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Arbeitsrecht

BGH-Entscheidung: Gutgläubiger Erwerb eines gebrauchten Fahrzeugs

| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden: Beruft sich der Erwerber eines gebrauchten Fahrzeugs auf den gutgläubigen Erwerb von einem Nichtberechtigten, muss der bisherige Eigentümer beweisen, dass der Erwerber sich die Zulassungsbescheinigung Teil II (früher: Kraftfahrzeugbrief) nicht hat vorlegen lassen. | 

Das war geschehen

Die Klägerin, eine Gesellschaft italienischen Rechts, die Fahrzeuge in Italien vertreibt, kaufte im März 2019 unter Einschaltung eines Vermittlers ein Fahrzeug von einem Autohaus, bei dem das Fahrzeug stand. Eigentümerin des Fahrzeugs war die Beklagte, die es an das Autohaus verleast hatte und die auch im Besitz der Zulassungsbescheinigung Teil II ist. Nach Zahlung des Kaufpreises von über 30.000 Euro holte der Vermittler Anfang April 2019 das Auto bei dem Autohaus ab und verbrachte es zu der Klägerin nach Italien. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dem Vermittler eine hochwertige Fälschung der Zulassungsbescheinigung Teil II vorgelegt wurde, in der das Autohaus als Halter eingetragen war. Als die Klägerin ein weiteres Fahrzeug von dem Autohaus kaufen wollte, war es geschlossen. Gegen den Geschäftsführer wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Betrugsverdachts in über 100 Fällen eingeleitet. 

Die Entscheidung des BGH

Die Klägerin kann von der Beklagten die Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II verlangen, weil sie Eigentümerin des Fahrzeugs geworden ist. Ursprüngliche Eigentümerin des Fahrzeugs war zwar die Beklagte. Zwischen der Klägerin und dem Autohaus hat aber eine Einigung und Übergabe im Sinne stattgefunden. Weil das Fahrzeug dem Autohaus als Veräußerer nicht gehörte, konnte die Klägerin das Eigentum durch diesen Vorgang allerdings nur gutgläubig erwerben. Dass die Klägerin nicht in gutem Glauben war, muss die Beklagte beweisen. Der Gesetzgeber hat die fehlende Gutgläubigkeit im Verkehrsinteresse bewusst als Ausschließungsgrund ausgestaltet. Derjenige, der sich auf den gutgläubigen Erwerb beruft, muss die Voraussetzungen eines solchen Erwerbs beweisen, nicht aber seine Gutgläubigkeit. 

Mindesterfordernisse für gutgläubigen Erwerb eines gebrauchten Kfz

Diese Beweislastverteilung gilt auch, wenn die fehlende Gutgläubigkeit des Erwerbers – wie hier – darauf gestützt wird, bei dem Erwerb des Fahrzeugs habe die Zulassungsbescheinigung Teil II nicht vorgelegen. Zwar gehört es nach ständiger Rechtsprechung des BGH regelmäßig zu den Mindesterfordernissen für einen gutgläubigen Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs, dass sich der Erwerber die Zulassungsbescheinigung Teil II vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen. Wird dem Erwerber eine gefälschte Bescheinigung vorgelegt, treffen ihn, sofern er die Fälschung nicht erkennen musste und für ihn auch keine anderen Verdachtsmomente vorlagen, keine weiteren Nachforschungspflichten. 

Bisheriger Eigentümer muss Fehlen des guten Glaubens beweisen

Diese Rechtsprechung ist aber nicht so zu verstehen, dass die Vorlage der Zulassungsbescheinigung Teil II von demjenigen zu beweisen wäre, der sich auf den gutgläubigen Erwerb beruft. Denn für die von dem Erwerber zu beweisenden Voraussetzungen des gutgläubigen Erwerbs spielt die Vorlage der Bescheinigung keine Rolle. Sie hat rechtliche Bedeutung nur im Zusammenhang mit dem guten Glauben des Erwerbers; dessen Fehlen muss der gesetzlichen Regelung zufolge der bisherige Eigentümer beweisen. 

Erwerber muss aber darlegen, dass er die Papiere überprüft hat

Allerdings trifft den Erwerber, der sich auf den gutgläubigen Erwerb beruft, regelmäßig eine sog. sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Vorlage und Prüfung der Zulassungsbescheinigung Teil II. Er muss also seinerseits vortragen, wann, wo und durch wen ihm die Bescheinigung vorgelegt worden ist und dass er sie überprüft hat. Dann muss der bisherige Eigentümer beweisen, dass diese Angaben nicht zutreffen. 

Quelle | BGH, Urteil vom 23.9.2022, V ZR 148/21, PM 138/2022

Gesellschafter und Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften: Offenlegung der Jahresabschlüsse 2021: Kein Ordnungsgeldverfahren vor 11.4.2023

| Die Offenlegungsfrist für den Jahresabschluss für 2021 endet bereits am 31.12.2022. Das Bundesamt für Justiz (BfJ) hat nun aber mitgeteilt, dass es vor dem 11.4.2023 kein Ordnungsgeldverfahren einleiten wird. Damit sollen angesichts der anhaltenden Nachwirkungen der Corona-Pandemie die Belange der Beteiligten angemessen berücksichtigt werden. | 

Unternehmensregister wird Bundesanzeiger ablösen

Offenlegungspflichtige Gesellschaften (insbesondere AG, GmbH und GmbH & Co. KG) müssen ihre Jahresabschlüsse spätestens zwölf Monate nach Ablauf des Geschäftsjahrs beim Bundesanzeiger elektronisch einreichen. Jahresabschlüsse sowie weitere Rechnungslegungsunterlagen und Unternehmensberichte sind letztmals für das vor dem 1.1.2022 beginnende Geschäftsjahr beim Bundesanzeiger einzureichen. Nachfolgende Geschäftsjahre sind zur Offenlegung an das Unternehmensregister zu übermitteln. Weitere Informationen hierzu finden Sie unter www.publikations-plattform.de. 

Ordnungsgeld droht

Bei nicht rechtzeitiger oder nicht vollständiger Offenlegung leitet das BfJ ein Ordnungsgeldverfahren ein. Das Unternehmen wird aufgefordert, innerhalb einer sechswöchigen Nachfrist den Offenlegungspflichten nachzukommen. Gleichzeitig wird ein Ordnungsgeld angedroht. 

Beachten Sie | Kleinstkapitalgesellschaften müssen nur ihre Bilanz einreichen (keinen Anhang und keine Gewinn- und Verlustrechnung). Zudem haben sie ein Wahlrecht: Offenlegung oder dauerhafte Hinterlegung. Hinterlegte Bilanzen sind nicht unmittelbar zugänglich; auf Antrag werden sie kostenpflichtig an Dritte übermittelt. 

Quelle | Mitteilung des BfJ unter www.iww.de/s7329

Corona-Pandemie: Kein Schadenersatz wegen Absage einer Messe

| Einer Ausstellerin stehen keine Schadenersatzansprüche wegen der im Februar 2020 erfolgten Verschiebung einer für den 8.3. bis 13.3.2020 geplanten Messe auf den Herbst 2020 sowie der vollständigen Absage dieser Messe am 5.5.2020 zu. Beide Entscheidungen waren im Hinblick auf das sich rasant und nicht prognostizierbar entwickelnde Pandemiegeschehen, der Verantwortung für die Gesundheit der Messeteilnehmer und der erheblichen wirtschaftlichen Interessen rechtmäßig, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. | 

Das war geschehen

Die Klägerin hatte mit der beklagten Messeveranstalterin einen Vertrag über die Teilnahme an der vom 8.3. bis 13.3.2020 geplanten Messe „Light + Building 2020“ geschlossen. Am 24.2.2020 hatte die Beklagte die Messe im Hinblick auf die Verbreitung des Corona-Virus zunächst auf September 2020 verschoben und letztlich am 5.5.2020 ganz abgesagt. Die bereits entrichteten Standgebühren zahlte sie der Klägerin zurück. Diese begehrt nun u. a. Schadenersatz in Höhe von knapp 75.000 Euro und verweist auf bereits vorgenommene Hotelreservierungen, PR-Maßnahmen, Miete des Messestands und statische Berechnungen. Das Landgericht (LG) hatte die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der Klägerin stehe kein Schadenersatzanspruch zu, bestätigte das OLG. 

Festhalten am Vertrag nicht zumutbar

Zu der zunächst vorgenommenen Verschiebung der Messe sei die Beklagte berechtigt gewesen. Ihr sei das Festhalten am ursprünglichen Vertrag nicht zumutbar gewesen. Bis zum 24.2.2020 hätten sich die Umstände, die Grundlage des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags geworden waren, so schwerwiegend geändert, dass die Parteien bei Kenntnis dieser veränderten Umstände den Vertrag nicht mehr mit dem alten Inhalt geschlossen hätten. Die „dynamische Entwicklung des Infektionsgeschehens mit dem Corona-Virus vom Jahreswechsel 2019/2020 bis zu ihrer Entscheidung am 24.2.2022, die dadurch bedingten erheblichen Unsicherheiten für die Durchführbarkeit der Veranstaltung und die Verantwortung für Gesundheit und das Leben aller an der Messe teilnehmenden (...) Personen“ hätten die Beklagte zur Verschiebung um ca. sechs Monate berechtigt. Die Entwicklung des Infektionsgeschehens sei rasant und sich stetig verschärfend verlaufen. 

Behördliches Verbot wäre wahrscheinlich gewesen

Unerheblich sei, dass am 24.2.2020 kein behördlich angeordnetes Verbot der Veranstaltung bestanden habe. Es habe vielmehr ausgereicht, dass ein behördliches Veranstaltungsverbot bei einer ex ante-Prognose hinreichend wahrscheinlich gewesen sei. Dies sei hier der Fall gewesen. Angesichts der Erklärung des Infektionsgeschehens zu einer Pandemie durch die WHO am 11.3.2020, des am 12.3.2020 erfolgten Verbots von Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Personen (wie hier) und des am 14.3.2020 verhängten vollständigen Verbots von Veranstaltungen wäre es allein vom Zufall abhängig gewesen, ob die Messe gerade noch hätte stattfinden können oder nicht. Die Beklagte habe auch in besonderer Weise die Gesundheit der Messeteilnehmer und die Verhinderung der Infektion einer unübersehbaren Zahl an Personen berücksichtigen dürfen. 

Keine Ausnahmegenehmigung möglich

Die endgültige Absage der Messe am 5.5.2020 sei ebenfalls rechtmäßig erfolgt. Nach der damals gültigen Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung hätte die Messe nur mit einer Ausnahmegenehmigung durchgeführt werden können. Diese wäre wohl nicht zu erlangen gewesen. Jedenfalls habe die Lage am 5.5.2020 wegen Störung der Geschäftsgrundlage die Beklagte zu der völligen Beseitigung des Vertragsverhältnisses berechtigt. Am 5.5.2020 sei die Durchführung von Messen bis zum 31.8.2020 verboten gewesen. 

Keine Prognose zu Ausweichtermin möglich, Absage war rechtmäßig

„Die Prognose, ob die Durchführung der Messe zu dem geplanten Ausweichtermin möglich sein würde und wenn ja, in welchem Umfang, (war) für die Beklagte angesichts der sich ständig überschlagenden und beinahe täglich erfolgenden Neueinschätzungen durch die verantwortlichen Politiker, das RKI und die Wissenschaft kaum zu treffen“, begründete das OLG weiter. Angesichts der wirtschaftlichen Interessen einer Vielzahl von Ausstellern und des Umstands, dass die drohenden Schäden mit der Kurzfristigkeit einer Absage immer größer würden, habe die Beklagte die alle zwei Jahre stattfindende Messe absagen dürfen. 

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann die Klägerin die Zulassung der Revision beim BGH begehren. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 7.9.2022, 4 U331/21, PM 73/22

BFH-Entscheidung: Umsatzsteuerpflicht bei 3.000 eBay-Verkäufen

| Veräußert ein Verkäufer auf jährlich mehreren hundert Auktionen Waren über die Internetplattform „eBay“, liegt eine nachhaltige und damit umsatzsteuerrechtlich unternehmerische Tätigkeit vor. Dies hat aktuell der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. | 

Ob die Umsätze eines „privaten“ eBay-Verkäufers der Umsatzsteuer unterliegen, ist mitunter schwierig zu beurteilen und hängt vom Gesamtbild der Verhältnisse ab. Im Streitfall erwarb die Steuerpflichtige bei Haushaltsauflösungen Gegenstände und verkaufte diese über einen Zeitraum von fünf Jahren in ca. 3.000 ebay-Versteigerungen und erzielte Einnahmen von ca. 380.000 Euro. Dies beurteilte der BFH als nachhaltige Tätigkeit im Sinne des Umsatzsteuergesetzes (hier: § 2 Abs. 1 UStG). 

Der BFH hat den Streitfall aber an die Vorinstanz zurückverwiesen. Diese muss nun (bisher fehlende) Feststellungen zur Differenzbesteuerung (nach § 25 a UStG) nachholen.  

Unter gewissen Voraussetzungen können Unternehmer die Differenzbesteuerung anwenden. Diese betrifft typischerweise Waren, die ein Wiederverkäufer von Nicht- oder Kleinunternehmern und damit ohne Umsatzsteuerausweis erworben hat. Die Umsatzbesteuerung ist hier auf die Marge, d. h., auf die Differenz zwischen dem Ein- und Verkaufspreis, beschränkt. 

Interessant an der Entscheidung des BFH ist vor allem, dass die Aufzeichnungspflichten (gemäß § 25 a Abs. 6 S. 1 UStG – insbesondere über Verkaufs- und Einkaufspreise) nicht zu den materiellen Voraussetzungen der Differenzbesteuerung gehören. Ein Verstoß gegen die Aufzeichnungspflichten führt deshalb nicht grundsätzlich zur Versagung der Differenzbesteuerung. Es ist dann vielmehr – ggf. zulasten des Wiederverkäufers – zu schätzen. 

Quelle | BFH, Urteil vom 12.5.2022, V R 19/20, PM Nr. 54/22 vom 10.11.2022

Werbungskosten: Entfernungspauschale: Ein Taxi ist kein öffentliches Verkehrsmittel

| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat aktuell entschieden, dass ein Arbeitnehmer für seine Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte (zumeist dessen üblicher Arbeitsplatz) auch bei Nutzung eines Taxis lediglich Aufwendungen in Höhe der Entfernungspauschale als Werbungskosten absetzen kann. | 

Aufwendungen eines Arbeitnehmers für Wege zwischen seiner Wohnung und seiner ersten Tätigkeitsstätte sind grundsätzlich pauschal in Höhe von 0,30 Euro für jeden Entfernungskilometer (ab dem 21. Kilometer: 0,38 Euro) anzusetzen – und zwar unabhängig davon, welches Verkehrsmittel genutzt wird. 

Beachten Sie | Eine Ausnahme gilt nach dem Einkommensteuergesetz (§ 9 Abs. 2 S. 2 EStG) jedoch bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln. Aufwendungen hierfür können angesetzt werden, soweit sie den im Kalenderjahr insgesamt als Entfernungspauschale abziehbaren Betrag übersteigen. 

Der BFH stellt bei seiner Entscheidung darauf ab, dass der Gesetzgeber bei Einführung der Ausnahmeregelung eine Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln im Linienverkehr (insbesondere Bus und Bahn) und damit ein enges Verständnis des Begriffs des öffentlichen Verkehrsmittels vor Augen hatte. Ein im Gelegenheitsverkehr genutztes Taxi zählt nach Meinung des BFH nicht zu den „öffentlichen Verkehrsmitteln“ im Sinne des Einkommensteuergesetzes, sodass die Ausnahmeregelung hier nicht greift. 

Quelle | BFH, Urteil vom 9.6.2022, VI R 26/20, PM Nr. 50/22 vom 3.11.2022

Inflationsausgleichsgesetz: Das ändert sich zum Jahreswechsel

| Der Bundesrat hat dem Inflationsausgleichsgesetz am 25.11.2022 zugestimmt. Angesichts der hohen Inflation wurden insbesondere das Kindergeld (für das erste, zweite und dritte Kind) und der Grundfreibetrag noch weiter angehoben, als ursprünglich geplant. | 

Grundfreibetrag und Unterhaltshöchstbetrag

Der steuerliche Grundfreibetrag, bis zu dessen Höhe keine Einkommensteuer gezahlt werden muss, steigt zum 1.1.2023 von derzeit 10.347 Euro auf 10.908 Euro. Für das Jahr 2024 erfolgt dann eine Anhebung auf 11.604 Euro. 

Beachten Sie | Der Unterhaltshöchstbetrag entspricht seit dem Jahr 2022 dem Grundfreibetrag. Dies bedeutet für 2022 eine nachträgliche Erhöhung von 9.984 Euro auf 10.347 Euro. 

Kalte Progression

Durch folgende Anpassungen sollen höhere Einkommen – trotz steigender Inflation – auch tatsächlich bei den Bürgern ankommen. Der Effekt der kalten Progression soll ausgeglichen werden. 

Die Tarifeckwerte wurden entsprechend der erwarteten Inflation nach rechts verschoben. Das bedeutet: Der Spitzensteuersatz „greift“ 2023 bei 62.810 Euro, statt bisher bei 58.597 Euro. 2024 wird er dann ab 66.761 Euro beginnen. 

Sehr hohe Einkommen (Reichensteuersatz) ab 277.826 Euro werden von der Anpassung indes ausgenommen. 

Familien und Solidaritätszuschlag

Die Kinderfreibeträge wurden schrittweise von 2022 bis 2024 erhöht (1.1.2022: 8.548 Euro; 1.1.2023: 8.952 Euro; 1.1.2024: 9.312 Euro). 

Beachten Sie | Das Kindergeld wird ab 2023 um monatlich 31 Euro für das erste und zweite Kind erhöht; für das dritte Kind erfolgt eine Erhöhung um 25 Euro. Damit beträgt das Kindergeld dann einheitlich 250 Euro im Monat. Da für das vierte und jedes weitere Kind keine Erhöhung erfolgen wird, bleibt es hier bei 250 Euro. 

Beachten Sie | Um „ein Hineinwachsen“ in den Solidaritätszuschlag zu verhindern, wurde die Freigrenze ab 2023 und 2024 angehoben. Es sollen weiterhin ca. 90 % der Steuerzahler vollständig vom Solidaritätszuschlag entlastet sein. 

Quelle | Inflationsausgleichsgesetz, BR-Drs. 576/22 (B) vom 25.11.2022; Die Bundesregierung: „Inflationsausgleich für 48 Millionen Menschen“ vom 10.11.2022

Jahressteuergesetz 2022: Homeoffice-Pauschale bleibt

| Der Bundestag hat das Jahressteuergesetz (JStG) 2022 am 2.12.2022 verabschiedet. Stimmt auch der Bundesrat in seiner Sitzung am 16.12.2022 zu, werden sowohl bei der Einkommen-, Umsatz- als auch Erbschaft-/Schenkungsteuer zahlreiche Änderungen zu berücksichtigen sein. Im Folgenden werden die Regelungen in Bezug auf die Einkommensteuer – hier die Tätigkeiten in der häuslichen Wohnung – vorgestellt. | 

Tätigkeiten im Arbeitszimmer und in der häuslichen Wohnung

Bislang sind Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer (z. B. Miete und Strom) wie folgt abzugsfähig: Bis zu 1.250 Euro jährlich, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht und ohne Höchstgrenze, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet. 

Homeoffice-Pauschale

Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt (z. B., weil die Tätigkeit im Wohnzimmer ausgeübt wird) oder verzichtet der Steuerpflichtige auf einen Abzug der Aufwendungen, kann ein Abzug für die betrieblich oder beruflich veranlassten Aufwendungen in pauschaler Form erfolgen. Diese im Zuge der Corona-Pandemie eingeführte Homeoffice-Pauschale beträgt derzeit 5 Euro für jeden Kalendertag, an dem der Steuerpflichtige seine gesamte Tätigkeit ausschließlich in der häuslichen Wohnung ausübt; maximal aber 600 Euro im Kalenderjahr. 

Der Abzug soll ab 2023 neu geregelt werden. Soweit der Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung im häuslichen Arbeitszimmer liegt, sollen (abweichend vom Regierungsentwurf) die Aufwendungen auch dann abziehbar sein, wenn für die Betätigung ein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Für Mittelpunktfälle sollen die Aufwendungen damit (wie bisher) in voller Höhe abziehbar bleiben. Anstelle des Abzugs der tatsächlichen Aufwendungen soll aber ein pauschaler Abzug in Höhe von 1.260 Euro möglich sein. Bei dieser Jahrespauschale (Kürzung um 1/12 für jeden vollen Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen nicht vorliegen) handelt es sich um einen personenbezogenen Betrag, weil er sich am Höchstbetrag der Tagespauschale (ab 2023: Erhöhung von 5 Euro auf 6 Euro) orientiert und Steuerpflichtige mit einem häuslichen Arbeitszimmer nicht schlechter gestellt sein sollen als solche, die nur die Tagespauschale abziehen können. 

Liegt der Mittelpunkt der Betätigung nicht im häuslichen Arbeitszimmer, steht den Steuerpflichtigen aber kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung, sollen sie die Tagespauschale abziehen können. Nach der Gesetzesbegründung muss somit künftig nur noch im „Mittelpunktfall“ der Typusbegriff des häuslichen Arbeitszimmers erfüllt sein. Liegen die Voraussetzungen für den Abzug der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht im gesamten Kalenderjahr vor und wird die Jahrespauschale gekürzt, kann für diesen Kürzungszeitraum die Tagespauschale zu gewähren sein. Die Tagespauschale in Höhe von 6 EUR soll auf einen jährlichen Höchstbetrag von 1.260 Euro gedeckelt werden (also maximal 210 Tage im Jahr). 

Beachten Sie | Der Abzug der Tagespauschale ist neben dem Abzug von Fahrtkosten für die Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte oder regelmäßiger Arbeitsstätte nur zulässig, wenn für die Betätigung dauerhaft kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Ein Abzug ist zulässig, wenn zusätzlich zu einer Auswärtstätigkeit die überwiegende Arbeitszeit in der häuslichen Wohnung verrichtet wird. 

Quelle | Jahressteuergesetz 2022 in der Fassung vom 30.11.2022, BT-Drs. 20/4729; Verabschiedung Bundestag am 2.12.2022

Hilfsbereitschaft: Gerissenes Abschleppseil: Wer gezogen wird, haftet

| Bei einem privaten Abschleppvorgang aus Hilfsbereitschaft riss die Abschleppöse beim gezogenen Fahrzeug ab. Infolge der Spannung schleuderte das Seil nach vorn und beschädigt das ziehende Fahrzeug. Wer muss in einem solchen Fall den Schaden begleichen? Das hat jetzt das Amtsgericht (AG) Regensburg entschieden. | 

Im Rechtsstreit ließ sich auch unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen nicht mehr klären, warum die Abschleppverbindung gerissen ist. Ein Fehler des einen oder des anderen Fahrers hatte weder eine Partei vorgetragen noch nachgewiesen. 

Das AG sah keine Haftungsbeschränkung auf grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz. Die Risiken eines solchen Vorgangs seien viel zu groß, als dass man von einem bloßen Gefälligkeitsverhältnis ausgehen könne. Weil beide Fahrer angaben, der Abschleppvorgang sei normal verlaufen, es sei insbesondere nicht zu heftig angefahren worden, ordnete das Gericht den Schadeneintritt für den Ziehenden als ein unabwendbares Ereignis ein. So blieb nur die Betriebsgefahr des geschleppten Fahrzeugs. Das überraschende Ergebnis: 100 Prozent Haftung zulasten des gezogenen Fahrzeugs. 

Quelle | AG Regensburg, Urteil vom 21.7.2022, 9 C 56/22

Immobiliar-Verbraucherdarlehen: (Kein) Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung

| Ein häufiger Streitpunkt, der die Gerichte beschäftigt, ist die von Banken geforderte Vorfälligkeitsentschädigung. Die Durchsetzung des Anspruchs auf Vorfälligkeitsentschädigung seitens der darlehensgebenden Bank setzt auch beim Immobiliar-Verbraucherdarlehensvertrag nicht voraus, dass die für die genaue Berechnung zugrunde zu legenden Größen bereits im Darlehensvertrag präzise definiert sind. Vielmehr genügt es, die wesentlichen Parameter in groben Zügen zu nennen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken. | 

Der Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung ist nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB) ausgeschlossen, wenn im Vertrag die Angaben über die Laufzeit des Vertrags, das Kündigungsrecht des Darlehensnehmers oder die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung unzureichend sind. Welche Angaben zur Berechnung erforderlich sind, ist allerdings weder gesetzlich noch abschließend in der Rechtsprechung geklärt. 

Das OLG hat daher klargestellt: Einer Differenzierung zwischen „Zinsbindungsfrist“ und „rechtlich geschützter Zinserwartung“ bedarf es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. 

Beachten Sie | Das in diesem Verfahren beklagte Kreditinstitut hatte die finanzmathematischen Rahmenbedingungen zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung skizziert und nach Ansicht des OLG sämtliche wesentlichen Parameter dargestellt, die nach allen ernsthaft vertretenen Ansichten gefordert werden. 

Diese sind:

  • der geschuldete Kreditbetrag und die Restlaufzeit bis zum Ende der Zinsbindung,  
  • die Differenz zwischen Darlehenszinssatz und der erzielten Wiederanlagerendite aus den zurückgeflossenen Darlehensmitteln,  
  • die schadensmindernd zu berücksichtigenden ersparten Verwaltungsaufwendungen und die eingesparte Risikomarge sowie  
  • die Abzinsung des auf dieser Grundlage ermittelten Schadens.

