa 443 % gestiegen war. Das Unternehmen erzielte im Geschäftsjahr 2021 weltweit Umsätze von rund 469,8 Mrd. USD. Auf Deutschland entfielen davon rund 37,3 Mrd. USD. Damit stellte Deutschland auf den Umsatz bezogen nach den USA den zweitwichtigsten (Absatz-)Markt für Amazon dar. Die jährlichen Gewinne stiegen von (weltweit) 3 Mrd. USD im Geschäftsjahr 2017 auf 33,4 Mrd. USD in 2021, mithin um 1013 %. Amazon gehört mit 1,6 Mio. Mitarbeitern zum 31. Dezember 2021 zu den größten Arbeitgebern weltweit.
Das war geschehen
Das Bundeskartellamt hatte festgestellt, dass Amazon.com, Inc. einschließlich der mit ihr verbundenen Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Die Feststellung ist auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft befristet. Gegen diesen Beschluss haben Amazon.com, Inc. und eine deutsche Konzerngesellschaft Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, den Beschluss aufzuheben. Während des Beschwerdeverfahrens wurde Amazon von der Europäischen Kommission als sog. Torwächter benannt.
Das sagt der Bundesgerichtshof
Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Das Bundeskartellamt hat nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (hier: § 19 a Abs. 1 GWB) zu Recht festgestellt, dass Amazon in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten tätig ist und dem Konzern eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt.
Amazon unterhält weltweit 21 länderspezifische Domains mit Handelsplattformen (Amazon Stores) und vertreibt darüber als Hersteller und Einzelhändler physische und digitale Waren an Endkunden (etwa Amazon Retail, Home Entertainment, Twitch, Prime Video, Kindle Content, Amazon Music, Amazon Games, Amazon Echo und Amazon Alexa, Amazon Fire, Fire TV, SmartHome-Geräte). Gleichzeitig betreibt Amazon die Handelsplattformen als Online-Marktplätze und ermöglicht es dritten Online-Händlern gegen Provisionszahlung, ihre Waren Endkunden anzubieten. Amazon hat eine eigene Logistikinfrastruktur und vermittelt – auch in Deutschland – Versandaufträge zwischen dritten Online-Händlern und Versanddienstleistern. Amazon Advertising bringt Werbekunden und Anbieter von Werbeflächen zusammen.
Das heißt „marktübergreifende Bedeutung“
Die Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb setzt keine konkrete Wettbewerbsgefahr oder Wettbewerbsbeeinträchtigung voraus. Vielmehr reicht dafür das Vorliegen der strategischen und wettbewerblichen Möglichkeiten aus, deren abstraktes Gefährdungspotenzial durch die Vorschrift adressiert wird. § 19 a Abs. 1 GWB soll dem Bundeskartellamt eine effektivere Kontrolle derjenigen großen Digitalunternehmen ermöglichen, deren Ressourcen und strategische Positionierung ihnen erlauben, erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen, den Wettbewerbsprozess zum eigenen Vorteil zu verfälschen sowie ihre bestehende Marktmacht auf immer neue Märkte und Sektoren zu übertragen.
Bundeskartellamt: zutreffende Feststellungen
Das Bundeskartellamt hat zutreffend festgestellt, dass Amazon über solche strategischen und wettbewerblichen Potenziale verfügt. Der Konzern ist auf einer Vielzahl von verschiedenen, vertikal integrierten und in vielfältiger und konglomerater Weise miteinander verbundenen Märkten tätig und hat eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt für Online-Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler. Er verfügt über eine überragende Finanzkraft und einen überragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten, wie etwa Kunden- und Nutzerdaten, Daten aus dem Betrieb der Handelsplattformen und Werbeplattformen und damit verbundenen Diensten sowie aus dem Betrieb von Amazon Web Services, Inc. (AWS). Amazon hat als Betreiber von zahlreichen nationalen Online-Marktplätzen weltweit und in Deutschland eine Schlüsselposition für den Zugang von Einzelhändlern zu ihren Absatzmärkten und kann erheblichen Einfluss auf die Vertriebstätigkeit von Dritthändlern ausüben.
Die jetzige Geltung der Regelungen des Digital Markets Acts (DMA) und die während des Beschwerdeverfahrens gegenüber der Europäischen Kommission im Rahmen eines Missbrauchsverfahrens abgegebenen Zusagen von Amazon stehen der Feststellung nicht entgegen.
Quelle | BGH, Beschluss vom 23.4.2024, KVB 56/22, PM 97/24
| Durch die Unwetter mit Hochwasser in der Zeit von Ende Mai bis Anfang Juni 2024 sind in weiten Teilen Baden-Württembergs beträchtliche Schäden entstanden. Die Beseitigung dieser Schäden wird bei vielen Steuerpflichtigen zu erheblichen finanziellen Belastungen führen. Daher möchte das Finanzministerium (FinMin) Baden-Württemberg den Geschädigten durch steuerliche Maßnahmen entgegenkommen. |
Möglich sind u. a.:
- Anpassung steuerlicher Vorauszahlungen,
- Stundung fälliger Einkommen-, Körperschaft- oder Umsatzsteuerbeträge und
- Aufschub von Vollstreckungen.
Beachten Sie | Auch in anderen Bundesländern sind im Mai und Juni 2024 durch die Unwetter mit Hochwasser Schäden entstanden. Daher wurden auch für Bayern, Rheinland-Pfalz und das Saarland Katastrophenerlasse mit steuerlichen Erleichterungen veröffentlicht. Dabei ist zu beachten, dass einige Erlasse bereits aktualisiert wurden.
Quelle | FinMin Baden-Württemberg, Erlass vom 20.6.2024; Ministerium der Finanzen und für Wissenschaft Saarland, Erlass vom 21.5.2024; Landesamt für Steuern Rheinland-Pfalz, Erlass vom 25.6.2024; Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, Erlass vom 24.6.2024
| Ein steuerlicher Verlustvortrag bleibt bei der Bestimmung des auf eine Witwenrente anzurechnenden Arbeitseinkommens unberücksichtigt. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten ist ein steuerlicher Verlustvortrag nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 10 d Abs. 2 EStG) nicht einzubeziehen. Das BSG hält damit an seiner bisherigen Auffassung auch unter Geltung des zum 1.1.2002 eingeführten § 18 a Abs. 2 a Sozialgesetzbuch IV fest.
Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass für die Einkommensanrechnung grundsätzlich alle Arten von Arbeitseinkommen berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung eines steuerlichen Verlustvortrags entspricht dem Sinn und Zweck der Hinterbliebenenversorgung. Diese dient als Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten nicht mehr geleistet wird. Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen wird in einem bestimmten Umfang angerechnet, weil der Hinterbliebene sich dadurch ganz oder zumindest teilweise selbst unterhalten kann. Abzustellen ist dabei auf das verfügbare Einkommen.
Beachten Sie | Dass ein Hinterbliebener berechtigt ist, seine Einkommensteuerpflicht im Veranlagungszeitraum zu mindern, indem er negative Einkünfte aus im Einzelfall weit zurückliegenden früheren Veranlagungszeiträumen in Abzug bringt, sagt nichts über seine aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aus.
Quelle | BSG, Urteil vom 22.2.2024, B 5 R 3/23 R; BSG, PM Nr. 7/24 vom 22.2.2024
| Der Bundesrat hat dem Postrechtsmodernisierungsgesetz (PostModG) Anfang Juli 2024 zugestimmt. Dadurch werden insbesondere die Laufzeitvorgaben für die Zustellung von Briefen verlängert. Folgerichtig erfolgte auch eine Anpassung der Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten (z. B. Steuerbescheiden). |
Einspruchsfrist von einem Monat
Zum Hintergrund: Das Problem, „Recht zu haben, aber es nicht zu bekommen“, ergibt sich immer dann, wenn ein Steuerbescheid zu einer zu hohen Steuerfestsetzung führt, es jedoch versäumt wurde, innerhalb der Rechtsbehelfsfrist von einem Monat Einspruch einzulegen. Für den fristgerechten Eingang beim Finanzamt kommt es darauf an, wann der Bescheid bekannt gegeben wurde und wann die Einspruchsfrist endet.
Gesetzliche Neuregelung: Vier- statt Dreitagesfiktion
Um die Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten nach der Abgabenordnung an die verlängerten Laufzeitvorgaben anzupassen, wird aus der bisherigen Dreitages- eine Viertagesfiktion. Damit gelten Steuerbescheide und andere Verwaltungsakte künftig als am vierten Tag nach deren Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, statt wie bisher nach drei Tagen.
Was unverändert bleibt: Fällt der vierte Tag auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, erfolgt die Bekanntgabe am nächstfolgenden Werktag. Die noch im Regierungsentwurf vorgesehene Bekanntgabe von Steuerbescheiden an Samstagen wurde nicht umgesetzt.
Die Neuregelung gilt für Verwaltungsakte, die nach dem 31.12.2024 übermittelt werden.
Neuregelung ab dem Jahr 2025
Beispiel: Das Finanzamt versendet an den Steuerpflichtigen einen Steuerbescheid. Er gibt den Brief am Dienstag, den 14.1.2025, zur Post. Bekanntgabezeitpunkt ist der 20.1.2025 (Montag), da der 18.1.2025 („vier Tage“) ein Samstag ist.
Ein Einspruch gegen den Steuerbescheid ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Die Einspruchsfrist endet somit am 20.2.2025 um 24:00 Uhr.
Beachten Sie | Auch ein elektronisch übermittelter Verwaltungsakt gilt am dritten (ab 2025: vierten) Tag nach der Absendung als bekannt gegeben.
Steuerbescheid später zugegangen oder nicht erhalten
Die Bekanntgabefiktion gilt allerdings nicht, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich später oder gar nicht zugegangen ist.
Hier ist wie folgt zu unterscheiden:
- Bestreitet der Steuerpflichtige den Zugang, ist das Finanzamt regelmäßig nicht in der Lage, den Zugang nachzuweisen. Daher ist eine erneute (ordnungsgemäße) Bekanntgabe erforderlich.
- Behauptet der Steuerpflichtige einen späteren Zugang, muss er dies substanziiert darlegen bzw. nachweisen. Dabei stellt eine Abwesenheit wegen Urlaubs regelmäßig keine spätere Bekanntgabe dar.
Quelle | PostModG, BR-Drs. 298/24 (B) vom 5.7.2024; DStV, Mitteilung vom 13.6.2024
| Bei der Erbschaftsteuer zählt ein Parkhaus zum nichtbegünstigten Verwaltungsvermögen. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) aktuell entschieden. |
Das war geschehen
Der Steuerpflichtige war testamentarisch eingesetzter Alleinerbe seines im Jahr 2018 verstorbenen Vaters (= Erblasser). Zum Erbe gehörte ein mit einem Parkhaus bebautes Grundstück. Der Erblasser hatte das Parkhaus als Einzelunternehmen ursprünglich selbst betrieben und ab dem Jahr 2000 dann unbefristet an seinen Sohn verpachtet.
Finanzamt: Parkhaus ist Verwaltungsvermögen
Das Finanzamt stellte den Wert des Betriebsvermögens fest und behandelte das Parkhaus dabei als sogenanntes Verwaltungsvermögen, das bei der Erbschaftsteuer nicht begünstigt ist. Das Finanzgericht (FG) und der BFH schlossen sich dieser Auffassung an.
Grundsätzlich wird Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer privilegiert. Das gilt allerdings nicht für bestimmte Gegenstände des Verwaltungsvermögens. Darunter fallen dem Grunde nach auch Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke. Diese können im Rahmen der Erbschaftsteuer zwar auch begünstigt sein, etwa wenn (wie im Streitfall) der Erblasser seinen ursprünglich selbst betriebenen Gewerbebetrieb unbefristet verpachtet und den Pächter testamentarisch als Erben einsetzt.
Keine erbschaftsteuerliche Privilegierung
Eine Ausnahme besteht dabei jedoch für solche Betriebe, die schon vor der Verpachtung nicht die Voraussetzungen der erbschaftsteuerrechtlichen Privilegierung erfüllt haben. Dies ist bei einem Parkhaus der Fall. Denn die dort verfügbaren Parkplätze als Teile des Parkhausgrundstücks wurden schon durch den Erblasser als damaligem Betreiber an die Autofahrer – und somit an Dritte – zur Nutzung überlassen.
Beachten Sie | Zudem handelt es sich dabei auch nicht um die Überlassung von Wohnungen, die der Gesetzgeber wiederum aus Gründen des Gemeinwohls für die Erbschaftsteuer privilegiert hat.
Keine Rolle spielt auch, ob zu der Überlassung der Parkplätze weitere gewerbliche Leistungen (z. B. eine Ein- und Ausfahrtkontrolle und eine Entgeltzahlungsdienstleistung) hinzukommen. Darauf stellt das Erbschaftsteuergesetz nämlich nicht ab.
Der BFH sah auch keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Verhältnis zu anderen Grundstücksüberlassungen, wie z. B. im Rahmen des Absatzes eigener Erzeugnisse durch einen Brauereibetrieb oder im Zusammenhang mit einer land- und forstwirtschaftlichen Betriebstätigkeit. Dass der Gesetzgeber solche Betriebe (wie auch die erwähnten Wohnungsunternehmen) als förderungswürdig ansah, ist von seinem weiten Entscheidungsspielraum gedeckt.
Quelle | BFH, Urteil vom 28.2.2024, II R 27/21
| Oft werden private Ausfahrten zugeparkt oder der private Parkplatz von anderen unberechtigt genutzt. Das störende Fahrzeug muss dann abgeschleppt werden und der Berechtigte muss zusehen, wie er etwaig verauslagte Kosten, z. B. Verwahrkosten, erstattet erhält. Hierzu hat jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) Wissenswertes entschieden. |
Parken trotz Parkverbots
Der auf den Kläger zugelassene Pkw wurde von dessen Schwester im Innenhof eines privaten Gebäudekomplexes abgestellt, der von einer Immobilienverwalterin verwaltet wird. An der Hofeinfahrt war ein Parkverbotsschild mit dem Zusatz „gilt im gesamten Innenhof“ angebracht. Die Verwalterin beauftragte die Beklagte, das Fahrzeug abzuschleppen, es anschließend zu verwahren und vor Wertminderung sowie unbefugtem Zugriff Dritter zu sichern. Die Beklagte verbrachte das Fahrzeug noch am selben Tag auf ihr Firmengelände. Kurz darauf forderte der Kläger von der Beklagten schriftlich unter Fristsetzung, das Fahrzeug herauszugeben. Auf das Schreiben erfolgte keine Reaktion.
Mit seiner Klage hat der Kläger von der Beklagten zunächst die Herausgabe seines Fahrzeugs verlangt. Nach erfolgter Herausgabe während des Prozesses haben die Parteien die Herausgabeklage übereinstimmend für erledigt erklärt. Gegenstand des Verfahrens war dann nur noch die Frage, wer die Standkosten tragen musste.
Herausgabeverlangen: Auf den Zeitpunkt kommt es an
Die Sache ging bis vor den Bundesgerichtshof (BGH). Dieser entschied: Zu erstattungsfähigen Kosten für die Entfernung eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs zählen auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der Verwahrung des Fahrzeugs im Anschluss an den Abschleppvorgang entstehen. Das gilt aber nur bis zu einem Herausgabeverlangen des Halters.
Es kommt auch ein Anspruch auf Ersatz von Verwahrkosten in Betracht, wenn der das Fahrzeug herausverlangende Halter nicht bereit ist, im Gegenzug die für das Abschleppen und die Verwahrung angefallenen ortsüblichen Kosten zu zahlen und der Abschleppunternehmer daraufhin die Herausgabe des Fahrzeugs verweigert, sodass der Halter in Annahmeverzug gerät.
Quelle | BGH, Urteil vom 17.11.2023, V ZR 192/22
| Muss der Verkäufer einer Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze unaufgefordert über den Härtegrad der Matratze aufklären und beraten? Das Amtsgericht (AG) Hannover hat diese Frage verneint. Es hat entschieden, dass ein Verkäufer im Grundsatz nur dann über den Härtegrad einer Matratze aufklären und beraten muss, wenn der Käufer danach fragt. |
Matratze war Käuferin zu hart: Verkäuferin bot Rabatt an
Die Klägerin kaufte im November 2022 bei der Beklagten eine Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze für ihre Tochter, die zuvor für wenige Minuten zur Probe gelegen hatte. Im Kaufvertrag war für die Matratze der Härtegrad H5 angegeben. Nachdem die Möbel im Januar 2023 geliefert worden waren, empfanden die Klägerin und ihre Tochter die Matratze als zu hart. Dies reklamierte die Klägerin bei der Beklagten. Diese bot der Klägerin u. a. einen Rabatt auf zwei neue Matratzen an, verweigerte aber eine Rückabwicklung des Kaufvertrags. Die Klägerin erklärte daraufhin die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung.
Rückabwicklung des Kaufvertrags?
Mit der Klage hatte die Käuferin eine teilweise Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Bettes nebst Matratze verlangt. Sie meinte, es sei für den Verkäufer klar erkennbar gewesen, dass das Schlafzimmer für ihre Tochter gewesen sei. Für das Gewicht ihrer Tochter sei aber ein Härtegrad von H2 angemessen.
Die Verkäuferin hatte vorgetragen, dass die Klägerin keine Beratung gewünscht habe. Sie habe es vielmehr sehr eilig gehabt, da sie einen Transporter angemietet habe. Sie habe sich lediglich nach einem Rabatt erkundigt, sonst aber keine Fragen gestellt.
So sah es das Amtsgericht
Das AG hat die Klage abgewiesen. Dabei ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die erworbene Matratze nicht mangelhaft war. Denn die Klägerin habe genau das bekommen, was vertraglich vereinbart war, nämlich eine Matratze des Härtegrades H5. Zwar habe die Klägerin erwartet, dass der Verkäufer sie unaufgefordert berate. Der Verkäufer habe aber keinen Anlass gehabt, eingehend über den Härtegrad aufzuklären und zu beraten. Denn die Klägerin habe ihre Erwartung einer Beratung nicht geäußert.
Keine Verletzung der Aufklärungspflicht
Zudem sei der Verkäufer erst hinzugezogen worden, als die Klägerin bereits zum Kauf entschlossen gewesen sei. Im Verkaufsgespräch sei es lediglich darum gegangen, die Daten der Klägerin aufzunehmen und über den Preis zu verhandeln. Die Tochter der Klägerin habe sich nach dem Probeliegen auch nicht über den Härtegrad beschwert. Daher habe der Verkäufer auch keine Aufklärungspflicht verletzt, sodass die Klägerin den Vertrag weder anfechten könne noch vom Vertrag zurücktreten könne.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 30.1.2024, 510 C 7814/23, PM vom 4.4.2024
| Reiserücktrittsversicherungen für den Krankheitsfall sichern regelmäßig nur solche Erkrankungen ab, die bei Vertragsschluss nicht bereits bekannt oder zu erwarten waren. Wer vor dem Abschluss der Reiserücktrittsversicherung eine Schürfwunde am Knöchel infolge eines Leitersturzes erlitten hatte, verliert seinen Versicherungsschutz nicht, wenn sich die Schürfwunde anschließend infiziert und ein Geschwür (Ulkus) hervorruft. Das hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) entschieden. |
Das war geschehen
Das OLG musste über die Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts (LG) Itzehoe entscheiden. Der Kläger hatte für sich, seine Ehefrau und seinen Sohn im November 2019 eine Reise nach Kuba für Februar 2020 gebucht. Nur wenige Tage später stürzte die Frau des Klägers von der Leiter und zog sich hierbei u. a. eine Schürfwunde am Knöchel zu. Im Anschluss bestellte der Kläger für seine Familie eine „Jahres-Reise-Karte“, die auch eine Reiserücktrittskostenversicherung beinhaltete. In dieser war Versicherungsschutz für Tod, schweren Unfall und unerwartet schwere Erkrankung vereinbart. Für den Fall einer unerwarteten Verschlechterung einer schon bestehenden Krankheit wurde in den Klauseln Versicherungsschutz ausgeschlossen, sofern in den letzten sechs Monaten vor Vertragsschluss eine Behandlung wegen der Erkrankung erfolgte. Im Januar 2020 musste die Frau des Klägers sich einer stationär durchgeführten Hauttransplantation unterziehen, nachdem die Wunde am Knöchel sich im Dezember 2019 infiziert und sich infolgedessen ein Geschwür (Ulkus) entwickelt hatte. Der Kläger hat dann die Reise storniert und bei der beklagten Versicherung die ihm berechneten Stornokosten geltend gemacht.
Landgericht wies Klage ab
Das LG hatte die Klage abgewiesen, denn die Ehefrau des Klägers sei bei Abschluss der Versicherung aufgrund der Schürfwunde bereits am Knöchel erkrankt gewesen. Zwar sei – so das LG – auch eine unerwartete Verschlechterung grundsätzlich versichert. Allerdings sei die Ehefrau des Klägers hier vor Abschluss des Versicherungsvertrags bereits am Knöchel behandelt worden, weshalb aufgrund der Vertragsbedingungen kein Anspruch bestehe.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG hat über die Frage der Behandlung der Ehefrau des Klägers am Knöchel vor Vertragsschluss die behandelnden Ärzte als Zeugen vernommen und die Versicherung dann zur Übernahme der Stornokosten verurteilt.
Es hat die Kenntnis der Ehefrau des Klägers vom Vorliegen einer Erkrankung bei Vertragsschluss abgelehnt. Bei einem Ulkus, das heißt einem – erst durch einen Infekt ausgelösten – Substanzdefekt der Haut, handele es sich objektiv um ein ganz anderes Erkrankungsbild als bei einer „bloßen“ sturzbedingten Schürfwunde. Dass der Ulkus ohne diese Wunde nicht entstanden wäre, ändert nichts daran, dass es zu seiner Entstehung erst einer Infizierung der Wunde bedurft habe. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hätten noch keine Anzeichen für eine solche Infizierung vorgelegen.
Argumente der Versicherung ohne Erfolg
Ohne Erfolg habe die Versicherung eingewendet, dass die einzelnen Erkrankungsfolgen aus dem Sturz der Ehefrau einheitlich betrachtet werden müssten, weil es sich bei dem Sturz um einen Schadensfall handele. Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers knüpfen die Vertragsbedingungen die Ersatzpflicht der Versicherung nicht an den Schadensfall, sondern den Eintritt einer unerwartet schweren Erkrankung. Selbst, wenn man in der Wunde am Bein nach dem Sturz und dem später aufgetretenen Ulkus die gleiche Erkrankung sehen wollte, die sich lediglich unerwartet verschlechtert habe, sei hier ein Anspruch gegeben. Denn die Vernehmung der behandelnden Ärzte habe nicht ergeben, dass die Wunde in den letzten sechs Monaten vor Versicherungsabschluss behandelt worden sei.
Quelle | Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 18.3.2024, 16 U 74/23, PM 1/24
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg hat mit zwei Urteilen die Berufungen der Kläger in zwei Verfahren gegen Straßenreinigungsgebührenbescheide der Hansestadt Lüneburg für das Jahr 2018 zurückgewiesen. |
Die Hansestadt Lüneburg erhob bis Ende 2017 Straßenreinigungsgebühren nach dem sog. Frontmetermaßstab. Mit Wirkung zum 1.1.2018 stellte sie den Maßstab um und erhebt seitdem die Gebühren gemäß ihrer Straßenreinigungsgebührensatzung nach dem sog. Quadratwurzelmaßstab. Bei diesem wird aus der Grundstücksfläche die Quadratwurzel gezogen. Damit wird gedanklich ein quadratisches Grundstück gebildet, von dem die Länge einer Seite der Gebührenberechnung zugrunde gelegt wird.
Das OVG hat entschieden, dass der Quadratwurzelmaßstab ein rechtmäßiger Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die Bemessung der Straßenreinigungsgebühren ist. Der vormals von der Hansestadt Lüneburg angewandte Frontmetermaßstab sei gegenüber dem Quadratwurzelmaßstab nicht vorrangig anzuwenden.
Darüber hinaus hat das OVG auch die Bestimmungen in der Straßenreinigungsgebührensatzung über die Heranziehung von mehrfach anliegenden Grundstücken und von Hinterliegergrundstücken als rechtmäßig erachtet. Diese verstießen weder gegen den Bestimmtheitsgrundsatz oder den Gleichheitssatz noch gegen den Grundsatz der Vollständigkeit.
Quelle | OVG Lüneburg, Urteile vom 24.4.2024, 9 LC 117/20 und 9 LC 138/20, PM vom 25.4.2024
| Im Streit um Ansprüche auf Rückerstattung aus einem Reisevertrag wies das Amtsgericht (AG) München eine Klage auf Zahlung von rund 4.000 Euro ab. |
Reise online storniert
Der Kläger hatte bei der Beklagten zum Preis von über 4.500 Euro eine neuntägige Reise für sich und seine Ehefrau im Juni 2023 nach Portugal gebucht. Im Anschluss stornierte der Kläger im Internet auf der Website der Beklagten die Reise. Die Beklagte buchte sodann vom Konto des Klägers Stornierungsgebühren in Höhe von rund 4.000 Euro ab. Der Kläger leitete daraufhin am selben Tag eine E-Mail an die Beklagte weiter, um die Stornierung rückgängig zu machen.
Der Kläger behauptete, er habe erst nach Buchung der Reise erfahren, dass neben dem Hotel eine Baustelle liege. Er habe sich zudem im Internet lediglich über eine Umbuchung informieren wollen und habe unbeabsichtigt wegen der Unübersichtlichkeit der Homepage die Reise storniert. Er habe deswegen die abgegebene Willenserklärung zur Stornierung angefochten.
Die Beklagte trug vor, der Kläger habe keine genauen Angaben über die besagte Baustelle getroffen. Im Übrigen sei die Buchung wirksam storniert worden. Für die endgültige Stornierung seien mehrere einzelne Schritte erforderlich gewesen. Eine unbeabsichtigte Kündigung sei im System unmöglich. Dem Reiseveranstalter sei durch den Rücktritt des Kunden hingegen ein Schaden entstanden.
So sieht es das Gericht
Das AG wies die Klage ab und begründete dies wie folgt: Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde vom Kläger wirksam storniert. Eine wirksame Anfechtung der Stornierung aufgrund eines Irrtums in der Erklärungshandlung ist nicht gegeben.
Ein Irrtum im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 119 BGB) ist das unbewusste Auseinanderfallen von Willen und Erklärung. Es liegt (nach § 119 Abs. 1 2. Fall BGB) zudem ein Irrtum in der Erklärungshandlung vor, wenn schon der äußere Erklärungstatbestand nicht dem Willen des Erklärenden entspricht. Dies ist beispielsweise beim Versprechen, Verschreiben oder Vergreifen der Fall. Zwar gab der Kläger an, die Website der Beklagten sei für ihn unübersichtlich gewesen, da diverse Klicks erforderlich gewesen seien.
Fünfmaliges Verklicken unwahrscheinlich
Es kann grundsätzlich nach der allgemeinen Lebenserfahrung sein, dass man versehentlich einmalig etwas anklickt, was dem eigentlichen Willen nicht entspricht. Es erscheint jedoch lebensfremd, dass bei der Durchführung eines Vorgangs – wie hier der Buchungsstornierung – mit insgesamt fünf verschiedenen Schritten jedes Mal ein „Verklicken“, und damit ein Irrtum in der Erklärungshandlung vorgelegen haben soll.
Aus der vom Reiseveranstalter vorgelegten Anlage ergibt sich insoweit, dass der Reisende für eine endgültige Stornierung der Reise erst mehrere einzelne Schritte durchführen musste: Zur Auslösung des endgültigen Stornierungsvorgangs musste der Kläger insgesamt viermal aktiv per Mausklick bestätigen, dass er eine Stornierung wünsche.
Dabei musste er bei Schritt 1 zunächst angeben, aus welchem Grund er seine Reise stornieren wollte. Im Anschluss bei Schritt 2 musste der Kläger angeben, was genau er stornieren wollte. Bei dem darauffolgenden Schritt 3 wurde der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass beim Auswählen „Buchung stornieren“, die Stornierung durchgeführt, und im Namen des Reisenden eine Rückerstattung beantragt werde. Erst durch Anklicken dieses Feldes gelangte der Kläger zum letzten und 4. Schritt, wo nochmals um Bestätigung gebeten wurde, dass tatsächlich mit der Stornierung fortzufahren sei. […]
Wirksame Stornierung und keine Umbuchung
Dass das Anklicken versehentlich geschah, und nicht dem Willen des Reisenden entsprach, war für das AG nicht nachvollziehbar. Ein Irrtum in der Erklärungshandlung durch Vertippen sah das AG nicht gegeben. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass dem Reisenden bewusst gewesen sein muss, dass er bei Durchführung des gesamten Buchungsvorgangs eine endgültige Stornierung vornahm – und nicht bloß, wie von ihm vorgegeben – eine Umbuchung. Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde somit wirksam storniert.
Verlust von 4.000 Euro
Die Beklagte war zudem berechtigt, aufgrund des Rücktritts vom Vertrag durch den Kläger vor Reisebeginn einen Betrag in Höhe von rund 4.000 Euro als angemessene Entschädigung zu verlangen.
Das AG hob hervor: Die pauschale Behauptung des Reisenden, es habe neben dem Hotel eine Baustelle gegeben, führt nicht zu einer vertraglichen Pflicht des Reiseveranstalters, alternative Lösungen anbieten zu müssen.
Quelle | AG München, Urteil vom 18.4.2024, 275 C 20050/23, PM 15/24
| Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Einer Mieterin von Wohnraum darf fristlos gekündigt werden, wenn diese – gleich zweimal – die Vermieterin mit Wasser überschüttet. |
Die Vermieterin hatte die Mieterin auf Räumung der Wohnung verklagt, weil diese sie zwei Mal mit Wasser übergossen habe. Unstreitig zwischen den Parteien war zwar, dass die Mieterin jeweils einen Eimer Wasser aus dem Fenster in den Hof gegossen hatte, als sich die Vermieterin in diesem befand. Die Mieterin hatte allerdings bestritten, die Vermieterin getroffen zu haben oder überhaupt treffen zu wollen.
Das AG sah die Kündigung als wirksam an. Denn der vernommene Zeuge bestätigte, dass die Vermieterin beide Male tatsächlich mit dem Wasser aus dem Eimer vollständig übergossen wurde. Diese sei, so der Zeuge,„klitschnass“ gewesen, wie bei einer „Ice-Bucket-Challenge“. Das rechtfertige eine fristlose Kündigung wegen Störung des Hausfriedens, so das AG. Selbst, wenn die Mieterin keine direkte Absicht gehabt habe, die Vermieterin zu treffen, habe sie dies angesichts der Situation jedoch zumindest billigend in Kauf genommen. Denn ihr Ziel lag schon nach dem eigenen Vortrag darin, die Vermieterin davon abzuhalten, ihr Fahrrad umzustellen. Es habe auch keiner vorherigen Abmahnung bedurft, zumal die Mieterin, wie sich aus der Beweisaufnahme ergab, bereits weitere derartige Aktionen angekündigt habe.
Quelle | AG Hanau, Beschluss vom 19.2.2024, 34 C 92/23, PM vom 3.5.2024
| Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) hat sich mit dem Einwand der Testierunfähigkeit eines an Depressionen und Alkoholsucht leidenden Erblassers zu befassen, der sich das Leben nahm. |
Erblasser litt an Persönlichkeitsstörung
Der Erblasser litt an einer psychiatrisch relevanten Persönlichkeitsstörung in Form einer affektiven Störung mit sowohl depressiven als auch manischen Phasen (bipolare Störung) sowie einem Alkoholproblem. Mit eigenhändigem Testament verfügte er, dass seine Ziehtochter seinen gesamten Besitz erben solle. In zwei Abschiedsbriefen begründete er seine Entscheidung zu dem Suizid und tat im Übrigen kund, dass er alle Erbschaftsangelegenheiten regeln wolle.
Die Ziehtochter beantragte einen Erbschein, der ihre Stellung als Alleinerbin ausweisen sollte. Diesem Antrag trat die Schwester des Erblassers mit der Begründung entgegen, der Erblasser sei aufgrund seiner psychischen Erkrankungen testierunfähig gewesen. Nach Einholen eines Sachverständigengutachtens zum Einwand der Testierunfähigkeit hat das Nachlassgericht einen Feststellungsbeschluss erlassen. Gegen diese Entscheidung wandte sich die Schwester mit der Beschwerde, der das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt hat.
So entschied das Oberlandesgericht
Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Es hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Eine Testierunfähigkeit habe das Sachverständigengutachten nicht bestätigen können. Zwar habe der Erblasser an den genannten Erkrankungen und an weiteren körperlichen Einschränkungen gelitten, die die Sachverständigen bestätigten. Diese genannten Gründe allerdings ließen für sich allein keinen zwingenden Schluss auf das Vorliegen der Testierunfähigkeit zu.
Nur dann, wenn die gesundheitlichen Einschränkungen eine Geisteskrankheit oder erhebliche Geistesschwäche verursachen, die die freie Willensbestimmung ausschlössen oder zu einer solch starken Bewusstseinsstörung führten, liege auch eine Testierunfähigkeit vor. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
Quelle | Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 19.3.2024, 3 W28/24
| Ein (fördermittelschädlicher) vorzeitiger Maßnahmenbeginn liegt vor, wenn die einschlägige Förderrichtlinie eine klare Linie bei der Leistungsphase 6 zieht und der Mittelempfänger darüber informiert wurde, dass er eingeschaltete Planer vor Erhalt der Förderzusage nur mit Planungs- und Vorbereitungsleistungen bis einschließlich Leistungsphase 6 beauftragen soll. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Magdeburg entschieden. |
Bauherr verlor Förderung
Das Urteil war für den Bauherrn besonders „bitter“. Denn er verlor die gesamte Förderung in Höhe von 240.000 Euro, weil er den Planer entgegen den Förderbestimmungen schon mit kleinen Leistungen der Leistungsphase 7 beauftragt hatte.
Bauherren informieren!
Konsequenz aus dem Urteil ist u. a.: Planer sollten Bauherren stets darüber informieren, wie streng Fördermittelgeber darauf achten, dass Förderbestimmungen eingehalten werden.
Quelle | VG Magdeburg, Urteil vom 25.3.2024, 3 A 155/21
| Regelt der Auftraggeber in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) Erschwernisse, um von ihm eine Bauhandwerkersicherungshypothek zu verlangen, ist dies unwirksam. So sieht es das Landgericht (LG) Berlin. |
Anspruch nur beiVerzug?
Der Auftraggeber hatte einen Planer für Technische Gebäudeausrüstung mit Leistungen über knapp 4,7 Mio. Euro beauftragt. In seinen AGB hieß es u. a.: „Einen Anspruch aus § 650 e BGB kann der Auftragnehmer nur geltend machen, wenn sich der Auftraggeber in Verzug befindet und die angemahnte Zahlung trotz Nachfristsetzung innerhalb von zwei Wochen nicht fristgemäß leistet. Die Geltendmachung des Anspruchs aus § 650 e BGB setzt ferner voraus, dass der Auftragnehmer bei Nachfristsetzung oder danach dies mit einer Frist von drei Wochen angekündigt hat.“
Nachdem mehrere Rechnungen nicht bezahlt worden waren, verlangte der Planer erst eine Sicherheit nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 650 f BGB, Bauhandwerkersicherung). Die brachte der Auftraggeber nicht bei. Daher beantragte der Planer ohne erneute Fristsetzung im Wege der einstweiligen Verfügung die Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch zur Sicherung des Anspruchs nach § 650 e BGB (Sicherungshypothek an dem Baugrundstück) i. H. v. ca. 340.000 Euro. Der Auftraggeber berief sich auf seine o. g. AGB-Klausel und wollte nicht leisten.
Landgericht gab Planer Recht
Die Klausel im Vertrag war unwirksam, denn sie benachteiligte den Planer als Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Sie war mit den wesentlichen Grundgedanken des § 650 e BGB nicht vereinbar.
Der Anspruch auf Vormerkung einer Sicherungshypothek soll den vorleistungspflichtigen Unternehmer schützen und gewährt ihm hierzu einen im Eilverfahren zügig durchsetzbaren Anspruch. Diesen Grundgedanken stehen die mit den AGB aufgestellten Anforderungen, Verzug nach Fristsetzung und weitere Ankündigungsfrist, entgegen. Vor allem könnte der Auftraggeber ansonsten versuchen, bis zum Abschluss eines zuvor angekündigten einstweiligen Verfügungsverfahrens einen Eigentumswechsel herbeizuführen. Das könnte den Anspruch des Unternehmens vereiteln.
Quelle | LG Berlin, Urteil vom 6.7.2023, 19 O 101/23
| Wer mit Verbrauchern einen Architektenvertrag schließt, muss zum einen vermeiden, dass diese ihr Widerrufsrecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 312 b BGB) ausüben. Zum anderen ist die neue Belehrungspflicht der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (hier: § 7 Abs. 2 HOAI 2021) zu beachten. Sonst kann der Architekt maximal das Honorar nach den Basishonorarsätzen der HOAI abrechnen. Dies gilt, selbst wenn die Parteien etwas anderes vereinbart haben. Das entschied das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Das sagt die HOAI zur Form und zum Fehlen einer Vereinbarung
§ 7 HOAI sagt, dass sich das (Architekten-)Honorar nach der Vereinbarung richtet, die die Vertragsparteien in Textform treffen. Sofern keine Vereinbarung über die Höhe des Honorars in Textform getroffen wurde, gilt für Grundleistungen der jeweilige Basishonorarsatz als vereinbart.
Das sagt die HOAI zur Aufklärungspflicht des Architekten
Außerdem schreibt die Norm vor, dass der Auftragnehmer, also der Architekt, den Auftraggeber, falls dieser Verbraucher ist, vor Abgabe von dessen verbindlicher Vertragserklärung zur Honorarvereinbarung in Textform darauf hinweisen muss, dass ein höheres oder niedrigeres Honorar als die in den Honorartafeln dieser Verordnung enthaltenen Werte vereinbart werden kann. Folge: Ohne diese (rechtzeitige) Belehrung gilt für die zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Grundleistungen anstelle eines höheren Honorars ein Honorar in Höhe des jeweiligen Basishonorarsatzes als vereinbart.
Diese Konsequenzen zog das Oberlandesgericht
Im Fall des OLG gab es diese Aufklärung nicht. Das OLG: Die Aufklärungspflicht gilt auch, wenn ein Zeit- oder Pauschalhonorar vereinbart worden ist. Ohne Belehrung kann der Planer nur den Basishonorarsatz abrechnen.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 8.4.2024, 11 U 215/22
| Widerruft ein Arbeitgeber im Öffentlichen Dienst seine Einstellungszusage aufgrund eines ärztlichen Attests, ist dies keine Diskriminierung aufgrund einer Schwerbehinderung. So entschied es das Arbeitsgericht (ArbG) Siegburg. |
Einstellungszusage widerrufen
Der an Diabetes erkrankte, schwerbehinderte Kläger bewarb sich unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung im Januar 2023 auf eine von der beklagten Stadt ausgeschriebene Ausbildungsstelle als Straßenwärter. Er erhielt eine Einstellungszusage vorbehaltlich einer noch durchzuführenden ärztlichen Untersuchung. Der Arzt kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger wegen seiner Diabetes-Erkrankung nicht für die vorgesehene Ausbildungsstelle geeignet sei. Die Einstellungszusage wurde daraufhin zurückgenommen. Der Kläger erhob Klage auf Entschädigung wegen einer aus seiner Sicht erfolgten Diskriminierung als schwerbehinderter Mensch.
Kein Verstoß gegen geltendes Recht
Das ArbG wies die Klage ab. Eine diskriminierende Handlung und ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) seien nicht erkennbar.
Der Kläger sei von der Beklagten wegen seiner Behinderung nicht schlechter behandelt worden als vergleichbare nichtbehinderte Bewerber. Die Stadt habe bei der Entscheidung, den Kläger nicht einzustellen, nicht auf seine Behinderung abgestellt. Vielmehr habe man den Kläger ungeachtet seiner Behinderung gerade einstellen wollen und ihm demgemäß eine Einstellungszusage erteilt, diese jedoch vom Ergebnis einer gesundheitlichen Eignungsuntersuchung bzw. seiner Eignung abhängig gemacht.
Diese gesundheitliche Eignung sei dann von dem von ihr beauftragten Arzt verneint worden. Daraufhin habe die Beklagte unter Berufung auf den zum Ausdruck gekommenen Vorbehalt ihre Einstellungszusage zurückgezogen.
Quelle | ArbG Siegburg, Urteil vom 20.3.2024, 3 Ca 1654/23, PM 1/24
| In einem Fall vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Düsseldorf ging es im Wesentlichen um angeblich unangemessene Äußerungen des Arbeitnehmers gegenüber Kollegen über Mitarbeitern. Die daraufhin vom Arbeitgeber ausgesprochene Abmahnung hatte keinen Bestand, weil sie zu unbestimmt war. |
Das war geschehen
Der Arbeitnehmer hatte die Äußerungen bestritten. Auf seine Frage im Personalgespräch, weshalb keine Namen derjenigen Arbeitnehmer genannt würden, die die Vorwürfe an die Personalbetreuung herangetragen hätten, äußerte die Personalreferentin, dass die Arbeitnehmer eingeschüchtert seien und sich lediglich vertraulich an die Vorgesetzten sowie die Personalbetreuung gewandt hätten. Auch in der Abmahnung selbst erfolgte keine namentliche Nennung.
So sah es das Arbeitsgericht
Das ArbG stellte klar: Dieser Vorgang reicht nicht für eine Abmahnung. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Arbeitnehmer sich tatsächlich in der ihm vorgeworfenen Art und Weise verhalten habe. Die Abmahnung sei inhaltlich zu unbestimmt. Die „anderen Mitarbeiter“, gegenüber denen er die Äußerungen getätigt haben soll, würden in der Abmahnung nicht benannt, obwohl sie dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Abmahnung unstreitig bekannt gewesen seien. Da sich die Anforderungen an die Konkretisierung der in der Abmahnung enthaltenen Rüge an dem orientierten, was der Arbeitgeber wissen könne, sei die Abmahnung nicht hinreichend konkret.
Für den Arbeitnehmer als Adressat der Abmahnung diene die konkrete Nennung der Namen der Zeugen auch dazu, zu überprüfen, ob die Abmahnung inhaltlich richtig sei oder nicht; pauschale Vorwürfe ohne die Nennung der Zeugen würden diese Anforderung nicht erfüllen. Der Arbeitgeber sei auch nicht berechtigt, zum Schutz der Zeugen die Namen in der Abmahnung nicht zu nennen. Hierdurch könne zwar ein Konflikt zwischen dem Arbeitnehmer und den Zeugen im Hinblick auf den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe entstehen. Einen solchen Konflikt müsse ein Arbeitgeber, der den Aussagen der Zeugen im Hinblick auf ein angebliches Fehlverhalten eines Arbeitnehmers vertraue, allerdings hinnehmen. Es sei auch nicht ersichtlich, welche konkrete Gefahr den Zeugen durch ihre Nennung in der Abmahnung drohe.
Quelle | ArbG Düsseldorf, Urteil vom 12.1.2024, 7 Ca 1347/23
| Eine SARS-CoV-2-Infektion stellt auch bei einem symptomlosen Verlauf eine Krankheit nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (hier: § 3 Abs. 1 EFZG) dar, die zur Arbeitsunfähigkeit führt. Voraussetzung: Es muss dem Arbeitnehmer infolge einer behördlichen Absonderungsanordnung rechtlich unmöglich sein, die geschuldete Tätigkeit beim Arbeitgeber zu erbringen und eine Erbringung in der häuslichen Umgebung nicht in Betracht kommen. So hat es das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. |
Abzug vom Verdienst nach Covid-Erkrankung
Der Kläger ist als Produktionsmitarbeiter bei der Arbeitgeberin beschäftigt, einem Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie. Er hatte sich keiner Schutzimpfung gegen das Coronavirus unterzogen und wurde am 26.12.2021 positiv auf das Virus getestet. Für die Zeit vom 27. bis zum 31.12.2021 wurde dem unter Husten, Schnupfen und Kopfschmerzen leidenden Kläger eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ausgestellt. Für diese Zeit leistete die Arbeitgeberin Entgeltfortzahlung. Am 29.12.2021 erließ die Gemeinde N. eine Verfügung, nach der für den Kläger bis zum 12.1.2022 Isolierung (Quarantäne) in häuslicher Umgebung angeordnet wurde. Für die Zeit vom 3. bis zum 12.1.2022 lehnte der Arzt die Ausstellung einer Folge-AU mit der Begründung ab, das positive Testergebnis und die Absonderungsanordnung würden zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit ausreichen. Mit der Verdienstabrechnung für Januar 2022 nahm die Arbeitgeberin für diese Zeit vom Lohn des Klägers einen Abzug in Höhe von ca. 1.000 Euro brutto vor. Mit seiner Klage hat der Arbeitnehmer Zahlung dieses Betrags verlangt. Das Arbeitsgericht (ArbG) hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat auf die Berufung des Arbeitnehmers das Urteil des ArbG geändert und die Arbeitgeberin verurteilt, zu zahlen.
Bundesarbeitsgericht gab Arbeitnehmer Recht
Die Revision der Arbeitgeberin blieb vor dem BAG ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert war, ohne dass es darauf ankam, ob bei ihm durchgehend Symptome von COVID-19 vorlagen. Die SARS-CoV-2-Infektion stellt einen regelwidrigen Körperzustand und damit eine Krankheit dar, die zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat.
Die Absonderungsanordnung ist keine eigenständige, parallele Ursache für Arbeitsunfähigkeit, vielmehr beruht das daraus resultierende Tätigkeitsverbot gerade auf der Infektion (Monokausalität). Diese ist die nicht hinwegzudenkende Ursache für die nachfolgende Absonderungsanordnung. Aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion war es dem Kläger rechtlich nicht möglich, die geschuldete Arbeitsleistung im Betrieb der Beklagten zu erbringen.
Es konnte auch nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden, dass das Unterlassen der empfohlenen Corona-Schutzimpfung für die SARS-CoV-2-Infektion ursächlich war. Das Berufungsgericht hat hierbei zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt, dass die Nichtvornahme der Schutzimpfungen einen groben Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen zu erwartende Verhalten darstellte. Jedoch ließen die wöchentlichen Lageberichte des RKI und dessen Einschätzung der Impfeffektivität nicht den Schluss zu, dass Ende Dezember 2021 bzw. Anfang Januar 2022 die beim Kläger aufgetretene Corona-Infektion durch die Inanspruchnahme der Schutzimpfung hätte verhindert werden können.
Der Arbeitgeberin stand ein Leistungsverweigerungsrecht wegen nicht vorgelegter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht zu. Das LAG hatte richtig erkannt, dass der Kläger der Beklagten durch Vorlage der Ordnungsverfügung der Gemeinde N. in anderer, geeigneter Weise nachgewiesen hat, infolge seiner Corona-Infektion objektiv an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert zu sein.
Quelle | BAG, Urteil vom 20.3.2024, 5 AZ R 234/23, PM 8/24
| Eine Bank kann nicht unter Berufung auf das Bankgeheimnis die Vorlage von Original-Urkunden verweigern, wenn im Einzelfall das Interesse des Beweisführers an ihrer Vorlage höher zu gewichten ist. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Bank wollte Originalurkunden nicht herausgeben
Ein Mann hatte geltend gemacht, seine – inzwischen getrenntlebende und in Scheidung befindliche – Ehefrau habe auf einer Bürgschaftsurkunde und einer Eigentümererklärung unberechtigt seine Unterschriften angebracht. Er hat beantragt, ein Schriftsachverständigengutachten einzuholen. Das Kreditinstitut – eine Bausparkasse – hat die Herausgabe der zur Begutachtung erforderlichen Originalurkunden unter Bezugnahme auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht verweigert. Das machte der BGH nicht mit.
Hier gilt ein Zeugnisverweigerungsrecht
Personen, denen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, sind zur Verweigerung des Zeugnisses der Tatsachen berechtigt, auf die sich die Verpflichtung zur Verschwiegenheit bezieht. Dies gilt dann auch für hierauf bezogene Urkunden. Im Fall des BGH hatten die Interessen des Mannes jedoch Vorrang.
Quelle | BGH, Beschluss vom 29.11.2023, XII ZB 141/22
| Unternehmen müssen den Inhalt der Bilanz und der Gewinn-und Verlustrechnung grundsätzlich nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung übermitteln. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nun das aktualisierte Datenschema der Taxonomien (Version 6.8) als amtlich vorgeschriebenen Datensatz veröffentlicht. Die aktualisierten Taxonomien stehen unter www.esteuer.de zur Ansicht und zum Abruf bereit. |
Beachten Sie | Die neuen Taxonomien sind grundsätzlich für die Bilanzen der Wirtschaftsjahre zu verwenden, die nach dem 31.12.2024 beginnen (Wirtschaftsjahr 2025 oder 2025/2026). Es wird aber nicht beanstandet, wenn diese auch für das Wirtschaftsjahr 2024 oder 2024/2025 verwendet werden.
Die Übermittlungsmöglichkeit mit diesen neuen Taxonomien wird für Testfälle voraussichtlich ab November 2024 gegeben sein, für Echtfälle ab Mai 2025.
Quelle | BMF-Schreiben vom 27.5.2024, IV C 6 - S 2133-b/24/10001 :002
| Nach den statistischen Aufzeichnungen der obersten Finanzbehörden der Länder haben die im Jahr 2023 durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfungen bei der Umsatzsteuer zu einem Mehrergebnis von rund 1,52 Mrd. Euro geführt. Die Ergebnisse aus der Teilnahme von Umsatzsteuer-Sonderprüfern an allgemeinen Betriebsprüfungen oder an den Prüfungen der Steuerfahndung sind in diesem Mehrergebnis nicht enthalten. |
Umsatzsteuer-Sonderprüfungen werden unabhängig vom Turnus der allgemeinen Betriebsprüfung und ohne Unterscheidung der Größe der Betriebe vorgenommen. Im Jahr 2023 wurden 63.282 Umsatzsteuer-Sonderprüfungen durchgeführt. Im Jahresdurchschnitt waren 1.604 Umsatzsteuer-Sonderprüfer eingesetzt. Jeder Prüfer führte im Durchschnitt 39 Sonderprüfungen durch. Dies bedeutet für jeden eingesetzten Prüfer ein durchschnittliches Mehrergebnis von rund 0,94 Mio. Euro.
Quelle | BMF, Mitteilung vom 25.4.2024
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Er möchte wissen, ob das gesetzliche Aufteilungsgebot für Beherbergungsleistungen rechtmäßig ist. Danach unterliegt die Übernachtungsleistung dem ermäßigten Umsatzsteuersatz i. H. von 7 %. Für Nebenleistungen, die nicht unmittelbar der Beherbergung dienen, gilt dagegen der Regelsteuersatz (19 %). In den drei Streitfällen ging es um Parkplatzgestellungen, Frühstücksleistungen, die Gestellung von Fitness- und Wellnesseinrichtungen sowie von W-LAN. |
Für die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, greift die Umsatzsteuerermäßigung auf 7 %.
Beachten Sie | Dies gilt nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 12 Abs. 2 Nr. 11 S. 2 UStG) aber nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind.
Bisher war der BFH der Ansicht, dass das Aufteilungsgebot in Einklang mit dem Unionsrecht steht und dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung vorgeht, wonach eine (unselbstständige) Nebenleistung das Schicksal der Hauptleistung teilt.
Ganz so sicher ist sich der BFH aber infolge der jüngeren Rechtsprechung des EuGH nicht mehr. Deshalb hat er nun beim EuGH angefragt. Es ist zu hoffen, dass sich der EuGH zeitnah und eindeutig äußern wird, damit zu dieser Frage (endlich) Rechtssicherheit besteht.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 10.1.2024, XI R 11/23 (XI R 34/20), XI R 13/23 (XI R 7/21), XI R 14/23 (XI R 22/21)
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat erstmals zu den Voraussetzungen und der Reichweite des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs entschieden. |
Hintergrund: Die Datenschutz-Grundverordnung gewährt (in Art. 15 Abs. 1 DS-GVO) einen Anspruch auf Auskunft, welche personenbezogenen Daten über einen Steuerpflichtigen verarbeitet werden.
Finanzamt und Finanzgericht lehnten Auskunftsersuchen ab
Im Streitfall verlangte ein Steuerpflichtiger gegenüber dem Finanzamt die Zurverfügungstellung (elektronischer) Kopien von Verwaltungsakten mit den ihn betreffenden personenbezogenen Daten, was sowohl das Finanzamt als auch das Finanzgericht (FG) ablehnten.
Bundesfinanzhof widersprach
Der BFH hat nun entschieden, dass ein Steuerpflichtiger vom Finanzamt grundsätzlich Auskunft über die ihn betreffenden personenbezogenen Daten verlangen kann – und zwar ungeachtet der Art der Aktenführung, der Art der Dokumente oder der Form der Datenverarbeitung durch die Finanzverwaltung.
Auskunftsanspruch unabhängig von Art der Steuer
Der Auskunftsanspruch ist auch nicht davon abhängig, für welche Steuerart die Datenverarbeitung erfolgt. Grundsätzlich ist der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch darauf beschränkt, dass der Steuerpflichtige darüber informiert wird, welche ihn betreffenden personenbezogenen Daten verarbeitet werden.
Der Auskunftsanspruch gewährt grundsätzlich aber kein Recht auf die (elektronische) Zurverfügungstellung von Kopien von ganzen Akten bzw. einzelnen Dokumenten mit personenbezogenen Daten. Nur ausnahmsweise, wenn der Steuerpflichtige diese zwingend benötigt, um seine Rechte nach der DS-GVO durchsetzen zu können, sind ihm auch Kopien von Dokumenten mit seinen personenbezogenen Daten (elektronisch) zur Verfügung zu stellen.
Grenzen: unbegründete oder exzessive Auskunftsersuchen
Zu den Grenzen des Auskunftsanspruchs hat der BFH im Übrigen klargestellt, dass die Finanzverwaltung zwar einen gegen sie gerichteten Auskunftsanspruch nach der DS-GVO zurückweisen kann, falls dieser offenkundig unbegründet oder exzessiv ist. Hierfür muss sie jedoch die Umstände darlegen, die zu einer offenkundigen Unbegründetheit bzw. zu einem Exzess des Auskunftsersuchens führen. Dass der Steuerpflichtige mit seinem Auskunftsersuchen Ziele außerhalb der DS-GVO verfolgt, erlaubt der Finanzverwaltung nicht, die Auskunft über die verarbeiteten personenbezogenen Daten zu verweigern.
Quelle | BFH, Urteil vom 12.3.2024, IX R 35/21, PM Nr. 27/24 vom 20.6.2024
| Die Auszahlung einer Direktversicherung nach Ausübung eines vertraglich eingeräumten Kapitalwahlrechts unterliegt nicht dem ermäßigten Steuersatz. Gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Münster ist allerdings die Revision anhängig. |
Das war geschehen
Im Streitfall hatte die Steuerpflichtige mit ihrem damaligen Arbeitgeber die Umwandlung eines Teils ihres Gehalts in Beiträge zu einer Direktversicherung nach dem Betriebsrentengesetz vereinbart. Daraufhin schloss der Arbeitgeber für die Steuerpflichtige eine solche Versicherung mit einer Beitragszahlungsdauer von 14 Jahren ab. Es sollte eine lebenslange monatliche Rente gezahlt werden oder auf Antrag eine einmalige Kapitalabfindung erfolgen.
Im Streitjahr 2019 übte die Steuerpflichtige das Kapitalwahlrecht aus und erhielt ca. 44.500 Euro. Diesen Betrag behandelte das Finanzamt als steuerpflichtige Rente und besteuerte ihn mit dem regulären Steuersatz. Die hiergegen gerichtete Klage war erfolglos.
Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten können als außerordentliche Einkünfte in Betracht kommen, die ermäßigt zu besteuern sind (Fünftel-Regelung). Da es im Streitfall aber an dem Tatbestandsmerkmal der Außerordentlichkeit fehlte, kam keine ermäßigte Besteuerung in Betracht.
Höchstrichterliche Rechtsprechung
Im Hinblick auf die Kapitalauszahlung von Renten kam es nach der früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ausschließlich auf die vertragliche Vereinbarung an (keine ermäßigte Besteuerung, wenn das Kapitalwahlrecht schon in der ursprünglichen Versorgungsregelung enthalten war). In späteren Entscheidungen hat es der BFH jedoch vielmehr für maßgeblich gehalten, ob das Kapitalwahlrecht nur in atypischen Einzelfällen tatsächlich ausgeübt wird, wofür statistisches Material ausgewertet werden muss.
Bundesfinanzhof ist erneut gefragt
Vor diesem Hintergrund hat das FG Münster nun die Revision mit folgendem Wortlaut zugelassen: „Dem Bundesfinanzhof ist Gelegenheit zu geben, über die Ausschärfung der Kriterien zur Bestimmung der Atypik bei Kapitalauszahlungen von Renten erneut zu entscheiden, da er bei seinen bisherigen Entscheidungen (irrtümlich) davon ausgegangen ist, dass statistisches Material über die Häufigkeit der Ausübung von Kapitalwahlrechten verfügbar ist.“
Beachten Sie | Da die Steuerpflichtige die Revision eingelegt hat, können geeignete Fälle mit einem Einspruch bis zur Entscheidung des BFH offen gehalten werden.
Quelle | FG Münster, Urteil vom 24.10.2023, 1 K 1990/22 E, Rev. BFH: X R 25/23
| Bei Lohnsteuer-Außenprüfungen stoßen Prüfer immer häufiger auf Sachverhalte, in denen der Arbeitgeber im Rahmen einer Gehaltsumwandlung den Grundlohn abgesenkt und einen nach § 3 Nr. 30 und Nr. 50 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfreien Heimarbeiterzuschlag zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen (z. B. für Miete, Heizung und Beleuchtung der Arbeitsräume) bezahlt hat. Hier ist Vorsicht geboten: Denn in vielen Fällen sind die Voraussetzungen für den steuerfreien Heimarbeiterzuschlag nach dem Heimarbeitsgesetz (HAG) nicht erfüllt. |
Informationen zum Heimarbeiterzuschlag enthält vor allem die Lohnsteuerrichtlinie 9.13. Hier heißt es in Abs. 2: „Lohnzuschläge, die den Heimarbeitern zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen neben dem Grundlohn gezahlt werden, sind insgesamt aus Vereinfachungsgründen nach § 3 Nr. 30 und 50 EStG steuerfrei, soweit sie 10 % des Grundlohns nicht übersteigen.“
Beachten Sie | Die im Einkommensteuergesetz geregelte Steuerfreiheit gilt allerdings nur für Heimarbeiter i. S. des § 2 Abs. 1 HAG. Die steuerfreien Zuschläge können also nicht von Arbeitnehmern in Anspruch genommen werden, die ihre Tätigkeit seit der Coronapandemie (teilweise) im Homeoffice ausüben.
Quelle | R 9.13 Abs. 2 Lohnsteuerrichtlinien; § 2 Heimarbeitsgesetz
| Schuldet der Vermieter von Wohnraum zum vertragsgemäßen Gebrauch auch die Versorgung mit Wärme und warmem Wasser, stehen Kosten des Vermieters für eine neue Heizungsanlage jedenfalls dann im direkten und unmittelbaren Zusammenhang zur steuerfreien Vermietung, wenn es sich dabei nicht um Betriebskosten handelt, die der Mieter gesondert zu tragen hat. Die Quintessenz aus dieser Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH): Der Vermieter kann für die Heizungsanlage keinen Vorsteuerabzug beanspruchen. |
Hintergrund: Nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG) ist der Vorsteuerabzug für Lieferungen und sonstige Leistungen ausgeschlossen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet.
Das Finanzgericht (FG) Münster hatte den Streitfall noch anders beurteilt und auf getrennte Leistungen abgestellt, nämlich einerseits steuerfreie Vermietungsleistungen und andererseits steuerpflichtige Energielieferungen.
Der BFH lehnte den vom Vermieter begehrten Vorsteuerabzug aus dem Heizungsaustausch aber bereits deshalb ab, weil der Vermieter dort entsprechend den mietrechtlichen Rahmenbedingungen die Gestellung einer Wohnung zum bestimmungsgemäßen Gebrauch – d. h. einschließlich der Gestellung warmen Brauchwassers – schuldete und die diesbezüglichen Zahlungen nicht als dem Mieter gesondert berechenbare Betriebskosten i. S. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 556 BGB) anzusehen waren.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.12.2023, V R 15/21
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in zwei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu den Bewertungsregelungen des neuen Grundsteuer- und Bewertungsrechts entschieden. Danach müssen Steuerpflichtige unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit haben, einen unter dem festgestellten Grundsteuerwert liegenden Wert ihres Grundstücks nachzuweisen. Weil deswegen bereits Zweifel an der Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte bestanden, war nicht mehr zu prüfen, ob die neue Grundsteuer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln unterliegt. |
Steuerpflichtige vor Finanzgericht erfolgreich
In beiden Streitfällen hatten die Antragsteller beim Finanzgericht (FG) erfolgreich beantragt, die Grundsteuerwertfeststellungen für ihre Wohnimmobilien von der Vollziehung auszusetzen. Die Bescheide waren auf der Grundlage des neuen Bundesmodells ergangen, das in mehreren Bundesländern (z. B. in Nordrhein-Westfalen) Anwendung findet.
Danach wird die Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer, die ab 2025 von den Gemeinden erhoben wird, durch Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 1.1.2022 als einheitlichem Hauptfeststellungsstichtag ermittelt. Die für die Feststellung des Grundsteuerwerts maßgeblichen Vorschriften enthalten nicht zuletzt wegen der Neubewertung von über 36 Millionen wirtschaftlichen Einheiten zahlreiche Typisierungen und Pauschalierungen.
Bundesfinanzhof: Beschwerden des Finanzamts zurückgewiesen
Das FG hatte ernstliche Zweifel sowohl an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertbescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der Bewertungsvorschriften und gewährte deshalb die beantragte Aussetzung der Vollziehung. Die dagegen erhobenen Beschwerden des Finanzamts hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit in Bezug auf Grundsteuerwerte
Nach Ansicht des BFH bestehen bereits einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertfeststellungen in Bezug auf die Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte. Denn die Steuerpflichtigen müssen bei einer Verletzung des Übermaßverbots die Möglichkeit haben, einen niedrigeren Wert nachzuweisen – auch wenn der Gesetzgeber dies nicht ausdrücklich geregelt hat.
Übermaßverbot ist zu berücksichtigen
Der Gesetzgeber verfügt gerade in Massenverfahren über einen großen Typisierungs- und Pauschalierungsspielraum. Das Übermaßverbot kann aber verletzt sein, wenn sich der Grundsteuerwert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweist. Dies setzt nach der Rechtsprechung zu anderen typisierenden Bewertungsvorschriften voraus, dass der festgestellte Wert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 % oder mehr übersteigt – und dies war infolge der Besonderheiten in den Streitfällen nicht auszuschließen.
Beachten Sie | Eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des neuen Bewertungsrechts ist damit nicht verbunden. Es handelt sich bisher lediglich um Beschlüsse im Rahmen der summarischen Prüfung des Aussetzungsverfahrens.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 27.5.2024, II B 78/23 (AdV) und II B 79/23 (AdV); PM Nr. 26/24 vom 13.6.2024
| Ist ein Fahrzeug mehr als fünf Jahre alt, stuft das Amtsgericht (AG) Aue-Bad Schlema die Nutzungsausfallentschädigung um eine und bei mehr als zehn Jahren um zwei Gruppen ab. |
So rechnete das Amtsgericht
Wenn ein ca. 15 Jahre alter Kleinwagen mit ca. 194.000 km Laufleistung, der ohne Altersabstufung in die Gruppe B gehört, betroffen ist, wird jedoch nur eine Gruppe abgestuft. Denn tiefer geht es nicht. So gab es im vom AG entschiedenen Fall einen Tagessatz von 23 Euro.
Der Versicherer hatte nur minimale Vorhaltekosten erstattet. Das lehnt das Gericht ab. Denn das komme nur in Betracht, wenn ein Fahrzeug nicht nur alt, sondern in einem so schlechten Zustand ist, dass seine Nutzbarkeit deutlich eingeschränkt ist.
Entgangene Fortbewegungsmöglichkeit
Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass sich hinter den Vorhaltekosten letztlich kaum mehr als die Fixkosten wie Steuern, Versicherung etc. verbergen, es sich hierbei also um einen weitaus geringeren Betrag handelt. Mit zunehmendem Fahrzeugalter spiele letztlich nur die entgangene Fortbewegungs- und Transportmöglichkeit eine Rolle. Allein aufgrund des Alters des Fahrzeugs könne daher nicht ohne Weiteres von einer weiteren Einschränkung des Nutzungswerts bis zum Betrag von Vorhaltekosten ausgegangen werden.
Quelle | AG Aue-Bad Schlema, Urteil vom 28.2.2024, 3 C 241/23
| Ist ein durch eine Verbraucherzentrale geltend gemachter Unterlassungsanspruch begründet, wenn eine Firma die online erklärte Kündigung eines Kunden von einem Bestätigungstelefonat abhängig macht? Diese Frage hat das Landgericht (LG) Koblenz bejaht. |
Zusätzliches Telefonat nötig, damit Online-Kündigung wirksam wird?
Die Beklagte bietet, auch gegenüber Verbrauchern, den Abschluss von Dienstleistungsverträgen über Dauerschuldverhältnisse unter anderem zur Bereitstellung von Webspeicherplatz, E-Mail-Postfächern und Servern an.
Der Kläger, ein eingetragener Verein (Verbraucherzentrale), begehrt von der Beklagten, es zu unterlassen, dass sie auf eine online erklärte Kündigung gegenüber Verbrauchern behauptet, dass zur Wirksamkeit der Kündigung noch ein Telefonat erforderlich sei. Konkret hat ein Kunde seinen Vertrag bei der Beklagten per Internet gekündigt. Der Kunde hat daraufhin von der Beklagten die Mitteilung erhalten, er möge seine Kündigung binnen 14 Tagen telefonisch bestätigen, ansonsten bleibe das Vertragsverhältnis unverändert bestehen.
Verbraucherzentrale: Telefonat dient zum Umstimmen der Verbraucher
Der Kläger hat daraufhin die Beklagte abgemahnt und erfolglos zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert. Er behauptet, im Fall eines Anrufs nach der Kündigung werde seitens der Beklagten – mittels rhetorischer Kunstfertigkeit oder Anbieten anderer Vertragskonditionen – versucht, den Verbraucher zu überzeugen, von seinem Kündigungswillen Abstand zu nehmen. Der Kläger ist zudem der Ansicht, die Mitteilung der Beklagten gegenüber Verbrauchern, dass nach einer Kündigung eine Rückbestätigung erfolgen müsse, stelle eine unlautere geschäftliche Handlung dar. Sie enthalte unwahre Angaben über Rechte des Verbrauchers.
Der Kläger beantragte u. a., der Beklagten unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro zu untersagen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern diesen nach einer der Beklagten zugegangenen Kündigungserklärung eines Dienstleistungsvertrags in Form eines Dauerschuldverhältnisses zu behaupten, die telefonische Bestätigung der erklärten Kündigung sei erforderlich. Die Beklagte meint, ohne telefonische Rückbestätigung der Kündigung bestünde das Risiko, dass unberechtigte Dritte den Vertrag eines Kunden kündigen könnten. Es sei deshalb erforderlich, sich davon zu überzeugen, dass die Kündigung vom Erklärenden stammt. Dabei biete ein Telefonat ein Mehr an Sicherheit verglichen mit einem Bestätigungslink innerhalb einer E-Mail. Es finde keine Irreführung des Verbrauchers statt. Außerdem werde eine geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers nicht beeinflusst.