Quelle | OLG Stuttgart, Urteil vom 18.5.2022, 9 U 237/21

BGH-Entscheidung: Zulässigkeit einer negativen Bewertung bei eBay

| Bewertungen im Internet haben eine hohe Relevanz: Ob Kaufabsichten, Reisebuchungen oder Arztbesuche – nahezu alles wird anhand von Erfahrungsberichten und Bewertungen „abgecheckt“. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun über die Frage entschieden, unter welchen Voraussetzungen der Verkäufer, der ein Produkt über die Internetplattform eBay verkauft, einen Anspruch gegen den Käufer auf Entfernung einer abgegebenen negativen Bewertung hat. | 

Das war geschehen

Der Beklagte erwarb von der Klägerin über die Internetplattform eBay vier Gelenkbolzenschellen für 19,26 Euro brutto. Davon entfielen 4,90 Euro auf die dem Beklagten in Rechnung gestellten Versandkosten. Der Verkauf erfolgte auf der Grundlage der zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von eBay, denen die Parteien vor dem Geschäft zugestimmt hatten. Dort heißt es auszugsweise unter „§ 8 Bewertungen“, dass der Nutzer verpflichtet ist, in den abgegebenen Bewertungen ausschließlich wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Die von Nutzern abgegebenen Bewertungen müssen sachlich gehalten sein und dürfen keine Schmähkritik enthalten. Nach Erhalt der Ware bewertete der Beklagte das Geschäft in dem von eBay zur Verfügung gestellten Bewertungsprofil der Klägerin mit dem Eintrag „Ware gut,Versandkosten Wucher!!“. 

Bundesgerichtshof: Bewertung muss nicht entfernt werden

Der BGH hat nun entschieden, dass der Klägerin ein Anspruch auf Entfernung der Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ nicht zusteht, auch nicht unter dem vom Berufungsgericht herangezogenen Gesichtspunkt einer (nach-)vertraglichen Nebenpflichtverletzung. Anders, als das Berufungsgericht es gesehen hat, enthält der o. g. § 8 der eBay-AGB über die bei Werturteilen ohnehin allgemein geltende (deliktsrechtliche) Grenze der Schmähkritik hinaus keine strengeren vertraglichen Beschränkungen für die Zulässigkeit von Werturteilen in Bewertungskommentaren. 

Klausel ist nicht eindeutig: Was bedeutet „sachlich“?

Zwar ist der Wortlaut der Klausel nicht eindeutig. Für das Verständnis, dem dort enthaltenen Sachlichkeitsgebot solle gegenüber dem Verbot der Schmähkritik ein eigenständiges Gewicht nicht zukommen, spricht aber bereits der Umstand, dass hier genaue Definitionen zu dem unbestimmten Rechtsbegriff „sachlich“ in den AGB fehlen. Es liegt in diesem Fall im wohlverstandenen Interesse aller Beteiligten, die Zulässigkeit von grundrechtsrelevanten Bewertungen eines getätigten Geschäfts an den gefestigten Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Schmähkritik auszurichten und hierdurch die Anforderungen an die Zulässigkeit von Bewertungskommentaren für die Nutzer und eBay selbst möglichst greifbar und verlässlich zu konturieren. 

Zudem hätte es der gesonderten Erwähnung der Schmähkritikgrenze nicht bedurft, wenn dem Nutzer schon durch die Vorgabe, Bewertungen sachlich zu halten, eine deutlich schärfere Einschränkung hätte auferlegt werden sollen. Außerdem würde man der grundrechtlich verbürgten Meinungsfreiheit des Bewertenden von vornherein ein geringeres Gewicht beimessen als den Grundrechten des Verkäufers, wenn man eine Meinungsäußerung eines Käufers regelmäßig bereits dann als unzulässig einstufe, wenn sie herabsetzend formuliert ist und/oder nicht (vollständig oder überwiegend) auf sachlichen Erwägungen beruht. Eine solche, die grundrechtlichen Wertungen nicht hinreichend berücksichtigende Auslegung entspricht nicht dem an den Interessen der typischerweise beteiligten Verkehrskreise ausgerichteten Verständnis redlicher und verständiger Vertragsparteien. 

Grenze zur Schmähkritik war nicht überschritten

Die Grenze zur Schmähkritik ist durch die Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ nicht überschritten. Wegen seiner das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Wirkung ist der Begriff der Schmähkritik nach der Rechtsprechung des BGH eng auszulegen. Auch eine überzogene, ungerechte oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht, der jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll. 

Kritik in scharfer Form, aber keine Diffamierung

Daran fehlt es hier. Bei der Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ steht eine Diffamierung der Klägerin nicht im Vordergrund. Denn der Beklagte setzt sich – wenn auch in scharfer und möglicherweise überzogener Form – kritisch mit einem Teilbereich der gewerblichen Leistung der Klägerin auseinander, indem er die Höhe der Versandkosten beanstandet. Die Zulässigkeit eines Werturteils hängt nicht davon ab, ob es mit einer Begründung versehen ist. 

Quelle | BGH, Urteil vom 28.9.2022, VIII ZR 319/20, PM 141/22

Fluggastrechte: Trotz Insolvenz Beförderung aus Kulanz: Keine Ansprüche mehr

| Nach einer Insolvenz kulanzweise durchgeführte Beförderungen von Passagieren, die ihre Tickets vor der Insolvenz bezahlt haben, sind als „kostenlos“ im Sinne der EU-Fluggastrechte-VO zu werten. Fluggäste, die kostenlos reisen, haben keine Ansprüche nach der EU-Fluggastrechte-VO. Der bezahlte Flugpreis steht der Wertung als kostenlos nicht entgegen; er wandelt sich nach Insolvenzeröffnung in eine Insolvenzforderung. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat jetzt die landgerichtliche Entscheidung im Ergebnis bestätigt und Ausgleichsansprüche des Klägers abgelehnt. | 

Das war geschehen

Der Kläger buchte bei der Beklagten im April 2019 eine Flugreise von Frankfurt auf die Seychellen. Der Hinflug sollte am 3.1.2020 und der Rückflug am 4.4.2020 erfolgen. Im Dezember 2019 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet. Die Beklagte entschloss sich, aus Kulanz und, um ihren guten Ruf zu wahren, Passagiere mit vor der Insolvenzantragstellung bezahlten Tickets dennoch zu befördern. Der Hinflug wurde aufgrund eines technischen Defekts am Flugzeug um einen Tag verspätet durchgeführt. Den Rückflug buchte die Beklagte wegen der Corona-Pandemie mehrfach um. Vor dem letztlich für den 8.10.2020 in Aussicht gestellten Rückflug der Beklagten organisierte sich der Kläger am 1.8.2020 eine alternative Beförderung. Er begehrte nun Erstattung der Hotelkosten in Höhe von 4.000 Euro für die Zeit vom 4.4. bis 1.8.2020, hälftige Erstattung des Rückflugs und Entschädigung wegen des verzögerten Hinflugs. Das Landgericht (LG) hatte die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. 

Beförderungsanspruch wurde zu Insolvenzforderung

Der Kläger könne keinen Entschädigungsanspruch hinsichtlich des verzögerten Hinflugs und des mehrfach verschobenen Rückflugs nach der EU-Fluggastverordnung geltend machen. Wegen der Insolvenz der Beklagten sei der ursprüngliche Beförderungsanspruch zu einer Insolvenzforderung geworden; es habe nach der Insolvenzeröffnung daher kein durchsetzbarer Anspruch mehr auf Durchführung des Flugs bestanden. Die aus Kulanz gewährte Beförderung sei damit als „kostenlos“ im Sinne der Fluggastrechte-VO einzustufen. Fluggäste, die kostenlos reisten, seien von der Verordnung ausgenommen. Sie könnten keine Ausgleichsansprüche geltend machen. Ausgleichsansprüche, die keinen Vermögensschaden voraussetzten, sondern dem Ausgleich von „Ärgernissen und Unannehmlichkeiten“ dienten, bestünden nur im Fall der Entgeltlichkeit. 

BGH muss entscheiden

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entschiedenen Rechtsfrage hat das OLG die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 20.7.2022, 13 U 280/21, PM 71/22

Ortsübliche Vergleichsmiete: Keine separate Dusche, aber dennoch Duschmöglichkeit

| Das Fehlen einer separaten Dusche kann nicht mit einer fehlenden Duschmöglichkeit gleichgesetzt werden. So hat es das Amtsgericht (AG) Berlin-Mitte entschieden. | 

Es gab Streit um eine Mieterhöhung auf die ortsübliche Vergleichsmiete auf der Grundlage des Berliner Mietspiegels 2019. Im Badezimmer der Wohnung gab es eine Badewanne, in der eine Haltestange und ein Brausekopf montiert waren. Der Mieter behauptete, das Badezimmer verfüge über keine Duschmöglichkeit und widersprach der Mieterhöhung. Der Vermieter erhob Klage. 

Das AG gab ihm Recht. Durch das Fehlen einer separaten Dusche ist das wohnwertmindernde Merkmal „keine Duschmöglichkeit“ nicht erfüllt. Der Mieter mache zwar geltend, ohne Duschwand oder eine sonstige vergleichbare Ausstattung nur die Möglichkeit zu haben, im Sitzen zu duschen. Allerdings könne das Duschen in der Badewanne, auch wenn im Sitzen, nicht mit dem Fehlen einer Duschmöglichkeit gleichgesetzt werden. Denn die Badewanne sei mit einer Haltestange und einem Brausekopf ausgestattet. Das Duschen sei in dieser Form möglich. 

Quelle | AG Berlin-Mitte, Urteil vom 10.2.2022, 21 C 280/20

Testament: Hypothetischer Wille eines dementen Erblassers zugunsten eines früheren Lebenspartners

| Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg hat die Frage entschieden, ob der in einem Testament manifestierte Wille des Erblassers auch für den Fall gelten sollte, dass sich sein Lebensgefährte noch während seiner Demenzerkrankung einem anderen Lebenspartner zuwendet. | 

Der Antragsteller ist der ehemalige Lebensgefährte des Erblassers. Aus dessen mittlerweile geschiedenen früheren Ehe ist eine Tochter hervorgegangen. Der Erblasser hat den Antragsteller und seine Tochter mit Testament vom 5.6.2005 zu Erben eingesetzt. Am 17.10.2016 wurde der Erblasser aufgrund weit fortgeschrittener Demenz in eine Klinik eingeliefert und ab dem 15.11.2016 stationär in einer Pflegeeinrichtung betreut. Am 15.8.2020 heiratete der Antragsteller einen neuen Lebenspartner. Im Jahr 2021 verstarb der Erblasser. 

Die Tochter hat die am 5.6.2005 errichtete letztwillige Verfügung des Erblassers aufgrund eines Motivirrtums angefochten, soweit dort der Antragsteller zum Erben bestimmt ist. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass der Erblasser bei Kenntnis der Tatsache, dass der Antragsteller sich einem neuen Lebensgefährten zuwendet und diesen auch heiratet, sein Testament geändert hätte. Das Amtsgericht (AG) hingegen hat mit angefochtenem Beschluss die für die Erteilung des beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen zugunsten des Antragstellers als festgestellt angesehen. Dem ist das OLG gefolgt. 

Eine Verfügung von Todes wegen, durch die der Erblasser (u. a.) seinen Lebenspartner bedacht hat, sei zwar unwirksam, wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht. Eine Ausnahme gelte aber, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser die Verfügung auch für einen solchen Fall getroffen hätte. Dabei kommt es auf den hypothetischen Willen des Erblassers zur Zeit der Errichtung der Verfügung von Todes wegen an. Nach ausführlicher Würdigung der besonderen Umstände kam das OLG zu dem Schluss, dass vorliegend von einer derartigen Ausnahme auszugehen und die Verfügung noch wirksam sei. 

Quelle | OLG Oldenburg, Beschluss vom 26.9.2022, 3 W 55/22

Nichterfüllung vertraglicher Pflichten: Bau einer Moschee zu langsam: Stadt erhält Grundstück

| Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat einen beklagten muslimischen Verein für Kultur, Bildung und Integration u. a. zur Rückübertragung des Erbbaurechts eines mit einer Moschee bebauten Grundstücks verpflichtet und dessen Begehren auf Übertragung des Eigentums an diesem Grundstück abgewiesen. | 

Das war geschehen

Die Stadt Leinfelden-Echterdingen und der Verein hatten 2014 einen Erbbaurechtsvertrag geschlossen, nach dem die Stadt als Grundstückseigentümerin u. a. eine Rückübertragung des Erbbaurechts bei einer Nichterfüllung vertraglicher Pflichten verlangen kann. Über dieses sog. Heimfallrecht sowie die Ausübung eines Wiederkaufsrechts durch die Stadt streiten die Parteien, nachdem der beklagte Verein als Bauherr seinen vertraglichen Pflichten nicht nachgekommen ist: Der Verein hatte in einem 1. Bauabschnitt die Moschee und ein Kulturhaus nicht fristgerecht bis zum 31.10.2018 – und auch noch nicht bis zum Sommer 2022 – fertiggestellt. Dennoch hatte der Beklagte den vereinbarten Kaufpreis für das Moscheegrundstück in Höhe von über 800.00 Euro bereits 2018 an die Stadt bezahlt. Er wurde aber noch nicht als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Die Stadt übte daraufhin ihr Wiederkaufsrecht aus und beanspruchte auch den Heimfall des Erbbaurechts. 

Landgericht gab der Stadt Recht

In erster Instanz verurteilte das Landgericht (LG) Stuttgart den beklagten Verein auf Übertragung des Erbbaurechts und wies demgegenüber den Anspruch des Vereins auf Übertragung des Eigentums an dem Moscheegrundstück zurück. 

Beide Parteien: Berufung eingelegt

Mit ihren jeweiligen Berufungen machten die Parteien weitergehende Ansprüche geltend. Die Stadt beansprucht Erbbauzinszahlungen sowie einen Nachweis der Versicherung des Moscheebauwerks. Der Verein will nach wie vor die Auflassung und das Eigentum an dem Grundstück, da die Klägerin ihr Wiederkaufsrecht rechtswidrig ausgeübt habe. Dadurch sei der Kulturverein in seinen Grundrechten auf Religionsfreiheit und seinem Eigentum am Gebäude verletzt. 

Nach dem Scheitern der Vergleichsverhandlungen der Parteien hat das OLG die erstinstanzliche Entscheidung zugunsten der Stadt bestätigt und ihr Ansprüche aus dem Erbbaurechtsvertrag zugesprochen. Der Verein muss die Rückübertragung des Erbbaurechts erklären, das Moscheebauwerk bis dahin entsprechend versichern und Erbbauzinsen von über 110.000 Euro nachzahlen. Der Kaufvertrag wird rückabgewickelt und die Stadt bleibt Eigentümerin des Grundstücks. 

Oberlandesgericht: Verein hätte fristgerecht bauen müssen

Das OLG begründet dies damit, dass der Verein seiner vertraglich bindenden Zusage, die Moschee fristgerecht herzustellen, schuldhaft nicht nachgekommen sei. Durch die Kaufpreiszahlung des Vereins seien seine Verpflichtungen – wie z. B. auf Versicherungsschutz des Bauwerks – aus dem dinglichen Erbbaurechtsvertrag nicht fortgefallen, sondern wirkten fort. 

Bei dem Heimfallrecht und dem Wiederkaufsrecht handle es sich um verschiedene Rechte, die die Stadt beide – mit unterschiedlichen Folgen – ausgeübt habe. Insbesondere sei die Vereinbarung über das Wiederkaufsrecht, wenn der Verein nicht rechtzeitig den 1. Bauabschnitt fertigstelle, wirksam. Der Verein habe keinen Anspruch, genau auf dem streitgegenständlichen Grundstück seinen Mitgliedern die Religionsausübung zu ermöglichen. Vielmehr habe er die Bedingungen des Erbbaurechtsvertrags nicht eingehalten und dadurch das Heimfallrecht ausgelöst. Zugleich sei das vorgesehene Wiederkaufsrecht auch nicht unwirksam und entspreche einer angemessenen Vertragsgestaltung, da der Beklagte in diesem Fall einen wirtschaftlichen Ausgleich seiner Verwendungen erhalte. 

Weitere Gerichte müssen entscheiden

Allerdings könne der Verein erst in weiterem Rechtsstreit eine angemessene Entschädigung für die Erhöhung des Grundstückswerts durch seine Aufwendungen geltend machen, um dann an anderer Stelle eine Gebetsmöglichkeit für seine Mitglieder zu schaffen. Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) gegen dieses Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. 

Quelle | OLG Stuttgart, Urteil vom 13.9.2022, 10 U 278/21

Nachbarschaftsstreit: Überschwenken eines Baukrans

| Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat entschieden: Ein durch einen über sein Grundstück schwenkenden Kranarm beeinträchtigter Nachbar hat einen Unterlassungsanspruch. | 

Das war geschehen

Die Eigentümer zweier benachbarter Grundstücke gerieten über den Abbruch und die Neubebauung in Streit. Nach Erhalt der Baugenehmigung für zwei Doppelhäuser und vier Garagen haben die Beklagten Ende 2021 einen 18 Meter hohen Turmdrehkran mit ca. 28 Meter langem Ausleger auf der Grundstücksgrenze aufgestellt. Der Ausleger überschwenkte ohne Vorankündigung mehrfach und für längere Zeit im Frühjahr 2022 – mit und ohne Last – den Luftraum über dem klägerischen Grundstück. In einem Fall blieb der Kran mit schweren Betonfertigteilen an der Oberleitung hängen, die auch das klägerische Grundstück mit Strom versorgte. Dadurch wurde u. a. das Dachgeschoss des Hauses des Klägers erschüttert. 

Landgericht: Überschwenken erlaubt, aber ohne Lasten

Der Kläger beantragte daher, es unverzüglich zu unterlassen, sein Grundstück mit dem Kran zu überschwenken. Das Landgericht (LG) bejahte diesen Anspruch, jedoch nur im Fall eines Überschwenkens mit Lasten. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, der seinen Antrag auf Unterlassung auch eines lastenfreien Schwenkens des Kranarms beim OLG weiterverfolgte. 

Oberlandesgericht: Überschwenken in jedem Fall untersagt

Das OLG sah die Berufung als begründet an und untersagte das Schwenken des Baukrans über dem Grundstück des Klägers bei Ordnungsgeld-Androhung für jeden Fall der Zuwiderhandlung. 

Die Beklagten hätten das im Nachbarrechtsgesetz Baden-Württemberg (NRG BW) auch für das Einschwenken eines Baukrans in den nachbarlichen Luftraum vorgesehene Verfahren nicht eingehalten. Daher könnten sich die Bauherren nicht auf das sog. Hammerschlags- und Leiterrecht (nach § 7 d NRG BW) und eine entsprechende Duldungspflicht des Klägers berufen. Nach den gesetzlichen Vorgaben hätten die Bauherren das Benutzen des Nachbargrundstücks durch Überschwenken des Krans – mit oder ohne Lasten – zwei Wochen vor der Benutzung anzeigen müssen, was unstreitig nicht erfolgt war. Hätte der Kläger dem Überschwenken dann nicht zugestimmt, hätten die Beklagten erst Duldungsklage erheben müssen und auch dann nicht ihr vermeintliches Recht im Wege der Selbsthilfe durchsetzen können. 

Diese Entscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren ist rechtskräftig. Allerdings können die Beklagten noch in einem Hauptsacheverfahren gerichtlich klären lassen, ob ihnen ein Duldungsanspruch auf Überschwenken des Krans gegen den Kläger zusteht. 

Quelle | OLG Stuttgart, Urteil vom 31.8.2022, 4 U 74/22, PM vom 8.9.2022

Youtube-Video: Meinungsfreiheit überstrapaziert: Lehrer erhält fristlose Kündigung

| Das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin hat die fristlose Kündigung eines Lehrers des Landes Berlin als wirksam erachtet, der auf YouTube ein Video veröffentlicht hat, das eine Darstellung des Tores eines Konzentrationslagers mit der Inschrift „IMPFUNG MACHT FREI“ enthielt. | 

Das war geschehen

Der Lehrer hat ein YouTube-Video unter dem Titel „Sie machen Tempo! Und Ich denke…“ veröffentlicht. Am Anfang des Videos wird für etwa drei Sekunden ein Bild eingeblendet, auf dem das Tor eines Konzentrationslagers abgebildet ist. Der Originalschriftzug des Tores „ARBEIT MACHT FREI“ wurde durch den Text „IMPFUNG MACHT FREI“ ersetzt. Es folgt dann eine ebenfalls etwa drei Sekunden lange Einblendung eines Tweets des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder, der eine Ausweitung der Impfangebote ankündigt und in dem er die Aussage „Impfen ist der Weg zur Freiheit“ trifft. Die Einblendungen zu Beginn des Videos werden weder durch Text noch durch mündliche Erklärungen näher erläutert. Abrufbar war das Video unter einem Standbild der ersten Einblendung des Videos. 

Das Land Berlin hat den Lehrer u. a. wegen der Veröffentlichung dieses Videos fristlos, hilfsweise fristgemäß gekündigt. Der Lehrer setze in dem Video das staatliche Werben um eine Impfbereitschaft in der Pandemie mit der Unrechtsherrschaft und dem System der Konzentrationslager gleich. Damit verharmlose er die Unrechtstaten der Nationalsozialisten und missachte die Opfer. Der Lehrer habe seine Schüler aufgefordert, seinen außerdienstlichen Aktivitäten im Internet zu folgen und sich in anderen Videos auch als Lehrer des Landes Berlin vorgestellt. 

Der Lehrer sieht in dem Video hingegen keinen Grund für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Er habe mit dem privaten Video ausschließlich scharfe Kritik an der Äußerung des bayrischen Ministerpräsidenten üben und deutlich machen wollen, dass diese der menschen- und rechtsverachtenden Polemik des Nationalsozialismus nahe komme. Das Video sei durch das Grundrecht auf Meinungsäußerung und Kunstfreiheit gedeckt. 

So sah es das Arbeitsgericht

Das ArbG hat die Kündigungsschutzklage des Lehrers abgewiesen. Eine Auslegung des Inhalts des Videos ergebe nicht nur eine Kritik an der Äußerung des bayrischen Ministerpräsidenten, sondern auch an der allgemeinen, auch vom Land Berlin und der Schulsenatorin getragenen Impfpolitik. Dabei überschreite der Lehrer durch den Vergleich des Bildes mit dem Text „IMPFUNG MACHT FREI“ mit der Impfpolitik das Maß der zulässigen Kritik. Die Kritik des Lehrers sei nicht mehr durch die Grundrechte der Meinungsfreiheit oder Kunstfreiheit gedeckt, sondern stelle eine unzulässige Verharmlosung des Holocausts dar. Eine Weiterbeschäftigung des Lehrers sei aus diesem Grund unzumutbar. 

Quelle | ArbG Berlin, Urteil vom 12.9.2022, 22 Ca 223/22

BFH-Entscheidung: Fahrzeugwerbung: Entgelt ist oft Arbeitslohn

| Nach Meinung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist ein von einem Arbeitgeber an seine Arbeitnehmer gezahltes Entgelt für Werbung des Arbeitgebers auf dem Kennzeichenhalter des privaten Pkw des Arbeitnehmers Arbeitslohn, wenn dem abgeschlossenen „Werbemietvertrag“ kein eigenständiger wirtschaftlicher Gehalt zukommt. | 

Nicht jede Zahlung eines Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer stellt Arbeitslohn dar. Vielmehr kann ein Arbeitgeber mit seinem Arbeitnehmer neben dem Arbeitsvertrag weitere eigenständige Verträge abschließen. Kommt einem gesondert abgeschlossenen Vertrag allerdings kein eigenständiger wirtschaftlicher Gehalt zu, kann es sich insoweit um eine weitere Arbeitslohnzahlung handeln. 

Ein Arbeitgeber hatte mit einem Teil seiner Arbeitnehmer „Werbemietverträge“ geschlossen. Danach verpflichteten sich diese, mit Werbung des Arbeitgebers versehene Kennzeichenhalter an ihren privaten Pkw anzubringen. Dafür erhielten sie jährlich 255 Euro. Der Arbeitgeber behandelte das „Werbeentgelt“ als sonstige Einkünfte gemäß Einkommensteuergesetz (§ 22 Nr. 3 EStG) und behielt daher keine Lohnsteuer ein. Dies war auch für die Arbeitnehmer vorteilhaft, da solche Einkünfte unterhalb eines Betrags von 256 Euro jährlich steuerfrei sind. Das Finanzamt ging aber von einer Lohnzahlung aus und nahm den Arbeitgeber für nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer in Haftung – und zwar zu Recht, wie das FG Münster und der BFH entschieden. Die Zahlungen gehören zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, weil sie durch das Arbeitsverhältnis veranlasst sind und nicht auf einem Sonderrechtsverhältnis „Mietvertrag Werbefläche“ beruhen, da diesem kein eigener wirtschaftlicher Gehalt zukommt. 

Der BFH erachtete insbesondere die folgenden Würdigungen der Vorinstanz nicht nur als möglich, sondern als naheliegend: Dem gesondert abgeschlossenen „Mietvertrag Werbefläche“ kam unter Berücksichtigung der am Markt befindlichen Angebote schon aufgrund seiner Ausgestaltung kein eigener wirtschaftlicher Gehalt zu. Denn die Erzielung einer Werbewirkung war nicht sichergestellt und die Bemessung des Entgelts war offensichtlich an der im Einkommensteuergesetz geregelten Freigrenze orientiert. Der Werbeeffekt war nicht – wie im wirtschaftlichen Geschäftsverkehr üblich – ausschlaggebendes Kriterium für die Bemessung des Entgelts gewesen. Das FG berücksichtigte, dass Verträge ausschließlich mit Mitarbeitern geschlossen wurden und die Laufzeit der Verträge an das Bestehen des Arbeitsverhältnisses geknüpft war. 

Quelle | BFH, Beschluss vom 21.6.2022, VI R 20/20

Kündigungsschutzklage: Private Nutzung eines Firmenwagens: Keine Kündigung ohne Abmahnung

| Vor Ausspruch einer Kündigung ist es oft erforderlich, zunächst eine Abmahnung auszusprechen. Diese geht – in vielen Fällen – der Kündigung als mildestes Mittel vor. Hierauf hat aktuell noch einmal das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern hingewiesen. | 

Der Arbeitgeber hatte in der Vergangenheit die kurzzeitige Nutzung von Firmenfahrzeugen zu privaten Zwecken nach Rücksprache mit dem Vorgesetzten gestattet. Ein Arbeitnehmer hatte dann das Fahrzeug ohne Erlaubnis genutzt, da er in diesem Moment nicht die Möglichkeit hatte, Kontakt zu seinem Vorgesetzten aufzunehmen. 