So sah es das Landgericht
Das LG hat der Klage antragsgemäß stattgegeben. Dem Kläger stehe ein Unterlassungsanspruch zu. Das Vorgehen der Beklagten, den Verbraucher aufzufordern, seine Kündigung innerhalb von 14 Tagen telefonisch zu bestätigen, stelle eine geschäftliche Handlung dar. Dazu gehörten auch Verhaltensweisen, die auf eine Fortsetzung der Geschäftsbeziehung oder das Verhindern einer Geschäftsbeendigung gerichtet sind. Diese geschäftliche Handlung der Beklagten sei unzulässig, da sie unlauter sei. Unlauter handele, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornehme, die geeignet sei, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
Bestätigungslink in E-Mail genügt
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch irreführend. Dies sei gegeben, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über Rechte des Verbrauchers enthalte. Erfasst seien auch irreführende Angaben über deren Inhalt, Umfang und Dauer sowie etwaige Voraussetzungen für die Geltendmachung bestimmter Rechte, zu denen auch das Kündigungsrecht zähle. Auch, wenn die Beklagte nach Auffassung des LG ein grundsätzliches Interesse an einer Authentifizierung haben könne, wäre eine solche vorrangig durch eine Bestätigung über den von dem Verbraucher gewählten Kommunikationskanal zu erreichen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb ein an den Verbraucher unter der von ihm hinterlegten E-Mail-Adresse gesendeter Bestätigungslink zur Identifizierung weniger geeignet wäre als ein Telefonat. Auch während eines Telefonats sei es der Beklagten nicht möglich, sich umfassende Gewissheit über die wahre Person ihres Gesprächspartners zu verschaffen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass es einem unbefugten Dritten, der sich Zugang zu der Kundennummer, der Vertragsnummer und dem E-Mail-Konto des wahren Vertragspartners verschafft hat, auch gelänge, in einem Telefonat über seine Identität zu täuschen.
Zusätzliche Entscheidung
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Die Beklagte stelle den Verbraucher nach Zugang seiner Kündigung vor die Wahl, seine Kündigung nicht telefonisch zu bestätigen, und in der Folge das Vertragsverhältnis fortzusetzen, oder innerhalb von 14 Tagen telefonisch Kontakt zu der Beklagten aufzunehmen. Es werde dadurch eine zusätzliche Entscheidung des Verbrauchers verlangt, ob er an der Ausübung seines Kündigungsrechts festhalten will. Ohne die irreführende Aufforderung der Beklagten würde der Verbraucher weder die eine noch die andere Entscheidung treffen. Die erforderliche Wiederholungsgefahr ergebe sich daraus, dass die Beklagte eingeräumt habe, dass die beanstandete Vorgehensweise der Beklagten deren übliche Vorgehensweise sei.
Quelle | LG Koblenz, Urteil vom 27.2.2024, 11 O 12/23
| Das Landgericht (LG) Oldenburg hat den von einer Frau geltend gemachten Anspruch auf Schadenersatz zurückgewiesen. Sie hatte sich an einem Becher Tee verbrüht. |
Warnhinweis auf dem Pappbecher
Die Frau hatte in einem Restaurant einen Tee in einem Einwegbecher gekauft. Auf dem Becher war der Warnhinweis angebracht: „VORSICHT HEISS“. Außerdem enthielt er ein Piktogramm mit einer Tasse mit Dampfschwaden. Der Becher war der Frau mit einem von Hand zu öffnenden Deckel übergeben worden. Er wurde ihr in einer Pappschale ausgehändigt. Wenige Minuten nach dem Kauf hob die Frau den Becher am Deckel aus der Schale. Da passierte es: Der Deckel löste sich. Der Tee ergoss sich auf ihre Oberschenkel. Die Frau erlitt Verbrennungen 1. und 2. Grades. Sie musste sich später einer teuren Behandlung unterziehen.
So sah es die Frau
Die Frau argumentierte vor dem LG, der Tee sei zu heiß gewesen. Folglich seien von ihm unnötige Gesundheitsgefahren ausgegangen. Zudem sei der Deckel nicht fest verschlossen gewesen. Mit diesen beiden Umständen habe sie nicht rechnen müssen.
So sah es das Landgericht
Das LG lehnte den geltend gemachten Schadenersatzanspruch ab. Es hob hervor: Dass frisch zubereiteter Tee heiß sei (zwischen 90 und 100 Grad), sei allgemein bekannt. Er müsse daher nicht in verzehrfertiger Temperatur übergeben werden. Die Frau sei zudem durch die o. g. Hinweise auf dem Becher ausdrücklich gewarnt worden. Vor einem eventuell losen Deckel habe die Restaurantbesitzerin ebenfalls nicht warnen müssen.
Quelle | LG Oldenburg, Urteil vom 15.3.2024, 16 O 2015/23
| Kosten für eine einem Hotel ähnliche Unterbringung im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung können auch die Aufwendungen für das Mieten eines Wohnmobils sein. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Haus unbewohnbar – Wohnmobil als Ersatz gemietet
Das Haus eines Versicherungsnehmers war unbewohnbar geworden. Er mietete sich daher für 260 Euro pro Tag ein Wohnmobil und verlangte den Betrag später vom Versicherer zurück. Dieser wollte die Kosten jedoch nicht übernehmen.
Wohnmobil mit Hotel vergleichbar
Das OLG Köln verurteilte den Versicherer schließlich, rund 86.000 Euro an Mietkosten zu übernehmen. Auch die Kosten für das Mieten des Wohnmobils seien Kosten einer einem Hotel ähnlichen Unterbringung i. S. d. Versicherungsbedingungen.
Für Versicherungsnehmer ist Wohnmobil eine dem Hotel ähnliche Unterkunft
Die Auslegung ergebe, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer auch die stationäre Unterbringung in einem Mietwohnwagen oder Mietwohnmobil als eine einer Hotelunterbringung ähnliche Unterkunft ansehen werde. Denn ebenso wie ein Hotel, eine Ferienwohnung, eine Pension oder Gaststätte mit „Fremdenzimmern“ zeichnet sich ein Wohnmobil bzw. ein Wohnwagen, der zeitweise vermietet wird, dadurch aus, dass wechselnde Gäste darin für eine befristete Zeit wohnen, sei es zu Arbeitsaufenthalten (bspw. Saisonarbeiter, Arbeiter auf Montage) oder zu touristischen Zwecken. Allein der Aspekt der Mobilität des Wohnmobils im Unterschied zur Hotelunterkunft – also der Umstand, dass ein Wohnwagen grundsätzlich mithilfe eines Pkw bzw. ein Wohnmobil aus eigener Motorkraft im Straßenverkehr zum Reisen benutzt und zu wechselnden Standorten bewegt werden kann – steht der Vergleichbarkeit zu einer Hotelunterbringung aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers nicht entgegen.
Motorisierung spielt keine Rolle
Das OLG sieht zwar, dass ein Wohnmobil gerade durch die Motorisierung deutlich teurer ist als ein Wohnwagen. Darauf kommt es im Rahmen der Erstattung der Unterbringungskosten aber nicht an.
Der Versicherungsnehmer muss keine dem Wohnungsstandard entsprechende Unterkunft finden. Er ist in der Wahl der Unterkunft grundsätzlich frei und darf sich dabei von persönlichen Bedürfnissen und privaten Befindlichkeiten leiten lassen. Bis zur Höhe der vertraglich vereinbarten Grenzen besteht der zugesagte Versicherungsschutz. Danach sind Kosten für das Mieten eines Wohnmobils als Kosten einer ähnlichen Unterbringung, wie Hotelkosten, grundsätzlich im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung (nach Abschnitt A. § 8 Nr. 1 c VHB 2014) erstattungsfähig.
Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger das Wohnmobil nicht als Wohnraumersatz, sondern etwa zu Reisezwecken angemietet haben, hat der Versicherer nicht konkret vorgetragen. Sie ergaben sich für das OLG auch nicht aus dem Akteninhalt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 5.12.2023, 9 U 46/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden: Der Versicherer muss die Kosten für die Versorgung mit Medizinal-Cannabis nicht tragen, wenn der Versicherungsnehmer an der Glasknochenkrankheit leidet. |
Konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft?
Der Versicherungsnehmer meinte, dass konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft seien. Es liege zumindest eine schwere Erkrankung mit wesentlichen Funktionseinschränkungen vor. Daher müsse der Versicherer die medizinisch notwendige Heilbehandlung durch Medizinal-Cannabis übernehmen.
Der Versicherer entgegnete: Bei akut auftretenden Schüben sei Cannabis wegen seiner „Behandlungsträgheit“ nicht geeignet. Das Landgericht (LG) war dem gefolgt und hatte in erster Instanz die Klage des Versicherungsnehmers abgewiesen.
Oberlandesgericht sieht es wie der Versicherer
Das OLG hat dies bestätigt. Der Versicherungsnehmer habe nach dem Versicherungsvertrag einen Leistungsanspruch, wenn es sich bei der Behandlung seiner Beschwerden um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung handelt, die entweder von der Schulmedizin überwiegend anerkannt ist oder es sich um eine Methode oder ein Arzneimittel handelt, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen. Diese Voraussetzungen lägen hier aber nicht vor.
Zwar leide der Versicherungsnehmer unter einem schweren, multilokulären generalisierten Schmerzsyndrom bei Glasknochenkrankheit und bei entsprechender Symptomatik komme die Erstattung von Medizinal-Cannabis grundsätzlich in Betracht. Wesentliche gelenkarthrotische Veränderungen seien jedoch ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens nicht feststellbar. Weitere Befunde, die den Vortrag zu seinen körperlichen Beschwerden – insbesondere der behaupteten Vielzahl von Brüchen – stützen könnten, habe der darlegungs- und beweisbelastete Versicherungsnehmer ebenfalls nicht vorgelegt.
Die Behandlung der beim Versicherungsnehmer feststellbaren Symptomatik mit Medizinal-Cannabis sei nach heutiger medizinischer Einschätzung und aktuellem Wissensstand nicht als von der Schulmedizin allgemein anerkannte Methode anzusehen. Auch sei sie keine Methode, die sich in der Praxis als ebenso Erfolg versprechend bewährt habe wie die Methoden und Arzneimittel der Schulmedizin. Der gerichtlich bestellte Sachverständige habe ausgeführt, mangels ausreichender Datenlage könne nicht festgestellt werden, dass die Therapie mit Medizinal-Cannabis eine entsprechende Linderung der im Zusammenhang mit der Glasknochenkrankheit stehenden Schmerzsymptomatik verspreche. Schließlich seien schulmedizinisch sowohl nichtmedikamentöse als auch verschiedene medikamentöse Behandlungen verfügbar. Der Versicherungsnehmer habe nicht nachgewiesen, dass diese Behandlungsmethoden bei ihm nicht wirksam seien oder gravierende Nebenwirkungen verursachten.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2023, I-13 U 222/22
| Der Vermieter ist verpflichtet, dem Mieter auf dessen Verlangen Einsicht in die Abrechnungsbelege zu gewähren und diese in einer geordneten Form vorzulegen. Es ist nicht Aufgabe des Mieters, die Belege selbstständig zu ordnen. So entschied es das Amtsgericht (AG) Münster. |
Die Wohnungsmieter hatten Einsicht in die Belege zu den Betriebskostenabrechnungen von 2018 bis 2020 verlangt. Die Vermieterin legte die Unterlagen ungeordnet, weder thematisch noch chronologisch stringent sortiert, vor. Daher weigerten sich die Mieter, die Nachforderungen aus den Abrechnungen auszugleichen.
Die Zahlungsklage der Vermieterin hatte keinen Erfolg. Sie habe keinen Anspruch auf die Nachzahlungen, da den Mietern ein Zurückbehaltungsrecht zustehe. Die Vermieterin habe keine umfassende Belegeinsicht gewährt.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 259 Abs. 1 BGB) bedürfe es einer geordneten Zusammenstellung der Abrechnungsbelege, so das AG. Das umfasse eine zweckmäßige und übersichtliche Aufgliederung in Abrechnungsposten.
Dabei sei auf einen juristisch und betriebswirtschaftlich ungeschulten Mieter abzustellen. Anderenfalls könne der Mieter sein Prüfungsrecht nicht sinnvoll ausüben. Der Mieter sei nicht verpflichtet, die Belege selbstständig zu ordnen oder Zusammenhänge in den Rechnungen fortlaufender Verträge zu erkennen.
Quelle | AG Münster, Urteil vom 25.10.2023, 38 C 1947/22
| Das Landgericht (LG) Hanau hat entschieden, dass ein Vermieter in einem Gebäude mit nur zwei Wohnungen dem Mieter der zweiten Wohnung nicht ohne besonderen Grund kündigen kann, wenn er selbst die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr nutzt. |
Vermieterin wohnte überwiegend im Ausland
Zwischen der hauptsächlich im Ausland lebenden Vermieterin und den Mietern besteht ein Mietvertrag über eine Wohnung in einem Haus mit nur zwei Wohneinheiten. Sie selbst nutzt die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr. Die Vermieterin hat die Kündigung nach § 573 a BGB ausgesprochen. Nach dieser Vorschrift kann der Vermieter ein Mietverhältnis über eine Wohnung in einem vom ihm selbst bewohnten Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen jederzeit ohne Grund beenden. Die Mieter halten die Kündigung für unwirksam, weil die Vermieterin die andere Wohnung nicht im Sinne der Vorschrift bewohne. Das Amtsgericht (AG) ist dieser Auffassung gefolgt und hat die Räumungsklage abgewiesen.
Lebensmittelpunkt erforderlich
Das LG hat die Berufung der Vermieterin zurückgewiesen. Für die erleichterte Kündigung nach § 573 a BGB reiche es nicht aus, dass der Vermieter die zweite Wohnung in dem Haus lediglich zusätzlich nutze, selbst, wenn das vereinzelt, wie für das Jahr 2021 behauptet, insgesamt 40 Wochen seien. Er müsse vielmehr seinen Lebensmittelpunkt in der Wohnung haben. Eine enge Auslegung der Vorschrift sei insbesondere deshalb geboten, weil diese es ermögliche, den Mietvertrag mit dem ansonsten von dem Gesetz erheblich geschützten Wohnraummieter zu beenden, ohne dass der Mieter eine Pflichtverletzung begangen oder der Vermieter sonst ein besonderes Interesse hieran habe.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LG Hanau, Urteil vom 15.11.2023, 2 S 107/22, PM vom 8.2.2024
| Dass ein Testament nicht zwingend auf einem weißen Blatt Papier entstehen muss, zeigt ein Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg. Es ging letztlich darum, ob jemand Erbe geworden war oder nicht. |
Gastwirt verstarb – Testament auf „Kneipenblock“
Verstorben war ein Gastwirt aus dem Landkreis Ammerland. Seine Partnerin sah sich als Erbin und beantragte, einen Erbschein zu erteilen. Als Testament legte sie dem Gericht einen Kneipenblock vor, den sie im Gastraum hinter der Theke aufgefunden habe. Dort war unter Angabe des Datums und einer Unterschrift auch der Spitzname einer Person („X“) vermerkt. Auf dem Zettel hieß es lediglich „X bekommt alles“.
Amtsgericht: Testierwille fehlte
Das Amtsgericht (AG) sah die Partnerin nicht als Erbin an. Es war der Auffassung, dass nicht sicher feststellbar sei, dass mit dem Kneipenblock ein Testament errichtet werden sollte. Daher fehle der für ein Testament erforderliche Testierwille.
Oberlandesgericht: Testament wirksam
Der auf das Erbrecht spezialisierte Senat des OLG gelangte zu einer anderen Bewertung. Der handschriftliche Text auf dem Zettel sei ein wirksames Testament.
Das OLG war aufgrund der Einzelheiten des Verfahrens überzeugt, dass der Erblasser das Schriftstück selbst verfasst hatte und dass er mit dem genannten Spitznamen allein seine Partnerin gemeint habe. Auch, dass der Erblasser mit der handschriftlichen Notiz seinen Nachlass verbindlich regeln wollte, stand für den Senat aufgrund von Zeugenangaben fest.
Dass sich die Notiz auf einer ungewöhnlichen Unterlage befinde, nicht als Testament bezeichnet und zudem hinter der Theke gelagert war, stehe der Einordnung als Testament nicht entgegen. Zum einen sei es eine Eigenart des Erblassers gewesen, für ihn wichtige Dokumente hinter dem Tresen zu lagern. Zum anderen reiche es für die Annahme eines Testaments aus, dass der Testierwille des Erblassers eindeutig zu ermitteln sei und die vom ihm erstellte Notiz seine Unterschrift trage. Das OLG stellte die Partnerin daher als rechtmäßige Erbin fest.
Quelle | OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.12.2023, 3 W 96/23, PM 10/24
| Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund bewilligte der Klägerin eine Altersrente. Einen Grundrentenzuschlag nach dem Sozialgesetzbuch VI (hier: § 76 g SGB VI) für langjährige Versicherung berücksichtigte sie nicht, weil das anzurechnende Einkommen des Ehemannes höher als der Zuschlag war. Zu Recht, wie das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen nun bestätigte. |
Klägerin rügte Grundrechtsverstoß
Die Klägerin rügte, dass die Einkommensanrechnung gemäß § 97 a Abs. 1 SGB VI gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes verstoße. Verheiratete und unverheiratete Menschen würden ungleich behandelt und durch den Familienstand „verheiratet“ benachteiligt, weil das Gesetz eine Einkommensanrechnung bei unverheirateten Personen nicht vorsehe. Das SG wies die Klage durch Gerichtsbescheid ab.
Landessozialgericht: kein Grundrechtsverstoß
Die dagegen gerichtete Berufung hat das LSG nun zurückgewiesen. Die von der Beklagten angewandte gesetzliche Regelung sei nicht verfassungswidrig. Der Nachteil der Einkommensanrechnung werde bei Gesamtbetrachtung aller an die Ehe bzw. eingetragenen Lebenspartnerschaft anknüpfenden Regelungen sowohl in der gesetzlichen Rentenversicherung als auch in anderen Regelungsbereichen im Ergebnis ausgeglichen.
Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs
Dabei sei zudem zu berücksichtigen, dass das Ziel der Grundrente nach dem Willen des Gesetzgebers neben der Anerkennung der Lebensarbeitsleistung eine bessere finanzielle Versorgung von langjährig Versicherten sei. Dieses Ziel werde erreicht. Dem Grundrentenberechtigten verbleibe bei Einbeziehung des Einkommens des Ehegatten ein Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs. Er stehe besser da als jemand, der wenig oder gar nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung verpflichtend versichert gearbeitet habe und entsprechend wenig oder gar nicht in diese eingezahlt habe.
Das gelte zwar auch für jemanden, der in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit jemandem zusammenlebe, der entsprechende Einkünfte habe. Allerdings seien Ehepartner aufgrund der unterhaltsrechtlichen wechselseitigen Verpflichtung wirksamer als in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft versorgt.
Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.1.2024, L 18R 707/22, PM vom 15.3.2024
| Allein mit der Rüge, es seien nicht alle in § 34 HOAI aufgeführten Grundleistungen erbracht worden, kann der Auftraggeber das Architektenhonorar nicht wirksam mindern. Die Bezeichnung „im Allgemeinen erforderlich“ in § 3 Abs. 3 HOAI soll nämlich klarstellen, dass nicht alle in den Leistungsbildern aufgeführten Leistungen bei jedem Objekt notwendig sind, um die Vertragsziele zu erreichen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Celle. |
Maßgeblich sind die vertraglichen Vereinbarungen
Maßgeblich sind nach dem OLG nicht die in der HOAI genannten Leistungsbilder, sondern die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Was ein Planer vertraglich schuldet, ergibt sich aus dem Vertrag, in der Regel also aus dem Recht des Werkvertrags. Der Inhalt dieses Vertrags ist nach den allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Vertragsrechts zu ermitteln.
Die HOAI enthält keine normativen Leitbilder für den Inhalt von Architekten- und Ingenieurverträgen. Die in der HOAI geregelten „Leistungsbilder“ sind Gebührentatbestände für die Berechnung des Honorars der Höhe nach.
Daraus folgt, dass es sich bei den Vorgaben des § 34 Abs. 3 und Anlage 10.1 HOAI nicht um eine abschließende Darstellung, sondern um eine Auslegungshilfe handelt.
Es müssen nicht stets alle Grundleistungen erbracht werden
Die in Anlage 10.1 aufgeführten Grundleistungen sind nicht alle zwingend für einen vollständigen Honoraranspruch zu erbringen, wenn dies für den vereinbarten Leistungsumfang nicht erforderlich ist. Dies ergibt sich auch aus § 3 Abs. 2 S. 1 HOAI, wonach die in den Leistungsbildern erfassten Grundleistungen im Allgemeinen zur ordnungsgemäßen Erfüllung eines Auftrags erforderlich sind.
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass nicht immer alle in der jeweiligen Leistungsphase aufgeführten Grundleistungen zur Lösung der jeweiligen konkreten Planungsaufgabe zwingend erbracht werden müssen. Sind bestimmte Grundleistungen nicht zur Lösung der konkreten Planungsaufgabe erforderlich, führt es nicht zu einer Honorarkürzung, wenn diese – nicht erforderlichen – Leistungen nicht erbracht wurden.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 7.2.2024, 14 U 12/23
| In letzter Zeit häufen sich die Entscheidungen dazu, dass es nicht zu den Aufgaben des Architekten gehört, Rechtsfragen zu bearbeiten. Jetzt hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt eine neue Variante hinzugefügt und sich klar positioniert. |
Das OLG: Ob eine Nachtragsforderung des bauausführenden Unternehmers berechtigt ist, liegt außerhalb der Fragestellungen, für deren Richtigkeit der Architekt mit seiner Rechnungsprüfung im Verhältnis zum Auftraggeber einzustehen hat.
Quelle | OLG Frankfurt, Beschluss vom 2.3.2023, 21 U 69/21
| Ein Architekt, der bei der Gebäudesanierung seine Kunden nicht nur in technischer Hinsicht berät, sondern auch Ratschläge zum Erhalt von Fördermitteln erteilt, muss für Schäden einstehen, wenn er die Fördervoraussetzungen fehlerhaft einschätzt. So hat es das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Empfehlung des Architekten
Die Frau hatte sich zusammen mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann dazu entschlossen, ihr Mehrfamilienhaus energetisch sanieren zu lassen und wollte dafür möglichst auch Fördermittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) erhalten. Sie ließ sich dahingehend von einem Architekten beraten, der auch Leistungen im Bereich der Energieberatung anbietet. Dieser empfahl, das Objekt in Wohnungseigentum umzuwandeln, da dies eine Voraussetzung für die Gewährung von KfW-Fördermitteln im Rahmen des Programms „Energieeffizient Sanieren“ sei.
KfW verweigerte Fördermittel
Entsprechend der Beratung des Architekten stellte das Ehepaar den Antrag auf die Fördermittel, noch bevor die Umwandlung des Hauses in Wohnungseigentum vollzogen war. Nachdem die Sanierungsarbeiten durchgeführt und die Umwandlung in Wohnungseigentum abgeschlossen waren, rief das Ehepaar die Fördermittel ab. Die KfW verweigerte jedoch die Auszahlung, da nach den Förderbedingungen nur Eigentümer von bestehenden Eigentumswohnungen antragsberechtigt seien; eine Umwandlung in Wohnungseigentum erst nach Antragstellung genüge dagegen nicht. Die nun entgangenen Vorteile verlangten die Eigentümer von dem Architekten ersetzt.
Architekt erbrachte Rechtsdienstleistung
Das LG gab der Klage statt. Der Architekt habe nicht nur auf technischer Ebene zugearbeitet, sondern mit seiner beratenden Tätigkeit zu den Fördervoraussetzungen der geplanten Sanierungsmaßnahme eine sogenannte Rechtsdienstleistung erbracht. Da die Information über die Voraussetzungen für die KfW-Förderung der geplanten Maßnahme unzureichend gewesen sei, habe er seine Schutzpflichten aus dem Beratungsvertrag verletzt. Hätten die Eheleute den Antrag erst nach der Umwandlung in Wohnungseigentum gestellt, hätten sie die Fördermittel erhalten. Den daraus entstandenen Schaden muss der Architekt nun erstatten.
Das LG: Der Architekt kann sich im Nachhinein nicht darauf berufen, er arbeite im Rahmen der Energieberatung nur auf technischer Ebene.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 25.1.2024, 7 O 13/23, PM vom 28.3.2024
| Ein ehemaliger Polizist hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Hautkrebserkrankung als Berufskrankheit infolge früher wahrgenommener Tätigkeiten u. a. im Streifendienst. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Aachen entschieden. |
Der Kläger begründete, er sei während seiner nahezu 46-jährigen Dienstzeit zu erheblichen Teilen im Außendienst eingesetzt gewesen, ohne dass sein Dienstherr ihm Mittel zum UV-Schutz zur Verfügung gestellt oder auch auf die Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen hingewiesen habe. Infolgedessen leide er unter Hautkrebs am Kopf, im Gesicht und an den Unterarmen.
Das VG hat die Ablehnung der Anerkennung als Berufskrankheit bestätigt, denn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Dienstunfall lägen hier nicht vor. Erforderlich ist im Fall von Hautkrebs durch UV-Strahlung, dass der Betroffene bei der Ausübung seiner Tätigkeit der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt ist, d. h. das Erkrankungsrisiko aufgrund der dienstlichen Tätigkeit in entscheidendem Maß höher als das der Allgemeinbevölkerung ist. Davon kann bei Polizeibeamten im Außendienst nicht die Rede sein. Polizisten bewegen sich in unterschiedlichen örtlichen Begebenheiten und nicht nur bei strahlendem Sonnenschein im Freien.
Quelle | VG Aachen, Urteil vom 15.4.2024, 1 K 2399/23, PM vom 15.4.2024
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW hat entschieden: Eine Entschädigung wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) scheidet aus, wenn der Bewerber eine klassische kaufmännische Ausbildung hat, die nicht mit der Laufbahn des mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienstes (Bundeswehrverwaltung) vergleichbar ist. Hat der Bewerber später nicht entsprechend seiner Qualifikation gearbeitet, sammelt er auch keine Zeiten „hauptberuflicher Tätigkeit“. |
Kläger erhielt keine Einladung zum Vorstellungsgespräch
Der Kläger bewarb sich auf die o. g. Stelle und wurde nicht eingeladen. Vor dem Verwaltungsgericht (VG) klagte er auf eine Entschädigung nach dem AGG (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 AGG) und unterlag. Seinen Antrag auf Zulassung der Berufung wies das OVG zurück. Zu Recht habe das VG ausnahmsweise eine Einladung eines schwerbehinderten Menschen durch einen öffentlichen Arbeitgeber als entbehrlich angesehen. Denn die fachliche Eignung fehlte offensichtlich.
Wesentliche Unterschiede in der Ausbildung
Der Kläger hatte eine Ausbildung zum Kaufmann in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft absolviert. Deren Inhalte unterschieden sich wesentlich von denen, die im Vorbereitungsdienst für den mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienst in der Bundeswehrverwaltung vermittelt würden und allein zur Laufbahnbefähigung für den mittleren Dienst führen könnten. Das VG verglich insoweit die Ausbildung des Klägers mit den Anforderungen des fachspezifischen Vorbereitungsdienstes. Er konnte auch nicht nachweisen, dass seine späteren hauptberuflichen Tätigkeiten seiner Qualifikation entsprachen bzw. anzuerkennen seien. Hier wäre ein Zeitraum von mindestens einem Jahr und sechs Monaten notwendig gewesen. Er hatte auf verschiedenen Stellen überwiegend einfache Büro- und Verwaltungsarbeiten ausgeführt, die häufig nicht einmal eine kaufmännische Ausbildung voraussetzten.
Quelle | OVG NRW, Urteil vom 8.5.2023, 1 A 3340/20
| Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz bei Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen. Zu den Arbeitsunfällen gehören auch Unfälle auf dem Weg von und zur Arbeit, die sogenannten Wegeunfälle. Auch ein Abweichen von dem direkten Arbeitsweg kann unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich unfallversichert sein. Dabei muss aber ein ausreichender Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit bestehen bleiben. Eine solche Ausnahme kommt gesetzlich etwa für einen vom Arbeitsweg abweichenden Weg in Betracht, um ein Kind wegen der beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen. In einem solchen Zusammenhang hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg nun eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen. |
Begleitung auf dem Schulweg
Die Klägerin hatte ihre Tochter im Grundschulalter zu einem Sammelpunkt auf dem Schulweg begleitet, an dem sich eine Gruppe von Mitschülern für den restlichen Weg traf. Dieser Sammelpunkt lag, von der Wohnung der Klägerin aus gesehen, in entgegengesetzter Richtung zu ihrer Arbeitsstätte. Auf dem Weg von dem Sammelpunkt zu ihrer Arbeit, aber noch vor Erreichen des Wegstücks von ihrer Wohnung zur Arbeit, wurde die Klägerin – als sie trotz einer roten Fußgängerampel eine Straße überquerte – von einem PKW erfasst. Sie erlitt unter anderem eine Gehirnerschütterung und verschiedene Knochenbrüche.
Nachdem die zuständige gesetzliche Unfallversicherung die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ablehnte, bekam die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Stuttgart zunächst recht. Sie hatte insbesondere geltend gemacht, dass die Begleitung ihrer Tochter aus Sicherheitsgründen erforderlich gewesen sei.
Landessozialgericht: Kein Arbeitsweg
Auf die Berufung des Unfallversicherungsträgers hat das LSG Baden-Württemberg die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Ein Arbeitsunfall setze, wie der zuständige Senat klargestellt hat, u. a. voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei. Die Klägerin habe sich zwar im Unfallzeitpunkt objektiv auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstätte befunden. Dies sei aber nicht hinreichend, denn das Überqueren der Straße am Unfallort zum Unfallzeitpunkt sei nicht auf dem direkten Weg zum Ort der versicherten Tätigkeit erfolgt, sodass der erforderliche sachliche Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit fehle.
Entscheidend: nicht Umweg, sondern Abweg
Bewege sich der Versicherte – wie vorliegend die Klägerin – nicht auf einem direkten Weg in Richtung seines Ziels, sondern in entgegengesetzter Richtung von diesem fort, handele es sich eben nicht um einen bloßen Umweg, sondern um einen Abweg. Werde der direkte Weg mehr als geringfügig unterbrochen und ein solcher Abweg allein aus eigenwirtschaftlichen, also nicht betrieblichen Gründen – ebenfalls wie vorliegend – zurückgelegt, bestehe kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Klägerin habe auch bis zum Eintritt des Unfallereignisses die unmittelbare Wegstrecke zwischen ihrer Wohnung und der Arbeitsstätte noch nicht wieder erreicht. Der Wegeunfallversicherungsschutz sei damit zum Unfallzeitpunkt noch nicht erneut begründet worden.
Keine Ausnahme gegeben
Es liege auch kein ausnahmsweise versicherter Abweg vor. Die Klägerin habe ihre Tochter nicht – wie für den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz insoweit erforderlich – zum Sammelpunkt begleitet, um ihrer Beschäftigung nachzugehen, sondern allein und ausschließlich aus allgemeinen Sicherheitserwägungen zum Schutz der Tochter. Damit fehle vorliegend jeglicher sachlich-inhaltlich kausaler Zusammenhang zwischen der Beschäftigung der Klägerin und dem Begleiten der Tochter. Denn erfasst würden keine Fälle, in denen das Kind in fremde Obhut unabhängig davon verbracht werde, ob der Versicherte seine Beschäftigung alsbald aufnehmen wolle. Schließlich stelle auch die Begleitung der Tochter zu einem Sammelpunkt der Kinder-„Laufgruppe“, von wo aus die Grundschulkinder gemeinsam den Schulweg beschritten, schon kein „Anvertrauen in fremde Obhut“ im Sinne des Gesetzes dar.
Beachten Sie | Wenn ein Unfall – wie in dem dargestellten Fall – nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung erfasst ist, wird Versicherungsschutz typischerweise durch die – gesetzliche oder private – Krankenversicherung gewährleistet. Auch sind Schülerinnen und Schüler allgemein- und berufsbildender Schulen während des Schulbesuchs sowie auf dem Schulweg gesetzlich unfallversichert.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.2.2022, L 10 U 3232/21, PM vom 19.3.2024
| Der Bundesfinanzhof hat entschieden: Kostenerstattungen eines kirchlichen Arbeitgebers an seine Beschäftigten für die Erteilung erweiterter Führungszeugnisse, zu deren Einholung der Arbeitgeber zum Zwecke der Prävention gegen sexualisierte Gewalt kirchenrechtlich verpflichtet ist, führen nicht zu Arbeitslohn. |
Die Einholung der erweiterten Führungszeugnisse durch die Arbeitnehmer erfolgte aufgrund einer nur die kirchlichen Rechtsträger, nicht aber die Arbeitnehmer treffenden (kirchenrechtlichen) Verpflichtung.
Durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasste, zu Lohn führende Zuwendungen erbringt der Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern aber regelmäßig nicht, wenn er ausschließlich eine eigene, insbesondere nicht gegenüber den Arbeitnehmern bestehende Verpflichtung erfüllt.
Die zur Erfüllung einer entsprechenden Verpflichtung entstehenden Kosten wendet der Arbeitgeber in einer solchen Konstellation im eigenen Interesse auf. Sie sind Ausfluss seiner eigenbetrieblichen Tätigkeit.
Beachten Sie | Haben die Arbeitnehmer die vom Arbeitgeber für dessen eigenbetriebliche Tätigkeit zu tragenden Kosten (wie im Streitfall) zunächst aus eigenen Mitteln verauslagt, wendet der Arbeitgeber ihnen mit der Erstattung ihrer Aufwendungen keinen Vorteil zu, der sich im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweisen könnte.
Quelle | BFH, Urteil vom 8.2.2024, IV R 19/22
| Nach dem neuen Partnerschaftsgesetz (hier: § 2 Abs. 1 PartGG), das am 1.1.2024 in Kraft getreten ist, muss der Name der Partnerschaft nur noch den Zusatz „und Partner“ oder „Partnerschaft“ enthalten. Die Aufnahme des Namens mindestens eines Partners ist nicht mehr erforderlich. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Der Zwang zur Benennung mindestens eines Partners ist zum Jahreswechsel entfallen. Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass die grundsätzlich zu schützende Vertrauensbeziehung zwischen Freiberufler und Auftraggeber es jedenfalls aus gesellschaftsrechtlicher Sicht nicht erfordert, dass der Name der Partnerschaftsgesellschaft den Namen mindestens eines Partners enthalten muss. Hinzu kommt, dass die Identifizierung der Partnerschaftsgesellschaft mit dem Namen der Partner weitgehend an Bedeutung verloren hat.
Quelle | BGH, Beschluss vom 6.2.2024, II ZB 23/22
| Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken bestätigte, dass in einer Tageszeitung anlässlich einer damals anstehenden Neuwahl des Ortsvorstehers zulässig über die erstinstanzliche strafrechtliche Verurteilung eines lokalen Bauunternehmers berichtet worden sei, der mit zwei der Kandidaten verwandt ist. |
Das war geschehen
Eine große pfälzische Tageszeitung berichtete in ihrer Online-Ausgabe vom 30.6.2023 und in ihrer Print-Ausgabe vom 1.7.2023 über die damals anstehende Neuwahl eines Ortsvorstehers. Diese war notwendig geworden, weil der bisherige Ortsvorsteher nach diversen Anfeindungen zurückgetreten war.
Im Artikel wurden die drei Kandidaten vorgestellt und dabei erwähnt, dass zwei der Kandidaten mit einem lokalen Bauunternehmer und Landwirt verwandt seien, dem Anwohner vorwerfen, für den stark angestiegenen Lkw-Verkehr im Ort verantwortlich zu sein. Dabei wurde auch berichtet, dass der Bauunternehmer erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung u. a. wegen Beleidigung, Nötigung, Bedrohung und versuchter gefährlicher Körperverletzung von Anwohnern verurteilt worden sei.
Auf eine Abmahnung des Bauunternehmers hin schwärzte die Zeitung das E-Paper und ergänzte den Online-Beitrag um den Hinweis, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig sei. Der Bauunternehmer verlangte hierauf im gerichtlichen Eilverfahren den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Zeitung, wonach sie den ihn betreffenden Bericht unterlassen sollte. Das Landgericht (LG) wies den Antrag zurück. Hiergegen hat der Bauunternehmer sofortige Beschwerde eingelegt. Diese wies das OLG zurück.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG begründete seine Entscheidung damit, dass es schon an der erforderlichen Eilbedürftigkeit für das beschrittene gerichtliche Eilverfahren fehle. Der Bauunternehmer habe mehr als fünf Wochen mit seinem Antrag gewartet und die Zeitung habe den Online-Artikel um den Zusatz, wonach das strafrechtliche Urteil noch nicht rechtskräftig sei, bereits ergänzt.
Zulässige Verdachtsberichterstattung
Unabhängig davon handele es sich um eine zulässige Verdachtsberichterstattung. Zwar könnten anhand der im Artikel genannten Einzelinformationen zumindest die Einwohner des betroffenen Ortsteils den Bauunternehmer identifizieren. Der Bericht beruhe aber auf wahren Tatsachen, nämlich die tatsächliche Verurteilung des Bauunternehmers. Außerdem werde zumindest durch den Zusatz klar, dass die Verurteilung auch noch nicht rechtskräftig sei.
Persönlichkeitsrecht vs. Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit
Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Bauunternehmers stehe nicht außer Verhältnis zum Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Es gehöre gerade zu den Aufgaben der Presse, in Zusammenhang mit demokratischen Prozessen zu berichten. Hierzu gehöre auch die Berichterstattung über den Hintergrund der Kandidaten, insbesondere deren verwandtschaftliche Beziehungen, da diese möglicherweise Einfluss auf zukünftige Entscheidungen der Kandidaten haben könnten. Sowohl der erhöhte Lkw-Verkehr im Ort, als auch die erstinstanzlich abgeurteilten Straftaten des Antragstellers zulasten der Anwohner seien von lokalem Interesse.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.10.2023, 4 W 23/23, PM vom 11.3.2024
| Die Nutzung eines Bootes als schwimmende Bar auf der Havel muss nach einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin umgehend beendet werden. |
Boot = bauliche Anlage?
Der Antragsteller ist Eigentümer eines Bootes, das er überwiegend an Dritte vermietet, im Sommer aber an drei Tagen am Wochenende zum Ausschank von Getränken an Gäste nutzt. Die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt forderte ihn im August 2023 sofort vollziehbar auf, die schwimmende Bar innerhalb einer Woche ab Zugang der Anordnung „zu beseitigen“. Zur Begründung führte die Behörde im Wesentlichen aus, die auf einer Plattform betriebene Bar sei nach dem Berliner Wassergesetz genehmigungsbedürftig; eine Genehmigung werde aber nicht erteilt.
Der Antragsteller hat um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er meint, bei seinem Boot handele es sich weder um eine bauliche Anlage im Wasser noch um eine schwimmende Plattform, sondern um ein zugelassenes Sportboot. Es werde wegen der Vermietung an Dritte auch nicht vorwiegend stationär genutzt.
Während der Woche Sportboot, an Wochenenden Anlage im Gewässer
Das VG hat die Rechtmäßigkeit der Anordnung überwiegend bestätigt. Bei der schwimmenden Bar handele es sich um eine nicht genehmigte Anlage, deren Beseitigung die Wasserbehörde nach dem Berliner Wassergesetz habe anordnen dürfen. Auch wenn das Boot während der Woche als Sportboot einzustufen sei, führe seine wiederkehrende stationäre Nutzung als schwimmende Bar in der Sommersaison von Freitagabend bis Sonntag dazu, dass es in diesem Zeitraum als Anlage im Gewässer einzustufen sei. Diese Nutzung überschreite qualitativ die Grenze der gemeinverträglichen Nutzung des Gewässers und stelle sich damit wie eine Sondernutzung dar.
Strenger Maßstab war anzulegen
Wegen der besonderen Bedeutung, die dem Wasser für die Allgemeinheit wie für den Einzelnen zukomme und mit Rücksicht darauf, dass das Wasser und der Wasserhaushalt gegenüber Verunreinigungen und sonstigen nachteiligen Einwirkungen in besonderer Weise anfällig sei, sei ein strenger Maßstab gerechtfertigt. Daher könne der Antragsteller auch keine Sondernutzungserlaubnis beanspruchen.
Das VG beanstandete den Bescheid allerdings hinsichtlich der zur Durchsetzung der Verfügung angedrohten Ersatzvornahme, da nur der Antragsteller selbst die stationäre Nutzung unterlassen könne und es sich somit um eine unvertretbare Handlung handele.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 19.1.2024, VG 10 L 419.23, PM 4/24
| Prozesskosten zur Erlangung nachehelichen Unterhalts sind privat veranlasste Aufwendungen und keine (vorweggenommenen) Werbungskosten bei den späteren Unterhaltseinkünften i. S. des Einkommensteuergesetzes (hier: § 22 Nr. 1 a EStG). Mit dieser Entscheidung hat der Bundesfinanzhof (BFH) der anderslautenden Sichtweise des Finanzgerichts (FG) Münster (Vorinstanz) widersprochen. |
Hintergrund: Beim begrenzten Realsplitting kann der Unterhaltsverpflichtete die Unterhaltszahlungen bis zu 13.805 Euro im Jahr (zuzüglich der aufgewandten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung als Basisversorgung) als Sonderausgaben abziehen. Dies bedarf allerdings der Zustimmung des Unterhaltsberechtigten, der die Unterhaltszahlungen seinerseits als sonstige Einkünfte versteuern muss.
Erst durch den Antrag und die Zustimmung werden Unterhaltsleistungen in den steuerrelevanten Bereich überführt. Die Umqualifizierung markiert die zeitliche Grenze für das Vorliegen abzugsfähiger Erwerbsaufwendungen; zuvor verursachte Aufwendungen des Unterhaltsempfängers stellen keine Werbungskosten dar.
Beachten Sie | Der BFH hat den Streitfall an das FG Münster zurückverwiesen. Dieses muss nun klären, ob ggf. außergewöhnliche Belastungen vorliegen. Es besteht zwar ein Abzugsverbot für Prozesskosten (§ 33 Abs. 2 S. 4 EStG). Dieses greift aber nicht, wenn die Existenzgrundlage oder lebensnotwendige Bedürfnisse des Steuerpflichtigen betroffen sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 18.10.2023, X R 7/20
| Nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die pauschale Besteuerung (Steuersatz i. H. von 25 %) für Betriebsveranstaltungen auch für Veranstaltungen zulässig, die nicht allen Betriebsangehörigen offenstehen. Nicht so erfreulich ist dagegen ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG), wonach die verspätete Pauschalbesteuerung nicht zur Beitragsfreiheit in der Sozialversicherung führt. |
Hintergrund: Zuwendungen des Arbeitgebers an seinen Arbeitnehmer und dessen Begleitpersonen anlässlich von Veranstaltungen auf betrieblicher Ebene mit gesellschaftlichem Charakter (Betriebsveranstaltung) führen gemäß Einkommensteuergesetz (hier: § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 1 EStG) zu Arbeitslohn.
Soweit die Zuwendungen den Betrag von 110 Euro je Betriebsveranstaltung und teilnehmendem Arbeitnehmer nicht übersteigen, gehören sie jedoch nicht zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, wenn die Teilnahme allen Angehörigen des Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. Dies gilt für bis zu zwei Betriebsveranstaltungen jährlich (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 3 und S. 4 EStG).
Urteil des Bundesfinanzhofs
Ungeklärt war bislang die Frage, ob eine„Betriebsveranstaltung“ auch bei einem geschlossenen Kreis (beispielsweise Vorstands- und Führungskräfte feiern) vorliegt.
Beachten Sie | In diesen Fällen kann zwar kein Freibetrag i. H. von 110 Euro gewährt werden, aber es wäre eine Lohnsteuerpauschalierung (nach § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) mit 25 % möglich.
Auch bei eingeschränktem Kreis: Betriebsveranstaltung
Diese Frage hat der BFH – im Gegensatz zur Vorinstanz – nun zugunsten der Steuerpflichtigen entschieden. Nach der ab dem Veranlagungszeitraum 2015 geltenden Definition im Einkommensteuergesetz (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 1 EStG) kann eine Betriebsveranstaltung auch vorliegen, wenn sie nicht allen Angehörigen eines Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. Und da diese Definition dem Tatbestandsmerkmal „Betriebsveranstaltung“ (gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) entspricht, ist eine pauschale Besteuerung möglich.
Urteil des Bundessozialgerichts
Im Streitfall des BSG ging es auch um Betriebsveranstaltungen – und zwar um die Frage, welche Folgen eine verspätete Lohnsteuerpauschalierung für die Sozialversicherung hat.
Das war geschehen
Ein Unternehmen feierte mit seinen Beschäftigten am 5.9.2015 ein Firmenjubiläum. Am 31.3.2016 zahlte es für September 2015 auf einen Betrag von rund 163.000 Euro die für 162 Arbeitnehmer angemeldete Pauschalsteuer. Nach einer Betriebsprüfung forderte der Rentenversicherungsträger von dem Unternehmen Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen in Höhe von rund 60.000 Euro nach – und zwar zu Recht, wie das BSG entschieden hat (die gegenteiligen Entscheidungen der Vorinstanzen wurden aufgehoben).
Aufwendungen von mehr als 110 Euro je Beschäftigten für eine betriebliche Jubiläumsfeier sind als geldwerter Vorteil in der Sozialversicherung beitragspflichtig, wenn sie nicht mit der Entgeltabrechnung, sondern erst erheblich später pauschal versteuert werden.
Pauschalversteuerung erfolgte zu spät
Es kommt entscheidend darauf an, dass die pauschale Besteuerung „mit der Entgeltabrechnung für den jeweiligen Abrechnungszeitraum“ erfolgt. Dies wäre im konkreten Fall die Entgeltabrechnung für September 2015 gewesen. Tatsächlich wurde die Pauschalbesteuerung aber erst Ende März 2016 durchgeführt und damit sogar nach dem Zeitpunkt, zu dem die Lohnsteuerbescheinigung für das Vorjahr übermittelt werden musste.
Beachten Sie | Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung vertreten im Besprechungsergebnis vom 20.4.2016 (TOP 5) die Auffassung, dass eine nachträgliche Pauschalbesteuerung nur bis zur Erstellung der Lohnsteuerbescheinigung geltend gemacht werden kann, also längstens bis zum 28.2. des Folgejahrs. Dem hat sich das BSG nun im Ergebnis angeschlossen.
Quelle | BFH, Urteil vom 27.3.2024, VI R 5/22; BSG, Urteil vom 23.4.2024, B 12 BA 3/22 R Abruf-Nr. 241172 unter www.iww.de, PM Nr. 15/24 vom 23.4.2024; Spitzenorganisationen der Sozialversicherung, Besprechungsergebnis vom 20.4.2016, TOP 5
| Aufwendungen einer gesunden Steuerpflichtigen für eine durch eine Krankheit des Partners veranlasste Präimplantationsdiagnostik (PID) können als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein. So lautet eine steuerzahlerfreundliche Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH). |
Hintergrund: Bei der PID handelt es sich um ein genetisches Diagnoseverfahren zur vorgeburtlichen Feststellung von Veränderungen des Erbmaterials, die eine Fehl- oder Totgeburt verursachen bzw. zu einer schweren Erkrankung eines lebend geborenen Kindes führen können. Es erfolgt eine zielgerichtete genetische Analyse von Zellen eines durch künstliche Befruchtung entstandenen Embryos vor seiner Übertragung und Einnistung in die Gebärmutter.
Das war geschehen
Bei dem Partner der Steuerpflichtigen lag eine chromosomale Translokation vor. Aufgrund dieser Chromosomenmutation bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein auf natürlichem Weg gezeugtes gemeinsames Kind an schwersten körperlichen oder geistigen Behinderungen leidet und unter Umständen nicht lebensfähig ist. Daher wurde eine PID durchgeführt. Der Großteil der hierfür notwendigen Behandlungen betraf die Steuerpflichtige, die den Abzug der Kosten als außergewöhnliche Belastungen beantragte.
Das Finanzamt lehnte eine Berücksichtigung der Behandlungskosten ab. Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen gab der Klage hinsichtlich der von der Steuerpflichtigen selbst getragenen Aufwendungen hingegen statt.
Bundesfinanzhof: zwangsläufig entstandene Aufwendungen
Der BFH bestätigte nun die Vorentscheidung. Die Aufwendungen für die Behandlung der Steuerpflichtigen sind zwangsläufig entstanden, weil die ärztlichen Maßnahmen in ihrer Gesamtheit dem Zweck dienten, eine durch Krankheit beeinträchtigte körperliche Funktion ihres Partners auszugleichen. Wegen der biologischen Zusammenhänge konnte (anders als bei anderen Erkrankungen) durch eine medizinische Behandlung allein des erkrankten Partners keine Linderung der Krankheit eintreten. Daher steht der Umstand, dass die Steuerpflichtige selbst gesund ist, der Berücksichtigung der Aufwendungen nicht entgegen.
Auch auf den Familienstatus kam es nicht an
Unschädlich war auch, dass die Steuerpflichtige und ihr Partner nicht verheiratet waren – und schließlich war auch das Erfordernis der Übereinstimmung der vorgenommenen Behandlungsschritte mit gesetzlichen Vorschriften (insbesondere dem Embryonenschutzgesetz) erfüllt.
Beachten Sie | Außergewöhnliche Belastungen wirken sich nur steuermindernd aus, wenn sie die im Einkommensteuergesetz (hier: § 33 Abs. 3 EStG) festgelegte zumutbare Belastung übersteigen. Die Höhe der zumutbaren Belastung hängt dabei u. a. vom Gesamtbetrag der Einkünfte ab.
Quelle | BFH, Urteil vom 29.2.2024, VI R 2/22, PM 23/24 vom 10.5.2024
| Das Ordnungsamt darf einen privaten Pkw, der auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellt worden ist, unabhängig davon abschleppen lassen, ob ein Carsharing-Fahrzeug an der Nutzung dieses Parkplatzes konkret gehindert worden ist. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf entschieden und die Klage der Fahrzeugführerin gegen einen Leistungs- und Gebührenbescheid abgewiesen. |
Die Klägerin hatte ihren Pkw auf einer Fläche abgestellt, die durch Verkehrsschilder als Parkplatz für Carsharing-Fahrzeuge gekennzeichnet war. Ein Mitarbeiter der städtischen Verkehrsüberwachung stellte den Verstoß fest und beauftragte einen Abschleppwagen. Kurz vor dessen Eintreffen erschien die Klägerin und entfernte ihr Fahrzeug von dem Parkplatz. Die Stadt machte ihr gegenüber mit Leistungs- und Gebührenbescheid die Kosten der Leerfahrt des Abschleppwagens geltend und setzte eine Verwaltungsgebühr fest. Zur Begründung ihrer Klage gegen diesen Bescheid trug die Klägerin vor, sie habe nur elf Minuten auf dem Carsharing-Platz geparkt und zu dieser Zeit seien noch weitere Parkplätze frei gewesen, sodass ein Abschleppen nicht notwendig gewesen sei.
Das VG: Die Beauftragung des Abschleppwagens war rechtmäßig. Ein Fahrzeug, das auf einem nach der Beschilderung ausschließlich Carsharing-Fahrzeugen vorbehaltenen Parkplatz steht, aber nicht am Carsharing teilnimmt, wird so betrachtet, als wenn es in einem absoluten Halteverbot stünde. Die Abschleppmaßnahme war verhältnismäßig, weil die Funktion der Parkplätze für Carsharing-Fahrzeuge nur gewährleistet ist, wenn sie jederzeit von nicht parkberechtigten Fahrzeugen freigehalten werden. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob die Klägerin durch das verbotswidrige Abstellen konkret ein bevorrechtigtes Carsharing-Fahrzeug am Parken gehindert hat. Das Abschleppen ist auch unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, dass von einem zu Unrecht auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellten Fahrzeug eine negative Vorbildwirkung für andere Kraftfahrer ausgeht.
Quelle | VG Düsseldorf, Urteil vom 20.2.2024, 14 K 491/23, PM vom 28.2.2024
| Die Abschleppunternehmer rechnen üblicherweise nach Einsatzstunden ab, wobei im Stundensatz die Kosten für das Fahrzeug und den Fahrer enthalten sind. Die Preis- und Strukturbefragung des Verbands Bergen und Abschleppen (VBA) differenziert dabei im unteren Segment nach Abschleppfahrzeugen unter und über zwölf Tonnen zulässigem Gesamtgewicht (zGG). Das Amtsgericht (AG) Pforzheim musste einen Fall entscheiden, bei dem der Abschleppunternehmer mit einem 13-Tonner vorgefahren kam. |
Der Versicherer trug vor, bei dem konkreten Gewicht des zu transportierenden Fahrzeugs hätte auch ein 11-Tonner genügt. Auf dieser Grundlage hatte er die Abschleppkosten nur reduziert erstattet.
Das Gericht entschied: Es möge sein, dass ein 11-Tonner genügt hätte. Doch sei dies im Vorhinein nicht abschätzbar.
Quelle | AG Pforzheim, Urteil vom 11.1.2024, 9 C 1207/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat sich in seiner Entscheidung mit der Frage befasst, ob der Klägerin ein Anspruch auf Sterbegeld und Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusteht, nachdem ihr Ehemann einen tödlichen Motorradunfall erlitten hatte. |
Ehemann der Klägerin bei Verkehrsunfall tödlich verletzt
Der Ehemann der Klägerin war Inhaber eines Autohauses in Berlin und als Unternehmer freiwillig bei der beklagten Berufsgenossenschaft versichert. Die Klägerin war in dem Autohaus angestellt tätig. Die gemeinsame Wohnung der Eheleute lag etwa 14 km vom Autohaus entfernt. Am 19.8.2013 reisten beide gemeinsam auf ihrem Motorrad aus einem mehrtägigen Urlaub in Thüringen die rund 400 km lange Strecke zurück nach Berlin, der Ehemann lenkte das Motorrad. Da die Tochter des Ehepaares während des Urlaubs die Geschäfte des Autohauses weitergeführt hatte und wegen eines Zahnarzttermins um 14:00 Uhr auf ihrer Arbeit abgelöst werden sollte, wollten sich die Eheleute aus Thüringen kommend direkt zum Autohaus begeben. Dort sollten von beiden die weiteren Geschäfte aufgenommen werden, ohne zuvor in die Familienwohnung zu fahren. Bereits auf dem Berliner Stadtgebiet, noch bevor sich die Wege zum Autohaus und zur Familienwohnung gabelten, kam es gegen 13:25 Uhr zu einem Verkehrsunfall, bei dem sich die Klägerin erheblich verletzte und ihr Ehemann verstarb.
Berufsgenossenschaft lehnte Sterbegeld ab
Die Berufsgenossenschaft lehnte es ab, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen (Sterbegeld und Witwenrente) zu erbringen. Ihr Ehemann habe sich bei dem Unfall nicht auf einem versicherten Arbeitsweg befunden, sondern lediglich auf einem privat veranlassten Rückweg von einer Urlaubsreise. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin und die Berufung vor dem LSG blieben zunächst ohne Erfolg. Auf die vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassene und von der Klägerin eingelegte Revision hin hat das Bundessozialgericht (BSG) das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache dorthin zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts sowie zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Landessozialgericht spricht Hinterbliebenenleistungen zu
Das LSG hat jetzt entschieden: Der Ehefrau stehen Hinterbliebenenleistungen zu. Der tödliche Motorradunfall stelle für den Ehemann als freiwillig versicherten Unternehmer einen Arbeitsunfall dar.
Zum einen sei der Ehemann versichert gewesen, weil er sich selbst zum Zeitpunkt des Unfalls auf dem direkten Weg zum Autohaus begeben wollte, um dort seiner Arbeit nachzugehen. Zum anderen habe Versicherungsschutz auch deshalb bestanden, weil die objektiven Begleitumstände und die Angaben der Ehefrau darauf schließen ließen, dass der verunglückte Ehemann seine Frau direkt zum Autohaus gefahren habe, damit diese dort die gemeinsame Tochter bei der Arbeit habe ablösen können. Damit liege ein versicherter, sogenannter „Betriebsweg“ vor, der nicht auf das Betriebsgelände beschränkt sei, aber dennoch im unmittelbaren betrieblichen Interesse liege.
Dem Versicherungsschutz stehe nicht entgegen, dass der Weg aus dem Urlaub (von einem „dritten Ort“ aus) angetreten worden sei und mithin erheblich länger gewesen sei, als es die Strecke von der Wohnung zur Arbeit gewesen wäre. Entscheidend sei, dass der zurückgelegte Weg die direkte Strecke zum Autohaus gewesen sei bzw. dass der subjektive Wille in erster Linie auf die Wiederaufnahme der Arbeit gerichtet gewesen sei. Dies hat das LSG anhand der vorliegenden Indizien des Falls bejaht. Insbesondere seien auch der Unfallzeitpunkt (13:25 Uhr) und der Zeitpunkt, zu dem die Tochter im Autohaus abgelöst werden sollte (14:00 Uhr), zeitlich stimmig.
Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.1.2024, L 21 U 202/21, PM vom 1.2.2024
| Mit den Besonderheiten bei der Versicherung historischer Fahrzeuge hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Es entschied: Steigt der Wert eines Oldtimers nach Abschluss der Versicherung an, ist der Betrag der Wertsteigerung womöglich vom Versicherungsschutz ganz oder teilweise nicht erfasst. Der Eigentümer des Fahrzeugs muss selbst darauf achten, den versicherten Wert regelmäßig dem etwa gestiegenen Marktwert anzupassen. Eine auf vollständigen Ersatz gerichtete Klage gegen die Kfz-Versicherung hat das Gericht im zugrundeliegenden Fall wegen Unterdeckung abgewiesen. |
Das war geschehen
Ein Oldtimerfan hatte sein historisches Fahrzeug gegen Beschädigung oder Zerstörung zum jeweils aktuellen Marktwert versichert. Später kam es dazu, dass das Fahrzeug bei einem Brand in einer Tiefgarage erheblich beschädigt worden war.
Die Kfz-Versicherung kam nach eingeholtem Gutachten zu einem Wert des Fahrzeugs am Schadenstag in Höhe von knapp 41.000 Euro und zahlte dem Eigentümer den entsprechenden Geldbetrag aus. Dieser war jedoch davon überzeugt, dass sein Oldtimer deutlich mehr wert gewesen sei und ließ deshalb ein weiteres Gutachten einholen. Dieses kam tatsächlich zu dem Ergebnis, dass das historische Fahrzeug im Wert deutlich gestiegen und fast 8.000 Euro mehr wert war, als von der Versicherung angenommen. Der Mann verlangte nun die Differenz.
Sonderbedingungen des Versicherungsvertrags entscheidend
Das LG verwies, wie auch zuvor bereits die Versicherung, den Oldtimerfan auf die im Versicherungsvertrag enthaltenen Sonderbedingungen für historische Fahrzeuge. Danach werde grundsätzlich ein Schaden bis zur Höhe des aktuellen Marktwerts ersetzt. Die Höchstentschädigung sei aber durch den Marktwert begrenzt, der bei Versicherungsabschluss vereinbart wurde.
Im Fall von Wertsteigerungen könne maximal zehn Prozent mehr als der damals vereinbarte Marktwert verlangt werden. Der habe im konkreten Fall rund 36.000 Euro betragen. Dem Oldtimerbesitzer stehe deshalb keine höhere Entschädigung zu, als von der Versicherung bereits ausgezahlt.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 17.1.2024, 3 O230/23, PM vom 28.2.2024
| Das Amtsgericht (AG) Frankfurt hatte nach der Wegnahme eines Fan-Schals keinen Diebstahl, sondern lediglich eine Nötigung angenommen. Ob ein Diebstahl vorliege, hänge davon ab, ob der Täter den Schal seinem Vermögen einverleiben wolle. |
Wegnahme nach Fußballspiel
Der angeschuldigte Eintracht-Fan soll bei einem Fußballspiel der Frankfurter Eintracht gegen den FC Schalke 04 im Deutsche Bank-Park einem Fan der gegnerischen Mannschaft einen Fan-Schal abgenommen haben. Beim Verlassen des Stadions habe er dem Schalke-Anhänger den Fan-Schal im Vorbeilaufen vom Hals gezogen. Als der Schalke-Fan ihn zur Rückgabe aufforderte, habe er ihn mit beiden Händen weggeschoben.
Staatsanwaltschaft bejahte Diebstahl
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main wertete dies als Diebstahl. Da der Angeschuldigte zudem den Schalke-Fan mit Gewalt weggedrückt habe, um den erbeuteten Schal behalten zu können, erhob sie Anklage wegen räuberischen Diebstahls - einem Verbrechenstatbestand mit einer Mindeststrafe von einem Jahr.
Amtsgericht differenzierte
Das AG sah in der Handlung des Angeschuldigten jedoch keinen Diebstahl. Es fehle an der hierfür notwendigen „Zueignungsabsicht“. Diese liege nur vor, wenn der Täter sich die Sache aneignen, sie also seinem Vermögen zuführen wolle. Nehme der Täter den Schal aber lediglich an sich, um jemanden zu ärgern, fehle es an einer Zueignungsabsicht. Es handele sich dann lediglich um eine straflose „Gebrauchsanmaßung“ und – sofern der Schal anschließend beschädigt würde – um eine Sachbeschädigung.
Da das Gericht keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür sah, dass der Angeschuldigte den Schal behalten wollte, eröffnete es das Hauptverfahren nicht wegen räuberischen Diebstahls, sondern lediglich wegen Nötigung. Diese habe der Angeschuldigte durch das Wegdrücken des Schalke-Fans begangen.
Quelle | AG Frankfurt am Main, Beschluss vom 23.10.2023, 917 Ls 6443 Js 217242/23, PM vom 8.3.2024
| Bei der Zerstörung eines älteren Baumes ist in der Regel keine sog. Naturalrestitution zu leisten, also nicht der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Der Anspruch geht vielmehr auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines jungen Baumes und darüber hinaus einen Ausgleich für eine etwa verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Das Oberlandgericht (OLG) Frankfurt am Main hat ein den eingeklagten Schadenersatzanspruch größtenteils zurückweisendes Urteil des Landgerichts (LG) aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das LG zurückverwiesen. |
Rückschnitt ja, aber nicht so gravierend
Die Parteien sind Nachbarn. Die Klägerin ist Eigentümerin eines großen Grundstücks im Vordertaunus mit rund 70-jährigem Baumbestand. Der Baum- und Strauchbestand wird jährlich mehrfach durch ein Fachunternehmen beschnitten. An den hinteren Gartenbereich grenzt u. a. das Grundstück des Beklagten. Im Abstand von 1,60 m hierzu steht auf dem klägerischen Grundstück eine Birke, im Abstand von 3,35 m ein Kirschbaum. Beide Bäume waren zum Zeitpunkt des Erwerbs des Beklagten schon lange vorhanden. Die Klägerin war einverstanden, dass der Beklagte die auf sein Grundstück herüberhängenden Äste der Gehölze zurückschneidet.
Ende Mai 2020 betrat der Beklagte das klägerische Grundstück in ihrer Abwesenheit und führte gravierende Schnittarbeiten unter anderem an den beiden Bäumen durch. An der Birke verblieb kein einziges Blatt. Der kurz vor der Ernte befindliche Kirschbaum wurde vollständig eingekürzt. Ob sich die Bäume wieder komplett erholen oder die derzeitigen Triebe allein sog. Nottriebe sind, die an dem Absterben nichts ändern, ist zwischen den Parteien streitig.
Landgericht sprach Schadenersatz von 4.000 Euro zu
Das LG hat der auf Zahlung von Schadenersatz von knapp 35.000 Euro gerichteten Klage in Höhe von gut 4.000 Euro stattgegeben. Es führte aus, dass die Wertminderung der Bäume sowie die Kosten für die Entsorgung des Schnittguts zu ersetzen seien.
Oberlandesgericht: Sachverhalt muss aufgeklärt werden
Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LG. Der Sachverhalt sei zur Bemessung des Schadenersatzes weiter aufzuklären, begründete das OLG die Entscheidung.
Bei der Zerstörung eines Baumes sei in der Regel nicht Schadenersatz in Form von Naturalrestitution zu leisten, da die Ersatzbeschaffung in Form der Verpflanzung eines ausgewachsenen Baumes regelmäßig mit besonders hohen und damit unverhältnismäßigen Kosten verbunden sei. Der Schadenersatz richte sich vielmehr üblicherweise auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines neuen jungen Baumes sowie einen Ausgleichsanspruch für die verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Diese Werteinbuße sei zu schätzen. Nach einer möglichen Bewertungsmethode könnten dafür die für die Herstellung des geschädigten Gehölzes bis zu seiner Funktionserfüllung erforderlichen Anschaffungs-, Pflanzungs- und Pflegekosten sowie das Anwachsrisiko berechnet und anschließend kapitalisiert werden. Dieser Wert sei um eine Alterswertminderung, Vorschäden und sonstige wertbeeinflussende Umstände zu bereinigen.
Ausnahmsweise seien die vollen Wiederbeschaffungskosten zuzuerkennen, „wenn Art, Standort und Funktion des Baumes für einen wirtschaftlich vernünftig denkenden Menschen den Ersatz durch einen gleichartigen Baum wenigstens nahelegen würden“, erläutert das OLG weiter. Aufzuklären sei deshalb bei der Bewertung des Schadenersatzes die Funktion der Bäume für das konkrete Grundstück. Zu berücksichtigen sei dabei auch der klägerische Vortrag, wonach es ihr bei der sehr aufwändigen, gleichzeitig naturnahen Gartengestaltung auch darauf angekommen sei, Lebensraum für Vögel und sonstige Tiere zu schaffen und einen Beitrag zur Umwandlung von Kohlenstoffdioxid in Sauerstoff zu leisten.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 6.2.2024, 9 U 35/23, PM 12/24
Impfpflicht: Vorlage eines Masernimmunitätsnachweises für schulpflichtige Kinder
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat in mehreren Eilverfahren die Beschwerden von Eltern schulpflichtiger Kinder gegen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin zurückgewiesen, wonach Gesundheitsämter für den Schulbesuch den Nachweis einer Impfung oder Immunität gegen Masern fordern dürfen, sofern keine Kontraindikation besteht. Für den Fall, dass der Nachweis nicht vorgelegt wird, kann auch ein Zwangsgeld angedroht werden. |
Infektionsschutzgesetz verfassungskonform
Zur Begründung hat das OVG u. a. ausgeführt: Die Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes zur Nachweispflicht seien angesichts der hochansteckenden Viruskrankheit mit möglicherweise schwerwiegenden Komplikationen nicht offenkundig verfassungswidrig. Zwar greife die Nachweispflicht in das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes ein. Die Regelung sei aber verhältnismäßig, weil sie – wie das Bundesverfassungsgericht bereits zur Nachweispflicht bei noch nicht schulpflichtigen Kindern entschieden habe – einen legitimen Zweck verfolge und nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehe.