Der Arbeitgeber hatte das zum Anlass genommen, dem Arbeitnehmer zu kündigen. Dessen Kündigungsschutzklage hatte vor dem LAG Erfolg. Es machte deutlich, dass die Pflichtverletzung hier nicht so groß sei, dass sie eine umgehende Kündigung rechtfertigen würde. Es sei in diesem Fall vielmehr erforderlich gewesen, vor Ausspruch der Kündigung die Pflichtverletzung abzumahnen. 

Quelle | LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 21.6.2022, 5 Sa 245/21

Vorerkrankungen: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt nicht immer für die Entgeltfortzahlung

| Ist der Arbeitnehmer länger als sechs Wochen arbeitsunfähig, reicht die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) nicht aus, um automatisch eine Entgeltfortzahlung zu bekommen. Es darf keine Fortsetzungserkrankung vorliegen, was der Arbeitnehmer beweisen muss. Das entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen. | 

Das war geschehen

Der Kläger war in den Kalenderjahren 2019 und 2020 im erheblichen Umfang arbeitsunfähig erkrankt. Im Zeitraum August bis Dezember 2019 war er an 68 Kalendertagen und im Zeitraum Januar bis August 2020 an 42 Kalendertagen erkrankt. Am 18. August 2020 legte der Kläger eine weitere Erstbescheinigung vor und verlangte eine entsprechende Entgeltfortzahlung. Der beklagte Arbeitgeber hatte jedoch Zweifel, dass eine neue Erkrankung vorlag und verweigerte daher die Entgeltfortzahlung. Dagegen wandte der Kläger ein, er habe für den streitgegenständlichen Zeitraum Erstbescheinigungen vorgelegt, woraus zu ersehen sei, dass Vorerkrankungen nicht vorgelegen hätten. Aus Datenschutzgründen sei er zudem nicht verpflichtet, sämtliche Diagnosen offenzulegen. 

Entgeltfortzahlung nur bei „neuer“ Erkrankung

Das Gericht wies die Klage ab und begründete seine Entscheidung damit, dass die AU keine Angaben zum Bestehen einer Fortsetzungserkrankung enthält. Hintergrund ist, dass die Entgeltfortzahlung entfällt, wenn die Krankheit länger als sechs Wochen andauert. Der Arbeitnehmer hat dagegen weiterhin Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn die erneute Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Erkrankung beruht. 

Aus der Entscheidung folgen diese Grundsätze für die Praxis: Zunächst muss der Arbeitnehmer darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Hierzu kann er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen. 

Arbeitnehmer muss beweisen

Bestreitet der Arbeitgeber das Vorliegen einer neuen Krankheit, muss der Arbeitnehmer die Tatsachen darlegen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung vorgelegen. Um dieser abgestuften Darlegungslast gerecht zu werden, muss der Arbeitnehmer grundsätzlich zu allen Krankheiten im Jahreszeitraum substanziiert vortragen. Er kann nicht eine „Vorauswahl“ treffen und nur zu denjenigen Erkrankungen vortragen, die ihm als möglicherweise einschlägig erscheinen. 

Datenschutz: Gesundheitsdaten dürfen unter bestimmten Voraussetzungen verarbeitet werden

Diese Pflicht berührt zwar das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Arbeitnehmers. Sie ist aber nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) gerechtfertigt. Dort wird die Verarbeitung von Gesundheitsdaten gestattet, wenn sie zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder bei Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit erforderlich ist. 

Quelle | LAG Hessen, Urteil vom 14.2.2022, 10 Sa 898/21

Umsatzsteuer: Betrieb von Geldspielautomaten: Umsatzsteuerpflicht auch nach dem 1.7.2021

| Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten sind auch nach der zum 1.7.2021 in Kraft getretenen Gesetzesänderung für virtuelle Automatenspiele umsatzsteuerpflichtig. So lautet ein Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH). | 

Der BFH hatte bereits mehrfach entschieden, dass Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten umsatzsteuerpflichtig sind. Bis zum 30.6.2021 galt dies unabhängig davon, ob es sich um Umsätze in Spielhallen oder Online-Umsätze (sog. virtuelle Automatenspiele) handelte. 

Zum 1.7.2021 hat der Gesetzgeber die gesetzlichen Grundlagen geändert:

  • Virtuelle Automatenspiele unterliegen seither der Rennwett- und Lotteriesteuer. Sie sind deshalb nach dem Umsatzsteuergesetz (§ 4 Nr. 9 Buchst. b UStG) umsatzsteuerfrei.
    ‍
  • Umsätze in Spielhallen sind hingegen weiterhin umsatzsteuerpflichtig. Für sie fällt demgegenüber auch keine Rennwett- und Lotteriesteuer an.

Hintergrund der Änderung war u. a., dass Online-Angebote hinsichtlich ihrer Spielsucht auslösenden Aspekte anders einzustufen seien als die terrestrischen Angebote (z. B. in Spielhallen). 

Mit seinem Beschluss hat der BFH nun klargestellt, dass diese Ungleichbehandlung zulässig ist. Umsätze in Spielhallen und Online-Umsätze sind aus mehreren Gründen (unterschiedliche Ausschüttungsquoten, unterschiedliche Verfügbarkeit, potenziell größerer Kundenkreis online, unterschiedliche Spielsuchtrisiken) nicht vergleichbar.  

Beachten Sie | Anders als terrestrische Umsätze werden auf elektronischem Weg erbrachte Dienstleistungen aufgrund einer Mehrwertsteuer-Sonderregelung zwingend am Ortdes Leistungsempfängers besteuert. Die Europäische Union hat diese Sonderregelung eingeführt, um sicherzustellen, dass eine Besteuerung solcher Dienstleistungen in der EU erfolgt, wenn sie in der EU verbraucht werden. Dies rechtfertigt, so der BFH, die unterschiedliche Besteuerung von terrestrischen Umsätzen und Online-Umsätzen.  

Quelle | BFH, Beschluss vom 26.9.2022, XI B 9/22 (AdV)

Steuererleichterungen: Umsatzsteuerentlastung für die Gastronomie bis Ende 2023 verlängert

| Die Absenkung der Umsatzsteuer für Speisen in der Gastronomie von 19 % auf 7 % wurde bis zum 31.12.2023 verlängert. Ausgenommen sind allerdings weiterhin Getränke, das heißt, hier gilt der reguläre Umsatzsteuersatz von 19 %. | 

Beachten Sie | Eigentlich wäre die in der Corona-Pandemie eingeführte Stützungsmaßnahme für die Gastronomie zum 31.12.2022 ausgelaufen. Nun sollen auch die Folgen der gestiegenen Energiepreise abgemildert werden. 

Quelle | Achtes Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen vom 24.10.2022, BGBl I 2022, S. 1838

Selbstständige Künstler und Publizisten: Künstlersozialabgabe steigt in 2023 auf 5,0 %

| Der Abgabesatz zur Künstlersozialversicherung wurde um 0,8 % angehoben. Somit liegt er im Jahr 2023 bei 5 %. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat zu der Anpassung Stellung genommen. | 

Der Künstlersozialabgabesatz lag seit 2018 bei 4,2 %. Dies wurde durch zusätzliche Bundesmittel in Höhe von insgesamt 117 Mio. Euro in den Jahren 2021 und 2022 gewährleistet. Wegen der großen wirtschaftlichen Schäden in der Kunst- und Kulturwirtschaft infolge der Corona-Pandemie hätte der Abgabesatz für 2023 eigentlich auf 5,9 % angehoben werden müssen. Durch weitere Bundesmittel (in Höhe von rund 58,9 Mio. Euro) wurde der Anstieg des Abgabesatzes im Jahr 2023 auf 5,0 % begrenzt. 

Über die Künstlersozialversicherung werden über 190.000 selbstständige Künstler und Publizisten als Pflichtversicherte in den Schutz der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung einbezogen. 

Die Künstler und Publizisten tragen, wie abhängig beschäftigte Arbeitnehmer, die Hälfte ihrer Sozialversicherungsbeiträge. Die andere Beitragshälfte wird finanziert durch einen Bundeszuschuss (20 %) und durch die Künstlersozialabgabe der Unternehmen (30 %), die künstlerische und publizistische Leistungen verwerten. 

Quelle | Künstlersozialabgabe-Verordnung 2023, BGBl I 2022, S. 1508; BMAS, „Künstlersozialabgabe künftig bei 5,0 Prozent“, Mitteilung vom 11.8.2022

Strafbare Handlungen: Nutzung einer Großmarkthalle darf widerrufen werden

| Ein Widerruf der Zuweisung von Büroflächen sowie Lkw-Stellplätzen einer Großmarkthalle, die von einer Kommune als öffentliche Einrichtung betrieben wird, wegen begangener Steuerstraftaten, kann rechtmäßig sein. Dies entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH). | 

Der Widerruf müsse die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in den Markthallen bezwecken. Je nach den Umständen des Einzelfalls sei dies auch der Fall, wenn der Zuwendungsnehmer strafbare Handlungen außerhalb der Markthallen und nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem dort ausgeübten Gewerbe begangen habe. Durch die hier verwirklichten Hinterziehungstaten sei die „öffentliche Sicherheit und Ordnung“ auf dem Lebensmittelmarkt erheblich beeinträchtigt worden. Der Widerruf wegen strafbarer Handlungen in einem schwerwiegenden Fall sei rechtmäßig. 

Quelle | Bayerischer VGH, Urteil vom 30.5.2022, 4 ZB 21.2660

Solo-Selbstständige: Corona-Soforthilfen nicht zurückzuzahlen

| Die Bescheide, mit denen die Bezirksregierung Düsseldorf geleistete Corona-Soforthilfen von den Empfängern teilweise zurückgefordert hat, sind rechtswidrig. Den gegen diese Schlussbescheide gerichteten Klagen dreier Zuwendungsempfänger gegen das Land Nordrhein-Westfalen hat das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf jetzt stattgegeben. | 

Als im Frühjahr 2020 kleine Unternehmen und Selbstständige durch verschiedene infektionsschutzrechtliche Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie in wirtschaftliche Notlagen gerieten, schufen Bund und Länder Programme, um kurzfristig Finanzhilfen bereitzustellen. 

Das war geschehen

Solche Soforthilfen erhielten auch die Kläger der heute entschiedenen Verfahren. Der Betreiber eines Düsseldorfer Schnellrestaurants musste ebenso wie die Betreiberin eines Kosmetikstudios aus Remscheid während des Lockdowns im Frühjahr 2020 zeitweise den Betrieb schließen. Ein Steuerberater aus Düsseldorf, der einen Großteil seiner Umsätze durch die Aus-und Fortbildung von Steuerberatern erwirtschaftet, erlitt durch den Wegfall von Präsenzvorträgen Umsatzeinbußen. Nachdem die drei Kläger zunächst aufgrund von Ende März bzw. Anfang April 2020 erlassenen Bewilligungsbescheiden der zuständigen Bezirksregierung Düsseldorf Soforthilfen in Höhe von jeweils 9.000,- Euro erhalten hatten, setzte die Behörde im Rahmen sog. Rückmeldeverfahren später die Höhe der Soforthilfe auf ca. 2.000 Euro fest und forderte etwa 7.000 Euro zurück. 

Auf die Förderpraxis während des Antragsverfahrens kommt es an

Diese Schlussbescheide sind rechtswidrig. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt: Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Schlussbescheide kam es auf die Förderpraxis des Landes während des Antragsverfahrens bis zum Erlass der Bewilligungsbescheide an. Die in den Bewilligungsbescheiden zum Ausdruck gekommene Verwaltungspraxis des Landes stimmte mit den in den Schlussbescheiden getroffenen Festsetzungen nicht überein. Während des Bewilligungsverfahrens durften die Hilfeempfänger aufgrund von Formulierungen in online vom Land bereitgestellten Hinweisen, den Antragsvordrucken und den Zuwendungsbescheiden eher davon ausgehen, dass pandemiebedingte Umsatzausfälle für den Erhalt und das Behaltendürfen der Geldleistungen ausschlaggebend sein sollten. 

Schlussbescheid: Rückforderung basierte auf abweichender Förderpraxis

Demgegenüber stellte das Land bei Erlass der Schlussbescheide auf das Vorliegen eines Liquiditätsengpasses ab, der eine Differenz zwischen den Einnahmen und Ausgaben des Geschäftsbetriebs, also einen Verlust, voraussetzte. Dies ist rechtsfehlerhaft, weil diese Handhabung von der maßgeblichen Förderpraxis abwich. Mit Blick darauf konnte auch die Richtlinie des damaligen Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes NRW vom 31.5.2020, die erstmals eine Definition des Begriffs des Liquiditätsengpasses enthielt, trotz ihres rückwirkenden Inkrafttretens bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Schlussbescheide nicht berücksichtigt werden. 

Missverständliche Formulierung im Bewilligungsbescheid

Abgesehen davon waren die ursprünglichen Bewilligungsbescheide hinsichtlich einer etwaigen Rückerstattungsverpflichtung auch missverständlich formuliert. Insbesondere konnten die Zuwendungsempfänger dem Inhalt der Bescheide nicht verlässlich entnehmen, nach welchen Parametern eine Rückzahlung zu berechnen sei. 

500 weitere Klagen

Beim VG Düsseldorf sind noch weitere ca. 500 Klageverfahren rund um den Komplex der Corona-Soforthilfen anhängig. Wie mit diesen umzugehen ist, wird die Kammer in Kürze entscheiden. In den drei hier entschiedenen Streitigkeiten, die repräsentativ für einen Großteil der weiteren Verfahren sind, hat die Kammer wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Berufung zum Oberverwaltungsgericht (OVG) für das Land Nordrhein-Westfalen zugelassen. 

Quelle | VG Düsseldorf, Urteil vom 16.8.2022, 20 K 7488/20, 20 K 217/21 und 20 K 393/22, PM vom 16.8.2022

Energiepreispauschale und Minijob: Mögliche Steuerpflicht bei der Veranlagung zur Einkommensteuer 2022

| Auch viele Minijobber haben die Energiepreispauschale (EPP) in Höhe von 300 Euro erhalten. Sofern der (originäre) Verdienst vom Arbeitgeber pauschal mit 2 % besteuert wird, musste auf die 300 Euro EPP keine pauschale Steuer abgeführt werden. Bei der Einkommensteuerveranlagung für 2022 kann es aber nach den Ausführungen des Bundesfinanzministeriums (BMF) in gewissen Konstellationen zu einer Steuerpflicht kommen. | 

Bei Arbeitnehmern, die ausschließlich pauschal besteuerten Arbeitslohn aus einer kurzfristigen oder geringfügigen Beschäftigung oder einer Aushilfstätigkeit in der Land- und Forstwirtschaft erzielen und im gesamten Jahr 2022 keine weiteren anspruchsberechtigenden Einkünfte haben, gehört die EPP nicht zu den steuerpflichtigen Einnahmen.  

Wenn neben dem pauschal besteuerten Arbeitslohn weitere anspruchsberechtigende Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb oder aus selbstständiger Arbeit erzielt werden, gehört die EPP zu den sonstigen Einkünften. 

Da die EPP bei pauschal besteuertem Arbeitslohn nach dem Einkommensteuergesetz (§ 40 a EStG) nicht steuerpflichtig ist (§ 119 Abs. 1 S. 2 EStG), wurde sie von den Arbeitgebern nicht steuerpflichtig erfasst. Handelt es sich nun aber z. B. um Steuerpflichtige, die in 2022 zudem Einkünfte aus einer gewerblichen oder selbstständigen Tätigkeit bezogen haben, wird die EPP überdie Einkommensteuerveranlagung steuerpflichtig. Es liegen sonstige Einkünfte (nach § 22 Nr. 3 EStG) vor (vgl. § 119 Abs. 2 EStG). 

Quelle | BMF: FAQs „Energiepreispauschale (EPP)“, unter VIII., Nr. 1, Stand: 22.09.2022

Entlastungen: Energiepreispauschale für Rentner und neue Höchstgrenze für Midijobs ab 2023

| Rentner erhalten Anfang Dezember 2022 eine (steuerpflichtige) Energiepreispauschale von 300 Euro. Zudem wird die Höchstgrenze für eine Beschäftigung im Übergangsbereich (bei den sogenannten Midijobs gelten verminderte Arbeitnehmer-Beiträge zur Sozialversicherung) ab 1.1.2023 von monatlich 1.600 Euro auf 2.000 Euro angehoben. |

Quelle | Gesetz zur Zahlung einer Energiepreispauschale an Renten- und Versorgungsbeziehende und zur Erweiterung des Übergangsbereichs, BR-Drs. 523/22 (B) vom 28.10.2022

Bundesfinanzhof: Erste Tätigkeitsstätte bei Leiharbeitnehmern: Steuerzahlerfreundliche Entscheidung

| Besonders bei Leiharbeitnehmern stellt sich die Frage, ob sie eine (steuerlich ungünstige) erste Tätigkeitsstätte haben – und falls ja, wo diese liegt. Eine der letzten offenen Fragen hat der Bundesfinanzhof (BFH) nun zugunsten der Leiharbeiter entschieden. |

Je nachdem, ob es sich beim Tätigkeitsort um eine Auswärtstätigkeit handelt, hat das u. a. folgende steuerliche Konsequenzen:

Erste Tätigkeitsstätte:

  • Entfernungspauschale (0,30 EUR je Entfernungskilometer zwischen der Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte; ab dem 21. Kilometer werden 0,38 EUR gewährt) 
  • grundsätzlich keine Verpflegungspauschale

Auswärtstätigkeit:

  • "Dienstreisepauschale"(0,30 EUR je gefahrenen Kilometer)  
  • grundsätzlich Verpflegungspauschale je nach Abwesenheitszeiten

Nach der Regelung im Einkommensteuergesetz (§ 9 Abs. 4 S. 1 EStG) ist erste Tätigkeitsstätte die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 Aktiengesetz) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. 

Die Zuordnung erfolgt vorrangig anhand der dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen durch den Arbeitgeber. 

Typische Fälle einer dauerhaften Zuordnung sind im EStG (hier: § 9 Abs. 4 S. 3 ) aufgeführt:

  • unbefristetes Tätigwerden,  
  • Tätigwerden für die Dauer des Dienstverhältnisses,
  • Tätigkeit über einen Zeitraum von mehr als 48 Monaten.

Fehlt eine solche dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegung auf eine Tätigkeitsstätte oder ist sie nicht eindeutig, ist erste Tätigkeitsstätte die betriebliche Einrichtung,

  • an der der Arbeitnehmer dauerhaft,  
  • typischerweise arbeitstäglich oder  
  • je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll.

Für die Frage, ob der Arbeitnehmer einer betrieblichen Einrichtung i. S. des EStG (hier: § 9 Abs. 4 Sätze 1 bis 3) dauerhaft zugeordnet ist, ist das zwischen dem Arbeitgeber (Verleiher) und dem (Leih-)Arbeitnehmer bestehende Arbeitsverhältnis maßgeblich. 

Besteht der Einsatz eines beim Verleiher unbefristet beschäftigten Leiharbeitnehmers bei dem Entleiher in wiederholten, aber befristeten Einsätzen, fehlt es an einer dauerhaften Zuordnung i. S. des EStG (hier: § 9 Abs. 4 S. 3). Und so verhielt es sich auch im aktuellen Streitfall: Der weitere Einsatz des Leiharbeitnehmers beim Verleiher war nämlich davon abhängig, dass dieser nach Ablauf der jeweiligen Frist mit dem Verleiher eine weitere (wiederum befristete) Arbeitnehmerüberlassung vereinbarte. 

Beachten Sie | Ist das Arbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer unbefristet und wird der Leiharbeitnehmer befristet für nicht mehr als 48 Monate bei einem Entleiher eingesetzt, erfolgt die Zuordnung nicht dauerhaft. Eine ungünstige erste Tätigkeitsstätte ergibt sich beim Betrieb des Entleihers nicht. 

Das gilt auch, wenn die Entleihung später (mehrfach) verlängert wird und sich dadurch (rückblickend betrachtet) ein Einsatz von mehr als 48 Monaten für den identischen Entleiher ergeben sollte. 

Quelle | BFH, Urteil vom 12.5.2022, VI R 32/20

Gesetzesvorhaben: Anstieg der Erbschaft-/Schenkungsteuer bei der Übertragung von Immobilien befürchtet

| Die Regelungen der Grundbesitzbewertung sollen an die sogenannte Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Immobilien und der für die Wertermittlung erforderlichen Daten (ImmoWertV) angepasst werden. So steht es im Entwurf für ein Jahressteuergesetz 2022. Da für die Erbschaft- und Schenkungsteuer zumindest im Einzelfall höhere Werte drohen, ist zu prüfen, ob bereits angedachte Übertragungen vorgezogen werden sollen. Denn die Änderungen sollen bereits am Tag nach der Gesetzesverkündung in Kraft treten. | 

Quelle | ImmoWertV vom 14.7.2021, BGBl I 2021, S. 2805; BT-Drs. 20/3879 vom 10.10.2022

Freiwillige Arbeitgeberleistung: Wichtige Informationen zur steuerfreien Inflationsausgleichsprämie

| Seit dem 26.10.2022 können Arbeitgeber ihren Beschäftigten einen Betrag bis zu 3.000 Euro steuer- und abgabenfrei gewähren. Im Folgenden sind einige wichtige Punkte zu der im Einkommensteuergesetz (§ 3 Nr. 11 c EStG)geregelten Inflationsausgleichsprämie aufgeführt. | 

Die Inflationsausgleichsprämie ist eine freiwillige Leistung, die in der Zeit vom 26.10.2022 bis Ende 2024 gewährt werden kann. Es handelt sich bei den 3.000 Euro um einen steuerlichen Freibetrag, der auch in mehreren Teilbeträgen ausgezahlt werden kann. 

Beachten Sie | Begünstigt sind z. B. auch Zahlungen an Minijobber. Da die Zahlung steuer- und beitragsfrei ist, wird sie nicht auf die Minijobgrenze (seit 1.10.2022: 520 Euro monatlich) angerechnet.  

Die Zahlungen müssen zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erfolgen. Nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 8 Abs. 4 EStG) werden Leistungen nur dann zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:

  • Die Leistung wird nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet.  
  • Der Anspruch auf Arbeitslohn wird nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt.
  • Die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung wird nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt.  
  • Bei Wegfall der Leistung wird der Arbeitslohn nicht erhöht.

Nach dem Gesetzeswortlaut sind „in Form von Zuschüssen und Sachbezügen gewährte Leistungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise“ begünstigt. Nach den Ausführungen der Bundesregierung genügt es, wenn der Arbeitgeber bei Gewährung der Prämie deutlich macht, dass diese im Zusammenhang mit der Preissteigerung steht – zum Beispiel durch entsprechenden Hinweis auf dem Überweisungsträger im Rahmen der Lohnabrechnung. 

Quelle | Die Bundesregierung vom 1.11.2022, Gesetz zur temporären Senkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen über das Erdgasnetz, BGBl I 2022, S. 1743

Hinterliegergrundstück: Zufahrt besteht nicht uneingeschränkt

| Der Umfang eines Geh- und Fahrrechts muss sich immer am Einzelfall orientieren und besteht unter Umständen nicht uneingeschränkt. Bei der Zufahrt zu einem Hinterliegergrundstück sind damit gewisse Beeinträchtigungen der Zufahrtsbreite hinzunehmen. Darauf hat das Pfälzische Oberlandesgericht (OLG) in einem Hinweisbeschluss aufmerksam gemacht. | 

Das war geschehen

Ein Mann erwarb ein sog. „Hinterliegergrundstück“, das keinen eigenen Zugang zu einer öffentlichen Straße besitzt. Die Zufahrt zu dem Anwesen und den dazugehörigen fünf Garagen erfolgte ausschließlich über den Hof des benachbarten Grundstücks der Beklagten. Zur Absicherung des Zufahrtsrechts war im Grundbuch des Beklagtengrundstücks ein sog. „Geh- und Fahrrecht“ zugunsten des jeweiligen Eigentümers des Hinterliegergrundstücks eingetragen. Das Hofgelände zwischen den Gebäuden war groß genug, um bequem in alle Garagen hinein- und herauszufahren. 

Dies änderte sich, als die Beklagten auf ihrem Teil des Hofgrundstücks für ihre Mieter zwei Pkw-Stellplätze entlang der Hauswand einrichteten. Waren die Stellplätze belegt, konnten die Garagennutzer nicht mehr wie gewohnt rangieren. Sie mussten gegebenenfalls rückwärts ein- oder ausfahren. Der Nachbar forderte deshalb die Beklagten auf, die Stellplätze zu entfernen und das Geh- und Fahrrecht wieder uneingeschränkt zu gewährleisten. Das in erster Instanz angerufene Landgericht (LG) wies die Klage ab, da die Garagen des Klägers weiterhin erreichbar waren und es nach Ansicht des LG keine Beeinträchtigung des Geh- und Fahrrechts gab. 

Oberlandesgericht: Im Grundbruch eingetragenes Recht nicht konkret

Auf die hiergegen gerichtete Berufung wies das OLG den Kläger in einem sog. Hinweisbeschluss darauf hin, dass es beabsichtigt, seine Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, weil sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Kläger nahm daraufhin die Berufung zurück. 

Zur Begründung führte das OLG aus: Wenn – wie hier – ein eingetragenes Geh- und Fahrrecht im Grundbuch nicht näher konkretisiert ist, können auch andere Umstände herangezogen werden, um den Umfang des Geh- und Fahrrechts festzustellen. Hierzu sind z. B. die Gegebenheiten vor Ort und der Sinn und Zweck des Fahrrechts zu berücksichtigen. Die zwischen den Grundstücken liegende Hofdurchfahrt muss nach Ansicht des OLG jedenfalls breit genug sein, um mit einem üblichen Kraftfahrzeug in einer üblichen Bogenfahrt auch die hinterste der Garagen erreichen zu können. Da nach der Straßenverkehrszulassungsordnung (§ 32 StVZO) die höchstzulässige Breite von Kraftfahrzeugen allgemein 2,55 Meter beträgt, sollte die Zufahrtsbreite mindestens drei Meter betragen. In Höhe des Bogens zu den links gelegenen Garagen sollte die Zufahrt etwas breiter sein. Hier orientierte sich das OLG an der Garagenverordnung (§ 2 Abs. 3 GarVO Rheinland-Pfalz) und hielt eine Breite von mindestens fünf Metern für angemessen. Auch diese Vorgabe war nach den vorgelegten Lichtbildern erfüllt. Das OLG verwies zudem darauf, dass das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 1020 S. 1 BGB) den Berechtigten zur schonenden Ausübung der Grunddienstbarkeit verpflichtet. 