Impfpflicht besteht
Der Gesetzgeber des Masernschutzgesetzes sei von einer grundsätzlich bestehenden „Impfpflicht“ bzw. „verpflichtenden Impfung“ ausgegangen. Er habe lediglich von deren Durchsetzung im Wege des unmittelbaren Zwangs abgesehen. Andere Zwangsmittel, wie Zwangsgeld und Geldbuße, seien hingegen vorgesehen, um eine tatsächliche Erhöhung der Impfquote in Schulen und sonstigen Gemeinschaftseinrichtungen – und damit letztlich in der gesamten Bevölkerung – zu erreichen.
Die Beschlüsse sind unanfechtbar.
Quelle | OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 28.2.2024, OVG 1 S 80/23 u. a., PM 9/24
| Nach Modernisierungsarbeiten vor Mietbeginn kann der Vermieter eine Miete vereinbaren, die die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 10 % übersteigt. Bestreitet der Mieter die Maßnahmen, ist das unbeachtlich, wenn der Vermieter eine substanziierte Berechnung vorgelegt und Einsicht in sämtliche Unterlagen angeboten hat. Das hat jetzt das Amtsgericht (AG) Berlin-Charlottenburg entschieden. |
Mieter verlangte Rückerstattung überhöhter Miete
Die Miete für eine Wohnung in einem durch Verordnung bestimmten Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt lag bei 1.700 Euro. Unter Berücksichtigung eines zehnprozentigen Zuschlags gemäß Mietspiegel war von einer ortsüblichen Vergleichsmiete von maximal 867,71 Euro auszugehen. Der Mieter forderte die Rückerstattung der überhöht verlangten Miete. Im Prozess nahm der Vermieter detailliert zu den von ihm durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen Stellung und legte dar, in welchem Umfang Abzüge für Instandsetzungsmaßnahmen vorgenommen wurden, insbesondere, dass anrechenbare Modernisierungskosten in Höhe von 441,33 Euro pro Monat entstanden seien.
Klage hatte teilweise Erfolg
Das AG gab der Klage teilweise statt. Bei den Baumaßnahmen des Vermieters handele es sich zwar nicht um eine umfassende Modernisierung im Sinne des § 556 f BGB, sodass der Vermieter die Wohnung nicht preisfrei vermieten durfte. Bei einer umfassenden Modernisierung sei zum einen auf den Investitionsaufwand und zum anderen auf das Ergebnis der Maßnahme, also die qualitativen Auswirkungen auf die Gesamtwohnung, abzustellen. Die aufgewandten Kosten einer reinen Erhaltungsmaßnahme zählten insgesamt nicht zu den Modernisierungskosten. Allein die Höhe des Bauaufwands reiche nicht aus; entscheidend sei das Resultat, also der geschaffene Zustand. Der Begriff „umfassend“ bezeichne nämlich nicht nur ein quantitatives (Kosten-)Element, sondern gleichberechtigt ein qualitatives Kriterium. Zu berücksichtigen seien die qualitativen Auswirkungen der Maßnahmen auf die Gesamtwohnung. Eine solche Auslegung werde dem Gesetzeszweck gerecht, Modernisierungen zu fördern. Durch diesen Aufwand müsse ein Zustand erreicht werden, der einer Neubauwohnung in etwa – nicht notwendig vollständig – entspreche.
Im Fall des AG fehlten Darlegungen des Vermieters, dass durch die Maßnahmen ein Zustand erreicht wurde, der insbesondere in energetischer Hinsicht einem Neubau gleichkommt. Jedoch sei der Vermieter berechtigt, die Kosten für die Modernisierungsmaßnahmen (nach § 556 e Abs. 2 BGB) in Höhe von 441,33 Euro pro Monat anzurechnen. Insgesamt sei daher eine Nettokaltmiete für die Wohnung in Höhe von 1.309,04 Euro berechtigt.
Quelle | AG Berlin-Charlottenburg, Urteil vom 9.6.2023, 209 C 29/22
| Nach dem Wohnungseigentumsgesetz (hier: § 20 Abs. 1 Abs. 2 S. 1 WEG) kann jeder Wohnungseigentümer angemessene bauliche Veränderungen verlangen, die u. a. dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen (sog. privilegierte bauliche Veränderungen). Verlangt ein Wohnungseigentümer eine solche bauliche Veränderung, entscheidet die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer über das „Wie“ der Maßnahme nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung. Der einzelne Wohnungseigentümer hat grundsätzlich keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung. So entschied es das Landgericht (LG) Stuttgart. |
Eigentümer errichtete zunächst Ladesäule
Ein Wohnungseigentümer hatte ein Sondernutzungsrecht an einem Stellplatz im Freien. Seit Jahren versuchte er vergeblich zu erreichen, dass eine Ladesäule für Elektrofahrzeuge an seinem Stellplatz errichtet wird. Schließlich montierte er im Sommer 2019 ohne Gestattung neben seinem Außenstellplatz eine Ladesäule auf einem Betonfundament. Für die Errichtung als „öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur“ erhielt er eine Förderung aus Bundesmitteln. Die Eigentümergemeinschaft verklagte ihn erfolgreich auf Entfernen der Ladestation und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Im Rahmen der Vollstreckung wurde die Ladesäule demontiert.
Dann verlangte er bestimmte bauliche Veränderungen
Der Eigentümer verlangte daraufhin „bauliche Veränderungen, die dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen gemäß (von ihm) vorgelegtem Ladeinfrastrukturkonzept“. Dieser Antrag wurde in der Eigentümerversammlung 2020 nicht beraten und zur Abstimmung gestellt, sondern beschlossen, ein Gesamtkonzept zum Betreiben von Ladepunkten für E-Mobilität erstellen zu lassen. Die Eigentümerversammlung 2021 lehnte das inzwischen vorliegende Gesamtkonzept ab und ebenso die von dem Eigentümer erneut beantragte Genehmigung baulicher Veränderungen gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept, das alternativ eine öffentliche oder nichtöffentliche Nutzung vorsah. Zugleich wurde anderen Wohnungseigentümern auf deren Antrag gestattet, eine Wallbox an insgesamt vier Stellplätzen anzubringen.
Darauf erhob der Eigentümer Beschlussersetzungsklage, gerichtet auf die Gestattung, auf dem Gemeinschaftseigentum neben seinem Stellplatz die zuvor entfernte Ladestation gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept errichten zu dürfen, hilfsweise, ihm die Anbringung einer Wallbox zu gestatten. Damit hatte der Eigentümer in beiden Instanzen keinen Erfolg.
Landgericht: kein Anspruch auf bestimmte Ausführung einer Maßnahme
Der Eigentümer könne die Gestattung der Errichtung einer Ladestation nach dem von ihm entwickelten Ladeinfrastrukturkonzept nicht verlangen. Die Beschlussersetzungsklage diene der gerichtlichen Durchsetzung des Anspruchs des Wohnungseigentümers auf ordnungsmäßige Verwaltung. Die Klage sei daher begründet, wenn der klagende Wohnungseigentümer einen Anspruch auf den seinem Rechtsschutzziel entsprechenden Beschluss habe, weil nur eine Beschlussfassung ordnungsmäßiger Verwaltung entspreche.
Zwar könne jeder Wohnungseigentümer einen Beschluss über das „Ob“ solcher baulichen Veränderungen verlangen, so das LG; dies beinhalte aber keinen Anspruch auf eine bestimmte Art und Weise der Durchführung. Darüber entscheiden die Wohnungseigentümer im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung nach eigenem Ermessen. Der einzelne Wohnungseigentümer habe mithin keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung, solange das Ermessen der Gemeinschaft nicht aufgrund der Einzelfallumstände auf null reduziert sei.
Quelle | LG Stuttgart, Urteil vom 5.7.2023, 10 S 39/21
| Das Finanzministerium Baden-Württemberg stellt einen Ratgeber „Steuertipps für Familien“ zur Verfügung. Der 100 Seiten umfassende Ratgeber gibt neben Informationen rund um das Kindergeld u. a. einen Überblick über die Steuervergünstigungen für Familien und Alleinerziehende.
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden, wann ein Widerspruch vorliegt, durch den ein älteres Testament – ganz oder teilweise – aufgehoben wird. |
Vier handschriftliche Testamente
Die Erblasserin verstarb ledig und kinderlos. Sie hatte zwei Geschwister: eine Schwester und einen Bruder, die beide vorverstorben sind. Insgesamt hinterließ die Erblasserin vier handschriftlich verfasste Testamente.
Im ersten Testament vom 3.4.2007 setzte sie ihre Schwester als Alleinerbin und ihren Bruder als Ersatzerben ein. Dieses Testament änderte sie am 26.4.2009 durch Durchstreichen derart, dass die Ersatzerbenstellung des Bruders aufgehoben wurde mit der Bemerkung, dass er gestorben sei. Im Testament vom 26.4.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Später ergänzte sie den Text mit folgendem unvollständigen Wortlaut: „Für den Fall, dass meine Schwester das Erbe nicht antreten kann, setze ich meine Großnichte als“. Im Testament vom 18.10.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Weiter heißt es in dem Testament: „Für den Fall, dass meine Schwester verstorben ist, setze ich zur Nacherbin meine Großnichte ein.“ Schließlich testierte sie am 27.4.2016 erneut und setzte wiederum ihre Schwester als Alleinerbin ein. In diesem Testament wurde weder eine Ersatzerbschaft noch eine Nacherbschaft angeordnet und die Großnichte wurde nicht mehr erwähnt.
Die Großnichte beantragte einen Alleinerbschein. Dem traten die Kinder des vorverstorbenen Bruder entgegen. Das Nachlassgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, die Erblasserin habe mit ihrer letzten Verfügung von Todes wegen die vorangegangenen Testamente aufgehoben. Der gegen diesen Beschluss durch die Großnichte eingelegten Beschwerde hat das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Akten dem OLG Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat die Beschwerde zurückgewiesen.
So sah es das Oberlandesgericht
Die Großnichte könnte ihre Alleinerbenstellung allein aus dem Testament vom 18.10.2009 herleiten. Diese Stellung sei indes von der Erblasserin vollständig aufgehoben worden, als sie am 27.4.2016 ein neues Testament errichtet habe, in dem die Großnichte nicht mehr als Ersatzerbin berufen sei, so das OLG.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 2258 Abs. 1 BGB) werde durch die Errichtung eines Testaments ein früheres Testament insoweit aufgehoben, als dass das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch stehe. Ein derartiger Widerspruch liege zum einen vor, wenn die Testamente sachlich miteinander nicht vereinbar seien, die getroffenen Anordnungen also nicht nebeneinander Geltung erlangen könnten, sondern sich gegenseitig ausschließen. Ein Widerspruch sei zum anderen (auch) gegeben, wenn die einzelnen Anordnungen einander zwar nicht entgegengesetzt seien, aber die kumulative Geltung der mehreren Verfügungen den in einem späteren Testament zum Ausdruck kommenden Absichten des Erblassers zuwiderliefe. Das sei der Fall, wenn der Erblasser mit dem späteren Testament seine Erbfolge insgesamt, nämlich abschließend und umfassend (ausschließlich) habe neu regeln wollen. So liege der Fall hier.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.12.2023, I-3 Wx 189/23
| Zwei Investoren sind zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von insgesamt 300.000 Euro nebst Zinsen an einen Planungsverband verpflichtet worden, weil sie die Erteilung einer Baugenehmigung zur Realisierung eines Hotelbauvorhabens nicht rechtzeitig beantragt haben. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz. |
Frist für Bebauungsplan vereinbart
Im Dezember 2016 schloss der Planungsverband mit den Investoren einen städtebaulichen Vertrag. In diesem verpflichteten sich die Investoren, binnen 36 Monaten ab Inkrafttreten eines vom Planungsverband aufzustellenden Bebauungsplans einen vollständigen Bauantrag zur Errichtung eines Hotelbaus zu stellen. Unterbleibt eine rechtzeitige Bauantragstellung, ist eine Vertragsstrafe in Höhe von 15.000 Euro monatlich, höchstens in Höhe von 300.000 Euro, vorgesehen.
Frist überschritten: Vertragsstrafe
Weil die Investoren ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen waren, verlangte der Planungsverband zunächst außergerichtlich und dann mit seiner Klage, die vereinbarte Vertragsstrafe zu zahlen. Die Investoren beriefen sich dagegen auf Formfehler beim Zustandekommen des Vertrags und machten geltend, die Stellung eines vollständigen Bauantrags sei ihnen unmöglich gewesen, weil der Planungsverband Gestaltungsvorgaben nicht hinreichend konkret vorgegeben habe. Ferner stünde ein Lärmschutzkonflikt mit den Betreibern der auf dem Plateau vorhandenen Freilichtbühne einer Umsetzung des Hotelkonzepts entgegen.
Anforderungen eingehalten
Die Klage hatte Erfolg. Der Verband habe einen Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe, so das VG. Der Vertrag sei frei von Verfahrens- und Formfehlern zustande gekommen und entspreche den an einen städtebaulichen Vertrag zu stellenden gesetzlichen Anforderungen.
Rechtzeitigkeit wäre möglich gewesen
Den Investoren sei es zudem möglich gewesen, rechtzeitig vollständige Bauantragsunterlagen einzureichen. Insbesondere habe der Lärmschutzkonflikt zwischen dem geplanten Hotelvorhaben und der Freilichtbühne die Vorlage vollständiger Bauantragsunterlagen nicht unmöglich gemacht. Eine Lösung des Konflikts wäre vielmehr im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens herbeizuführen gewesen.
Gegen die Entscheidung wurde Rechtsmittel zum Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz erhoben.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 6.12.2023, 4 K 388/23.KO, PM 1/24
| Die Errichtung von Kleinwindenergieanlagen ist ein im Außenbereich baurechtlich privilegiertes Vorhaben der Nutzung der Windenergie, auch wenn es nicht mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms der öffentlichen Energieversorgung, sondern der Deckung des privaten Verbrauchs dient. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |
Landkreis lehnte Erlass eines Bauvorbescheids ab
Die Kläger beantragten, ihnen einen Bauvorbescheid zur Errichtung von vier Kleinwindenergieanlagen (Gesamthöhe 6,5 m) auf ihrem Grundstück im Außenbereich zu erteilen. Der Landkreis lehnte dies mit der Begründung ab, die Anlagen seien nicht als im Außenbereich privilegierte Vorhaben der Nutzung der Windenergie zu behandeln, da die Privilegierung auf solche Windenergieanlagen zu beschränken sei, die der öffentlichen Versorgung dienten. Zudem stünden öffentliche Belange dem Vorhaben entgegen. Hiergegen erhoben die Kläger Klage. Das Verwaltungsgericht (VG) verpflichtete den beklagten Landkreis, den beantragten Bauvorbescheid zu erteilen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Landkreises wies das OVG zurück.
Privilegiertes Bauvorhaben auch bei Privatnutzung der erzeugten Energie
Das VG habe den Beklagten zu Recht zur Erteilung des beantragten Bauvorbescheids verpflichtet. Bei der Errichtung und dem Betrieb der vier Kleinwindenergieanlagen handele es sich um ein der Nutzung der Windenergie dienendes privilegiertes Vorhaben im Sinne des Baugesetzbuchs (hier: § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB), das im Außenbereich zugelassen werden könne.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ließen sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal herleiten, wonach das Vorhaben nicht nur der Nutzung der Windenergie, sondern – mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms – auch der öffentlichen Energieversorgung dienen müsse. Gegen ein solches ungeschriebenes Erfordernis sprächen auch Sinn und Zweck der Norm. Diese diene letztlich einer umwelt- und ressourcenschonenden Energieversorgung mittels einer verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien, wozu Windenergieanlagen auch dann beitrügen, wenn sie allein zur Deckung eines privaten Verbrauchs errichtet würden. Die überragende Bedeutung dieses Ziels habe der Gesetzgeber mehrfach in seiner weiteren Normsetzung herausgestellt.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus einem Urteil des OVG aus dem Jahr 2018, an dem der dort erkennende Senat in Bezug auf den geforderten öffentlichen Versorgungszweck in einer neueren Entscheidung aus dem Jahr 2023 ersichtlich nicht mehr festhalte.
Keine Gefahr von Wildwuchs
Nicht nachvollziehbar sei die vom Beklagten ferner geltend gemachte Befürchtung, dass bei einer Privilegierung von allein der privaten Versorgung dienenden Kleinwindenergieanlagen ein Wildwuchs derartiger Vorhaben zulasten der Landschaft drohe. Denn die Errichtung einer Kleinwindenergieanlage im Außenbereich komme unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nur in Betracht, wenn der erzeugte Strom entweder durch einen dort in der Nähe der Anlage vorhandenen Verbraucher abgenommen oder ins Stromnetz eingespeist werde. Dies sei jedoch regelmäßig nicht der Fall, da ein Endabnehmer vor Ort im Außenbereich nur in Ausnahmefällen vorhanden sei und der Bau einer Leitung allein zum Zweck der Einspeisung des mit der Kleinanlage erzeugten Stroms in ein öffentliches Netz unter Rentabilitätsaspekten ausscheide. Dem privilegierten Vorhaben stünden auch keine öffentlichen Belange entgegen.
Quelle | OVG Koblenz, Urteil vom 4.4.2024, 1 A 10247/23. OVG, PM 6/24
| Das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz hat die Entlassung eines Polizeikommissars aus dem Beamtenverhältnis auf Probe für rechtmäßig erklärt. |
Das war geschehen
Der Kläger war im Jahr 2021 nach bestandener Laufbahnprüfung in das Probebeamtenverhältnis berufen und als Einsatzsachbearbeiter in einer Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei eingesetzt worden. Bereits zuvor, noch während seines Vorbereitungsdienstes, hatte er über mehrere Monate hinweg wiederholt Bilddateien (sog. Sticker) in verschiedene WhatsApp-Chatgruppen mit diskriminierenden, antisemitischen, rassistischen, menschenverachtenden sowie frauen- und behindertenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Inhalten hochgeladen. Als sein Dienstherr, der Beklagte, hiervon erfuhr, leitete er zunächst ein Disziplinarverfahren und dann ein Entlassungsverfahren ein und entließ den Kläger wegen erheblicher Zweifel an dessen charakterlicher Eignung für den Polizeidienst mit Ablauf des Jahres 2022 aus dem Probebeamtenverhältnis.
Hiergegen erhob der Kläger zunächst Widerspruch und in der Folge Klage. Zur Begründung gab er an, aus dem Kontext der Verwendung der Sticker werde hinreichend deutlich, dass es sich nur um „schwarzen Humor“ handele; der Inhalt der Sticker entspreche in keiner Weise seiner inneren Haltung.
Kläger kein „unbescholtenes Blatt“
Die Klage hatte keinen Erfolg. Der Beklagte sei vielmehr beurteilungsfehlerfrei von der charakterlichen Nichteignung des Klägers für den Polizeidienst ausgegangen. Damit knüpfte das VG an seine bereits im November 2023 getroffenen Beschluss an, mit dem er die vom Kläger beantragte Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussichten seiner Klage abgelehnt hatte. In dem Beschluss hatte das Gericht betont, es sei unerheblich, ob die vom Kläger verwandten „Sticker“ tatsächlich Ausdruck seiner Gesinnung seien. Der Kläger müsse diese so gegen sich gelten lassen, wie sie aus Sicht eines objektiven Betrachters zu verstehen seien. Es werde deutlich, dass der Kläger sich seiner beamtenrechtlichen Pflichten nicht einmal ansatzweise bewusst sei und dass ihm erkennbar die erforderliche charakterliche Reife und Stabilität für das Amt eines Polizeivollzugsbeamten fehle. Außerdem berücksichtigten die Richter, dass der Kläger im Februar 2024 strafrechtlich wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in vier Fällen, in drei Fällen hiervon in Tateinheit mit Volksverhetzung, schuldig gesprochen worden war.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 20.2.2024, 5 K 733/23. KO, PM 5/24
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung einer TV-Moderatorin wirksam ist, die trotz Abmahnungen eine Online-Kolumne für eine im Wettbewerb stehende Tageszeitung verfasst. |
Einschränkungen im Arbeitsvertrag
Die Klägerin war langjährig im Bereich Finanz- und Börsenberichterstattung für die Beklagte tätig, die einen Nachrichtensender mit TV- und Onlineberichterstattung betreibt. Der Arbeitsvertrag schränkt die Möglichkeit von Nebentätigkeiten ein und sieht vor, dass zuvor eine Genehmigung erfolgen muss.
Abmahnung wegen Online-Börsenkolumne
Die Klägerin hat unter anderem am 29.9.2022 eine Online-Börsenkolumne für eine Tageszeitung verfasst, wegen der sie am 4.10.2022 abgemahnt wurde. Dennoch veröffentlichte die Klägerin dort am 1.1.2023 eine weitere Kolumne, aufgrund der die Beklagte die streitgegenständliche Kündigung aussprach.
Zuvor war die Klägerin auch vor dem ArbG Köln in einem einstweiligen Verfügungsverfahren unterlegen, in dem sie ihren Arbeitgeber verpflichten wollte, die Nebentätigkeit zum Verfassen einer wöchentlichen Kolumne zu genehmigen. Hier hatte das ArbG geurteilt, dass die begehrte Nebentätigkeit eine nicht genehmigungsfähige Konkurrenztätigkeit darstelle.
Arbeitsgericht bestätigt Kündigung
Das ArG Köln hat die Kündigung bestätigt. Bei der Online-Kolumne handele es sich um eine Wettbewerbstätigkeit, da sowohl der Arbeitgeber als auch der Zeitungsverlag Unternehmen sind, die sowohl im Bereich der TV- wie auch der Onlineberichterstattung aktiv seien.
Zudem betreffe die Börsenkolumne der Klägerin den fachlichen Kernbereich ihrer Tätigkeit für die Beklagte. Gerade in diesen Themen hat die Klägerin sich in der Vergangenheit eine große Reputation aufgebaut, mit der sie bislang für die Beklagte in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten ist. Ein Arbeitnehmer, der während des bestehenden Arbeitsverhältnisses Wettbewerbstätigkeiten entfaltet, verstoße gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers. Dies könne eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar
Hier sei der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar. Das Vertrauen der Beklagten in einen störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses sei nach den bewussten, fortgesetzten und groben Pflichtverletzungen der Klägerin gänzlich aufgebraucht.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 11.10.2023, 9 Ca 5402/22, PM 11/23
| Ein Busunternehmer steht unter Unfallversicherungsschutz, wenn er im Homeoffice beim Hochdrehen der Heizung durch eine Verpuffung im Heizkessel verletzt wird. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Im Homeoffice Heizkessel überprüft und nach Verpuffung schwer verletzt
Der Kläger war als selbstständiger Busunternehmer bei der beklagten Berufsgenossenschaft pflichtversichert. Er bewohnte ein Haus, dessen Wohnzimmer er als häuslichen Arbeitsplatz (Homeoffice) für Büroarbeiten nutzte. Am Unfalltag holte der Kläger seine Kinder von der Schule ab und arbeitete anschließend an seinem Schreibtisch im Wohnzimmer. Nachdem er festgestellt hatte, dass die Heizkörper im ganzen Haus kalt waren, begab er sich zur Überprüfung der Kesselanlage in den Heizungskeller. Beim Hochdrehen des Temperaturschalters kam es aufgrund eines Defekts der Heizungsanlage zu einer Verpuffung im Heizkessel, in deren Folge der Kläger eine schwere Augenverletzung erlitt.
Bundessozialgericht erkennt Arbeitsunfall an
Die beklagte Berufsgenossenschaft, das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) lehnten einen Arbeitsunfall ab. Das BSG hat dagegen einen Arbeitsunfall anerkannt.
Der Kläger wollte nicht nur seine Kinder, sondern auch seinen häuslichen Arbeitsplatz mit höheren Temperaturen versorgen. Die Benutzung des Temperaturreglers war deshalb unternehmensdienlich, der Heizungsdefekt kein unversichertes privates Risiko.
Quelle | BSG, Urteil vom 21.3.2024, B 2 U 14/21 R, PM 11/24
| Die Zweifelsregelung im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 271 Abs. 2 BGB) gestattet es einem Arbeitgeber nicht, eine dem Arbeitnehmer bisher zustehende jährliche Einmalzahlung wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld kraft einseitiger Entscheidung stattdessen in anteilig umgelegten monatlichen Teilbeträgen zu gewähren, um sie „pro rata temporis“ – also zeitanteilig – auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen zu können. Diese Auffassung vertritt das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg im Streit über die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs durch Sonderzahlungen. |
Das LAG hat die Revision zugelassen.
Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.1.2024, 3 Sa 4/23
| Eine durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Vermögensverschiebung von einer Kapitalgesellschaft an einen Gesellschafter setzt einen Zuwendungswillen voraus – und ein solcher kann aufgrund eines Irrtums des Gesellschafter-Geschäftsführers fehlen. Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs (BFH) ist es insoweit maßgebend, ob der konkrete Gesellschafter-Geschäftsführer einem Irrtum unterlegen ist, nicht hingegen, ob einem ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiter der Irrtum gleichfalls unterlaufen wäre. |
Hintergrund: Bei einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) handelt es sich – vereinfacht – um Vermögensvorteile, die dem Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung gewährt werden. Eine vGA darf den Gewinn der Gesellschaft nicht mindern.
Das war geschehen
Geklagt hatte eine GmbH, deren Stammkapital durch die alleinige Gesellschafter-Geschäftsführerin u. a. durch die Einbringung einer Beteiligung von 100 % an einer weiteren GmbH erbracht werden sollte. Bei der einzubringenden GmbH wurde eine Kapitalerhöhung durchgeführt, die die Gesellschafter-Geschäftsführerin begünstigte. Das Finanzamt sah hierin eine vGA der GmbH an ihre Gesellschafter-Geschäftsführerin. Dagegen argumentierte die GmbH, dass die Zuwendung an die Gesellschafter-Geschäftsführerin irrtümlich wegen eines Versehens bei der notariellen Beurkundung der Kapitalerhöhung erfolgt sei.
So entschieden die gerichtlichen Instanzen
Das Finanzgericht (FG) Schleswig-Holstein wies die Klage ab, weil einem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführer der von der GmbH dargelegte Irrtum nicht unterlaufen wäre. Der BFH hat nun aber klargestellt, dass es für die Frage, ob der für die Annahme einer vGA erforderliche Zuwendungswille vorliegt, allein auf die Person der konkreten Gesellschafter-Geschäftsführerin ankommt. Er verwies den Streitfall deshalb zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurück.
Beachten Sie | In seiner Urteilsbegründung zum Vorliegen einer vGA führt der BFH aber auch Folgendes aus: Der handelnde Gesellschafter muss nicht mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis handeln, er muss den Tatbestand der vGA nicht kennen und er muss das Geschehene auch nicht richtig würdigen. Vielmehr genügt in aller Regel ein persönlich zurechenbares Handeln.
Diese Grundsätze gelten aber nicht uneingeschränkt, da es zur Annahme einer vGA – so wie bei einer offenen Gewinnausschüttung – eines Zuwendungswillens bedarf.
Quelle | BFH, Urteil vom 22.11.2023, I R 9/20, PM 20/24 vom 11.4.2024
| Schweizer Banken können Informationen zu Konten und Depots deutscher Staatsangehöriger an die deutsche Finanzverwaltung übermitteln. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. Er sieht in der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden keine Verletzung der Grundrechte der inländischen Steuerpflichtigen. |
Geklagt hatten Steuerpflichtige, die sich durch Übermittlung der Kontostände ihrer Schweizer Bankkonten in ihren Grundrechten verletzt sahen, vor allem in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Nachdem bereits das Finanzgericht (FG) Köln diese Ansicht nicht teilte, bestätigte nun auch der BFH die Verfassungsmäßigkeit der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden. Jedenfalls ist die Übermittlung der Informationen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung gerechtfertigt.
Beachten Sie | Deutschland sowie mehrere andere Staaten haben sich zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung dazu verpflichtet, Informationen zu Bankkonten auszutauschen, u. a. werden hierfür die Kontostände ausländischer Bankkonten an die deutsche Steuerverwaltung übermittelt. Der automatische Informationsaustausch über Finanzkonten dient der Sicherung der Steuerehrlichkeit und der Verhinderung von Steuerflucht.
Quelle | BFH, Urteil vom 23.1.2024, IX R 36/21, PM 17/24 vom 28.3.2024
| Ohne Betriebssitz kann kein Gelegenheitsverkehr mit Mietwagen betrieben werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin in einem Eilverfahren entschieden. |
Behörde widerrief Erlaubnis
Der Antragsteller ist Inhaber einer vom Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) erteilten Genehmigung für den Gelegenheitsverkehr mit insgesamt zehn Mietwagen nach dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG). Nach den Feststellungen der Behörde fanden sich an der vom Antragsteller angegeben Adresse – anders als von ihm ursprünglich behauptet – weder Büroräume noch reservierte Stellplätze für die Fahrzeuge. Daraufhin widerrief die Behörde die Erlaubnis unter Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Verwaltungsgericht bestätigt Behörde
Das VG hat den hiergegen gerichteten Eilantrag zurückgewiesen. Zu Recht sei die Behörde von einer fehlenden Zuverlässigkeit des Antragstellers ausgegangen. Denn dieser habe gegen eine Kernpflicht des Mietwagenverkehrs verstoßen.
Das wesentliche Merkmal des Mietwagenverkehrs bestehe darin, dass Aufträge nicht an beliebigen Orten, sondern grundsätzlich nur am Betriebssitz entgegengenommen werden dürften; dorthin müssten die Fahrzeuge daher regelmäßig nach Beendigung eines jeden Auftrags zurückkehren. Die Begründung und Unterhaltung eines in der Genehmigung festgeschriebenen Betriebssitzes sei daher Voraussetzung für die Erfüllung der Rückkehrpflicht. Das Rückkehrgebot sei nicht Selbstzweck, sondern solle auf wirksame Weise unterbinden, dass Mietwagen nach Beendigung eines Beförderungsauftrags taxiähnlich auf öffentlichen Straßen und Plätzen bereitgestellt würden und dort Beförderungsaufträge annähmen.
Das VG ließ offen, ob ungeachtet dessen der Widerruf auch auf die fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit des Antragstellers hätte gestützt werden können. Es spreche allerdings einiges dafür, dass dies schon bei der Genehmigungserteilung der Fall gewesen sei. Ein Mietwagenunternehmer müsse über ein angemessenes Eigenkapital verfügen, was hier nicht ersichtlich sei. Der Zeitwert der Fahrzeuge selbst dürfe – anders als von der Behörde bei Genehmigungserteilung fälschlich angenommen – gerade nicht berücksichtigt werden.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 25.3.2024, VG 11 L 53/24, PM vom 2.4.2024
| Die Klausel „Die Mobile Briefmarke ist lediglich als ad-hoc-Frankierung zum sofortigen Gebrauch gedacht. Erworbene Mobile Briefmarken verlieren daher mit Ablauf einer 14-tägigen Frist nach Kaufdatum ihre Gültigkeit. Das maßgebliche Kaufdatum ist in der Auftragsbestätigung genannt. Eine Erstattung des Portos nach Ablauf der Gültigkeit ist ausgeschlossen.“ ist nach § 307 BGB unwirksam. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Köln entschieden. |
Es gab damit der Unterlassungsklage der Verbraucherzentrale statt. Es handele sich bei dem Erwerb einer Briefmarke um einen Kaufvertrag und nicht um einen Frachtvertrag.
Das bürgerliche Recht kenne für Verpflichtungen aus schuldrechtlichen Verträgen im Allgemeinen nur die im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: §§ 194 ff. BGB) geregelten Verjährungsvorschriften, nicht dagegen besondere, von der Frage der Verjährung unabhängige Ausschlussfristen. Es handele sich um eine unangemessene und erhebliche zeitliche Beschränkung des Erfüllungsanspruchs.
Das OLG hob hervor: Durch die Beschränkung der Gültigkeitauf 14 Tage wird der Erfüllungsanspruch auf etwa ein Prozent der gesetzlich vorgesehenen Verjährungsfrist verkürzt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 13.6.2023, I-3 U 148/22
| Im Rahmen einer inländischen doppelten Haushaltsführung ist der Werbungskostenabzug von Unterkunftskosten auf 1.000 Euro monatlich beschränkt. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat nun entschieden, dass unter diesen Höchstbetrag auch eine für die Wohnung am Beschäftigungsort zu entrichtende Zweitwohnungssteuer fällt. |
Hintergrund: Eine beruflich veranlasste doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer außerhalb des Ortes seiner ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Haushalt unterhält (Hauptwohnung) und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnt (Zweitwohnung). In diesen Fällen können Arbeitnehmer Unterkunftskosten bis maximal 1.000 Euro im Monat als Werbungskosten abziehen.
Das war geschehen
Eine Arbeitnehmerin hatte an ihrem Tätigkeitsort in München eine Zweitwohnung gemietet. Die hierfür in den Streitjahren entrichtete Zweitwohnungssteuer i. H. von 896 Euro bzw. 1.157 Euro machte sie neben weiteren Kosten für die Wohnung i. H. von jeweils mehr als 12.000 Euro als Aufwendungen für ihre doppelte Haushaltsführung geltend. Das Finanzamt erkannte die Kosten der Unterkunft am Ort der ersten Tätigkeitsstätte in München jeweils mit dem Höchstbetrag von 12.000 Euro an. Die Zweitwohnungssteuer bei den sonstigen Aufwendungen im Rahmen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigte es nicht.
Die hiergegen gerichtete Klage war erfolgreich. Der BFH hat die Vorentscheidung nun aber aufgehoben.
Was der Höchstbetrag umfasst – und was nicht
Der Höchstbetrag umfasst sämtliche entstehenden Aufwendungen, wie beispielsweise Miete, Betriebskosten sowie Kosten der laufenden Reinigung und Pflege der Zweitwohnung oder -unterkunft; nicht jedoch Aufwendungen für Hausrat, Einrichtungsgegenstände oder Arbeitsmittel, mit denen die Zweitwohnung ausgestattet ist. Aufwendungen für die erforderliche Einrichtung und Ausstattung der Zweitwohnung, soweit sie nicht überhöht sind, können als sonstige notwendige Mehraufwendungen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigt werden.
Die Zweitwohnungssteuer ist Aufwand für die Nutzung der Unterkunft und unterfällt daher bei den Mehraufwendungen für die doppelte Haushaltsführung der Abzugsbeschränkung.
Das Entstehen der Zweitwohnungssteuer knüpft maßgeblich an das Innehaben einer weiteren Wohnung in München neben der Hauptwohnung und so an die damit regelmäßig einhergehende Nutzung dieser Wohnung an. Die Steuer findet als örtliche Aufwandsteuer i. S. von Art. 105 Abs. 2 a des Grundgesetzes (GG) ihre Rechtfertigung darin, dass das Innehaben einer weiteren Wohnung für den persönlichen Lebensbedarf (Zweitwohnung) neben der Hauptwohnung ein Zustand ist, der gewöhnlich die Verwendung von finanziellen Mitteln (Einkommen) erfordert und damit regelmäßig die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Wohnungsinhabers zum Ausdruck bringt.
Beachten Sie | Der BFH hat damit die von der Finanzverwaltung vertretene Rechtsauffassung bestätigt. Noch nicht höchstrichterlich entschieden und derzeit beim BFH anhängig ist die Frage, wie Kosten für einen separat angemieteten Stellplatz zu behandeln sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 13.12.2023, VI R 30/21, PM 18/24 vom 4.4.2024; Stellplatz: Rev. BFH, VI R 4/23
| Zum 1.1.2020 wurde mit § 35 c Einkommensteuergesetz (EStG) eine Steuerermäßigung für energetische Maßnahmen bei zu eigenen Wohnzwecken genutzten Gebäuden eingeführt. Diese komplexe Regelung weist jedoch einige Fragen auf, die das Bundesfinanzministerium (BMF) in einem Schreiben teilweise beantwortet hat. Nun ist nach einem vorinstanzlichen Urteil des Finanzgerichts (FG) München ein Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) zum Heizungstausch anhängig, in dem es darum geht, ob die Steuerermäßigung erst ab der vollständigen Begleichung der Rechnung in Betracht kommt. |
Hintergrund: Begünstigte Aufwendungen/Maßnahmen sind u. a. die Wärmedämmung von Wänden, Dachflächen und Geschossdecken sowie die Erneuerung der Fenster, Außentüren oder der Heizungsanlage.
Je begünstigtem Objekt beträgt der Höchstbetrag der Steuerermäßigung 40.000 Euro, wobei die Ermäßigung nach der Maßgabe des § 35 c Abs. 1 EStG über drei Jahre verteilt wird.
Das war geschehen
Die Steuerpflichtigen ließen 2021 eine neue Heizungsanlage in ihrem selbstgenutzten Gebäude einbauen. Zur Begleichung der Rechnung wurde eine monatliche Ratenzahlung für die Jahre 2021 bis 2024 vereinbart. Fraglich ist nun, ob ein Abschluss der energetischen Maßnahmen bereits mit der ausgeführten Erneuerung der Heizungsanlage (hier im Jahr 2021) oder erst mit der vollständigen Begleichung des Rechnungsbetrags (voraussichtlich im Jahr 2024) vorliegt.
Voraussetzungen für die Steuerermäßigung
Das BMF hat in seinem Schreiben vom 14.1.2021 in der Rn. 43 ausgeführt, dass die Steuerermäßigung erstmalig in dem Veranlagungszeitraum zu gewähren ist, in dem die energetische Maßnahme abgeschlossen wurde. Voraussetzung ist, dass mit der Durchführung der energetischen Maßnahme nach dem 31.12.2019 begonnen wurde und diese vor dem 1.1.2030 abgeschlossen ist.
Die energetische (Einzel-)Maßnahme ist dann abgeschlossen, wenn
- die Leistung tatsächlich erbracht (vollständig durchgeführt) ist,
- der Steuerpflichtige eine Rechnung (Schlussrechnung) erhalten und
- den Rechnungsbetrag auf das Konto des Leistungserbringers eingezahlt hat.
Die Erledigung unwesentlicher Restarbeiten, die für die tatsächliche Reduzierung von Emissionen nicht hinderlich sind, ist unschädlich. Auch, soweit bei einer mehrteiligen Maßnahme für einzelne Teilleistungen Teilrechnungen erstellt und diese beglichen wurden, wird die Steuerermäßigung abweichend vom Abflussprinzip erst ab dem Veranlagungszeitraum des Abschlusses der energetischen Maßnahme gewährt, so das BMF.
Beachten Sie | Da die Revision gegen die Entscheidung anhängig ist, wird nun der BFH entscheiden. Bis dahin können geeignete Fälle mit einem Einspruch offengehalten werden.
Quelle | FG München, Urteil vom 8.12.2023, 8 K 1534/23, Rev. BFH: IX R 31/23; BMF, Schreiben vom 14.1.2021, IV C 1 - S 2296-c/20/10004 :006
| Für Geburten ab dem 1.4.2024 gilt eine neue Einkommensgrenze, ab der der Anspruch auf Elterngeld entfällt. Zudem werden die Möglichkeiten für einen parallelen Bezug von Elterngeld neu gestaltet. Antworten auf wichtige Fragen gibt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). |
Quelle | BMFSFJ, „Neuregelungen beim Elterngeld für Geburten ab 1. April 2024“ vom 28.3.2024
| Der Bezug eines Nutzungsersatzes im Rahmen der reinen Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags nach Widerruf löst keine Einkommensteuer aus. Diese für Verbraucher frohe Kunde kommt vom Bundesfinanzhof (BFH). |
Das war geschehen
Ehegatten schlossen 2008 einen Darlehensvertrag zur Finanzierung einer selbstgenutzten Wohnimmobilie ab. 2016 widerriefen sie den Darlehensvertrag unter Berufung auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung. Auf der Grundlage eines zivilgerichtlichen Vergleichs zahlte die Bank an die Eheleute Nutzungsersatz für bis zum Widerruf erbrachte Zins- undTilgungsleistungen i. H. von 14.500 Euro. Das Finanzamt erfasste den Nutzungsersatz als Einkünfte aus Kapitalvermögen – allerdings zu Unrecht, wie nun der BFH entschieden hat.
Nutzungsersatz: weder Kapitalertrag noch sonstige Einkünfte
Der Nutzungsersatz ist kein Kapitalertrag i. S. des Einkommensteuergesetzes (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG). Die Rückabwicklung eines vom Darlehensnehmer widerrufenen Vertrags vollzieht sich außerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre. Das Rückgewährschuldverhältnis ist ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln. Daher können die einzelnen Ansprüche aus dem Rückgewährschuldverhältnis auch nicht für sich betrachtet – i. S. einer unfreiwilligen Kapitalüberlassung – Teil einer steuerbaren erwerbsgerichteten Tätigkeit sein.
Beachten Sie | Es liegen auch keine sonstigen Einkünfte (§ 22 Nr. 3 EStG) vor.
Verbraucherschutzrecht inzwischen reformiert
Die Entscheidung betrifft „alte“ Verbraucherdarlehensverträge. Der mit der Reform des Verbraucherschutzrechts in das BGB eingefügte § 357 a Abs. 3 S. 1 BGB a. F. (jetzt § 357 b BGB) hat u. a. den Anspruch des Darlehensnehmers auf Nutzungsersatz für die Zukunft beseitigt. Die neue Rechtslage ist auf nach dem 12.6.2014 abgeschlossene Verbraucherdarlehensverträge anwendbar.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.11.2023, VIII R 7/21, PM 16/24 vom 21.3.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über einen Fall entschieden, in dem eine Pkw-Fahrerin an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifuhr und mit einem gerade entleerten Müllcontainer kollidierte. Der BGH hat in diesem Fall einen Verstoß der Fahrerin gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO) bejaht. |
Das war geschehen
Die Klägerin, ein Pflegedienst, macht gegen einen für die Abfallwirtschaft zuständigen kommunalen Zweckverband Schadenersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, bei dem eines ihrer Pflegedienstfahrzeuge beschädigt wurde. Eine Mitarbeiterin der Klägerin fuhr mit diesem Fahrzeug aus der Gegenrichtung kommend an einem Müllabfuhrfahrzeug des beklagtenZweckverbands vorbei, das mit laufendem Motor, laufender Schüttung und eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie Warnblinkanlage in der Straße stand. Dabei kam es zu einer Kollision des klägerischen Fahrzeugs mit einem Müllcontainer, den ein bei dem Beklagten angestellter Müllwerker hinter dem Müllabfuhrfahrzeug quer über die Straße schob.
Mit der Klage hat die Klägerin Erstattung der Fahrzeugreparaturkosten verlangt.
So sahen es die Vorinstanzen
Das Landgericht (LG) hat der Klage gegen den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 zu 50 teilweise stattgegeben.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht (OLG) das Urteil des LG teilweise geändert und den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 75 (Beklagter) zu 25 (Klägerin) zu weiterem Schadenersatz verurteilt. Es ist dabei davon ausgegangen, dass der Fahrerin des Pkw kein Verstoß gegen die StVO anzulasten sei.
So sieht es der Bundesgerichtshof
Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Das Urteil des OLG wurde aufgehoben und die Sache an das OLG zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Der Klägerin steht gegen den Beklagten als Halter des Müllabfuhrfahrzeugs ein Schadenersatzanspruch gemäß StVO (hier: § 7) zu, da das Fahrzeug der Klägerin „bei dem Betrieb“ des Müllabfuhrfahrzeugs beschädigt worden ist. Die Gefahr, die von einer gerade entleerten Mülltonne auf der Straße für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, ist dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs zuzurechnen.
Bei der Entscheidung über die Haftungsverteilung hat das OLG zu Recht dem Müllwerker einen schuldhaften Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorgeworfen, weil er hinter dem Müllabfuhrfahrzeug einen Müllcontainer quer über die Straße schob, ohne auf den Verkehr und das Fahrzeug der Klägerin zu achten, welches für ihn – hätte er den Müllcontainer nicht vor sich hergeschoben – erkennbar gewesen wäre.
Allerdings ist entgegen der Ansicht des OLG auch der Mitarbeiterin der Klägerin als Fahrerin des Pkw ein Verstoß gegen die StVO vorzuwerfen.
Mit dem Verhalten des Müllwerkers konnte gerechnet werden
Das Hauptaugenmerk der mit dem Holen, Entleeren und Zurückbringen von Müllcontainern befassten Müllwerker ist auf ihre Arbeit gerichtet, die sie überwiegend auf der Straße und effizient, also in möglichst kurzer Zeit und auf möglichst kurzen Wegen, zu erledigen haben. Wer an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifährt, das erkennbar im Einsatz ist, darf daher nicht uneingeschränkt auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Müllwerker vertrauen. Er muss damit rechnen, dass Müllwerker plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortreten und unachtsam einige Schritte weiter in den Verkehrsraum tun, bevor sie sich über den Verkehr vergewissern. Auf diese mit dem Einsatz von Müllabfuhrfahrzeugen verbundenen Gefahren hat der vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer sein Fahrverhalten einzurichten. Wenn es nicht möglich ist, einen ausreichenden Seitenabstand zu einem Müllabfuhrfahrzeug einzuhalten, um die Gefahr eines plötzlich auftauchenden Müllwerkers vor oder hinter dem Fahrzeugzu vermeiden, muss die Geschwindigkeit gemäß der Straßenverkehrsordnung (StVO) reduziert werden, sodass der Fahrer sein Fahrzeug bei Bedarf sofort zum Stillstand bringen kann.
Den dargelegten Anforderungen genügte die vom Berufungsgericht festgestellte Fahrweise der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nicht. Bei einem Seitenabstand von maximal 50 cm zum Müllabfuhrfahrzeug war die Ausgangsgeschwindigkeit von 13 km/h zu hoch, als dass die Fahrerin das Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen hätte bringen können.
Quelle | BGH, Urteil vom 12.12.2023, VI ZR 77/23, PM 12/24
| Gibt ein Kunde mittels PushTAN und Verifizierung über eine Gesichtserkennung nach einer Phishing-Nachricht die temporäre Erhöhung seines Überweisungslimits und eine anschließende Überweisung telefonisch frei, handelt er grob fahrlässig. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt. |
Der Bankkunde – ein Rechtsanwalt und Steuerberater in einer internationalen Sozietät – führt bei der beklagten Bank ein Girokonto und forderte erfolglos, eine Überweisung von knapp 50.000 Euro zurückzuerstatten. Das OLG: Die Bank schuldet in einem solchen Fall nicht die Rückerstattung des überwiesenen Betrags. Denn angesichts der fortlaufenden Warnungen der Banken vor Phishing-Mails und der öffentlichen Diskussion hierüber müssten Kunden spätestens bei der telefonischen Aufforderung, Sicherheitsmerkmale preiszugeben, misstrauisch werden. Dies gelte auch, wenn der äußere Rahmen der besuchten Website vertraut erscheint.
Quelle | OLG Frankfurt, Urteil vom 6.12.2023, 3 U 3/23
| Wer an der Grenze zu seinem Nachbargrundstück eine Hecke anlegt, muss nach dem geltenden Nachbarrecht dafür sorgen, dass die Pflanzen je nach Grenzabstand eine bestimmte Höhe nicht überschreiten. Tut er das nicht, kann der Nachbar den Rückschnitt der Hecke verlangen und im Notfall auch gerichtlich durchsetzen. Der Anspruch auf den Rückschnitt kann jedoch nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein, wenn sich der Nachbar selbst regel- und damit treuwidrig verhält. Das hat das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Das war geschehen
Das LG hat mit dieser Begründung die Klage eines Nachbarn auf Rückschnitt einer Hecke an der Grundstücksgrenze abgewiesen. Denn auch einzelne Pflanzen auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn verstießen nach den Feststellungen der Kammer gegen die Regelungen des Nachbarrechts.
Im konkreten Fall hatten zwei Grundbesitzer Streit über die zulässige Höhe einer direkt an der Grundstücksgrenze gepflanzten Hecke, die durchgehend eine Höhe von 2,20 Metern aufweist. Unter Berufung auf das geltende Landesrecht verlangte der Nachbar, dass die Hecke auf einer Höhe von maximal eineinhalb Metern gehalten werde. Dem gab das AG statt und verurteilte den Eigentümer zum entsprechenden Rückschnitt in der Zeit von 1.10. und 15.3. eines jeweiligen Jahres.
Höhe der Hecke zwar einzuhalten, aber …
Die dagegen gerichtete Berufung zum LG hatte jedoch Erfolg. Die Berufungskammer hat dem Nachbarn zwar grundsätzlich zugebilligt, dass die nach dem Nachbarrecht zulässige Höhe der Hecke einzuhalten ist.
… Grundsätze von Treu und Glauben zu beachten
Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis sei aber stark von den sog. Grundsätzen von Treu und Glauben geprägt. Hieraus entspringen Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme, die zu einer Beschränkung bis hin zum Ausschluss nachbarrechtlicher Rechte führen könnten, so das LG. Deshalb müsse berücksichtigt werden, dass auch auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn direkt hinter dem Zaun eine drei bis vier Meter hohe Kugelhecke und eine etwa zweieinhalb Meter hohe Zypresse gepflanzt sei. Dadurch werde ebenfalls gegen das Nachbarrecht verstoßen. Wer sich aber selbst nicht regelgerecht verhalte, sei nach Treu und Glauben von Ansprüchen gegen seinen Nachbarn ausgeschlossen.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 24.1.2024, 2 S 85/23, PM vom 31.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Karlsruhe hat die Klage eines E-Autofahrers gegen die EnBW auf Rückzahlung von Blockiergebühren abgewiesen. |
Überschreiten der zulässigen Standzeit
Die Blockiergebühren in Höhe von insgesamt 19,80 Euro waren wegen Überschreitung der zulässigen Höchststandzeit an Ladesäulen der EnBW an drei verschiedenen Terminen im März 2022 angefallen. Die Blockiergebühr ist nach den Bedingungen des ADAC e-Charge Tarifs, der von der EnBW angeboten wird, ab einer Standzeit von mehr als 240 Minuten fällig. Ab diesem Zeitpunkt sind 12 Cent pro Minute zu zahlen, maximal jedoch 12 Euro. Auf die Blockiergebühr wird sowohl beim Abschluss des Tarifs als auch beim Start des Ladevorgangs hingewiesen. Der Kläger hatte diesen Bedingungen bei Nutzung der App zugestimmt.
Klausel wirksam
Der Kläger hatte argumentiert, die Klausel sei unwirksam. Im Übrigen verlangten andere Anbieter keine Blockiergebühr. Nach Auffassung des AG ist die Klausel jedoch wirksam, da das Interesse der EnBW berechtigt ist, die Ladesäule zeitnah weiteren Kunden zur Verfügung stellen zu können.
Die Entscheidung erging ohne mündliche Verhandlung. Sie ist rechtskräftig.
Quelle | AG Karlsruhe, Urteil vom 4.1.2024, 6 C 184/23, PM vom 24.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Hannover hält ein „französisches Bett“ nicht für ein Doppelbett. Das war in einem Reiserechtsfall entscheidend. |
Ist ein Bett mit einer Breite von 1,40 m ein Doppelbett? Ist es breit genug, um zwei erwachsenen Menschen einen erholsamen Urlaub zu ermöglichen? Das AG hat diese Fragen verneint. Es hat entschieden, dass Reisende jedenfalls in einem Hotel, das der Reiseveranstalter selbst mit fünf „Sonnen“ bewertet, für jeden Reisenden mit einem Schlafplatz von mehr als 70 cm Breite rechnen dürfen.
Im Fall des AG hatten drei erwachsene Personen gemeinsam ein Dreibettzimmer gebucht. Zur Verfügung gestellt wurde ihnen ein Zimmer, das über zwei Betten mit einer Breite von jeweils 1,40 m verfügte. Weil diese Ausstattung nicht der vertraglichen Vereinbarung entsprach, erhalten die beiden Reisenden, die sich ein Bett teilen mussten, nun 15 Prozent des auf sie entfallenden Reisepreises zurück.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 22.2.2024, 471 C 6110/23, PM vom 26.2.2024
| Ein gesetzlich versicherter Patient verlangte von seiner Krankenversicherung, ihm die Kosten für ein Einzelzimmer während eines stationären Krankenhausaufenthalts zu erstatten. Einen solchen Anspruch lehnte das Sozialgericht (SG) Mainz aber ab. |
Patient lag im Einzelzimmer
Ein Patient ließ sich längere Zeit stationär in einem Krankenhaus behandeln. Mit dem Krankenhaus hatte er einen Vertrag über das Unterbringen in einem Einzelzimmer geschlossen.
Krankenkasse wollte Kosten nicht übernehmen
Die dabei entstandenen Kosten wollte die Krankenkasse nicht übernehmen. Der Patient klagte. Seine Argumentation: Aus medizinischen Gründen sei ein Einzelzimmer erforderlich gewesen.
Sozialgericht wies Klage ab
Vor dem SG hatte er jedoch keinen Erfolg. Selbst wenn ein Einzelzimmer erforderlich gewesen sei, hätte das Krankenhaus dafür sorgen müssen, dass der Patient entsprechend untergebracht sei. Die Kosten einer erforderlichen Einzelzimmerbelegung seien dann in den pauschal von der Krankenkasse an das Krankenhaus zu zahlenden Entgelten enthalten. Die Kosten hierfür habe die Krankenkasse bereits gezahlt. Zusätzliche Kosten für ein Einzelzimmer könne der Patient folgerichtig nicht bei seiner Krankenkasse einfordern.
Quelle | SG Mainz, Urteil vom 23.2.2024, S 7 526/20
| Das Mietrecht (hier: § 556 Abs. 3 S. 3 BGB) schließt eine nachträgliche Abrechnung zulasten des Mieters nicht aus, durch die ein Guthaben verringert wird. Das entschied das Landgericht (LG) München. |
Grundsteuer in der Abrechnung vergessen
Der Vermieter hatte über die Betriebskosten abgerechnet und dabei die Grundsteuer vergessen. Bevor er das ursprünglich berechnete Guthaben an den Mieter auszahlte, verstrich die Abrechnungsfrist. Nun korrigierte der Vermieter die Betriebskostenabrechnung und berücksichtigte die Grundsteuer. Dabei ergab sich ein geringeres Guthaben, das er an den Mieter zahlte. Der Mieter klagte auf Rückzahlung des ursprünglich berechneten höheren Guthabens.
Amtsgericht und Landgericht vermieterfreundlich
Das Amtsgericht (AG) sprach jedoch nur das korrigierte geringere Guthaben zu. Es bestünde kein Anspruch des Mieters, weil eine nachträgliche Verringerung des Guthabens vom Gesetz nicht ausgeschlossen sei.
Die Berufung des Mieters blieb erfolglos. Das LG teilte die Rechtsauffassung des AG. § 556 Abs. 3 S. 3 BGB solle den Mieter nur davor schützen, nach Ablauf der Abrechnungsfrist Zahlungen leisten zu müssen, die die Vorauszahlungen übersteigen. Darüber hinaus gewähre das Gesetz keinen Vertrauensschutz für eine zugunsten des Mieters unrichtige Abrechnung.
Der Mieter darf also nicht darauf vertrauen, dass ein Guthaben unveränderlich bleibt. Dies gilt auch, wenn die Korrektur erst nach Ablauf der Abrechnungsfrist erfolgt. Eine weitergehende Schutzwirkung zugunsten des Mieters sieht das Gesetz schon nach dem Wortlaut der Vorschrift („Geltendmachung einer Nachzahlung“) nicht vor.
Die Entscheidung entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 31.10.07, VIII ZR 261/06).
Quelle | LG München I, Beschluss vom 30.11.2023, 31 S 10140/23
| Eine fristlose Kündigung ist auch gegenüber einem psychisch kranken oder schuldunfähigen Mieter möglich, wenn trotz Abmahnung der Hausfrieden systematisch, wiederholt und nachhaltig gestört wird mit der Folge der vorzeitigen Kündigung von anderen Mietern und der Nichtvermietbarkeit angrenzender Wohnungen. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Gesundheitszustand bedarf es dann nicht. So entschied es der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) Sachsen. |
Wiederholte Lärmstörungen
Der Vermieter kündigte nach Abmahnung das Mietverhältnis mit einem psychisch kranken Mieter wegen wiederholten Lärmstörungen fristlos, hilfsweise ordentlich. Andere Mieter hatten wegen des Lärms ihr Mietverhältnis gekündigt und eine Neuvermietung der angrenzenden Wohnung war nicht möglich.
Gegen die erfolgreiche Räumungsklage legte der Mieter Berufung ein, die er nach Hinweisbeschluss des Landgerichts (LG) Dresden zurücknahm. Das LG hatte ausgeführt, dass zwar in der Regel ein schuldhaftes Verhalten des Mieters für die Begründung des Kündigungsgrundes erforderlich sei. Dies gelte aber nicht absolut, da auch bei Schuldlosigkeit das zumutbare Maß und damit die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter überschritten sei und in der Abwägung überwiegen kann. Zwar ergebe sich aus den Wertentscheidungen des Grundgesetzes (hier: Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG) eine erhöhte Toleranzbereitschaft gegenüber nicht oder nur eingeschränkt verantwortlichen Mietern, z. B. Verschlechterung des Gesundheitszustands, Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche oder Suizidgefährdung. Aber auch wenn der Mieter aufgrund der psychischen Erkrankung nicht in der Lage sei, das Unrecht seines Handelns zu erkennen, sei hier die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter deutlich überschritten.
Mieter legte Verfassungsbeschwerde ein
Gegen das Urteil und den Beschluss legte der Mieter Verfassungsbeschwerde ein – doch ohne Erfolg. Die Beschwerde sei unzulässig, sie genüge nicht den Begründungsanforderungen, so der VerfGH. Das LG habe sich umfassend – auch – mit Grundrechten auseinandergesetzt. Eine konkrete Grundrechtsverletzung rüge der Beschwerdeführer nicht.
Quelle | VerfGH Sachsen, Urteil vom 30.8.2023, Vf. 40-IV-23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg ist der Frage nachgegangen, was der mehrdeutige Begriff „vorhandenes Barvermögen“ in einem Vermächtnis bedeutet. |
Die Parteien stritten um die Erfüllung eines Vermächtnisses und hierbei um den Begriff „Barvermögen“. In einem notariellen Testament beschwerte der Erblasser die eingesetzten Erben mit einem Vermächtnis zugunsten einer weiteren Person wie folgt: „Das bei Eintritt des Erbfalls vorhandene Barvermögen soll zu einem 1/3 Anteil an meine Tochter …, geb. am …, ausgezahlt werden“. Die Bedachte hat die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ seine gesamten liquiden Mittel, insbesondere sämtliche Guthaben bei Kreditinstituten, Wertpapiere und Bargeld im engeren Sinne verstanden. Demgegenüber haben die beschwerten Erben die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ lediglich das vorhandene Bargeld verstanden.
Barvermögen = auch unbares Geld, das sofort verfügbar ist
Das Landgericht (LG) hat sich in erster Instanz der Auffassung der Bedachten angeschlossen und die Erben verurteilt, zu zahlen. Aufgrund der gegen dieses Urteil durch die Erben eingelegten Berufung hat das OLG Oldenburg den Begriff wie folgt verstanden: Danach umfasst der Begriff des Barvermögens heutzutage das gesamte Geld, das sofort verfügbar ist, also auch über eine Kartenzahlung. Wertpapiere fallen nicht unter den Begriff des Barvermögens. Vielmehr werden Wertpapiere durch den erweiterten Begriff des Kapitalvermögens mit abgedeckt, der das Barvermögen einschließlich weiterer Kapitalwerte in Geld beschreibt.
Wertpapiere gehörten hier nicht zum Barvermögen
Nach Beweisaufnahme hat das OLG festgestellt, dass die Bedachte nicht habe nachweisen können, dass der Erblasser mit dem Begriff „Barvermögen“ das gesamte Kapitalvermögen, also auch das nicht sofort verfügbare Kapital in der Form von Genossenschaftsanteilen und Wertpapieren gemeint habe. Im Ergebnis habe der vernommene Zeuge – der beurkundende Notar – keine konkreten Aussagen zum Willen des Erblassers in Bezug auf Wertpapiere und dessen Begriffsverständnis vom Begriff „Barvermögen“ machen können.
Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 20.12.2023, 3 U 8/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) München hat entschieden: Ein Tragwerksplaner ist nur verpflichtet, den Prüfbericht des Prüfingenieurs und die diesem beigefügten Bewehrungspläne zu prüfen, wenn eine entsprechende vertragliche Vereinbarung getroffen wurde. |
Wichtige Entscheidung
Diese Aussage ist für das Tagesgeschäft der Tragwerksplanung wichtig, da es in den meisten Fällen für den Tragwerksplaner von Eigeninteresse sein dürfte, Prüfbericht und Prüfeintragungen durchzusehen. Denn der Prüfingenieur könnte ja auch eigene Mängel verhindern helfen. Schwierig wird es, wenn der Prüfingenieur eine andere Auffassung vertritt, aber dennoch kein Planungsfehler vorliegt. Dann muss man abwägen.
Das gehört nicht zuden Aufgaben eines Tragwerksplaners
Das OLG hat auch noch weitere Feststellungen getroffen: Es gehört danach nicht zu den Aufgaben eines Tragwerksplaners, geänderte Ausführungspläne des Architekten an das bauausführende Unternehmen weiterzuleiten. Dies ist ein ständiges Streitthema. Um hier Auseinandersetzungen zu vermeiden, ist es wichtig, zu Planungsbeginn eine Regelung zu treffen, wer welche Pläne an wen weiterleitet. In den meisten Fällen macht es Sinn, dass der Objektplaner hier koordinierend Regelungsvorschläge macht und dafür Sorge trägt, dass seine Pläne an die ausführenden Unternehmen weitergeleitet werden.
Schutzwürdiges Eigeninteresse erforderlich
Außerdem, so das OLG, setze ein Anspruch des Auftraggebers auf Lieferung von Plänen nach Abschluss der Bauarbeiten ein schutzwürdiges Eigeninteresse voraus. Daran fehle es, wenn der Auftraggeber das Bauwerk jahrelang ohne die verlangten Pläne nutzen und verwalten konnte. Hierdurch wird klargestellt, dass Planungsbüros im Regelfall nicht jahrelang als Planarchiv für ehemalige Auftraggeber fungieren müssen.
Quelle | OLG München, Urteil vom 16.5.2023, 9 U 1801/21 Bau
| Die ungenehmigte Nutzung eines Einfamilienwohnhauses als Monteursunterkunft darf nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Neustadt an der Weinstraße untersagt werden. |
Das war geschehen
Die Stadt Ludwigshafen hatte durch ihre Bauaufsichtsbehörde eine Ortsbesichtigung durchgeführt, die ein zur Wohnnutzung genehmigtes Einfamilienhaus betraf. Hierbei stellte sie fest, dass sich in dem Wohnraum im Erdgeschoss zwei Einzelbetten und in einem Wohnraum im Dachgeschoss vier weitere Betten befanden. Insgesamt wohnten dort sechs männliche Personen. Die Stadt untersagte daraufhin gegenüber dem Eigentümer die Nutzung des Hauses für die Zwecke einer „Monteursunterkunft“ bzw. für eine „Beherbergung“ und ordnete hierfür die sofortige Vollziehung an. Dieser legte Widerspruch ein und stellte wegen des Sofortvollzugs zudem einen Eilantrag beim VG. Der Antrag blieb hinsichtlich der Nutzungsuntersagung ohne Erfolg.
So argumentierte das Verwaltungsgericht
Nach der Landesbauordnung Rheinland-Pfalz (hier: § 81 LBauO) könne die Bauaufsichtsbehörde die Benutzung solcher Anlagen untersagen, die gegen baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften über die Errichtung, die Änderung, die Instandhaltung oder die Nutzungsänderung dieser Anlagen verstießen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden könnten.
Dies sei hier der Fall. Die von der Stadt ausgesprochene Nutzungsuntersagungsverfügung sei nicht zu beanstanden, da die tatsächliche Nutzung des Einfamilienhauses als Monteursunterkunft oder sonst als Beherbergungsbetrieb weder genehmigt noch genehmigungsfrei sei. Vorliegend sei nämlich von einer tatsächlich nicht Wohnzwecken dienenden Nutzung des Einfamilienwohnhauses auszugehen.
Definition der „Wohnnutzung“
Eine Wohnnutzung zeichne sich durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts aus. Dies setze bestimmte Ausstattungsmerkmale des Gebäudes voraus. Erforderlich seien insbesondere eine Küche bzw. Kochgelegenheit sowie Toiletten und Waschgelegenheiten, die auch in Gestalt von Gemeinschaftseinrichtungen zur Verfügung stehen könnten.
Der Begriff des Wohnens verlange zudem, dass Aufenthalts- und private Rückzugsräume vorhanden seien, die eine Eigengestaltung des häuslichen Wirkungskreises erst ermöglichten. Auch Wohnheime – etwa Studentenwohnheime – könnten daher als Wohngebäude einzustufen sein, wenn sie nach ihrer Zweckbestimmung und Ausstattung Wohnbedürfnisse erfüllen könnten und sollten. Die Grenzen des Wohnens seien allerdings überschritten, wenn das Gebäude – wie im Fall einer Unterkunft für Monteure – aufgrund seiner spartanischen Ausstattung lediglich als Schlafstätte diene und auch einfache Wohnbedürfnisse nicht befriedige. Dabei spiele zudem die Wohndichte eine Rolle. Der Umstand, dass sich zwei Bewohner einen Schlafraum teilten, spreche zwar nicht zwingend gegen eine Wohnnutzung im Rechtssinne; die dadurch bewirkte Einschränkung der Privatsphäre schließe aber unter Berücksichtigung der hierzulande üblichen Wohnstandards die Annahme einer Wohnnutzung jedenfalls dann regelmäßig aus, wenn zwischen den Bewohnern keine persönliche Bindung bestehe bzw. sich diese Bindung in dem gemeinsamen Interesse an einer möglichst kostengünstigen Unterbringung erschöpfe.
Mindestanforderungen der Wohnnutzung waren zwar erfüllt...
Zwar verfüge das Wohnhaus hier mit zwei Toiletten und einer Küche über die für eine Wohnnutzung erforderlichen Mindestanforderungen. Alle Räume seien aber sehr spartanisch lediglich mit Betten und Schreibtischen eingerichtet.
... Bewohner lebten aber „aus dem Koffer“
Die Bewohner lebten augenscheinlich „aus dem Koffer“, Kleiderschränke oder auch sonstiger Stauraum seien nicht vorhanden. Zudem spreche das Vorbringen des Antragstellers im Eilverfahren, wonach die Bewohner allesamt unter der Woche als Monteure an weit entfernten Orten beschäftigt seien und lediglich am Wochenende oder im Urlaub in dem Haus verweilten, erheblich dafür, dass der Zweck des Zusammenlebens nicht über das Interesse an einer günstigen Unterkunft hinausgehe und tatsächlich kein Interesse an einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit bestehe, sondern das Haus lediglich als Schlafplatz zwischen den Arbeitsaufträgen diene. Insbesondere wegen der Unterbringung in Mehrbettzimmern und des vollständigen Fehlens von Aufenthaltsräumen sei nicht ersichtlich, dass die Unterkunft über den Nutzen als Schlafstätte hinaus Wohnbedürfnisse befriedige.
Quelle | VG Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 4.1.2024, 4 L 1213/23.NW, PM 2/24
| Eine Vorschlagsliste für die Betriebsratswahl, die in ihrem Kennwort ein „Smiley-Symbol“ enthält, ist ungültig. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln in einem Wahlanfechtungsverfahren entschieden. |
Betriebsratswahl angefochten
Fünf Arbeitnehmer eines weltweit tätigen Logistikunternehmens mit einem Betrieb am Flughafen Köln/Bonn und einer weiteren Betriebsstätte im benachbarten Troisdorf hatten die Wahl des 25-köpfigen Betriebsrats angefochten und dies u. a. damit begründet, dass der Wahlvorstand ihren Wahlvorschlag zu Unrecht wegen des verwendeten Listenkennworts zurückgewiesen und stattdessen mit den Familien- und Vornamen der beiden in der Liste an erster Stelle benannten Wahlbewerbern versehen habe.
Die Arbeitnehmer hatten beim Wahlvorstand zunächst einen Wahlvorschlag mit dem Kennwort ,,fair.die“ eingereicht. Nachdem der Wahlvorstand den Vorschlag wegen einer phonetischen Verwechslungsgefahr mit der Gewerkschaft ver.di zurückgewiesen hatte, teilten die Arbeitnehmer mit, dass ihr Wahlvorschlag das Kennwort „FAIR“ (mit dem zusätzlichen „Smiley-Symbol“) die Liste“ tragen solle.
Dieses Kennwort sowie drei weitere Alternativvorschläge, die ebenfalls einen „Smiley“ enthielten, lehnte der Wahlvorstand wiederum ab.
Landesarbeitsgericht: Bildzeichen unzulässig
Wie das LAG entschieden hat, ist ein Bildzeichen als Bestandteil eines Kennworts unzulässig, wenn es wie das „Smiley“ lediglich einen Stimmungs- oder Gefühlszustand ausdrückt, keine eindeutige Wortersatzfunktion hat und demgemäß üblicherweise nicht mit ausgesprochen wird. Zudem hätte auch bei dem oben genannten Kennwort eine Verwechslungsgefahr bestanden, da es lautsprachlich wie „ver.di-Liste“ klingt.
Zudem hat das LAG die Betriebsratswahl für unwirksam erklärt, weil der Wahlvorstand für die Betriebsstätte Troisdorf trotz ihrer räumlichen Nähe zum Hauptbetrieb unzulässigerweise die generelle Briefwahl angeordnet hatte.
Quelle | LAG Köln, Beschluss vom 1.12.2023, 9 TaBV 3/23, PM 13/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat den koordinierten Beschäftigtentausch als Sparmodell für Sozialversicherungsbeiträge für unzulässig erklärt. |
Darum ging es
Ausgangspunkt war die Klage eines niedersächsischen Obstbauern, der einen Betrieb für Apfelanbau führt und an einem weiteren Betrieb für Erdbeeranbau beteiligt ist. Seine Erntehelfer beschäftigt er formal ganzjährig im Apfelanbau. Sie erhalten dort einen festen Monatslohn auf Basis eines Jahresarbeitsstundensolls. In der Zeit von Mai bis Juli wurden die Helfer jedoch im Erdbeerbetrieb eingesetzt. Auf den Lohn dieser Arbeit zahlte der Bauer keine Sozialversicherungsbeiträge, da er die Arbeit als zeitgeringfügige Aushilfstätigkeit betrachtete. Während der Apfelernte im Herbst verfuhr er bei jeweils wechselnder Arbeitsfreistellung mit den Beschäftigten des Erdbeerbetriebs in ähnlicher Weise.
Kurzzeitige Saisonaushilfen oder berufsmäßige Beschäftigte?
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) kam nach einer Betriebsprüfung zu dem Ergebnis, dass die Mitarbeiter nicht nur kurzzeitige Saisonaushilfen seien, sondern berufsmäßig Beschäftigte, für die rd. 58.000 Euro Sozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten seien.
Bauer reklamierte für sich „angepasste Gestaltung“
Hiergegen klagte der Bauer und meinte, dass in rechtlich selbstständigen Betrieben eine Arbeitnehmertätigkeit im Hauptberuf und eine kurzzeitige Beschäftigung bei einem weiteren Arbeitnehmer möglich und erlaubt sei. Steigende Preise und politische Unsicherheiten würden eine angepasste Gestaltung notwendig machen.
Landessozialgericht spricht Klartext
Das LSG hat die Rechtsauffassung der DRV bestätigt. Zur Begründung hat es auf die Berufsmäßigkeit der Helfer abgestellt, die eine Beitragspflicht für die gesamte Tätigkeit auslöse. Das praktizierte Modell verfolge zielgerichtet das Bestreben, über wechselseitige betriebliche Absprachen und mittels langfristig geplanter und aufeinander abgestimmter organisatorischer und vertraglicher Maßnahmen rund ein Drittel des Jahreseinkommens der Arbeitskräfte der Beitragspflicht zur gesetzlichen Sozialversicherung zu entziehen. Die Gefahr der Altersarmut aufseiten der Erntehelfer sei von den Arbeitgebern sehenden Auges hingenommen worden. Die sozialrechtlichen Vorgaben ließen keinen Raum für eine entsprechende Beitragsverkürzung.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.12.2023, L 2 BA 59/23, PM vom 5.2.2024
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung eines Schwerbehinderten in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses diskriminierend im Sinne des Sozialgesetzbuchs IX (hier: § 164 Abs. 2 SGB IX) ist. Sie kann damit unwirksam sein, wenn der Arbeitgeber das Präventionsverfahren nach dem Sozialgesetzbuch (§ 167 Abs. 1 SGB IX) nicht durchgeführt hat. |
Der mit einem Grad der Behinderung von 80 schwerbehinderte Kläger ist seit dem 1.1.2023 bei der beklagten Kommune als „Beschäftigter im Bauhof“ beschäftigt. Der Kläger wurde zwischen dem 2.1. und 14.4.2023 in verschiedenen Kolonnen des Bauhofs eingesetzt und war ab Ende Mai arbeitsunfähig. Am 22.6.2023 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 31.7.2023.
Das ArbG hat entschieden: Die Kündigung verstößt gegen das Diskriminierungsverbot des § 164 Abs. 2 SGB IX und ist damit unwirksam. Der Arbeitgeber sei – entgegen bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) – auch während der Wartezeit gemäß Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 Abs. 1 KSchG) verpflichtet, das o. g. Präventionsverfahren durchzuführen.
§ 167 Abs. 1 SGB IX regelt, dass möglichst frühzeitig als Präventionsmaßnahme die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt einzuschalten sind, wenn Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis eintreten, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können. Dies habe die Arbeitgeberin hier nicht getan. Sie hätte, als sie bemerkte, dass der schwerbehinderte Kläger sich während der Wartezeit – wie sie vorträgt – nicht bewährte bzw. sich nicht ins Team einfügte und ihren Erwartungen nicht entsprach, Präventionsmaßnahmen ergreifen und gegebenenfalls die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt präventiv einschalten müssen.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 20.12.2023, 18 Ca 3954/23, PM 2/24
| Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch verpflichtet. Das Sozialrecht (hier: § 165 S. 3 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX)) sieht die grundsätzliche Einladungspflicht nur für öffentliche Arbeitgeber vor. Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist kein öffentlicher Arbeitgeber. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Schwerbehinderten nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen
Der schwerbehinderte Kläger hatte sich um eine Stelle in der Verwaltung eines Kirchenkreises der Evangelischen Kirche im Rheinland beworben. Trotz Offenlegung seiner Schwerbehinderung wurde er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Seine Bewerbung blieb erfolglos.
Lag Diskriminierung vor?
Nach Ansicht des Klägers wurde er im Auswahlverfahren wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Dies indiziere die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Hierzu sei der Kirchenkreis nach der o. g. Vorschrift verpflichtet gewesen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts gelte er als öffentlicher Arbeitgeber. Mit seiner Klage hat der Kläger deshalb die Zahlung einer Entschädigung verlangt. Der beklagte Kirchenkreis hat dies abgelehnt. Er sei kein öffentlicher Arbeitgeber. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Bundesarbeitsgericht spricht Klartext
Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung dargelegt.
Eine solche kann nicht aufgrund der unterbliebenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch vermutet werden. Hierzu war der beklagte Kirchenkreis nicht verpflichtet. Die Einladungspflicht besteht zwar u. a. für Körperschaften des öffentlichen Rechts. Dies betrifft aber nach dem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Begriffsverständnis nur Körperschaften, die staatliche Aufgaben wahrnehmen. Kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts dienen demgegenüber primär der Erfüllung kirchlicher Aufgaben. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts soll dabei die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgesellschaft unterstützen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Einladungspflicht auf kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts erstrecken wollte. Insoweit stehen sie den ebenfalls staatsfernen privaten Arbeitgebern gleich.
Quelle | BAG, Urteil vom 25.1.2024, 8 AZ R 318/22, PM 2/24
Erbrecht
| Erhält ein Arbeitnehmer aufgrund seines Dienstverhältnisses Waren oder Dienstleistungen, die vom Arbeitgeber nicht überwiegend für den Bedarf seiner Arbeitnehmer hergestellt, vertrieben oder erbracht werden, sind diese Vorteile steuerfrei, soweit sie den Rabattfreibetrag von 1.080 Euro im Kalenderjahr nicht übersteigen (§ 8 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG)). Das Landesozialgericht (LSG) Bayern musste nun in einem Konzernfall über die Beitragspflicht von Warengutscheinen entscheiden. Dabei hat es herausgestellt, dass hinsichtlich des Arbeitgeberbegriffs keine unterschiedliche Beurteilung nach Steuer- und nach Beitragsrecht veranlasst ist. |
Arbeitgeber kann nur derjenige sein, der die Arbeitsverträge mit den Beschäftigten abgeschlossen hat. Dies entspricht auch dem Grundsatz, den der Bundesfinanzhof (BFH) für das Steuerrecht aufgestellt hat.
Begriff des „Arbeitgebers“: keine Konzernklausel
Der BFH hat es abgelehnt, den Begriff des Arbeitgebers über den Wortlaut hinaus extensiv auszulegen. Im Vorfeld der gesetzlichen Neuregelung wurde eine Konzernklausel ausdrücklich diskutiert.
Da sie aber nicht aufgenommen worden ist, kann daraus geschlossen werden, dass sich die bereits in der Begründung des Gesetzentwurfs vertretene Meinung durchgesetzt hat, nach der § 8 Abs. 3 EStG nicht für Waren und Dienstleistungen gelten soll, die nicht im Unternehmen des Arbeitgebers hergestellt, vertrieben oder erbracht werden. Es sollen weder Arbeitnehmer von Konzerngesellschaften noch ein überbetrieblicher Belegschaftshandel steuerlich begünstigt werden.
Warengutscheine = Sachbezüge
Nach Ansicht des LSG hat das Unternehmen im Streitfall auch keinen so gewichtigen Beitrag geleistet, als dass es unter Anwendung des „erweiterten Hersteller- bzw. Vertreiberbegriffs“ als Hersteller bzw. Vertreiber der Waren i. S. des § 8 Abs. 3 EStG angesehen werden kann. Deshalb handelt es sich bei den Warengutscheinen um Sachbezüge, für die Beiträge erhoben werden müssen.
Quelle | LSG Bayern, Urteil vom 6.6.2023, L 7 BA 80/22, Abruf-Nr. 240136; unter www.iww.de; BFH, Urteil vom 26.4.2018, VI R39/16
| Mit einem kuriosen Nachbarstreit zwischen einem Restaurantbetreiber und dem Anbieter von Parkraum hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Dem Restaurantbesitzer drohen nun 250.000 Euro Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft. |
Das war geschehen
Der Parkplatzbetreiber hatte die Parkgebühren angehoben und den bislang gewährten Rabatt für die Besucher des Restaurants abgeschafft. Daraufhin positionierte der Restaurantbesitzer gezielt eigene Mitarbeiter an der Parkschranke, um die Autofahrer von der Einfahrt in den Parkplatz abzuhalten und auf andere, kostenfreie Plätze in der Nähe zu verweisen. Dieses Verhalten stellt eine unzulässige Verletzungshandlung dar, die darauf angelegt ist, den Betrieb des Parkraumbewirtschafters zu schädigen, entschied das LG. Es untersagte in einem Eilverfahren entsprechende Aktionen.
Boykottaufruf unverhältnismäßig
Das Argument, über den Rabatt für Restaurantkunden gebe es eine Vereinbarung und die hohen Parkkosten hätten bereits Kunden abgeschreckt und vom Besuch abgehalten, überzeugte das LG nicht. Das Vorgehen des Restaurantbetreibers sei unverhältnismäßig.
Im Bereich der Einfahrt gezielt Parkplatzsuchende anzusprechen, um diese zum anderweitigen Parken zu bewegen, sei eine gegen das Geschäftsmodell des Parkraumanbieters gerichtete verbotene Eigenmacht. Es seien nicht nur Restaurantbesucher, sondern sämtliche Parkplatzsuchende angesprochen und zum Boykott des Parkplatzes aufgerufen worden. Der Restaurantbesitzer müsse seine Kunden auf andere Weise darüber informieren, dass die Parkgebühren nicht mehr übernommen werden und den Streit um den Parkrabatt, wenn nötig, gerichtlich austragen.
„Saftiges“ Ordnungsgeld droht
Für den Fall, dass der Restaurantbetreiber dem Urteil zuwiderhandelt, hat das LG ihm ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro sowie Ordnungshaft angedroht.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 18.1.2024, 5 O46/23, PM vom 30.4.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Feststellung des Bundeskartellamts bestätigt, dass Amazon eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb hat. |
Der Hintergrund
Amazon ist weltweit u. a. im Bereich des E-Commerce, als stationärer Einzelhändler und als Anbieter von cloudbasierten IT-Dienstleistungen (Amazon Web Services, AWS) tätig. Der Konzern war zum 27.12.2021 mit einer Marktkapitalisierung von 1,721 Billionen USD das fünftwertvollste Unternehmen der Welt, wobei der Börsenwert innerhalb der vorangegangenen sieben Jahre um etwa 443 % gestiegen war. Das Unternehmen erzielte im Geschäftsjahr 2021 weltweit Umsätze von rund 469,8 Mrd. USD. Auf Deutschland entfielen davon rund 37,3 Mrd. USD. Damit stellte Deutschland auf den Umsatz bezogen nach den USA den zweitwichtigsten (Absatz-)Markt für Amazon dar. Die jährlichen Gewinne stiegen von (weltweit) 3 Mrd. USD im Geschäftsjahr 2017 auf 33,4 Mrd. USD in 2021, mithin um 1013 %. Amazon gehört mit 1,6 Mio. Mitarbeitern zum 31. Dezember 2021 zu den größten Arbeitgebern weltweit.
Das war geschehen
Das Bundeskartellamt hatte festgestellt, dass Amazon.com, Inc. einschließlich der mit ihr verbundenen Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Die Feststellung ist auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft befristet. Gegen diesen Beschluss haben Amazon.com, Inc. und eine deutsche Konzerngesellschaft Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, den Beschluss aufzuheben. Während des Beschwerdeverfahrens wurde Amazon von der Europäischen Kommission als sog. Torwächter benannt.
Das sagt der Bundesgerichtshof
Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Das Bundeskartellamt hat nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (hier: § 19 a Abs. 1 GWB) zu Recht festgestellt, dass Amazon in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten tätig ist und dem Konzern eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt.
Amazon unterhält weltweit 21 länderspezifische Domains mit Handelsplattformen (Amazon Stores) und vertreibt darüber als Hersteller und Einzelhändler physische und digitale Waren an Endkunden (etwa Amazon Retail, Home Entertainment, Twitch, Prime Video, Kindle Content, Amazon Music, Amazon Games, Amazon Echo und Amazon Alexa, Amazon Fire, Fire TV, SmartHome-Geräte). Gleichzeitig betreibt Amazon die Handelsplattformen als Online-Marktplätze und ermöglicht es dritten Online-Händlern gegen Provisionszahlung, ihre Waren Endkunden anzubieten. Amazon hat eine eigene Logistikinfrastruktur und vermittelt – auch in Deutschland – Versandaufträge zwischen dritten Online-Händlern und Versanddienstleistern. Amazon Advertising bringt Werbekunden und Anbieter von Werbeflächen zusammen.
Das heißt „marktübergreifende Bedeutung“
Die Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb setzt keine konkrete Wettbewerbsgefahr oder Wettbewerbsbeeinträchtigung voraus. Vielmehr reicht dafür das Vorliegen der strategischen und wettbewerblichen Möglichkeiten aus, deren abstraktes Gefährdungspotenzial durch die Vorschrift adressiert wird. § 19 a Abs. 1 GWB soll dem Bundeskartellamt eine effektivere Kontrolle derjenigen großen Digitalunternehmen ermöglichen, deren Ressourcen und strategische Positionierung ihnen erlauben, erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen, den Wettbewerbsprozess zum eigenen Vorteil zu verfälschen sowie ihre bestehende Marktmacht auf immer neue Märkte und Sektoren zu übertragen.
Bundeskartellamt: zutreffende Feststellungen
Das Bundeskartellamt hat zutreffend festgestellt, dass Amazon über solche strategischen und wettbewerblichen Potenziale verfügt. Der Konzern ist auf einer Vielzahl von verschiedenen, vertikal integrierten und in vielfältiger und konglomerater Weise miteinander verbundenen Märkten tätig und hat eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt für Online-Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler. Er verfügt über eine überragende Finanzkraft und einen überragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten, wie etwa Kunden- und Nutzerdaten, Daten aus dem Betrieb der Handelsplattformen und Werbeplattformen und damit verbundenen Diensten sowie aus dem Betrieb von Amazon Web Services, Inc. (AWS). Amazon hat als Betreiber von zahlreichen nationalen Online-Marktplätzen weltweit und in Deutschland eine Schlüsselposition für den Zugang von Einzelhändlern zu ihren Absatzmärkten und kann erheblichen Einfluss auf die Vertriebstätigkeit von Dritthändlern ausüben.
Die jetzige Geltung der Regelungen des Digital Markets Acts (DMA) und die während des Beschwerdeverfahrens gegenüber der Europäischen Kommission im Rahmen eines Missbrauchsverfahrens abgegebenen Zusagen von Amazon stehen der Feststellung nicht entgegen.
Quelle | BGH, Beschluss vom 23.4.2024, KVB 56/22, PM 97/24
| Durch die Unwetter mit Hochwasser in der Zeit von Ende Mai bis Anfang Juni 2024 sind in weiten Teilen Baden-Württembergs beträchtliche Schäden entstanden. Die Beseitigung dieser Schäden wird bei vielen Steuerpflichtigen zu erheblichen finanziellen Belastungen führen. Daher möchte das Finanzministerium (FinMin) Baden-Württemberg den Geschädigten durch steuerliche Maßnahmen entgegenkommen. |
Möglich sind u. a.:
- Anpassung steuerlicher Vorauszahlungen,
- Stundung fälliger Einkommen-, Körperschaft- oder Umsatzsteuerbeträge und
- Aufschub von Vollstreckungen.
Beachten Sie | Auch in anderen Bundesländern sind im Mai und Juni 2024 durch die Unwetter mit Hochwasser Schäden entstanden. Daher wurden auch für Bayern, Rheinland-Pfalz und das Saarland Katastrophenerlasse mit steuerlichen Erleichterungen veröffentlicht. Dabei ist zu beachten, dass einige Erlasse bereits aktualisiert wurden.
Quelle | FinMin Baden-Württemberg, Erlass vom 20.6.2024; Ministerium der Finanzen und für Wissenschaft Saarland, Erlass vom 21.5.2024; Landesamt für Steuern Rheinland-Pfalz, Erlass vom 25.6.2024; Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, Erlass vom 24.6.2024
| Ein steuerlicher Verlustvortrag bleibt bei der Bestimmung des auf eine Witwenrente anzurechnenden Arbeitseinkommens unberücksichtigt. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten ist ein steuerlicher Verlustvortrag nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 10 d Abs. 2 EStG) nicht einzubeziehen. Das BSG hält damit an seiner bisherigen Auffassung auch unter Geltung des zum 1.1.2002 eingeführten § 18 a Abs. 2 a Sozialgesetzbuch IV fest.
Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass für die Einkommensanrechnung grundsätzlich alle Arten von Arbeitseinkommen berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung eines steuerlichen Verlustvortrags entspricht dem Sinn und Zweck der Hinterbliebenenversorgung. Diese dient als Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten nicht mehr geleistet wird. Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen wird in einem bestimmten Umfang angerechnet, weil der Hinterbliebene sich dadurch ganz oder zumindest teilweise selbst unterhalten kann. Abzustellen ist dabei auf das verfügbare Einkommen.
Beachten Sie | Dass ein Hinterbliebener berechtigt ist, seine Einkommensteuerpflicht im Veranlagungszeitraum zu mindern, indem er negative Einkünfte aus im Einzelfall weit zurückliegenden früheren Veranlagungszeiträumen in Abzug bringt, sagt nichts über seine aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aus.
Quelle | BSG, Urteil vom 22.2.2024, B 5 R 3/23 R; BSG, PM Nr. 7/24 vom 22.2.2024
| Der Bundesrat hat dem Postrechtsmodernisierungsgesetz (PostModG) Anfang Juli 2024 zugestimmt. Dadurch werden insbesondere die Laufzeitvorgaben für die Zustellung von Briefen verlängert. Folgerichtig erfolgte auch eine Anpassung der Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten (z. B. Steuerbescheiden). |
Einspruchsfrist von einem Monat
Zum Hintergrund: Das Problem, „Recht zu haben, aber es nicht zu bekommen“, ergibt sich immer dann, wenn ein Steuerbescheid zu einer zu hohen Steuerfestsetzung führt, es jedoch versäumt wurde, innerhalb der Rechtsbehelfsfrist von einem Monat Einspruch einzulegen. Für den fristgerechten Eingang beim Finanzamt kommt es darauf an, wann der Bescheid bekannt gegeben wurde und wann die Einspruchsfrist endet.
Gesetzliche Neuregelung: Vier- statt Dreitagesfiktion
Um die Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten nach der Abgabenordnung an die verlängerten Laufzeitvorgaben anzupassen, wird aus der bisherigen Dreitages- eine Viertagesfiktion. Damit gelten Steuerbescheide und andere Verwaltungsakte künftig als am vierten Tag nach deren Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, statt wie bisher nach drei Tagen.
Was unverändert bleibt: Fällt der vierte Tag auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, erfolgt die Bekanntgabe am nächstfolgenden Werktag. Die noch im Regierungsentwurf vorgesehene Bekanntgabe von Steuerbescheiden an Samstagen wurde nicht umgesetzt.
Die Neuregelung gilt für Verwaltungsakte, die nach dem 31.12.2024 übermittelt werden.
Neuregelung ab dem Jahr 2025
Beispiel: Das Finanzamt versendet an den Steuerpflichtigen einen Steuerbescheid. Er gibt den Brief am Dienstag, den 14.1.2025, zur Post. Bekanntgabezeitpunkt ist der 20.1.2025 (Montag), da der 18.1.2025 („vier Tage“) ein Samstag ist.
Ein Einspruch gegen den Steuerbescheid ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Die Einspruchsfrist endet somit am 20.2.2025 um 24:00 Uhr.
Beachten Sie | Auch ein elektronisch übermittelter Verwaltungsakt gilt am dritten (ab 2025: vierten) Tag nach der Absendung als bekannt gegeben.
Steuerbescheid später zugegangen oder nicht erhalten
Die Bekanntgabefiktion gilt allerdings nicht, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich später oder gar nicht zugegangen ist.
Hier ist wie folgt zu unterscheiden:
- Bestreitet der Steuerpflichtige den Zugang, ist das Finanzamt regelmäßig nicht in der Lage, den Zugang nachzuweisen. Daher ist eine erneute (ordnungsgemäße) Bekanntgabe erforderlich.
- Behauptet der Steuerpflichtige einen späteren Zugang, muss er dies substanziiert darlegen bzw. nachweisen. Dabei stellt eine Abwesenheit wegen Urlaubs regelmäßig keine spätere Bekanntgabe dar.
Quelle | PostModG, BR-Drs. 298/24 (B) vom 5.7.2024; DStV, Mitteilung vom 13.6.2024
| Bei der Erbschaftsteuer zählt ein Parkhaus zum nichtbegünstigten Verwaltungsvermögen. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) aktuell entschieden. |
Das war geschehen
Der Steuerpflichtige war testamentarisch eingesetzter Alleinerbe seines im Jahr 2018 verstorbenen Vaters (= Erblasser). Zum Erbe gehörte ein mit einem Parkhaus bebautes Grundstück. Der Erblasser hatte das Parkhaus als Einzelunternehmen ursprünglich selbst betrieben und ab dem Jahr 2000 dann unbefristet an seinen Sohn verpachtet.
Finanzamt: Parkhaus ist Verwaltungsvermögen
Das Finanzamt stellte den Wert des Betriebsvermögens fest und behandelte das Parkhaus dabei als sogenanntes Verwaltungsvermögen, das bei der Erbschaftsteuer nicht begünstigt ist. Das Finanzgericht (FG) und der BFH schlossen sich dieser Auffassung an.
Grundsätzlich wird Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer privilegiert. Das gilt allerdings nicht für bestimmte Gegenstände des Verwaltungsvermögens. Darunter fallen dem Grunde nach auch Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke. Diese können im Rahmen der Erbschaftsteuer zwar auch begünstigt sein, etwa wenn (wie im Streitfall) der Erblasser seinen ursprünglich selbst betriebenen Gewerbebetrieb unbefristet verpachtet und den Pächter testamentarisch als Erben einsetzt.
Keine erbschaftsteuerliche Privilegierung
Eine Ausnahme besteht dabei jedoch für solche Betriebe, die schon vor der Verpachtung nicht die Voraussetzungen der erbschaftsteuerrechtlichen Privilegierung erfüllt haben. Dies ist bei einem Parkhaus der Fall. Denn die dort verfügbaren Parkplätze als Teile des Parkhausgrundstücks wurden schon durch den Erblasser als damaligem Betreiber an die Autofahrer – und somit an Dritte – zur Nutzung überlassen.
Beachten Sie | Zudem handelt es sich dabei auch nicht um die Überlassung von Wohnungen, die der Gesetzgeber wiederum aus Gründen des Gemeinwohls für die Erbschaftsteuer privilegiert hat.
Keine Rolle spielt auch, ob zu der Überlassung der Parkplätze weitere gewerbliche Leistungen (z. B. eine Ein- und Ausfahrtkontrolle und eine Entgeltzahlungsdienstleistung) hinzukommen. Darauf stellt das Erbschaftsteuergesetz nämlich nicht ab.
Der BFH sah auch keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Verhältnis zu anderen Grundstücksüberlassungen, wie z. B. im Rahmen des Absatzes eigener Erzeugnisse durch einen Brauereibetrieb oder im Zusammenhang mit einer land- und forstwirtschaftlichen Betriebstätigkeit. Dass der Gesetzgeber solche Betriebe (wie auch die erwähnten Wohnungsunternehmen) als förderungswürdig ansah, ist von seinem weiten Entscheidungsspielraum gedeckt.
Quelle | BFH, Urteil vom 28.2.2024, II R 27/21
| Oft werden private Ausfahrten zugeparkt oder der private Parkplatz von anderen unberechtigt genutzt. Das störende Fahrzeug muss dann abgeschleppt werden und der Berechtigte muss zusehen, wie er etwaig verauslagte Kosten, z. B. Verwahrkosten, erstattet erhält. Hierzu hat jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) Wissenswertes entschieden. |
Parken trotz Parkverbots
Der auf den Kläger zugelassene Pkw wurde von dessen Schwester im Innenhof eines privaten Gebäudekomplexes abgestellt, der von einer Immobilienverwalterin verwaltet wird. An der Hofeinfahrt war ein Parkverbotsschild mit dem Zusatz „gilt im gesamten Innenhof“ angebracht. Die Verwalterin beauftragte die Beklagte, das Fahrzeug abzuschleppen, es anschließend zu verwahren und vor Wertminderung sowie unbefugtem Zugriff Dritter zu sichern. Die Beklagte verbrachte das Fahrzeug noch am selben Tag auf ihr Firmengelände. Kurz darauf forderte der Kläger von der Beklagten schriftlich unter Fristsetzung, das Fahrzeug herauszugeben. Auf das Schreiben erfolgte keine Reaktion.
Mit seiner Klage hat der Kläger von der Beklagten zunächst die Herausgabe seines Fahrzeugs verlangt. Nach erfolgter Herausgabe während des Prozesses haben die Parteien die Herausgabeklage übereinstimmend für erledigt erklärt. Gegenstand des Verfahrens war dann nur noch die Frage, wer die Standkosten tragen musste.
Herausgabeverlangen: Auf den Zeitpunkt kommt es an
Die Sache ging bis vor den Bundesgerichtshof (BGH). Dieser entschied: Zu erstattungsfähigen Kosten für die Entfernung eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs zählen auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der Verwahrung des Fahrzeugs im Anschluss an den Abschleppvorgang entstehen. Das gilt aber nur bis zu einem Herausgabeverlangen des Halters.
Es kommt auch ein Anspruch auf Ersatz von Verwahrkosten in Betracht, wenn der das Fahrzeug herausverlangende Halter nicht bereit ist, im Gegenzug die für das Abschleppen und die Verwahrung angefallenen ortsüblichen Kosten zu zahlen und der Abschleppunternehmer daraufhin die Herausgabe des Fahrzeugs verweigert, sodass der Halter in Annahmeverzug gerät.
Quelle | BGH, Urteil vom 17.11.2023, V ZR 192/22
| Muss der Verkäufer einer Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze unaufgefordert über den Härtegrad der Matratze aufklären und beraten? Das Amtsgericht (AG) Hannover hat diese Frage verneint. Es hat entschieden, dass ein Verkäufer im Grundsatz nur dann über den Härtegrad einer Matratze aufklären und beraten muss, wenn der Käufer danach fragt. |
Matratze war Käuferin zu hart: Verkäuferin bot Rabatt an
Die Klägerin kaufte im November 2022 bei der Beklagten eine Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze für ihre Tochter, die zuvor für wenige Minuten zur Probe gelegen hatte. Im Kaufvertrag war für die Matratze der Härtegrad H5 angegeben. Nachdem die Möbel im Januar 2023 geliefert worden waren, empfanden die Klägerin und ihre Tochter die Matratze als zu hart. Dies reklamierte die Klägerin bei der Beklagten. Diese bot der Klägerin u. a. einen Rabatt auf zwei neue Matratzen an, verweigerte aber eine Rückabwicklung des Kaufvertrags. Die Klägerin erklärte daraufhin die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung.
Rückabwicklung des Kaufvertrags?
Mit der Klage hatte die Käuferin eine teilweise Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Bettes nebst Matratze verlangt. Sie meinte, es sei für den Verkäufer klar erkennbar gewesen, dass das Schlafzimmer für ihre Tochter gewesen sei. Für das Gewicht ihrer Tochter sei aber ein Härtegrad von H2 angemessen.
Die Verkäuferin hatte vorgetragen, dass die Klägerin keine Beratung gewünscht habe. Sie habe es vielmehr sehr eilig gehabt, da sie einen Transporter angemietet habe. Sie habe sich lediglich nach einem Rabatt erkundigt, sonst aber keine Fragen gestellt.
So sah es das Amtsgericht
Das AG hat die Klage abgewiesen. Dabei ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die erworbene Matratze nicht mangelhaft war. Denn die Klägerin habe genau das bekommen, was vertraglich vereinbart war, nämlich eine Matratze des Härtegrades H5. Zwar habe die Klägerin erwartet, dass der Verkäufer sie unaufgefordert berate. Der Verkäufer habe aber keinen Anlass gehabt, eingehend über den Härtegrad aufzuklären und zu beraten. Denn die Klägerin habe ihre Erwartung einer Beratung nicht geäußert.
Keine Verletzung der Aufklärungspflicht
Zudem sei der Verkäufer erst hinzugezogen worden, als die Klägerin bereits zum Kauf entschlossen gewesen sei. Im Verkaufsgespräch sei es lediglich darum gegangen, die Daten der Klägerin aufzunehmen und über den Preis zu verhandeln. Die Tochter der Klägerin habe sich nach dem Probeliegen auch nicht über den Härtegrad beschwert. Daher habe der Verkäufer auch keine Aufklärungspflicht verletzt, sodass die Klägerin den Vertrag weder anfechten könne noch vom Vertrag zurücktreten könne.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 30.1.2024, 510 C 7814/23, PM vom 4.4.2024
| Reiserücktrittsversicherungen für den Krankheitsfall sichern regelmäßig nur solche Erkrankungen ab, die bei Vertragsschluss nicht bereits bekannt oder zu erwarten waren. Wer vor dem Abschluss der Reiserücktrittsversicherung eine Schürfwunde am Knöchel infolge eines Leitersturzes erlitten hatte, verliert seinen Versicherungsschutz nicht, wenn sich die Schürfwunde anschließend infiziert und ein Geschwür (Ulkus) hervorruft. Das hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) entschieden. |
Das war geschehen
Das OLG musste über die Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts (LG) Itzehoe entscheiden. Der Kläger hatte für sich, seine Ehefrau und seinen Sohn im November 2019 eine Reise nach Kuba für Februar 2020 gebucht. Nur wenige Tage später stürzte die Frau des Klägers von der Leiter und zog sich hierbei u. a. eine Schürfwunde am Knöchel zu. Im Anschluss bestellte der Kläger für seine Familie eine „Jahres-Reise-Karte“, die auch eine Reiserücktrittskostenversicherung beinhaltete. In dieser war Versicherungsschutz für Tod, schweren Unfall und unerwartet schwere Erkrankung vereinbart. Für den Fall einer unerwarteten Verschlechterung einer schon bestehenden Krankheit wurde in den Klauseln Versicherungsschutz ausgeschlossen, sofern in den letzten sechs Monaten vor Vertragsschluss eine Behandlung wegen der Erkrankung erfolgte. Im Januar 2020 musste die Frau des Klägers sich einer stationär durchgeführten Hauttransplantation unterziehen, nachdem die Wunde am Knöchel sich im Dezember 2019 infiziert und sich infolgedessen ein Geschwür (Ulkus) entwickelt hatte. Der Kläger hat dann die Reise storniert und bei der beklagten Versicherung die ihm berechneten Stornokosten geltend gemacht.
Landgericht wies Klage ab
Das LG hatte die Klage abgewiesen, denn die Ehefrau des Klägers sei bei Abschluss der Versicherung aufgrund der Schürfwunde bereits am Knöchel erkrankt gewesen. Zwar sei – so das LG – auch eine unerwartete Verschlechterung grundsätzlich versichert. Allerdings sei die Ehefrau des Klägers hier vor Abschluss des Versicherungsvertrags bereits am Knöchel behandelt worden, weshalb aufgrund der Vertragsbedingungen kein Anspruch bestehe.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG hat über die Frage der Behandlung der Ehefrau des Klägers am Knöchel vor Vertragsschluss die behandelnden Ärzte als Zeugen vernommen und die Versicherung dann zur Übernahme der Stornokosten verurteilt.
Es hat die Kenntnis der Ehefrau des Klägers vom Vorliegen einer Erkrankung bei Vertragsschluss abgelehnt. Bei einem Ulkus, das heißt einem – erst durch einen Infekt ausgelösten – Substanzdefekt der Haut, handele es sich objektiv um ein ganz anderes Erkrankungsbild als bei einer „bloßen“ sturzbedingten Schürfwunde. Dass der Ulkus ohne diese Wunde nicht entstanden wäre, ändert nichts daran, dass es zu seiner Entstehung erst einer Infizierung der Wunde bedurft habe. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hätten noch keine Anzeichen für eine solche Infizierung vorgelegen.
Argumente der Versicherung ohne Erfolg
Ohne Erfolg habe die Versicherung eingewendet, dass die einzelnen Erkrankungsfolgen aus dem Sturz der Ehefrau einheitlich betrachtet werden müssten, weil es sich bei dem Sturz um einen Schadensfall handele. Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers knüpfen die Vertragsbedingungen die Ersatzpflicht der Versicherung nicht an den Schadensfall, sondern den Eintritt einer unerwartet schweren Erkrankung. Selbst, wenn man in der Wunde am Bein nach dem Sturz und dem später aufgetretenen Ulkus die gleiche Erkrankung sehen wollte, die sich lediglich unerwartet verschlechtert habe, sei hier ein Anspruch gegeben. Denn die Vernehmung der behandelnden Ärzte habe nicht ergeben, dass die Wunde in den letzten sechs Monaten vor Versicherungsabschluss behandelt worden sei.
Quelle | Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 18.3.2024, 16 U 74/23, PM 1/24
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg hat mit zwei Urteilen die Berufungen der Kläger in zwei Verfahren gegen Straßenreinigungsgebührenbescheide der Hansestadt Lüneburg für das Jahr 2018 zurückgewiesen. |
Die Hansestadt Lüneburg erhob bis Ende 2017 Straßenreinigungsgebühren nach dem sog. Frontmetermaßstab. Mit Wirkung zum 1.1.2018 stellte sie den Maßstab um und erhebt seitdem die Gebühren gemäß ihrer Straßenreinigungsgebührensatzung nach dem sog. Quadratwurzelmaßstab. Bei diesem wird aus der Grundstücksfläche die Quadratwurzel gezogen. Damit wird gedanklich ein quadratisches Grundstück gebildet, von dem die Länge einer Seite der Gebührenberechnung zugrunde gelegt wird.
Das OVG hat entschieden, dass der Quadratwurzelmaßstab ein rechtmäßiger Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die Bemessung der Straßenreinigungsgebühren ist. Der vormals von der Hansestadt Lüneburg angewandte Frontmetermaßstab sei gegenüber dem Quadratwurzelmaßstab nicht vorrangig anzuwenden.
Darüber hinaus hat das OVG auch die Bestimmungen in der Straßenreinigungsgebührensatzung über die Heranziehung von mehrfach anliegenden Grundstücken und von Hinterliegergrundstücken als rechtmäßig erachtet. Diese verstießen weder gegen den Bestimmtheitsgrundsatz oder den Gleichheitssatz noch gegen den Grundsatz der Vollständigkeit.
Quelle | OVG Lüneburg, Urteile vom 24.4.2024, 9 LC 117/20 und 9 LC 138/20, PM vom 25.4.2024
| Im Streit um Ansprüche auf Rückerstattung aus einem Reisevertrag wies das Amtsgericht (AG) München eine Klage auf Zahlung von rund 4.000 Euro ab. |
Reise online storniert
Der Kläger hatte bei der Beklagten zum Preis von über 4.500 Euro eine neuntägige Reise für sich und seine Ehefrau im Juni 2023 nach Portugal gebucht. Im Anschluss stornierte der Kläger im Internet auf der Website der Beklagten die Reise. Die Beklagte buchte sodann vom Konto des Klägers Stornierungsgebühren in Höhe von rund 4.000 Euro ab. Der Kläger leitete daraufhin am selben Tag eine E-Mail an die Beklagte weiter, um die Stornierung rückgängig zu machen.
Der Kläger behauptete, er habe erst nach Buchung der Reise erfahren, dass neben dem Hotel eine Baustelle liege. Er habe sich zudem im Internet lediglich über eine Umbuchung informieren wollen und habe unbeabsichtigt wegen der Unübersichtlichkeit der Homepage die Reise storniert. Er habe deswegen die abgegebene Willenserklärung zur Stornierung angefochten.
Die Beklagte trug vor, der Kläger habe keine genauen Angaben über die besagte Baustelle getroffen. Im Übrigen sei die Buchung wirksam storniert worden. Für die endgültige Stornierung seien mehrere einzelne Schritte erforderlich gewesen. Eine unbeabsichtigte Kündigung sei im System unmöglich. Dem Reiseveranstalter sei durch den Rücktritt des Kunden hingegen ein Schaden entstanden.
So sieht es das Gericht
Das AG wies die Klage ab und begründete dies wie folgt: Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde vom Kläger wirksam storniert. Eine wirksame Anfechtung der Stornierung aufgrund eines Irrtums in der Erklärungshandlung ist nicht gegeben.
Ein Irrtum im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 119 BGB) ist das unbewusste Auseinanderfallen von Willen und Erklärung. Es liegt (nach § 119 Abs. 1 2. Fall BGB) zudem ein Irrtum in der Erklärungshandlung vor, wenn schon der äußere Erklärungstatbestand nicht dem Willen des Erklärenden entspricht. Dies ist beispielsweise beim Versprechen, Verschreiben oder Vergreifen der Fall. Zwar gab der Kläger an, die Website der Beklagten sei für ihn unübersichtlich gewesen, da diverse Klicks erforderlich gewesen seien.
Fünfmaliges Verklicken unwahrscheinlich
Es kann grundsätzlich nach der allgemeinen Lebenserfahrung sein, dass man versehentlich einmalig etwas anklickt, was dem eigentlichen Willen nicht entspricht. Es erscheint jedoch lebensfremd, dass bei der Durchführung eines Vorgangs – wie hier der Buchungsstornierung – mit insgesamt fünf verschiedenen Schritten jedes Mal ein „Verklicken“, und damit ein Irrtum in der Erklärungshandlung vorgelegen haben soll.
Aus der vom Reiseveranstalter vorgelegten Anlage ergibt sich insoweit, dass der Reisende für eine endgültige Stornierung der Reise erst mehrere einzelne Schritte durchführen musste: Zur Auslösung des endgültigen Stornierungsvorgangs musste der Kläger insgesamt viermal aktiv per Mausklick bestätigen, dass er eine Stornierung wünsche.
Dabei musste er bei Schritt 1 zunächst angeben, aus welchem Grund er seine Reise stornieren wollte. Im Anschluss bei Schritt 2 musste der Kläger angeben, was genau er stornieren wollte. Bei dem darauffolgenden Schritt 3 wurde der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass beim Auswählen „Buchung stornieren“, die Stornierung durchgeführt, und im Namen des Reisenden eine Rückerstattung beantragt werde. Erst durch Anklicken dieses Feldes gelangte der Kläger zum letzten und 4. Schritt, wo nochmals um Bestätigung gebeten wurde, dass tatsächlich mit der Stornierung fortzufahren sei. […]
Wirksame Stornierung und keine Umbuchung
Dass das Anklicken versehentlich geschah, und nicht dem Willen des Reisenden entsprach, war für das AG nicht nachvollziehbar. Ein Irrtum in der Erklärungshandlung durch Vertippen sah das AG nicht gegeben. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass dem Reisenden bewusst gewesen sein muss, dass er bei Durchführung des gesamten Buchungsvorgangs eine endgültige Stornierung vornahm – und nicht bloß, wie von ihm vorgegeben – eine Umbuchung. Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde somit wirksam storniert.
Verlust von 4.000 Euro
Die Beklagte war zudem berechtigt, aufgrund des Rücktritts vom Vertrag durch den Kläger vor Reisebeginn einen Betrag in Höhe von rund 4.000 Euro als angemessene Entschädigung zu verlangen.
Das AG hob hervor: Die pauschale Behauptung des Reisenden, es habe neben dem Hotel eine Baustelle gegeben, führt nicht zu einer vertraglichen Pflicht des Reiseveranstalters, alternative Lösungen anbieten zu müssen.
Quelle | AG München, Urteil vom 18.4.2024, 275 C 20050/23, PM 15/24
| Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Einer Mieterin von Wohnraum darf fristlos gekündigt werden, wenn diese – gleich zweimal – die Vermieterin mit Wasser überschüttet. |
Die Vermieterin hatte die Mieterin auf Räumung der Wohnung verklagt, weil diese sie zwei Mal mit Wasser übergossen habe. Unstreitig zwischen den Parteien war zwar, dass die Mieterin jeweils einen Eimer Wasser aus dem Fenster in den Hof gegossen hatte, als sich die Vermieterin in diesem befand. Die Mieterin hatte allerdings bestritten, die Vermieterin getroffen zu haben oder überhaupt treffen zu wollen.
Das AG sah die Kündigung als wirksam an. Denn der vernommene Zeuge bestätigte, dass die Vermieterin beide Male tatsächlich mit dem Wasser aus dem Eimer vollständig übergossen wurde. Diese sei, so der Zeuge,„klitschnass“ gewesen, wie bei einer „Ice-Bucket-Challenge“. Das rechtfertige eine fristlose Kündigung wegen Störung des Hausfriedens, so das AG. Selbst, wenn die Mieterin keine direkte Absicht gehabt habe, die Vermieterin zu treffen, habe sie dies angesichts der Situation jedoch zumindest billigend in Kauf genommen. Denn ihr Ziel lag schon nach dem eigenen Vortrag darin, die Vermieterin davon abzuhalten, ihr Fahrrad umzustellen. Es habe auch keiner vorherigen Abmahnung bedurft, zumal die Mieterin, wie sich aus der Beweisaufnahme ergab, bereits weitere derartige Aktionen angekündigt habe.
Quelle | AG Hanau, Beschluss vom 19.2.2024, 34 C 92/23, PM vom 3.5.2024
| Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) hat sich mit dem Einwand der Testierunfähigkeit eines an Depressionen und Alkoholsucht leidenden Erblassers zu befassen, der sich das Leben nahm. |
Erblasser litt an Persönlichkeitsstörung
Der Erblasser litt an einer psychiatrisch relevanten Persönlichkeitsstörung in Form einer affektiven Störung mit sowohl depressiven als auch manischen Phasen (bipolare Störung) sowie einem Alkoholproblem. Mit eigenhändigem Testament verfügte er, dass seine Ziehtochter seinen gesamten Besitz erben solle. In zwei Abschiedsbriefen begründete er seine Entscheidung zu dem Suizid und tat im Übrigen kund, dass er alle Erbschaftsangelegenheiten regeln wolle.
Die Ziehtochter beantragte einen Erbschein, der ihre Stellung als Alleinerbin ausweisen sollte. Diesem Antrag trat die Schwester des Erblassers mit der Begründung entgegen, der Erblasser sei aufgrund seiner psychischen Erkrankungen testierunfähig gewesen. Nach Einholen eines Sachverständigengutachtens zum Einwand der Testierunfähigkeit hat das Nachlassgericht einen Feststellungsbeschluss erlassen. Gegen diese Entscheidung wandte sich die Schwester mit der Beschwerde, der das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt hat.
So entschied das Oberlandesgericht
Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Es hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Eine Testierunfähigkeit habe das Sachverständigengutachten nicht bestätigen können. Zwar habe der Erblasser an den genannten Erkrankungen und an weiteren körperlichen Einschränkungen gelitten, die die Sachverständigen bestätigten. Diese genannten Gründe allerdings ließen für sich allein keinen zwingenden Schluss auf das Vorliegen der Testierunfähigkeit zu.
Nur dann, wenn die gesundheitlichen Einschränkungen eine Geisteskrankheit oder erhebliche Geistesschwäche verursachen, die die freie Willensbestimmung ausschlössen oder zu einer solch starken Bewusstseinsstörung führten, liege auch eine Testierunfähigkeit vor. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
Quelle | Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 19.3.2024, 3 W28/24
| Ein (fördermittelschädlicher) vorzeitiger Maßnahmenbeginn liegt vor, wenn die einschlägige Förderrichtlinie eine klare Linie bei der Leistungsphase 6 zieht und der Mittelempfänger darüber informiert wurde, dass er eingeschaltete Planer vor Erhalt der Förderzusage nur mit Planungs- und Vorbereitungsleistungen bis einschließlich Leistungsphase 6 beauftragen soll. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Magdeburg entschieden. |
Bauherr verlor Förderung
Das Urteil war für den Bauherrn besonders „bitter“. Denn er verlor die gesamte Förderung in Höhe von 240.000 Euro, weil er den Planer entgegen den Förderbestimmungen schon mit kleinen Leistungen der Leistungsphase 7 beauftragt hatte.
Bauherren informieren!
Konsequenz aus dem Urteil ist u. a.: Planer sollten Bauherren stets darüber informieren, wie streng Fördermittelgeber darauf achten, dass Förderbestimmungen eingehalten werden.
Quelle | VG Magdeburg, Urteil vom 25.3.2024, 3 A 155/21
| Regelt der Auftraggeber in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) Erschwernisse, um von ihm eine Bauhandwerkersicherungshypothek zu verlangen, ist dies unwirksam. So sieht es das Landgericht (LG) Berlin. |
Anspruch nur beiVerzug?
Der Auftraggeber hatte einen Planer für Technische Gebäudeausrüstung mit Leistungen über knapp 4,7 Mio. Euro beauftragt. In seinen AGB hieß es u. a.: „Einen Anspruch aus § 650 e BGB kann der Auftragnehmer nur geltend machen, wenn sich der Auftraggeber in Verzug befindet und die angemahnte Zahlung trotz Nachfristsetzung innerhalb von zwei Wochen nicht fristgemäß leistet. Die Geltendmachung des Anspruchs aus § 650 e BGB setzt ferner voraus, dass der Auftragnehmer bei Nachfristsetzung oder danach dies mit einer Frist von drei Wochen angekündigt hat.“
Nachdem mehrere Rechnungen nicht bezahlt worden waren, verlangte der Planer erst eine Sicherheit nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 650 f BGB, Bauhandwerkersicherung). Die brachte der Auftraggeber nicht bei. Daher beantragte der Planer ohne erneute Fristsetzung im Wege der einstweiligen Verfügung die Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch zur Sicherung des Anspruchs nach § 650 e BGB (Sicherungshypothek an dem Baugrundstück) i. H. v. ca. 340.000 Euro. Der Auftraggeber berief sich auf seine o. g. AGB-Klausel und wollte nicht leisten.
Landgericht gab Planer Recht
Die Klausel im Vertrag war unwirksam, denn sie benachteiligte den Planer als Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Sie war mit den wesentlichen Grundgedanken des § 650 e BGB nicht vereinbar.
Der Anspruch auf Vormerkung einer Sicherungshypothek soll den vorleistungspflichtigen Unternehmer schützen und gewährt ihm hierzu einen im Eilverfahren zügig durchsetzbaren Anspruch. Diesen Grundgedanken stehen die mit den AGB aufgestellten Anforderungen, Verzug nach Fristsetzung und weitere Ankündigungsfrist, entgegen. Vor allem könnte der Auftraggeber ansonsten versuchen, bis zum Abschluss eines zuvor angekündigten einstweiligen Verfügungsverfahrens einen Eigentumswechsel herbeizuführen. Das könnte den Anspruch des Unternehmens vereiteln.
Quelle | LG Berlin, Urteil vom 6.7.2023, 19 O 101/23
| Wer mit Verbrauchern einen Architektenvertrag schließt, muss zum einen vermeiden, dass diese ihr Widerrufsrecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 312 b BGB) ausüben. Zum anderen ist die neue Belehrungspflicht der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (hier: § 7 Abs. 2 HOAI 2021) zu beachten. Sonst kann der Architekt maximal das Honorar nach den Basishonorarsätzen der HOAI abrechnen. Dies gilt, selbst wenn die Parteien etwas anderes vereinbart haben. Das entschied das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Das sagt die HOAI zur Form und zum Fehlen einer Vereinbarung
§ 7 HOAI sagt, dass sich das (Architekten-)Honorar nach der Vereinbarung richtet, die die Vertragsparteien in Textform treffen. Sofern keine Vereinbarung über die Höhe des Honorars in Textform getroffen wurde, gilt für Grundleistungen der jeweilige Basishonorarsatz als vereinbart.
Das sagt die HOAI zur Aufklärungspflicht des Architekten
Außerdem schreibt die Norm vor, dass der Auftragnehmer, also der Architekt, den Auftraggeber, falls dieser Verbraucher ist, vor Abgabe von dessen verbindlicher Vertragserklärung zur Honorarvereinbarung in Textform darauf hinweisen muss, dass ein höheres oder niedrigeres Honorar als die in den Honorartafeln dieser Verordnung enthaltenen Werte vereinbart werden kann. Folge: Ohne diese (rechtzeitige) Belehrung gilt für die zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Grundleistungen anstelle eines höheren Honorars ein Honorar in Höhe des jeweiligen Basishonorarsatzes als vereinbart.
Diese Konsequenzen zog das Oberlandesgericht
Im Fall des OLG gab es diese Aufklärung nicht. Das OLG: Die Aufklärungspflicht gilt auch, wenn ein Zeit- oder Pauschalhonorar vereinbart worden ist. Ohne Belehrung kann der Planer nur den Basishonorarsatz abrechnen.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 8.4.2024, 11 U 215/22
| Widerruft ein Arbeitgeber im Öffentlichen Dienst seine Einstellungszusage aufgrund eines ärztlichen Attests, ist dies keine Diskriminierung aufgrund einer Schwerbehinderung. So entschied es das Arbeitsgericht (ArbG) Siegburg. |
Einstellungszusage widerrufen
Der an Diabetes erkrankte, schwerbehinderte Kläger bewarb sich unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung im Januar 2023 auf eine von der beklagten Stadt ausgeschriebene Ausbildungsstelle als Straßenwärter. Er erhielt eine Einstellungszusage vorbehaltlich einer noch durchzuführenden ärztlichen Untersuchung. Der Arzt kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger wegen seiner Diabetes-Erkrankung nicht für die vorgesehene Ausbildungsstelle geeignet sei. Die Einstellungszusage wurde daraufhin zurückgenommen. Der Kläger erhob Klage auf Entschädigung wegen einer aus seiner Sicht erfolgten Diskriminierung als schwerbehinderter Mensch.
Kein Verstoß gegen geltendes Recht
Das ArbG wies die Klage ab. Eine diskriminierende Handlung und ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) seien nicht erkennbar.
Der Kläger sei von der Beklagten wegen seiner Behinderung nicht schlechter behandelt worden als vergleichbare nichtbehinderte Bewerber. Die Stadt habe bei der Entscheidung, den Kläger nicht einzustellen, nicht auf seine Behinderung abgestellt. Vielmehr habe man den Kläger ungeachtet seiner Behinderung gerade einstellen wollen und ihm demgemäß eine Einstellungszusage erteilt, diese jedoch vom Ergebnis einer gesundheitlichen Eignungsuntersuchung bzw. seiner Eignung abhängig gemacht.
Diese gesundheitliche Eignung sei dann von dem von ihr beauftragten Arzt verneint worden. Daraufhin habe die Beklagte unter Berufung auf den zum Ausdruck gekommenen Vorbehalt ihre Einstellungszusage zurückgezogen.
Quelle | ArbG Siegburg, Urteil vom 20.3.2024, 3 Ca 1654/23, PM 1/24
| In einem Fall vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Düsseldorf ging es im Wesentlichen um angeblich unangemessene Äußerungen des Arbeitnehmers gegenüber Kollegen über Mitarbeitern. Die daraufhin vom Arbeitgeber ausgesprochene Abmahnung hatte keinen Bestand, weil sie zu unbestimmt war. |
Das war geschehen
Der Arbeitnehmer hatte die Äußerungen bestritten. Auf seine Frage im Personalgespräch, weshalb keine Namen derjenigen Arbeitnehmer genannt würden, die die Vorwürfe an die Personalbetreuung herangetragen hätten, äußerte die Personalreferentin, dass die Arbeitnehmer eingeschüchtert seien und sich lediglich vertraulich an die Vorgesetzten sowie die Personalbetreuung gewandt hätten. Auch in der Abmahnung selbst erfolgte keine namentliche Nennung.
So sah es das Arbeitsgericht
Das ArbG stellte klar: Dieser Vorgang reicht nicht für eine Abmahnung. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Arbeitnehmer sich tatsächlich in der ihm vorgeworfenen Art und Weise verhalten habe. Die Abmahnung sei inhaltlich zu unbestimmt. Die „anderen Mitarbeiter“, gegenüber denen er die Äußerungen getätigt haben soll, würden in der Abmahnung nicht benannt, obwohl sie dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Abmahnung unstreitig bekannt gewesen seien. Da sich die Anforderungen an die Konkretisierung der in der Abmahnung enthaltenen Rüge an dem orientierten, was der Arbeitgeber wissen könne, sei die Abmahnung nicht hinreichend konkret.
Für den Arbeitnehmer als Adressat der Abmahnung diene die konkrete Nennung der Namen der Zeugen auch dazu, zu überprüfen, ob die Abmahnung inhaltlich richtig sei oder nicht; pauschale Vorwürfe ohne die Nennung der Zeugen würden diese Anforderung nicht erfüllen. Der Arbeitgeber sei auch nicht berechtigt, zum Schutz der Zeugen die Namen in der Abmahnung nicht zu nennen. Hierdurch könne zwar ein Konflikt zwischen dem Arbeitnehmer und den Zeugen im Hinblick auf den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe entstehen. Einen solchen Konflikt müsse ein Arbeitgeber, der den Aussagen der Zeugen im Hinblick auf ein angebliches Fehlverhalten eines Arbeitnehmers vertraue, allerdings hinnehmen. Es sei auch nicht ersichtlich, welche konkrete Gefahr den Zeugen durch ihre Nennung in der Abmahnung drohe.
Quelle | ArbG Düsseldorf, Urteil vom 12.1.2024, 7 Ca 1347/23
| Eine SARS-CoV-2-Infektion stellt auch bei einem symptomlosen Verlauf eine Krankheit nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (hier: § 3 Abs. 1 EFZG) dar, die zur Arbeitsunfähigkeit führt. Voraussetzung: Es muss dem Arbeitnehmer infolge einer behördlichen Absonderungsanordnung rechtlich unmöglich sein, die geschuldete Tätigkeit beim Arbeitgeber zu erbringen und eine Erbringung in der häuslichen Umgebung nicht in Betracht kommen. So hat es das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. |
Abzug vom Verdienst nach Covid-Erkrankung
Der Kläger ist als Produktionsmitarbeiter bei der Arbeitgeberin beschäftigt, einem Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie. Er hatte sich keiner Schutzimpfung gegen das Coronavirus unterzogen und wurde am 26.12.2021 positiv auf das Virus getestet. Für die Zeit vom 27. bis zum 31.12.2021 wurde dem unter Husten, Schnupfen und Kopfschmerzen leidenden Kläger eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ausgestellt. Für diese Zeit leistete die Arbeitgeberin Entgeltfortzahlung. Am 29.12.2021 erließ die Gemeinde N. eine Verfügung, nach der für den Kläger bis zum 12.1.2022 Isolierung (Quarantäne) in häuslicher Umgebung angeordnet wurde. Für die Zeit vom 3. bis zum 12.1.2022 lehnte der Arzt die Ausstellung einer Folge-AU mit der Begründung ab, das positive Testergebnis und die Absonderungsanordnung würden zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit ausreichen. Mit der Verdienstabrechnung für Januar 2022 nahm die Arbeitgeberin für diese Zeit vom Lohn des Klägers einen Abzug in Höhe von ca. 1.000 Euro brutto vor. Mit seiner Klage hat der Arbeitnehmer Zahlung dieses Betrags verlangt. Das Arbeitsgericht (ArbG) hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat auf die Berufung des Arbeitnehmers das Urteil des ArbG geändert und die Arbeitgeberin verurteilt, zu zahlen.
Bundesarbeitsgericht gab Arbeitnehmer Recht
Die Revision der Arbeitgeberin blieb vor dem BAG ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert war, ohne dass es darauf ankam, ob bei ihm durchgehend Symptome von COVID-19 vorlagen. Die SARS-CoV-2-Infektion stellt einen regelwidrigen Körperzustand und damit eine Krankheit dar, die zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat.
Die Absonderungsanordnung ist keine eigenständige, parallele Ursache für Arbeitsunfähigkeit, vielmehr beruht das daraus resultierende Tätigkeitsverbot gerade auf der Infektion (Monokausalität). Diese ist die nicht hinwegzudenkende Ursache für die nachfolgende Absonderungsanordnung. Aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion war es dem Kläger rechtlich nicht möglich, die geschuldete Arbeitsleistung im Betrieb der Beklagten zu erbringen.
Es konnte auch nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden, dass das Unterlassen der empfohlenen Corona-Schutzimpfung für die SARS-CoV-2-Infektion ursächlich war. Das Berufungsgericht hat hierbei zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt, dass die Nichtvornahme der Schutzimpfungen einen groben Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen zu erwartende Verhalten darstellte. Jedoch ließen die wöchentlichen Lageberichte des RKI und dessen Einschätzung der Impfeffektivität nicht den Schluss zu, dass Ende Dezember 2021 bzw. Anfang Januar 2022 die beim Kläger aufgetretene Corona-Infektion durch die Inanspruchnahme der Schutzimpfung hätte verhindert werden können.
Der Arbeitgeberin stand ein Leistungsverweigerungsrecht wegen nicht vorgelegter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht zu. Das LAG hatte richtig erkannt, dass der Kläger der Beklagten durch Vorlage der Ordnungsverfügung der Gemeinde N. in anderer, geeigneter Weise nachgewiesen hat, infolge seiner Corona-Infektion objektiv an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert zu sein.
Quelle | BAG, Urteil vom 20.3.2024, 5 AZ R 234/23, PM 8/24
| Eine Bank kann nicht unter Berufung auf das Bankgeheimnis die Vorlage von Original-Urkunden verweigern, wenn im Einzelfall das Interesse des Beweisführers an ihrer Vorlage höher zu gewichten ist. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Bank wollte Originalurkunden nicht herausgeben
Ein Mann hatte geltend gemacht, seine – inzwischen getrenntlebende und in Scheidung befindliche – Ehefrau habe auf einer Bürgschaftsurkunde und einer Eigentümererklärung unberechtigt seine Unterschriften angebracht. Er hat beantragt, ein Schriftsachverständigengutachten einzuholen. Das Kreditinstitut – eine Bausparkasse – hat die Herausgabe der zur Begutachtung erforderlichen Originalurkunden unter Bezugnahme auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht verweigert. Das machte der BGH nicht mit.
Hier gilt ein Zeugnisverweigerungsrecht
Personen, denen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, sind zur Verweigerung des Zeugnisses der Tatsachen berechtigt, auf die sich die Verpflichtung zur Verschwiegenheit bezieht. Dies gilt dann auch für hierauf bezogene Urkunden. Im Fall des BGH hatten die Interessen des Mannes jedoch Vorrang.
Quelle | BGH, Beschluss vom 29.11.2023, XII ZB 141/22
| Unternehmen müssen den Inhalt der Bilanz und der Gewinn-und Verlustrechnung grundsätzlich nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung übermitteln. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nun das aktualisierte Datenschema der Taxonomien (Version 6.8) als amtlich vorgeschriebenen Datensatz veröffentlicht. Die aktualisierten Taxonomien stehen unter www.esteuer.de zur Ansicht und zum Abruf bereit. |
Beachten Sie | Die neuen Taxonomien sind grundsätzlich für die Bilanzen der Wirtschaftsjahre zu verwenden, die nach dem 31.12.2024 beginnen (Wirtschaftsjahr 2025 oder 2025/2026). Es wird aber nicht beanstandet, wenn diese auch für das Wirtschaftsjahr 2024 oder 2024/2025 verwendet werden.
Die Übermittlungsmöglichkeit mit diesen neuen Taxonomien wird für Testfälle voraussichtlich ab November 2024 gegeben sein, für Echtfälle ab Mai 2025.
Quelle | BMF-Schreiben vom 27.5.2024, IV C 6 - S 2133-b/24/10001 :002
| Nach den statistischen Aufzeichnungen der obersten Finanzbehörden der Länder haben die im Jahr 2023 durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfungen bei der Umsatzsteuer zu einem Mehrergebnis von rund 1,52 Mrd. Euro geführt. Die Ergebnisse aus der Teilnahme von Umsatzsteuer-Sonderprüfern an allgemeinen Betriebsprüfungen oder an den Prüfungen der Steuerfahndung sind in diesem Mehrergebnis nicht enthalten. |
Umsatzsteuer-Sonderprüfungen werden unabhängig vom Turnus der allgemeinen Betriebsprüfung und ohne Unterscheidung der Größe der Betriebe vorgenommen. Im Jahr 2023 wurden 63.282 Umsatzsteuer-Sonderprüfungen durchgeführt. Im Jahresdurchschnitt waren 1.604 Umsatzsteuer-Sonderprüfer eingesetzt. Jeder Prüfer führte im Durchschnitt 39 Sonderprüfungen durch. Dies bedeutet für jeden eingesetzten Prüfer ein durchschnittliches Mehrergebnis von rund 0,94 Mio. Euro.
Quelle | BMF, Mitteilung vom 25.4.2024
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Er möchte wissen, ob das gesetzliche Aufteilungsgebot für Beherbergungsleistungen rechtmäßig ist. Danach unterliegt die Übernachtungsleistung dem ermäßigten Umsatzsteuersatz i. H. von 7 %. Für Nebenleistungen, die nicht unmittelbar der Beherbergung dienen, gilt dagegen der Regelsteuersatz (19 %). In den drei Streitfällen ging es um Parkplatzgestellungen, Frühstücksleistungen, die Gestellung von Fitness- und Wellnesseinrichtungen sowie von W-LAN. |
Für die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, greift die Umsatzsteuerermäßigung auf 7 %.
Beachten Sie | Dies gilt nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 12 Abs. 2 Nr. 11 S. 2 UStG) aber nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind.
Bisher war der BFH der Ansicht, dass das Aufteilungsgebot in Einklang mit dem Unionsrecht steht und dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung vorgeht, wonach eine (unselbstständige) Nebenleistung das Schicksal der Hauptleistung teilt.
Ganz so sicher ist sich der BFH aber infolge der jüngeren Rechtsprechung des EuGH nicht mehr. Deshalb hat er nun beim EuGH angefragt. Es ist zu hoffen, dass sich der EuGH zeitnah und eindeutig äußern wird, damit zu dieser Frage (endlich) Rechtssicherheit besteht.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 10.1.2024, XI R 11/23 (XI R 34/20), XI R 13/23 (XI R 7/21), XI R 14/23 (XI R 22/21)
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat erstmals zu den Voraussetzungen und der Reichweite des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs entschieden. |
Hintergrund: Die Datenschutz-Grundverordnung gewährt (in Art. 15 Abs. 1 DS-GVO) einen Anspruch auf Auskunft, welche personenbezogenen Daten über einen Steuerpflichtigen verarbeitet werden.
Finanzamt und Finanzgericht lehnten Auskunftsersuchen ab
Im Streitfall verlangte ein Steuerpflichtiger gegenüber dem Finanzamt die Zurverfügungstellung (elektronischer) Kopien von Verwaltungsakten mit den ihn betreffenden personenbezogenen Daten, was sowohl das Finanzamt als auch das Finanzgericht (FG) ablehnten.
Bundesfinanzhof widersprach
Der BFH hat nun entschieden, dass ein Steuerpflichtiger vom Finanzamt grundsätzlich Auskunft über die ihn betreffenden personenbezogenen Daten verlangen kann – und zwar ungeachtet der Art der Aktenführung, der Art der Dokumente oder der Form der Datenverarbeitung durch die Finanzverwaltung.
Auskunftsanspruch unabhängig von Art der Steuer
Der Auskunftsanspruch ist auch nicht davon abhängig, für welche Steuerart die Datenverarbeitung erfolgt. Grundsätzlich ist der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch darauf beschränkt, dass der Steuerpflichtige darüber informiert wird, welche ihn betreffenden personenbezogenen Daten verarbeitet werden.
Der Auskunftsanspruch gewährt grundsätzlich aber kein Recht auf die (elektronische) Zurverfügungstellung von Kopien von ganzen Akten bzw. einzelnen Dokumenten mit personenbezogenen Daten. Nur ausnahmsweise, wenn der Steuerpflichtige diese zwingend benötigt, um seine Rechte nach der DS-GVO durchsetzen zu können, sind ihm auch Kopien von Dokumenten mit seinen personenbezogenen Daten (elektronisch) zur Verfügung zu stellen.