Pkw-Stellfläche ist Ausübung des Eigentumsrechts

In diesem Sinne hat es der Kläger hinzunehmen, dass die Beklagten ihr Eigentumsrecht ausüben und einen Teil ihres Grundstücks als Pkw-Stellfläche nutzen, sofern sein Zufahrtsrecht dadurch nicht mehr als notwendig beeinträchtigt wird. Die damit für ihn und die Garagennutzer verbundene nachteilige Veränderung muss er hinnehmen. 

Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 18.7.2022, 7 U 150/20, PM vom 3.5.2022

Datenschutz: Falschparker dürfen fotografiert und angezeigt werden

| Das Verwaltungsgericht (VG) Ansbach hat jetzt zwei Klagen gegen Verwarnungen des Landesamtes für Datenschutzaufsicht (LDA) stattgegeben, mit denen das LDA die Ablichtung von Falschparkern rügte. | 

Gegenstand der Verwarnungen waren von den Klägern angefertigte Fotoaufnahmen von ordnungswidrig geparkten Fahrzeugen, die die Kläger mitsamt Anzeigen an die zuständige Polizei übersandten. Bei den angezeigten Verstößen handelte es sich z. B. um Parken im absoluten Halteverbot oder ordnungswidriges Parken auf Gehwegen. 

Das VG hat darüber entschieden, ob die Übermittlung der Bildaufnahmen eine rechtmäßige Datenverarbeitung im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) darstellte. Diese setzt voraus, dass die Datenverarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist. 

Die Beteiligten stritten insbesondere um die rechtliche Frage, ob für die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung eine persönliche Betroffenheit des Anzeigenerstatters durch die Parkverstöße erforderlich sei und ob nicht für eine Anzeige die bloße schriftliche oder telefonische Schilderung des Sachverhalts unter Angabe des Fahrzeugkennzeichens genüge, sodass eine Übermittlung von Bildaufnahmen nicht erforderlich sei. 

Problematisch sei nach Ansicht des LDA zudem, dass mit den Fotos oft Daten erhoben würden, die über den reinen Parkvorgang hinausgingen, z. B. bei Ablichtung anderer Fahrzeuge und Personen. Die Kläger bezogen sich auf Hinweise der Polizei ihnen gegenüber, dass die Parksituation zum Beweis durch Fotoaufnahmen möglichst genau dokumentiert werden sollte. Zudem würde die Verfolgung der Ordnungswidrigkeiten durch die Anfertigung von Fotos vereinfacht. 

Die Entscheidungen sind nicht rechtskräftig. Gegen die Urteile kann Antrag auf Zulassung der Berufung zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) gestellt werden. 

Quelle | VG Ansbach, Urteile vom 2.11.2022, AN 14 K 22.00468 und AN 14 K 21.01431, PM vom 3.11.2022

Krankheit: Auf die Körpergröße kommt es nicht an

| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass eine geringe Körpergröße keine Krankheit im Rechtssinne ist. | 

Das war geschehen

Geklagt hatte eine junge Frau aus Bremen, die nach Abschluss des Wachstums eine Körpergröße von nur knapp 1,50 m erreicht hatte. Bei ihrer Krankenkasse beantragte sie die Kostenübernahme für eine operative Beinverlängerung. Dafür sollten Ober- bzw. Unterschenkelknochen durchtrennt und ein Verlängerungssystem implantiert werden, das Knochen und Weichgewebe auf die gewünschte Größe dehnt. Zur Begründung führte die Frau aus, dass sie unter ihrer kleinen Körpergröße psychisch leide. Sie werde von ihrer Umwelt nicht als vollwertig wahrgenommen und sei auch in ihrer Berufswahl eingeschränkt. Für eine Ausbildung als Pilotin sei sie wegen ihrer Körpergröße abgelehnt worden. Ihr Traum sei eine Größe von 1,60 m bis 1,65 m. 

Krankenkasse: kein Krankheitswert

Die Kasse lehnte den Antrag ab, da eine geringe Körpergröße nicht als eine Krankheit zu bewerten sei, die einen Leistungsanspruch auslöse. Demgegenüber hielt die Frau ihre Körpergröße für krankheitswertig, da nur drei Prozent der Frauen so klein seien. Außerdem hätten jedenfalls die psychischen Auswirkungen sehr wohl Krankheitswert. Im Alltag werde sie behindert durch zu hohe Treppenstufen, Stühle, Waschbecken, Spiegel, Schränkte etc. 

Landessozialgericht: keine Leistungspflicht der Krankenkasse

Das LSG hat die Rechtsauffassung der Krankenkasse bestätigt. Es hat sich auf die einhellige Rechtsprechung gestützt, wonach bei einer Frau selbst eine Größe von 1,47 m nicht als regelwidriger Körperzustand und damit nicht als Krankheit im Rechtssinne zu bewerten sei. Alltagsschwierigkeiten könne durch Hilfsmittel und ggf. angepasste Wohneinrichtung begegnet werden. Psychische Beeinträchtigungen seien allein mit therapeutischen Mitteln zu behandeln. Denn ansonsten müssten köperverändernde Eingriffe auf Kosten der Allgemeinheit durchgeführt werden, wenn therapeutische Maßnahmen nicht helfen, weil der Betroffene auf den Eingriff fixiert ist. Auch die Ablehnung für bestimmte Berufe könne keine Leistungspflicht der Kasse auslösen. 

Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 5.7.2022, L 16 KR 183/21, PM vom 18.7.2022

Jugendschutz: Schmerzensgeld wegen Shisha-Abgabe an Minderjährige

| Der Betreiber eines Pubs ist verpflichtet, sich so zu verhalten, dass Körper, Leben und sonstige Rechtsgüter der Gäste nicht verletzt werden. Auf die Wirksamkeit eines beabsichtigten oder abgeschlossenen Vertrags kommt es dabei nicht an. Die ungeprüfte Abgabe einer Shisha an eine Minderjährige verstößt gegen die Bestimmungen des Jugendschutzes. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main bestätigte ein Urteil des Landgerichts (LG), mit dem der Betreiber wegen der erlittenen Kohlenmonoxid-Vergiftung der Minderjährigen zu einer Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 6.400 Euro verurteilt worden war. | 

Das war geschehen

Die Beklagte betreibt einen Pub in Hessen. Die damals minderjährige Klägerin suchte das Lokal auf, um gemeinsam mit ihrer Freundin eine Shisha zu rauchen. Dabei erlitt sie eine Kohlenmonoxid-Vergiftung. Sie litt an Atemnot und Schwindel und wurde zur Erstversorgung in eine Klinik gebracht. Nach mehrtägiger stationärer Behandlung musste die Klägerin mindestens elf kardiologische Termine wahrnehmen. Sie war mehrere Monate zu keinerlei körperlichen Aktivitäten in der Lage. Noch ein Jahr nach dem Vorfall konnte sie keine gesteigerten körperlichen Aktivitäten, wie Sport oder weite Spaziergänge, durchführen. Ob ihre vollständige Leistungsfähigkeit wiederhergestellt werden kann, ist gegenwärtig unklar. 

Die Klägerin verlangte Schmerzensgeld in Höhe von 8.000 Euro, da die Mitarbeiter sie weder nach ihrem Alter gefragt noch eine korrekte Einweisung in die sachgerechte Benutzung der Shisha vorgenommen hätten. Das Landgericht (LG) hatte die Beklagte verurteilt, ein Schmerzensgeld in Höhe von 6.400 Euro zu zahlen. 

Oberlandesgericht: Jugendschutz nicht eingehalten

Die hiergegen gerichtete Berufung hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Die Beklagte habe die sie treffenden Schutz- und Rücksichtspflichten verletzt. Diese Pflichten bestünden unabhängig davon, ob der Vertrag im Hinblick auf die Minderjährigkeit der Klägerin wirksam zustande gekommen sei. Die Beklagte habe eine Pflichtverletzung begangen, da die Mitarbeiter ihres Lokals den Konsum tabakhaltiger Erzeugnisse ohne vorherige Alterskontrolle gestatteten. Sie hätten jedoch die Bestimmungen des Jugendschutzes einhalten müssen. Demnach dürfen in Gaststätten Tabakwaren und andere nikotinhaltige Erzeugnisse und deren Behältnisse an Kinder oder Jugendliche weder abgegeben noch darf ihnen das Rauchen oder der Konsum nikotinhaltiger Produkte gestattet werden. Dies gelte auch für nikotinfreie Erzeugnisse, wie elektronische Zigaretten oder elektronische Shishas. Nach der vom LG durchgeführten Beweisaufnahme stehe fest, dass die Klägerin ohne vorherige Alterskontrolle eine Shisha bestellt und erhalten habe. Ebenfalls sei bewiesen worden, dass die Klägerin einen Krampfanfall erlitten habe. 

Der Umstand, dass die Freundin der Klägerin selbst symptomfrei geblieben sei, stehe dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht entgegen. Es sei vielmehr ohne Weiteres nachvollziehbar, dass mehrere Personen unterschiedlich reagieren können, etwa, weil sie verschieden stark an einer Shisha ziehen, durch einen anderen Schlauch oder eine andere Öffnung mehr Kohlenmonoxid ausgesetzt werden oder die Kohlenmonoxidbelastung unterschiedlich gut vertragen. 

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 11.7.2022, 6 U 148/21, PM 64/22

Modernisierungsmieterhöhung: Keine Aufteilung der Modernisierungskosten nach Gewerken

| Ein häufiger Streitpunkt zwischen Mietern und ihren Vermietern ist die Mieterhöhung nach einer Modernisierung. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mit den formellen Anforderungen an Mieterhöhungserklärungen nach der Durchführung von Modernisierungsmaßnahmen befasst. Es handelt sich um drei von vielen beim BGH anhängiger Verfahren, mit denen Mieter verschiedener Wohnungen in Bremen gegen Mieterhöhungen der Vermieterin vorgehen. | 

Das war geschehen und bisheriger Prozessverlauf

In sämtlichen Verfahren sind die Kläger jeweils Mieter von Wohnungen der Beklagten. Diese erhöhte infolge von Modernisierungen der betreffenden Wohnungen sowie der Gebäude, in denen sich die Wohnungen befinden, die monatlich zu zahlende Grundmiete. Den Mieterhöhungsschreiben war jeweils eine als „Kostenzusammenstellung und Berechnung der Mieterhöhung“ bezeichnete Anlage beigefügt. Diese enthielt u. a. Angaben zu den einzelnen Modernisierungsmaßnahmen, die hierfür jeweils angefallenen Gesamtkosten, den jeweils nach Abzug der Instandhaltungskosten verbleibenden umlagefähigen Modernisierungskostenanteil sowie die sich daraus ergebende Berechnung der jeweiligen Mieterhöhung. Die Kläger halten die Mieterhöhungserklärungen bereits aus formellen Gründen für unwirksam. Sie begehren mit ihren Klagen die Feststellung, dass der Beklagten ein Anspruch auf Zahlung der erhöhten Miete nicht zustehe, und zum Teil zusätzlich die Rückzahlung ihrer Ansicht nach überzahlter Mieten. 

Das Berufungsgericht hat in allen drei Verfahren die Mieterhöhungserklärungen bereits aus formellen Gründen für unwirksam erachtet und den Klagen jeweils stattgegeben. Jedenfalls bei umfassenden und kostenträchtigen Modernisierungsmaßnahmen bzw. solchen, die außerhalb der Wohnung des Mieters vorgenommen würden oder mehrere Gebäude umfassten, sei zur Erfüllung der formellen Anforderungen des hier einschlägigen § 559 b Abs. 1 S. 2 BGB eine weitere Untergliederung der betreffenden Kostenpositionen erforderlich. Das könnte etwa durch eine Aufschlüsselung nach verschiedenen Gewerken, „konkreten Arbeitsabschnitten“ oder „greifbaren Einzelarbeiten“ erfolgen. Nur so könne der Mieter den Kostenansatz des Vermieters auf Plausibilität und Berechtigung im Hinblick auf etwa nicht umlagefähige Instandhaltungskosten prüfen. 

BGH: Gesamtsumme reicht aus – auch für große Baumaßnahmen

Der BGH hat entschieden, dass es zur Erfüllung der formellen Anforderungen der o. g. Vorschrift genügt, wenn ein Vermieter die für eine bestimmte Modernisierungsmaßnahme angefallenen Kosten als Gesamtsumme ausweist und einen seiner Meinung nach in den Gesamtkosten enthaltenen Instandsetzungsteil durch die Angabe einer Quote oder eines bezifferten Betrags kenntlich macht. Eine Aufschlüsselung der für eine bestimmte Modernisierungsmaßnahme entstandenen Gesamtkosten nach den einzelnen angefallenen Gewerken oder anderen Bauleistungsbereichen ist hingegen grundsätzlich auch dann nicht erforderlich, wenn umfangreiche und entsprechend kostenträchtige bauliche Veränderungen oder Maßnahmen außerhalb der betroffenen Wohnung oder an mehreren Gebäuden ausgeführt wurden. 

Der Vermieter kann nach der Durchführung bestimmter Modernisierungsmaßnahmen die jährliche Miete um 11 Prozent (seit 1.1.2019 um 8 Prozent) der für die Wohnung aufgewendeten Kosten erhöhen. Dabei ist die Mieterhöhung in Textform zu erklären und die Erhöhung ist aufgrund der entstandenen Kosten zu berechnen und zu erläutern. Dies dient der Abgrenzung berücksichtigungsfähiger Modernisierungsmaßnahmen von nicht berücksichtigungsfähigen Erhaltungsmaßnamen. Diese formellen Anforderungen bilden das notwendige Gegengewicht zu der dem Vermieter in Abweichung von allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechts eingeräumten Möglichkeit, die Pflicht des Mieters zur Mietzahlung durch einseitige Erklärung zu gestalten. Der Mieter soll in die Lage versetzt werden, Grund und Umfang der Mieterhöhung auf Plausibilität zu prüfen und zu entscheiden, ob Bedarf für eine eingehendere Kontrolle besteht – etwa durch Zuziehung juristisch oder bautechnisch Sachkundiger, durch Einholung weiterer Auskünfte beim Vermieter und/oder durch Einsichtnahme in die Rechnungen und Belege. 

Dennoch dürfen die Hürden für die Mieterhöhungserklärung in formeller Hinsicht nicht zu hoch angesetzt werden. Denn eine Überspannung der Anforderungen könnte dazu führen, dass der Vermieter eine inhaltlich berechtigte Mieterhöhung nicht durchsetzen könnte und ihm der Anreiz zur Durchführung von - vom Gesetzgeber ausdrücklich erwünschten - Modernisierungsmaßnahmen genommen würde. Davon ausgehend ist es in formeller Hinsicht ausreichend, wenn der Vermieter in der Mieterhöhungserklärung die für eine bestimmte Modernisierungsmaßnahme angefallenen Kosten als Gesamtsumme ausweist und einen aus seiner Sicht in den Gesamtkosten enthaltenen Instandsetzungsanteil durch die Angabe einer Quote oder eines bezifferten Betrags kenntlich macht. Welchen Erkenntnisgewinn die vom Berufungsgericht geforderte weitergehende Aufschlüsselung der entstandenen Gesamtkosten nach Gewerken oder vergleichbaren Kriterien dem Mieter vermittelte, ist nicht ersichtlich. Zudem hat das Berufungsgericht nicht hinreichend berücksichtigt, dass dem Mieter zur Klärung verbleibender Unsicherheiten oder zur Kontrolle der Angaben des Vermieters über die Aufwendungen auf ihre sachliche Richtigkeit ein umfassendes Auskunfts- und (Belege-)Einsichtsrecht zusteht. 

Abgrenzung der Modernisierungs- von Erhaltungsmaßnahmen

Ob die vom Vermieter angesetzten Erhöhungsbeträge tatsächlich zutreffend und angemessen sind, betrifft allein die materiell-rechtliche Nachprüfung der Erhöhungserklärung. In deren Rahmen hat der Vermieter die Darlegungs- und Beweislast nicht nur dafür, dass es sich bei den durchgeführten Baumaßnahmen um Modernisierungs- und nicht um Erhaltungsmaßnahmen handelt, sondern auch dafür, dass die zugrunde gelegten Kosten nicht (teilweise) auf der Erhaltung dienende Maßnahmen entfallen sind. Da das Berufungsgericht die erforderlichen Feststellungen bislang nicht getroffen hat, hat der BGH die Berufungsurteile in allen drei Verfahren aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht (LG) Bremen zurückverwiesen. 

Quelle | BGH, Urteile vom 20.7.2022, VIII ZR 337/21, VIII ZR 339/21 und VIII ZR 361/21, PM 114/2022

Erbschaftsteuerbefreiung: Kein Wegfall bei unzumutbarer Selbstnutzung des Familienheims

| Zieht der überlebende Ehepartner aus dem geerbten Familienheim aus, weil ihm dessen weitere Nutzung aus gesundheitlichen Gründen unmöglich oder unzumutbar ist, entfällt die ihm beim Erwerb des Hauses gewährte Erbschaftsteuerbefreiung nicht rückwirkend. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) nun entschieden. | 

Die Klägerin hatte mit ihrem Ehemann ein Einfamilienhaus bewohnt und wurde nach dessen Tod aufgrund Testaments Alleineigentümerin. Nach knapp zwei Jahren veräußerte sie das Haus und zog in eine Eigentumswohnung. Die Klägerin berief sich gegenüber dem Finanzamt und dem Finanzgericht (FG) erfolglos darauf, sie habe wegen einer depressiven Erkrankung, die sich nach dem Tod ihres Ehemanns gerade durch die Umgebung des ehemals gemeinsam bewohnten Hauses verschlechtert habe, dieses auf ärztlichen Rat verlassen. Das FG war der Ansicht, es habe keine zwingenden Gründe für den Auszug gegeben, da der Klägerin nicht die Führung eines Haushalts schlechthin unmöglich gewesen sei. 

Der BFH hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Grundsätzlich setzt die Steuerbefreiung (hier: gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 b Erbschaftsteuergesetz – ErbStG) voraus, dass der Erbe für zehn Jahre das geerbte Familienheim selbst nutzt, es sei denn, er ist aus „zwingenden Gründen“ daran gehindert. „Zwingend“, so der BFH, erfasse nicht nur den Fall der Unmöglichkeit, sondern auch die Unzumutbarkeit der Selbstnutzung des Familienheims. Diese könne auch gegeben sein, wenn der Gesundheitszustand des Erben durch den Verbleib im Familienheim erheblich beeinträchtigt wird. 

Das FG muss deshalb im zweiten Rechtsgang, ggf. mit Hilfe ärztlicher Begutachtung, die geltend gemachte Erkrankung einschließlich Schwere und Verlauf prüfen. 

Quelle | BFH, Urteil vom 1.12.2021, II R 1/21, PM 030/22

Testament: Alleinerbe – auch wenn andere ebenfalls etwas erben

| Auch wenn nach dem Wortlaut eines Testaments mehrere Personen etwas „erben“ sollen, kann die Auslegung ergeben, dass nur eine Person Alleinerbe werden sollte und die übrigen Begünstigten mit Vermächtnissen bedacht werden sollten. Hierfür spricht, wenn die einer Person zugewandten Vermögenswerte aus Sicht des Erblassers den wesentlichen Teil seines Nachlasses darstellen und diese Person nach dem Testament auch für die „Beerdigung und Folgekosten“ verantwortlich zeichnen sollte. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken entschieden. | 

Was war geschehen?

Der Erblasser hatte ein privatschriftliches Testament errichtet. Darin bezeichnete er seine Lebensgefährtin als „Erbe“ für sein Haus. Nach dem weiteren Wortlaut „erbte“ diese auch das Barvermögen. Seine Grundstücke und Anteile daran „vererbe“ der Erblasser seinen Nichten und einem Neffen. Für die Beerdigung und Folgekosten zeichne seine Lebensgefährtin verantwortlich, heißt es in dem Testament weiter. 

Testament nicht eindeutig: Auslegung erforderlich

Der Wortlaut des Testaments sei nicht eindeutig, was zur Auslegung nötige, so das OLG. Dafür, dass der Erblasser die Lebensgefährtin zu seiner Alleinerbin einsetzen wollte, spreche vor allem, dass die ihr ausdrücklich zugewandten Gegenstände das übrige Vermögen in ihrem Wert ganz erheblich übertreffen und vom Erblasser erkennbar als sein wesentlicher Nachlass angesehen wurden. Zudem komme es bei der Entscheidung, ob eine Person als Erbe eingesetzt ist, wesentlich darauf an, wer nach dem Willen des Erblassers den Nachlass regeln und die Nachlassschulden, zu denen auch die Bestattungskosten gehören, tilgen muss. Außerdem komme es darauf an, ob der Bedachte unmittelbar Rechte am Nachlass oder nur Ansprüche gegen andere Bedachte erwerben soll. 

Quelle | OLG Saarbrücken, Beschluss vom 30.3.2022, 5 W 15/22

Testament: Was darf der Erblasser im Hinblick auf Auflagen regeln?

| Der Spielraum des Erblassers für Auflagen ist sehr groß. Sie dürfen – an objektiven Kriterien gemessen – sinnfrei, sogar unsinnig sein, ohne dass dies allein zu einer Unwirksamkeit führt. Der Erblasser kann sich grundsätzlich also bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit Auflagen ausdenken. Sofern sie nicht gegen die guten Sitten verstoßen und den höchstpersönlichen Bereich des durch die Auflagen Beschwerten nicht tangieren, sind sie wirksam. Dem Erblasser muss es im Wege der grundrechtlich geschützten Testierfreiheit möglich sein, die Erbfolge nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten, sodass eine Sittenwidrigkeit nur in besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen angenommen werden kann. Einen solchen schwerwiegenden Ausnahmefall hat das Landgericht (LG) Bochum nun bejaht. | 

Die spätere Erblasserin setzte ihre Tochter und ihre Enkelin in einem notariellen Testament zu ihren Erben ein. Es störte sie wohl eine außereheliche Beziehung der Tochter. Diese war zwar noch „auf dem Papier“ verheiratet, hatte aber einen neuen Lebenspartner gefunden, mit dem sie teilweise in ihrer Wohnung im Haus der Erblasserin zusammenwohnte. Daher verfügte die Erblasserin in ihrem Testament: „Die Erben haben dafür zu sorgen, dass es Herrn M. (Anm.: der Lebenspartner der Tochter) auf Dauer untersagt wird, das Grundstück … zu betreten. Den Erben ist es darüber hinaus untersagt, das Grundstück oder Teile davon an Herrn M. oder dessen Abkömmlinge zu veräußern, zu verschenken oder auf sonstige Weise zu übertragen.“ Die Auflage sicherte die Erblasserin über eine Testamentsvollstreckung ab. Bei einem Verstoß gegen die Auflage sollte der Testamentsvollstrecker die Immobilie verkaufen und eine Hälfte des Erlöses den Erben und die andere Hälfte einer gemeinnützigen Organisation auskehren. 

Die Erben klagten, festzustellen, dass die Auflage nichtig ist. Das LG gab ihnen Recht. 

Quelle | LG Bochum, Urteil vom 29.4.2021, 8 O 486/20

Saunalandschaft: Fliesentauglichkeit: Architekt muss kein Labor beauftragen

| Im Rahmen seiner Aufgaben der Planung muss der Architekt auch die Materialien auswählen, die für die Maßnahme geeignet sind. Auf das Datenblatt eines Baustoffherstellers darf sich der Architekt dabei verlassen. Er muss nicht alle Baustoffe durch ein Labor auf das Vorhandensein der vom Hersteller zugesicherten Angaben prüfen lassen. Das hat jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe festgestellt. | 

Ein Architekt wurde mit den Leistungsphasen 1 bis 8 nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) und mit einem Fliesengewerk bei der Sanierung einer Saunalandschaft beauftragt. Die Fliesen sollten säure- bzw. chemiebeständig sein. Der Architekt wählte ein Fabrikat, das nach dem Datenblatt des Herstellers diese Anforderungen erfüllte. Er legte sie der Ausschreibung zugrunde. Nach Abnahme der Leistungen zeigten sich Ausblühungen und die Fliesen lösten sich ab. Der Betreiber verklagte den Architekten auf Kostenvorschuss wegen Planungs- und Überwachungsfehlern und den Fliesenleger wegen Ausführungsfehlern. 

Das OLG sprach den Architekten mit den eingangs genannten Erwägungen von Planungs- und Überwachungsfehlern frei. Würde man dies anders sehen, wäre die Folge, dass ein Architekt verpflichtet wäre, beinahe alle verwendeten Baustoffe durch ein Labor prüfen zu lassen. Damit wäre aber ein unverhältnismäßiger Aufwand verbunden. 

Die Entscheidung ist rechtskräftig. 

Quelle | OLG Karlsruhe, Beschluss vom 20.9.2021, 4 U 199/20

Haftung: Wenn der Baukran umfällt …

| Ein ordnungsgemäß montierter und auf stabilem Baugrund aufgebauter Kran fällt nicht ohne Weiteres um, auch nicht bei einem Sturm. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. festgestellt. Stürzt ein auf der Baustelle betriebener Turmdrehkran während Bauarbeiten um, spricht deshalb der sog. „Beweis des ersten Anscheins“ für einen Montage- und Aufbaufehler. | 

In solchen Fällen kommen verschiedene Ursachen in Frage, die dann auch über die Haftung entscheiden. Zum „Beweis des ersten Anscheins“ gehören nicht nur die Pflichten des Aufstellers, sondern (je nach Einzelfall) auch, ob sich die Bauüberwachung im Rahmen ihrer eigenen Leistungen von der ordnungsgemäßen Aufstellung überzeugt hat. 

Im Fall des OLG sprach der „Beweis des ersten Anscheins“ für einen Montage- und Aufbaufehler des ausführenden Unternehmens. Denn ein Sicherungsbolzen der Stahlkonstruktion des Krans am Ausleger war falsch montiert. Die Bauüberwachung war insoweit damit bis auf Weiteres außen vor. Die Kontrolle von Sicherungsbolzen am Kran kann der Bauüberwachung nicht zugeordnet werden. 

Die Bauüberwachung wäre eventuell dann in den Fokus des Anscheinsbeweises gerückt, wenn statt des Sicherungsbolzens am Kranausleger das Kranfundament an der falschen Stelle – entgegen der Vorgabe der Bauüberwachung (auf instabilem Baugrund ohne vorherige Prüfung) – ausgeführt worden wäre. 

Quelle | OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 11.7.2022, 29 U 222/19

Werkverträge: Vereinbarungen zur Fälligkeit – das ist möglich

| Vor allem bei einem Werk- oder Architektenvertrag können die Parteien die gesonderte Fälligkeit von Teilleistungen vereinbaren, die nicht am Ende der Vertragsdurchführung stehen, sondern einen Zwischenerfolg darstellen. Solche Vereinbarungen müssen nicht stets ausdrücklich, sondern können durchaus auch stillschweigend getroffen werden. Das hat nun das Kammergericht (KG) in Berlin klargestellt. | 

Eine solche Vereinbarung setzt auch nicht voraus, dass die Parteien kalendermäßig eine Frist oder einen Termin bestimmt haben. Der Fälligkeitszeitpunkt der Teilleistung ist vielmehr durch Auslegung, notfalls mithilfe der gesetzlichen Vermutung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 271 Abs. 1 BGB) zu bestimmen. Besser ist es daher, die Fälligkeit von Teilleistungen – im Zweifel auch ausschließend – ausdrücklich zu regeln. 

Quelle | KG, Urteil vom 26.4.2022, 21 U 1030/20

Lärmimmissionen: Keine Lärmsanierung nach Errichtung eines Buswendeplatzes

| Der Kläger, Eigentümer eines Wohngrundstücks, hat keinen Anspruch gegen den beklagten Landkreis auf Durchführung von Maßnahmen zum Schutz vor Lärmimmissionen, die durch den Betrieb eines Buswendeplatzes in der Nähe seines Grundstücks hervorgerufen werden. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz. |

Das Grundstück des Klägers liegt in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Mischgebiet; allerdings findet sich dort ausschließlich Wohnbebauung. Nachdem im Jahr 2016 die entsprechenden bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen worden waren, wurde für den Öffentlichen Personennahverkehr und den darin integrierten Schülerverkehr in der am Grundstück des Klägers entlangführenden Straße ein Buswendeplatz errichtet. Daraufhin stellte der Kläger bei dem beklagten Landkreis einen Antrag auf Maßnahmen zum Schutz vor den durch den Buswendeplatz verursachten Emissionen. Nachdem sein Antrag erfolglos geblieben war, verfolgte der Kläger sein Begehren auf dem Klageweg weiter.  

Das VG wies die Klage ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die begehrte Lärmsanierung. Zwar sei nach Errichtung des Buswendeplatzes und dem dadurch erhöhten Verkehrsaufkommen durch Busse eine deutliche Lärmsteigerung eingetreten. Jedoch würden die maßgeblichen Beurteilungspegel nicht überschritten. Dies gelte unabhängig davon, ob die Beurteilungspegel für ein Mischgebiet (64 dB (A) am Tag und 54 dB (A) in der Nacht) oder für ein reines oder allgemeines Wohngebiet (59 dB (A) am Tag und 49 dB (A) in der Nacht) anzusetzen seien. Denn ungeachtet der Wirksamkeit der Mischgebietsfestsetzung im Bebauungsplan erreichten die Lärmimmissionen am Wohnhaus des Klägers nach einem von ihm nicht substanziiert angegriffenen schalltechnischen Gutachten lediglich Werte von 55 dB(A) tags und 47 dB (A) nachts. Selbst unter Berücksichtigung der Gesamtbelastung am Grundstück des Klägers erleide dieser keine Gesundheits- oder übermäßigen Eigentumsbeeinträchtigungen, die trotz Einhaltung der Immissionsgrenzwerte ausnahmsweise zu einem Lärmsanierungsanspruch führen könnten. Die vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) insoweit entwickelte Zumutbarkeitsschwelle liege nämlich bei hier nicht erreichten Werten von mindestens 67 dB (A) tags und 57 dB (A) nachts. 

Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 21.7.2022, 4 K 46/22.KO, PM 27/22

Kündigungsschutzklage: Redakteurin: Kündigung wegen Vorwurf antisemitischer Äußerung?

| Das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin hat die Kündigung einer Redakteurin des Senders Deutsche Welle für unwirksam erklärt. Die Redakteurin hatte sich bereits vor ihrem Arbeitsverhältnis antisemitisch geäußert. | 

Kündigungsschutzklage war erfolgreich

Der Sender hat zur Begründung der Kündigung geltend gemacht, die Redakteurin habe sich mehrfach israelfeindlich und antisemitisch in anderen Medien geäußert. Dies widerspreche den Grundsätzen der Deutschen Welle, wie sie ausdrücklich in Guidelines und Positionspapieren festgehalten seien. Das ArbG hat jedoch der Kündigungsschutzklage stattgegeben und den Sender zur Weiterbeschäftigung der Redakteurin verurteilt. 

Es bestand noch kein Vertragsverhältnis

Das ArbG: Antisemitische Äußerungen könnten ein Grund für eine außerordentliche Kündigung sein. Wenn es nicht um Äußerungen im Rahmen der Arbeit für den Sender gehe, könne hierin eine Verletzung von Loyalitätspflichten liegen. Soweit es aber um Äußerungen gehe, die vor Bestehen eines Vertragsverhältnisses zum Sender erfolgt seien, fehle es mangels bestehenden Vertrags zu dieser Zeit an einer für eine verhaltensbedingte Kündigung erforderlichen Vertragspflichtverletzung. 

Personalrat wurde nicht hinzugezogen

Eine personenbedingte Kündigung hatte die Beklagte nicht ausgesprochen und dazu auch nicht ihren Personalrat beteiligt. Auch bei Äußerungen während einer vorherigen Beschäftigung auf Honorarbasis könne nicht ohne Weiteres ein „Durchschlagen“ als Pflichtverletzung auf ein späteres Arbeitsverhältnis angenommen werden. Zudem müsse jeweils eine Bewertung der Umstände des Einzelfalls unter Beachtung des Zusammenhangs von Äußerungen erfolgen. 

Redakteurin hatte sich distanziert

Wenn man berücksichtige, dass die Redakteurin sich in einer für die Öffentlichkeit bestimmten Erklärung von früheren Äußerungen distanziert habe und keine Abmahnung vorliege, sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der beiderseitigen Interessen zumutbar. Im Hinblick hierauf könne keine negative Prognose für ein künftig zu erwartendes Fehlverhalten gestellt werden. 

Weder Abmahnung noch Fristwahrung

Unabhängig hiervon sei für die außerordentliche Kündigung die Frist von zwei Wochen ab Kenntnis der maßgeblichen Umstände nicht eingehalten. In Bezug auf die gegenüber der klagenden Redakteurin erhobenen Vorwürfe erschließe sich die Erforderlichkeit der vorherigen zweimonatigen Untersuchung nicht, von der der Sender ausgegangen war. 

Quelle | ArbG Berlin, Urteil vom 5.9.2022, 22 Ca 1647/22, PM 28/22 vom 3.11.2022

Gesetzlich festgelegte Höchstdauer: Verlängerung einer Arbeitnehmerüberlassung durch Tarifvertrag

| Bei einer vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung kann in einem Tarifvertrag der Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche abweichend von der gesetzlich zulässigen Dauer von 18 Monaten eine andere Überlassungshöchstdauer vereinbart werden. Diese ist auch für den überlassenen Arbeitnehmer und dessen Arbeitgeber (Verleiher) unabhängig von deren Tarifgebundenheit maßgebend. So entschied es nun das Bundesarbeitsgericht (BAG). | 

Der Kläger war der Beklagten ab Mai 2017 für knapp 24 Monate als Leiharbeitnehmer überlassen. Die Beklagte ist Mitglied im Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e. V. (Südwestmetall). In ihrem Unternehmen galt daher der zwischen Südwestmetall und der Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) geschlossene „Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit“. DerTarifvertrag regelt unter anderem, dass die Dauer einer Arbeitnehmerüberlassung 48 Monate nicht überschreiten darf. Der Kläger will mit seiner Klage festgestellt wissen, dass zwischen ihm und der Beklagten (Entleiherin) aufgrund Überschreitung der gesetzlichen Höchstüberlassungsdauer kraft Gesetzes (hier: § 9 Abs. 1 Nr. 1 b, § 10 Abs. 1 S. 1 Gesetz zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung (AÜG)) ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen sei. Der Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit gelte für ihn mangels Mitgliedschaft in der IG Metall nicht. Zudem sei die dem Tarifvertrag zugrunde liegende Regelung (hier: § 1 Abs. 1 b S. 3 AÜG) verfassungswidrig. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. 

Die Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Südwestmetall und IG Metall konnten die Überlassungshöchstdauer für den Einsatz von Leiharbeitnehmern bei der Beklagten durch Tarifvertrag mit Wirkung auch für den Kläger und dessen Arbeitgeberin (Verleiherin) verlängern. Bei § 1 Abs. 1 b S. 3 AÜG handelt es sich um eine vom Gesetzgeber außerhalb des Tarifvertragsgesetzes vorgesehene Regelungsermächtigung, die den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche nicht nur gestattet, die Überlassungshöchstdauer abweichend von § 1 Abs. 1 b S. 1 AÜG verbindlich für tarifgebundene Entleihunternehmen, sondern auch für Verleiher und Leiharbeitnehmer mittels Tarifvertrag zu regeln, ohne dass es auf deren Tarifgebundenheit ankommt. Die gesetzliche Regelung ist unionsrechts- und verfassungskonform. Die vereinbarte Höchstüberlassungsdauer von 48 Monaten hält sich im Rahmen der gesetzlichen Regelungsbefugnis. 

Quelle | BAG, Urteil vom 14.9.2022, 4 AZR 83/21, PM 37/22

Corona-Kontaktperson: Behördlich angeordnete Quarantäne während des Urlaubs

| Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gerichtet, um die Frage klären zu lassen, ob aus dem Unionsrecht die Verpflichtung des Arbeitgebers abzuleiten ist, einem Arbeitnehmer bezahlten Erholungsurlaub nachzugewähren, der zwar während des Urlaubs selbst nicht erkrankt ist, in dieser Zeit aber eine behördlich angeordnete häusliche Quarantäne einzuhalten hatte. | 

Der Kläger ist seit 1993 bei der Beklagten als Schlosser beschäftigt. Auf seinen Antrag bewilligte ihm die Beklagte acht Tage Erholungsurlaub für die Zeit vom 12. bis zum 21.10.2020. Mit Bescheid vom 14.10.2020 ordnete die Stadt Hagen die Absonderung des Klägers in häusliche Quarantäne für die Zeit vom 9. bis zum 21.10.2020 an, weil er zu einer mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizierten Person Kontakt hatte. Für die Zeit der Quarantäne war es dem Kläger untersagt, seine Wohnung ohne ausdrückliche Zustimmung des Gesundheitsamts zu verlassen und Besuch von haushaltsfremden Personen zu empfangen. Die Beklagte belastete das Urlaubskonto des Klägers mit acht Tagen und zahlte ihm das Urlaubsentgelt. 

Der Kläger hat die auf Wiedergutschrift der Urlaubstage auf seinem Urlaubskonto gerichtete Klage darauf gestützt, es sei ihm nicht möglich gewesen, seinen Urlaub selbstbestimmt zu gestalten. Die Situation bei einer Quarantäneanordnung sei der infolge einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vergleichbar. Der Arbeitgeber müsse ihm deshalb entsprechend dem Bundesurlaubsgesetz (hier: § 9 BurlG), dem zufolge ärztlich attestierte Krankheitszeiten während des Urlaubs nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden dürfen, nachgewähren. 

Das Landesarbeitsgericht (LAG) ist dieser Auffassung gefolgt und hat der Klage stattgegeben. Für das BAG ist die Frage entscheidungserheblich: Steht es mit europäischem Recht im Einklang, wenn vom Arbeitgeber bewilligter Jahresurlaub, der sich mit einer nach Urlaubsbewilligung behördlich angeordneten häuslichen Quarantäne zeitlich überschneidet, nach nationalem Recht nicht nachzugewähren ist, weil der betroffene Arbeitnehmer selbst nicht krank war? Diese Frage muss nun der EuGH beantworten. 

Quelle | BAG, Beschluss vom 16.8.2022, 9 AZR 76/22 (A), PM 30/22 vom 16.8.2022

Infektionsschutzgesetz: Keine Pflicht, ungeimpftes Pflegepersonal in Seniorenheim zu beschäftigen

| Die Corona-Pandemie wird in vielerlei Hinsicht die Gerichte noch längere Zeit beschäftigen. Besonders im Arbeitsrecht birgt die Pandemie – zum Beispiel mit Quarantäneregelungen und teilweiser Impfpflicht – ein hohes Streitpotenzial. Das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) hat jetzt in zwei Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz die Anträge von in der Pflege tätigen Klägern abgewiesen. Diese werden von ihrer Arbeitgeberin nicht mehr in deren Seniorenheim eingesetzt. Daher verlangten die Kläger durch Eilanträge, dass sie zunächst weiter beschäftigt werden müssten. | 

Die Kläger haben sich nicht gegen SARS-CoV-2 impfen lassen. Die Betreiberin des Seniorenheims hatte sie seit dem 16.3.2022 freigestellt. Dies begründete sie mit der seit 15.3.2022 bestehenden Pflicht nach dem Infektionsschutzgesetz (§ 20 a IfG), wonach Personen, die in Einrichtungen zur Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen arbeiten, über einen Impfnachweis oder z. B. einen Genesenennachweis verfügen müssen. Hiergegen hatten die Kläger in Eilverfahren bei dem Arbeitsgericht (ArbG) Gießen geklagt. 

Das Arbeitsgericht (ArbG) Gießen hatte die Anträge abgewiesen. Das LAG als Berufungsgericht hat diese Urteile nun bestätigt. Die Arbeitnehmer hätten keinen Anspruch darauf, in ihrem Arbeitsverhältnis beschäftigt zu werden. Der erforderliche Impfnachweis wirke wie eine berufliche Tätigkeitsvoraussetzung. Bei der Abwägung der Interessen habe die Arbeitgeberin die Arbeitnehmer freistellen dürfen. Das schützenswerte Interesse der Bewohnerinnen und Bewohner des Seniorenheims, vor einer Gefährdung ihrer Gesundheit und ihres Lebens bewahrt zu werden, überwiege das Interesse der Pflegekräfte, ihre Tätigkeit ausüben zu können. 

Beachten Sie | Die Entscheidungen des LAG sind rechtskräftig. Eine Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) ist in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht möglich. 

Quelle | Hessisches LAG, Urteile vom 11.8.2022, 5 SaGa 728/22 und 7 SaGa 729/22

Sonderregelung: Erleichterter Zugang zum Kurzarbeitergeld bis 31.12.2022 verlängert

| Mit der Verordnung zur Änderung der Kurzarbeitergeldzugangsverordnung wurden die Zugangserleichterungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld für weitere drei Monate bis zum 31.12.2022 verlängert. |

Es reicht weiterhin aus, wenn mindestens 10 % der Beschäftigten von Arbeitsausfall betroffen sind. Sonst muss mindestens ein Drittel der Beschäftigten betroffen sein.

Beschäftigte müssen auch keine Minusstunden aufbauen, bevor Kurzarbeitergeld gezahlt werden kann. 

Beachten Sie | Damit Sonderregelungen für das Kurzarbeitergeld weiterhin durch eine Verordnung erlassen werden können, hat der Bundestag die entsprechende Verordnungsermächtigung bis 30.6.2023 verlängert (Billigung durch Bundesrat am 7.10.2022). Damit können Zugangserleichterungen auch über den Jahreswechsel hinaus verlängert werden. 

Quelle | BMAS vom 16.9.2022 „Erleichtertes Kurzarbeitergeld“; Deutscher Bundestag vom 29.9.2022 „Vereinfachter Zugang zum Kurzarbeitergeld wird verlängert“; BR-Drs. 475/22 (B) vom 7.10.2022; Verordnung zur Änderung der Kurzarbeitergeldzugangsverordnung, BGBl I 2022, S. 1507

Gewerberaummiete: Kakerlaken im Bekleidungsgeschäft: 30 Prozent Mietminderung möglich

| Tritt Ungeziefer wiederholt in einem Bekleidungsgeschäft auf, stellt dies einen erheblichen Mangel dar. Das kann zu einer Minderung von mindestens 30 Prozent führen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe. | 

In den angemieteten Räumen beobachteten verschiedene Kunden immer wieder Kakerlaken, z. B. in einer Umkleidekabine oder einem Schrank. Das stellt einen Mangel der Mietsache dar, so das OLG. Es führte dazu aus, dass bei der Bemessung der Minderungsquote zu berücksichtigen sei, dass Kunden in Bekleidungsgeschäften nicht damit rechnen müssen, mit Ungeziefer konfrontiert zu werden. Dies wirke sich negativ auf den Ruf des Geschäfts aus, vor allem, wenn es sich – wie hier – in einer Kleinstadt befinde. So etwas spreche sich schnell herum. Außerdem seien Fraßschäden an den Bekleidungsgegenständen möglich. 

Folge: Der wirtschaftliche Wert des Geschäfts sei ummindestens 30 Prozent gemindert. Das Argument des Vermieters, die Tiere hätten nicht in die Räume gelangen können, wären Fenster und Türen richtig verschlossen gewesen, hatte beim OLG keinen Erfolg. 

Quelle | OLG Karlsruhe, Urteil vom 21.6.2022, 9 U 112/19

Wettbewerb: Werbeaussage „klimaneutral“ muss nicht irreführend sein

| Das Landgericht (LG) Kleve hat jetzt festgestellt, dass die Werbeaussage „klimaneutral“ nicht irreführend ist, wenn sie zum einen gegenüber einem Fachpublikum erfolgt und zum anderen die Einsparung durch bloße Kompensation geschieht. | 

Das war geschehen

Ein Unternehmen, die Beklagte, stellt Produkte aus Fruchtgummi und Lakritz für Endkunden her. Es warb in der Lebensmittel-Zeitung mit der Aussage: „Seit 2021 produziert … alle Produkte klimaneutral.“ Das Ziel wird jedoch nicht durch Einsparung, sondern durch CO2-Kompensation erreicht. Die Klägerin hielt dies für wettbewerbswidrig. Begründung: Es fehle ein aufklärender Hinweis. 

So sieht es das Landgericht

Dieser Ansicht folgte das LG Kleve nicht. Es wies die Klage daher ab. Entscheidend sei: Die Lebensmittel-Zeitung richte sich überwiegend an ein Fachpublikum. Der Kläger habe sich zwar darauf berufen, die Lebensmittel-Zeitung könne auch von Verbrauchern gelesen werden. Dies sei aber für den angesprochenen Verkehrskreis unerheblich. Denn die Lebensmittel-Zeitung ist nicht auf Verbraucher ausgerichtet. Daher sei es auch nicht zu berücksichtigen, dass die von der Beklagten produzierten Endprodukte, die in Form einer teilweise abgebildeten Verpackungstüte in der Werbung wiedergegeben sind, zum Konsum durch den Endverbraucher bestimmt sind. 

Auch inhaltlich sah das LG kein Fehlverhalten. Denn die o. g. Werbeaussage ist wahr. „Klimaneutral“ sei nicht identisch mit „emissionsfrei“. Klimaneutralität könne auch über Kompensation erreicht werden. Eine Täuschung über die Herstellung sei damit nicht verbunden. Denn dem von der Werbung angesprochenen Fachpublikum sei dies bekannt. 

Werbung richtete sich nicht an den Endverbraucher

Der Anspruch besteht auch nicht im Hinblick auf das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (§ 5 a Abs. 2 UWG) in der bis zum 27.5.2022 geltenden Fassung, denn die beanstandete Werbung richtet sich nicht an Verbraucher. Soweit die von der Beklagten produzierten Endprodukte, die in Form einer teilweise abgebildeten Verpackungstüte in der Werbung wiedergegeben sind, zum Konsum durch den Endverbraucher bestimmt sind, ist dies unerheblich, denn die beanstandete Werbeanzeige in der Lebensmittel-Zeitung richtete sich nicht an den Endverbraucher, sondern an den Handel. 

Quelle | LG Kleve, Urteil vom 22.6.2022, 8 O 44/21

Wettbewerbsrecht: Öffnung einer Filiale in Outlet-Center an Feriensonntagen nicht wettbewerbswidrig

| Das Pfälzische Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken hat dieBerufung in einem Verfahren hinsichtlich der Öffnung einer Filiale derBeklagten in einem Factory-Outlet-Center zurückgewiesen. Es hat dabeiklargestellt, dass darin keine unlautere Wettbewerbshandlung liegt. |

 

Mietvertrag sahSonntagsöffnungen in den Ferien vor

Die Beklagte ist ein Damenbekleidungsunternehmen, das u.a.am dortigen Standort eine Filiale besitzt. Ihr Ladenlokal hat sie von derBetreiberin des Factory-Outlet-Centers angemietet. Nach den Bestimmungen desMietvertrags ist sie ihrer Vermieterin gegenüber zur Öffnung des Geschäfts anden in Rede stehenden Feriensonntagen verpflichtet.

 

Mitbewerberin klagte

Die Klägerin, die an mehreren Standorten in der Pfalz und inBaden Einzelhandelsgeschäfte gleichsam u.a. für Damenbekleidung betreibt, hatdie Auffassung vertreten, im Öffnen der Outlet-Center-Filiale durch dieBeklagte an den Feriensonntagen sei eine unlautere geschäftliche Handlung zusehen, die Letztere zu unterlassen habe. Die Gestattung der erweitertenSonntagsöffnung zugunsten von Verkaufsstellen im näheren Einzugsgebiet desFlughafens sei rechtswidrig. Die Klägerin hat den Erlass einerUnterlassungsverpflichtung gegen die Beklagte hinsichtlich der Öffnung anbestimmten Sonntagen begehrt, daneben die gerichtliche Feststellung möglicherSchadenersatzansprüche und Auskunft über Öffnungszeiten an bestimmten Sonntagenin der Vergangenheit.

 

Schon das Landgericht (LG) Zweibrücken hatte die Klageabgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin blieb nun erfolglos.

 

Regierungsverordnungmaßgeblich

Das OLG: Das LG hat zutreffend entschieden, dass dieFeriensonntagsöffnungen der Filiale der Beklagten im Outlet-Center gegenwärtigkeine unlautere Wettbewerbshandlung zum Nachteil von Mitbewerbern darstellten.Eine Legitimation der Feriensonntagsöffnungen als wettbewerbliches Verhaltenergebe sich aus der dies ausdrücklich gestattenden Regierungsverordnung.

 

RechtstreuesVerhalten nicht zu sanktionieren

Eine für die Zulässigkeit einer Richtervorlage an denVerfassungsgerichtshof zwingend erforderliche sichere Überzeugung von derVerfassungswidrigkeit der Ermächtigungsgrundlage (LadenöffnungsgesetzRheinland-Pfalz) habe das OLG nicht gewonnen. Ferner habe die nachträglicheVeränderung der für den Erlass der Landesverordnung bestimmend gewesenentatsächlichen Verhältnisse (Einstellung des Verkehrsflugbetriebs) nichtautomatisch zum Wegfall der Verordnung geführt. Hinzu trete, dass sich dieBeklagte an das geschriebene Recht halte und sich damit rechtstreu verhalte.Sie müsse die Gewissheit haben, dafür nicht – auch nicht auf die Zivilklageeines Wettbewerbers hin – sanktioniert zu werden.

 

Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH)zugelassen.

 

Quelle | OLG Zweibrücken, Urteil vom 4.8.2022, 4 U 202/21

Wettbewerb: Werbeaussage„klimaneutral“ muss nicht irreführend sein

 

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Einnahmen-Überschussrechnung: Umsatzsteuer kein durchlaufender Posten

| Das Finanzgericht (FG) Hamburg hat kürzlich die bisherige Sichtweise bzw. Handhabung bestätigt: Bei der Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschussrechnung sind vom Unternehmer vereinnahmte und verausgabte Umsatzsteuerbeträge keine durchlaufenden Posten. Es handelt sich hierbei vielmehr um in die Gewinnermittlung einzubeziehende Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben. | 

Quelle | FG Hamburg, Urteil vom 10.6.2022, 2 K 55/21

Steuervergünstigung: Erschütterung des für eine private Pkw-Nutzung sprechenden Anscheinsbeweises

| Einer der häufigsten Streitpunkte zwischen Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung sind betrieblich genutzte Pkw und ihre steuerliche Einordnung. Der für die Privatnutzung eines betrieblichen Pkw sprechende Anscheinsbeweis kann auch auf andere Weise als durch das Vorhandensein eines in Status und Gebrauchswert vergleichbaren Pkw im Privatvermögen erschüttert werden. Dies hat aktuell das Finanzgericht (FG) Münster entschieden. | 

Das war passiert

Zum Haushalt der verheirateten Steuerpflichtigen gehörten in den Streitjahren 2015 und 2016 zwei volljährige Kinder. Im Privatvermögen hielten sie im Streitzeitraum (teilweise nacheinander) insgesamt drei Kleinwagen, die in erster Linie von den Kindern genutzt wurden. Der Ehemann unterhielt auf dem Grundstück, auf dem sich auch das Wohnhaus der Familie befand, einen Gartenbaubetrieb. Hauptberuflich war er aber anderweitig als Arbeitnehmer beschäftigt, wobei der Weg zur Arbeitsstätte nur rund zwei Kilometer betrug. Die Ehefrau arbeitete neben 20 weiteren Arbeitnehmern bzw. Aushilfen auf Mini-Job-Basis im Betrieb ihres Ehemanns. 

Dienstwagen ohne Fahrtenbuchführung

Im Betriebsvermögen hielt der Ehemann neben einem dem Vorarbeiter zugeordneten Dienstwagen einen BMW X3 und ab Februar 2015 einen Ford Ranger, für die keine Fahrtenbücher geführt wurden. Für den BMW versteuerte er die Privatnutzung nach der Ein-Prozent-Regelung. Für den Ford Ranger setzte er keinen privaten Nutzungsanteil an. 