Grenzen: unbegründete oder exzessive Auskunftsersuchen
Zu den Grenzen des Auskunftsanspruchs hat der BFH im Übrigen klargestellt, dass die Finanzverwaltung zwar einen gegen sie gerichteten Auskunftsanspruch nach der DS-GVO zurückweisen kann, falls dieser offenkundig unbegründet oder exzessiv ist. Hierfür muss sie jedoch die Umstände darlegen, die zu einer offenkundigen Unbegründetheit bzw. zu einem Exzess des Auskunftsersuchens führen. Dass der Steuerpflichtige mit seinem Auskunftsersuchen Ziele außerhalb der DS-GVO verfolgt, erlaubt der Finanzverwaltung nicht, die Auskunft über die verarbeiteten personenbezogenen Daten zu verweigern.
Quelle | BFH, Urteil vom 12.3.2024, IX R 35/21, PM Nr. 27/24 vom 20.6.2024
| Die Auszahlung einer Direktversicherung nach Ausübung eines vertraglich eingeräumten Kapitalwahlrechts unterliegt nicht dem ermäßigten Steuersatz. Gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Münster ist allerdings die Revision anhängig. |
Das war geschehen
Im Streitfall hatte die Steuerpflichtige mit ihrem damaligen Arbeitgeber die Umwandlung eines Teils ihres Gehalts in Beiträge zu einer Direktversicherung nach dem Betriebsrentengesetz vereinbart. Daraufhin schloss der Arbeitgeber für die Steuerpflichtige eine solche Versicherung mit einer Beitragszahlungsdauer von 14 Jahren ab. Es sollte eine lebenslange monatliche Rente gezahlt werden oder auf Antrag eine einmalige Kapitalabfindung erfolgen.
Im Streitjahr 2019 übte die Steuerpflichtige das Kapitalwahlrecht aus und erhielt ca. 44.500 Euro. Diesen Betrag behandelte das Finanzamt als steuerpflichtige Rente und besteuerte ihn mit dem regulären Steuersatz. Die hiergegen gerichtete Klage war erfolglos.
Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten können als außerordentliche Einkünfte in Betracht kommen, die ermäßigt zu besteuern sind (Fünftel-Regelung). Da es im Streitfall aber an dem Tatbestandsmerkmal der Außerordentlichkeit fehlte, kam keine ermäßigte Besteuerung in Betracht.
Höchstrichterliche Rechtsprechung
Im Hinblick auf die Kapitalauszahlung von Renten kam es nach der früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ausschließlich auf die vertragliche Vereinbarung an (keine ermäßigte Besteuerung, wenn das Kapitalwahlrecht schon in der ursprünglichen Versorgungsregelung enthalten war). In späteren Entscheidungen hat es der BFH jedoch vielmehr für maßgeblich gehalten, ob das Kapitalwahlrecht nur in atypischen Einzelfällen tatsächlich ausgeübt wird, wofür statistisches Material ausgewertet werden muss.
Bundesfinanzhof ist erneut gefragt
Vor diesem Hintergrund hat das FG Münster nun die Revision mit folgendem Wortlaut zugelassen: „Dem Bundesfinanzhof ist Gelegenheit zu geben, über die Ausschärfung der Kriterien zur Bestimmung der Atypik bei Kapitalauszahlungen von Renten erneut zu entscheiden, da er bei seinen bisherigen Entscheidungen (irrtümlich) davon ausgegangen ist, dass statistisches Material über die Häufigkeit der Ausübung von Kapitalwahlrechten verfügbar ist.“
Beachten Sie | Da die Steuerpflichtige die Revision eingelegt hat, können geeignete Fälle mit einem Einspruch bis zur Entscheidung des BFH offen gehalten werden.
Quelle | FG Münster, Urteil vom 24.10.2023, 1 K 1990/22 E, Rev. BFH: X R 25/23
| Bei Lohnsteuer-Außenprüfungen stoßen Prüfer immer häufiger auf Sachverhalte, in denen der Arbeitgeber im Rahmen einer Gehaltsumwandlung den Grundlohn abgesenkt und einen nach § 3 Nr. 30 und Nr. 50 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfreien Heimarbeiterzuschlag zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen (z. B. für Miete, Heizung und Beleuchtung der Arbeitsräume) bezahlt hat. Hier ist Vorsicht geboten: Denn in vielen Fällen sind die Voraussetzungen für den steuerfreien Heimarbeiterzuschlag nach dem Heimarbeitsgesetz (HAG) nicht erfüllt. |
Informationen zum Heimarbeiterzuschlag enthält vor allem die Lohnsteuerrichtlinie 9.13. Hier heißt es in Abs. 2: „Lohnzuschläge, die den Heimarbeitern zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen neben dem Grundlohn gezahlt werden, sind insgesamt aus Vereinfachungsgründen nach § 3 Nr. 30 und 50 EStG steuerfrei, soweit sie 10 % des Grundlohns nicht übersteigen.“
Beachten Sie | Die im Einkommensteuergesetz geregelte Steuerfreiheit gilt allerdings nur für Heimarbeiter i. S. des § 2 Abs. 1 HAG. Die steuerfreien Zuschläge können also nicht von Arbeitnehmern in Anspruch genommen werden, die ihre Tätigkeit seit der Coronapandemie (teilweise) im Homeoffice ausüben.
Quelle | R 9.13 Abs. 2 Lohnsteuerrichtlinien; § 2 Heimarbeitsgesetz
| Schuldet der Vermieter von Wohnraum zum vertragsgemäßen Gebrauch auch die Versorgung mit Wärme und warmem Wasser, stehen Kosten des Vermieters für eine neue Heizungsanlage jedenfalls dann im direkten und unmittelbaren Zusammenhang zur steuerfreien Vermietung, wenn es sich dabei nicht um Betriebskosten handelt, die der Mieter gesondert zu tragen hat. Die Quintessenz aus dieser Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH): Der Vermieter kann für die Heizungsanlage keinen Vorsteuerabzug beanspruchen. |
Hintergrund: Nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG) ist der Vorsteuerabzug für Lieferungen und sonstige Leistungen ausgeschlossen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet.
Das Finanzgericht (FG) Münster hatte den Streitfall noch anders beurteilt und auf getrennte Leistungen abgestellt, nämlich einerseits steuerfreie Vermietungsleistungen und andererseits steuerpflichtige Energielieferungen.
Der BFH lehnte den vom Vermieter begehrten Vorsteuerabzug aus dem Heizungsaustausch aber bereits deshalb ab, weil der Vermieter dort entsprechend den mietrechtlichen Rahmenbedingungen die Gestellung einer Wohnung zum bestimmungsgemäßen Gebrauch – d. h. einschließlich der Gestellung warmen Brauchwassers – schuldete und die diesbezüglichen Zahlungen nicht als dem Mieter gesondert berechenbare Betriebskosten i. S. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 556 BGB) anzusehen waren.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.12.2023, V R 15/21
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in zwei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu den Bewertungsregelungen des neuen Grundsteuer- und Bewertungsrechts entschieden. Danach müssen Steuerpflichtige unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit haben, einen unter dem festgestellten Grundsteuerwert liegenden Wert ihres Grundstücks nachzuweisen. Weil deswegen bereits Zweifel an der Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte bestanden, war nicht mehr zu prüfen, ob die neue Grundsteuer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln unterliegt. |
Steuerpflichtige vor Finanzgericht erfolgreich
In beiden Streitfällen hatten die Antragsteller beim Finanzgericht (FG) erfolgreich beantragt, die Grundsteuerwertfeststellungen für ihre Wohnimmobilien von der Vollziehung auszusetzen. Die Bescheide waren auf der Grundlage des neuen Bundesmodells ergangen, das in mehreren Bundesländern (z. B. in Nordrhein-Westfalen) Anwendung findet.
Danach wird die Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer, die ab 2025 von den Gemeinden erhoben wird, durch Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 1.1.2022 als einheitlichem Hauptfeststellungsstichtag ermittelt. Die für die Feststellung des Grundsteuerwerts maßgeblichen Vorschriften enthalten nicht zuletzt wegen der Neubewertung von über 36 Millionen wirtschaftlichen Einheiten zahlreiche Typisierungen und Pauschalierungen.
Bundesfinanzhof: Beschwerden des Finanzamts zurückgewiesen
Das FG hatte ernstliche Zweifel sowohl an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertbescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der Bewertungsvorschriften und gewährte deshalb die beantragte Aussetzung der Vollziehung. Die dagegen erhobenen Beschwerden des Finanzamts hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit in Bezug auf Grundsteuerwerte
Nach Ansicht des BFH bestehen bereits einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertfeststellungen in Bezug auf die Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte. Denn die Steuerpflichtigen müssen bei einer Verletzung des Übermaßverbots die Möglichkeit haben, einen niedrigeren Wert nachzuweisen – auch wenn der Gesetzgeber dies nicht ausdrücklich geregelt hat.
Übermaßverbot ist zu berücksichtigen
Der Gesetzgeber verfügt gerade in Massenverfahren über einen großen Typisierungs- und Pauschalierungsspielraum. Das Übermaßverbot kann aber verletzt sein, wenn sich der Grundsteuerwert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweist. Dies setzt nach der Rechtsprechung zu anderen typisierenden Bewertungsvorschriften voraus, dass der festgestellte Wert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 % oder mehr übersteigt – und dies war infolge der Besonderheiten in den Streitfällen nicht auszuschließen.
Beachten Sie | Eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des neuen Bewertungsrechts ist damit nicht verbunden. Es handelt sich bisher lediglich um Beschlüsse im Rahmen der summarischen Prüfung des Aussetzungsverfahrens.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 27.5.2024, II B 78/23 (AdV) und II B 79/23 (AdV); PM Nr. 26/24 vom 13.6.2024
| Ist ein Fahrzeug mehr als fünf Jahre alt, stuft das Amtsgericht (AG) Aue-Bad Schlema die Nutzungsausfallentschädigung um eine und bei mehr als zehn Jahren um zwei Gruppen ab. |
So rechnete das Amtsgericht
Wenn ein ca. 15 Jahre alter Kleinwagen mit ca. 194.000 km Laufleistung, der ohne Altersabstufung in die Gruppe B gehört, betroffen ist, wird jedoch nur eine Gruppe abgestuft. Denn tiefer geht es nicht. So gab es im vom AG entschiedenen Fall einen Tagessatz von 23 Euro.
Der Versicherer hatte nur minimale Vorhaltekosten erstattet. Das lehnt das Gericht ab. Denn das komme nur in Betracht, wenn ein Fahrzeug nicht nur alt, sondern in einem so schlechten Zustand ist, dass seine Nutzbarkeit deutlich eingeschränkt ist.
Entgangene Fortbewegungsmöglichkeit
Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass sich hinter den Vorhaltekosten letztlich kaum mehr als die Fixkosten wie Steuern, Versicherung etc. verbergen, es sich hierbei also um einen weitaus geringeren Betrag handelt. Mit zunehmendem Fahrzeugalter spiele letztlich nur die entgangene Fortbewegungs- und Transportmöglichkeit eine Rolle. Allein aufgrund des Alters des Fahrzeugs könne daher nicht ohne Weiteres von einer weiteren Einschränkung des Nutzungswerts bis zum Betrag von Vorhaltekosten ausgegangen werden.
Quelle | AG Aue-Bad Schlema, Urteil vom 28.2.2024, 3 C 241/23
| Ist ein durch eine Verbraucherzentrale geltend gemachter Unterlassungsanspruch begründet, wenn eine Firma die online erklärte Kündigung eines Kunden von einem Bestätigungstelefonat abhängig macht? Diese Frage hat das Landgericht (LG) Koblenz bejaht. |
Zusätzliches Telefonat nötig, damit Online-Kündigung wirksam wird?
Die Beklagte bietet, auch gegenüber Verbrauchern, den Abschluss von Dienstleistungsverträgen über Dauerschuldverhältnisse unter anderem zur Bereitstellung von Webspeicherplatz, E-Mail-Postfächern und Servern an.
Der Kläger, ein eingetragener Verein (Verbraucherzentrale), begehrt von der Beklagten, es zu unterlassen, dass sie auf eine online erklärte Kündigung gegenüber Verbrauchern behauptet, dass zur Wirksamkeit der Kündigung noch ein Telefonat erforderlich sei. Konkret hat ein Kunde seinen Vertrag bei der Beklagten per Internet gekündigt. Der Kunde hat daraufhin von der Beklagten die Mitteilung erhalten, er möge seine Kündigung binnen 14 Tagen telefonisch bestätigen, ansonsten bleibe das Vertragsverhältnis unverändert bestehen.
Verbraucherzentrale: Telefonat dient zum Umstimmen der Verbraucher
Der Kläger hat daraufhin die Beklagte abgemahnt und erfolglos zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert. Er behauptet, im Fall eines Anrufs nach der Kündigung werde seitens der Beklagten – mittels rhetorischer Kunstfertigkeit oder Anbieten anderer Vertragskonditionen – versucht, den Verbraucher zu überzeugen, von seinem Kündigungswillen Abstand zu nehmen. Der Kläger ist zudem der Ansicht, die Mitteilung der Beklagten gegenüber Verbrauchern, dass nach einer Kündigung eine Rückbestätigung erfolgen müsse, stelle eine unlautere geschäftliche Handlung dar. Sie enthalte unwahre Angaben über Rechte des Verbrauchers.
Der Kläger beantragte u. a., der Beklagten unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro zu untersagen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern diesen nach einer der Beklagten zugegangenen Kündigungserklärung eines Dienstleistungsvertrags in Form eines Dauerschuldverhältnisses zu behaupten, die telefonische Bestätigung der erklärten Kündigung sei erforderlich. Die Beklagte meint, ohne telefonische Rückbestätigung der Kündigung bestünde das Risiko, dass unberechtigte Dritte den Vertrag eines Kunden kündigen könnten. Es sei deshalb erforderlich, sich davon zu überzeugen, dass die Kündigung vom Erklärenden stammt. Dabei biete ein Telefonat ein Mehr an Sicherheit verglichen mit einem Bestätigungslink innerhalb einer E-Mail. Es finde keine Irreführung des Verbrauchers statt. Außerdem werde eine geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers nicht beeinflusst.
So sah es das Landgericht
Das LG hat der Klage antragsgemäß stattgegeben. Dem Kläger stehe ein Unterlassungsanspruch zu. Das Vorgehen der Beklagten, den Verbraucher aufzufordern, seine Kündigung innerhalb von 14 Tagen telefonisch zu bestätigen, stelle eine geschäftliche Handlung dar. Dazu gehörten auch Verhaltensweisen, die auf eine Fortsetzung der Geschäftsbeziehung oder das Verhindern einer Geschäftsbeendigung gerichtet sind. Diese geschäftliche Handlung der Beklagten sei unzulässig, da sie unlauter sei. Unlauter handele, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornehme, die geeignet sei, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
Bestätigungslink in E-Mail genügt
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch irreführend. Dies sei gegeben, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über Rechte des Verbrauchers enthalte. Erfasst seien auch irreführende Angaben über deren Inhalt, Umfang und Dauer sowie etwaige Voraussetzungen für die Geltendmachung bestimmter Rechte, zu denen auch das Kündigungsrecht zähle. Auch, wenn die Beklagte nach Auffassung des LG ein grundsätzliches Interesse an einer Authentifizierung haben könne, wäre eine solche vorrangig durch eine Bestätigung über den von dem Verbraucher gewählten Kommunikationskanal zu erreichen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb ein an den Verbraucher unter der von ihm hinterlegten E-Mail-Adresse gesendeter Bestätigungslink zur Identifizierung weniger geeignet wäre als ein Telefonat. Auch während eines Telefonats sei es der Beklagten nicht möglich, sich umfassende Gewissheit über die wahre Person ihres Gesprächspartners zu verschaffen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass es einem unbefugten Dritten, der sich Zugang zu der Kundennummer, der Vertragsnummer und dem E-Mail-Konto des wahren Vertragspartners verschafft hat, auch gelänge, in einem Telefonat über seine Identität zu täuschen.
Zusätzliche Entscheidung
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Die Beklagte stelle den Verbraucher nach Zugang seiner Kündigung vor die Wahl, seine Kündigung nicht telefonisch zu bestätigen, und in der Folge das Vertragsverhältnis fortzusetzen, oder innerhalb von 14 Tagen telefonisch Kontakt zu der Beklagten aufzunehmen. Es werde dadurch eine zusätzliche Entscheidung des Verbrauchers verlangt, ob er an der Ausübung seines Kündigungsrechts festhalten will. Ohne die irreführende Aufforderung der Beklagten würde der Verbraucher weder die eine noch die andere Entscheidung treffen. Die erforderliche Wiederholungsgefahr ergebe sich daraus, dass die Beklagte eingeräumt habe, dass die beanstandete Vorgehensweise der Beklagten deren übliche Vorgehensweise sei.
Quelle | LG Koblenz, Urteil vom 27.2.2024, 11 O 12/23
| Das Landgericht (LG) Oldenburg hat den von einer Frau geltend gemachten Anspruch auf Schadenersatz zurückgewiesen. Sie hatte sich an einem Becher Tee verbrüht. |
Warnhinweis auf dem Pappbecher
Die Frau hatte in einem Restaurant einen Tee in einem Einwegbecher gekauft. Auf dem Becher war der Warnhinweis angebracht: „VORSICHT HEISS“. Außerdem enthielt er ein Piktogramm mit einer Tasse mit Dampfschwaden. Der Becher war der Frau mit einem von Hand zu öffnenden Deckel übergeben worden. Er wurde ihr in einer Pappschale ausgehändigt. Wenige Minuten nach dem Kauf hob die Frau den Becher am Deckel aus der Schale. Da passierte es: Der Deckel löste sich. Der Tee ergoss sich auf ihre Oberschenkel. Die Frau erlitt Verbrennungen 1. und 2. Grades. Sie musste sich später einer teuren Behandlung unterziehen.
So sah es die Frau
Die Frau argumentierte vor dem LG, der Tee sei zu heiß gewesen. Folglich seien von ihm unnötige Gesundheitsgefahren ausgegangen. Zudem sei der Deckel nicht fest verschlossen gewesen. Mit diesen beiden Umständen habe sie nicht rechnen müssen.
So sah es das Landgericht
Das LG lehnte den geltend gemachten Schadenersatzanspruch ab. Es hob hervor: Dass frisch zubereiteter Tee heiß sei (zwischen 90 und 100 Grad), sei allgemein bekannt. Er müsse daher nicht in verzehrfertiger Temperatur übergeben werden. Die Frau sei zudem durch die o. g. Hinweise auf dem Becher ausdrücklich gewarnt worden. Vor einem eventuell losen Deckel habe die Restaurantbesitzerin ebenfalls nicht warnen müssen.
Quelle | LG Oldenburg, Urteil vom 15.3.2024, 16 O 2015/23
| Kosten für eine einem Hotel ähnliche Unterbringung im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung können auch die Aufwendungen für das Mieten eines Wohnmobils sein. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Haus unbewohnbar – Wohnmobil als Ersatz gemietet
Das Haus eines Versicherungsnehmers war unbewohnbar geworden. Er mietete sich daher für 260 Euro pro Tag ein Wohnmobil und verlangte den Betrag später vom Versicherer zurück. Dieser wollte die Kosten jedoch nicht übernehmen.
Wohnmobil mit Hotel vergleichbar
Das OLG Köln verurteilte den Versicherer schließlich, rund 86.000 Euro an Mietkosten zu übernehmen. Auch die Kosten für das Mieten des Wohnmobils seien Kosten einer einem Hotel ähnlichen Unterbringung i. S. d. Versicherungsbedingungen.
Für Versicherungsnehmer ist Wohnmobil eine dem Hotel ähnliche Unterkunft
Die Auslegung ergebe, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer auch die stationäre Unterbringung in einem Mietwohnwagen oder Mietwohnmobil als eine einer Hotelunterbringung ähnliche Unterkunft ansehen werde. Denn ebenso wie ein Hotel, eine Ferienwohnung, eine Pension oder Gaststätte mit „Fremdenzimmern“ zeichnet sich ein Wohnmobil bzw. ein Wohnwagen, der zeitweise vermietet wird, dadurch aus, dass wechselnde Gäste darin für eine befristete Zeit wohnen, sei es zu Arbeitsaufenthalten (bspw. Saisonarbeiter, Arbeiter auf Montage) oder zu touristischen Zwecken. Allein der Aspekt der Mobilität des Wohnmobils im Unterschied zur Hotelunterkunft – also der Umstand, dass ein Wohnwagen grundsätzlich mithilfe eines Pkw bzw. ein Wohnmobil aus eigener Motorkraft im Straßenverkehr zum Reisen benutzt und zu wechselnden Standorten bewegt werden kann – steht der Vergleichbarkeit zu einer Hotelunterbringung aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers nicht entgegen.
Motorisierung spielt keine Rolle
Das OLG sieht zwar, dass ein Wohnmobil gerade durch die Motorisierung deutlich teurer ist als ein Wohnwagen. Darauf kommt es im Rahmen der Erstattung der Unterbringungskosten aber nicht an.
Der Versicherungsnehmer muss keine dem Wohnungsstandard entsprechende Unterkunft finden. Er ist in der Wahl der Unterkunft grundsätzlich frei und darf sich dabei von persönlichen Bedürfnissen und privaten Befindlichkeiten leiten lassen. Bis zur Höhe der vertraglich vereinbarten Grenzen besteht der zugesagte Versicherungsschutz. Danach sind Kosten für das Mieten eines Wohnmobils als Kosten einer ähnlichen Unterbringung, wie Hotelkosten, grundsätzlich im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung (nach Abschnitt A. § 8 Nr. 1 c VHB 2014) erstattungsfähig.
Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger das Wohnmobil nicht als Wohnraumersatz, sondern etwa zu Reisezwecken angemietet haben, hat der Versicherer nicht konkret vorgetragen. Sie ergaben sich für das OLG auch nicht aus dem Akteninhalt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 5.12.2023, 9 U 46/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden: Der Versicherer muss die Kosten für die Versorgung mit Medizinal-Cannabis nicht tragen, wenn der Versicherungsnehmer an der Glasknochenkrankheit leidet. |
Konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft?
Der Versicherungsnehmer meinte, dass konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft seien. Es liege zumindest eine schwere Erkrankung mit wesentlichen Funktionseinschränkungen vor. Daher müsse der Versicherer die medizinisch notwendige Heilbehandlung durch Medizinal-Cannabis übernehmen.
Der Versicherer entgegnete: Bei akut auftretenden Schüben sei Cannabis wegen seiner „Behandlungsträgheit“ nicht geeignet. Das Landgericht (LG) war dem gefolgt und hatte in erster Instanz die Klage des Versicherungsnehmers abgewiesen.
Oberlandesgericht sieht es wie der Versicherer
Das OLG hat dies bestätigt. Der Versicherungsnehmer habe nach dem Versicherungsvertrag einen Leistungsanspruch, wenn es sich bei der Behandlung seiner Beschwerden um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung handelt, die entweder von der Schulmedizin überwiegend anerkannt ist oder es sich um eine Methode oder ein Arzneimittel handelt, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen. Diese Voraussetzungen lägen hier aber nicht vor.
Zwar leide der Versicherungsnehmer unter einem schweren, multilokulären generalisierten Schmerzsyndrom bei Glasknochenkrankheit und bei entsprechender Symptomatik komme die Erstattung von Medizinal-Cannabis grundsätzlich in Betracht. Wesentliche gelenkarthrotische Veränderungen seien jedoch ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens nicht feststellbar. Weitere Befunde, die den Vortrag zu seinen körperlichen Beschwerden – insbesondere der behaupteten Vielzahl von Brüchen – stützen könnten, habe der darlegungs- und beweisbelastete Versicherungsnehmer ebenfalls nicht vorgelegt.
Die Behandlung der beim Versicherungsnehmer feststellbaren Symptomatik mit Medizinal-Cannabis sei nach heutiger medizinischer Einschätzung und aktuellem Wissensstand nicht als von der Schulmedizin allgemein anerkannte Methode anzusehen. Auch sei sie keine Methode, die sich in der Praxis als ebenso Erfolg versprechend bewährt habe wie die Methoden und Arzneimittel der Schulmedizin. Der gerichtlich bestellte Sachverständige habe ausgeführt, mangels ausreichender Datenlage könne nicht festgestellt werden, dass die Therapie mit Medizinal-Cannabis eine entsprechende Linderung der im Zusammenhang mit der Glasknochenkrankheit stehenden Schmerzsymptomatik verspreche. Schließlich seien schulmedizinisch sowohl nichtmedikamentöse als auch verschiedene medikamentöse Behandlungen verfügbar. Der Versicherungsnehmer habe nicht nachgewiesen, dass diese Behandlungsmethoden bei ihm nicht wirksam seien oder gravierende Nebenwirkungen verursachten.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2023, I-13 U 222/22
| Der Vermieter ist verpflichtet, dem Mieter auf dessen Verlangen Einsicht in die Abrechnungsbelege zu gewähren und diese in einer geordneten Form vorzulegen. Es ist nicht Aufgabe des Mieters, die Belege selbstständig zu ordnen. So entschied es das Amtsgericht (AG) Münster. |
Die Wohnungsmieter hatten Einsicht in die Belege zu den Betriebskostenabrechnungen von 2018 bis 2020 verlangt. Die Vermieterin legte die Unterlagen ungeordnet, weder thematisch noch chronologisch stringent sortiert, vor. Daher weigerten sich die Mieter, die Nachforderungen aus den Abrechnungen auszugleichen.
Die Zahlungsklage der Vermieterin hatte keinen Erfolg. Sie habe keinen Anspruch auf die Nachzahlungen, da den Mietern ein Zurückbehaltungsrecht zustehe. Die Vermieterin habe keine umfassende Belegeinsicht gewährt.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 259 Abs. 1 BGB) bedürfe es einer geordneten Zusammenstellung der Abrechnungsbelege, so das AG. Das umfasse eine zweckmäßige und übersichtliche Aufgliederung in Abrechnungsposten.
Dabei sei auf einen juristisch und betriebswirtschaftlich ungeschulten Mieter abzustellen. Anderenfalls könne der Mieter sein Prüfungsrecht nicht sinnvoll ausüben. Der Mieter sei nicht verpflichtet, die Belege selbstständig zu ordnen oder Zusammenhänge in den Rechnungen fortlaufender Verträge zu erkennen.
Quelle | AG Münster, Urteil vom 25.10.2023, 38 C 1947/22
| Das Landgericht (LG) Hanau hat entschieden, dass ein Vermieter in einem Gebäude mit nur zwei Wohnungen dem Mieter der zweiten Wohnung nicht ohne besonderen Grund kündigen kann, wenn er selbst die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr nutzt. |
Vermieterin wohnte überwiegend im Ausland
Zwischen der hauptsächlich im Ausland lebenden Vermieterin und den Mietern besteht ein Mietvertrag über eine Wohnung in einem Haus mit nur zwei Wohneinheiten. Sie selbst nutzt die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr. Die Vermieterin hat die Kündigung nach § 573 a BGB ausgesprochen. Nach dieser Vorschrift kann der Vermieter ein Mietverhältnis über eine Wohnung in einem vom ihm selbst bewohnten Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen jederzeit ohne Grund beenden. Die Mieter halten die Kündigung für unwirksam, weil die Vermieterin die andere Wohnung nicht im Sinne der Vorschrift bewohne. Das Amtsgericht (AG) ist dieser Auffassung gefolgt und hat die Räumungsklage abgewiesen.
Lebensmittelpunkt erforderlich
Das LG hat die Berufung der Vermieterin zurückgewiesen. Für die erleichterte Kündigung nach § 573 a BGB reiche es nicht aus, dass der Vermieter die zweite Wohnung in dem Haus lediglich zusätzlich nutze, selbst, wenn das vereinzelt, wie für das Jahr 2021 behauptet, insgesamt 40 Wochen seien. Er müsse vielmehr seinen Lebensmittelpunkt in der Wohnung haben. Eine enge Auslegung der Vorschrift sei insbesondere deshalb geboten, weil diese es ermögliche, den Mietvertrag mit dem ansonsten von dem Gesetz erheblich geschützten Wohnraummieter zu beenden, ohne dass der Mieter eine Pflichtverletzung begangen oder der Vermieter sonst ein besonderes Interesse hieran habe.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LG Hanau, Urteil vom 15.11.2023, 2 S 107/22, PM vom 8.2.2024
| Dass ein Testament nicht zwingend auf einem weißen Blatt Papier entstehen muss, zeigt ein Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg. Es ging letztlich darum, ob jemand Erbe geworden war oder nicht. |
Gastwirt verstarb – Testament auf „Kneipenblock“
Verstorben war ein Gastwirt aus dem Landkreis Ammerland. Seine Partnerin sah sich als Erbin und beantragte, einen Erbschein zu erteilen. Als Testament legte sie dem Gericht einen Kneipenblock vor, den sie im Gastraum hinter der Theke aufgefunden habe. Dort war unter Angabe des Datums und einer Unterschrift auch der Spitzname einer Person („X“) vermerkt. Auf dem Zettel hieß es lediglich „X bekommt alles“.
Amtsgericht: Testierwille fehlte
Das Amtsgericht (AG) sah die Partnerin nicht als Erbin an. Es war der Auffassung, dass nicht sicher feststellbar sei, dass mit dem Kneipenblock ein Testament errichtet werden sollte. Daher fehle der für ein Testament erforderliche Testierwille.
Oberlandesgericht: Testament wirksam
Der auf das Erbrecht spezialisierte Senat des OLG gelangte zu einer anderen Bewertung. Der handschriftliche Text auf dem Zettel sei ein wirksames Testament.
Das OLG war aufgrund der Einzelheiten des Verfahrens überzeugt, dass der Erblasser das Schriftstück selbst verfasst hatte und dass er mit dem genannten Spitznamen allein seine Partnerin gemeint habe. Auch, dass der Erblasser mit der handschriftlichen Notiz seinen Nachlass verbindlich regeln wollte, stand für den Senat aufgrund von Zeugenangaben fest.
Dass sich die Notiz auf einer ungewöhnlichen Unterlage befinde, nicht als Testament bezeichnet und zudem hinter der Theke gelagert war, stehe der Einordnung als Testament nicht entgegen. Zum einen sei es eine Eigenart des Erblassers gewesen, für ihn wichtige Dokumente hinter dem Tresen zu lagern. Zum anderen reiche es für die Annahme eines Testaments aus, dass der Testierwille des Erblassers eindeutig zu ermitteln sei und die vom ihm erstellte Notiz seine Unterschrift trage. Das OLG stellte die Partnerin daher als rechtmäßige Erbin fest.
Quelle | OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.12.2023, 3 W 96/23, PM 10/24
| Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund bewilligte der Klägerin eine Altersrente. Einen Grundrentenzuschlag nach dem Sozialgesetzbuch VI (hier: § 76 g SGB VI) für langjährige Versicherung berücksichtigte sie nicht, weil das anzurechnende Einkommen des Ehemannes höher als der Zuschlag war. Zu Recht, wie das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen nun bestätigte. |
Klägerin rügte Grundrechtsverstoß
Die Klägerin rügte, dass die Einkommensanrechnung gemäß § 97 a Abs. 1 SGB VI gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes verstoße. Verheiratete und unverheiratete Menschen würden ungleich behandelt und durch den Familienstand „verheiratet“ benachteiligt, weil das Gesetz eine Einkommensanrechnung bei unverheirateten Personen nicht vorsehe. Das SG wies die Klage durch Gerichtsbescheid ab.
Landessozialgericht: kein Grundrechtsverstoß
Die dagegen gerichtete Berufung hat das LSG nun zurückgewiesen. Die von der Beklagten angewandte gesetzliche Regelung sei nicht verfassungswidrig. Der Nachteil der Einkommensanrechnung werde bei Gesamtbetrachtung aller an die Ehe bzw. eingetragenen Lebenspartnerschaft anknüpfenden Regelungen sowohl in der gesetzlichen Rentenversicherung als auch in anderen Regelungsbereichen im Ergebnis ausgeglichen.
Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs
Dabei sei zudem zu berücksichtigen, dass das Ziel der Grundrente nach dem Willen des Gesetzgebers neben der Anerkennung der Lebensarbeitsleistung eine bessere finanzielle Versorgung von langjährig Versicherten sei. Dieses Ziel werde erreicht. Dem Grundrentenberechtigten verbleibe bei Einbeziehung des Einkommens des Ehegatten ein Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs. Er stehe besser da als jemand, der wenig oder gar nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung verpflichtend versichert gearbeitet habe und entsprechend wenig oder gar nicht in diese eingezahlt habe.
Das gelte zwar auch für jemanden, der in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit jemandem zusammenlebe, der entsprechende Einkünfte habe. Allerdings seien Ehepartner aufgrund der unterhaltsrechtlichen wechselseitigen Verpflichtung wirksamer als in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft versorgt.
Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.1.2024, L 18R 707/22, PM vom 15.3.2024
| Allein mit der Rüge, es seien nicht alle in § 34 HOAI aufgeführten Grundleistungen erbracht worden, kann der Auftraggeber das Architektenhonorar nicht wirksam mindern. Die Bezeichnung „im Allgemeinen erforderlich“ in § 3 Abs. 3 HOAI soll nämlich klarstellen, dass nicht alle in den Leistungsbildern aufgeführten Leistungen bei jedem Objekt notwendig sind, um die Vertragsziele zu erreichen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Celle. |
Maßgeblich sind die vertraglichen Vereinbarungen
Maßgeblich sind nach dem OLG nicht die in der HOAI genannten Leistungsbilder, sondern die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Was ein Planer vertraglich schuldet, ergibt sich aus dem Vertrag, in der Regel also aus dem Recht des Werkvertrags. Der Inhalt dieses Vertrags ist nach den allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Vertragsrechts zu ermitteln.
Die HOAI enthält keine normativen Leitbilder für den Inhalt von Architekten- und Ingenieurverträgen. Die in der HOAI geregelten „Leistungsbilder“ sind Gebührentatbestände für die Berechnung des Honorars der Höhe nach.
Daraus folgt, dass es sich bei den Vorgaben des § 34 Abs. 3 und Anlage 10.1 HOAI nicht um eine abschließende Darstellung, sondern um eine Auslegungshilfe handelt.
Es müssen nicht stets alle Grundleistungen erbracht werden
Die in Anlage 10.1 aufgeführten Grundleistungen sind nicht alle zwingend für einen vollständigen Honoraranspruch zu erbringen, wenn dies für den vereinbarten Leistungsumfang nicht erforderlich ist. Dies ergibt sich auch aus § 3 Abs. 2 S. 1 HOAI, wonach die in den Leistungsbildern erfassten Grundleistungen im Allgemeinen zur ordnungsgemäßen Erfüllung eines Auftrags erforderlich sind.
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass nicht immer alle in der jeweiligen Leistungsphase aufgeführten Grundleistungen zur Lösung der jeweiligen konkreten Planungsaufgabe zwingend erbracht werden müssen. Sind bestimmte Grundleistungen nicht zur Lösung der konkreten Planungsaufgabe erforderlich, führt es nicht zu einer Honorarkürzung, wenn diese – nicht erforderlichen – Leistungen nicht erbracht wurden.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 7.2.2024, 14 U 12/23
| In letzter Zeit häufen sich die Entscheidungen dazu, dass es nicht zu den Aufgaben des Architekten gehört, Rechtsfragen zu bearbeiten. Jetzt hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt eine neue Variante hinzugefügt und sich klar positioniert. |
Das OLG: Ob eine Nachtragsforderung des bauausführenden Unternehmers berechtigt ist, liegt außerhalb der Fragestellungen, für deren Richtigkeit der Architekt mit seiner Rechnungsprüfung im Verhältnis zum Auftraggeber einzustehen hat.
Quelle | OLG Frankfurt, Beschluss vom 2.3.2023, 21 U 69/21
| Ein Architekt, der bei der Gebäudesanierung seine Kunden nicht nur in technischer Hinsicht berät, sondern auch Ratschläge zum Erhalt von Fördermitteln erteilt, muss für Schäden einstehen, wenn er die Fördervoraussetzungen fehlerhaft einschätzt. So hat es das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Empfehlung des Architekten
Die Frau hatte sich zusammen mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann dazu entschlossen, ihr Mehrfamilienhaus energetisch sanieren zu lassen und wollte dafür möglichst auch Fördermittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) erhalten. Sie ließ sich dahingehend von einem Architekten beraten, der auch Leistungen im Bereich der Energieberatung anbietet. Dieser empfahl, das Objekt in Wohnungseigentum umzuwandeln, da dies eine Voraussetzung für die Gewährung von KfW-Fördermitteln im Rahmen des Programms „Energieeffizient Sanieren“ sei.
KfW verweigerte Fördermittel
Entsprechend der Beratung des Architekten stellte das Ehepaar den Antrag auf die Fördermittel, noch bevor die Umwandlung des Hauses in Wohnungseigentum vollzogen war. Nachdem die Sanierungsarbeiten durchgeführt und die Umwandlung in Wohnungseigentum abgeschlossen waren, rief das Ehepaar die Fördermittel ab. Die KfW verweigerte jedoch die Auszahlung, da nach den Förderbedingungen nur Eigentümer von bestehenden Eigentumswohnungen antragsberechtigt seien; eine Umwandlung in Wohnungseigentum erst nach Antragstellung genüge dagegen nicht. Die nun entgangenen Vorteile verlangten die Eigentümer von dem Architekten ersetzt.
Architekt erbrachte Rechtsdienstleistung
Das LG gab der Klage statt. Der Architekt habe nicht nur auf technischer Ebene zugearbeitet, sondern mit seiner beratenden Tätigkeit zu den Fördervoraussetzungen der geplanten Sanierungsmaßnahme eine sogenannte Rechtsdienstleistung erbracht. Da die Information über die Voraussetzungen für die KfW-Förderung der geplanten Maßnahme unzureichend gewesen sei, habe er seine Schutzpflichten aus dem Beratungsvertrag verletzt. Hätten die Eheleute den Antrag erst nach der Umwandlung in Wohnungseigentum gestellt, hätten sie die Fördermittel erhalten. Den daraus entstandenen Schaden muss der Architekt nun erstatten.
Das LG: Der Architekt kann sich im Nachhinein nicht darauf berufen, er arbeite im Rahmen der Energieberatung nur auf technischer Ebene.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 25.1.2024, 7 O 13/23, PM vom 28.3.2024
| Ein ehemaliger Polizist hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Hautkrebserkrankung als Berufskrankheit infolge früher wahrgenommener Tätigkeiten u. a. im Streifendienst. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Aachen entschieden. |
Der Kläger begründete, er sei während seiner nahezu 46-jährigen Dienstzeit zu erheblichen Teilen im Außendienst eingesetzt gewesen, ohne dass sein Dienstherr ihm Mittel zum UV-Schutz zur Verfügung gestellt oder auch auf die Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen hingewiesen habe. Infolgedessen leide er unter Hautkrebs am Kopf, im Gesicht und an den Unterarmen.
Das VG hat die Ablehnung der Anerkennung als Berufskrankheit bestätigt, denn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Dienstunfall lägen hier nicht vor. Erforderlich ist im Fall von Hautkrebs durch UV-Strahlung, dass der Betroffene bei der Ausübung seiner Tätigkeit der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt ist, d. h. das Erkrankungsrisiko aufgrund der dienstlichen Tätigkeit in entscheidendem Maß höher als das der Allgemeinbevölkerung ist. Davon kann bei Polizeibeamten im Außendienst nicht die Rede sein. Polizisten bewegen sich in unterschiedlichen örtlichen Begebenheiten und nicht nur bei strahlendem Sonnenschein im Freien.
Quelle | VG Aachen, Urteil vom 15.4.2024, 1 K 2399/23, PM vom 15.4.2024
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW hat entschieden: Eine Entschädigung wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) scheidet aus, wenn der Bewerber eine klassische kaufmännische Ausbildung hat, die nicht mit der Laufbahn des mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienstes (Bundeswehrverwaltung) vergleichbar ist. Hat der Bewerber später nicht entsprechend seiner Qualifikation gearbeitet, sammelt er auch keine Zeiten „hauptberuflicher Tätigkeit“. |
Kläger erhielt keine Einladung zum Vorstellungsgespräch
Der Kläger bewarb sich auf die o. g. Stelle und wurde nicht eingeladen. Vor dem Verwaltungsgericht (VG) klagte er auf eine Entschädigung nach dem AGG (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 AGG) und unterlag. Seinen Antrag auf Zulassung der Berufung wies das OVG zurück. Zu Recht habe das VG ausnahmsweise eine Einladung eines schwerbehinderten Menschen durch einen öffentlichen Arbeitgeber als entbehrlich angesehen. Denn die fachliche Eignung fehlte offensichtlich.
Wesentliche Unterschiede in der Ausbildung
Der Kläger hatte eine Ausbildung zum Kaufmann in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft absolviert. Deren Inhalte unterschieden sich wesentlich von denen, die im Vorbereitungsdienst für den mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienst in der Bundeswehrverwaltung vermittelt würden und allein zur Laufbahnbefähigung für den mittleren Dienst führen könnten. Das VG verglich insoweit die Ausbildung des Klägers mit den Anforderungen des fachspezifischen Vorbereitungsdienstes. Er konnte auch nicht nachweisen, dass seine späteren hauptberuflichen Tätigkeiten seiner Qualifikation entsprachen bzw. anzuerkennen seien. Hier wäre ein Zeitraum von mindestens einem Jahr und sechs Monaten notwendig gewesen. Er hatte auf verschiedenen Stellen überwiegend einfache Büro- und Verwaltungsarbeiten ausgeführt, die häufig nicht einmal eine kaufmännische Ausbildung voraussetzten.
Quelle | OVG NRW, Urteil vom 8.5.2023, 1 A 3340/20
| Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz bei Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen. Zu den Arbeitsunfällen gehören auch Unfälle auf dem Weg von und zur Arbeit, die sogenannten Wegeunfälle. Auch ein Abweichen von dem direkten Arbeitsweg kann unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich unfallversichert sein. Dabei muss aber ein ausreichender Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit bestehen bleiben. Eine solche Ausnahme kommt gesetzlich etwa für einen vom Arbeitsweg abweichenden Weg in Betracht, um ein Kind wegen der beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen. In einem solchen Zusammenhang hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg nun eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen. |
Begleitung auf dem Schulweg
Die Klägerin hatte ihre Tochter im Grundschulalter zu einem Sammelpunkt auf dem Schulweg begleitet, an dem sich eine Gruppe von Mitschülern für den restlichen Weg traf. Dieser Sammelpunkt lag, von der Wohnung der Klägerin aus gesehen, in entgegengesetzter Richtung zu ihrer Arbeitsstätte. Auf dem Weg von dem Sammelpunkt zu ihrer Arbeit, aber noch vor Erreichen des Wegstücks von ihrer Wohnung zur Arbeit, wurde die Klägerin – als sie trotz einer roten Fußgängerampel eine Straße überquerte – von einem PKW erfasst. Sie erlitt unter anderem eine Gehirnerschütterung und verschiedene Knochenbrüche.
Nachdem die zuständige gesetzliche Unfallversicherung die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ablehnte, bekam die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Stuttgart zunächst recht. Sie hatte insbesondere geltend gemacht, dass die Begleitung ihrer Tochter aus Sicherheitsgründen erforderlich gewesen sei.
Landessozialgericht: Kein Arbeitsweg
Auf die Berufung des Unfallversicherungsträgers hat das LSG Baden-Württemberg die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Ein Arbeitsunfall setze, wie der zuständige Senat klargestellt hat, u. a. voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei. Die Klägerin habe sich zwar im Unfallzeitpunkt objektiv auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstätte befunden. Dies sei aber nicht hinreichend, denn das Überqueren der Straße am Unfallort zum Unfallzeitpunkt sei nicht auf dem direkten Weg zum Ort der versicherten Tätigkeit erfolgt, sodass der erforderliche sachliche Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit fehle.
Entscheidend: nicht Umweg, sondern Abweg
Bewege sich der Versicherte – wie vorliegend die Klägerin – nicht auf einem direkten Weg in Richtung seines Ziels, sondern in entgegengesetzter Richtung von diesem fort, handele es sich eben nicht um einen bloßen Umweg, sondern um einen Abweg. Werde der direkte Weg mehr als geringfügig unterbrochen und ein solcher Abweg allein aus eigenwirtschaftlichen, also nicht betrieblichen Gründen – ebenfalls wie vorliegend – zurückgelegt, bestehe kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Klägerin habe auch bis zum Eintritt des Unfallereignisses die unmittelbare Wegstrecke zwischen ihrer Wohnung und der Arbeitsstätte noch nicht wieder erreicht. Der Wegeunfallversicherungsschutz sei damit zum Unfallzeitpunkt noch nicht erneut begründet worden.
Keine Ausnahme gegeben
Es liege auch kein ausnahmsweise versicherter Abweg vor. Die Klägerin habe ihre Tochter nicht – wie für den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz insoweit erforderlich – zum Sammelpunkt begleitet, um ihrer Beschäftigung nachzugehen, sondern allein und ausschließlich aus allgemeinen Sicherheitserwägungen zum Schutz der Tochter. Damit fehle vorliegend jeglicher sachlich-inhaltlich kausaler Zusammenhang zwischen der Beschäftigung der Klägerin und dem Begleiten der Tochter. Denn erfasst würden keine Fälle, in denen das Kind in fremde Obhut unabhängig davon verbracht werde, ob der Versicherte seine Beschäftigung alsbald aufnehmen wolle. Schließlich stelle auch die Begleitung der Tochter zu einem Sammelpunkt der Kinder-„Laufgruppe“, von wo aus die Grundschulkinder gemeinsam den Schulweg beschritten, schon kein „Anvertrauen in fremde Obhut“ im Sinne des Gesetzes dar.
Beachten Sie | Wenn ein Unfall – wie in dem dargestellten Fall – nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung erfasst ist, wird Versicherungsschutz typischerweise durch die – gesetzliche oder private – Krankenversicherung gewährleistet. Auch sind Schülerinnen und Schüler allgemein- und berufsbildender Schulen während des Schulbesuchs sowie auf dem Schulweg gesetzlich unfallversichert.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.2.2022, L 10 U 3232/21, PM vom 19.3.2024
| Der Bundesfinanzhof hat entschieden: Kostenerstattungen eines kirchlichen Arbeitgebers an seine Beschäftigten für die Erteilung erweiterter Führungszeugnisse, zu deren Einholung der Arbeitgeber zum Zwecke der Prävention gegen sexualisierte Gewalt kirchenrechtlich verpflichtet ist, führen nicht zu Arbeitslohn. |
Die Einholung der erweiterten Führungszeugnisse durch die Arbeitnehmer erfolgte aufgrund einer nur die kirchlichen Rechtsträger, nicht aber die Arbeitnehmer treffenden (kirchenrechtlichen) Verpflichtung.
Durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasste, zu Lohn führende Zuwendungen erbringt der Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern aber regelmäßig nicht, wenn er ausschließlich eine eigene, insbesondere nicht gegenüber den Arbeitnehmern bestehende Verpflichtung erfüllt.
Die zur Erfüllung einer entsprechenden Verpflichtung entstehenden Kosten wendet der Arbeitgeber in einer solchen Konstellation im eigenen Interesse auf. Sie sind Ausfluss seiner eigenbetrieblichen Tätigkeit.
Beachten Sie | Haben die Arbeitnehmer die vom Arbeitgeber für dessen eigenbetriebliche Tätigkeit zu tragenden Kosten (wie im Streitfall) zunächst aus eigenen Mitteln verauslagt, wendet der Arbeitgeber ihnen mit der Erstattung ihrer Aufwendungen keinen Vorteil zu, der sich im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweisen könnte.
Quelle | BFH, Urteil vom 8.2.2024, IV R 19/22
| Nach dem neuen Partnerschaftsgesetz (hier: § 2 Abs. 1 PartGG), das am 1.1.2024 in Kraft getreten ist, muss der Name der Partnerschaft nur noch den Zusatz „und Partner“ oder „Partnerschaft“ enthalten. Die Aufnahme des Namens mindestens eines Partners ist nicht mehr erforderlich. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Der Zwang zur Benennung mindestens eines Partners ist zum Jahreswechsel entfallen. Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass die grundsätzlich zu schützende Vertrauensbeziehung zwischen Freiberufler und Auftraggeber es jedenfalls aus gesellschaftsrechtlicher Sicht nicht erfordert, dass der Name der Partnerschaftsgesellschaft den Namen mindestens eines Partners enthalten muss. Hinzu kommt, dass die Identifizierung der Partnerschaftsgesellschaft mit dem Namen der Partner weitgehend an Bedeutung verloren hat.
Quelle | BGH, Beschluss vom 6.2.2024, II ZB 23/22
| Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken bestätigte, dass in einer Tageszeitung anlässlich einer damals anstehenden Neuwahl des Ortsvorstehers zulässig über die erstinstanzliche strafrechtliche Verurteilung eines lokalen Bauunternehmers berichtet worden sei, der mit zwei der Kandidaten verwandt ist. |
Das war geschehen
Eine große pfälzische Tageszeitung berichtete in ihrer Online-Ausgabe vom 30.6.2023 und in ihrer Print-Ausgabe vom 1.7.2023 über die damals anstehende Neuwahl eines Ortsvorstehers. Diese war notwendig geworden, weil der bisherige Ortsvorsteher nach diversen Anfeindungen zurückgetreten war.
Im Artikel wurden die drei Kandidaten vorgestellt und dabei erwähnt, dass zwei der Kandidaten mit einem lokalen Bauunternehmer und Landwirt verwandt seien, dem Anwohner vorwerfen, für den stark angestiegenen Lkw-Verkehr im Ort verantwortlich zu sein. Dabei wurde auch berichtet, dass der Bauunternehmer erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung u. a. wegen Beleidigung, Nötigung, Bedrohung und versuchter gefährlicher Körperverletzung von Anwohnern verurteilt worden sei.
Auf eine Abmahnung des Bauunternehmers hin schwärzte die Zeitung das E-Paper und ergänzte den Online-Beitrag um den Hinweis, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig sei. Der Bauunternehmer verlangte hierauf im gerichtlichen Eilverfahren den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Zeitung, wonach sie den ihn betreffenden Bericht unterlassen sollte. Das Landgericht (LG) wies den Antrag zurück. Hiergegen hat der Bauunternehmer sofortige Beschwerde eingelegt. Diese wies das OLG zurück.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG begründete seine Entscheidung damit, dass es schon an der erforderlichen Eilbedürftigkeit für das beschrittene gerichtliche Eilverfahren fehle. Der Bauunternehmer habe mehr als fünf Wochen mit seinem Antrag gewartet und die Zeitung habe den Online-Artikel um den Zusatz, wonach das strafrechtliche Urteil noch nicht rechtskräftig sei, bereits ergänzt.
Zulässige Verdachtsberichterstattung
Unabhängig davon handele es sich um eine zulässige Verdachtsberichterstattung. Zwar könnten anhand der im Artikel genannten Einzelinformationen zumindest die Einwohner des betroffenen Ortsteils den Bauunternehmer identifizieren. Der Bericht beruhe aber auf wahren Tatsachen, nämlich die tatsächliche Verurteilung des Bauunternehmers. Außerdem werde zumindest durch den Zusatz klar, dass die Verurteilung auch noch nicht rechtskräftig sei.
Persönlichkeitsrecht vs. Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit
Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Bauunternehmers stehe nicht außer Verhältnis zum Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Es gehöre gerade zu den Aufgaben der Presse, in Zusammenhang mit demokratischen Prozessen zu berichten. Hierzu gehöre auch die Berichterstattung über den Hintergrund der Kandidaten, insbesondere deren verwandtschaftliche Beziehungen, da diese möglicherweise Einfluss auf zukünftige Entscheidungen der Kandidaten haben könnten. Sowohl der erhöhte Lkw-Verkehr im Ort, als auch die erstinstanzlich abgeurteilten Straftaten des Antragstellers zulasten der Anwohner seien von lokalem Interesse.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.10.2023, 4 W 23/23, PM vom 11.3.2024
| Die Nutzung eines Bootes als schwimmende Bar auf der Havel muss nach einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin umgehend beendet werden. |
Boot = bauliche Anlage?
Der Antragsteller ist Eigentümer eines Bootes, das er überwiegend an Dritte vermietet, im Sommer aber an drei Tagen am Wochenende zum Ausschank von Getränken an Gäste nutzt. Die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt forderte ihn im August 2023 sofort vollziehbar auf, die schwimmende Bar innerhalb einer Woche ab Zugang der Anordnung „zu beseitigen“. Zur Begründung führte die Behörde im Wesentlichen aus, die auf einer Plattform betriebene Bar sei nach dem Berliner Wassergesetz genehmigungsbedürftig; eine Genehmigung werde aber nicht erteilt.
Der Antragsteller hat um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er meint, bei seinem Boot handele es sich weder um eine bauliche Anlage im Wasser noch um eine schwimmende Plattform, sondern um ein zugelassenes Sportboot. Es werde wegen der Vermietung an Dritte auch nicht vorwiegend stationär genutzt.
Während der Woche Sportboot, an Wochenenden Anlage im Gewässer
Das VG hat die Rechtmäßigkeit der Anordnung überwiegend bestätigt. Bei der schwimmenden Bar handele es sich um eine nicht genehmigte Anlage, deren Beseitigung die Wasserbehörde nach dem Berliner Wassergesetz habe anordnen dürfen. Auch wenn das Boot während der Woche als Sportboot einzustufen sei, führe seine wiederkehrende stationäre Nutzung als schwimmende Bar in der Sommersaison von Freitagabend bis Sonntag dazu, dass es in diesem Zeitraum als Anlage im Gewässer einzustufen sei. Diese Nutzung überschreite qualitativ die Grenze der gemeinverträglichen Nutzung des Gewässers und stelle sich damit wie eine Sondernutzung dar.
Strenger Maßstab war anzulegen
Wegen der besonderen Bedeutung, die dem Wasser für die Allgemeinheit wie für den Einzelnen zukomme und mit Rücksicht darauf, dass das Wasser und der Wasserhaushalt gegenüber Verunreinigungen und sonstigen nachteiligen Einwirkungen in besonderer Weise anfällig sei, sei ein strenger Maßstab gerechtfertigt. Daher könne der Antragsteller auch keine Sondernutzungserlaubnis beanspruchen.
Das VG beanstandete den Bescheid allerdings hinsichtlich der zur Durchsetzung der Verfügung angedrohten Ersatzvornahme, da nur der Antragsteller selbst die stationäre Nutzung unterlassen könne und es sich somit um eine unvertretbare Handlung handele.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 19.1.2024, VG 10 L 419.23, PM 4/24
| Prozesskosten zur Erlangung nachehelichen Unterhalts sind privat veranlasste Aufwendungen und keine (vorweggenommenen) Werbungskosten bei den späteren Unterhaltseinkünften i. S. des Einkommensteuergesetzes (hier: § 22 Nr. 1 a EStG). Mit dieser Entscheidung hat der Bundesfinanzhof (BFH) der anderslautenden Sichtweise des Finanzgerichts (FG) Münster (Vorinstanz) widersprochen. |
Hintergrund: Beim begrenzten Realsplitting kann der Unterhaltsverpflichtete die Unterhaltszahlungen bis zu 13.805 Euro im Jahr (zuzüglich der aufgewandten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung als Basisversorgung) als Sonderausgaben abziehen. Dies bedarf allerdings der Zustimmung des Unterhaltsberechtigten, der die Unterhaltszahlungen seinerseits als sonstige Einkünfte versteuern muss.
Erst durch den Antrag und die Zustimmung werden Unterhaltsleistungen in den steuerrelevanten Bereich überführt. Die Umqualifizierung markiert die zeitliche Grenze für das Vorliegen abzugsfähiger Erwerbsaufwendungen; zuvor verursachte Aufwendungen des Unterhaltsempfängers stellen keine Werbungskosten dar.
Beachten Sie | Der BFH hat den Streitfall an das FG Münster zurückverwiesen. Dieses muss nun klären, ob ggf. außergewöhnliche Belastungen vorliegen. Es besteht zwar ein Abzugsverbot für Prozesskosten (§ 33 Abs. 2 S. 4 EStG). Dieses greift aber nicht, wenn die Existenzgrundlage oder lebensnotwendige Bedürfnisse des Steuerpflichtigen betroffen sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 18.10.2023, X R 7/20
| Nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die pauschale Besteuerung (Steuersatz i. H. von 25 %) für Betriebsveranstaltungen auch für Veranstaltungen zulässig, die nicht allen Betriebsangehörigen offenstehen. Nicht so erfreulich ist dagegen ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG), wonach die verspätete Pauschalbesteuerung nicht zur Beitragsfreiheit in der Sozialversicherung führt. |
Hintergrund: Zuwendungen des Arbeitgebers an seinen Arbeitnehmer und dessen Begleitpersonen anlässlich von Veranstaltungen auf betrieblicher Ebene mit gesellschaftlichem Charakter (Betriebsveranstaltung) führen gemäß Einkommensteuergesetz (hier: § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 1 EStG) zu Arbeitslohn.
Soweit die Zuwendungen den Betrag von 110 Euro je Betriebsveranstaltung und teilnehmendem Arbeitnehmer nicht übersteigen, gehören sie jedoch nicht zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, wenn die Teilnahme allen Angehörigen des Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. Dies gilt für bis zu zwei Betriebsveranstaltungen jährlich (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 3 und S. 4 EStG).
Urteil des Bundesfinanzhofs
Ungeklärt war bislang die Frage, ob eine„Betriebsveranstaltung“ auch bei einem geschlossenen Kreis (beispielsweise Vorstands- und Führungskräfte feiern) vorliegt.
Beachten Sie | In diesen Fällen kann zwar kein Freibetrag i. H. von 110 Euro gewährt werden, aber es wäre eine Lohnsteuerpauschalierung (nach § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) mit 25 % möglich.
Auch bei eingeschränktem Kreis: Betriebsveranstaltung
Diese Frage hat der BFH – im Gegensatz zur Vorinstanz – nun zugunsten der Steuerpflichtigen entschieden. Nach der ab dem Veranlagungszeitraum 2015 geltenden Definition im Einkommensteuergesetz (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a S. 1 EStG) kann eine Betriebsveranstaltung auch vorliegen, wenn sie nicht allen Angehörigen eines Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. Und da diese Definition dem Tatbestandsmerkmal „Betriebsveranstaltung“ (gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) entspricht, ist eine pauschale Besteuerung möglich.
Urteil des Bundessozialgerichts
Im Streitfall des BSG ging es auch um Betriebsveranstaltungen – und zwar um die Frage, welche Folgen eine verspätete Lohnsteuerpauschalierung für die Sozialversicherung hat.
Das war geschehen
Ein Unternehmen feierte mit seinen Beschäftigten am 5.9.2015 ein Firmenjubiläum. Am 31.3.2016 zahlte es für September 2015 auf einen Betrag von rund 163.000 Euro die für 162 Arbeitnehmer angemeldete Pauschalsteuer. Nach einer Betriebsprüfung forderte der Rentenversicherungsträger von dem Unternehmen Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen in Höhe von rund 60.000 Euro nach – und zwar zu Recht, wie das BSG entschieden hat (die gegenteiligen Entscheidungen der Vorinstanzen wurden aufgehoben).
Aufwendungen von mehr als 110 Euro je Beschäftigten für eine betriebliche Jubiläumsfeier sind als geldwerter Vorteil in der Sozialversicherung beitragspflichtig, wenn sie nicht mit der Entgeltabrechnung, sondern erst erheblich später pauschal versteuert werden.
Pauschalversteuerung erfolgte zu spät
Es kommt entscheidend darauf an, dass die pauschale Besteuerung „mit der Entgeltabrechnung für den jeweiligen Abrechnungszeitraum“ erfolgt. Dies wäre im konkreten Fall die Entgeltabrechnung für September 2015 gewesen. Tatsächlich wurde die Pauschalbesteuerung aber erst Ende März 2016 durchgeführt und damit sogar nach dem Zeitpunkt, zu dem die Lohnsteuerbescheinigung für das Vorjahr übermittelt werden musste.
Beachten Sie | Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung vertreten im Besprechungsergebnis vom 20.4.2016 (TOP 5) die Auffassung, dass eine nachträgliche Pauschalbesteuerung nur bis zur Erstellung der Lohnsteuerbescheinigung geltend gemacht werden kann, also längstens bis zum 28.2. des Folgejahrs. Dem hat sich das BSG nun im Ergebnis angeschlossen.
Quelle | BFH, Urteil vom 27.3.2024, VI R 5/22; BSG, Urteil vom 23.4.2024, B 12 BA 3/22 R Abruf-Nr. 241172 unter www.iww.de, PM Nr. 15/24 vom 23.4.2024; Spitzenorganisationen der Sozialversicherung, Besprechungsergebnis vom 20.4.2016, TOP 5
| Aufwendungen einer gesunden Steuerpflichtigen für eine durch eine Krankheit des Partners veranlasste Präimplantationsdiagnostik (PID) können als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein. So lautet eine steuerzahlerfreundliche Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH). |
Hintergrund: Bei der PID handelt es sich um ein genetisches Diagnoseverfahren zur vorgeburtlichen Feststellung von Veränderungen des Erbmaterials, die eine Fehl- oder Totgeburt verursachen bzw. zu einer schweren Erkrankung eines lebend geborenen Kindes führen können. Es erfolgt eine zielgerichtete genetische Analyse von Zellen eines durch künstliche Befruchtung entstandenen Embryos vor seiner Übertragung und Einnistung in die Gebärmutter.
Das war geschehen
Bei dem Partner der Steuerpflichtigen lag eine chromosomale Translokation vor. Aufgrund dieser Chromosomenmutation bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein auf natürlichem Weg gezeugtes gemeinsames Kind an schwersten körperlichen oder geistigen Behinderungen leidet und unter Umständen nicht lebensfähig ist. Daher wurde eine PID durchgeführt. Der Großteil der hierfür notwendigen Behandlungen betraf die Steuerpflichtige, die den Abzug der Kosten als außergewöhnliche Belastungen beantragte.
Das Finanzamt lehnte eine Berücksichtigung der Behandlungskosten ab. Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen gab der Klage hinsichtlich der von der Steuerpflichtigen selbst getragenen Aufwendungen hingegen statt.
Bundesfinanzhof: zwangsläufig entstandene Aufwendungen
Der BFH bestätigte nun die Vorentscheidung. Die Aufwendungen für die Behandlung der Steuerpflichtigen sind zwangsläufig entstanden, weil die ärztlichen Maßnahmen in ihrer Gesamtheit dem Zweck dienten, eine durch Krankheit beeinträchtigte körperliche Funktion ihres Partners auszugleichen. Wegen der biologischen Zusammenhänge konnte (anders als bei anderen Erkrankungen) durch eine medizinische Behandlung allein des erkrankten Partners keine Linderung der Krankheit eintreten. Daher steht der Umstand, dass die Steuerpflichtige selbst gesund ist, der Berücksichtigung der Aufwendungen nicht entgegen.
Auch auf den Familienstatus kam es nicht an
Unschädlich war auch, dass die Steuerpflichtige und ihr Partner nicht verheiratet waren – und schließlich war auch das Erfordernis der Übereinstimmung der vorgenommenen Behandlungsschritte mit gesetzlichen Vorschriften (insbesondere dem Embryonenschutzgesetz) erfüllt.
Beachten Sie | Außergewöhnliche Belastungen wirken sich nur steuermindernd aus, wenn sie die im Einkommensteuergesetz (hier: § 33 Abs. 3 EStG) festgelegte zumutbare Belastung übersteigen. Die Höhe der zumutbaren Belastung hängt dabei u. a. vom Gesamtbetrag der Einkünfte ab.
Quelle | BFH, Urteil vom 29.2.2024, VI R 2/22, PM 23/24 vom 10.5.2024
| Das Ordnungsamt darf einen privaten Pkw, der auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellt worden ist, unabhängig davon abschleppen lassen, ob ein Carsharing-Fahrzeug an der Nutzung dieses Parkplatzes konkret gehindert worden ist. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf entschieden und die Klage der Fahrzeugführerin gegen einen Leistungs- und Gebührenbescheid abgewiesen. |
Die Klägerin hatte ihren Pkw auf einer Fläche abgestellt, die durch Verkehrsschilder als Parkplatz für Carsharing-Fahrzeuge gekennzeichnet war. Ein Mitarbeiter der städtischen Verkehrsüberwachung stellte den Verstoß fest und beauftragte einen Abschleppwagen. Kurz vor dessen Eintreffen erschien die Klägerin und entfernte ihr Fahrzeug von dem Parkplatz. Die Stadt machte ihr gegenüber mit Leistungs- und Gebührenbescheid die Kosten der Leerfahrt des Abschleppwagens geltend und setzte eine Verwaltungsgebühr fest. Zur Begründung ihrer Klage gegen diesen Bescheid trug die Klägerin vor, sie habe nur elf Minuten auf dem Carsharing-Platz geparkt und zu dieser Zeit seien noch weitere Parkplätze frei gewesen, sodass ein Abschleppen nicht notwendig gewesen sei.
Das VG: Die Beauftragung des Abschleppwagens war rechtmäßig. Ein Fahrzeug, das auf einem nach der Beschilderung ausschließlich Carsharing-Fahrzeugen vorbehaltenen Parkplatz steht, aber nicht am Carsharing teilnimmt, wird so betrachtet, als wenn es in einem absoluten Halteverbot stünde. Die Abschleppmaßnahme war verhältnismäßig, weil die Funktion der Parkplätze für Carsharing-Fahrzeuge nur gewährleistet ist, wenn sie jederzeit von nicht parkberechtigten Fahrzeugen freigehalten werden. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob die Klägerin durch das verbotswidrige Abstellen konkret ein bevorrechtigtes Carsharing-Fahrzeug am Parken gehindert hat. Das Abschleppen ist auch unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, dass von einem zu Unrecht auf einem Carsharing-Parkplatz abgestellten Fahrzeug eine negative Vorbildwirkung für andere Kraftfahrer ausgeht.
Quelle | VG Düsseldorf, Urteil vom 20.2.2024, 14 K 491/23, PM vom 28.2.2024
| Die Abschleppunternehmer rechnen üblicherweise nach Einsatzstunden ab, wobei im Stundensatz die Kosten für das Fahrzeug und den Fahrer enthalten sind. Die Preis- und Strukturbefragung des Verbands Bergen und Abschleppen (VBA) differenziert dabei im unteren Segment nach Abschleppfahrzeugen unter und über zwölf Tonnen zulässigem Gesamtgewicht (zGG). Das Amtsgericht (AG) Pforzheim musste einen Fall entscheiden, bei dem der Abschleppunternehmer mit einem 13-Tonner vorgefahren kam. |
Der Versicherer trug vor, bei dem konkreten Gewicht des zu transportierenden Fahrzeugs hätte auch ein 11-Tonner genügt. Auf dieser Grundlage hatte er die Abschleppkosten nur reduziert erstattet.
Das Gericht entschied: Es möge sein, dass ein 11-Tonner genügt hätte. Doch sei dies im Vorhinein nicht abschätzbar.