Finanzamt: Privatnutzung des Ford Ranger

Demgegenüber wandte das Finanzamt auch für den Ford Ranger die Ein-Prozent-Regelung an, da die privaten Fahrzeuge in Status und Gebrauchswert nicht mit diesem Pkw vergleichbar seien und nicht allen Familienmitgliedern jederzeit ein Fahrzeug zur privaten Nutzung zur Verfügung gestanden habe. 

Die Eheleute machten geltend, dass der Ford Ranger den Mitarbeitern des Betriebs arbeitstäglich permanent als Zugmaschine zur Verfügung stehen müsse. Aufgrund des Verschmutzungszustands sei es lebensfremd, dieses Fahrzeug an Wochenenden für Familienfahrten zu nutzen. Hierfür bleibe wegen der geringen jährlichen Fahrleistung von durchschnittlich 8.900 km auch kein Raum. 

Das FG Münster gelangte letztlich zu der Überzeugung, dass der Ford Ranger in den Streitjahren nicht privat genutzt wurde. 

Beweis des ersten Anscheins: Wenn Fahrzeug zur Verfügung steht, dann privat genutzt

Nach der allgemeinen Lebenserfahrung werden betriebliche Fahrzeuge, die zu privaten Zwecken zur Verfügung stehen, auch tatsächlich privat genutzt. Dafür spricht der Beweis des ersten Anscheins. Ein solcher Anscheinsbeweis kann jedoch (wie im Streitfall) erschüttert werden.  

Zwar handelt es sich bei dem Ford Ranger um ein Fahrzeug, das sich typischerweise auch für eine Privatnutzung eignet. Auch der ebenfalls privat genutzte betriebliche BMW X3 konnte den Anscheinsbeweis nicht erschüttern. Denn er stand wegen der betrieblichen Nutzung nicht vollumfänglich für Privatfahrten zur Verfügung. 

Letztlich hat sich das FG aber gegen den Beweis des ersten Anscheins und damit gegen eine Privatnutzung ausgesprochen – und zwar insbesondere aus folgenden Gründen:  

Es ist nachvollziehbar, dass der Ford Ranger aufgrund seiner Zugkraft permanent im Betrieb eingesetzt wurde. Darüber hinaus konnte der Ehemann den Pkw nicht den ganzen (Arbeits-)Tag über selbst nutzen, da er in den normalen Arbeitszeiten seiner Angestelltentätigkeit nachgegangen ist. Hierdurch war die Möglichkeit einer Privatnutzung erheblich eingeschränkt. 

Ferner berücksichtigte das FG Münster, dass beide Eheleute für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wegen der kurzen Entfernungen keinen Pkw benötigten. 

Beachten Sie | Den Anscheinsbeweis zu entkräften, ist alles andere als einfach. Hier kommt es in der Praxis auf den Einzelfall an. Wollen Steuerpflichtige die Ein-Prozent-Regelung vermeiden, sind sie mit der Führung eines (ordnungsgemäßen) Fahrtenbuchs auf der sicheren Seite. 

Quelle | FG Münster, Urteil vom 16.8.2022, 6 K 2688/19 E, PM Nr. 18 vom 15.9.2022, Rev. zugelassen

Energetische Gebäudesanierung: Kosten für den Energieberater sind nicht auf mehrere Jahre zu verteilen

| Energiesparmaßnahmen an und in Gebäuden sind zurzeit gefragt, wie nie. Steuerpflichtige, die ihre Immobilie zu eigenen Wohnzwecken nutzen, können eine Steuerermäßigung für durchgeführte energetische Maßnahmen nach dem Einkommensteuergesetz (§ 35 c EStG) im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung beantragen. Das Finanzministerium (FinMin) Schleswig-Holstein hat nun darauf hingewiesen, wie die Kosten für den Energieberater zu berücksichtigen sind. | 

Voraussetzungen

Die Steuerermäßigung setzt u. a. voraus, dass das Objekt bei Durchführung der Maßnahme älter als zehn Jahre ist. Maßgebend ist der Herstellungsbeginn. 

Je begünstigtem Objekt beträgt der Höchstbetrag der Steuerermäßigung 40.000 Euro. Die Steuerermäßigung wird über drei Jahre verteilt: Im Kalenderjahr des Abschlusses der energetischen Maßnahme und im nächsten Kalenderjahr können jeweils 7 % der Aufwendungen (max. 14.000 Euro jährlich) und im dritten Jahr 6 % der Aufwendungen (max. 12.000 Euro) von der Steuerschuld abgezogen werden. 

Kosten für den Energieberater

Kosten für den Energieberater sind in Höhe von 50 % der Aufwendungen im Jahr des Abschlusses der Maßnahme zu berücksichtigen und nicht auf drei Jahre zu verteilen. Die Kosten sind vom Höchstbetrag der Steuerermäßigung (40.000 Euro) und damit auch vom Höchstbetrag der Steuerermäßigung im Kalenderjahr des Abschlusses der Maßnahmen und im nächsten Kalenderjahr (je 14.000 Euro) und im übernächsten Kalenderjahr (12.000 Euro) umfasst. 

Beispiel

Aufwendungen für energetische Maßnahmen in 2021: 175.000 Euro, Kosten für den Energieberater: 10.000 Euro

       2021:   7 % von 175.000 Euro =12.250 Euro,
                    aufzufüllen mit den Kosten der Energieberatung in Höhe von 1.750 Euro bis 14.000 Euro

       2022:   wie 2021 (7 %) = 12.250 Euro

       2023:   6 % von 175.000 Euro =10.500 Euro

Folge: Es werden nur 1.750 Euro der Energieberatung berücksichtigt, obwohl der Gesamtabzugsbetrag (36.750 Euro) noch 3.250 Euro unter dem objektbezogenen Höchstbetrag liegt.

Quelle | FinMin Schleswig-Holstein, ESt-Kurzinformation Nr. 2022/1 vom 3.1.2022, VI 306 - S 2296 c - 001

Steuerregeln: Steuerguide für Influencer

| Influencer können häufig von ihren Einnahmen ihren Lebensunterhalt bestreiten und erzielen mitunter hohe Einkommen. Damit werden sie unter Umständen steuerpflichtig. Das Finanzministerium (FinMin) Baden-Württemberg hat in einem Steuerguide mit zielgruppengerechter Ansprache die wichtigsten Steuerregeln für Influencer zusammengestellt. Der Steuerguide, der unter www.iww.de/s6972 heruntergeladen werden kann, gibt einen kurzen Überblick darüber, welche Steuerarten für Influencer infrage kommen können und ob Betroffene ihre Tätigkeit beim Finanzamt anzeigen müssen. |

Quelle | OLG Stuttgart, Urteil vom 24.8.2022, 4 U 13/22

Lebensversicherung: Fristbeginn des Widerspruchs „ab Erhalt der Unterlagen“

| Eine Widerspruchsbelehrung zu einem Lebensversicherungsvertrag, die für den Beginn des Fristenlaufs für den Widerspruch auf „den Erhalt“ der Unterlagen abstellt, ist ausreichend. So entschied es jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Dresden. | 

Die Begründung des OLG: Ohne dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen kennen muss, wird er nach seinem maßgeblichen Empfängerhorizont die Belehrung so verstehen, dass die Frist durch den Zugang der genannten Unterlagen in Gang gesetzt wird und 14 Tage später am gleichen Wochentag abläuft. Die Belehrung vermittelt insbesondere nicht den falschen Eindruck, der Tag des Zugangs des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen zähle mit. 

Quelle | OLG Dresden, Beschluss vom 6.1.2022, 4 U 2394/21

Flugverspätung: Ausgleichsanspruch für Fluggäste bei verspäteten Anschlussflügen unterschiedlicher Airlines

 

| Der Ausgleichsanspruch für Fluggäste wegen großer Verspätung gilt auch bei einem Flug mit direkten Anschlussflügen, bei dem die Flüge von unterschiedlichen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden. Wurden die Flüge von einem Reisebüro kombiniert, das einen Gesamtpreis in Rechnung gestellt und einen einheitlichen Flugschein ausgegeben hat, ist unerheblich, dass zwischen den Luftfahrtunternehmen keine rechtliche Beziehung besteht. So hat es der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden. | 

Das war geschehen

Ein Fluggast erwarb über ein Reisebüro einen elektronischen Flugschein über drei Flüge für die Strecke von Stuttgart nach Kansas City. Der erste Flug, von Stuttgart nach Zürich, wurde von Swiss International Air Lines durchgeführt, während die beiden Flüge von Zürich nach Philadelphia und von Philadelphia nach Kansas City von American Airlines durchgeführt wurden. Auf den Bordkarten für diese Flüge war die Nummer des elektronischen Flugscheins verzeichnet. Außerdem war auf dem Flugschein American Airlines als Dienstleistungserbringerin angegeben und der Flugschein war mit einer einheitlichen Buchungsnummer für die gesamte Strecke versehen. Darüber hinaus stellte das Reisebüro eine Rechnung aus, die einen Gesamtpreis für die gesamte Strecke sowie für den Rückflug auswies. 

Die Flüge von Stuttgart nach Zürich und von Zürich nach Philadelphia fanden planmäßig statt. Der Flug von Philadelphia nach Kansas City dagegen war bei der Ankunft um mehr als vier Stunden verspätet. Vor den deutschen Gerichten klagte flightright, eine Gesellschaft für Rechtshilfe für Fluggäste, an die die durch diese Verspätung entstandenen Ansprüche abgetreten worden waren, gegen American Airlines auf eine Ausgleichszahlung von 600 Euro nach der Verordnung Nr. 261/2004 über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen. Der mit der Sache befasste Bundesgerichtshof (BGH) hat dem EuGH Fragen zur Auslegung dieser Verordnung vorgelegt. 

So sieht es der Europäische Gerichtshof

Der EuGH entschied: Der Begriff „direkte Anschlussflüge“ erfasst einen Beförderungsvorgang mit Ausgangspunkt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union,

  • der aus mehreren Flügen besteht,  
  • die von unterschiedlichen, nicht durch eine rechtliche Beziehung miteinander verbundenen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden,  
  • wenn diese Flüge von einem Reisebüro zusammengefasst wurden,  
  • das für diesen Vorgang einen Gesamtpreis in Rechnung gestellt und
  • einen einheitlichen Flugschein ausgegeben hat.

Der EuGH weist darauf hin, dass der Begriff „direkte Anschlussflüge“ so zu verstehen ist, dass er zwei oder mehr Flüge bezeichnet, die für die Zwecke des in der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Ausgleichsanspruchs von Fluggästen eine Gesamtheit darstellen. Eine solche Gesamtheit liegt vor, wenn die Flüge Gegenstand einer einzigen Buchung waren. 

Beförderungsvorgang beruhte auf einer einzigen Buchung

Hier verfügte der Fluggast über einen Flugschein, der einen Beleg dafür darstellte, dass die Buchung der gesamten Reise von Stuttgart nach Kansas City von einem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert worden war. Bei einem solchen Beförderungsvorgang ist davon auszugehen, dass er auf einer einzigen Buchung beruht, sodass es sich um „direkte Anschlussflüge“ handelt. Die Flüge, um die es hier ging, wurden von unterschiedlichen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt, zwischen denen keine rechtliche Beziehung bestand. Der EuGH stellte fest, dass die Verordnung über Ausgleichsleistungen für Fluggäste keine Bestimmung enthält, wonach die Einstufung als Flug mit direkten Anschlussflügen davon abhängt, dass eine besondere rechtliche Beziehung zwischen den ausführenden Luftfahrtunternehmen besteht, die die einzelnen Flüge, aus denen sich der Flug zusammensetzt, durchführen. Eine solche zusätzliche Bedingung würde dem Ziel der Sicherstellung eines hohen Schutzniveaus für Fluggäste zuwiderlaufen, da dadurch namentlich deren Ausgleichsanspruch bei großer Verspätung ihres Flugs beschränkt werden könnte. 

Quelle | EuGH, Urteil vom 6.10.2022, C-436/21

Hassrede: Nachholung im Prozess: unterlassene Anhörung vor Löschung eines Posts bei Facebook

| Hassrede oder freie Meinungsäußerung? Das beschäftigt häufig die Gerichte. Nach einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (BGH) sind die Regelungen in den Nutzungsbedingungen unwirksam, die Facebook in einem Fall der Hassrede eine Befugnis zur Löschung dieses Posts einräumen. Sie sehen kein Verfahren vor, aufgrund dessen der betroffene Nutzer über die Entfernung umgehend informiert, ihm der Grund dafür mitgeteilt und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung eingeräumt wird, woran sich eine neue Entscheidung mit der Möglichkeit der Wiederfreischaltung des Posts anschließt. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat nun entschieden, dass die fehlende Anhörung seitens der Beklagten im Verfahren nachgeholt werden kann. Außerdem hat es entschieden: Wenn die Anhörung zu keiner anderen Bewertung führt, kann der betroffene Nutzer dann nicht die Wiederfreischaltung des Posts beanspruchen. Das Löschungsrecht ergebe sich in diesem Fall bei einem vertragswidrigen Post aus dem Nutzungsvertrag. | 

Das war geschehen

Die Beklagte ist in Deutschland Vertragspartnerin der Nutzer von Facebook. Der Kläger stimmte den im April 2018 geänderten Nutzungsbedingungen der Beklagten zu. Im November 2018 postete er im Zusammenhangmit einem Artikel über die gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Afghanen in einer Flüchtlingsunterkunft, in deren Verlauf diese untereinander Messer eingesetzt hatten, u. a.: „Solange diese sich gegenseitig abstechen ist es doch o. k. Ist jemand anderer Meinung? Messer-Emoji“. Die Beklagte löschte diesen Beitrag und sperrte außerdem vorübergehend Teilfunktionen des klägerischen Kontos. Der Kläger begehrte daraufhin vor dem Landgericht (LG) unter anderem die Freischaltung des gelöschten Beitrags. Das LG hat die Klage abgewiesen. 

Berufungsinstanz: Kein Anspruch auf Wiederfreischaltung

Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Wiederfreischaltung des gelöschten Posts. Der Post sei zwar eine Meinungsäußerung. Er verstoße aber gegen die über die Nutzungsbedingungen einbezogenen Bestimmungen in den Gemeinschaftsstandards zur Hassrede. Der Begriff der Hassrede sei hinreichend transparent und in den Regelungen selbst definiert worden. Erfasst würden u. a.„Angriffe durch eine gewalttätige und entmenschlichende Sprache, durch Aussagen über Minderwertigkeit und durch Aufrufe, Personen auszuschließen und zu isolieren“. Die Beklagte sei auch berechtigt, ein Verbot von Hassrede vorzusehen, „durch das auch nicht strafbare oder rechtsverletzende Meinungsäußerungen erfasst werden“. Sie dürfe den Nutzern ihres Netzwerks bestimmte Kommunikationsstandards vorgeben, die über die strafrechtlichen Vorgaben hinausgingen. Die Verhaltensregeln sollten einen Kodex für „einen respektvollen Umgang miteinander“ enthalten. 

Post entspricht den Merkmalen von Hassrede

Hier verstehe der flüchtige Leser die Äußerung so, dass es dem Kläger „gleichgültig ist bzw. er es in Ordnung finde, wenn afghanische Flüchtlinge sich gegenseitig abstechen“. Dies unterfalle dem Bereich der Hassrede. 

Bundesgerichtshof: Regelungen zum Löschen von Posts unwirksam

Soweit die Löschung des Posts erfolgte, ohne den Kläger umgehend zu informieren und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme mit anschließender Neuentscheidung zu gegeben, könne die Beklagte sich zwar nicht auf ihre Regelungen zum Entfernungs- und Sperrvorbehalt berufen. Diese seien gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) unwirksam. 

Anhörung erfolgte nachträglich im Prozess

Die Beklagte sei aber zur Löschung unmittelbar aus dem Nutzungsvertrag berechtigt. Die Verfahrensanforderungen zur Information des Betroffenen über die Löschung ergäben sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung. Durch die Unwirksamkeit der Klausel über den Entfernungs- und Sperrvorbehalt sei im vertraglichen Gefüge eine Lücke entstanden, die im Wege der Auslegung zu schließen sei. Über diese ergänzende Vertragsauslegung sei die Beklagte verpflichtet, den Nutzer über die Entfernung eines Beitrags zu informieren und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme und Neuentscheidung zu geben. Dies sei im Rahmen des hiesigen Prozesses nachgeholt worden. Der anfängliche Anhörungsfehler sei damit nachträglich geheilt worden. 

Grundsätzliche Bedeutung: BGH muss klären

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Das OLG hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum BGH u. a. hinsichtlich des dargestellten Antrags auf Wiederherstellung des gelöschten Artikels zugelassen. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 30.6.2022, 16 U 229/20, PM 54/22

Mietende: Ohne Vorenthaltung gibt es keine Nutzungsentschädigung

| Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 546 a BGB) kann der Vermieter als Entschädigung die vereinbarte Miete oder die Miete verlangen, die für vergleichbare Sachen ortsüblich ist, wenn der Mieter die Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses nicht zurückgibt. Voraussetzung: Der Mieter muss die Mietsache dem Vermieter „vorenthalten“. Die Mietsache wird jedoch nicht vorenthalten, wenn der Vermieter – wie hier – das Fehlen des erforderlichen Rücknahmewillens bekundet, etwa dadurch, dass er die angebotene Rückgabe ablehnt oder zu erkennen gibt, dass er das Mietverhältnis als nicht beendet ansieht. So hat es nun das Landgericht (LG) Berlin entschieden. | 

Das LG Berlin „kassierte“ damit eine Entscheidung des Amtsgerichts (AG), das anderer Auffassung war und sich gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) gestellt hatte. 

Quelle | LG Berlin, Urteil vom 22.3.2022, 67 T 13/22

Erwartete Kostensteigerungen: Betriebskostenvorauszahlungen dürfen nicht ohne Weiteres erhöht werden

| Die Mietvertragsparteien können wirksam formularvertraglich vereinbaren, dass ein beiderseitiges Anpassungsrecht der Betriebskostenhöhe durch zugangsbedürftige Erklärung bei Kostenänderungen aufgrund von geänderten Bezugspreisen besteht. Insoweit kommt es aber darauf an, ob sich der Vermieter auch bei entsprechenden Kostensteigerungen eine Erhöhung der Vorauszahlung mietvertraglich zusätzlich vorbehalten hat. So sieht es das Amtsgericht (AG) Hamburg. | 

Der Vermieter einer Wohnung verlangte vom Mieter bei einer Betriebskostennachforderung von 11,52 Euro eine Erhöhung der monatlichen Vorauszahlungen um 45,40 Euro. Er begründete die Erhöhung mit nicht näher spezifizierten erwarteten Kostensteigerungen. Das wollte der Mieter nicht mitmachen. Auch dem AG Hamburg genügt das nicht. Die entsprechende Erklärung genüge nicht den Anforderungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 560 Abs. 4 BGB), da dieses ausdrücklich auf das Ergebnis einer Betriebskostenabrechnung abstelle. 

Quelle | AG Hamburg, Urteil vom 27.6.22, 49 C 13/22

Nutzungsuntersagung: Kommen Ratten, müssen Mieter gehen

| Kommt es in einem Wohnhaus zu einem Rattenbefall und beruht dieser auf baulichen Mängeln, kann eine Nutzungsuntersagung ergehen. Das hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg entschieden. | 

Die Bauaufsicht hatte im Mehrfamilienhaus des Klägers erheblichen Rattenbefall und erhebliche Defekte an der dortigen baulichen Substanz festgestellt. Zudem bestand eine erhöhte Gesundheitsgefährdung für die Mieter. Die Behörde untersagte daraufhin die Nutzung aller Wohnungen. Sie erklärte die Wohnungen für sämtliche Mieter als unbewohnbar. Deren Widerspruch wurde zurückgewiesen. Später wurde die Nutzungsuntersagung aufgehoben, da kein Rattenbefall mehr vorlag und es ihn wohl in zwei Wohnungen auch nie gegeben hatte. 

Das OVG hielt die Nutzungsuntersagung trotzdem für rechtmäßig. Unerheblich sei, dass später kein Rattenbefall mehr vorhanden war. Entscheidend sei nämlich die sog. „ex-ante-Prognose“, also die Prognose zum Zeitpunkt der Entscheidung – selbst, wenn sie sich später als falsch herausstellt. Die betreffenden Räumlichkeiten genügten außerdem nicht den Anforderungen der Niedersächsischen Bauordnung. Löcher in Wänden und Decken ließen einen fortlaufenden Rattenbefall befürchten, so das OVG. 

Quelle | OVG Lüneburg, Beschluss vom 14.3.2022, 1 LA 127/21

Inhaltsirrtum: Wenn die Erbausschlagung missglückt…

| Ein Irrtum über die Person desjenigen, dem die Ausschlagung der Erbschaft zugutekommt, berechtigt nicht zur Anfechtung. Es handelt sich dabei lediglich um einen unbeachtlichen Motivirrtum. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Hamm. | 

Die Kinder der Ehefrau des Erblassers hatten das Erbe mit dem Ziel ausgeschlagen, die Alleinerbenstellung der Mutter zu erreichen. Sie hatten dabei aber verkannt, dass sich dann noch die Frage nach anderen gesetzlichen Erben der ersten und zweiten Ordnung stellt. Die auf diese Erkenntnis folgende Anfechtung der Erbausschlagung hat das OLG zurückgewiesen. 

Man kann aber auch anderer Meinung sein. So hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf entschieden, dass ein zur Anfechtung berechtigender Inhaltsirrtum vorliegt, wenn der (auch rechtskundig beratene) Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen, sondern wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt. 

Beachten Sie | Bei Erbausschlagungen ist also stets Vorsicht geboten. 

Quelle | OLG Hamm, Urteil vom 21.4.2022, 15 W 51/19; OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 21.9.2017, 3 Wx 173/17 und vom 12.3.2019, 3 Wx 166/17

Leistungskürzung: So ist die Abrechnung von Stundenlohnarbeiten zu prüfen

| Bei der Rechnungsprüfung von Stundenlohnarbeiten oder Zeithonoraren wird oft darüber gestritten, ob der abgerechnete Zeitaufwand tatsächlich erforderlich war. Das Oberlandesgericht (OLG) Köln hat dazu nun wichtige Grundsätze aufgestellt. | 

Im Fall des OLG ging es um die Abrechnung von Handschachtungen (z. B. „Zwischentransport der Handschachtung in Schubkarre und Aufladen auf Fahrzeug“). Der Auftraggeber kürzte die Zahl der abgerechneten Stunden, der Auftragnehmer klagte.

Das OLG hat sich zwar nur allgemein geäußert. Seine Ausführungen können aber im Rahmen der Bauüberwachung bei der Rechnungsprüfung nützlich sein:

  • Zum einen muss die Rechnungskürzung konkrete, einzelfallbezogene Angaben enthalten, aus denen die konkreten Kürzungsgründe hervorgehen.  
  • Zum anderen muss der Auftraggeber Anhaltspunkte schildern, dass der abgerechnete Zeitaufwand keiner wirtschaftlichen Leistungsausführung entspricht.

Das OLG: An die fachlichen Anforderungen zur Begründung der Kürzung dürfen keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Es genügen Kürzungsgründe, die der Rechnungssteller auf ihre Richtigkeit überprüfen und somit darauf eingehen kann.

Quelle | OLG Köln, Urteil vom 16.12.2021, 7 U 12/20

Honorarvereinbarungen: Mindestsätze der HOAI 2013 bei Verträgen zwischen Privatpersonen weiter anwendbar

| Die Mindestsätze der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI 2013) können in einem laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen weiter als verbindliches Preisrecht anzuwenden sein. Folge: Aufstockungsklagen können Erfolg haben. So entschied es der Bundesgerichtshof (BGH). | 

Der BGH: Deutschland hat mit dem verbindlichen Preisrecht der HOAI 2013 zwar gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie verstoßen. Trotzdem kann sich ein Planer grundsätzlich auf eine bestehende nationale Rechtsvorschrift (hier: HOAI 2013) berufen, solange diese weiterhin im Land gültig und im Verhältnis der Parteien anwendbar ist. Die EU-Dienstleistungsrichtlinie muss zunächst in nationales Recht umgesetzt werden, um bei Verträgen zwischen Privatpersonen zu gelten. Das war aber erst mit der HOAI 2021 erfolgt. Nach den o. g. Maßgaben ist die HOAI 2013 folglich bei Verträgen zwischen Privaten weiterhin anwendbar (Vertragsabschluss bis 31.12.2020). 

Im konkreten Fall hatte ein Planer im Jahr 2016 einen Vertrag abgeschlossen, der ein Pauschalhonorar enthielt. Zu diesem Zeitpunkt galt die HOAI 2013. Das vereinbarte Pauschalhonorar lag unter dem Mindestsatz. Der Planer klagte die Differenz zum Mindestsatz ein. Es ging immerhin um 102.934,59 Euro. Diese Aufstockungsklage hatte Erfolg. 

Quelle | BGH, Urteil vom 2.6.2022, VII ZR 174/19

Unvollständige Grundlagenermittlung: Architekt haftet nicht für entgangene Steuervergünstigungen

| Ein mit der Grundlagenermittlung und Entwurfsplanung beauftragter Architekt muss seinen Auftraggeber über ein denkmalschutzrechtliches Genehmigungserfordernis aufklären. Zweck dieser Pflicht ist es, den Bauherrn in die Lage zu versetzen, die Realisierungschancen des Vorhabens einschätzen zu können. Nicht zum Schutzzweck der Verpflichtung gehört dagegen, den Bauherrn vor etwaigen Steuerschäden im Zusammenhang mit bestehenden Genehmigungserfordernissen zu bewahren. Der Bauherr kann deshalb bei unvollständiger Grundlagenermittlung nicht Ersatz entgangener steuerlicher Vergünstigungen beanspruchen. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. hat die Berufung der Bauherren zurückgewiesen. |

Das war geschehen

Die Bauherren beabsichtigten, eine Dachgeschosswohnung im Frankfurter Westend zu sanieren und beauftragten einen Architekten mit Architektenleistungen. Dieser klagte vor dem Landgericht (LG) ausstehendes Honorar ein. Die Bauherren beriefen sich dagegen u.a. auf Schadenersatzansprüche gegen den Architekten, da fälschlich erklärt worden sei, dass denkmalschutzrechtliche Gesichtspunkte beim Innenausbau unbeachtlich seien. Tatsächlich hätten sie bei richtiger Aufklärung das gesamte Bauvorhaben im Wege einer Sonderabschreibung nach dem Einkommensteuergesetz (§ 7 h EStG) fördern lassen können. Ihnen sei wegen der falschen Aufklärung damit ein Steuerschaden in Höhe von gut 5.000 Euro entstanden. 