Quelle | AG Pforzheim, Urteil vom 11.1.2024, 9 C 1207/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat sich in seiner Entscheidung mit der Frage befasst, ob der Klägerin ein Anspruch auf Sterbegeld und Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusteht, nachdem ihr Ehemann einen tödlichen Motorradunfall erlitten hatte. |
Ehemann der Klägerin bei Verkehrsunfall tödlich verletzt
Der Ehemann der Klägerin war Inhaber eines Autohauses in Berlin und als Unternehmer freiwillig bei der beklagten Berufsgenossenschaft versichert. Die Klägerin war in dem Autohaus angestellt tätig. Die gemeinsame Wohnung der Eheleute lag etwa 14 km vom Autohaus entfernt. Am 19.8.2013 reisten beide gemeinsam auf ihrem Motorrad aus einem mehrtägigen Urlaub in Thüringen die rund 400 km lange Strecke zurück nach Berlin, der Ehemann lenkte das Motorrad. Da die Tochter des Ehepaares während des Urlaubs die Geschäfte des Autohauses weitergeführt hatte und wegen eines Zahnarzttermins um 14:00 Uhr auf ihrer Arbeit abgelöst werden sollte, wollten sich die Eheleute aus Thüringen kommend direkt zum Autohaus begeben. Dort sollten von beiden die weiteren Geschäfte aufgenommen werden, ohne zuvor in die Familienwohnung zu fahren. Bereits auf dem Berliner Stadtgebiet, noch bevor sich die Wege zum Autohaus und zur Familienwohnung gabelten, kam es gegen 13:25 Uhr zu einem Verkehrsunfall, bei dem sich die Klägerin erheblich verletzte und ihr Ehemann verstarb.
Berufsgenossenschaft lehnte Sterbegeld ab
Die Berufsgenossenschaft lehnte es ab, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen (Sterbegeld und Witwenrente) zu erbringen. Ihr Ehemann habe sich bei dem Unfall nicht auf einem versicherten Arbeitsweg befunden, sondern lediglich auf einem privat veranlassten Rückweg von einer Urlaubsreise. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin und die Berufung vor dem LSG blieben zunächst ohne Erfolg. Auf die vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassene und von der Klägerin eingelegte Revision hin hat das Bundessozialgericht (BSG) das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache dorthin zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts sowie zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Landessozialgericht spricht Hinterbliebenenleistungen zu
Das LSG hat jetzt entschieden: Der Ehefrau stehen Hinterbliebenenleistungen zu. Der tödliche Motorradunfall stelle für den Ehemann als freiwillig versicherten Unternehmer einen Arbeitsunfall dar.
Zum einen sei der Ehemann versichert gewesen, weil er sich selbst zum Zeitpunkt des Unfalls auf dem direkten Weg zum Autohaus begeben wollte, um dort seiner Arbeit nachzugehen. Zum anderen habe Versicherungsschutz auch deshalb bestanden, weil die objektiven Begleitumstände und die Angaben der Ehefrau darauf schließen ließen, dass der verunglückte Ehemann seine Frau direkt zum Autohaus gefahren habe, damit diese dort die gemeinsame Tochter bei der Arbeit habe ablösen können. Damit liege ein versicherter, sogenannter „Betriebsweg“ vor, der nicht auf das Betriebsgelände beschränkt sei, aber dennoch im unmittelbaren betrieblichen Interesse liege.
Dem Versicherungsschutz stehe nicht entgegen, dass der Weg aus dem Urlaub (von einem „dritten Ort“ aus) angetreten worden sei und mithin erheblich länger gewesen sei, als es die Strecke von der Wohnung zur Arbeit gewesen wäre. Entscheidend sei, dass der zurückgelegte Weg die direkte Strecke zum Autohaus gewesen sei bzw. dass der subjektive Wille in erster Linie auf die Wiederaufnahme der Arbeit gerichtet gewesen sei. Dies hat das LSG anhand der vorliegenden Indizien des Falls bejaht. Insbesondere seien auch der Unfallzeitpunkt (13:25 Uhr) und der Zeitpunkt, zu dem die Tochter im Autohaus abgelöst werden sollte (14:00 Uhr), zeitlich stimmig.
Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.1.2024, L 21 U 202/21, PM vom 1.2.2024
| Mit den Besonderheiten bei der Versicherung historischer Fahrzeuge hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Es entschied: Steigt der Wert eines Oldtimers nach Abschluss der Versicherung an, ist der Betrag der Wertsteigerung womöglich vom Versicherungsschutz ganz oder teilweise nicht erfasst. Der Eigentümer des Fahrzeugs muss selbst darauf achten, den versicherten Wert regelmäßig dem etwa gestiegenen Marktwert anzupassen. Eine auf vollständigen Ersatz gerichtete Klage gegen die Kfz-Versicherung hat das Gericht im zugrundeliegenden Fall wegen Unterdeckung abgewiesen. |
Das war geschehen
Ein Oldtimerfan hatte sein historisches Fahrzeug gegen Beschädigung oder Zerstörung zum jeweils aktuellen Marktwert versichert. Später kam es dazu, dass das Fahrzeug bei einem Brand in einer Tiefgarage erheblich beschädigt worden war.
Die Kfz-Versicherung kam nach eingeholtem Gutachten zu einem Wert des Fahrzeugs am Schadenstag in Höhe von knapp 41.000 Euro und zahlte dem Eigentümer den entsprechenden Geldbetrag aus. Dieser war jedoch davon überzeugt, dass sein Oldtimer deutlich mehr wert gewesen sei und ließ deshalb ein weiteres Gutachten einholen. Dieses kam tatsächlich zu dem Ergebnis, dass das historische Fahrzeug im Wert deutlich gestiegen und fast 8.000 Euro mehr wert war, als von der Versicherung angenommen. Der Mann verlangte nun die Differenz.
Sonderbedingungen des Versicherungsvertrags entscheidend
Das LG verwies, wie auch zuvor bereits die Versicherung, den Oldtimerfan auf die im Versicherungsvertrag enthaltenen Sonderbedingungen für historische Fahrzeuge. Danach werde grundsätzlich ein Schaden bis zur Höhe des aktuellen Marktwerts ersetzt. Die Höchstentschädigung sei aber durch den Marktwert begrenzt, der bei Versicherungsabschluss vereinbart wurde.
Im Fall von Wertsteigerungen könne maximal zehn Prozent mehr als der damals vereinbarte Marktwert verlangt werden. Der habe im konkreten Fall rund 36.000 Euro betragen. Dem Oldtimerbesitzer stehe deshalb keine höhere Entschädigung zu, als von der Versicherung bereits ausgezahlt.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 17.1.2024, 3 O230/23, PM vom 28.2.2024
| Das Amtsgericht (AG) Frankfurt hatte nach der Wegnahme eines Fan-Schals keinen Diebstahl, sondern lediglich eine Nötigung angenommen. Ob ein Diebstahl vorliege, hänge davon ab, ob der Täter den Schal seinem Vermögen einverleiben wolle. |
Wegnahme nach Fußballspiel
Der angeschuldigte Eintracht-Fan soll bei einem Fußballspiel der Frankfurter Eintracht gegen den FC Schalke 04 im Deutsche Bank-Park einem Fan der gegnerischen Mannschaft einen Fan-Schal abgenommen haben. Beim Verlassen des Stadions habe er dem Schalke-Anhänger den Fan-Schal im Vorbeilaufen vom Hals gezogen. Als der Schalke-Fan ihn zur Rückgabe aufforderte, habe er ihn mit beiden Händen weggeschoben.
Staatsanwaltschaft bejahte Diebstahl
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main wertete dies als Diebstahl. Da der Angeschuldigte zudem den Schalke-Fan mit Gewalt weggedrückt habe, um den erbeuteten Schal behalten zu können, erhob sie Anklage wegen räuberischen Diebstahls - einem Verbrechenstatbestand mit einer Mindeststrafe von einem Jahr.
Amtsgericht differenzierte
Das AG sah in der Handlung des Angeschuldigten jedoch keinen Diebstahl. Es fehle an der hierfür notwendigen „Zueignungsabsicht“. Diese liege nur vor, wenn der Täter sich die Sache aneignen, sie also seinem Vermögen zuführen wolle. Nehme der Täter den Schal aber lediglich an sich, um jemanden zu ärgern, fehle es an einer Zueignungsabsicht. Es handele sich dann lediglich um eine straflose „Gebrauchsanmaßung“ und – sofern der Schal anschließend beschädigt würde – um eine Sachbeschädigung.
Da das Gericht keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür sah, dass der Angeschuldigte den Schal behalten wollte, eröffnete es das Hauptverfahren nicht wegen räuberischen Diebstahls, sondern lediglich wegen Nötigung. Diese habe der Angeschuldigte durch das Wegdrücken des Schalke-Fans begangen.
Quelle | AG Frankfurt am Main, Beschluss vom 23.10.2023, 917 Ls 6443 Js 217242/23, PM vom 8.3.2024
| Bei der Zerstörung eines älteren Baumes ist in der Regel keine sog. Naturalrestitution zu leisten, also nicht der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Der Anspruch geht vielmehr auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines jungen Baumes und darüber hinaus einen Ausgleich für eine etwa verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Das Oberlandgericht (OLG) Frankfurt am Main hat ein den eingeklagten Schadenersatzanspruch größtenteils zurückweisendes Urteil des Landgerichts (LG) aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das LG zurückverwiesen. |
Rückschnitt ja, aber nicht so gravierend
Die Parteien sind Nachbarn. Die Klägerin ist Eigentümerin eines großen Grundstücks im Vordertaunus mit rund 70-jährigem Baumbestand. Der Baum- und Strauchbestand wird jährlich mehrfach durch ein Fachunternehmen beschnitten. An den hinteren Gartenbereich grenzt u. a. das Grundstück des Beklagten. Im Abstand von 1,60 m hierzu steht auf dem klägerischen Grundstück eine Birke, im Abstand von 3,35 m ein Kirschbaum. Beide Bäume waren zum Zeitpunkt des Erwerbs des Beklagten schon lange vorhanden. Die Klägerin war einverstanden, dass der Beklagte die auf sein Grundstück herüberhängenden Äste der Gehölze zurückschneidet.
Ende Mai 2020 betrat der Beklagte das klägerische Grundstück in ihrer Abwesenheit und führte gravierende Schnittarbeiten unter anderem an den beiden Bäumen durch. An der Birke verblieb kein einziges Blatt. Der kurz vor der Ernte befindliche Kirschbaum wurde vollständig eingekürzt. Ob sich die Bäume wieder komplett erholen oder die derzeitigen Triebe allein sog. Nottriebe sind, die an dem Absterben nichts ändern, ist zwischen den Parteien streitig.
Landgericht sprach Schadenersatz von 4.000 Euro zu
Das LG hat der auf Zahlung von Schadenersatz von knapp 35.000 Euro gerichteten Klage in Höhe von gut 4.000 Euro stattgegeben. Es führte aus, dass die Wertminderung der Bäume sowie die Kosten für die Entsorgung des Schnittguts zu ersetzen seien.
Oberlandesgericht: Sachverhalt muss aufgeklärt werden
Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LG. Der Sachverhalt sei zur Bemessung des Schadenersatzes weiter aufzuklären, begründete das OLG die Entscheidung.
Bei der Zerstörung eines Baumes sei in der Regel nicht Schadenersatz in Form von Naturalrestitution zu leisten, da die Ersatzbeschaffung in Form der Verpflanzung eines ausgewachsenen Baumes regelmäßig mit besonders hohen und damit unverhältnismäßigen Kosten verbunden sei. Der Schadenersatz richte sich vielmehr üblicherweise auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines neuen jungen Baumes sowie einen Ausgleichsanspruch für die verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Diese Werteinbuße sei zu schätzen. Nach einer möglichen Bewertungsmethode könnten dafür die für die Herstellung des geschädigten Gehölzes bis zu seiner Funktionserfüllung erforderlichen Anschaffungs-, Pflanzungs- und Pflegekosten sowie das Anwachsrisiko berechnet und anschließend kapitalisiert werden. Dieser Wert sei um eine Alterswertminderung, Vorschäden und sonstige wertbeeinflussende Umstände zu bereinigen.
Ausnahmsweise seien die vollen Wiederbeschaffungskosten zuzuerkennen, „wenn Art, Standort und Funktion des Baumes für einen wirtschaftlich vernünftig denkenden Menschen den Ersatz durch einen gleichartigen Baum wenigstens nahelegen würden“, erläutert das OLG weiter. Aufzuklären sei deshalb bei der Bewertung des Schadenersatzes die Funktion der Bäume für das konkrete Grundstück. Zu berücksichtigen sei dabei auch der klägerische Vortrag, wonach es ihr bei der sehr aufwändigen, gleichzeitig naturnahen Gartengestaltung auch darauf angekommen sei, Lebensraum für Vögel und sonstige Tiere zu schaffen und einen Beitrag zur Umwandlung von Kohlenstoffdioxid in Sauerstoff zu leisten.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 6.2.2024, 9 U 35/23, PM 12/24
Impfpflicht: Vorlage eines Masernimmunitätsnachweises für schulpflichtige Kinder
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat in mehreren Eilverfahren die Beschwerden von Eltern schulpflichtiger Kinder gegen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin zurückgewiesen, wonach Gesundheitsämter für den Schulbesuch den Nachweis einer Impfung oder Immunität gegen Masern fordern dürfen, sofern keine Kontraindikation besteht. Für den Fall, dass der Nachweis nicht vorgelegt wird, kann auch ein Zwangsgeld angedroht werden. |
Infektionsschutzgesetz verfassungskonform
Zur Begründung hat das OVG u. a. ausgeführt: Die Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes zur Nachweispflicht seien angesichts der hochansteckenden Viruskrankheit mit möglicherweise schwerwiegenden Komplikationen nicht offenkundig verfassungswidrig. Zwar greife die Nachweispflicht in das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes ein. Die Regelung sei aber verhältnismäßig, weil sie – wie das Bundesverfassungsgericht bereits zur Nachweispflicht bei noch nicht schulpflichtigen Kindern entschieden habe – einen legitimen Zweck verfolge und nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehe.
Impfpflicht besteht
Der Gesetzgeber des Masernschutzgesetzes sei von einer grundsätzlich bestehenden „Impfpflicht“ bzw. „verpflichtenden Impfung“ ausgegangen. Er habe lediglich von deren Durchsetzung im Wege des unmittelbaren Zwangs abgesehen. Andere Zwangsmittel, wie Zwangsgeld und Geldbuße, seien hingegen vorgesehen, um eine tatsächliche Erhöhung der Impfquote in Schulen und sonstigen Gemeinschaftseinrichtungen – und damit letztlich in der gesamten Bevölkerung – zu erreichen.
Die Beschlüsse sind unanfechtbar.
Quelle | OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 28.2.2024, OVG 1 S 80/23 u. a., PM 9/24
| Nach Modernisierungsarbeiten vor Mietbeginn kann der Vermieter eine Miete vereinbaren, die die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 10 % übersteigt. Bestreitet der Mieter die Maßnahmen, ist das unbeachtlich, wenn der Vermieter eine substanziierte Berechnung vorgelegt und Einsicht in sämtliche Unterlagen angeboten hat. Das hat jetzt das Amtsgericht (AG) Berlin-Charlottenburg entschieden. |
Mieter verlangte Rückerstattung überhöhter Miete
Die Miete für eine Wohnung in einem durch Verordnung bestimmten Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt lag bei 1.700 Euro. Unter Berücksichtigung eines zehnprozentigen Zuschlags gemäß Mietspiegel war von einer ortsüblichen Vergleichsmiete von maximal 867,71 Euro auszugehen. Der Mieter forderte die Rückerstattung der überhöht verlangten Miete. Im Prozess nahm der Vermieter detailliert zu den von ihm durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen Stellung und legte dar, in welchem Umfang Abzüge für Instandsetzungsmaßnahmen vorgenommen wurden, insbesondere, dass anrechenbare Modernisierungskosten in Höhe von 441,33 Euro pro Monat entstanden seien.
Klage hatte teilweise Erfolg
Das AG gab der Klage teilweise statt. Bei den Baumaßnahmen des Vermieters handele es sich zwar nicht um eine umfassende Modernisierung im Sinne des § 556 f BGB, sodass der Vermieter die Wohnung nicht preisfrei vermieten durfte. Bei einer umfassenden Modernisierung sei zum einen auf den Investitionsaufwand und zum anderen auf das Ergebnis der Maßnahme, also die qualitativen Auswirkungen auf die Gesamtwohnung, abzustellen. Die aufgewandten Kosten einer reinen Erhaltungsmaßnahme zählten insgesamt nicht zu den Modernisierungskosten. Allein die Höhe des Bauaufwands reiche nicht aus; entscheidend sei das Resultat, also der geschaffene Zustand. Der Begriff „umfassend“ bezeichne nämlich nicht nur ein quantitatives (Kosten-)Element, sondern gleichberechtigt ein qualitatives Kriterium. Zu berücksichtigen seien die qualitativen Auswirkungen der Maßnahmen auf die Gesamtwohnung. Eine solche Auslegung werde dem Gesetzeszweck gerecht, Modernisierungen zu fördern. Durch diesen Aufwand müsse ein Zustand erreicht werden, der einer Neubauwohnung in etwa – nicht notwendig vollständig – entspreche.
Im Fall des AG fehlten Darlegungen des Vermieters, dass durch die Maßnahmen ein Zustand erreicht wurde, der insbesondere in energetischer Hinsicht einem Neubau gleichkommt. Jedoch sei der Vermieter berechtigt, die Kosten für die Modernisierungsmaßnahmen (nach § 556 e Abs. 2 BGB) in Höhe von 441,33 Euro pro Monat anzurechnen. Insgesamt sei daher eine Nettokaltmiete für die Wohnung in Höhe von 1.309,04 Euro berechtigt.
Quelle | AG Berlin-Charlottenburg, Urteil vom 9.6.2023, 209 C 29/22
| Nach dem Wohnungseigentumsgesetz (hier: § 20 Abs. 1 Abs. 2 S. 1 WEG) kann jeder Wohnungseigentümer angemessene bauliche Veränderungen verlangen, die u. a. dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen (sog. privilegierte bauliche Veränderungen). Verlangt ein Wohnungseigentümer eine solche bauliche Veränderung, entscheidet die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer über das „Wie“ der Maßnahme nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung. Der einzelne Wohnungseigentümer hat grundsätzlich keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung. So entschied es das Landgericht (LG) Stuttgart. |
Eigentümer errichtete zunächst Ladesäule
Ein Wohnungseigentümer hatte ein Sondernutzungsrecht an einem Stellplatz im Freien. Seit Jahren versuchte er vergeblich zu erreichen, dass eine Ladesäule für Elektrofahrzeuge an seinem Stellplatz errichtet wird. Schließlich montierte er im Sommer 2019 ohne Gestattung neben seinem Außenstellplatz eine Ladesäule auf einem Betonfundament. Für die Errichtung als „öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur“ erhielt er eine Förderung aus Bundesmitteln. Die Eigentümergemeinschaft verklagte ihn erfolgreich auf Entfernen der Ladestation und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Im Rahmen der Vollstreckung wurde die Ladesäule demontiert.
Dann verlangte er bestimmte bauliche Veränderungen
Der Eigentümer verlangte daraufhin „bauliche Veränderungen, die dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge dienen gemäß (von ihm) vorgelegtem Ladeinfrastrukturkonzept“. Dieser Antrag wurde in der Eigentümerversammlung 2020 nicht beraten und zur Abstimmung gestellt, sondern beschlossen, ein Gesamtkonzept zum Betreiben von Ladepunkten für E-Mobilität erstellen zu lassen. Die Eigentümerversammlung 2021 lehnte das inzwischen vorliegende Gesamtkonzept ab und ebenso die von dem Eigentümer erneut beantragte Genehmigung baulicher Veränderungen gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept, das alternativ eine öffentliche oder nichtöffentliche Nutzung vorsah. Zugleich wurde anderen Wohnungseigentümern auf deren Antrag gestattet, eine Wallbox an insgesamt vier Stellplätzen anzubringen.
Darauf erhob der Eigentümer Beschlussersetzungsklage, gerichtet auf die Gestattung, auf dem Gemeinschaftseigentum neben seinem Stellplatz die zuvor entfernte Ladestation gemäß dem von ihm vorgelegten Ladeinfrastrukturkonzept errichten zu dürfen, hilfsweise, ihm die Anbringung einer Wallbox zu gestatten. Damit hatte der Eigentümer in beiden Instanzen keinen Erfolg.
Landgericht: kein Anspruch auf bestimmte Ausführung einer Maßnahme
Der Eigentümer könne die Gestattung der Errichtung einer Ladestation nach dem von ihm entwickelten Ladeinfrastrukturkonzept nicht verlangen. Die Beschlussersetzungsklage diene der gerichtlichen Durchsetzung des Anspruchs des Wohnungseigentümers auf ordnungsmäßige Verwaltung. Die Klage sei daher begründet, wenn der klagende Wohnungseigentümer einen Anspruch auf den seinem Rechtsschutzziel entsprechenden Beschluss habe, weil nur eine Beschlussfassung ordnungsmäßiger Verwaltung entspreche.
Zwar könne jeder Wohnungseigentümer einen Beschluss über das „Ob“ solcher baulichen Veränderungen verlangen, so das LG; dies beinhalte aber keinen Anspruch auf eine bestimmte Art und Weise der Durchführung. Darüber entscheiden die Wohnungseigentümer im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung nach eigenem Ermessen. Der einzelne Wohnungseigentümer habe mithin keinen Anspruch auf eine bestimmte Durchführung der betreffenden baulichen Veränderung, solange das Ermessen der Gemeinschaft nicht aufgrund der Einzelfallumstände auf null reduziert sei.
Quelle | LG Stuttgart, Urteil vom 5.7.2023, 10 S 39/21
| Das Finanzministerium Baden-Württemberg stellt einen Ratgeber „Steuertipps für Familien“ zur Verfügung. Der 100 Seiten umfassende Ratgeber gibt neben Informationen rund um das Kindergeld u. a. einen Überblick über die Steuervergünstigungen für Familien und Alleinerziehende.
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden, wann ein Widerspruch vorliegt, durch den ein älteres Testament – ganz oder teilweise – aufgehoben wird. |
Vier handschriftliche Testamente
Die Erblasserin verstarb ledig und kinderlos. Sie hatte zwei Geschwister: eine Schwester und einen Bruder, die beide vorverstorben sind. Insgesamt hinterließ die Erblasserin vier handschriftlich verfasste Testamente.
Im ersten Testament vom 3.4.2007 setzte sie ihre Schwester als Alleinerbin und ihren Bruder als Ersatzerben ein. Dieses Testament änderte sie am 26.4.2009 durch Durchstreichen derart, dass die Ersatzerbenstellung des Bruders aufgehoben wurde mit der Bemerkung, dass er gestorben sei. Im Testament vom 26.4.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Später ergänzte sie den Text mit folgendem unvollständigen Wortlaut: „Für den Fall, dass meine Schwester das Erbe nicht antreten kann, setze ich meine Großnichte als“. Im Testament vom 18.10.2009 setzte sie erneut ihre Schwester als Alleinerbin ein. Weiter heißt es in dem Testament: „Für den Fall, dass meine Schwester verstorben ist, setze ich zur Nacherbin meine Großnichte ein.“ Schließlich testierte sie am 27.4.2016 erneut und setzte wiederum ihre Schwester als Alleinerbin ein. In diesem Testament wurde weder eine Ersatzerbschaft noch eine Nacherbschaft angeordnet und die Großnichte wurde nicht mehr erwähnt.
Die Großnichte beantragte einen Alleinerbschein. Dem traten die Kinder des vorverstorbenen Bruder entgegen. Das Nachlassgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, die Erblasserin habe mit ihrer letzten Verfügung von Todes wegen die vorangegangenen Testamente aufgehoben. Der gegen diesen Beschluss durch die Großnichte eingelegten Beschwerde hat das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Akten dem OLG Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat die Beschwerde zurückgewiesen.
So sah es das Oberlandesgericht
Die Großnichte könnte ihre Alleinerbenstellung allein aus dem Testament vom 18.10.2009 herleiten. Diese Stellung sei indes von der Erblasserin vollständig aufgehoben worden, als sie am 27.4.2016 ein neues Testament errichtet habe, in dem die Großnichte nicht mehr als Ersatzerbin berufen sei, so das OLG.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 2258 Abs. 1 BGB) werde durch die Errichtung eines Testaments ein früheres Testament insoweit aufgehoben, als dass das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch stehe. Ein derartiger Widerspruch liege zum einen vor, wenn die Testamente sachlich miteinander nicht vereinbar seien, die getroffenen Anordnungen also nicht nebeneinander Geltung erlangen könnten, sondern sich gegenseitig ausschließen. Ein Widerspruch sei zum anderen (auch) gegeben, wenn die einzelnen Anordnungen einander zwar nicht entgegengesetzt seien, aber die kumulative Geltung der mehreren Verfügungen den in einem späteren Testament zum Ausdruck kommenden Absichten des Erblassers zuwiderliefe. Das sei der Fall, wenn der Erblasser mit dem späteren Testament seine Erbfolge insgesamt, nämlich abschließend und umfassend (ausschließlich) habe neu regeln wollen. So liege der Fall hier.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.12.2023, I-3 Wx 189/23
| Zwei Investoren sind zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von insgesamt 300.000 Euro nebst Zinsen an einen Planungsverband verpflichtet worden, weil sie die Erteilung einer Baugenehmigung zur Realisierung eines Hotelbauvorhabens nicht rechtzeitig beantragt haben. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz. |
Frist für Bebauungsplan vereinbart
Im Dezember 2016 schloss der Planungsverband mit den Investoren einen städtebaulichen Vertrag. In diesem verpflichteten sich die Investoren, binnen 36 Monaten ab Inkrafttreten eines vom Planungsverband aufzustellenden Bebauungsplans einen vollständigen Bauantrag zur Errichtung eines Hotelbaus zu stellen. Unterbleibt eine rechtzeitige Bauantragstellung, ist eine Vertragsstrafe in Höhe von 15.000 Euro monatlich, höchstens in Höhe von 300.000 Euro, vorgesehen.
Frist überschritten: Vertragsstrafe
Weil die Investoren ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen waren, verlangte der Planungsverband zunächst außergerichtlich und dann mit seiner Klage, die vereinbarte Vertragsstrafe zu zahlen. Die Investoren beriefen sich dagegen auf Formfehler beim Zustandekommen des Vertrags und machten geltend, die Stellung eines vollständigen Bauantrags sei ihnen unmöglich gewesen, weil der Planungsverband Gestaltungsvorgaben nicht hinreichend konkret vorgegeben habe. Ferner stünde ein Lärmschutzkonflikt mit den Betreibern der auf dem Plateau vorhandenen Freilichtbühne einer Umsetzung des Hotelkonzepts entgegen.
Anforderungen eingehalten
Die Klage hatte Erfolg. Der Verband habe einen Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe, so das VG. Der Vertrag sei frei von Verfahrens- und Formfehlern zustande gekommen und entspreche den an einen städtebaulichen Vertrag zu stellenden gesetzlichen Anforderungen.
Rechtzeitigkeit wäre möglich gewesen
Den Investoren sei es zudem möglich gewesen, rechtzeitig vollständige Bauantragsunterlagen einzureichen. Insbesondere habe der Lärmschutzkonflikt zwischen dem geplanten Hotelvorhaben und der Freilichtbühne die Vorlage vollständiger Bauantragsunterlagen nicht unmöglich gemacht. Eine Lösung des Konflikts wäre vielmehr im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens herbeizuführen gewesen.
Gegen die Entscheidung wurde Rechtsmittel zum Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz erhoben.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 6.12.2023, 4 K 388/23.KO, PM 1/24
| Die Errichtung von Kleinwindenergieanlagen ist ein im Außenbereich baurechtlich privilegiertes Vorhaben der Nutzung der Windenergie, auch wenn es nicht mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms der öffentlichen Energieversorgung, sondern der Deckung des privaten Verbrauchs dient. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |
Landkreis lehnte Erlass eines Bauvorbescheids ab
Die Kläger beantragten, ihnen einen Bauvorbescheid zur Errichtung von vier Kleinwindenergieanlagen (Gesamthöhe 6,5 m) auf ihrem Grundstück im Außenbereich zu erteilen. Der Landkreis lehnte dies mit der Begründung ab, die Anlagen seien nicht als im Außenbereich privilegierte Vorhaben der Nutzung der Windenergie zu behandeln, da die Privilegierung auf solche Windenergieanlagen zu beschränken sei, die der öffentlichen Versorgung dienten. Zudem stünden öffentliche Belange dem Vorhaben entgegen. Hiergegen erhoben die Kläger Klage. Das Verwaltungsgericht (VG) verpflichtete den beklagten Landkreis, den beantragten Bauvorbescheid zu erteilen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Landkreises wies das OVG zurück.
Privilegiertes Bauvorhaben auch bei Privatnutzung der erzeugten Energie
Das VG habe den Beklagten zu Recht zur Erteilung des beantragten Bauvorbescheids verpflichtet. Bei der Errichtung und dem Betrieb der vier Kleinwindenergieanlagen handele es sich um ein der Nutzung der Windenergie dienendes privilegiertes Vorhaben im Sinne des Baugesetzbuchs (hier: § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB), das im Außenbereich zugelassen werden könne.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ließen sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal herleiten, wonach das Vorhaben nicht nur der Nutzung der Windenergie, sondern – mittels Netzeinspeisung des erzeugten Stroms – auch der öffentlichen Energieversorgung dienen müsse. Gegen ein solches ungeschriebenes Erfordernis sprächen auch Sinn und Zweck der Norm. Diese diene letztlich einer umwelt- und ressourcenschonenden Energieversorgung mittels einer verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien, wozu Windenergieanlagen auch dann beitrügen, wenn sie allein zur Deckung eines privaten Verbrauchs errichtet würden. Die überragende Bedeutung dieses Ziels habe der Gesetzgeber mehrfach in seiner weiteren Normsetzung herausgestellt.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus einem Urteil des OVG aus dem Jahr 2018, an dem der dort erkennende Senat in Bezug auf den geforderten öffentlichen Versorgungszweck in einer neueren Entscheidung aus dem Jahr 2023 ersichtlich nicht mehr festhalte.
Keine Gefahr von Wildwuchs
Nicht nachvollziehbar sei die vom Beklagten ferner geltend gemachte Befürchtung, dass bei einer Privilegierung von allein der privaten Versorgung dienenden Kleinwindenergieanlagen ein Wildwuchs derartiger Vorhaben zulasten der Landschaft drohe. Denn die Errichtung einer Kleinwindenergieanlage im Außenbereich komme unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nur in Betracht, wenn der erzeugte Strom entweder durch einen dort in der Nähe der Anlage vorhandenen Verbraucher abgenommen oder ins Stromnetz eingespeist werde. Dies sei jedoch regelmäßig nicht der Fall, da ein Endabnehmer vor Ort im Außenbereich nur in Ausnahmefällen vorhanden sei und der Bau einer Leitung allein zum Zweck der Einspeisung des mit der Kleinanlage erzeugten Stroms in ein öffentliches Netz unter Rentabilitätsaspekten ausscheide. Dem privilegierten Vorhaben stünden auch keine öffentlichen Belange entgegen.
Quelle | OVG Koblenz, Urteil vom 4.4.2024, 1 A 10247/23. OVG, PM 6/24
| Das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz hat die Entlassung eines Polizeikommissars aus dem Beamtenverhältnis auf Probe für rechtmäßig erklärt. |
Das war geschehen
Der Kläger war im Jahr 2021 nach bestandener Laufbahnprüfung in das Probebeamtenverhältnis berufen und als Einsatzsachbearbeiter in einer Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei eingesetzt worden. Bereits zuvor, noch während seines Vorbereitungsdienstes, hatte er über mehrere Monate hinweg wiederholt Bilddateien (sog. Sticker) in verschiedene WhatsApp-Chatgruppen mit diskriminierenden, antisemitischen, rassistischen, menschenverachtenden sowie frauen- und behindertenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Inhalten hochgeladen. Als sein Dienstherr, der Beklagte, hiervon erfuhr, leitete er zunächst ein Disziplinarverfahren und dann ein Entlassungsverfahren ein und entließ den Kläger wegen erheblicher Zweifel an dessen charakterlicher Eignung für den Polizeidienst mit Ablauf des Jahres 2022 aus dem Probebeamtenverhältnis.
Hiergegen erhob der Kläger zunächst Widerspruch und in der Folge Klage. Zur Begründung gab er an, aus dem Kontext der Verwendung der Sticker werde hinreichend deutlich, dass es sich nur um „schwarzen Humor“ handele; der Inhalt der Sticker entspreche in keiner Weise seiner inneren Haltung.
Kläger kein „unbescholtenes Blatt“
Die Klage hatte keinen Erfolg. Der Beklagte sei vielmehr beurteilungsfehlerfrei von der charakterlichen Nichteignung des Klägers für den Polizeidienst ausgegangen. Damit knüpfte das VG an seine bereits im November 2023 getroffenen Beschluss an, mit dem er die vom Kläger beantragte Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussichten seiner Klage abgelehnt hatte. In dem Beschluss hatte das Gericht betont, es sei unerheblich, ob die vom Kläger verwandten „Sticker“ tatsächlich Ausdruck seiner Gesinnung seien. Der Kläger müsse diese so gegen sich gelten lassen, wie sie aus Sicht eines objektiven Betrachters zu verstehen seien. Es werde deutlich, dass der Kläger sich seiner beamtenrechtlichen Pflichten nicht einmal ansatzweise bewusst sei und dass ihm erkennbar die erforderliche charakterliche Reife und Stabilität für das Amt eines Polizeivollzugsbeamten fehle. Außerdem berücksichtigten die Richter, dass der Kläger im Februar 2024 strafrechtlich wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in vier Fällen, in drei Fällen hiervon in Tateinheit mit Volksverhetzung, schuldig gesprochen worden war.
Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 20.2.2024, 5 K 733/23. KO, PM 5/24
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung einer TV-Moderatorin wirksam ist, die trotz Abmahnungen eine Online-Kolumne für eine im Wettbewerb stehende Tageszeitung verfasst. |
Einschränkungen im Arbeitsvertrag
Die Klägerin war langjährig im Bereich Finanz- und Börsenberichterstattung für die Beklagte tätig, die einen Nachrichtensender mit TV- und Onlineberichterstattung betreibt. Der Arbeitsvertrag schränkt die Möglichkeit von Nebentätigkeiten ein und sieht vor, dass zuvor eine Genehmigung erfolgen muss.
Abmahnung wegen Online-Börsenkolumne
Die Klägerin hat unter anderem am 29.9.2022 eine Online-Börsenkolumne für eine Tageszeitung verfasst, wegen der sie am 4.10.2022 abgemahnt wurde. Dennoch veröffentlichte die Klägerin dort am 1.1.2023 eine weitere Kolumne, aufgrund der die Beklagte die streitgegenständliche Kündigung aussprach.
Zuvor war die Klägerin auch vor dem ArbG Köln in einem einstweiligen Verfügungsverfahren unterlegen, in dem sie ihren Arbeitgeber verpflichten wollte, die Nebentätigkeit zum Verfassen einer wöchentlichen Kolumne zu genehmigen. Hier hatte das ArbG geurteilt, dass die begehrte Nebentätigkeit eine nicht genehmigungsfähige Konkurrenztätigkeit darstelle.
Arbeitsgericht bestätigt Kündigung
Das ArG Köln hat die Kündigung bestätigt. Bei der Online-Kolumne handele es sich um eine Wettbewerbstätigkeit, da sowohl der Arbeitgeber als auch der Zeitungsverlag Unternehmen sind, die sowohl im Bereich der TV- wie auch der Onlineberichterstattung aktiv seien.
Zudem betreffe die Börsenkolumne der Klägerin den fachlichen Kernbereich ihrer Tätigkeit für die Beklagte. Gerade in diesen Themen hat die Klägerin sich in der Vergangenheit eine große Reputation aufgebaut, mit der sie bislang für die Beklagte in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten ist. Ein Arbeitnehmer, der während des bestehenden Arbeitsverhältnisses Wettbewerbstätigkeiten entfaltet, verstoße gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers. Dies könne eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar
Hier sei der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar. Das Vertrauen der Beklagten in einen störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses sei nach den bewussten, fortgesetzten und groben Pflichtverletzungen der Klägerin gänzlich aufgebraucht.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 11.10.2023, 9 Ca 5402/22, PM 11/23
| Ein Busunternehmer steht unter Unfallversicherungsschutz, wenn er im Homeoffice beim Hochdrehen der Heizung durch eine Verpuffung im Heizkessel verletzt wird. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Im Homeoffice Heizkessel überprüft und nach Verpuffung schwer verletzt
Der Kläger war als selbstständiger Busunternehmer bei der beklagten Berufsgenossenschaft pflichtversichert. Er bewohnte ein Haus, dessen Wohnzimmer er als häuslichen Arbeitsplatz (Homeoffice) für Büroarbeiten nutzte. Am Unfalltag holte der Kläger seine Kinder von der Schule ab und arbeitete anschließend an seinem Schreibtisch im Wohnzimmer. Nachdem er festgestellt hatte, dass die Heizkörper im ganzen Haus kalt waren, begab er sich zur Überprüfung der Kesselanlage in den Heizungskeller. Beim Hochdrehen des Temperaturschalters kam es aufgrund eines Defekts der Heizungsanlage zu einer Verpuffung im Heizkessel, in deren Folge der Kläger eine schwere Augenverletzung erlitt.
Bundessozialgericht erkennt Arbeitsunfall an
Die beklagte Berufsgenossenschaft, das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) lehnten einen Arbeitsunfall ab. Das BSG hat dagegen einen Arbeitsunfall anerkannt.
Der Kläger wollte nicht nur seine Kinder, sondern auch seinen häuslichen Arbeitsplatz mit höheren Temperaturen versorgen. Die Benutzung des Temperaturreglers war deshalb unternehmensdienlich, der Heizungsdefekt kein unversichertes privates Risiko.
Quelle | BSG, Urteil vom 21.3.2024, B 2 U 14/21 R, PM 11/24
| Die Zweifelsregelung im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 271 Abs. 2 BGB) gestattet es einem Arbeitgeber nicht, eine dem Arbeitnehmer bisher zustehende jährliche Einmalzahlung wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld kraft einseitiger Entscheidung stattdessen in anteilig umgelegten monatlichen Teilbeträgen zu gewähren, um sie „pro rata temporis“ – also zeitanteilig – auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen zu können. Diese Auffassung vertritt das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg im Streit über die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs durch Sonderzahlungen. |
Das LAG hat die Revision zugelassen.
Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.1.2024, 3 Sa 4/23
| Eine durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Vermögensverschiebung von einer Kapitalgesellschaft an einen Gesellschafter setzt einen Zuwendungswillen voraus – und ein solcher kann aufgrund eines Irrtums des Gesellschafter-Geschäftsführers fehlen. Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs (BFH) ist es insoweit maßgebend, ob der konkrete Gesellschafter-Geschäftsführer einem Irrtum unterlegen ist, nicht hingegen, ob einem ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiter der Irrtum gleichfalls unterlaufen wäre. |
Hintergrund: Bei einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) handelt es sich – vereinfacht – um Vermögensvorteile, die dem Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung gewährt werden. Eine vGA darf den Gewinn der Gesellschaft nicht mindern.
Das war geschehen
Geklagt hatte eine GmbH, deren Stammkapital durch die alleinige Gesellschafter-Geschäftsführerin u. a. durch die Einbringung einer Beteiligung von 100 % an einer weiteren GmbH erbracht werden sollte. Bei der einzubringenden GmbH wurde eine Kapitalerhöhung durchgeführt, die die Gesellschafter-Geschäftsführerin begünstigte. Das Finanzamt sah hierin eine vGA der GmbH an ihre Gesellschafter-Geschäftsführerin. Dagegen argumentierte die GmbH, dass die Zuwendung an die Gesellschafter-Geschäftsführerin irrtümlich wegen eines Versehens bei der notariellen Beurkundung der Kapitalerhöhung erfolgt sei.
So entschieden die gerichtlichen Instanzen
Das Finanzgericht (FG) Schleswig-Holstein wies die Klage ab, weil einem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführer der von der GmbH dargelegte Irrtum nicht unterlaufen wäre. Der BFH hat nun aber klargestellt, dass es für die Frage, ob der für die Annahme einer vGA erforderliche Zuwendungswille vorliegt, allein auf die Person der konkreten Gesellschafter-Geschäftsführerin ankommt. Er verwies den Streitfall deshalb zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurück.
Beachten Sie | In seiner Urteilsbegründung zum Vorliegen einer vGA führt der BFH aber auch Folgendes aus: Der handelnde Gesellschafter muss nicht mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis handeln, er muss den Tatbestand der vGA nicht kennen und er muss das Geschehene auch nicht richtig würdigen. Vielmehr genügt in aller Regel ein persönlich zurechenbares Handeln.
Diese Grundsätze gelten aber nicht uneingeschränkt, da es zur Annahme einer vGA – so wie bei einer offenen Gewinnausschüttung – eines Zuwendungswillens bedarf.
Quelle | BFH, Urteil vom 22.11.2023, I R 9/20, PM 20/24 vom 11.4.2024
| Schweizer Banken können Informationen zu Konten und Depots deutscher Staatsangehöriger an die deutsche Finanzverwaltung übermitteln. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. Er sieht in der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden keine Verletzung der Grundrechte der inländischen Steuerpflichtigen. |
Geklagt hatten Steuerpflichtige, die sich durch Übermittlung der Kontostände ihrer Schweizer Bankkonten in ihren Grundrechten verletzt sahen, vor allem in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Nachdem bereits das Finanzgericht (FG) Köln diese Ansicht nicht teilte, bestätigte nun auch der BFH die Verfassungsmäßigkeit der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden. Jedenfalls ist die Übermittlung der Informationen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung gerechtfertigt.
Beachten Sie | Deutschland sowie mehrere andere Staaten haben sich zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung dazu verpflichtet, Informationen zu Bankkonten auszutauschen, u. a. werden hierfür die Kontostände ausländischer Bankkonten an die deutsche Steuerverwaltung übermittelt. Der automatische Informationsaustausch über Finanzkonten dient der Sicherung der Steuerehrlichkeit und der Verhinderung von Steuerflucht.
Quelle | BFH, Urteil vom 23.1.2024, IX R 36/21, PM 17/24 vom 28.3.2024
| Ohne Betriebssitz kann kein Gelegenheitsverkehr mit Mietwagen betrieben werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin in einem Eilverfahren entschieden. |
Behörde widerrief Erlaubnis
Der Antragsteller ist Inhaber einer vom Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) erteilten Genehmigung für den Gelegenheitsverkehr mit insgesamt zehn Mietwagen nach dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG). Nach den Feststellungen der Behörde fanden sich an der vom Antragsteller angegeben Adresse – anders als von ihm ursprünglich behauptet – weder Büroräume noch reservierte Stellplätze für die Fahrzeuge. Daraufhin widerrief die Behörde die Erlaubnis unter Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Verwaltungsgericht bestätigt Behörde
Das VG hat den hiergegen gerichteten Eilantrag zurückgewiesen. Zu Recht sei die Behörde von einer fehlenden Zuverlässigkeit des Antragstellers ausgegangen. Denn dieser habe gegen eine Kernpflicht des Mietwagenverkehrs verstoßen.
Das wesentliche Merkmal des Mietwagenverkehrs bestehe darin, dass Aufträge nicht an beliebigen Orten, sondern grundsätzlich nur am Betriebssitz entgegengenommen werden dürften; dorthin müssten die Fahrzeuge daher regelmäßig nach Beendigung eines jeden Auftrags zurückkehren. Die Begründung und Unterhaltung eines in der Genehmigung festgeschriebenen Betriebssitzes sei daher Voraussetzung für die Erfüllung der Rückkehrpflicht. Das Rückkehrgebot sei nicht Selbstzweck, sondern solle auf wirksame Weise unterbinden, dass Mietwagen nach Beendigung eines Beförderungsauftrags taxiähnlich auf öffentlichen Straßen und Plätzen bereitgestellt würden und dort Beförderungsaufträge annähmen.
Das VG ließ offen, ob ungeachtet dessen der Widerruf auch auf die fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit des Antragstellers hätte gestützt werden können. Es spreche allerdings einiges dafür, dass dies schon bei der Genehmigungserteilung der Fall gewesen sei. Ein Mietwagenunternehmer müsse über ein angemessenes Eigenkapital verfügen, was hier nicht ersichtlich sei. Der Zeitwert der Fahrzeuge selbst dürfe – anders als von der Behörde bei Genehmigungserteilung fälschlich angenommen – gerade nicht berücksichtigt werden.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 25.3.2024, VG 11 L 53/24, PM vom 2.4.2024
| Die Klausel „Die Mobile Briefmarke ist lediglich als ad-hoc-Frankierung zum sofortigen Gebrauch gedacht. Erworbene Mobile Briefmarken verlieren daher mit Ablauf einer 14-tägigen Frist nach Kaufdatum ihre Gültigkeit. Das maßgebliche Kaufdatum ist in der Auftragsbestätigung genannt. Eine Erstattung des Portos nach Ablauf der Gültigkeit ist ausgeschlossen.“ ist nach § 307 BGB unwirksam. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Köln entschieden. |
Es gab damit der Unterlassungsklage der Verbraucherzentrale statt. Es handele sich bei dem Erwerb einer Briefmarke um einen Kaufvertrag und nicht um einen Frachtvertrag.
Das bürgerliche Recht kenne für Verpflichtungen aus schuldrechtlichen Verträgen im Allgemeinen nur die im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: §§ 194 ff. BGB) geregelten Verjährungsvorschriften, nicht dagegen besondere, von der Frage der Verjährung unabhängige Ausschlussfristen. Es handele sich um eine unangemessene und erhebliche zeitliche Beschränkung des Erfüllungsanspruchs.
Das OLG hob hervor: Durch die Beschränkung der Gültigkeitauf 14 Tage wird der Erfüllungsanspruch auf etwa ein Prozent der gesetzlich vorgesehenen Verjährungsfrist verkürzt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 13.6.2023, I-3 U 148/22
| Im Rahmen einer inländischen doppelten Haushaltsführung ist der Werbungskostenabzug von Unterkunftskosten auf 1.000 Euro monatlich beschränkt. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat nun entschieden, dass unter diesen Höchstbetrag auch eine für die Wohnung am Beschäftigungsort zu entrichtende Zweitwohnungssteuer fällt. |
Hintergrund: Eine beruflich veranlasste doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer außerhalb des Ortes seiner ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Haushalt unterhält (Hauptwohnung) und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnt (Zweitwohnung). In diesen Fällen können Arbeitnehmer Unterkunftskosten bis maximal 1.000 Euro im Monat als Werbungskosten abziehen.
Das war geschehen
Eine Arbeitnehmerin hatte an ihrem Tätigkeitsort in München eine Zweitwohnung gemietet. Die hierfür in den Streitjahren entrichtete Zweitwohnungssteuer i. H. von 896 Euro bzw. 1.157 Euro machte sie neben weiteren Kosten für die Wohnung i. H. von jeweils mehr als 12.000 Euro als Aufwendungen für ihre doppelte Haushaltsführung geltend. Das Finanzamt erkannte die Kosten der Unterkunft am Ort der ersten Tätigkeitsstätte in München jeweils mit dem Höchstbetrag von 12.000 Euro an. Die Zweitwohnungssteuer bei den sonstigen Aufwendungen im Rahmen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigte es nicht.
Die hiergegen gerichtete Klage war erfolgreich. Der BFH hat die Vorentscheidung nun aber aufgehoben.
Was der Höchstbetrag umfasst – und was nicht
Der Höchstbetrag umfasst sämtliche entstehenden Aufwendungen, wie beispielsweise Miete, Betriebskosten sowie Kosten der laufenden Reinigung und Pflege der Zweitwohnung oder -unterkunft; nicht jedoch Aufwendungen für Hausrat, Einrichtungsgegenstände oder Arbeitsmittel, mit denen die Zweitwohnung ausgestattet ist. Aufwendungen für die erforderliche Einrichtung und Ausstattung der Zweitwohnung, soweit sie nicht überhöht sind, können als sonstige notwendige Mehraufwendungen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigt werden.
Die Zweitwohnungssteuer ist Aufwand für die Nutzung der Unterkunft und unterfällt daher bei den Mehraufwendungen für die doppelte Haushaltsführung der Abzugsbeschränkung.
Das Entstehen der Zweitwohnungssteuer knüpft maßgeblich an das Innehaben einer weiteren Wohnung in München neben der Hauptwohnung und so an die damit regelmäßig einhergehende Nutzung dieser Wohnung an. Die Steuer findet als örtliche Aufwandsteuer i. S. von Art. 105 Abs. 2 a des Grundgesetzes (GG) ihre Rechtfertigung darin, dass das Innehaben einer weiteren Wohnung für den persönlichen Lebensbedarf (Zweitwohnung) neben der Hauptwohnung ein Zustand ist, der gewöhnlich die Verwendung von finanziellen Mitteln (Einkommen) erfordert und damit regelmäßig die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Wohnungsinhabers zum Ausdruck bringt.
Beachten Sie | Der BFH hat damit die von der Finanzverwaltung vertretene Rechtsauffassung bestätigt. Noch nicht höchstrichterlich entschieden und derzeit beim BFH anhängig ist die Frage, wie Kosten für einen separat angemieteten Stellplatz zu behandeln sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 13.12.2023, VI R 30/21, PM 18/24 vom 4.4.2024; Stellplatz: Rev. BFH, VI R 4/23
| Zum 1.1.2020 wurde mit § 35 c Einkommensteuergesetz (EStG) eine Steuerermäßigung für energetische Maßnahmen bei zu eigenen Wohnzwecken genutzten Gebäuden eingeführt. Diese komplexe Regelung weist jedoch einige Fragen auf, die das Bundesfinanzministerium (BMF) in einem Schreiben teilweise beantwortet hat. Nun ist nach einem vorinstanzlichen Urteil des Finanzgerichts (FG) München ein Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) zum Heizungstausch anhängig, in dem es darum geht, ob die Steuerermäßigung erst ab der vollständigen Begleichung der Rechnung in Betracht kommt. |
Hintergrund: Begünstigte Aufwendungen/Maßnahmen sind u. a. die Wärmedämmung von Wänden, Dachflächen und Geschossdecken sowie die Erneuerung der Fenster, Außentüren oder der Heizungsanlage.
Je begünstigtem Objekt beträgt der Höchstbetrag der Steuerermäßigung 40.000 Euro, wobei die Ermäßigung nach der Maßgabe des § 35 c Abs. 1 EStG über drei Jahre verteilt wird.
Das war geschehen
Die Steuerpflichtigen ließen 2021 eine neue Heizungsanlage in ihrem selbstgenutzten Gebäude einbauen. Zur Begleichung der Rechnung wurde eine monatliche Ratenzahlung für die Jahre 2021 bis 2024 vereinbart. Fraglich ist nun, ob ein Abschluss der energetischen Maßnahmen bereits mit der ausgeführten Erneuerung der Heizungsanlage (hier im Jahr 2021) oder erst mit der vollständigen Begleichung des Rechnungsbetrags (voraussichtlich im Jahr 2024) vorliegt.
Voraussetzungen für die Steuerermäßigung
Das BMF hat in seinem Schreiben vom 14.1.2021 in der Rn. 43 ausgeführt, dass die Steuerermäßigung erstmalig in dem Veranlagungszeitraum zu gewähren ist, in dem die energetische Maßnahme abgeschlossen wurde. Voraussetzung ist, dass mit der Durchführung der energetischen Maßnahme nach dem 31.12.2019 begonnen wurde und diese vor dem 1.1.2030 abgeschlossen ist.
Die energetische (Einzel-)Maßnahme ist dann abgeschlossen, wenn
- die Leistung tatsächlich erbracht (vollständig durchgeführt) ist,
- der Steuerpflichtige eine Rechnung (Schlussrechnung) erhalten und
- den Rechnungsbetrag auf das Konto des Leistungserbringers eingezahlt hat.
Die Erledigung unwesentlicher Restarbeiten, die für die tatsächliche Reduzierung von Emissionen nicht hinderlich sind, ist unschädlich. Auch, soweit bei einer mehrteiligen Maßnahme für einzelne Teilleistungen Teilrechnungen erstellt und diese beglichen wurden, wird die Steuerermäßigung abweichend vom Abflussprinzip erst ab dem Veranlagungszeitraum des Abschlusses der energetischen Maßnahme gewährt, so das BMF.
Beachten Sie | Da die Revision gegen die Entscheidung anhängig ist, wird nun der BFH entscheiden. Bis dahin können geeignete Fälle mit einem Einspruch offengehalten werden.
Quelle | FG München, Urteil vom 8.12.2023, 8 K 1534/23, Rev. BFH: IX R 31/23; BMF, Schreiben vom 14.1.2021, IV C 1 - S 2296-c/20/10004 :006
| Für Geburten ab dem 1.4.2024 gilt eine neue Einkommensgrenze, ab der der Anspruch auf Elterngeld entfällt. Zudem werden die Möglichkeiten für einen parallelen Bezug von Elterngeld neu gestaltet. Antworten auf wichtige Fragen gibt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). |
Quelle | BMFSFJ, „Neuregelungen beim Elterngeld für Geburten ab 1. April 2024“ vom 28.3.2024
| Der Bezug eines Nutzungsersatzes im Rahmen der reinen Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags nach Widerruf löst keine Einkommensteuer aus. Diese für Verbraucher frohe Kunde kommt vom Bundesfinanzhof (BFH). |
Das war geschehen
Ehegatten schlossen 2008 einen Darlehensvertrag zur Finanzierung einer selbstgenutzten Wohnimmobilie ab. 2016 widerriefen sie den Darlehensvertrag unter Berufung auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung. Auf der Grundlage eines zivilgerichtlichen Vergleichs zahlte die Bank an die Eheleute Nutzungsersatz für bis zum Widerruf erbrachte Zins- undTilgungsleistungen i. H. von 14.500 Euro. Das Finanzamt erfasste den Nutzungsersatz als Einkünfte aus Kapitalvermögen – allerdings zu Unrecht, wie nun der BFH entschieden hat.
Nutzungsersatz: weder Kapitalertrag noch sonstige Einkünfte
Der Nutzungsersatz ist kein Kapitalertrag i. S. des Einkommensteuergesetzes (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG). Die Rückabwicklung eines vom Darlehensnehmer widerrufenen Vertrags vollzieht sich außerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre. Das Rückgewährschuldverhältnis ist ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln. Daher können die einzelnen Ansprüche aus dem Rückgewährschuldverhältnis auch nicht für sich betrachtet – i. S. einer unfreiwilligen Kapitalüberlassung – Teil einer steuerbaren erwerbsgerichteten Tätigkeit sein.
Beachten Sie | Es liegen auch keine sonstigen Einkünfte (§ 22 Nr. 3 EStG) vor.
Verbraucherschutzrecht inzwischen reformiert
Die Entscheidung betrifft „alte“ Verbraucherdarlehensverträge. Der mit der Reform des Verbraucherschutzrechts in das BGB eingefügte § 357 a Abs. 3 S. 1 BGB a. F. (jetzt § 357 b BGB) hat u. a. den Anspruch des Darlehensnehmers auf Nutzungsersatz für die Zukunft beseitigt. Die neue Rechtslage ist auf nach dem 12.6.2014 abgeschlossene Verbraucherdarlehensverträge anwendbar.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.11.2023, VIII R 7/21, PM 16/24 vom 21.3.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über einen Fall entschieden, in dem eine Pkw-Fahrerin an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifuhr und mit einem gerade entleerten Müllcontainer kollidierte. Der BGH hat in diesem Fall einen Verstoß der Fahrerin gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO) bejaht. |
Das war geschehen
Die Klägerin, ein Pflegedienst, macht gegen einen für die Abfallwirtschaft zuständigen kommunalen Zweckverband Schadenersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, bei dem eines ihrer Pflegedienstfahrzeuge beschädigt wurde. Eine Mitarbeiterin der Klägerin fuhr mit diesem Fahrzeug aus der Gegenrichtung kommend an einem Müllabfuhrfahrzeug des beklagtenZweckverbands vorbei, das mit laufendem Motor, laufender Schüttung und eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie Warnblinkanlage in der Straße stand. Dabei kam es zu einer Kollision des klägerischen Fahrzeugs mit einem Müllcontainer, den ein bei dem Beklagten angestellter Müllwerker hinter dem Müllabfuhrfahrzeug quer über die Straße schob.
Mit der Klage hat die Klägerin Erstattung der Fahrzeugreparaturkosten verlangt.
So sahen es die Vorinstanzen
Das Landgericht (LG) hat der Klage gegen den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 zu 50 teilweise stattgegeben.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht (OLG) das Urteil des LG teilweise geändert und den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 75 (Beklagter) zu 25 (Klägerin) zu weiterem Schadenersatz verurteilt. Es ist dabei davon ausgegangen, dass der Fahrerin des Pkw kein Verstoß gegen die StVO anzulasten sei.
So sieht es der Bundesgerichtshof
Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Das Urteil des OLG wurde aufgehoben und die Sache an das OLG zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Der Klägerin steht gegen den Beklagten als Halter des Müllabfuhrfahrzeugs ein Schadenersatzanspruch gemäß StVO (hier: § 7) zu, da das Fahrzeug der Klägerin „bei dem Betrieb“ des Müllabfuhrfahrzeugs beschädigt worden ist. Die Gefahr, die von einer gerade entleerten Mülltonne auf der Straße für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, ist dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs zuzurechnen.
Bei der Entscheidung über die Haftungsverteilung hat das OLG zu Recht dem Müllwerker einen schuldhaften Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorgeworfen, weil er hinter dem Müllabfuhrfahrzeug einen Müllcontainer quer über die Straße schob, ohne auf den Verkehr und das Fahrzeug der Klägerin zu achten, welches für ihn – hätte er den Müllcontainer nicht vor sich hergeschoben – erkennbar gewesen wäre.
Allerdings ist entgegen der Ansicht des OLG auch der Mitarbeiterin der Klägerin als Fahrerin des Pkw ein Verstoß gegen die StVO vorzuwerfen.
Mit dem Verhalten des Müllwerkers konnte gerechnet werden
Das Hauptaugenmerk der mit dem Holen, Entleeren und Zurückbringen von Müllcontainern befassten Müllwerker ist auf ihre Arbeit gerichtet, die sie überwiegend auf der Straße und effizient, also in möglichst kurzer Zeit und auf möglichst kurzen Wegen, zu erledigen haben. Wer an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifährt, das erkennbar im Einsatz ist, darf daher nicht uneingeschränkt auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Müllwerker vertrauen. Er muss damit rechnen, dass Müllwerker plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortreten und unachtsam einige Schritte weiter in den Verkehrsraum tun, bevor sie sich über den Verkehr vergewissern. Auf diese mit dem Einsatz von Müllabfuhrfahrzeugen verbundenen Gefahren hat der vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer sein Fahrverhalten einzurichten. Wenn es nicht möglich ist, einen ausreichenden Seitenabstand zu einem Müllabfuhrfahrzeug einzuhalten, um die Gefahr eines plötzlich auftauchenden Müllwerkers vor oder hinter dem Fahrzeugzu vermeiden, muss die Geschwindigkeit gemäß der Straßenverkehrsordnung (StVO) reduziert werden, sodass der Fahrer sein Fahrzeug bei Bedarf sofort zum Stillstand bringen kann.
Den dargelegten Anforderungen genügte die vom Berufungsgericht festgestellte Fahrweise der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nicht. Bei einem Seitenabstand von maximal 50 cm zum Müllabfuhrfahrzeug war die Ausgangsgeschwindigkeit von 13 km/h zu hoch, als dass die Fahrerin das Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen hätte bringen können.
Quelle | BGH, Urteil vom 12.12.2023, VI ZR 77/23, PM 12/24
| Gibt ein Kunde mittels PushTAN und Verifizierung über eine Gesichtserkennung nach einer Phishing-Nachricht die temporäre Erhöhung seines Überweisungslimits und eine anschließende Überweisung telefonisch frei, handelt er grob fahrlässig. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt. |
Der Bankkunde – ein Rechtsanwalt und Steuerberater in einer internationalen Sozietät – führt bei der beklagten Bank ein Girokonto und forderte erfolglos, eine Überweisung von knapp 50.000 Euro zurückzuerstatten. Das OLG: Die Bank schuldet in einem solchen Fall nicht die Rückerstattung des überwiesenen Betrags. Denn angesichts der fortlaufenden Warnungen der Banken vor Phishing-Mails und der öffentlichen Diskussion hierüber müssten Kunden spätestens bei der telefonischen Aufforderung, Sicherheitsmerkmale preiszugeben, misstrauisch werden. Dies gelte auch, wenn der äußere Rahmen der besuchten Website vertraut erscheint.
Quelle | OLG Frankfurt, Urteil vom 6.12.2023, 3 U 3/23
| Wer an der Grenze zu seinem Nachbargrundstück eine Hecke anlegt, muss nach dem geltenden Nachbarrecht dafür sorgen, dass die Pflanzen je nach Grenzabstand eine bestimmte Höhe nicht überschreiten. Tut er das nicht, kann der Nachbar den Rückschnitt der Hecke verlangen und im Notfall auch gerichtlich durchsetzen. Der Anspruch auf den Rückschnitt kann jedoch nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein, wenn sich der Nachbar selbst regel- und damit treuwidrig verhält. Das hat das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Das war geschehen
Das LG hat mit dieser Begründung die Klage eines Nachbarn auf Rückschnitt einer Hecke an der Grundstücksgrenze abgewiesen. Denn auch einzelne Pflanzen auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn verstießen nach den Feststellungen der Kammer gegen die Regelungen des Nachbarrechts.
Im konkreten Fall hatten zwei Grundbesitzer Streit über die zulässige Höhe einer direkt an der Grundstücksgrenze gepflanzten Hecke, die durchgehend eine Höhe von 2,20 Metern aufweist. Unter Berufung auf das geltende Landesrecht verlangte der Nachbar, dass die Hecke auf einer Höhe von maximal eineinhalb Metern gehalten werde. Dem gab das AG statt und verurteilte den Eigentümer zum entsprechenden Rückschnitt in der Zeit von 1.10. und 15.3. eines jeweiligen Jahres.
Höhe der Hecke zwar einzuhalten, aber …
Die dagegen gerichtete Berufung zum LG hatte jedoch Erfolg. Die Berufungskammer hat dem Nachbarn zwar grundsätzlich zugebilligt, dass die nach dem Nachbarrecht zulässige Höhe der Hecke einzuhalten ist.
… Grundsätze von Treu und Glauben zu beachten
Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis sei aber stark von den sog. Grundsätzen von Treu und Glauben geprägt. Hieraus entspringen Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme, die zu einer Beschränkung bis hin zum Ausschluss nachbarrechtlicher Rechte führen könnten, so das LG. Deshalb müsse berücksichtigt werden, dass auch auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn direkt hinter dem Zaun eine drei bis vier Meter hohe Kugelhecke und eine etwa zweieinhalb Meter hohe Zypresse gepflanzt sei. Dadurch werde ebenfalls gegen das Nachbarrecht verstoßen. Wer sich aber selbst nicht regelgerecht verhalte, sei nach Treu und Glauben von Ansprüchen gegen seinen Nachbarn ausgeschlossen.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 24.1.2024, 2 S 85/23, PM vom 31.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Karlsruhe hat die Klage eines E-Autofahrers gegen die EnBW auf Rückzahlung von Blockiergebühren abgewiesen. |
Überschreiten der zulässigen Standzeit
Die Blockiergebühren in Höhe von insgesamt 19,80 Euro waren wegen Überschreitung der zulässigen Höchststandzeit an Ladesäulen der EnBW an drei verschiedenen Terminen im März 2022 angefallen. Die Blockiergebühr ist nach den Bedingungen des ADAC e-Charge Tarifs, der von der EnBW angeboten wird, ab einer Standzeit von mehr als 240 Minuten fällig. Ab diesem Zeitpunkt sind 12 Cent pro Minute zu zahlen, maximal jedoch 12 Euro. Auf die Blockiergebühr wird sowohl beim Abschluss des Tarifs als auch beim Start des Ladevorgangs hingewiesen. Der Kläger hatte diesen Bedingungen bei Nutzung der App zugestimmt.
Klausel wirksam
Der Kläger hatte argumentiert, die Klausel sei unwirksam. Im Übrigen verlangten andere Anbieter keine Blockiergebühr. Nach Auffassung des AG ist die Klausel jedoch wirksam, da das Interesse der EnBW berechtigt ist, die Ladesäule zeitnah weiteren Kunden zur Verfügung stellen zu können.
Die Entscheidung erging ohne mündliche Verhandlung. Sie ist rechtskräftig.
Quelle | AG Karlsruhe, Urteil vom 4.1.2024, 6 C 184/23, PM vom 24.1.2024
| Das Amtsgericht (AG) Hannover hält ein „französisches Bett“ nicht für ein Doppelbett. Das war in einem Reiserechtsfall entscheidend. |
Ist ein Bett mit einer Breite von 1,40 m ein Doppelbett? Ist es breit genug, um zwei erwachsenen Menschen einen erholsamen Urlaub zu ermöglichen? Das AG hat diese Fragen verneint. Es hat entschieden, dass Reisende jedenfalls in einem Hotel, das der Reiseveranstalter selbst mit fünf „Sonnen“ bewertet, für jeden Reisenden mit einem Schlafplatz von mehr als 70 cm Breite rechnen dürfen.
Im Fall des AG hatten drei erwachsene Personen gemeinsam ein Dreibettzimmer gebucht. Zur Verfügung gestellt wurde ihnen ein Zimmer, das über zwei Betten mit einer Breite von jeweils 1,40 m verfügte. Weil diese Ausstattung nicht der vertraglichen Vereinbarung entsprach, erhalten die beiden Reisenden, die sich ein Bett teilen mussten, nun 15 Prozent des auf sie entfallenden Reisepreises zurück.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 22.2.2024, 471 C 6110/23, PM vom 26.2.2024
| Ein gesetzlich versicherter Patient verlangte von seiner Krankenversicherung, ihm die Kosten für ein Einzelzimmer während eines stationären Krankenhausaufenthalts zu erstatten. Einen solchen Anspruch lehnte das Sozialgericht (SG) Mainz aber ab. |
Patient lag im Einzelzimmer
Ein Patient ließ sich längere Zeit stationär in einem Krankenhaus behandeln. Mit dem Krankenhaus hatte er einen Vertrag über das Unterbringen in einem Einzelzimmer geschlossen.
Krankenkasse wollte Kosten nicht übernehmen
Die dabei entstandenen Kosten wollte die Krankenkasse nicht übernehmen. Der Patient klagte. Seine Argumentation: Aus medizinischen Gründen sei ein Einzelzimmer erforderlich gewesen.
Sozialgericht wies Klage ab
Vor dem SG hatte er jedoch keinen Erfolg. Selbst wenn ein Einzelzimmer erforderlich gewesen sei, hätte das Krankenhaus dafür sorgen müssen, dass der Patient entsprechend untergebracht sei. Die Kosten einer erforderlichen Einzelzimmerbelegung seien dann in den pauschal von der Krankenkasse an das Krankenhaus zu zahlenden Entgelten enthalten. Die Kosten hierfür habe die Krankenkasse bereits gezahlt. Zusätzliche Kosten für ein Einzelzimmer könne der Patient folgerichtig nicht bei seiner Krankenkasse einfordern.
Quelle | SG Mainz, Urteil vom 23.2.2024, S 7 526/20
| Das Mietrecht (hier: § 556 Abs. 3 S. 3 BGB) schließt eine nachträgliche Abrechnung zulasten des Mieters nicht aus, durch die ein Guthaben verringert wird. Das entschied das Landgericht (LG) München. |
Grundsteuer in der Abrechnung vergessen
Der Vermieter hatte über die Betriebskosten abgerechnet und dabei die Grundsteuer vergessen. Bevor er das ursprünglich berechnete Guthaben an den Mieter auszahlte, verstrich die Abrechnungsfrist. Nun korrigierte der Vermieter die Betriebskostenabrechnung und berücksichtigte die Grundsteuer. Dabei ergab sich ein geringeres Guthaben, das er an den Mieter zahlte. Der Mieter klagte auf Rückzahlung des ursprünglich berechneten höheren Guthabens.
Amtsgericht und Landgericht vermieterfreundlich
Das Amtsgericht (AG) sprach jedoch nur das korrigierte geringere Guthaben zu. Es bestünde kein Anspruch des Mieters, weil eine nachträgliche Verringerung des Guthabens vom Gesetz nicht ausgeschlossen sei.
Die Berufung des Mieters blieb erfolglos. Das LG teilte die Rechtsauffassung des AG. § 556 Abs. 3 S. 3 BGB solle den Mieter nur davor schützen, nach Ablauf der Abrechnungsfrist Zahlungen leisten zu müssen, die die Vorauszahlungen übersteigen. Darüber hinaus gewähre das Gesetz keinen Vertrauensschutz für eine zugunsten des Mieters unrichtige Abrechnung.
Der Mieter darf also nicht darauf vertrauen, dass ein Guthaben unveränderlich bleibt. Dies gilt auch, wenn die Korrektur erst nach Ablauf der Abrechnungsfrist erfolgt. Eine weitergehende Schutzwirkung zugunsten des Mieters sieht das Gesetz schon nach dem Wortlaut der Vorschrift („Geltendmachung einer Nachzahlung“) nicht vor.
Die Entscheidung entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 31.10.07, VIII ZR 261/06).
Quelle | LG München I, Beschluss vom 30.11.2023, 31 S 10140/23
| Eine fristlose Kündigung ist auch gegenüber einem psychisch kranken oder schuldunfähigen Mieter möglich, wenn trotz Abmahnung der Hausfrieden systematisch, wiederholt und nachhaltig gestört wird mit der Folge der vorzeitigen Kündigung von anderen Mietern und der Nichtvermietbarkeit angrenzender Wohnungen. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Gesundheitszustand bedarf es dann nicht. So entschied es der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) Sachsen. |
Wiederholte Lärmstörungen
Der Vermieter kündigte nach Abmahnung das Mietverhältnis mit einem psychisch kranken Mieter wegen wiederholten Lärmstörungen fristlos, hilfsweise ordentlich. Andere Mieter hatten wegen des Lärms ihr Mietverhältnis gekündigt und eine Neuvermietung der angrenzenden Wohnung war nicht möglich.
Gegen die erfolgreiche Räumungsklage legte der Mieter Berufung ein, die er nach Hinweisbeschluss des Landgerichts (LG) Dresden zurücknahm. Das LG hatte ausgeführt, dass zwar in der Regel ein schuldhaftes Verhalten des Mieters für die Begründung des Kündigungsgrundes erforderlich sei. Dies gelte aber nicht absolut, da auch bei Schuldlosigkeit das zumutbare Maß und damit die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter überschritten sei und in der Abwägung überwiegen kann. Zwar ergebe sich aus den Wertentscheidungen des Grundgesetzes (hier: Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG) eine erhöhte Toleranzbereitschaft gegenüber nicht oder nur eingeschränkt verantwortlichen Mietern, z. B. Verschlechterung des Gesundheitszustands, Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche oder Suizidgefährdung. Aber auch wenn der Mieter aufgrund der psychischen Erkrankung nicht in der Lage sei, das Unrecht seines Handelns zu erkennen, sei hier die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter deutlich überschritten.
Mieter legte Verfassungsbeschwerde ein
Gegen das Urteil und den Beschluss legte der Mieter Verfassungsbeschwerde ein – doch ohne Erfolg. Die Beschwerde sei unzulässig, sie genüge nicht den Begründungsanforderungen, so der VerfGH. Das LG habe sich umfassend – auch – mit Grundrechten auseinandergesetzt. Eine konkrete Grundrechtsverletzung rüge der Beschwerdeführer nicht.
Quelle | VerfGH Sachsen, Urteil vom 30.8.2023, Vf. 40-IV-23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg ist der Frage nachgegangen, was der mehrdeutige Begriff „vorhandenes Barvermögen“ in einem Vermächtnis bedeutet. |
Die Parteien stritten um die Erfüllung eines Vermächtnisses und hierbei um den Begriff „Barvermögen“. In einem notariellen Testament beschwerte der Erblasser die eingesetzten Erben mit einem Vermächtnis zugunsten einer weiteren Person wie folgt: „Das bei Eintritt des Erbfalls vorhandene Barvermögen soll zu einem 1/3 Anteil an meine Tochter …, geb. am …, ausgezahlt werden“. Die Bedachte hat die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ seine gesamten liquiden Mittel, insbesondere sämtliche Guthaben bei Kreditinstituten, Wertpapiere und Bargeld im engeren Sinne verstanden. Demgegenüber haben die beschwerten Erben die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ lediglich das vorhandene Bargeld verstanden.
Barvermögen = auch unbares Geld, das sofort verfügbar ist
Das Landgericht (LG) hat sich in erster Instanz der Auffassung der Bedachten angeschlossen und die Erben verurteilt, zu zahlen. Aufgrund der gegen dieses Urteil durch die Erben eingelegten Berufung hat das OLG Oldenburg den Begriff wie folgt verstanden: Danach umfasst der Begriff des Barvermögens heutzutage das gesamte Geld, das sofort verfügbar ist, also auch über eine Kartenzahlung. Wertpapiere fallen nicht unter den Begriff des Barvermögens. Vielmehr werden Wertpapiere durch den erweiterten Begriff des Kapitalvermögens mit abgedeckt, der das Barvermögen einschließlich weiterer Kapitalwerte in Geld beschreibt.
Wertpapiere gehörten hier nicht zum Barvermögen
Nach Beweisaufnahme hat das OLG festgestellt, dass die Bedachte nicht habe nachweisen können, dass der Erblasser mit dem Begriff „Barvermögen“ das gesamte Kapitalvermögen, also auch das nicht sofort verfügbare Kapital in der Form von Genossenschaftsanteilen und Wertpapieren gemeint habe. Im Ergebnis habe der vernommene Zeuge – der beurkundende Notar – keine konkreten Aussagen zum Willen des Erblassers in Bezug auf Wertpapiere und dessen Begriffsverständnis vom Begriff „Barvermögen“ machen können.
Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 20.12.2023, 3 U 8/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) München hat entschieden: Ein Tragwerksplaner ist nur verpflichtet, den Prüfbericht des Prüfingenieurs und die diesem beigefügten Bewehrungspläne zu prüfen, wenn eine entsprechende vertragliche Vereinbarung getroffen wurde. |
Wichtige Entscheidung
Diese Aussage ist für das Tagesgeschäft der Tragwerksplanung wichtig, da es in den meisten Fällen für den Tragwerksplaner von Eigeninteresse sein dürfte, Prüfbericht und Prüfeintragungen durchzusehen. Denn der Prüfingenieur könnte ja auch eigene Mängel verhindern helfen. Schwierig wird es, wenn der Prüfingenieur eine andere Auffassung vertritt, aber dennoch kein Planungsfehler vorliegt. Dann muss man abwägen.
Das gehört nicht zuden Aufgaben eines Tragwerksplaners
Das OLG hat auch noch weitere Feststellungen getroffen: Es gehört danach nicht zu den Aufgaben eines Tragwerksplaners, geänderte Ausführungspläne des Architekten an das bauausführende Unternehmen weiterzuleiten. Dies ist ein ständiges Streitthema. Um hier Auseinandersetzungen zu vermeiden, ist es wichtig, zu Planungsbeginn eine Regelung zu treffen, wer welche Pläne an wen weiterleitet. In den meisten Fällen macht es Sinn, dass der Objektplaner hier koordinierend Regelungsvorschläge macht und dafür Sorge trägt, dass seine Pläne an die ausführenden Unternehmen weitergeleitet werden.
Schutzwürdiges Eigeninteresse erforderlich
Außerdem, so das OLG, setze ein Anspruch des Auftraggebers auf Lieferung von Plänen nach Abschluss der Bauarbeiten ein schutzwürdiges Eigeninteresse voraus. Daran fehle es, wenn der Auftraggeber das Bauwerk jahrelang ohne die verlangten Pläne nutzen und verwalten konnte. Hierdurch wird klargestellt, dass Planungsbüros im Regelfall nicht jahrelang als Planarchiv für ehemalige Auftraggeber fungieren müssen.
Quelle | OLG München, Urteil vom 16.5.2023, 9 U 1801/21 Bau
| Die ungenehmigte Nutzung eines Einfamilienwohnhauses als Monteursunterkunft darf nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Neustadt an der Weinstraße untersagt werden. |
Das war geschehen
Die Stadt Ludwigshafen hatte durch ihre Bauaufsichtsbehörde eine Ortsbesichtigung durchgeführt, die ein zur Wohnnutzung genehmigtes Einfamilienhaus betraf. Hierbei stellte sie fest, dass sich in dem Wohnraum im Erdgeschoss zwei Einzelbetten und in einem Wohnraum im Dachgeschoss vier weitere Betten befanden. Insgesamt wohnten dort sechs männliche Personen. Die Stadt untersagte daraufhin gegenüber dem Eigentümer die Nutzung des Hauses für die Zwecke einer „Monteursunterkunft“ bzw. für eine „Beherbergung“ und ordnete hierfür die sofortige Vollziehung an. Dieser legte Widerspruch ein und stellte wegen des Sofortvollzugs zudem einen Eilantrag beim VG. Der Antrag blieb hinsichtlich der Nutzungsuntersagung ohne Erfolg.
So argumentierte das Verwaltungsgericht
Nach der Landesbauordnung Rheinland-Pfalz (hier: § 81 LBauO) könne die Bauaufsichtsbehörde die Benutzung solcher Anlagen untersagen, die gegen baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften über die Errichtung, die Änderung, die Instandhaltung oder die Nutzungsänderung dieser Anlagen verstießen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden könnten.
Dies sei hier der Fall. Die von der Stadt ausgesprochene Nutzungsuntersagungsverfügung sei nicht zu beanstanden, da die tatsächliche Nutzung des Einfamilienhauses als Monteursunterkunft oder sonst als Beherbergungsbetrieb weder genehmigt noch genehmigungsfrei sei. Vorliegend sei nämlich von einer tatsächlich nicht Wohnzwecken dienenden Nutzung des Einfamilienwohnhauses auszugehen.
Definition der „Wohnnutzung“
Eine Wohnnutzung zeichne sich durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts aus. Dies setze bestimmte Ausstattungsmerkmale des Gebäudes voraus. Erforderlich seien insbesondere eine Küche bzw. Kochgelegenheit sowie Toiletten und Waschgelegenheiten, die auch in Gestalt von Gemeinschaftseinrichtungen zur Verfügung stehen könnten.
Der Begriff des Wohnens verlange zudem, dass Aufenthalts- und private Rückzugsräume vorhanden seien, die eine Eigengestaltung des häuslichen Wirkungskreises erst ermöglichten. Auch Wohnheime – etwa Studentenwohnheime – könnten daher als Wohngebäude einzustufen sein, wenn sie nach ihrer Zweckbestimmung und Ausstattung Wohnbedürfnisse erfüllen könnten und sollten. Die Grenzen des Wohnens seien allerdings überschritten, wenn das Gebäude – wie im Fall einer Unterkunft für Monteure – aufgrund seiner spartanischen Ausstattung lediglich als Schlafstätte diene und auch einfache Wohnbedürfnisse nicht befriedige. Dabei spiele zudem die Wohndichte eine Rolle. Der Umstand, dass sich zwei Bewohner einen Schlafraum teilten, spreche zwar nicht zwingend gegen eine Wohnnutzung im Rechtssinne; die dadurch bewirkte Einschränkung der Privatsphäre schließe aber unter Berücksichtigung der hierzulande üblichen Wohnstandards die Annahme einer Wohnnutzung jedenfalls dann regelmäßig aus, wenn zwischen den Bewohnern keine persönliche Bindung bestehe bzw. sich diese Bindung in dem gemeinsamen Interesse an einer möglichst kostengünstigen Unterbringung erschöpfe.
Mindestanforderungen der Wohnnutzung waren zwar erfüllt...
Zwar verfüge das Wohnhaus hier mit zwei Toiletten und einer Küche über die für eine Wohnnutzung erforderlichen Mindestanforderungen. Alle Räume seien aber sehr spartanisch lediglich mit Betten und Schreibtischen eingerichtet.
... Bewohner lebten aber „aus dem Koffer“
Die Bewohner lebten augenscheinlich „aus dem Koffer“, Kleiderschränke oder auch sonstiger Stauraum seien nicht vorhanden. Zudem spreche das Vorbringen des Antragstellers im Eilverfahren, wonach die Bewohner allesamt unter der Woche als Monteure an weit entfernten Orten beschäftigt seien und lediglich am Wochenende oder im Urlaub in dem Haus verweilten, erheblich dafür, dass der Zweck des Zusammenlebens nicht über das Interesse an einer günstigen Unterkunft hinausgehe und tatsächlich kein Interesse an einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit bestehe, sondern das Haus lediglich als Schlafplatz zwischen den Arbeitsaufträgen diene. Insbesondere wegen der Unterbringung in Mehrbettzimmern und des vollständigen Fehlens von Aufenthaltsräumen sei nicht ersichtlich, dass die Unterkunft über den Nutzen als Schlafstätte hinaus Wohnbedürfnisse befriedige.
Quelle | VG Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 4.1.2024, 4 L 1213/23.NW, PM 2/24
| Eine Vorschlagsliste für die Betriebsratswahl, die in ihrem Kennwort ein „Smiley-Symbol“ enthält, ist ungültig. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln in einem Wahlanfechtungsverfahren entschieden. |
Betriebsratswahl angefochten
Fünf Arbeitnehmer eines weltweit tätigen Logistikunternehmens mit einem Betrieb am Flughafen Köln/Bonn und einer weiteren Betriebsstätte im benachbarten Troisdorf hatten die Wahl des 25-köpfigen Betriebsrats angefochten und dies u. a. damit begründet, dass der Wahlvorstand ihren Wahlvorschlag zu Unrecht wegen des verwendeten Listenkennworts zurückgewiesen und stattdessen mit den Familien- und Vornamen der beiden in der Liste an erster Stelle benannten Wahlbewerbern versehen habe.
Die Arbeitnehmer hatten beim Wahlvorstand zunächst einen Wahlvorschlag mit dem Kennwort ,,fair.die“ eingereicht. Nachdem der Wahlvorstand den Vorschlag wegen einer phonetischen Verwechslungsgefahr mit der Gewerkschaft ver.di zurückgewiesen hatte, teilten die Arbeitnehmer mit, dass ihr Wahlvorschlag das Kennwort „FAIR“ (mit dem zusätzlichen „Smiley-Symbol“) die Liste“ tragen solle.
Dieses Kennwort sowie drei weitere Alternativvorschläge, die ebenfalls einen „Smiley“ enthielten, lehnte der Wahlvorstand wiederum ab.
Landesarbeitsgericht: Bildzeichen unzulässig
Wie das LAG entschieden hat, ist ein Bildzeichen als Bestandteil eines Kennworts unzulässig, wenn es wie das „Smiley“ lediglich einen Stimmungs- oder Gefühlszustand ausdrückt, keine eindeutige Wortersatzfunktion hat und demgemäß üblicherweise nicht mit ausgesprochen wird. Zudem hätte auch bei dem oben genannten Kennwort eine Verwechslungsgefahr bestanden, da es lautsprachlich wie „ver.di-Liste“ klingt.
Zudem hat das LAG die Betriebsratswahl für unwirksam erklärt, weil der Wahlvorstand für die Betriebsstätte Troisdorf trotz ihrer räumlichen Nähe zum Hauptbetrieb unzulässigerweise die generelle Briefwahl angeordnet hatte.
Quelle | LAG Köln, Beschluss vom 1.12.2023, 9 TaBV 3/23, PM 13/23
| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat den koordinierten Beschäftigtentausch als Sparmodell für Sozialversicherungsbeiträge für unzulässig erklärt. |
Darum ging es
Ausgangspunkt war die Klage eines niedersächsischen Obstbauern, der einen Betrieb für Apfelanbau führt und an einem weiteren Betrieb für Erdbeeranbau beteiligt ist. Seine Erntehelfer beschäftigt er formal ganzjährig im Apfelanbau. Sie erhalten dort einen festen Monatslohn auf Basis eines Jahresarbeitsstundensolls. In der Zeit von Mai bis Juli wurden die Helfer jedoch im Erdbeerbetrieb eingesetzt. Auf den Lohn dieser Arbeit zahlte der Bauer keine Sozialversicherungsbeiträge, da er die Arbeit als zeitgeringfügige Aushilfstätigkeit betrachtete. Während der Apfelernte im Herbst verfuhr er bei jeweils wechselnder Arbeitsfreistellung mit den Beschäftigten des Erdbeerbetriebs in ähnlicher Weise.
Kurzzeitige Saisonaushilfen oder berufsmäßige Beschäftigte?
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) kam nach einer Betriebsprüfung zu dem Ergebnis, dass die Mitarbeiter nicht nur kurzzeitige Saisonaushilfen seien, sondern berufsmäßig Beschäftigte, für die rd. 58.000 Euro Sozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten seien.
Bauer reklamierte für sich „angepasste Gestaltung“
Hiergegen klagte der Bauer und meinte, dass in rechtlich selbstständigen Betrieben eine Arbeitnehmertätigkeit im Hauptberuf und eine kurzzeitige Beschäftigung bei einem weiteren Arbeitnehmer möglich und erlaubt sei. Steigende Preise und politische Unsicherheiten würden eine angepasste Gestaltung notwendig machen.
Landessozialgericht spricht Klartext
Das LSG hat die Rechtsauffassung der DRV bestätigt. Zur Begründung hat es auf die Berufsmäßigkeit der Helfer abgestellt, die eine Beitragspflicht für die gesamte Tätigkeit auslöse. Das praktizierte Modell verfolge zielgerichtet das Bestreben, über wechselseitige betriebliche Absprachen und mittels langfristig geplanter und aufeinander abgestimmter organisatorischer und vertraglicher Maßnahmen rund ein Drittel des Jahreseinkommens der Arbeitskräfte der Beitragspflicht zur gesetzlichen Sozialversicherung zu entziehen. Die Gefahr der Altersarmut aufseiten der Erntehelfer sei von den Arbeitgebern sehenden Auges hingenommen worden. Die sozialrechtlichen Vorgaben ließen keinen Raum für eine entsprechende Beitragsverkürzung.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.12.2023, L 2 BA 59/23, PM vom 5.2.2024
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung eines Schwerbehinderten in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses diskriminierend im Sinne des Sozialgesetzbuchs IX (hier: § 164 Abs. 2 SGB IX) ist. Sie kann damit unwirksam sein, wenn der Arbeitgeber das Präventionsverfahren nach dem Sozialgesetzbuch (§ 167 Abs. 1 SGB IX) nicht durchgeführt hat. |
Der mit einem Grad der Behinderung von 80 schwerbehinderte Kläger ist seit dem 1.1.2023 bei der beklagten Kommune als „Beschäftigter im Bauhof“ beschäftigt. Der Kläger wurde zwischen dem 2.1. und 14.4.2023 in verschiedenen Kolonnen des Bauhofs eingesetzt und war ab Ende Mai arbeitsunfähig. Am 22.6.2023 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 31.7.2023.
Das ArbG hat entschieden: Die Kündigung verstößt gegen das Diskriminierungsverbot des § 164 Abs. 2 SGB IX und ist damit unwirksam. Der Arbeitgeber sei – entgegen bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) – auch während der Wartezeit gemäß Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 Abs. 1 KSchG) verpflichtet, das o. g. Präventionsverfahren durchzuführen.
§ 167 Abs. 1 SGB IX regelt, dass möglichst frühzeitig als Präventionsmaßnahme die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt einzuschalten sind, wenn Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis eintreten, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können. Dies habe die Arbeitgeberin hier nicht getan. Sie hätte, als sie bemerkte, dass der schwerbehinderte Kläger sich während der Wartezeit – wie sie vorträgt – nicht bewährte bzw. sich nicht ins Team einfügte und ihren Erwartungen nicht entsprach, Präventionsmaßnahmen ergreifen und gegebenenfalls die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt präventiv einschalten müssen.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 20.12.2023, 18 Ca 3954/23, PM 2/24
| Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch verpflichtet. Das Sozialrecht (hier: § 165 S. 3 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX)) sieht die grundsätzliche Einladungspflicht nur für öffentliche Arbeitgeber vor. Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist kein öffentlicher Arbeitgeber. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Schwerbehinderten nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen
Der schwerbehinderte Kläger hatte sich um eine Stelle in der Verwaltung eines Kirchenkreises der Evangelischen Kirche im Rheinland beworben. Trotz Offenlegung seiner Schwerbehinderung wurde er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Seine Bewerbung blieb erfolglos.
Lag Diskriminierung vor?
Nach Ansicht des Klägers wurde er im Auswahlverfahren wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Dies indiziere die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Hierzu sei der Kirchenkreis nach der o. g. Vorschrift verpflichtet gewesen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts gelte er als öffentlicher Arbeitgeber. Mit seiner Klage hat der Kläger deshalb die Zahlung einer Entschädigung verlangt. Der beklagte Kirchenkreis hat dies abgelehnt. Er sei kein öffentlicher Arbeitgeber. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Bundesarbeitsgericht spricht Klartext
Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung dargelegt.
Eine solche kann nicht aufgrund der unterbliebenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch vermutet werden. Hierzu war der beklagte Kirchenkreis nicht verpflichtet. Die Einladungspflicht besteht zwar u. a. für Körperschaften des öffentlichen Rechts. Dies betrifft aber nach dem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Begriffsverständnis nur Körperschaften, die staatliche Aufgaben wahrnehmen. Kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts dienen demgegenüber primär der Erfüllung kirchlicher Aufgaben. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts soll dabei die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgesellschaft unterstützen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Einladungspflicht auf kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts erstrecken wollte. Insoweit stehen sie den ebenfalls staatsfernen privaten Arbeitgebern gleich.
Quelle | BAG, Urteil vom 25.1.2024, 8 AZ R 318/22, PM 2/24
Mietrecht
| Erhält ein Arbeitnehmer aufgrund seines Dienstverhältnisses Waren oder Dienstleistungen, die vom Arbeitgeber nicht überwiegend für den Bedarf seiner Arbeitnehmer hergestellt, vertrieben oder erbracht werden, sind diese Vorteile steuerfrei, soweit sie den Rabattfreibetrag von 1.080 Euro im Kalenderjahr nicht übersteigen (§ 8 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG)). Das Landesozialgericht (LSG) Bayern musste nun in einem Konzernfall über die Beitragspflicht von Warengutscheinen entscheiden. Dabei hat es herausgestellt, dass hinsichtlich des Arbeitgeberbegriffs keine unterschiedliche Beurteilung nach Steuer- und nach Beitragsrecht veranlasst ist. |
Arbeitgeber kann nur derjenige sein, der die Arbeitsverträge mit den Beschäftigten abgeschlossen hat. Dies entspricht auch dem Grundsatz, den der Bundesfinanzhof (BFH) für das Steuerrecht aufgestellt hat.
Begriff des „Arbeitgebers“: keine Konzernklausel
Der BFH hat es abgelehnt, den Begriff des Arbeitgebers über den Wortlaut hinaus extensiv auszulegen. Im Vorfeld der gesetzlichen Neuregelung wurde eine Konzernklausel ausdrücklich diskutiert.
Da sie aber nicht aufgenommen worden ist, kann daraus geschlossen werden, dass sich die bereits in der Begründung des Gesetzentwurfs vertretene Meinung durchgesetzt hat, nach der § 8 Abs. 3 EStG nicht für Waren und Dienstleistungen gelten soll, die nicht im Unternehmen des Arbeitgebers hergestellt, vertrieben oder erbracht werden. Es sollen weder Arbeitnehmer von Konzerngesellschaften noch ein überbetrieblicher Belegschaftshandel steuerlich begünstigt werden.
Warengutscheine = Sachbezüge
Nach Ansicht des LSG hat das Unternehmen im Streitfall auch keinen so gewichtigen Beitrag geleistet, als dass es unter Anwendung des „erweiterten Hersteller- bzw. Vertreiberbegriffs“ als Hersteller bzw. Vertreiber der Waren i. S. des § 8 Abs. 3 EStG angesehen werden kann. Deshalb handelt es sich bei den Warengutscheinen um Sachbezüge, für die Beiträge erhoben werden müssen.
Quelle | LSG Bayern, Urteil vom 6.6.2023, L 7 BA 80/22, Abruf-Nr. 240136; unter www.iww.de; BFH, Urteil vom 26.4.2018, VI R39/16
| Mit einem kuriosen Nachbarstreit zwischen einem Restaurantbetreiber und dem Anbieter von Parkraum hat sich das Landgericht (LG) Frankenthal befasst. Dem Restaurantbesitzer drohen nun 250.000 Euro Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft. |
Das war geschehen
Der Parkplatzbetreiber hatte die Parkgebühren angehoben und den bislang gewährten Rabatt für die Besucher des Restaurants abgeschafft. Daraufhin positionierte der Restaurantbesitzer gezielt eigene Mitarbeiter an der Parkschranke, um die Autofahrer von der Einfahrt in den Parkplatz abzuhalten und auf andere, kostenfreie Plätze in der Nähe zu verweisen. Dieses Verhalten stellt eine unzulässige Verletzungshandlung dar, die darauf angelegt ist, den Betrieb des Parkraumbewirtschafters zu schädigen, entschied das LG. Es untersagte in einem Eilverfahren entsprechende Aktionen.
Boykottaufruf unverhältnismäßig
Das Argument, über den Rabatt für Restaurantkunden gebe es eine Vereinbarung und die hohen Parkkosten hätten bereits Kunden abgeschreckt und vom Besuch abgehalten, überzeugte das LG nicht. Das Vorgehen des Restaurantbetreibers sei unverhältnismäßig.
Im Bereich der Einfahrt gezielt Parkplatzsuchende anzusprechen, um diese zum anderweitigen Parken zu bewegen, sei eine gegen das Geschäftsmodell des Parkraumanbieters gerichtete verbotene Eigenmacht. Es seien nicht nur Restaurantbesucher, sondern sämtliche Parkplatzsuchende angesprochen und zum Boykott des Parkplatzes aufgerufen worden. Der Restaurantbesitzer müsse seine Kunden auf andere Weise darüber informieren, dass die Parkgebühren nicht mehr übernommen werden und den Streit um den Parkrabatt, wenn nötig, gerichtlich austragen.
„Saftiges“ Ordnungsgeld droht
Für den Fall, dass der Restaurantbetreiber dem Urteil zuwiderhandelt, hat das LG ihm ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro sowie Ordnungshaft angedroht.
Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 18.1.2024, 5 O46/23, PM vom 30.4.2024
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Feststellung des Bundeskartellamts bestätigt, dass Amazon eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb hat. |
Der Hintergrund
Amazon ist weltweit u. a. im Bereich des E-Commerce, als stationärer Einzelhändler und als Anbieter von cloudbasierten IT-Dienstleistungen (Amazon Web Services, AWS) tätig. Der Konzern war zum 27.12.2021 mit einer Marktkapitalisierung von 1,721 Billionen USD das fünftwertvollste Unternehmen der Welt, wobei der Börsenwert innerhalb der vorangegangenen sieben Jahre um etwa 443 % gestiegen war. Das Unternehmen erzielte im Geschäftsjahr 2021 weltweit Umsätze von rund 469,8 Mrd. USD. Auf Deutschland entfielen davon rund 37,3 Mrd. USD. Damit stellte Deutschland auf den Umsatz bezogen nach den USA den zweitwichtigsten (Absatz-)Markt für Amazon dar. Die jährlichen Gewinne stiegen von (weltweit) 3 Mrd. USD im Geschäftsjahr 2017 auf 33,4 Mrd. USD in 2021, mithin um 1013 %. Amazon gehört mit 1,6 Mio. Mitarbeitern zum 31. Dezember 2021 zu den größten Arbeitgebern weltweit.
Das war geschehen
Das Bundeskartellamt hatte festgestellt, dass Amazon.com, Inc. einschließlich der mit ihr verbundenen Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Die Feststellung ist auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft befristet. Gegen diesen Beschluss haben Amazon.com, Inc. und eine deutsche Konzerngesellschaft Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, den Beschluss aufzuheben. Während des Beschwerdeverfahrens wurde Amazon von der Europäischen Kommission als sog. Torwächter benannt.
Das sagt der Bundesgerichtshof
Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Das Bundeskartellamt hat nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (hier: § 19 a Abs. 1 GWB) zu Recht festgestellt, dass Amazon in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten tätig ist und dem Konzern eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt.
Amazon unterhält weltweit 21 länderspezifische Domains mit Handelsplattformen (Amazon Stores) und vertreibt darüber als Hersteller und Einzelhändler physische und digitale Waren an Endkunden (etwa Amazon Retail, Home Entertainment, Twitch, Prime Video, Kindle Content, Amazon Music, Amazon Games, Amazon Echo und Amazon Alexa, Amazon Fire, Fire TV, SmartHome-Geräte). Gleichzeitig betreibt Amazon die Handelsplattformen als Online-Marktplätze und ermöglicht es dritten Online-Händlern gegen Provisionszahlung, ihre Waren Endkunden anzubieten. Amazon hat eine eigene Logistikinfrastruktur und vermittelt – auch in Deutschland – Versandaufträge zwischen dritten Online-Händlern und Versanddienstleistern. Amazon Advertising bringt Werbekunden und Anbieter von Werbeflächen zusammen.
Das heißt „marktübergreifende Bedeutung“
Die Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb setzt keine konkrete Wettbewerbsgefahr oder Wettbewerbsbeeinträchtigung voraus. Vielmehr reicht dafür das Vorliegen der strategischen und wettbewerblichen Möglichkeiten aus, deren abstraktes Gefährdungspotenzial durch die Vorschrift adressiert wird. § 19 a Abs. 1 GWB soll dem Bundeskartellamt eine effektivere Kontrolle derjenigen großen Digitalunternehmen ermöglichen, deren Ressourcen und strategische Positionierung ihnen erlauben, erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen, den Wettbewerbsprozess zum eigenen Vorteil zu verfälschen sowie ihre bestehende Marktmacht auf immer neue Märkte und Sektoren zu übertragen.
Bundeskartellamt: zutreffende Feststellungen
Das Bundeskartellamt hat zutreffend festgestellt, dass Amazon über solche strategischen und wettbewerblichen Potenziale verfügt. Der Konzern ist auf einer Vielzahl von verschiedenen, vertikal integrierten und in vielfältiger und konglomerater Weise miteinander verbundenen Märkten tätig und hat eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt für Online-Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler. Er verfügt über eine überragende Finanzkraft und einen überragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten, wie etwa Kunden- und Nutzerdaten, Daten aus dem Betrieb der Handelsplattformen und Werbeplattformen und damit verbundenen Diensten sowie aus dem Betrieb von Amazon Web Services, Inc. (AWS). Amazon hat als Betreiber von zahlreichen nationalen Online-Marktplätzen weltweit und in Deutschland eine Schlüsselposition für den Zugang von Einzelhändlern zu ihren Absatzmärkten und kann erheblichen Einfluss auf die Vertriebstätigkeit von Dritthändlern ausüben.
Die jetzige Geltung der Regelungen des Digital Markets Acts (DMA) und die während des Beschwerdeverfahrens gegenüber der Europäischen Kommission im Rahmen eines Missbrauchsverfahrens abgegebenen Zusagen von Amazon stehen der Feststellung nicht entgegen.
Quelle | BGH, Beschluss vom 23.4.2024, KVB 56/22, PM 97/24
| Durch die Unwetter mit Hochwasser in der Zeit von Ende Mai bis Anfang Juni 2024 sind in weiten Teilen Baden-Württembergs beträchtliche Schäden entstanden. Die Beseitigung dieser Schäden wird bei vielen Steuerpflichtigen zu erheblichen finanziellen Belastungen führen. Daher möchte das Finanzministerium (FinMin) Baden-Württemberg den Geschädigten durch steuerliche Maßnahmen entgegenkommen. |
Möglich sind u. a.:
- Anpassung steuerlicher Vorauszahlungen,
- Stundung fälliger Einkommen-, Körperschaft- oder Umsatzsteuerbeträge und
- Aufschub von Vollstreckungen.
Beachten Sie | Auch in anderen Bundesländern sind im Mai und Juni 2024 durch die Unwetter mit Hochwasser Schäden entstanden. Daher wurden auch für Bayern, Rheinland-Pfalz und das Saarland Katastrophenerlasse mit steuerlichen Erleichterungen veröffentlicht. Dabei ist zu beachten, dass einige Erlasse bereits aktualisiert wurden.
Quelle | FinMin Baden-Württemberg, Erlass vom 20.6.2024; Ministerium der Finanzen und für Wissenschaft Saarland, Erlass vom 21.5.2024; Landesamt für Steuern Rheinland-Pfalz, Erlass vom 25.6.2024; Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, Erlass vom 24.6.2024
| Ein steuerlicher Verlustvortrag bleibt bei der Bestimmung des auf eine Witwenrente anzurechnenden Arbeitseinkommens unberücksichtigt. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. |
Bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten ist ein steuerlicher Verlustvortrag nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 10 d Abs. 2 EStG) nicht einzubeziehen. Das BSG hält damit an seiner bisherigen Auffassung auch unter Geltung des zum 1.1.2002 eingeführten § 18 a Abs. 2 a Sozialgesetzbuch IV fest.
Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass für die Einkommensanrechnung grundsätzlich alle Arten von Arbeitseinkommen berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung eines steuerlichen Verlustvortrags entspricht dem Sinn und Zweck der Hinterbliebenenversorgung. Diese dient als Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten nicht mehr geleistet wird. Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen wird in einem bestimmten Umfang angerechnet, weil der Hinterbliebene sich dadurch ganz oder zumindest teilweise selbst unterhalten kann. Abzustellen ist dabei auf das verfügbare Einkommen.
Beachten Sie | Dass ein Hinterbliebener berechtigt ist, seine Einkommensteuerpflicht im Veranlagungszeitraum zu mindern, indem er negative Einkünfte aus im Einzelfall weit zurückliegenden früheren Veranlagungszeiträumen in Abzug bringt, sagt nichts über seine aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aus.
Quelle | BSG, Urteil vom 22.2.2024, B 5 R 3/23 R; BSG, PM Nr. 7/24 vom 22.2.2024
| Der Bundesrat hat dem Postrechtsmodernisierungsgesetz (PostModG) Anfang Juli 2024 zugestimmt. Dadurch werden insbesondere die Laufzeitvorgaben für die Zustellung von Briefen verlängert. Folgerichtig erfolgte auch eine Anpassung der Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten (z. B. Steuerbescheiden). |
Einspruchsfrist von einem Monat
Zum Hintergrund: Das Problem, „Recht zu haben, aber es nicht zu bekommen“, ergibt sich immer dann, wenn ein Steuerbescheid zu einer zu hohen Steuerfestsetzung führt, es jedoch versäumt wurde, innerhalb der Rechtsbehelfsfrist von einem Monat Einspruch einzulegen. Für den fristgerechten Eingang beim Finanzamt kommt es darauf an, wann der Bescheid bekannt gegeben wurde und wann die Einspruchsfrist endet.
Gesetzliche Neuregelung: Vier- statt Dreitagesfiktion
Um die Vermutungsregelungen für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten nach der Abgabenordnung an die verlängerten Laufzeitvorgaben anzupassen, wird aus der bisherigen Dreitages- eine Viertagesfiktion. Damit gelten Steuerbescheide und andere Verwaltungsakte künftig als am vierten Tag nach deren Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, statt wie bisher nach drei Tagen.
Was unverändert bleibt: Fällt der vierte Tag auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, erfolgt die Bekanntgabe am nächstfolgenden Werktag. Die noch im Regierungsentwurf vorgesehene Bekanntgabe von Steuerbescheiden an Samstagen wurde nicht umgesetzt.
Die Neuregelung gilt für Verwaltungsakte, die nach dem 31.12.2024 übermittelt werden.
Neuregelung ab dem Jahr 2025
Beispiel: Das Finanzamt versendet an den Steuerpflichtigen einen Steuerbescheid. Er gibt den Brief am Dienstag, den 14.1.2025, zur Post. Bekanntgabezeitpunkt ist der 20.1.2025 (Montag), da der 18.1.2025 („vier Tage“) ein Samstag ist.
Ein Einspruch gegen den Steuerbescheid ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Die Einspruchsfrist endet somit am 20.2.2025 um 24:00 Uhr.
Beachten Sie | Auch ein elektronisch übermittelter Verwaltungsakt gilt am dritten (ab 2025: vierten) Tag nach der Absendung als bekannt gegeben.
Steuerbescheid später zugegangen oder nicht erhalten
Die Bekanntgabefiktion gilt allerdings nicht, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich später oder gar nicht zugegangen ist.
Hier ist wie folgt zu unterscheiden:
- Bestreitet der Steuerpflichtige den Zugang, ist das Finanzamt regelmäßig nicht in der Lage, den Zugang nachzuweisen. Daher ist eine erneute (ordnungsgemäße) Bekanntgabe erforderlich.
- Behauptet der Steuerpflichtige einen späteren Zugang, muss er dies substanziiert darlegen bzw. nachweisen. Dabei stellt eine Abwesenheit wegen Urlaubs regelmäßig keine spätere Bekanntgabe dar.
Quelle | PostModG, BR-Drs. 298/24 (B) vom 5.7.2024; DStV, Mitteilung vom 13.6.2024
| Bei der Erbschaftsteuer zählt ein Parkhaus zum nichtbegünstigten Verwaltungsvermögen. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) aktuell entschieden. |
Das war geschehen
Der Steuerpflichtige war testamentarisch eingesetzter Alleinerbe seines im Jahr 2018 verstorbenen Vaters (= Erblasser). Zum Erbe gehörte ein mit einem Parkhaus bebautes Grundstück. Der Erblasser hatte das Parkhaus als Einzelunternehmen ursprünglich selbst betrieben und ab dem Jahr 2000 dann unbefristet an seinen Sohn verpachtet.
Finanzamt: Parkhaus ist Verwaltungsvermögen
Das Finanzamt stellte den Wert des Betriebsvermögens fest und behandelte das Parkhaus dabei als sogenanntes Verwaltungsvermögen, das bei der Erbschaftsteuer nicht begünstigt ist. Das Finanzgericht (FG) und der BFH schlossen sich dieser Auffassung an.
Grundsätzlich wird Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer privilegiert. Das gilt allerdings nicht für bestimmte Gegenstände des Verwaltungsvermögens. Darunter fallen dem Grunde nach auch Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke. Diese können im Rahmen der Erbschaftsteuer zwar auch begünstigt sein, etwa wenn (wie im Streitfall) der Erblasser seinen ursprünglich selbst betriebenen Gewerbebetrieb unbefristet verpachtet und den Pächter testamentarisch als Erben einsetzt.
Keine erbschaftsteuerliche Privilegierung
Eine Ausnahme besteht dabei jedoch für solche Betriebe, die schon vor der Verpachtung nicht die Voraussetzungen der erbschaftsteuerrechtlichen Privilegierung erfüllt haben. Dies ist bei einem Parkhaus der Fall. Denn die dort verfügbaren Parkplätze als Teile des Parkhausgrundstücks wurden schon durch den Erblasser als damaligem Betreiber an die Autofahrer – und somit an Dritte – zur Nutzung überlassen.
Beachten Sie | Zudem handelt es sich dabei auch nicht um die Überlassung von Wohnungen, die der Gesetzgeber wiederum aus Gründen des Gemeinwohls für die Erbschaftsteuer privilegiert hat.
Keine Rolle spielt auch, ob zu der Überlassung der Parkplätze weitere gewerbliche Leistungen (z. B. eine Ein- und Ausfahrtkontrolle und eine Entgeltzahlungsdienstleistung) hinzukommen. Darauf stellt das Erbschaftsteuergesetz nämlich nicht ab.
Der BFH sah auch keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Verhältnis zu anderen Grundstücksüberlassungen, wie z. B. im Rahmen des Absatzes eigener Erzeugnisse durch einen Brauereibetrieb oder im Zusammenhang mit einer land- und forstwirtschaftlichen Betriebstätigkeit. Dass der Gesetzgeber solche Betriebe (wie auch die erwähnten Wohnungsunternehmen) als förderungswürdig ansah, ist von seinem weiten Entscheidungsspielraum gedeckt.
Quelle | BFH, Urteil vom 28.2.2024, II R 27/21
| Oft werden private Ausfahrten zugeparkt oder der private Parkplatz von anderen unberechtigt genutzt. Das störende Fahrzeug muss dann abgeschleppt werden und der Berechtigte muss zusehen, wie er etwaig verauslagte Kosten, z. B. Verwahrkosten, erstattet erhält. Hierzu hat jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) Wissenswertes entschieden. |
Parken trotz Parkverbots
Der auf den Kläger zugelassene Pkw wurde von dessen Schwester im Innenhof eines privaten Gebäudekomplexes abgestellt, der von einer Immobilienverwalterin verwaltet wird. An der Hofeinfahrt war ein Parkverbotsschild mit dem Zusatz „gilt im gesamten Innenhof“ angebracht. Die Verwalterin beauftragte die Beklagte, das Fahrzeug abzuschleppen, es anschließend zu verwahren und vor Wertminderung sowie unbefugtem Zugriff Dritter zu sichern. Die Beklagte verbrachte das Fahrzeug noch am selben Tag auf ihr Firmengelände. Kurz darauf forderte der Kläger von der Beklagten schriftlich unter Fristsetzung, das Fahrzeug herauszugeben. Auf das Schreiben erfolgte keine Reaktion.
Mit seiner Klage hat der Kläger von der Beklagten zunächst die Herausgabe seines Fahrzeugs verlangt. Nach erfolgter Herausgabe während des Prozesses haben die Parteien die Herausgabeklage übereinstimmend für erledigt erklärt. Gegenstand des Verfahrens war dann nur noch die Frage, wer die Standkosten tragen musste.
Herausgabeverlangen: Auf den Zeitpunkt kommt es an
Die Sache ging bis vor den Bundesgerichtshof (BGH). Dieser entschied: Zu erstattungsfähigen Kosten für die Entfernung eines unbefugt auf einem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs zählen auch die Kosten, die im Zusammenhang mit der Verwahrung des Fahrzeugs im Anschluss an den Abschleppvorgang entstehen. Das gilt aber nur bis zu einem Herausgabeverlangen des Halters.
Es kommt auch ein Anspruch auf Ersatz von Verwahrkosten in Betracht, wenn der das Fahrzeug herausverlangende Halter nicht bereit ist, im Gegenzug die für das Abschleppen und die Verwahrung angefallenen ortsüblichen Kosten zu zahlen und der Abschleppunternehmer daraufhin die Herausgabe des Fahrzeugs verweigert, sodass der Halter in Annahmeverzug gerät.
Quelle | BGH, Urteil vom 17.11.2023, V ZR 192/22
| Muss der Verkäufer einer Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze unaufgefordert über den Härtegrad der Matratze aufklären und beraten? Das Amtsgericht (AG) Hannover hat diese Frage verneint. Es hat entschieden, dass ein Verkäufer im Grundsatz nur dann über den Härtegrad einer Matratze aufklären und beraten muss, wenn der Käufer danach fragt. |
Matratze war Käuferin zu hart: Verkäuferin bot Rabatt an
Die Klägerin kaufte im November 2022 bei der Beklagten eine Schlafzimmereinrichtung einschließlich Bett und Matratze für ihre Tochter, die zuvor für wenige Minuten zur Probe gelegen hatte. Im Kaufvertrag war für die Matratze der Härtegrad H5 angegeben. Nachdem die Möbel im Januar 2023 geliefert worden waren, empfanden die Klägerin und ihre Tochter die Matratze als zu hart. Dies reklamierte die Klägerin bei der Beklagten. Diese bot der Klägerin u. a. einen Rabatt auf zwei neue Matratzen an, verweigerte aber eine Rückabwicklung des Kaufvertrags. Die Klägerin erklärte daraufhin die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung.
Rückabwicklung des Kaufvertrags?
Mit der Klage hatte die Käuferin eine teilweise Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Bettes nebst Matratze verlangt. Sie meinte, es sei für den Verkäufer klar erkennbar gewesen, dass das Schlafzimmer für ihre Tochter gewesen sei. Für das Gewicht ihrer Tochter sei aber ein Härtegrad von H2 angemessen.
Die Verkäuferin hatte vorgetragen, dass die Klägerin keine Beratung gewünscht habe. Sie habe es vielmehr sehr eilig gehabt, da sie einen Transporter angemietet habe. Sie habe sich lediglich nach einem Rabatt erkundigt, sonst aber keine Fragen gestellt.
So sah es das Amtsgericht
Das AG hat die Klage abgewiesen. Dabei ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die erworbene Matratze nicht mangelhaft war. Denn die Klägerin habe genau das bekommen, was vertraglich vereinbart war, nämlich eine Matratze des Härtegrades H5. Zwar habe die Klägerin erwartet, dass der Verkäufer sie unaufgefordert berate. Der Verkäufer habe aber keinen Anlass gehabt, eingehend über den Härtegrad aufzuklären und zu beraten. Denn die Klägerin habe ihre Erwartung einer Beratung nicht geäußert.
Keine Verletzung der Aufklärungspflicht
Zudem sei der Verkäufer erst hinzugezogen worden, als die Klägerin bereits zum Kauf entschlossen gewesen sei. Im Verkaufsgespräch sei es lediglich darum gegangen, die Daten der Klägerin aufzunehmen und über den Preis zu verhandeln. Die Tochter der Klägerin habe sich nach dem Probeliegen auch nicht über den Härtegrad beschwert. Daher habe der Verkäufer auch keine Aufklärungspflicht verletzt, sodass die Klägerin den Vertrag weder anfechten könne noch vom Vertrag zurücktreten könne.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 30.1.2024, 510 C 7814/23, PM vom 4.4.2024
| Reiserücktrittsversicherungen für den Krankheitsfall sichern regelmäßig nur solche Erkrankungen ab, die bei Vertragsschluss nicht bereits bekannt oder zu erwarten waren. Wer vor dem Abschluss der Reiserücktrittsversicherung eine Schürfwunde am Knöchel infolge eines Leitersturzes erlitten hatte, verliert seinen Versicherungsschutz nicht, wenn sich die Schürfwunde anschließend infiziert und ein Geschwür (Ulkus) hervorruft. Das hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) entschieden. |
Das war geschehen
Das OLG musste über die Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts (LG) Itzehoe entscheiden. Der Kläger hatte für sich, seine Ehefrau und seinen Sohn im November 2019 eine Reise nach Kuba für Februar 2020 gebucht. Nur wenige Tage später stürzte die Frau des Klägers von der Leiter und zog sich hierbei u. a. eine Schürfwunde am Knöchel zu. Im Anschluss bestellte der Kläger für seine Familie eine „Jahres-Reise-Karte“, die auch eine Reiserücktrittskostenversicherung beinhaltete. In dieser war Versicherungsschutz für Tod, schweren Unfall und unerwartet schwere Erkrankung vereinbart. Für den Fall einer unerwarteten Verschlechterung einer schon bestehenden Krankheit wurde in den Klauseln Versicherungsschutz ausgeschlossen, sofern in den letzten sechs Monaten vor Vertragsschluss eine Behandlung wegen der Erkrankung erfolgte. Im Januar 2020 musste die Frau des Klägers sich einer stationär durchgeführten Hauttransplantation unterziehen, nachdem die Wunde am Knöchel sich im Dezember 2019 infiziert und sich infolgedessen ein Geschwür (Ulkus) entwickelt hatte. Der Kläger hat dann die Reise storniert und bei der beklagten Versicherung die ihm berechneten Stornokosten geltend gemacht.
Landgericht wies Klage ab
Das LG hatte die Klage abgewiesen, denn die Ehefrau des Klägers sei bei Abschluss der Versicherung aufgrund der Schürfwunde bereits am Knöchel erkrankt gewesen. Zwar sei – so das LG – auch eine unerwartete Verschlechterung grundsätzlich versichert. Allerdings sei die Ehefrau des Klägers hier vor Abschluss des Versicherungsvertrags bereits am Knöchel behandelt worden, weshalb aufgrund der Vertragsbedingungen kein Anspruch bestehe.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG hat über die Frage der Behandlung der Ehefrau des Klägers am Knöchel vor Vertragsschluss die behandelnden Ärzte als Zeugen vernommen und die Versicherung dann zur Übernahme der Stornokosten verurteilt.
Es hat die Kenntnis der Ehefrau des Klägers vom Vorliegen einer Erkrankung bei Vertragsschluss abgelehnt. Bei einem Ulkus, das heißt einem – erst durch einen Infekt ausgelösten – Substanzdefekt der Haut, handele es sich objektiv um ein ganz anderes Erkrankungsbild als bei einer „bloßen“ sturzbedingten Schürfwunde. Dass der Ulkus ohne diese Wunde nicht entstanden wäre, ändert nichts daran, dass es zu seiner Entstehung erst einer Infizierung der Wunde bedurft habe. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hätten noch keine Anzeichen für eine solche Infizierung vorgelegen.
Argumente der Versicherung ohne Erfolg
Ohne Erfolg habe die Versicherung eingewendet, dass die einzelnen Erkrankungsfolgen aus dem Sturz der Ehefrau einheitlich betrachtet werden müssten, weil es sich bei dem Sturz um einen Schadensfall handele. Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers knüpfen die Vertragsbedingungen die Ersatzpflicht der Versicherung nicht an den Schadensfall, sondern den Eintritt einer unerwartet schweren Erkrankung. Selbst, wenn man in der Wunde am Bein nach dem Sturz und dem später aufgetretenen Ulkus die gleiche Erkrankung sehen wollte, die sich lediglich unerwartet verschlechtert habe, sei hier ein Anspruch gegeben. Denn die Vernehmung der behandelnden Ärzte habe nicht ergeben, dass die Wunde in den letzten sechs Monaten vor Versicherungsabschluss behandelt worden sei.
Quelle | Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 18.3.2024, 16 U 74/23, PM 1/24
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg hat mit zwei Urteilen die Berufungen der Kläger in zwei Verfahren gegen Straßenreinigungsgebührenbescheide der Hansestadt Lüneburg für das Jahr 2018 zurückgewiesen. |
Die Hansestadt Lüneburg erhob bis Ende 2017 Straßenreinigungsgebühren nach dem sog. Frontmetermaßstab. Mit Wirkung zum 1.1.2018 stellte sie den Maßstab um und erhebt seitdem die Gebühren gemäß ihrer Straßenreinigungsgebührensatzung nach dem sog. Quadratwurzelmaßstab. Bei diesem wird aus der Grundstücksfläche die Quadratwurzel gezogen. Damit wird gedanklich ein quadratisches Grundstück gebildet, von dem die Länge einer Seite der Gebührenberechnung zugrunde gelegt wird.
Das OVG hat entschieden, dass der Quadratwurzelmaßstab ein rechtmäßiger Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die Bemessung der Straßenreinigungsgebühren ist. Der vormals von der Hansestadt Lüneburg angewandte Frontmetermaßstab sei gegenüber dem Quadratwurzelmaßstab nicht vorrangig anzuwenden.
Darüber hinaus hat das OVG auch die Bestimmungen in der Straßenreinigungsgebührensatzung über die Heranziehung von mehrfach anliegenden Grundstücken und von Hinterliegergrundstücken als rechtmäßig erachtet. Diese verstießen weder gegen den Bestimmtheitsgrundsatz oder den Gleichheitssatz noch gegen den Grundsatz der Vollständigkeit.
Quelle | OVG Lüneburg, Urteile vom 24.4.2024, 9 LC 117/20 und 9 LC 138/20, PM vom 25.4.2024
| Im Streit um Ansprüche auf Rückerstattung aus einem Reisevertrag wies das Amtsgericht (AG) München eine Klage auf Zahlung von rund 4.000 Euro ab. |
Reise online storniert
Der Kläger hatte bei der Beklagten zum Preis von über 4.500 Euro eine neuntägige Reise für sich und seine Ehefrau im Juni 2023 nach Portugal gebucht. Im Anschluss stornierte der Kläger im Internet auf der Website der Beklagten die Reise. Die Beklagte buchte sodann vom Konto des Klägers Stornierungsgebühren in Höhe von rund 4.000 Euro ab. Der Kläger leitete daraufhin am selben Tag eine E-Mail an die Beklagte weiter, um die Stornierung rückgängig zu machen.
Der Kläger behauptete, er habe erst nach Buchung der Reise erfahren, dass neben dem Hotel eine Baustelle liege. Er habe sich zudem im Internet lediglich über eine Umbuchung informieren wollen und habe unbeabsichtigt wegen der Unübersichtlichkeit der Homepage die Reise storniert. Er habe deswegen die abgegebene Willenserklärung zur Stornierung angefochten.
Die Beklagte trug vor, der Kläger habe keine genauen Angaben über die besagte Baustelle getroffen. Im Übrigen sei die Buchung wirksam storniert worden. Für die endgültige Stornierung seien mehrere einzelne Schritte erforderlich gewesen. Eine unbeabsichtigte Kündigung sei im System unmöglich. Dem Reiseveranstalter sei durch den Rücktritt des Kunden hingegen ein Schaden entstanden.
So sieht es das Gericht
Das AG wies die Klage ab und begründete dies wie folgt: Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde vom Kläger wirksam storniert. Eine wirksame Anfechtung der Stornierung aufgrund eines Irrtums in der Erklärungshandlung ist nicht gegeben.
Ein Irrtum im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 119 BGB) ist das unbewusste Auseinanderfallen von Willen und Erklärung. Es liegt (nach § 119 Abs. 1 2. Fall BGB) zudem ein Irrtum in der Erklärungshandlung vor, wenn schon der äußere Erklärungstatbestand nicht dem Willen des Erklärenden entspricht. Dies ist beispielsweise beim Versprechen, Verschreiben oder Vergreifen der Fall. Zwar gab der Kläger an, die Website der Beklagten sei für ihn unübersichtlich gewesen, da diverse Klicks erforderlich gewesen seien.
Fünfmaliges Verklicken unwahrscheinlich
Es kann grundsätzlich nach der allgemeinen Lebenserfahrung sein, dass man versehentlich einmalig etwas anklickt, was dem eigentlichen Willen nicht entspricht. Es erscheint jedoch lebensfremd, dass bei der Durchführung eines Vorgangs – wie hier der Buchungsstornierung – mit insgesamt fünf verschiedenen Schritten jedes Mal ein „Verklicken“, und damit ein Irrtum in der Erklärungshandlung vorgelegen haben soll.
Aus der vom Reiseveranstalter vorgelegten Anlage ergibt sich insoweit, dass der Reisende für eine endgültige Stornierung der Reise erst mehrere einzelne Schritte durchführen musste: Zur Auslösung des endgültigen Stornierungsvorgangs musste der Kläger insgesamt viermal aktiv per Mausklick bestätigen, dass er eine Stornierung wünsche.
Dabei musste er bei Schritt 1 zunächst angeben, aus welchem Grund er seine Reise stornieren wollte. Im Anschluss bei Schritt 2 musste der Kläger angeben, was genau er stornieren wollte. Bei dem darauffolgenden Schritt 3 wurde der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass beim Auswählen „Buchung stornieren“, die Stornierung durchgeführt, und im Namen des Reisenden eine Rückerstattung beantragt werde. Erst durch Anklicken dieses Feldes gelangte der Kläger zum letzten und 4. Schritt, wo nochmals um Bestätigung gebeten wurde, dass tatsächlich mit der Stornierung fortzufahren sei. […]
Wirksame Stornierung und keine Umbuchung
Dass das Anklicken versehentlich geschah, und nicht dem Willen des Reisenden entsprach, war für das AG nicht nachvollziehbar. Ein Irrtum in der Erklärungshandlung durch Vertippen sah das AG nicht gegeben. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass dem Reisenden bewusst gewesen sein muss, dass er bei Durchführung des gesamten Buchungsvorgangs eine endgültige Stornierung vornahm – und nicht bloß, wie von ihm vorgegeben – eine Umbuchung. Der unstreitig zwischen den Parteien geschlossene Reisevertrag wurde somit wirksam storniert.
Verlust von 4.000 Euro
Die Beklagte war zudem berechtigt, aufgrund des Rücktritts vom Vertrag durch den Kläger vor Reisebeginn einen Betrag in Höhe von rund 4.000 Euro als angemessene Entschädigung zu verlangen.
Das AG hob hervor: Die pauschale Behauptung des Reisenden, es habe neben dem Hotel eine Baustelle gegeben, führt nicht zu einer vertraglichen Pflicht des Reiseveranstalters, alternative Lösungen anbieten zu müssen.
Quelle | AG München, Urteil vom 18.4.2024, 275 C 20050/23, PM 15/24
| Das Amtsgericht (AG) Hanau hat entschieden: Einer Mieterin von Wohnraum darf fristlos gekündigt werden, wenn diese – gleich zweimal – die Vermieterin mit Wasser überschüttet. |
Die Vermieterin hatte die Mieterin auf Räumung der Wohnung verklagt, weil diese sie zwei Mal mit Wasser übergossen habe. Unstreitig zwischen den Parteien war zwar, dass die Mieterin jeweils einen Eimer Wasser aus dem Fenster in den Hof gegossen hatte, als sich die Vermieterin in diesem befand. Die Mieterin hatte allerdings bestritten, die Vermieterin getroffen zu haben oder überhaupt treffen zu wollen.
Das AG sah die Kündigung als wirksam an. Denn der vernommene Zeuge bestätigte, dass die Vermieterin beide Male tatsächlich mit dem Wasser aus dem Eimer vollständig übergossen wurde. Diese sei, so der Zeuge,„klitschnass“ gewesen, wie bei einer „Ice-Bucket-Challenge“. Das rechtfertige eine fristlose Kündigung wegen Störung des Hausfriedens, so das AG. Selbst, wenn die Mieterin keine direkte Absicht gehabt habe, die Vermieterin zu treffen, habe sie dies angesichts der Situation jedoch zumindest billigend in Kauf genommen. Denn ihr Ziel lag schon nach dem eigenen Vortrag darin, die Vermieterin davon abzuhalten, ihr Fahrrad umzustellen. Es habe auch keiner vorherigen Abmahnung bedurft, zumal die Mieterin, wie sich aus der Beweisaufnahme ergab, bereits weitere derartige Aktionen angekündigt habe.
Quelle | AG Hanau, Beschluss vom 19.2.2024, 34 C 92/23, PM vom 3.5.2024
| Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) hat sich mit dem Einwand der Testierunfähigkeit eines an Depressionen und Alkoholsucht leidenden Erblassers zu befassen, der sich das Leben nahm. |
Erblasser litt an Persönlichkeitsstörung
Der Erblasser litt an einer psychiatrisch relevanten Persönlichkeitsstörung in Form einer affektiven Störung mit sowohl depressiven als auch manischen Phasen (bipolare Störung) sowie einem Alkoholproblem. Mit eigenhändigem Testament verfügte er, dass seine Ziehtochter seinen gesamten Besitz erben solle. In zwei Abschiedsbriefen begründete er seine Entscheidung zu dem Suizid und tat im Übrigen kund, dass er alle Erbschaftsangelegenheiten regeln wolle.
Die Ziehtochter beantragte einen Erbschein, der ihre Stellung als Alleinerbin ausweisen sollte. Diesem Antrag trat die Schwester des Erblassers mit der Begründung entgegen, der Erblasser sei aufgrund seiner psychischen Erkrankungen testierunfähig gewesen. Nach Einholen eines Sachverständigengutachtens zum Einwand der Testierunfähigkeit hat das Nachlassgericht einen Feststellungsbeschluss erlassen. Gegen diese Entscheidung wandte sich die Schwester mit der Beschwerde, der das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt hat.
So entschied das Oberlandesgericht
Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Es hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Eine Testierunfähigkeit habe das Sachverständigengutachten nicht bestätigen können. Zwar habe der Erblasser an den genannten Erkrankungen und an weiteren körperlichen Einschränkungen gelitten, die die Sachverständigen bestätigten. Diese genannten Gründe allerdings ließen für sich allein keinen zwingenden Schluss auf das Vorliegen der Testierunfähigkeit zu.
Nur dann, wenn die gesundheitlichen Einschränkungen eine Geisteskrankheit oder erhebliche Geistesschwäche verursachen, die die freie Willensbestimmung ausschlössen oder zu einer solch starken Bewusstseinsstörung führten, liege auch eine Testierunfähigkeit vor. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
Quelle | Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 19.3.2024, 3 W28/24
| Ein (fördermittelschädlicher) vorzeitiger Maßnahmenbeginn liegt vor, wenn die einschlägige Förderrichtlinie eine klare Linie bei der Leistungsphase 6 zieht und der Mittelempfänger darüber informiert wurde, dass er eingeschaltete Planer vor Erhalt der Förderzusage nur mit Planungs- und Vorbereitungsleistungen bis einschließlich Leistungsphase 6 beauftragen soll. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Magdeburg entschieden. |
Bauherr verlor Förderung
Das Urteil war für den Bauherrn besonders „bitter“. Denn er verlor die gesamte Förderung in Höhe von 240.000 Euro, weil er den Planer entgegen den Förderbestimmungen schon mit kleinen Leistungen der Leistungsphase 7 beauftragt hatte.
Bauherren informieren!
Konsequenz aus dem Urteil ist u. a.: Planer sollten Bauherren stets darüber informieren, wie streng Fördermittelgeber darauf achten, dass Förderbestimmungen eingehalten werden.
Quelle | VG Magdeburg, Urteil vom 25.3.2024, 3 A 155/21
| Regelt der Auftraggeber in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) Erschwernisse, um von ihm eine Bauhandwerkersicherungshypothek zu verlangen, ist dies unwirksam. So sieht es das Landgericht (LG) Berlin. |
Anspruch nur beiVerzug?
Der Auftraggeber hatte einen Planer für Technische Gebäudeausrüstung mit Leistungen über knapp 4,7 Mio. Euro beauftragt. In seinen AGB hieß es u. a.: „Einen Anspruch aus § 650 e BGB kann der Auftragnehmer nur geltend machen, wenn sich der Auftraggeber in Verzug befindet und die angemahnte Zahlung trotz Nachfristsetzung innerhalb von zwei Wochen nicht fristgemäß leistet. Die Geltendmachung des Anspruchs aus § 650 e BGB setzt ferner voraus, dass der Auftragnehmer bei Nachfristsetzung oder danach dies mit einer Frist von drei Wochen angekündigt hat.“
Nachdem mehrere Rechnungen nicht bezahlt worden waren, verlangte der Planer erst eine Sicherheit nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 650 f BGB, Bauhandwerkersicherung). Die brachte der Auftraggeber nicht bei. Daher beantragte der Planer ohne erneute Fristsetzung im Wege der einstweiligen Verfügung die Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch zur Sicherung des Anspruchs nach § 650 e BGB (Sicherungshypothek an dem Baugrundstück) i. H. v. ca. 340.000 Euro. Der Auftraggeber berief sich auf seine o. g. AGB-Klausel und wollte nicht leisten.
Landgericht gab Planer Recht
Die Klausel im Vertrag war unwirksam, denn sie benachteiligte den Planer als Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Sie war mit den wesentlichen Grundgedanken des § 650 e BGB nicht vereinbar.
Der Anspruch auf Vormerkung einer Sicherungshypothek soll den vorleistungspflichtigen Unternehmer schützen und gewährt ihm hierzu einen im Eilverfahren zügig durchsetzbaren Anspruch. Diesen Grundgedanken stehen die mit den AGB aufgestellten Anforderungen, Verzug nach Fristsetzung und weitere Ankündigungsfrist, entgegen. Vor allem könnte der Auftraggeber ansonsten versuchen, bis zum Abschluss eines zuvor angekündigten einstweiligen Verfügungsverfahrens einen Eigentumswechsel herbeizuführen. Das könnte den Anspruch des Unternehmens vereiteln.
Quelle | LG Berlin, Urteil vom 6.7.2023, 19 O 101/23
| Wer mit Verbrauchern einen Architektenvertrag schließt, muss zum einen vermeiden, dass diese ihr Widerrufsrecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 312 b BGB) ausüben. Zum anderen ist die neue Belehrungspflicht der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (hier: § 7 Abs. 2 HOAI 2021) zu beachten. Sonst kann der Architekt maximal das Honorar nach den Basishonorarsätzen der HOAI abrechnen. Dies gilt, selbst wenn die Parteien etwas anderes vereinbart haben. Das entschied das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Das sagt die HOAI zur Form und zum Fehlen einer Vereinbarung
§ 7 HOAI sagt, dass sich das (Architekten-)Honorar nach der Vereinbarung richtet, die die Vertragsparteien in Textform treffen. Sofern keine Vereinbarung über die Höhe des Honorars in Textform getroffen wurde, gilt für Grundleistungen der jeweilige Basishonorarsatz als vereinbart.
Das sagt die HOAI zur Aufklärungspflicht des Architekten
Außerdem schreibt die Norm vor, dass der Auftragnehmer, also der Architekt, den Auftraggeber, falls dieser Verbraucher ist, vor Abgabe von dessen verbindlicher Vertragserklärung zur Honorarvereinbarung in Textform darauf hinweisen muss, dass ein höheres oder niedrigeres Honorar als die in den Honorartafeln dieser Verordnung enthaltenen Werte vereinbart werden kann. Folge: Ohne diese (rechtzeitige) Belehrung gilt für die zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Grundleistungen anstelle eines höheren Honorars ein Honorar in Höhe des jeweiligen Basishonorarsatzes als vereinbart.
Diese Konsequenzen zog das Oberlandesgericht
Im Fall des OLG gab es diese Aufklärung nicht. Das OLG: Die Aufklärungspflicht gilt auch, wenn ein Zeit- oder Pauschalhonorar vereinbart worden ist. Ohne Belehrung kann der Planer nur den Basishonorarsatz abrechnen.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 8.4.2024, 11 U 215/22
| Widerruft ein Arbeitgeber im Öffentlichen Dienst seine Einstellungszusage aufgrund eines ärztlichen Attests, ist dies keine Diskriminierung aufgrund einer Schwerbehinderung. So entschied es das Arbeitsgericht (ArbG) Siegburg. |
Einstellungszusage widerrufen
Der an Diabetes erkrankte, schwerbehinderte Kläger bewarb sich unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung im Januar 2023 auf eine von der beklagten Stadt ausgeschriebene Ausbildungsstelle als Straßenwärter. Er erhielt eine Einstellungszusage vorbehaltlich einer noch durchzuführenden ärztlichen Untersuchung. Der Arzt kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger wegen seiner Diabetes-Erkrankung nicht für die vorgesehene Ausbildungsstelle geeignet sei. Die Einstellungszusage wurde daraufhin zurückgenommen. Der Kläger erhob Klage auf Entschädigung wegen einer aus seiner Sicht erfolgten Diskriminierung als schwerbehinderter Mensch.