So sahen es die Gerichte

Das LG hatte dem Architekten ausstehendes Honorar zugesprochen und den Schadenersatzanspruch der beklagten Bauherren wegen entgangener Steuervergünstigungen abgewiesen. Die Berufung der Bauherren hiergegen hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. 

Der Architekt habe zwar pflichtwidrig nicht über die denkmalschutzrechtliche Genehmigungsbedürftigkeit aufgeklärt, begründet das OLG seine Entscheidung. Auch im Rahmen der hier beauftragten Grundlagenermittlung und Entwurfsplanung müsse ein Architekt über die Genehmigungsbedürftigkeit eines Bauvorhabens vollständig und richtig informieren. Die Entwurfsplanung müsse zudem genehmigungsfähig erstellt werden. Dabei komme es nicht darauf an, ob bei der Beauftragung der Bauherr zum Ausdruck gebracht habe, bestimmte steuerliche Vergünstigungen in Anspruch nehmen zu wollen. 

Es fehle aber am Zurechnungszusammenhang zwischen dieser Pflichtverletzung und dem behaupteten Steuerschaden. Grundsätzlich hafte der Vertragspartner bei einer Pflichtverletzung nur für Schäden, die bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Pflichten gerade verhindert werden sollen. Dieser Schutzzweckzusammenhang liegt hier nicht vor. Die ordnungsgemäße Grundlagenermittlung betreffe zwar auch wirtschaftliche Folgen eines Bauvorhabens. Sie solle den Bauherrn über die erwarteten Kosten informieren, damit er sich auf einer geeigneten Grundlage für die Durchführung des Vorhabens entscheiden kann. Es bestehe aber keine allgemeine Verpflichtung des Architekten, in jeder Hinsicht die Vermögensinteressen des Bauherrn wahrzunehmen. Die Ermittlung der Genehmigungsbedürftigkeit betreffe nicht die wirtschaftlichen Fragen des Bauvorhabens, sondern diene dazu, die Realisierungschancen einschätzen zu können. „Sie zielt – jedenfalls ohne weitere Vereinbarung oder besondere Umstände – nicht darauf, dem Besteller die Möglichkeit steuerlicher Vergünstigungen zu erschließen“, betont das OLG. Solche Vergünstigungen seien vielmehr allein ein „Reflex der Genehmigung“. 

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar. 

Quelle | OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 25.4.2022, 29 U 185/20, PM 53/22

Entlassungen: Wenn der Arbeitgeber von den Sozialauswahlkriterien abweicht, die er dem Betriebsrat mitgeteilt hat…

| Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat im Rahmen der Konsultation schriftlich über die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer unterrichten. Was aber, wenn er beabsichtigt, in wesentlichem Umfang von den Kriterien der Sozialauswahl abzuweichen, die er dem Betriebsrat bei Einleitung des Konsultationsverfahrens mitgeteilt hat? Dann muss er dies nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Düsseldorfdem Betriebsrat mitteilen. | 

Unterlässt er dies, ist eine nach den veränderten Kriterien für die Sozialauswahl ausgesprochene Kündigung wegen Verletzung der Unterrichtungspflicht unwirksam. 

Geklagt hatte ein Flugkapitän, der mehr als 15 Jahre bei einer Fluggesellschaft mit über 2.000 Mitarbeitern beschäftigt war. Somit konnte eine Kündigung nur aus wichtigem Grund erfolgen. Die Fluggesellschaft wollte als wirtschaftliche Maßnahmen eine Flottenreduzierung, Stationsschließungen und die Neustrukturierung des Streckennetzes vornehmen. Dementsprechend sollte das Personal reduziert werden. 

Unter anderem, weil das Gericht weder eine ordnungsgemäße Anhörung der Personalvertretung noch eine hinreichende Darstellung des betriebsbedingten Kündigungsgrundes feststellen konnte, war die Kündigung unwirksam. 

Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 24.3.2022, 13 Sa 998/21

Gleichbehandlungsgrundsatz: Betroffener muss wie ein vergleichbarer Mitarbeiter gestellt werden

| Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz erfasst auch freiwillige aktienorientierte Vergütungsbestandteile in Form sogenannter Phantom Shares. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg. | 

Die Parteien stritten zweitinstanzlich u. a. über aktienorientierte Vergütungsbestandteile des Arbeitnehmers (Klägers). Der Arbeitnehmer meinte, sie stünden ihm – wie vergleichbaren Mitarbeitern auch – zu, während der Arbeitgeber (Beklagter) ihm diese verweigerte. 

Das OLG befand, dass der Arbeitnehmer einen solchen Anspruch hatte. Da ihm dieser zu Unrecht verweigert worden war, müsse er so gestellt werden, wie vergleichbare Mitarbeitende der entsprechenden Führungsebene. Werde aber die beanspruchte Zuteilung solcher Phantom Shares entsprechend den Regelungen des Performance Phantom Share Plans über die damit verfolgte personenbezogene Ziel- und Zwecksetzung durch Zeitablauf unmöglich, komme als Sekundäranspruch ein Schadenersatzanspruch in Betracht. 

Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.10.2021, 7 Sa 26/21

Betriebsübergang: Widerspruchsfrist greift nicht bei unvollständiger Information des Arbeitgebers

| Die Monatsfrist des § 613 a Abs. 6 S. 1 BGB zum Widerspruch gegen den Übergang eines Arbeitsverhältnisses infolge Betriebsübergangs beginnt nicht nur bei fehlerhafter Information des Arbeitnehmers nicht zu laufen, sondern auch nicht bei unvollständiger Information. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf. | 

Geht es um die rechtlich schwierig zu beurteilende (Weiter-)Geltung eines Tarifvertrags beim Erwerber und ist dieser Umstand für die Ausübung des Widerspruchsrechts ersichtlich von Bedeutung, müssen der Betriebsveräußerer und/oder der Betriebserwerber sich hierzu ausdrücklich und in einer für Nichtjuristen verständlichen Weise erklären. Danach konnte das Unterrichtungsschreiben des Arbeitgebers die o. g. Widerspruchsfrist nicht in Gang setzen, weil die dort enthaltenen Informationen teilweise – wenn auch nicht notwendig falsch – so doch zumindest unklar und unvollständig waren. Ihm ließ sich vor allem nicht entnehmen, ob ein bestimmter Tarifvertrag im Fall des Übergangs des Arbeitsverhältnisses gelten sollte oder nicht.  

Dieser Umstand ist so bedeutend, dass er als relevantes Kriterium für einen möglichen Widerspruch des Klägers gegen einen Übergang seines Arbeitsverhältnisses in Betracht kam. 

Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 26.7.2022, 8 Sa 68/20

Änderungskündigung: Elternzeit schützt nicht vor Kündigung

| Eine Arbeitnehmerin hat sich erfolglos gegen eine während der Elternzeit aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochenen Änderungskündigung gewandt. Das Integrationsamt hatte der Kündigung zugestimmt. Dabei bleib es auch nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Berlin-Brandenburg. | 

Durch die Änderung sollte das Arbeitsverhältnis zu den Bedingungen und mit den Aufgaben durchgeführt werden, die die Arbeitnehmerin vor Zuweisung des nach Behauptung der Arbeitgeberin weggefallenen anderweitigen Arbeitsplatzes innehatte. Bei einer Änderungskündigung handelt es sich nämlich um eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses – verbunden mit dem gleichzeitigen Angebot, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Arbeitsbedingungen fortzusetzen. 

Der ursprüngliche Arbeitsplatz der Arbeitnehmerin sei durch eine zulässige unternehmerische Entscheidung weggefallen. Eine Beschäftigung zu den bisherigen Bedingungen sei nicht mehr möglich. Deshalb habe die Arbeitgeberin nach der Zustimmung des Integrationsamts der Arbeitnehmerin auch während der Elternzeit kündigen und ihr anbieten dürfen, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedingungen fortzusetzen. 

Da die Arbeitnehmerin das Änderungsangebot abgelehnt hat, wurde das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung beendet. 

Quelle | LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5.7.2022, 16 Sa 1750/21, PM 15/22 vom 6.7.2022

Markenrechtsstreit: Markenverletzung durch Angebot von „The-Dog-Face“-Tierkleidung

| Zwischen den Zeichen „The North Face“ und „The Dog Face“ besteht keine Verwechslungsgefahr. Da die Marke „The North Face“ jedoch in erheblichem Maß bekannt ist, wird der Verkehr trotz der erkennbar unterschiedlichen Bedeutung von „Dog“ und „North“ die Zeichen gedanklich miteinander verknüpfen. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat der Antragsgegnerin eines markenrechtlichen Rechtsstreits die Verwendung des Zeichens „The Dog Face“ im Zusammenhang mit Tierbekleidung untersagt. | 

Das war geschehen

Die Antragstellerin ist Inhaberin der Marke „The North Face“, die u. a. für Bekleidung eingetragen ist. Die Antragsgegnerin vertreibt online Bekleidung für Tiere und kennzeichnet diese mit „The Dog Face“. Im Eilverfahren geltend gemachten Unterlassungsansprüche der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin hatte das Landgericht (LG) abgewiesen. 

Die hiergegen gerichtete Beschwerde hatte vor dem OLG nun Erfolg. Die Antragstellerin könne von der Antragsgegnerin verlangen, dass sie ihre Tierbekleidungsprodukte nicht mit „The Dog Face“ kennzeichnet, stellte das OLG fest. Die Marke „The North Face“ sei eine bekannte Marke. Sie sei einem bedeutenden Teil des Publikums bekannt. 

Zeichenähnlichkeit durch Wortfolge

Die Antragsgegnerin benutze diese Marke in rechtsverletzender Weise, da die Verkehrskreise das Zeichen „The Dog Face“ gedanklich mit „The North Face“ verknüpften. Nicht erforderlich sei dabei, dass zwischen den Zeichen Verwechslungsgefahr bestehe. An dieser würde es hier fehlen. Es liege aber Zeichenähnlichkeit vor. Die Wortfolge „The Dog Face“ lehne sich erkennbar an die Marke „The North Face“ an. Da die Marke der Antragstellerin in erheblichem Maß bekannt sei und durch intensive Benutzung ein hohes Maß an Unterscheidungskraft besitze, verknüpfe der Verkehr trotz der unterschiedlichen Bedeutung von „Dog“ und „North“ das Zeichen der Antragsgegnerin mit der Marke der Antragstellerin. Dies gelte auch, da eine gewisse Warenähnlichkeit zwischen Outdoor-Bekleidung und Tierbekleidung bestehe. Insoweit genüge es, „dass das Publikum glauben könnte, die betreffenden Waren stammten aus demselben oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen“. Es liege die Vermutung nahe, dass die angesprochenen Verkehrskreise annehmen, die Antragstellerin habe ihr Bekleidungssortiment auf Hundebekleidung erweitert, etwa um es „dem sporttreibenden Hundebesitzer zu ermöglichen, seinen Outdoor-Sport im Partnerlook mit dem Tier zu betreiben“. 

Markenwertschätzung sollte ausgenutzt werden

Die Zeichenverwendung beeinträchtige auch die Marke der Antragstellerin. Die Antragsgegnerin lehne sich mit dem Zeichen an die bekannte Marke der Antragstellerin an, um deren Wertschätzung für ihren Absatz auszunutzen. 

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 28.6.2022, 6 W32/22, PM 57/22

Rückforderungen: NRW unterliegt im Rechtsstreit um die Rückzahlung von Corona-Soforthilfen

| Die Bescheide, mit denen die Bezirksregierung Düsseldorf geleistete Corona-Soforthilfen von den Empfängern teilweise zurückgefordert hat, sind rechtswidrig. Das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf hat den Klagen von drei Zuwendungsempfängern gegen das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) stattgegeben. | 

Das war geschehen

Infolge von Ende März bzw. Anfang April 2020 erlassenen Bewilligungsbescheiden der zuständigen Bezirksregierung Düsseldorf erhielten die Kläger zunächst Soforthilfen in Höhe von jeweils 9.000 Euro. Im Zuge von Rückmeldeverfahren setzte die Behörde die Höhe der Soforthilfe später auf ca.2.000 Euro fest und forderte demzufolge rund 7.000 Euro zurück. Das VG Düsseldorf hat nun entschieden, dass diese Schlussbescheide rechtswidrig sind. 

Die in den Bewilligungsbescheiden zum Ausdruck gekommene Verwaltungspraxis des Landes stimmte mit den in den Schlussbescheiden getroffenen Festsetzungen nicht überein. Während des Bewilligungsverfahrens durften die Hilfeempfänger aufgrund der Formulierungen in den Hinweisen, den Antragsvordrucken und den Zuwendungsbescheiden davon ausgehen, dass pandemiebedingte Umsatzausfälle für den Erhalt und das Behalten der Geldleistungen ausschlaggebend sein sollten. 

Demgegenüber stellte das Land bei den Schlussbescheiden auf einen Liquiditätsengpass ab, der eine Differenz zwischen den Einnahmen und Ausgaben des Geschäftsbetriebs, also einen Verlust, voraussetzte. Dies ist nach Ansicht des VG Düsseldorf jedoch rechtsfehlerhaft, weil diese Handhabung von der maßgeblichen Förderpraxis abwich. 

Richtlinie: Definition eines Liquiditätsengpasses

Die Richtlinie des damaligen Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes NRW (MWIKE.NRW) vom 31.5.2020 enthielt erstmals eine Definition des Liquiditätsengpasses. Trotz ihres rückwirkenden Inkrafttretens wurde sie bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Schlussbescheide vom VG Düsseldorf nicht berücksichtigt. 

Abgesehen davon, so das VG Düsseldorf, waren die Bewilligungsbescheide hinsichtlich einer etwaigen Rückerstattungsverpflichtung auch missverständlich formuliert. So war nicht klar ersichtlich, nach welchen Parametern eine Rückzahlung zu berechnen ist. 

Bereits 500 Verfahren

Beachten Sie | Mitte August 2022 waren etwa 500 Klageverfahren rund um den Komplex der Corona-Soforthilfen beim VG Düsseldorf anhängig. In den drei entschiedenen Verfahren, die repräsentativ für einen Großteil der weiteren Verfahren sind, wurde die Berufung zum Oberverwaltungsgericht (OVG) für das Land NRW zugelassen. 

Quelle | VG Düsseldorf, Urteile vom 16.8.2022, 20 K 7488/20, 20 K 217/21 und 20 K 393/22; PM vom 16.8.2022

Bundesarbeitsgericht: Einführung elektronischer Zeiterfassung: Müssen alle nun „zurück zur Stechuhr“?

| Der Arbeitgeber ist nach dem Arbeitsschutzgesetz (hier: § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG) verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Aufgrund dieser gesetzlichen Pflicht kann der Betriebsrat die Einführung eines Systems der (elektronischen) Arbeitszeiterfassung im Betrieb nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen. Ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht besteht nur, wenn und soweit die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich geregelt ist. Das hat jetzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. | 

Das war geschehen

Der antragstellende Betriebsrat und die Arbeitgeberinnen, die eine vollstationäre Wohneinrichtung als gemeinsamen Betrieb unterhalten, schlossen im Jahr 2018 eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit. Zeitgleich verhandelten sie über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung. Eine Einigung hierüber kam nicht zustande. Auf Antrag des Betriebsrats setzte das Arbeitsgericht (ArbG) eine Einigungsstelle zum Thema „Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung einer elektronischen Zeiterfassung“ ein. Nachdem die Arbeitgeberinnen deren Zuständigkeit gerügt hatten, leitete der Betriebsrat dieses Beschlussverfahren ein. Er hat die Feststellung begehrt, dass ihm ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems zusteht. 

So entschieden die Instanzen

Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen hatte vor dem BAG Erfolg. Der Betriebsrat muss in sozialen Angelegenheiten nur mitbestimmen, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Bei unionsrechtskonformer Auslegung des Arbeitsschutzgesetzes (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG) ist der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. Dies schließt ein – ggf. mithilfe der Einigungsstelle durchsetzbares – Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung aus. 

Weitreichende Folgen

Und nun? Müssen alle Arbeitnehmer „zurück zur Stechuhr“? Da das BAG keine Gesetzgebungskompetenz hat, ergibt sich daraus zunächst kein sofortiger Handlungsbedarf der Arbeitgeber. Hier muss auf eine gesetzliche Vorgabe gewartet werden. Bisher hat der deutsche Gesetzgeber auf die Vorgabe des EuGH noch nicht reagiert. Dies wird er aber tun müssen. Fraglich ist dabei, wie dies umgesetzt werden kann. So sollen auch künftig flexible Arbeitszeitmodelle (z. B. Vertrauensarbeitszeit) möglich sein. Auch darf der bürokratische Aufwand nicht zu hoch werden, um die Produktivität der Arbeitnehmer nicht einzuschränken. Fragen von Homeoffice, Überstunden, etc. sind zu beantworten. Das Bundesarbeitsministerium teilte dazu mit, dass die weitere Vorgehensweise geprüft werde. Mit schnellen Ergebnissen ist wohl vorerst nicht zu rechnen. Gleichwohl sollte sich jeder Arbeitgeber bereits jetzt Gedanken darüber machen, wie er eine entsprechende Dokumentation vornehmen könnte. 

Quelle | BAG, Beschluss vom 13.9.2022, 1 ABR 22/21, PM 35/2

Ampel-Koalition: Drittes Entlastungspaket auf den Weg gebracht

| Wegen steigender Energie- und Nahrungsmittelpreise hat die Ampel-Koalition im September 2022 ein drittes Entlastungspaket geschnürt. Insbesondere steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Aspekte werden vorgestellt. | 

Zahlungen für Rentner und Studenten

Rentner sollen zum 1.12.2022 eine einmalige Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro erhalten. Die Pauschale ist einkommensteuerpflichtig. Je niedriger die Rente und die weiteren Einkünfte sind, desto höher ist somit die absolute Entlastung. Die Auszahlung erfolgt über die Deutsche Rentenversicherung. 

Eine entsprechende Einmalzahlung soll es auch für die Versorgungsempfänger des Bundes geben. 

Studenten und Fachschüler sollen einmalig 200 Euro erhalten. 

Midijobs

Die Höchstgrenze für eine Beschäftigung im Übergangsbereich – hier gelten verminderte Arbeitnehmer-Beiträge zur Sozialversicherung – wurde bereits mit Wirkung ab dem 1.10.2022 von monatlich 1.300 Euro auf 1.600 Euro angehoben. Diese Höchstgrenze soll ab dem 1.1.2023 auf 2.000 Euro steigen. 

Dadurch sollen Arbeitnehmer in diesem Lohnbereich um ca. 1,3 Mrd. Euro jährlich entlastet werden, da sie weniger Sozialversicherungsbeiträge zahlen. 

Umsatzsteuer

Die Absenkung der Umsatzsteuer für Speisen in der Gastronomie von 19 % auf 7 % soll verlängert werden, um diese Branche zu entlasten und die Inflation nicht weiter zu befeuern. 

Vom 1.10.2022 bis zum 31.3.2024 soll auch für den Gasverbrauch der ermäßigte Steuersatz von 7 % gelten. 

Weitere Maßnahmen im Überblick

Ab dem 1.1.2023 soll das Kindergeld um monatlich 18 Euro für das erste und zweite Kind erhöht werden; für das dritte Kind sind 12 Euro geplant. 

Um eine Steuererhöhung wegen der Inflation zu verhindern (kalte Progression), sollen die Tarifeckwerte angepasst werden. 

Der Bund ist bereit, bei zusätzlichen Zahlungen der Arbeitgeber an ihre Arbeitnehmer einen Betrag von bis zu 3.000 Euro von der Steuer und den Sozialversicherungsabgaben zu befreien. 

Kurzarbeitergeld

Die Sonderregelungen sollen über den 30.9.2022 hinaus verlängert werden. 

Für energieintensive Unternehmen, die gestiegene Energiekosten nicht weitergeben können, soll ein Programm aufgelegt werden. Unterstützung sollen Unternehmen bei Investitionen in Effizienz- und Substitutionsmaßnahmen erhalten. Bestehende Programme (z. B. das KfW-Sonderprogramm UBR 2022) sollen bis zum 31.12.2022 verlängert werden. 

Beachten Sie | Die beschlossenen Maßnahmen unterliegen in einzelnen Aspekten der Zustimmungspflicht weiterer politischer Gremien und es können Änderungen eintreten. 

Quelle | Ergebnis des Koalitionsausschusses vom 3.9.2022: Maßnahmenpaket des Bundes zur Sicherung einer bezahlbaren Energieversorgung und zur Stärkung der Einkommen; zur Kindergelderhöhung für das dritte Kind: BMF-Referentenentwurf für ein Inflationsausgleichsgesetz mit Stand vom 6.9.2022

Rechtsstreit: Einvernehmliche Erledigung: Doch keine Entscheidung zur Verfassungswidrigkeit der Abgeltungsteuer

| Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen hält die Abgeltungsteuer für verfassungswidrig und hatte sie dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Prüfung vorgelegt. Doch eine Entscheidung wird es vorerst nicht geben. | 

In dem Streitfall hat das Finanzamt inzwischen die Einkommensteuerbescheide geändert und dem Klageantrag des Steuerpflichtigen (u. a. Erfassung der ihm zugerechneten Provisionseinnahmen bei einem Dritten) entsprochen. Daraufhin haben das Finanzamt und der Steuerpflichtige den Rechtsstreit einvernehmlich für erledigt erklärt. Somit ist die Vorlage des FG gegenstandslos geworden. 

Quelle | FG Niedersachsen, Beschluss vom 10.8.2022, 7 K120/21, Newsletter vom 17.8.2022

Jubiläumsveranstaltung: Nachträgliche Lohnsteuerpauschalierung führt nicht zur Sozialversicherungspflicht

| Die anlässlich einer Jubiläumsveranstaltung erzielten Einnahmen sind nach einer Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen auch dann nicht dem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsentgelt zuzurechnen, wenn sie erst nach dem 28.2. des Folgejahres nachträglich pauschal besteuert werden. Da die Revision anhängig ist, muss nun das Bundessozialgericht (BSG) entscheiden. | 

Das war geschehen

Ein Arbeitgeber hatte am 5.9.2015 anlässlich eines Firmenjubiläums eine Betriebsveranstaltung durchgeführt. Es entstanden Kosten von rund 214.500 Euro (einschl. Umsatzsteuer). Bei der Lohnsteueranmeldung für September 2015 vom 8.10.2015 berücksichtigte der Arbeitgeber diese Kosten zunächst nicht. 

Am 31.3.2016 übermittelte der Arbeitgeber dem Finanzamt dann eine korrigierte Lohnsteueranmeldung. Mit dieser meldete er die Lohnsteuer auf den Arbeitslohn aus Anlass der Betriebsveranstaltung mit einem pauschalen Steuersatz von 25 % gemäß Einkommensteuergesetz (§ 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) an, soweit er den Freibetrag in Höhe von 110 Euro je Teilnehmer überstieg. Auf den Betrag führte er keine Sozialversicherungsbeiträge ab.  

Betriebsprüfung: Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen

Nach einer Betriebsprüfung wurden dann Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von ca. 60.050 Euro nachgefordert. Die Begründung: Nach der Sozialversicherungsentgeltverordnung (§ 1 Abs. 1 S. 2SvEV) sind die dort genannten Einnahmen, Zuwendungen und Leistungen nur dann nicht dem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsentgelt zuzurechnen, wenn sie vom Arbeitgeber tatsächlich lohnsteuerfrei belassen oder pauschal besteuert worden sind. 

Eine unzutreffende steuer- und beitragsfreie Behandlung könne grundsätzlich nur bis zur Erstellung der Lohnsteuerbescheinigung – also längstens bis Ende Februar des Folgejahrs – durch eine nachträgliche Pauschalbesteuerung geändert werden. 

Gerichtliche Instanzen widersprechen

Das Sozialgericht (SG) Oldenburg und das LSG Niedersachsen-Bremen sahen das aber anders. 

Zwar vertreten die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung die Auffassung, eine nachträgliche Pauschalbesteuerung könne stets nur bis zur Erstellung der Lohnsteuerbescheinigung, also längstens biszum 28.2. des Folgejahrs, geltend gemacht werden. Aber diese Ansicht findet nach Meinung des LSG keine hinreichende Stütze im Gesetz. Insbesondere ist diese zeitliche Grenze nicht dem Einkommensteuergesetz (hier: § 41 b EStG  – „Abschluss des Lohnsteuerabzugs“) zu entnehmen.

 Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24.3.2022, L 12 BA 3/20, Rev. BSG, B 12 BA 3/22 R, Spitzenorganisationen der Sozialversicherung im Besprechungsergebnis vom 20.4.2016, TOP 5

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Lohnsteuer: Führungskräftefeier: privilegierte Betriebsveranstaltung?

| Nach Ansicht des Finanzgerichts (FG) Köln ist die pauschale Besteuerung (Steuersatz von 25 %) für Betriebsveranstaltungen nicht auf Veranstaltungen anzuwenden, die nicht allen Betriebsangehörigen offenstehen (hier: Vorstands- bzw. Führungskräfte-Weihnachtsfeier). | 

Zuwendungen des Arbeitgebers an seinen Arbeitnehmer und dessen Begleitpersonen anlässlich von Veranstaltungen auf betrieblicher Ebene mit gesellschaftlichem Charakter (Betriebsveranstaltung) führen zu Arbeitslohn. Soweit solche Zuwendungen den Betrag von 110 Euro je Betriebsveranstaltung und teilnehmendem Arbeitnehmer nicht übersteigen, gehören sie jedoch nicht zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, wenn die Teilnahme an der Betriebsveranstaltung allen Angehörigen des Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. 

Ungeklärt ist die Frage, ob eine „Betriebsveranstaltung“ auch bei einem geschlossenen Kreis (z. B. Vorstands- und Führungskräftefeiern) vorliegt. Dann kann zwar kein Freibetrag von 110 Euro gewährt werden, aber es wäre eine Lohnsteuerpauschalierung nach dem Einkommensteuergesetz (§ 40 Abs. 2S. 1 Nr. 2 EStG) mit 25 % möglich. 