Kein Verstoß gegen geltendes Recht
Das ArbG wies die Klage ab. Eine diskriminierende Handlung und ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) seien nicht erkennbar.
Der Kläger sei von der Beklagten wegen seiner Behinderung nicht schlechter behandelt worden als vergleichbare nichtbehinderte Bewerber. Die Stadt habe bei der Entscheidung, den Kläger nicht einzustellen, nicht auf seine Behinderung abgestellt. Vielmehr habe man den Kläger ungeachtet seiner Behinderung gerade einstellen wollen und ihm demgemäß eine Einstellungszusage erteilt, diese jedoch vom Ergebnis einer gesundheitlichen Eignungsuntersuchung bzw. seiner Eignung abhängig gemacht.
Diese gesundheitliche Eignung sei dann von dem von ihr beauftragten Arzt verneint worden. Daraufhin habe die Beklagte unter Berufung auf den zum Ausdruck gekommenen Vorbehalt ihre Einstellungszusage zurückgezogen.
Quelle | ArbG Siegburg, Urteil vom 20.3.2024, 3 Ca 1654/23, PM 1/24
| In einem Fall vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Düsseldorf ging es im Wesentlichen um angeblich unangemessene Äußerungen des Arbeitnehmers gegenüber Kollegen über Mitarbeitern. Die daraufhin vom Arbeitgeber ausgesprochene Abmahnung hatte keinen Bestand, weil sie zu unbestimmt war. |
Das war geschehen
Der Arbeitnehmer hatte die Äußerungen bestritten. Auf seine Frage im Personalgespräch, weshalb keine Namen derjenigen Arbeitnehmer genannt würden, die die Vorwürfe an die Personalbetreuung herangetragen hätten, äußerte die Personalreferentin, dass die Arbeitnehmer eingeschüchtert seien und sich lediglich vertraulich an die Vorgesetzten sowie die Personalbetreuung gewandt hätten. Auch in der Abmahnung selbst erfolgte keine namentliche Nennung.
So sah es das Arbeitsgericht
Das ArbG stellte klar: Dieser Vorgang reicht nicht für eine Abmahnung. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Arbeitnehmer sich tatsächlich in der ihm vorgeworfenen Art und Weise verhalten habe. Die Abmahnung sei inhaltlich zu unbestimmt. Die „anderen Mitarbeiter“, gegenüber denen er die Äußerungen getätigt haben soll, würden in der Abmahnung nicht benannt, obwohl sie dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Abmahnung unstreitig bekannt gewesen seien. Da sich die Anforderungen an die Konkretisierung der in der Abmahnung enthaltenen Rüge an dem orientierten, was der Arbeitgeber wissen könne, sei die Abmahnung nicht hinreichend konkret.
Für den Arbeitnehmer als Adressat der Abmahnung diene die konkrete Nennung der Namen der Zeugen auch dazu, zu überprüfen, ob die Abmahnung inhaltlich richtig sei oder nicht; pauschale Vorwürfe ohne die Nennung der Zeugen würden diese Anforderung nicht erfüllen. Der Arbeitgeber sei auch nicht berechtigt, zum Schutz der Zeugen die Namen in der Abmahnung nicht zu nennen. Hierdurch könne zwar ein Konflikt zwischen dem Arbeitnehmer und den Zeugen im Hinblick auf den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe entstehen. Einen solchen Konflikt müsse ein Arbeitgeber, der den Aussagen der Zeugen im Hinblick auf ein angebliches Fehlverhalten eines Arbeitnehmers vertraue, allerdings hinnehmen. Es sei auch nicht ersichtlich, welche konkrete Gefahr den Zeugen durch ihre Nennung in der Abmahnung drohe.
Quelle | ArbG Düsseldorf, Urteil vom 12.1.2024, 7 Ca 1347/23
| Eine SARS-CoV-2-Infektion stellt auch bei einem symptomlosen Verlauf eine Krankheit nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (hier: § 3 Abs. 1 EFZG) dar, die zur Arbeitsunfähigkeit führt. Voraussetzung: Es muss dem Arbeitnehmer infolge einer behördlichen Absonderungsanordnung rechtlich unmöglich sein, die geschuldete Tätigkeit beim Arbeitgeber zu erbringen und eine Erbringung in der häuslichen Umgebung nicht in Betracht kommen. So hat es das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. |
Abzug vom Verdienst nach Covid-Erkrankung
Der Kläger ist als Produktionsmitarbeiter bei der Arbeitgeberin beschäftigt, einem Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie. Er hatte sich keiner Schutzimpfung gegen das Coronavirus unterzogen und wurde am 26.12.2021 positiv auf das Virus getestet. Für die Zeit vom 27. bis zum 31.12.2021 wurde dem unter Husten, Schnupfen und Kopfschmerzen leidenden Kläger eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ausgestellt. Für diese Zeit leistete die Arbeitgeberin Entgeltfortzahlung. Am 29.12.2021 erließ die Gemeinde N. eine Verfügung, nach der für den Kläger bis zum 12.1.2022 Isolierung (Quarantäne) in häuslicher Umgebung angeordnet wurde. Für die Zeit vom 3. bis zum 12.1.2022 lehnte der Arzt die Ausstellung einer Folge-AU mit der Begründung ab, das positive Testergebnis und die Absonderungsanordnung würden zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit ausreichen. Mit der Verdienstabrechnung für Januar 2022 nahm die Arbeitgeberin für diese Zeit vom Lohn des Klägers einen Abzug in Höhe von ca. 1.000 Euro brutto vor. Mit seiner Klage hat der Arbeitnehmer Zahlung dieses Betrags verlangt. Das Arbeitsgericht (ArbG) hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat auf die Berufung des Arbeitnehmers das Urteil des ArbG geändert und die Arbeitgeberin verurteilt, zu zahlen.
Bundesarbeitsgericht gab Arbeitnehmer Recht
Die Revision der Arbeitgeberin blieb vor dem BAG ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert war, ohne dass es darauf ankam, ob bei ihm durchgehend Symptome von COVID-19 vorlagen. Die SARS-CoV-2-Infektion stellt einen regelwidrigen Körperzustand und damit eine Krankheit dar, die zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat.
Die Absonderungsanordnung ist keine eigenständige, parallele Ursache für Arbeitsunfähigkeit, vielmehr beruht das daraus resultierende Tätigkeitsverbot gerade auf der Infektion (Monokausalität). Diese ist die nicht hinwegzudenkende Ursache für die nachfolgende Absonderungsanordnung. Aufgrund der SARS-CoV-2-Infektion war es dem Kläger rechtlich nicht möglich, die geschuldete Arbeitsleistung im Betrieb der Beklagten zu erbringen.
Es konnte auch nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden, dass das Unterlassen der empfohlenen Corona-Schutzimpfung für die SARS-CoV-2-Infektion ursächlich war. Das Berufungsgericht hat hierbei zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt, dass die Nichtvornahme der Schutzimpfungen einen groben Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen zu erwartende Verhalten darstellte. Jedoch ließen die wöchentlichen Lageberichte des RKI und dessen Einschätzung der Impfeffektivität nicht den Schluss zu, dass Ende Dezember 2021 bzw. Anfang Januar 2022 die beim Kläger aufgetretene Corona-Infektion durch die Inanspruchnahme der Schutzimpfung hätte verhindert werden können.
Der Arbeitgeberin stand ein Leistungsverweigerungsrecht wegen nicht vorgelegter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht zu. Das LAG hatte richtig erkannt, dass der Kläger der Beklagten durch Vorlage der Ordnungsverfügung der Gemeinde N. in anderer, geeigneter Weise nachgewiesen hat, infolge seiner Corona-Infektion objektiv an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert zu sein.
Quelle | BAG, Urteil vom 20.3.2024, 5 AZ R 234/23, PM 8/24
| Eine Bank kann nicht unter Berufung auf das Bankgeheimnis die Vorlage von Original-Urkunden verweigern, wenn im Einzelfall das Interesse des Beweisführers an ihrer Vorlage höher zu gewichten ist. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Bank wollte Originalurkunden nicht herausgeben
Ein Mann hatte geltend gemacht, seine – inzwischen getrenntlebende und in Scheidung befindliche – Ehefrau habe auf einer Bürgschaftsurkunde und einer Eigentümererklärung unberechtigt seine Unterschriften angebracht. Er hat beantragt, ein Schriftsachverständigengutachten einzuholen. Das Kreditinstitut – eine Bausparkasse – hat die Herausgabe der zur Begutachtung erforderlichen Originalurkunden unter Bezugnahme auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht verweigert. Das machte der BGH nicht mit.
Hier gilt ein Zeugnisverweigerungsrecht
Personen, denen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, sind zur Verweigerung des Zeugnisses der Tatsachen berechtigt, auf die sich die Verpflichtung zur Verschwiegenheit bezieht. Dies gilt dann auch für hierauf bezogene Urkunden. Im Fall des BGH hatten die Interessen des Mannes jedoch Vorrang.
Quelle | BGH, Beschluss vom 29.11.2023, XII ZB 141/22
| Unternehmen müssen den Inhalt der Bilanz und der Gewinn-und Verlustrechnung grundsätzlich nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung übermitteln. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat nun das aktualisierte Datenschema der Taxonomien (Version 6.8) als amtlich vorgeschriebenen Datensatz veröffentlicht. Die aktualisierten Taxonomien stehen unter www.esteuer.de zur Ansicht und zum Abruf bereit. |
Beachten Sie | Die neuen Taxonomien sind grundsätzlich für die Bilanzen der Wirtschaftsjahre zu verwenden, die nach dem 31.12.2024 beginnen (Wirtschaftsjahr 2025 oder 2025/2026). Es wird aber nicht beanstandet, wenn diese auch für das Wirtschaftsjahr 2024 oder 2024/2025 verwendet werden.
Die Übermittlungsmöglichkeit mit diesen neuen Taxonomien wird für Testfälle voraussichtlich ab November 2024 gegeben sein, für Echtfälle ab Mai 2025.
Quelle | BMF-Schreiben vom 27.5.2024, IV C 6 - S 2133-b/24/10001 :002
| Nach den statistischen Aufzeichnungen der obersten Finanzbehörden der Länder haben die im Jahr 2023 durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfungen bei der Umsatzsteuer zu einem Mehrergebnis von rund 1,52 Mrd. Euro geführt. Die Ergebnisse aus der Teilnahme von Umsatzsteuer-Sonderprüfern an allgemeinen Betriebsprüfungen oder an den Prüfungen der Steuerfahndung sind in diesem Mehrergebnis nicht enthalten. |
Umsatzsteuer-Sonderprüfungen werden unabhängig vom Turnus der allgemeinen Betriebsprüfung und ohne Unterscheidung der Größe der Betriebe vorgenommen. Im Jahr 2023 wurden 63.282 Umsatzsteuer-Sonderprüfungen durchgeführt. Im Jahresdurchschnitt waren 1.604 Umsatzsteuer-Sonderprüfer eingesetzt. Jeder Prüfer führte im Durchschnitt 39 Sonderprüfungen durch. Dies bedeutet für jeden eingesetzten Prüfer ein durchschnittliches Mehrergebnis von rund 0,94 Mio. Euro.
Quelle | BMF, Mitteilung vom 25.4.2024
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Er möchte wissen, ob das gesetzliche Aufteilungsgebot für Beherbergungsleistungen rechtmäßig ist. Danach unterliegt die Übernachtungsleistung dem ermäßigten Umsatzsteuersatz i. H. von 7 %. Für Nebenleistungen, die nicht unmittelbar der Beherbergung dienen, gilt dagegen der Regelsteuersatz (19 %). In den drei Streitfällen ging es um Parkplatzgestellungen, Frühstücksleistungen, die Gestellung von Fitness- und Wellnesseinrichtungen sowie von W-LAN. |
Für die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, greift die Umsatzsteuerermäßigung auf 7 %.
Beachten Sie | Dies gilt nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 12 Abs. 2 Nr. 11 S. 2 UStG) aber nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind.
Bisher war der BFH der Ansicht, dass das Aufteilungsgebot in Einklang mit dem Unionsrecht steht und dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung vorgeht, wonach eine (unselbstständige) Nebenleistung das Schicksal der Hauptleistung teilt.
Ganz so sicher ist sich der BFH aber infolge der jüngeren Rechtsprechung des EuGH nicht mehr. Deshalb hat er nun beim EuGH angefragt. Es ist zu hoffen, dass sich der EuGH zeitnah und eindeutig äußern wird, damit zu dieser Frage (endlich) Rechtssicherheit besteht.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 10.1.2024, XI R 11/23 (XI R 34/20), XI R 13/23 (XI R 7/21), XI R 14/23 (XI R 22/21)
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat erstmals zu den Voraussetzungen und der Reichweite des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs entschieden. |
Hintergrund: Die Datenschutz-Grundverordnung gewährt (in Art. 15 Abs. 1 DS-GVO) einen Anspruch auf Auskunft, welche personenbezogenen Daten über einen Steuerpflichtigen verarbeitet werden.
Finanzamt und Finanzgericht lehnten Auskunftsersuchen ab
Im Streitfall verlangte ein Steuerpflichtiger gegenüber dem Finanzamt die Zurverfügungstellung (elektronischer) Kopien von Verwaltungsakten mit den ihn betreffenden personenbezogenen Daten, was sowohl das Finanzamt als auch das Finanzgericht (FG) ablehnten.
Bundesfinanzhof widersprach
Der BFH hat nun entschieden, dass ein Steuerpflichtiger vom Finanzamt grundsätzlich Auskunft über die ihn betreffenden personenbezogenen Daten verlangen kann – und zwar ungeachtet der Art der Aktenführung, der Art der Dokumente oder der Form der Datenverarbeitung durch die Finanzverwaltung.
Auskunftsanspruch unabhängig von Art der Steuer
Der Auskunftsanspruch ist auch nicht davon abhängig, für welche Steuerart die Datenverarbeitung erfolgt. Grundsätzlich ist der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch darauf beschränkt, dass der Steuerpflichtige darüber informiert wird, welche ihn betreffenden personenbezogenen Daten verarbeitet werden.
Der Auskunftsanspruch gewährt grundsätzlich aber kein Recht auf die (elektronische) Zurverfügungstellung von Kopien von ganzen Akten bzw. einzelnen Dokumenten mit personenbezogenen Daten. Nur ausnahmsweise, wenn der Steuerpflichtige diese zwingend benötigt, um seine Rechte nach der DS-GVO durchsetzen zu können, sind ihm auch Kopien von Dokumenten mit seinen personenbezogenen Daten (elektronisch) zur Verfügung zu stellen.
Grenzen: unbegründete oder exzessive Auskunftsersuchen
Zu den Grenzen des Auskunftsanspruchs hat der BFH im Übrigen klargestellt, dass die Finanzverwaltung zwar einen gegen sie gerichteten Auskunftsanspruch nach der DS-GVO zurückweisen kann, falls dieser offenkundig unbegründet oder exzessiv ist. Hierfür muss sie jedoch die Umstände darlegen, die zu einer offenkundigen Unbegründetheit bzw. zu einem Exzess des Auskunftsersuchens führen. Dass der Steuerpflichtige mit seinem Auskunftsersuchen Ziele außerhalb der DS-GVO verfolgt, erlaubt der Finanzverwaltung nicht, die Auskunft über die verarbeiteten personenbezogenen Daten zu verweigern.
Quelle | BFH, Urteil vom 12.3.2024, IX R 35/21, PM Nr. 27/24 vom 20.6.2024
| Die Auszahlung einer Direktversicherung nach Ausübung eines vertraglich eingeräumten Kapitalwahlrechts unterliegt nicht dem ermäßigten Steuersatz. Gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Münster ist allerdings die Revision anhängig. |
Das war geschehen
Im Streitfall hatte die Steuerpflichtige mit ihrem damaligen Arbeitgeber die Umwandlung eines Teils ihres Gehalts in Beiträge zu einer Direktversicherung nach dem Betriebsrentengesetz vereinbart. Daraufhin schloss der Arbeitgeber für die Steuerpflichtige eine solche Versicherung mit einer Beitragszahlungsdauer von 14 Jahren ab. Es sollte eine lebenslange monatliche Rente gezahlt werden oder auf Antrag eine einmalige Kapitalabfindung erfolgen.
Im Streitjahr 2019 übte die Steuerpflichtige das Kapitalwahlrecht aus und erhielt ca. 44.500 Euro. Diesen Betrag behandelte das Finanzamt als steuerpflichtige Rente und besteuerte ihn mit dem regulären Steuersatz. Die hiergegen gerichtete Klage war erfolglos.
Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten können als außerordentliche Einkünfte in Betracht kommen, die ermäßigt zu besteuern sind (Fünftel-Regelung). Da es im Streitfall aber an dem Tatbestandsmerkmal der Außerordentlichkeit fehlte, kam keine ermäßigte Besteuerung in Betracht.
Höchstrichterliche Rechtsprechung
Im Hinblick auf die Kapitalauszahlung von Renten kam es nach der früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ausschließlich auf die vertragliche Vereinbarung an (keine ermäßigte Besteuerung, wenn das Kapitalwahlrecht schon in der ursprünglichen Versorgungsregelung enthalten war). In späteren Entscheidungen hat es der BFH jedoch vielmehr für maßgeblich gehalten, ob das Kapitalwahlrecht nur in atypischen Einzelfällen tatsächlich ausgeübt wird, wofür statistisches Material ausgewertet werden muss.
Bundesfinanzhof ist erneut gefragt
Vor diesem Hintergrund hat das FG Münster nun die Revision mit folgendem Wortlaut zugelassen: „Dem Bundesfinanzhof ist Gelegenheit zu geben, über die Ausschärfung der Kriterien zur Bestimmung der Atypik bei Kapitalauszahlungen von Renten erneut zu entscheiden, da er bei seinen bisherigen Entscheidungen (irrtümlich) davon ausgegangen ist, dass statistisches Material über die Häufigkeit der Ausübung von Kapitalwahlrechten verfügbar ist.“
Beachten Sie | Da die Steuerpflichtige die Revision eingelegt hat, können geeignete Fälle mit einem Einspruch bis zur Entscheidung des BFH offen gehalten werden.
Quelle | FG Münster, Urteil vom 24.10.2023, 1 K 1990/22 E, Rev. BFH: X R 25/23
| Bei Lohnsteuer-Außenprüfungen stoßen Prüfer immer häufiger auf Sachverhalte, in denen der Arbeitgeber im Rahmen einer Gehaltsumwandlung den Grundlohn abgesenkt und einen nach § 3 Nr. 30 und Nr. 50 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfreien Heimarbeiterzuschlag zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen (z. B. für Miete, Heizung und Beleuchtung der Arbeitsräume) bezahlt hat. Hier ist Vorsicht geboten: Denn in vielen Fällen sind die Voraussetzungen für den steuerfreien Heimarbeiterzuschlag nach dem Heimarbeitsgesetz (HAG) nicht erfüllt. |
Informationen zum Heimarbeiterzuschlag enthält vor allem die Lohnsteuerrichtlinie 9.13. Hier heißt es in Abs. 2: „Lohnzuschläge, die den Heimarbeitern zur Abgeltung der mit der Heimarbeit verbundenen Aufwendungen neben dem Grundlohn gezahlt werden, sind insgesamt aus Vereinfachungsgründen nach § 3 Nr. 30 und 50 EStG steuerfrei, soweit sie 10 % des Grundlohns nicht übersteigen.“
Beachten Sie | Die im Einkommensteuergesetz geregelte Steuerfreiheit gilt allerdings nur für Heimarbeiter i. S. des § 2 Abs. 1 HAG. Die steuerfreien Zuschläge können also nicht von Arbeitnehmern in Anspruch genommen werden, die ihre Tätigkeit seit der Coronapandemie (teilweise) im Homeoffice ausüben.
Quelle | R 9.13 Abs. 2 Lohnsteuerrichtlinien; § 2 Heimarbeitsgesetz
| Schuldet der Vermieter von Wohnraum zum vertragsgemäßen Gebrauch auch die Versorgung mit Wärme und warmem Wasser, stehen Kosten des Vermieters für eine neue Heizungsanlage jedenfalls dann im direkten und unmittelbaren Zusammenhang zur steuerfreien Vermietung, wenn es sich dabei nicht um Betriebskosten handelt, die der Mieter gesondert zu tragen hat. Die Quintessenz aus dieser Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH): Der Vermieter kann für die Heizungsanlage keinen Vorsteuerabzug beanspruchen. |
Hintergrund: Nach dem Umsatzsteuergesetz (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG) ist der Vorsteuerabzug für Lieferungen und sonstige Leistungen ausgeschlossen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet.
Das Finanzgericht (FG) Münster hatte den Streitfall noch anders beurteilt und auf getrennte Leistungen abgestellt, nämlich einerseits steuerfreie Vermietungsleistungen und andererseits steuerpflichtige Energielieferungen.
Der BFH lehnte den vom Vermieter begehrten Vorsteuerabzug aus dem Heizungsaustausch aber bereits deshalb ab, weil der Vermieter dort entsprechend den mietrechtlichen Rahmenbedingungen die Gestellung einer Wohnung zum bestimmungsgemäßen Gebrauch – d. h. einschließlich der Gestellung warmen Brauchwassers – schuldete und die diesbezüglichen Zahlungen nicht als dem Mieter gesondert berechenbare Betriebskosten i. S. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 556 BGB) anzusehen waren.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.12.2023, V R 15/21
| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in zwei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu den Bewertungsregelungen des neuen Grundsteuer- und Bewertungsrechts entschieden. Danach müssen Steuerpflichtige unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit haben, einen unter dem festgestellten Grundsteuerwert liegenden Wert ihres Grundstücks nachzuweisen. Weil deswegen bereits Zweifel an der Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte bestanden, war nicht mehr zu prüfen, ob die neue Grundsteuer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln unterliegt. |
Steuerpflichtige vor Finanzgericht erfolgreich
In beiden Streitfällen hatten die Antragsteller beim Finanzgericht (FG) erfolgreich beantragt, die Grundsteuerwertfeststellungen für ihre Wohnimmobilien von der Vollziehung auszusetzen. Die Bescheide waren auf der Grundlage des neuen Bundesmodells ergangen, das in mehreren Bundesländern (z. B. in Nordrhein-Westfalen) Anwendung findet.
Danach wird die Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer, die ab 2025 von den Gemeinden erhoben wird, durch Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 1.1.2022 als einheitlichem Hauptfeststellungsstichtag ermittelt. Die für die Feststellung des Grundsteuerwerts maßgeblichen Vorschriften enthalten nicht zuletzt wegen der Neubewertung von über 36 Millionen wirtschaftlichen Einheiten zahlreiche Typisierungen und Pauschalierungen.
Bundesfinanzhof: Beschwerden des Finanzamts zurückgewiesen
Das FG hatte ernstliche Zweifel sowohl an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertbescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der Bewertungsvorschriften und gewährte deshalb die beantragte Aussetzung der Vollziehung. Die dagegen erhobenen Beschwerden des Finanzamts hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit in Bezug auf Grundsteuerwerte
Nach Ansicht des BFH bestehen bereits einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertfeststellungen in Bezug auf die Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte. Denn die Steuerpflichtigen müssen bei einer Verletzung des Übermaßverbots die Möglichkeit haben, einen niedrigeren Wert nachzuweisen – auch wenn der Gesetzgeber dies nicht ausdrücklich geregelt hat.
Übermaßverbot ist zu berücksichtigen
Der Gesetzgeber verfügt gerade in Massenverfahren über einen großen Typisierungs- und Pauschalierungsspielraum. Das Übermaßverbot kann aber verletzt sein, wenn sich der Grundsteuerwert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweist. Dies setzt nach der Rechtsprechung zu anderen typisierenden Bewertungsvorschriften voraus, dass der festgestellte Wert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 % oder mehr übersteigt – und dies war infolge der Besonderheiten in den Streitfällen nicht auszuschließen.
Beachten Sie | Eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des neuen Bewertungsrechts ist damit nicht verbunden. Es handelt sich bisher lediglich um Beschlüsse im Rahmen der summarischen Prüfung des Aussetzungsverfahrens.
Quelle | BFH, Beschlüsse vom 27.5.2024, II B 78/23 (AdV) und II B 79/23 (AdV); PM Nr. 26/24 vom 13.6.2024
| Ist ein Fahrzeug mehr als fünf Jahre alt, stuft das Amtsgericht (AG) Aue-Bad Schlema die Nutzungsausfallentschädigung um eine und bei mehr als zehn Jahren um zwei Gruppen ab. |
So rechnete das Amtsgericht
Wenn ein ca. 15 Jahre alter Kleinwagen mit ca. 194.000 km Laufleistung, der ohne Altersabstufung in die Gruppe B gehört, betroffen ist, wird jedoch nur eine Gruppe abgestuft. Denn tiefer geht es nicht. So gab es im vom AG entschiedenen Fall einen Tagessatz von 23 Euro.
Der Versicherer hatte nur minimale Vorhaltekosten erstattet. Das lehnt das Gericht ab. Denn das komme nur in Betracht, wenn ein Fahrzeug nicht nur alt, sondern in einem so schlechten Zustand ist, dass seine Nutzbarkeit deutlich eingeschränkt ist.
Entgangene Fortbewegungsmöglichkeit
Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass sich hinter den Vorhaltekosten letztlich kaum mehr als die Fixkosten wie Steuern, Versicherung etc. verbergen, es sich hierbei also um einen weitaus geringeren Betrag handelt. Mit zunehmendem Fahrzeugalter spiele letztlich nur die entgangene Fortbewegungs- und Transportmöglichkeit eine Rolle. Allein aufgrund des Alters des Fahrzeugs könne daher nicht ohne Weiteres von einer weiteren Einschränkung des Nutzungswerts bis zum Betrag von Vorhaltekosten ausgegangen werden.
Quelle | AG Aue-Bad Schlema, Urteil vom 28.2.2024, 3 C 241/23
| Ist ein durch eine Verbraucherzentrale geltend gemachter Unterlassungsanspruch begründet, wenn eine Firma die online erklärte Kündigung eines Kunden von einem Bestätigungstelefonat abhängig macht? Diese Frage hat das Landgericht (LG) Koblenz bejaht. |
Zusätzliches Telefonat nötig, damit Online-Kündigung wirksam wird?
Die Beklagte bietet, auch gegenüber Verbrauchern, den Abschluss von Dienstleistungsverträgen über Dauerschuldverhältnisse unter anderem zur Bereitstellung von Webspeicherplatz, E-Mail-Postfächern und Servern an.
Der Kläger, ein eingetragener Verein (Verbraucherzentrale), begehrt von der Beklagten, es zu unterlassen, dass sie auf eine online erklärte Kündigung gegenüber Verbrauchern behauptet, dass zur Wirksamkeit der Kündigung noch ein Telefonat erforderlich sei. Konkret hat ein Kunde seinen Vertrag bei der Beklagten per Internet gekündigt. Der Kunde hat daraufhin von der Beklagten die Mitteilung erhalten, er möge seine Kündigung binnen 14 Tagen telefonisch bestätigen, ansonsten bleibe das Vertragsverhältnis unverändert bestehen.
Verbraucherzentrale: Telefonat dient zum Umstimmen der Verbraucher
Der Kläger hat daraufhin die Beklagte abgemahnt und erfolglos zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert. Er behauptet, im Fall eines Anrufs nach der Kündigung werde seitens der Beklagten – mittels rhetorischer Kunstfertigkeit oder Anbieten anderer Vertragskonditionen – versucht, den Verbraucher zu überzeugen, von seinem Kündigungswillen Abstand zu nehmen. Der Kläger ist zudem der Ansicht, die Mitteilung der Beklagten gegenüber Verbrauchern, dass nach einer Kündigung eine Rückbestätigung erfolgen müsse, stelle eine unlautere geschäftliche Handlung dar. Sie enthalte unwahre Angaben über Rechte des Verbrauchers.
Der Kläger beantragte u. a., der Beklagten unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro zu untersagen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern diesen nach einer der Beklagten zugegangenen Kündigungserklärung eines Dienstleistungsvertrags in Form eines Dauerschuldverhältnisses zu behaupten, die telefonische Bestätigung der erklärten Kündigung sei erforderlich. Die Beklagte meint, ohne telefonische Rückbestätigung der Kündigung bestünde das Risiko, dass unberechtigte Dritte den Vertrag eines Kunden kündigen könnten. Es sei deshalb erforderlich, sich davon zu überzeugen, dass die Kündigung vom Erklärenden stammt. Dabei biete ein Telefonat ein Mehr an Sicherheit verglichen mit einem Bestätigungslink innerhalb einer E-Mail. Es finde keine Irreführung des Verbrauchers statt. Außerdem werde eine geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers nicht beeinflusst.
So sah es das Landgericht
Das LG hat der Klage antragsgemäß stattgegeben. Dem Kläger stehe ein Unterlassungsanspruch zu. Das Vorgehen der Beklagten, den Verbraucher aufzufordern, seine Kündigung innerhalb von 14 Tagen telefonisch zu bestätigen, stelle eine geschäftliche Handlung dar. Dazu gehörten auch Verhaltensweisen, die auf eine Fortsetzung der Geschäftsbeziehung oder das Verhindern einer Geschäftsbeendigung gerichtet sind. Diese geschäftliche Handlung der Beklagten sei unzulässig, da sie unlauter sei. Unlauter handele, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornehme, die geeignet sei, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
Bestätigungslink in E-Mail genügt
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch irreführend. Dies sei gegeben, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über Rechte des Verbrauchers enthalte. Erfasst seien auch irreführende Angaben über deren Inhalt, Umfang und Dauer sowie etwaige Voraussetzungen für die Geltendmachung bestimmter Rechte, zu denen auch das Kündigungsrecht zähle. Auch, wenn die Beklagte nach Auffassung des LG ein grundsätzliches Interesse an einer Authentifizierung haben könne, wäre eine solche vorrangig durch eine Bestätigung über den von dem Verbraucher gewählten Kommunikationskanal zu erreichen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb ein an den Verbraucher unter der von ihm hinterlegten E-Mail-Adresse gesendeter Bestätigungslink zur Identifizierung weniger geeignet wäre als ein Telefonat. Auch während eines Telefonats sei es der Beklagten nicht möglich, sich umfassende Gewissheit über die wahre Person ihres Gesprächspartners zu verschaffen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass es einem unbefugten Dritten, der sich Zugang zu der Kundennummer, der Vertragsnummer und dem E-Mail-Konto des wahren Vertragspartners verschafft hat, auch gelänge, in einem Telefonat über seine Identität zu täuschen.
Zusätzliche Entscheidung
Die Vorgehensweise der Beklagten sei auch geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Die Beklagte stelle den Verbraucher nach Zugang seiner Kündigung vor die Wahl, seine Kündigung nicht telefonisch zu bestätigen, und in der Folge das Vertragsverhältnis fortzusetzen, oder innerhalb von 14 Tagen telefonisch Kontakt zu der Beklagten aufzunehmen. Es werde dadurch eine zusätzliche Entscheidung des Verbrauchers verlangt, ob er an der Ausübung seines Kündigungsrechts festhalten will. Ohne die irreführende Aufforderung der Beklagten würde der Verbraucher weder die eine noch die andere Entscheidung treffen. Die erforderliche Wiederholungsgefahr ergebe sich daraus, dass die Beklagte eingeräumt habe, dass die beanstandete Vorgehensweise der Beklagten deren übliche Vorgehensweise sei.
Quelle | LG Koblenz, Urteil vom 27.2.2024, 11 O 12/23
| Das Landgericht (LG) Oldenburg hat den von einer Frau geltend gemachten Anspruch auf Schadenersatz zurückgewiesen. Sie hatte sich an einem Becher Tee verbrüht. |
Warnhinweis auf dem Pappbecher
Die Frau hatte in einem Restaurant einen Tee in einem Einwegbecher gekauft. Auf dem Becher war der Warnhinweis angebracht: „VORSICHT HEISS“. Außerdem enthielt er ein Piktogramm mit einer Tasse mit Dampfschwaden. Der Becher war der Frau mit einem von Hand zu öffnenden Deckel übergeben worden. Er wurde ihr in einer Pappschale ausgehändigt. Wenige Minuten nach dem Kauf hob die Frau den Becher am Deckel aus der Schale. Da passierte es: Der Deckel löste sich. Der Tee ergoss sich auf ihre Oberschenkel. Die Frau erlitt Verbrennungen 1. und 2. Grades. Sie musste sich später einer teuren Behandlung unterziehen.
So sah es die Frau
Die Frau argumentierte vor dem LG, der Tee sei zu heiß gewesen. Folglich seien von ihm unnötige Gesundheitsgefahren ausgegangen. Zudem sei der Deckel nicht fest verschlossen gewesen. Mit diesen beiden Umständen habe sie nicht rechnen müssen.
So sah es das Landgericht
Das LG lehnte den geltend gemachten Schadenersatzanspruch ab. Es hob hervor: Dass frisch zubereiteter Tee heiß sei (zwischen 90 und 100 Grad), sei allgemein bekannt. Er müsse daher nicht in verzehrfertiger Temperatur übergeben werden. Die Frau sei zudem durch die o. g. Hinweise auf dem Becher ausdrücklich gewarnt worden. Vor einem eventuell losen Deckel habe die Restaurantbesitzerin ebenfalls nicht warnen müssen.
Quelle | LG Oldenburg, Urteil vom 15.3.2024, 16 O 2015/23
| Kosten für eine einem Hotel ähnliche Unterbringung im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung können auch die Aufwendungen für das Mieten eines Wohnmobils sein. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Köln. |
Haus unbewohnbar – Wohnmobil als Ersatz gemietet
Das Haus eines Versicherungsnehmers war unbewohnbar geworden. Er mietete sich daher für 260 Euro pro Tag ein Wohnmobil und verlangte den Betrag später vom Versicherer zurück. Dieser wollte die Kosten jedoch nicht übernehmen.
Wohnmobil mit Hotel vergleichbar
Das OLG Köln verurteilte den Versicherer schließlich, rund 86.000 Euro an Mietkosten zu übernehmen. Auch die Kosten für das Mieten des Wohnmobils seien Kosten einer einem Hotel ähnlichen Unterbringung i. S. d. Versicherungsbedingungen.
Für Versicherungsnehmer ist Wohnmobil eine dem Hotel ähnliche Unterkunft
Die Auslegung ergebe, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer auch die stationäre Unterbringung in einem Mietwohnwagen oder Mietwohnmobil als eine einer Hotelunterbringung ähnliche Unterkunft ansehen werde. Denn ebenso wie ein Hotel, eine Ferienwohnung, eine Pension oder Gaststätte mit „Fremdenzimmern“ zeichnet sich ein Wohnmobil bzw. ein Wohnwagen, der zeitweise vermietet wird, dadurch aus, dass wechselnde Gäste darin für eine befristete Zeit wohnen, sei es zu Arbeitsaufenthalten (bspw. Saisonarbeiter, Arbeiter auf Montage) oder zu touristischen Zwecken. Allein der Aspekt der Mobilität des Wohnmobils im Unterschied zur Hotelunterkunft – also der Umstand, dass ein Wohnwagen grundsätzlich mithilfe eines Pkw bzw. ein Wohnmobil aus eigener Motorkraft im Straßenverkehr zum Reisen benutzt und zu wechselnden Standorten bewegt werden kann – steht der Vergleichbarkeit zu einer Hotelunterbringung aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers nicht entgegen.
Motorisierung spielt keine Rolle
Das OLG sieht zwar, dass ein Wohnmobil gerade durch die Motorisierung deutlich teurer ist als ein Wohnwagen. Darauf kommt es im Rahmen der Erstattung der Unterbringungskosten aber nicht an.
Der Versicherungsnehmer muss keine dem Wohnungsstandard entsprechende Unterkunft finden. Er ist in der Wahl der Unterkunft grundsätzlich frei und darf sich dabei von persönlichen Bedürfnissen und privaten Befindlichkeiten leiten lassen. Bis zur Höhe der vertraglich vereinbarten Grenzen besteht der zugesagte Versicherungsschutz. Danach sind Kosten für das Mieten eines Wohnmobils als Kosten einer ähnlichen Unterbringung, wie Hotelkosten, grundsätzlich im Sinne der Versicherungsbedingungen für die Hausratversicherung (nach Abschnitt A. § 8 Nr. 1 c VHB 2014) erstattungsfähig.
Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger das Wohnmobil nicht als Wohnraumersatz, sondern etwa zu Reisezwecken angemietet haben, hat der Versicherer nicht konkret vorgetragen. Sie ergaben sich für das OLG auch nicht aus dem Akteninhalt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 5.12.2023, 9 U 46/23
| Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf hat entschieden: Der Versicherer muss die Kosten für die Versorgung mit Medizinal-Cannabis nicht tragen, wenn der Versicherungsnehmer an der Glasknochenkrankheit leidet. |
Konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft?
Der Versicherungsnehmer meinte, dass konventionelle Behandlungsmethoden ausgeschöpft seien. Es liege zumindest eine schwere Erkrankung mit wesentlichen Funktionseinschränkungen vor. Daher müsse der Versicherer die medizinisch notwendige Heilbehandlung durch Medizinal-Cannabis übernehmen.
Der Versicherer entgegnete: Bei akut auftretenden Schüben sei Cannabis wegen seiner „Behandlungsträgheit“ nicht geeignet. Das Landgericht (LG) war dem gefolgt und hatte in erster Instanz die Klage des Versicherungsnehmers abgewiesen.
Oberlandesgericht sieht es wie der Versicherer
Das OLG hat dies bestätigt. Der Versicherungsnehmer habe nach dem Versicherungsvertrag einen Leistungsanspruch, wenn es sich bei der Behandlung seiner Beschwerden um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung handelt, die entweder von der Schulmedizin überwiegend anerkannt ist oder es sich um eine Methode oder ein Arzneimittel handelt, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen. Diese Voraussetzungen lägen hier aber nicht vor.
Zwar leide der Versicherungsnehmer unter einem schweren, multilokulären generalisierten Schmerzsyndrom bei Glasknochenkrankheit und bei entsprechender Symptomatik komme die Erstattung von Medizinal-Cannabis grundsätzlich in Betracht. Wesentliche gelenkarthrotische Veränderungen seien jedoch ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens nicht feststellbar. Weitere Befunde, die den Vortrag zu seinen körperlichen Beschwerden – insbesondere der behaupteten Vielzahl von Brüchen – stützen könnten, habe der darlegungs- und beweisbelastete Versicherungsnehmer ebenfalls nicht vorgelegt.
Die Behandlung der beim Versicherungsnehmer feststellbaren Symptomatik mit Medizinal-Cannabis sei nach heutiger medizinischer Einschätzung und aktuellem Wissensstand nicht als von der Schulmedizin allgemein anerkannte Methode anzusehen. Auch sei sie keine Methode, die sich in der Praxis als ebenso Erfolg versprechend bewährt habe wie die Methoden und Arzneimittel der Schulmedizin. Der gerichtlich bestellte Sachverständige habe ausgeführt, mangels ausreichender Datenlage könne nicht festgestellt werden, dass die Therapie mit Medizinal-Cannabis eine entsprechende Linderung der im Zusammenhang mit der Glasknochenkrankheit stehenden Schmerzsymptomatik verspreche. Schließlich seien schulmedizinisch sowohl nichtmedikamentöse als auch verschiedene medikamentöse Behandlungen verfügbar. Der Versicherungsnehmer habe nicht nachgewiesen, dass diese Behandlungsmethoden bei ihm nicht wirksam seien oder gravierende Nebenwirkungen verursachten.
Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2023, I-13 U 222/22
| Der Vermieter ist verpflichtet, dem Mieter auf dessen Verlangen Einsicht in die Abrechnungsbelege zu gewähren und diese in einer geordneten Form vorzulegen. Es ist nicht Aufgabe des Mieters, die Belege selbstständig zu ordnen. So entschied es das Amtsgericht (AG) Münster. |
Die Wohnungsmieter hatten Einsicht in die Belege zu den Betriebskostenabrechnungen von 2018 bis 2020 verlangt. Die Vermieterin legte die Unterlagen ungeordnet, weder thematisch noch chronologisch stringent sortiert, vor. Daher weigerten sich die Mieter, die Nachforderungen aus den Abrechnungen auszugleichen.
Die Zahlungsklage der Vermieterin hatte keinen Erfolg. Sie habe keinen Anspruch auf die Nachzahlungen, da den Mietern ein Zurückbehaltungsrecht zustehe. Die Vermieterin habe keine umfassende Belegeinsicht gewährt.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 259 Abs. 1 BGB) bedürfe es einer geordneten Zusammenstellung der Abrechnungsbelege, so das AG. Das umfasse eine zweckmäßige und übersichtliche Aufgliederung in Abrechnungsposten.
Dabei sei auf einen juristisch und betriebswirtschaftlich ungeschulten Mieter abzustellen. Anderenfalls könne der Mieter sein Prüfungsrecht nicht sinnvoll ausüben. Der Mieter sei nicht verpflichtet, die Belege selbstständig zu ordnen oder Zusammenhänge in den Rechnungen fortlaufender Verträge zu erkennen.
Quelle | AG Münster, Urteil vom 25.10.2023, 38 C 1947/22
| Das Landgericht (LG) Hanau hat entschieden, dass ein Vermieter in einem Gebäude mit nur zwei Wohnungen dem Mieter der zweiten Wohnung nicht ohne besonderen Grund kündigen kann, wenn er selbst die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr nutzt. |
Vermieterin wohnte überwiegend im Ausland
Zwischen der hauptsächlich im Ausland lebenden Vermieterin und den Mietern besteht ein Mietvertrag über eine Wohnung in einem Haus mit nur zwei Wohneinheiten. Sie selbst nutzt die andere Wohnung nur wochenweise im Jahr. Die Vermieterin hat die Kündigung nach § 573 a BGB ausgesprochen. Nach dieser Vorschrift kann der Vermieter ein Mietverhältnis über eine Wohnung in einem vom ihm selbst bewohnten Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen jederzeit ohne Grund beenden. Die Mieter halten die Kündigung für unwirksam, weil die Vermieterin die andere Wohnung nicht im Sinne der Vorschrift bewohne. Das Amtsgericht (AG) ist dieser Auffassung gefolgt und hat die Räumungsklage abgewiesen.
Lebensmittelpunkt erforderlich
Das LG hat die Berufung der Vermieterin zurückgewiesen. Für die erleichterte Kündigung nach § 573 a BGB reiche es nicht aus, dass der Vermieter die zweite Wohnung in dem Haus lediglich zusätzlich nutze, selbst, wenn das vereinzelt, wie für das Jahr 2021 behauptet, insgesamt 40 Wochen seien. Er müsse vielmehr seinen Lebensmittelpunkt in der Wohnung haben. Eine enge Auslegung der Vorschrift sei insbesondere deshalb geboten, weil diese es ermögliche, den Mietvertrag mit dem ansonsten von dem Gesetz erheblich geschützten Wohnraummieter zu beenden, ohne dass der Mieter eine Pflichtverletzung begangen oder der Vermieter sonst ein besonderes Interesse hieran habe.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | LG Hanau, Urteil vom 15.11.2023, 2 S 107/22, PM vom 8.2.2024
| Dass ein Testament nicht zwingend auf einem weißen Blatt Papier entstehen muss, zeigt ein Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg. Es ging letztlich darum, ob jemand Erbe geworden war oder nicht. |
Gastwirt verstarb – Testament auf „Kneipenblock“
Verstorben war ein Gastwirt aus dem Landkreis Ammerland. Seine Partnerin sah sich als Erbin und beantragte, einen Erbschein zu erteilen. Als Testament legte sie dem Gericht einen Kneipenblock vor, den sie im Gastraum hinter der Theke aufgefunden habe. Dort war unter Angabe des Datums und einer Unterschrift auch der Spitzname einer Person („X“) vermerkt. Auf dem Zettel hieß es lediglich „X bekommt alles“.
Amtsgericht: Testierwille fehlte
Das Amtsgericht (AG) sah die Partnerin nicht als Erbin an. Es war der Auffassung, dass nicht sicher feststellbar sei, dass mit dem Kneipenblock ein Testament errichtet werden sollte. Daher fehle der für ein Testament erforderliche Testierwille.
Oberlandesgericht: Testament wirksam
Der auf das Erbrecht spezialisierte Senat des OLG gelangte zu einer anderen Bewertung. Der handschriftliche Text auf dem Zettel sei ein wirksames Testament.
Das OLG war aufgrund der Einzelheiten des Verfahrens überzeugt, dass der Erblasser das Schriftstück selbst verfasst hatte und dass er mit dem genannten Spitznamen allein seine Partnerin gemeint habe. Auch, dass der Erblasser mit der handschriftlichen Notiz seinen Nachlass verbindlich regeln wollte, stand für den Senat aufgrund von Zeugenangaben fest.
Dass sich die Notiz auf einer ungewöhnlichen Unterlage befinde, nicht als Testament bezeichnet und zudem hinter der Theke gelagert war, stehe der Einordnung als Testament nicht entgegen. Zum einen sei es eine Eigenart des Erblassers gewesen, für ihn wichtige Dokumente hinter dem Tresen zu lagern. Zum anderen reiche es für die Annahme eines Testaments aus, dass der Testierwille des Erblassers eindeutig zu ermitteln sei und die vom ihm erstellte Notiz seine Unterschrift trage. Das OLG stellte die Partnerin daher als rechtmäßige Erbin fest.
Quelle | OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.12.2023, 3 W 96/23, PM 10/24
| Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund bewilligte der Klägerin eine Altersrente. Einen Grundrentenzuschlag nach dem Sozialgesetzbuch VI (hier: § 76 g SGB VI) für langjährige Versicherung berücksichtigte sie nicht, weil das anzurechnende Einkommen des Ehemannes höher als der Zuschlag war. Zu Recht, wie das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen nun bestätigte. |
Klägerin rügte Grundrechtsverstoß
Die Klägerin rügte, dass die Einkommensanrechnung gemäß § 97 a Abs. 1 SGB VI gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes verstoße. Verheiratete und unverheiratete Menschen würden ungleich behandelt und durch den Familienstand „verheiratet“ benachteiligt, weil das Gesetz eine Einkommensanrechnung bei unverheirateten Personen nicht vorsehe. Das SG wies die Klage durch Gerichtsbescheid ab.
Landessozialgericht: kein Grundrechtsverstoß
Die dagegen gerichtete Berufung hat das LSG nun zurückgewiesen. Die von der Beklagten angewandte gesetzliche Regelung sei nicht verfassungswidrig. Der Nachteil der Einkommensanrechnung werde bei Gesamtbetrachtung aller an die Ehe bzw. eingetragenen Lebenspartnerschaft anknüpfenden Regelungen sowohl in der gesetzlichen Rentenversicherung als auch in anderen Regelungsbereichen im Ergebnis ausgeglichen.
Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs
Dabei sei zudem zu berücksichtigen, dass das Ziel der Grundrente nach dem Willen des Gesetzgebers neben der Anerkennung der Lebensarbeitsleistung eine bessere finanzielle Versorgung von langjährig Versicherten sei. Dieses Ziel werde erreicht. Dem Grundrentenberechtigten verbleibe bei Einbeziehung des Einkommens des Ehegatten ein Einkommen oberhalb des Grundsicherungsbedarfs. Er stehe besser da als jemand, der wenig oder gar nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung verpflichtend versichert gearbeitet habe und entsprechend wenig oder gar nicht in diese eingezahlt habe.
Das gelte zwar auch für jemanden, der in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit jemandem zusammenlebe, der entsprechende Einkünfte habe. Allerdings seien Ehepartner aufgrund der unterhaltsrechtlichen wechselseitigen Verpflichtung wirksamer als in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft versorgt.
Quelle | LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.1.2024, L 18R 707/22, PM vom 15.3.2024
| Allein mit der Rüge, es seien nicht alle in § 34 HOAI aufgeführten Grundleistungen erbracht worden, kann der Auftraggeber das Architektenhonorar nicht wirksam mindern. Die Bezeichnung „im Allgemeinen erforderlich“ in § 3 Abs. 3 HOAI soll nämlich klarstellen, dass nicht alle in den Leistungsbildern aufgeführten Leistungen bei jedem Objekt notwendig sind, um die Vertragsziele zu erreichen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Celle. |
Maßgeblich sind die vertraglichen Vereinbarungen
Maßgeblich sind nach dem OLG nicht die in der HOAI genannten Leistungsbilder, sondern die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Was ein Planer vertraglich schuldet, ergibt sich aus dem Vertrag, in der Regel also aus dem Recht des Werkvertrags. Der Inhalt dieses Vertrags ist nach den allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Vertragsrechts zu ermitteln.
Die HOAI enthält keine normativen Leitbilder für den Inhalt von Architekten- und Ingenieurverträgen. Die in der HOAI geregelten „Leistungsbilder“ sind Gebührentatbestände für die Berechnung des Honorars der Höhe nach.
Daraus folgt, dass es sich bei den Vorgaben des § 34 Abs. 3 und Anlage 10.1 HOAI nicht um eine abschließende Darstellung, sondern um eine Auslegungshilfe handelt.
Es müssen nicht stets alle Grundleistungen erbracht werden
Die in Anlage 10.1 aufgeführten Grundleistungen sind nicht alle zwingend für einen vollständigen Honoraranspruch zu erbringen, wenn dies für den vereinbarten Leistungsumfang nicht erforderlich ist. Dies ergibt sich auch aus § 3 Abs. 2 S. 1 HOAI, wonach die in den Leistungsbildern erfassten Grundleistungen im Allgemeinen zur ordnungsgemäßen Erfüllung eines Auftrags erforderlich sind.
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass nicht immer alle in der jeweiligen Leistungsphase aufgeführten Grundleistungen zur Lösung der jeweiligen konkreten Planungsaufgabe zwingend erbracht werden müssen. Sind bestimmte Grundleistungen nicht zur Lösung der konkreten Planungsaufgabe erforderlich, führt es nicht zu einer Honorarkürzung, wenn diese – nicht erforderlichen – Leistungen nicht erbracht wurden.
Quelle | OLG Celle, Urteil vom 7.2.2024, 14 U 12/23
| In letzter Zeit häufen sich die Entscheidungen dazu, dass es nicht zu den Aufgaben des Architekten gehört, Rechtsfragen zu bearbeiten. Jetzt hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt eine neue Variante hinzugefügt und sich klar positioniert. |
Das OLG: Ob eine Nachtragsforderung des bauausführenden Unternehmers berechtigt ist, liegt außerhalb der Fragestellungen, für deren Richtigkeit der Architekt mit seiner Rechnungsprüfung im Verhältnis zum Auftraggeber einzustehen hat.
Quelle | OLG Frankfurt, Beschluss vom 2.3.2023, 21 U 69/21
| Ein Architekt, der bei der Gebäudesanierung seine Kunden nicht nur in technischer Hinsicht berät, sondern auch Ratschläge zum Erhalt von Fördermitteln erteilt, muss für Schäden einstehen, wenn er die Fördervoraussetzungen fehlerhaft einschätzt. So hat es das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Empfehlung des Architekten
Die Frau hatte sich zusammen mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann dazu entschlossen, ihr Mehrfamilienhaus energetisch sanieren zu lassen und wollte dafür möglichst auch Fördermittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) erhalten. Sie ließ sich dahingehend von einem Architekten beraten, der auch Leistungen im Bereich der Energieberatung anbietet. Dieser empfahl, das Objekt in Wohnungseigentum umzuwandeln, da dies eine Voraussetzung für die Gewährung von KfW-Fördermitteln im Rahmen des Programms „Energieeffizient Sanieren“ sei.
KfW verweigerte Fördermittel
Entsprechend der Beratung des Architekten stellte das Ehepaar den Antrag auf die Fördermittel, noch bevor die Umwandlung des Hauses in Wohnungseigentum vollzogen war. Nachdem die Sanierungsarbeiten durchgeführt und die Umwandlung in Wohnungseigentum abgeschlossen waren, rief das Ehepaar die Fördermittel ab. Die KfW verweigerte jedoch die Auszahlung, da nach den Förderbedingungen nur Eigentümer von bestehenden Eigentumswohnungen antragsberechtigt seien; eine Umwandlung in Wohnungseigentum erst nach Antragstellung genüge dagegen nicht. Die nun entgangenen Vorteile verlangten die Eigentümer von dem Architekten ersetzt.
Architekt erbrachte Rechtsdienstleistung
Das LG gab der Klage statt. Der Architekt habe nicht nur auf technischer Ebene zugearbeitet, sondern mit seiner beratenden Tätigkeit zu den Fördervoraussetzungen der geplanten Sanierungsmaßnahme eine sogenannte Rechtsdienstleistung erbracht. Da die Information über die Voraussetzungen für die KfW-Förderung der geplanten Maßnahme unzureichend gewesen sei, habe er seine Schutzpflichten aus dem Beratungsvertrag verletzt. Hätten die Eheleute den Antrag erst nach der Umwandlung in Wohnungseigentum gestellt, hätten sie die Fördermittel erhalten. Den daraus entstandenen Schaden muss der Architekt nun erstatten.
Das LG: Der Architekt kann sich im Nachhinein nicht darauf berufen, er arbeite im Rahmen der Energieberatung nur auf technischer Ebene.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 25.1.2024, 7 O 13/23, PM vom 28.3.2024
| Ein ehemaliger Polizist hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Hautkrebserkrankung als Berufskrankheit infolge früher wahrgenommener Tätigkeiten u. a. im Streifendienst. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Aachen entschieden. |
Der Kläger begründete, er sei während seiner nahezu 46-jährigen Dienstzeit zu erheblichen Teilen im Außendienst eingesetzt gewesen, ohne dass sein Dienstherr ihm Mittel zum UV-Schutz zur Verfügung gestellt oder auch auf die Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen hingewiesen habe. Infolgedessen leide er unter Hautkrebs am Kopf, im Gesicht und an den Unterarmen.
Das VG hat die Ablehnung der Anerkennung als Berufskrankheit bestätigt, denn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Dienstunfall lägen hier nicht vor. Erforderlich ist im Fall von Hautkrebs durch UV-Strahlung, dass der Betroffene bei der Ausübung seiner Tätigkeit der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt ist, d. h. das Erkrankungsrisiko aufgrund der dienstlichen Tätigkeit in entscheidendem Maß höher als das der Allgemeinbevölkerung ist. Davon kann bei Polizeibeamten im Außendienst nicht die Rede sein. Polizisten bewegen sich in unterschiedlichen örtlichen Begebenheiten und nicht nur bei strahlendem Sonnenschein im Freien.
Quelle | VG Aachen, Urteil vom 15.4.2024, 1 K 2399/23, PM vom 15.4.2024
| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW hat entschieden: Eine Entschädigung wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) scheidet aus, wenn der Bewerber eine klassische kaufmännische Ausbildung hat, die nicht mit der Laufbahn des mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienstes (Bundeswehrverwaltung) vergleichbar ist. Hat der Bewerber später nicht entsprechend seiner Qualifikation gearbeitet, sammelt er auch keine Zeiten „hauptberuflicher Tätigkeit“. |
Kläger erhielt keine Einladung zum Vorstellungsgespräch
Der Kläger bewarb sich auf die o. g. Stelle und wurde nicht eingeladen. Vor dem Verwaltungsgericht (VG) klagte er auf eine Entschädigung nach dem AGG (hier: § 15 Abs. 2 S. 1 AGG) und unterlag. Seinen Antrag auf Zulassung der Berufung wies das OVG zurück. Zu Recht habe das VG ausnahmsweise eine Einladung eines schwerbehinderten Menschen durch einen öffentlichen Arbeitgeber als entbehrlich angesehen. Denn die fachliche Eignung fehlte offensichtlich.
Wesentliche Unterschiede in der Ausbildung
Der Kläger hatte eine Ausbildung zum Kaufmann in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft absolviert. Deren Inhalte unterschieden sich wesentlich von denen, die im Vorbereitungsdienst für den mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienst in der Bundeswehrverwaltung vermittelt würden und allein zur Laufbahnbefähigung für den mittleren Dienst führen könnten. Das VG verglich insoweit die Ausbildung des Klägers mit den Anforderungen des fachspezifischen Vorbereitungsdienstes. Er konnte auch nicht nachweisen, dass seine späteren hauptberuflichen Tätigkeiten seiner Qualifikation entsprachen bzw. anzuerkennen seien. Hier wäre ein Zeitraum von mindestens einem Jahr und sechs Monaten notwendig gewesen. Er hatte auf verschiedenen Stellen überwiegend einfache Büro- und Verwaltungsarbeiten ausgeführt, die häufig nicht einmal eine kaufmännische Ausbildung voraussetzten.
Quelle | OVG NRW, Urteil vom 8.5.2023, 1 A 3340/20
| Die gesetzliche Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz bei Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen. Zu den Arbeitsunfällen gehören auch Unfälle auf dem Weg von und zur Arbeit, die sogenannten Wegeunfälle. Auch ein Abweichen von dem direkten Arbeitsweg kann unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich unfallversichert sein. Dabei muss aber ein ausreichender Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit bestehen bleiben. Eine solche Ausnahme kommt gesetzlich etwa für einen vom Arbeitsweg abweichenden Weg in Betracht, um ein Kind wegen der beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen. In einem solchen Zusammenhang hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg nun eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen. |
Begleitung auf dem Schulweg
Die Klägerin hatte ihre Tochter im Grundschulalter zu einem Sammelpunkt auf dem Schulweg begleitet, an dem sich eine Gruppe von Mitschülern für den restlichen Weg traf. Dieser Sammelpunkt lag, von der Wohnung der Klägerin aus gesehen, in entgegengesetzter Richtung zu ihrer Arbeitsstätte. Auf dem Weg von dem Sammelpunkt zu ihrer Arbeit, aber noch vor Erreichen des Wegstücks von ihrer Wohnung zur Arbeit, wurde die Klägerin – als sie trotz einer roten Fußgängerampel eine Straße überquerte – von einem PKW erfasst. Sie erlitt unter anderem eine Gehirnerschütterung und verschiedene Knochenbrüche.
Nachdem die zuständige gesetzliche Unfallversicherung die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ablehnte, bekam die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Stuttgart zunächst recht. Sie hatte insbesondere geltend gemacht, dass die Begleitung ihrer Tochter aus Sicherheitsgründen erforderlich gewesen sei.
Landessozialgericht: Kein Arbeitsweg
Auf die Berufung des Unfallversicherungsträgers hat das LSG Baden-Württemberg die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Ein Arbeitsunfall setze, wie der zuständige Senat klargestellt hat, u. a. voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei. Die Klägerin habe sich zwar im Unfallzeitpunkt objektiv auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstätte befunden. Dies sei aber nicht hinreichend, denn das Überqueren der Straße am Unfallort zum Unfallzeitpunkt sei nicht auf dem direkten Weg zum Ort der versicherten Tätigkeit erfolgt, sodass der erforderliche sachliche Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit fehle.
Entscheidend: nicht Umweg, sondern Abweg
Bewege sich der Versicherte – wie vorliegend die Klägerin – nicht auf einem direkten Weg in Richtung seines Ziels, sondern in entgegengesetzter Richtung von diesem fort, handele es sich eben nicht um einen bloßen Umweg, sondern um einen Abweg. Werde der direkte Weg mehr als geringfügig unterbrochen und ein solcher Abweg allein aus eigenwirtschaftlichen, also nicht betrieblichen Gründen – ebenfalls wie vorliegend – zurückgelegt, bestehe kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Klägerin habe auch bis zum Eintritt des Unfallereignisses die unmittelbare Wegstrecke zwischen ihrer Wohnung und der Arbeitsstätte noch nicht wieder erreicht. Der Wegeunfallversicherungsschutz sei damit zum Unfallzeitpunkt noch nicht erneut begründet worden.
Keine Ausnahme gegeben
Es liege auch kein ausnahmsweise versicherter Abweg vor. Die Klägerin habe ihre Tochter nicht – wie für den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz insoweit erforderlich – zum Sammelpunkt begleitet, um ihrer Beschäftigung nachzugehen, sondern allein und ausschließlich aus allgemeinen Sicherheitserwägungen zum Schutz der Tochter. Damit fehle vorliegend jeglicher sachlich-inhaltlich kausaler Zusammenhang zwischen der Beschäftigung der Klägerin und dem Begleiten der Tochter. Denn erfasst würden keine Fälle, in denen das Kind in fremde Obhut unabhängig davon verbracht werde, ob der Versicherte seine Beschäftigung alsbald aufnehmen wolle. Schließlich stelle auch die Begleitung der Tochter zu einem Sammelpunkt der Kinder-„Laufgruppe“, von wo aus die Grundschulkinder gemeinsam den Schulweg beschritten, schon kein „Anvertrauen in fremde Obhut“ im Sinne des Gesetzes dar.
Beachten Sie | Wenn ein Unfall – wie in dem dargestellten Fall – nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung erfasst ist, wird Versicherungsschutz typischerweise durch die – gesetzliche oder private – Krankenversicherung gewährleistet. Auch sind Schülerinnen und Schüler allgemein- und berufsbildender Schulen während des Schulbesuchs sowie auf dem Schulweg gesetzlich unfallversichert.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.2.2022, L 10 U 3232/21, PM vom 19.3.2024
| Der Bundesfinanzhof hat entschieden: Kostenerstattungen eines kirchlichen Arbeitgebers an seine Beschäftigten für die Erteilung erweiterter Führungszeugnisse, zu deren Einholung der Arbeitgeber zum Zwecke der Prävention gegen sexualisierte Gewalt kirchenrechtlich verpflichtet ist, führen nicht zu Arbeitslohn. |
Die Einholung der erweiterten Führungszeugnisse durch die Arbeitnehmer erfolgte aufgrund einer nur die kirchlichen Rechtsträger, nicht aber die Arbeitnehmer treffenden (kirchenrechtlichen) Verpflichtung.
Durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasste, zu Lohn führende Zuwendungen erbringt der Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern aber regelmäßig nicht, wenn er ausschließlich eine eigene, insbesondere nicht gegenüber den Arbeitnehmern bestehende Verpflichtung erfüllt.
Die zur Erfüllung einer entsprechenden Verpflichtung entstehenden Kosten wendet der Arbeitgeber in einer solchen Konstellation im eigenen Interesse auf. Sie sind Ausfluss seiner eigenbetrieblichen Tätigkeit.
Beachten Sie | Haben die Arbeitnehmer die vom Arbeitgeber für dessen eigenbetriebliche Tätigkeit zu tragenden Kosten (wie im Streitfall) zunächst aus eigenen Mitteln verauslagt, wendet der Arbeitgeber ihnen mit der Erstattung ihrer Aufwendungen keinen Vorteil zu, der sich im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweisen könnte.
Quelle | BFH, Urteil vom 8.2.2024, IV R 19/22
| Nach dem neuen Partnerschaftsgesetz (hier: § 2 Abs. 1 PartGG), das am 1.1.2024 in Kraft getreten ist, muss der Name der Partnerschaft nur noch den Zusatz „und Partner“ oder „Partnerschaft“ enthalten. Die Aufnahme des Namens mindestens eines Partners ist nicht mehr erforderlich. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Der Zwang zur Benennung mindestens eines Partners ist zum Jahreswechsel entfallen. Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass die grundsätzlich zu schützende Vertrauensbeziehung zwischen Freiberufler und Auftraggeber es jedenfalls aus gesellschaftsrechtlicher Sicht nicht erfordert, dass der Name der Partnerschaftsgesellschaft den Namen mindestens eines Partners enthalten muss. Hinzu kommt, dass die Identifizierung der Partnerschaftsgesellschaft mit dem Namen der Partner weitgehend an Bedeutung verloren hat.
Quelle | BGH, Beschluss vom 6.2.2024, II ZB 23/22
| Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken bestätigte, dass in einer Tageszeitung anlässlich einer damals anstehenden Neuwahl des Ortsvorstehers zulässig über die erstinstanzliche strafrechtliche Verurteilung eines lokalen Bauunternehmers berichtet worden sei, der mit zwei der Kandidaten verwandt ist. |
Das war geschehen
Eine große pfälzische Tageszeitung berichtete in ihrer Online-Ausgabe vom 30.6.2023 und in ihrer Print-Ausgabe vom 1.7.2023 über die damals anstehende Neuwahl eines Ortsvorstehers. Diese war notwendig geworden, weil der bisherige Ortsvorsteher nach diversen Anfeindungen zurückgetreten war.
Im Artikel wurden die drei Kandidaten vorgestellt und dabei erwähnt, dass zwei der Kandidaten mit einem lokalen Bauunternehmer und Landwirt verwandt seien, dem Anwohner vorwerfen, für den stark angestiegenen Lkw-Verkehr im Ort verantwortlich zu sein. Dabei wurde auch berichtet, dass der Bauunternehmer erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung u. a. wegen Beleidigung, Nötigung, Bedrohung und versuchter gefährlicher Körperverletzung von Anwohnern verurteilt worden sei.
Auf eine Abmahnung des Bauunternehmers hin schwärzte die Zeitung das E-Paper und ergänzte den Online-Beitrag um den Hinweis, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig sei. Der Bauunternehmer verlangte hierauf im gerichtlichen Eilverfahren den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Zeitung, wonach sie den ihn betreffenden Bericht unterlassen sollte. Das Landgericht (LG) wies den Antrag zurück. Hiergegen hat der Bauunternehmer sofortige Beschwerde eingelegt. Diese wies das OLG zurück.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG begründete seine Entscheidung damit, dass es schon an der erforderlichen Eilbedürftigkeit für das beschrittene gerichtliche Eilverfahren fehle. Der Bauunternehmer habe mehr als fünf Wochen mit seinem Antrag gewartet und die Zeitung habe den Online-Artikel um den Zusatz, wonach das strafrechtliche Urteil noch nicht rechtskräftig sei, bereits ergänzt.
Zulässige Verdachtsberichterstattung
Unabhängig davon handele es sich um eine zulässige Verdachtsberichterstattung. Zwar könnten anhand der im Artikel genannten Einzelinformationen zumindest die Einwohner des betroffenen Ortsteils den Bauunternehmer identifizieren. Der Bericht beruhe aber auf wahren Tatsachen, nämlich die tatsächliche Verurteilung des Bauunternehmers. Außerdem werde zumindest durch den Zusatz klar, dass die Verurteilung auch noch nicht rechtskräftig sei.
Persönlichkeitsrecht vs. Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit
Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Bauunternehmers stehe nicht außer Verhältnis zum Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Es gehöre gerade zu den Aufgaben der Presse, in Zusammenhang mit demokratischen Prozessen zu berichten. Hierzu gehöre auch die Berichterstattung über den Hintergrund der Kandidaten, insbesondere deren verwandtschaftliche Beziehungen, da diese möglicherweise Einfluss auf zukünftige Entscheidungen der Kandidaten haben könnten. Sowohl der erhöhte Lkw-Verkehr im Ort, als auch die erstinstanzlich abgeurteilten Straftaten des Antragstellers zulasten der Anwohner seien von lokalem Interesse.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.10.2023, 4 W 23/23, PM vom 11.3.2024