Beachten Sie | Da bislang noch keine Entscheidung des Bundesfinanzhofs zu der Frage ergangen ist, ob eine Lohnsteuerpauschalierung auch für Betriebsveranstaltungen gilt, die nicht allen Betriebsangehörigen offenstehen, hat das FG die Revision zugelassen, die inzwischen anhängig ist. 

Quelle | FG Köln, Urteil vom 27.1.22, 6 K 2175/20, Rev. BFH, VI R 5/22

Nachbarrecht: Schuldrechtliches Wegerecht ist nicht kündbar

| Bei einem zugunsten von Bewohnern eines Nachbargrundstücks schuldrechtlich begründeten Wegerecht darf dieses nicht gekündigt und ohne Zustimmung der Nachbarn nicht aufgehoben werden. So entschied es nun das Landgericht (LG) Aachen. |

Wegerecht vereinbart

Immobilienkäufer vereinbarten mit den Verkäufern ein Wegerecht zugunsten der Nachbarn. Die Käufer verpflichteten sich, einen neben dem Haus und über den Hof verlaufenden Weg weiter zu dulden, offenzuhalten, zu unterhalten und die Benutzung durch die jeweiligen Bewohner der benachbarten Mittelwohnung zu gestatten und diese Pflicht an Rechtsnachfolger zu übergeben. Eine einseitige Beendigung durch die Käufer war ausgeschlossen. Die Käufer kündigten später das Wegerecht und verlangten Herausgabe des Gartentorschlüssels sowie festzustellen, dass sie nicht verpflichtet sind, den Zugang zu ihrem Grundstück für die Nachbarn zu erhalten. 

Amtsgericht: Kündigung unwirksam

Vor dem Amtsgericht (AG) hatten die Käufer keinen Erfolg. Auch die Berufung blieb erfolglos. Das Wegerecht ist durch den Kaufvertrag als echter Vertrag zugunsten der Nachbarn wirksam eingeräumt worden. Dass ein eigenes Leistungsrecht und somit ein echter Vertrag zugunsten Dritter vorliegt, war dem Vertragszweck zu entnehmen. Der Zustand, dass die beklagten Nachbarn ihren Garten auch über das Grundstück der Käufer verlassen konnten, sollte aufrechterhalten und auch an Rechtsnachfolger weitergegeben werden. Damit sollten die Nachbarn begünstigt und berechtigt werden, das schuldrechtlich begründete Wegerecht durchzusetzen. 

Der o. g. Kündigungsausschluss sei auch wirksam, so das LG. Denn § 544 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ist nicht anwendbar. Vorliegend sei nämlich kein Mietvertrag über 30 Jahre gegeben, sondern ein Leihvertrag. Dieser kennt keine Bindungsgrenze. Selbst, wenn § 544 BGB mittelbar anzuwenden sei, wäre der Bindungszeitraum (30 Jahre) hier noch nicht abgelaufen. 

Quelle | LG Aachen, Urteil vom 5.8.2021, 3 S 2/21

Unfallversicherungsschutz: Psychische Folgen eines Unfalls

| Nach den Allgemeinen Bedingungen der Unfallversicherung (AUB 2008) sind krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen vom Versicherungsschutz ausgenommen, auch wenn sie Unfallfolgen sind. Für diesen Leistungsausschluss ist es unerheblich, ob sich die psychischen Reaktionen als medizinisch nicht nachvollziehbare Fehlverarbeitung darstellen, hat nun das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main entschieden und Ansprüche wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung nach einer Armverletzung zurückgewiesen. | 

Der Kläger ist bei der Beklagten unfallversichert (Invaliditätsgrundsumme: 25.000 Euro). Einbezogen wurden die AUB 2008. Vom Versicherungsschutz ausgenommen sind „krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, auch wenn diese durch den Unfall verursacht wurden“. 

Der Kläger macht gegenüber der Beklagten Leistungen wegen unfallbedingter Invalidität geltend. Er beruft sich auf einen Unfall, bei dem er seinen rechten Ellenbogen an einem Heizkörper angestoßen habe mit einer anschließenden großflächigen Infektion des betroffenen Arms. Durch die Armverletzung sei es zu einer posttraumatischen Belastungsstörung gekommen. Die Beklagte verweist auf ihren Leistungsausschluss für psychische Reaktionen.

Das Landgericht (LG) hatte die Beklagte wegen festgestellter Dauerfolgen am Arm zur Zahlung von 12.500 Euro verurteilt und Ansprüche wegen krankhafter Veränderungen der Psyche zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Dem Kläger stünde wegen des vereinbarten Leistungsausschlusses für psychische Reaktionen keine weitere Invaliditätsleistung zu. Auch nach den Behauptungen des Klägers habe nicht der Anstoß an den Heizkörper selbst oder die daraus resultierende Entzündungsreaktion unmittelbar zu einer Veränderung der Hirnstruktur geführt. Er berufe sich vielmehr selbst auf eine posttraumatische Belastungsstörung als Folge der Funktionseinschränkungen am Arm. 

Ob diese psychische Reaktion auf das körperliche Geschehen nachvollziehbar sei, könne offenbleiben. Der Ausschlusstatbestand erfasse nicht nur „Fehlverarbeitungen“. Es bestehe vielmehr schon dann kein Versicherungsschutz, wenn die Störung des Körpers „rein psychisch-reaktiver Natur ist“, wie hier. Der Ausschluss knüpfe an objektiv fassbare Vorgänge an. Es sei mit dem Wortlaut der Klausel kaum vereinbar, auf das Kriterium der„medizinischen Nachvollziehbarkeit“ abzustellen, da dieses auf eine Ursachenbetrachtung abziele, ob der Unfall mehr oder weniger zwangsläufig bzw. regelmäßig und unvermeidbar psychische Beschwerden der aufgetretenen Art hervorrufen konnte. Nach der Klausel seien jedoch psychische Reaktionen auch dann ausgeschlossen, „wenn diese durch einen Unfall verursacht wurden“. 

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Das Nichtzulassungsverfahren läuft vor dem Bundesgerichtshof (BGH) unter dem Aktenzeichen IV ZR 302/22. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 13.7.2022, 7 U88/21, PM 74/22

Geschlechtszugehörigkeit: Deutsche Bahn: Keine Diskriminierung nicht-binärer Personen

| Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat die Vertriebstochter des größten deutschen Bahnkonzerns verpflichtet, es ab dem 1.1.2023 zu unterlassen, die klagende Person nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit zu diskriminieren, indem diese bei der Nutzung von Angeboten des Unternehmens zwingend eine Anrede als „Herr“ oder „Frau“ angeben muss. | 

Das war geschehen

Die Beklagte ist Vertriebstochter der Deutschen Bahn. Die klagende Person besitzt eine nicht-binäre Geschlechtsidentität. Die Person ist Inhaberin einer BahnCard und wird in diesbezüglichen Schreiben sowie Newslettern der Beklagten mit der unzutreffenden Bezeichnung „Herr“ adressiert. Auch beim Online-Fahrkartenverkauf der Beklagten ist es zwingend erforderlich, zwischen einer Anrede als „Frau“ oder „Herr“ auszuwählen. Die klagende Person ist der Ansicht, ihr stünden Unterlassungsansprüche sowie ein Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 5.000 Euro gegen die Beklagte zu, da deren Verhalten diskriminierend sei. 

Landgericht: Unterlassungsanspruch ja, Entschädigung nein

Das Landgericht (LG) hatte den Unterlassungsansprüchen der klagenden Person stattgegeben, Entschädigungsansprüche allerdings abgewiesen. 

Oberlandesgericht: Unterlassungsanspruch ja, Entschädigungsanspruch ja

Nun hat das OLG die Unterlassungsansprüche der klagenden Person bestätigt, dabei allerdings der Beklagten hinsichtlich des Unterlassungsgebots bezüglich der Nutzung von Angeboten der Beklagten eine Umstellungsfrist bis zum Jahresende eingeräumt. Zudem hat es eine Entschädigung von 1.000 Euro zugesprochen. Die klagende Person könne wegen einer unmittelbaren Benachteiligung aus Gründen des Geschlechts und der sexuellen Identität bei der Begründung und Durchführung von zivilrechtlichen Schuldverhältnissen im Massenverkehr Unterlassung verlangen. Das Merkmal der Begründung eines Schuldverhältnisses sei dabei weit auszulegen und nicht nur auf konkrete Vertragsanbahnungen zu beziehen. Es umfasse auch die Verhinderung geschäftlicher Kontakte, wenn nicht-binäre Personen gezwungen würden, für einen Online-Vertragsschluss zwingend die Anrede „Herr“ oder „Frau“ auszuwählen.

Allerdings hat das OLG der Beklagten eine Umstellungsfrist bis zum Jahresende von gut sechs Monaten eingeräumt. Dies bezieht sich vor allem auf die Nutzung des von der Beklagten zur Verfügung gestellten allgemeinen Buchungssystems für Online-Fahrkarten, das sich nicht nur an die klagende Person richtet. Das OLG hat die Frist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit im Hinblick auf den für die Anpassung nötigen Aufwand bemessen. 

Umstellung ohne Übergangsfrist technisch möglich

Keine Umstellungsfrist hat das OLG gewährt, soweit sich der Unterlassungsanspruch der klagenden Person auf das Ausstellen von Fahrkarten, Schreiben des Kundenservice, Werbung und gespeicherte personenbezogene Daten bezieht. In der diesbezüglichen individuellen Kommunikation sei es für die Beklagte technisch realisierbar und auch im Hinblick auf den Aufwand zumutbar, dem Unterlassungsanspruch ohne Übergangsfrist zu entsprechen. 

Benachteiligungsverbot: 1.000 Euro Entschädigung

Das OLG hat der klagenden Person zudem wegen der Verletzung des Benachteiligungsverbots eine Geldentschädigung in Höhe von 1.000 Euro zugesprochen. Denn die klagende Person habe infolge der Verletzung des Benachteiligungsverbots einen immateriellen Schaden erlitten. Sie erlebe „die Zuschreibung von Männlichkeit“ seitens der Beklagten als Angriff auf die eigene Person, die zu deutlichen psychischen Belastungen führe. Die Entschädigung sei angemessen, da sie der klagenden Person Genugtuung für die durch die Benachteiligung zugefügte Herabsetzung und Zurücksetzung verschaffe. Abzuwägen seien dabei die Bedeutung und Tragweite der Benachteiligung für die klagende Person einerseits und die Beweggründe der Beklagten andererseits. Die Benachteiligungen für die klagende Person sei hier als so massiv zu bewerten, dass sie nicht auf andere Weise als durch Geldzahlung befriedigend ausgeglichen werden könnten. Zugunsten der Bahn sei aber zu berücksichtigen, dass keine individuellen Benachteiligungshandlungen erfolgt seien. 

IT-Systeme sind umzustellen

Zudem handele es sich bei der Frage der Anerkennung der Persönlichkeitsrechte von Menschen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität um eine neuere gesellschaftliche Entwicklung, die selbst in der Gleichbehandlungsrichtlinie aus dem Jahr 2004 (RL 2004/11/EG) noch keinen Niederschlag gefunden habe. So sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte bei Einführung ihrer Software in Bezug auf den Online-Ticketkauf bewusst oder absichtlich zur Benachteiligung nicht-binärer Personen eine geschlechtsneutrale Erwerbsoption ausgespart habe. Allerdings habe die Beklagte ihre IT-Systeme im Unterschied zu anderen großen Unternehmen bislang nicht angepasst. Zudem sei ihr vorzuhalten, dass sie gerade in der individuellen Kommunikation mit der klagenden Person – so etwa hinsichtlich der BahnCard – nach wie vor eine unzutreffende männliche Anrede verwende. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 21.6.2022, 9 U92/20, PM 50/22 vom 21.6.2022

Grobe Fahrlässigkeit: Regressanspruch eines Gebäudeversicherers gegen die Mieter

| Wird eine Mietsache beschädigt, kann die Gebäudeversicherung vom Mieter nur Regress verlangen, wenn der Mieter den Schaden grob fahrlässig verursacht hat. So entschied es nun das Landgericht (LG) Oldenburg. 

Bei dem Versuch des Mieters, einen in dem angemieteten Wohnhaus vorhandenen Kamin wieder zu entflammen, entstand ein Brand. Im Zuge dieses Versuchs griff der Mieter auf Brennspiritus zurück, wobei der konkrete Einsatz des Spiritus streitig ist. Die Mieterin, die nichteheliche Lebenspartnerin des Mieters, war am Entfachen des Kamins nicht unmittelbar beteiligt. Sie hatte zuvor den Brennspiritus gekauft. Neben dem Kamin lagerten beide eine Flasche Brennspiritus, als der Brand ausbrach. Ein Ermittlungsverfahren gegen den Mieter wurde eingestellt. 

Wichtig: Steht fest, dass nur einer der Mieter den Schaden grob fahrlässig verursacht hat, kann die Gebäudeversicherung gleichwohl Regress gegen alle aus dem Mietvertrag haftenden Mitmieter nehmen. 

Quelle | LG Oldenburg, Urteil vom 22.6.2021, 16 O 4029/20

BGH-Entscheidung: Vermieter darf Mieterhöhung reduzieren

| Der Vermieter ist berechtigt, innerhalb eines Mieterhöhungsverfahrens sein formell ordnungsgemäßes vorprozessuales Erhöhungsverlangen nachträglich zu ermäßigen – etwa mit Erhebung der Zustimmungsklage. Das hat nun der Bundesgerichtshof (BGH) klargestellt. | 

Im Fall des BGH hatte die Vermieterin zunächst eine Erhöhung von 65 Euro monatlich verlangt, im Rahmen der Klage auf Zustimmung zum Mieterhöhungsverlangen aber nur noch rund 45 Euro begehrt. Sie hatte auf werterhöhende Wohnmerkmale im Prozess verzichtet. Die Mieter waren der Meinung, die Vermieterin hätte erst vorgerichtlich ein neues Mieterhöhungsverlangen zustellen müssen. 

Das sah der BGH nicht so. Einer nochmaligen – den Lauf der im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 558 b Abs. 1, 2 BGB) geregelten Fristen von Neuem auslösenden – Erklärung und Begründung bedarf es hierfür nach Ansicht des BGH nicht. 

Quelle | BGH, Urteil vom 6.4.22, VIII ZR 219/20

Erbschaft: Vermächtnisnehmer ist nicht am Verfahren zur Ernennung des Testamentsvollstreckers zu beteiligen

| Der Vermächtnisnehmer ist an dem Verfahren des Nachlassgerichts zur Ernennung des Testamentsvollstreckers und zur Erteilung des Testamentsvollstreckerzeugnisses nicht zu beteiligen. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf. | 

Der Vermächtnisnehmer war durch letztwillige Verfügung des Erblassers mit zwei Vermächtnissen bedacht worden. Das eine Vermächtnis räumt ihm das lebenslange Recht ein, eine Wohnung des Erblassers sowie ein zu dieser Wohnung gehörendes Zimmer unentgeltlich zu bewohnen. Das zweite Vermächtnis bezieht sich auf die Wohnungseinrichtung nebst dem dazugehörigen Hausrat. Der Erblasser hatte zudem einen Testamentsvollstrecker berufen. Das notariell beurkundete Testament sieht dazu eine Abwicklungsvollstreckung sowie nach erfolgter Erbauseinandersetzung eine daran anschließende Dauervollstreckung vor, diese allerdings befristet. 

Das Amtsgericht (AG) führt den Vorgang über die Ernennung des Testamentsvollstreckers und die Erteilung des Testamentsvollstreckerzeugnisses. Der Vermächtnisnehmer möchte an beiden Verfahren beteiligt werden und begehrt, die betreffenden Akten des Nachlassgerichts einzusehen. 

Nach Ansicht des OLG ist er aber nicht zu beteiligen. Das Gesetz (hier: § 345 des „Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit“ – FamFG) liste für verschiedene Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit abschließend die Personen auf, die von Amts wegen oder auf Antrag hinzugezogen werden müssen und die das Gericht darüber hinaus am Verfahren beteiligen kann. 

Das Verfahren zur Ernennung eines Testamentsvollstreckers und zur Erteilung des Testamentsvollstreckerzeugnisses sei in Absatz 3 der o. g. Vorschrift geregelt. An jenem Verfahren sei der Testamentsvollstrecker zwingend beteiligt. Daneben könne das Gericht die Erben und einen etwaigen Mitvollstrecker hinzuziehen. Auf ihren Antrag hin seien diese Personen zu beteiligen. Ein Recht auf Einsicht in die Testamentsvollstreckerakte könne sich zwar ergeben, wenn und soweit ein berechtigtes Interesse an der Einsicht glaubhaft gemacht werden kann. Der Vermächtnisnehmer habe hier aber weder dargelegt noch sei sonst ersichtlich, inwieweit es ihm die Akteneinsicht erleichtern könnte, seinen Anspruch aus den beiden Vermächtnissen durchzusetzen. 

Quelle | OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4.4.22, I-3 Wx 86/21

10-jährige Haltefrist: Erbschaftsteuerbefreiung für ein Familienheim

| Ein Erbe verliert nicht die Erbschaftsteuerbefreiung für ein Familienheim, wenn ihm die eigene Nutzung des Familienheims aus gesundheitlichen Gründen unmöglich oder unzumutbar ist. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) jetzt entschieden. | 

Die Klägerin hatte das von ihrem Vater ererbte Einfamilienhaus zunächst selbst bewohnt, war aber bereits nach sieben Jahren ausgezogen. Im Anschluss wurde das Haus abgerissen. Die Klägerin machte gegenüber dem Finanzamt und dem Finanzgericht (FG) erfolglos geltend, sie habe sich angesichts ihres Gesundheitszustands kaum noch in dem Haus bewegen und deshalb ohne fremde Hilfe dort nicht mehr leben können. Das FG war der Ansicht, das sei kein zwingender Grund für den Auszug, da sich die Klägerin fremder Hilfe hätte bedienen können. 

Der BFH hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Grundsätzlich setzt die Steuerbefreiung gemäß Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz (§ 13 Abs. 1 Nr. 4 c ErbStG) voraus, dass der Erbe für zehn Jahre das geerbte Familienheim selbst nutzt, es sei denn, er ist aus „zwingenden Gründen“ daran gehindert. „Zwingend“, so der BFH, erfasse nicht nur den Fall der Unmöglichkeit, sondern auch die Unzumutbarkeit der Selbstnutzung des Familienheims. Reine Zweckmäßigkeitserwägungen, wie etwa die Unwirtschaftlichkeit einer Sanierung, genügten zwar nicht. Anders liege es, wenn der Erbe aus gesundheitlichen Gründen für eine Fortnutzung des Familienheims so erheblicher Unterstützung bedürfe, dass nicht mehr von einer selbstständigen Haushaltsführung zu sprechen sei. Das FG muss deshalb unter Mitwirkung der Klägerin das Ausmaß ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen prüfen. 

Quelle | BFH, Urteil vom 1.12.21, II R 18/20, PM 28/22 vom 7.7.2022

Honorarvertrag: Bauhandwerkersicherung: Unternehmer muss nur schlüssig darlegen

| Bauunternehmer können von ihrem Auftraggeber Sicherheit für das gesamte noch nicht gezahlte Honorar verlangen. So steht es im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 650 f BGB). Sie können kündigen, wenn der Bauherr die Sicherheit nicht innerhalb einer angemessenen Frist stellt. Ihr Sicherungsverlangen ist berechtigt, wenn sie den Anspruch schlüssig darlegen. Ob die erforderlichen Annahmen dann auch tatsächlich zutreffen, ist jedoch nicht im Sicherungsverfahren zu klären. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Celle klargestellt. | 

Das war geschehen

Ein Bauplaner war mit Architektenleistungen beauftragt worden. Dann zerstritten sich Auftragnehmer und Auftraggeber. Die Situation eskalierte. Der Auftraggeber kündigte den Planervertrag außerordentlich aus wichtigem Grund und verlangte zu viel gezahltes Honorar zurück. Der Planer erhob Widerklage und forderte den Auftraggeber auf, ihm eine Sicherheit zu stellen. Darüber hinaus machte er geltend, dass ihm ein Honorar auf Grundlage der Mindestsätze gemäß der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) oberhalb des vereinbarten Pauschalhonorars zustehe. 

So entschied das Oberlandesgericht

Das OLG gab dem Planer Recht. Seine Darlegungen zur Höhe der Sicherheit (unter Berücksichtigung erhaltener Abschlagszahlungen) seien ausreichend gewesen. Im Sicherheitenprozess stehe im Vordergrund, dem Unternehmer zu einer schnellen Sicherheit zu verhelfen. Rechtlich anspruchsvolle Fragen seien dort dagegen nicht aufzuklären. Als solche gelten die Fragen, ob sich die Höhe der Vergütung nach dem Preisrecht der HOAI oder nach der Honorarvereinbarung richte, und ob die Angaben zur Honorarzone und zu den anrechenbaren Kosten zutreffen. 

Quelle | OLG Celle, Urteil vom 27.4.2022, 14 U 96/19

Abgabenstreit: Keine Ausbaubeiträge für ungenutzte Grundstücke, die nicht an einer Verkehrsanlage angrenzen

| Das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz hat jetzt entschieden: Die Erhebung von wiederkehrenden Beiträgen für Grundstücke, die keinen Zugang bzw. keine Zufahrt zu einer Verkehrsanlage haben und auch nicht genutzt werden, scheidet aus. Dies gilt auch, wenn die Eigentümer dieses Grundstücks und des Anliegergrundstücks identisch sind. | 

Das war geschehen

Die Klägerin ist Eigentümerin zweier Grundstücke, von dem eines unmittelbar an eine Straße ihrer Gemeinde angrenzt. Direkt hinter diesem Grundstück befindet sich das zweite Grundstück, das weder eine Zufahrt oder Zuwegung zu einer Straße hat noch unmittelbar über das vordere Grundstück der Klägerin angefahren werden kann. Dieses Grundstück wird von der Klägerin nicht genutzt; Wiese und Sträucher wachsen dort wild. 

Die beklagte Gemeinde erhob im Jahr 2019 wiederkehrende Ausbaubeiträge für beide Grundstücke. Nachdem der hiergegen erhobene Widerspruch der Klägerin keinen Erfolg hatte, verfolgte sie ihr Begehren im Klageweg weiter.

Hinterliegergrundstück nicht genutzt: keine Beiträge

Die Klage hatte in Bezug auf das Hinterliegergrundstück Erfolg. Während das an die Straße angrenzende Grundstück der Klägerin ohne Weiteres beitragspflichtig sei, hätten, so das VG, für das dahinterliegende Grundstück keine Beiträge erhoben werden dürfen. Zwar sei ein Hinterliegergrundstück, das im (Mit)Eigentum derselben Person stehe, wie das selbstständig bebaubare Anliegergrundstück, beitragspflichtig, wenn es zusammen mit diesem einheitlich genutzt werde oder tatsächlich eine Zufahrt zu der Anbaustraße besitze. Von einer einheitlichen Nutzung sei aber nur auszugehen, wenn ein Eigentümer sein Hinterliegergrundstück als private Grünfläche (Hausgarten mit Nebengebäude) für das mit einem Wohnhaus bebaute Anliegergrundstück nutze. Dies sei bei dem Hinterliegergrundstück der Klägerin jedoch nicht der Fall. Es werde überhaupt nicht genutzt. Beide Parzellen seien durch einen Maschendrahtzaun voneinander getrennt, sodass sie nicht einheitlich umfriedet seien. Eine Gartennutzung finde ausschließlich auf der Fläche südwestlich des Wohnhauses der Klägerin auf dem Anliegergrundstück statt. 

Gegen die Entscheidung steht den Beteiligten die Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz zu. 

Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 21.2.2022, 4 K 1019/21.KO, PM 18/22

Schwarzarbeit: Leistungsempfänger wegen Betrugs verurteilt

| Schwarzarbeit lohnt sich nicht – noch dazu, wenn man gleichzeitig Arbeitslosengeld II kassiert. Das musste ein 48-Jähriger vor dem Amtsgericht (AG) Dessau-Roßlau erfahren. Er wurde zu neun Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Um die Aussetzung der Strafe nicht zu gefährden, hat er nun für die Dauer von zwei Jahren Zeit, sich zu bewähren. | 

Die Bediensteten des Hauptzollamts Magdeburg – Finanzkontrolle Schwarzarbeit Dessau – ermittelten, dass der Mann zwischen November 2017 und November 2018 eine selbstständige Tätigkeit ausübte und dabei im genannten Zeitraum ein Einkommen von über 20.400 Euro erzielte. Zur Verschleierung seiner Aktivitäten gründete der Unternehmer zwei Limited Unternehmen (britische Kapitalgesellschaften) in Großbritannien. Zusätzlich war der Verurteilte auf Geringfügigkeitsbasis tätig. Der Sachverhalt wurde im Zuge einer Geschäftsunterlagenprüfung nach dem Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz - SchwarzArbG) bei einem Auftraggeber bekannt. 

Während der Zeit der Selbstständigkeit bezog er von Oktober 2017 bis August 2018 zu Unrecht Arbeitslosengeld II in Höhe von 7.400 Euro. Er verschwieg pflichtwidrig gegenüber dem Jobcenter Dessau-Roßlau die Ausübung seiner selbstständigen Tätigkeit und das erzielte Einkommen hieraus. Lediglich die geringfügige Tätigkeit und das daraus stammende Einkommen zeigte er beim Jobcenter an. Damit erfüllte der Mann nach Ansicht des Gerichts den Tatbestand des Betrugs (strafbar nach § 263 Strafgesetzbuch – StGB). Diese Vorschrift sieht im Fall des Betrugs eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vor. 

Das Urteil ist bereits rechtskräftig. Neben der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung muss der Verurteilte den verursachten Schaden wiedergutmachen. 

Quelle | Hauptzollamt Magdeburg, PM vom 1.7.2022

Kündigungsschutzverfahren: Kein Wiedereinstellungsanspruch in der Insolvenz

| In der Insolvenz des Arbeitgebers besteht kein Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers. Ist ein solcher Anspruch vor Insolvenzeröffnung bereits gegenüber entstanden, erlischt er mit Insolvenzeröffnung. Die Insolvenzordnung bindet den Insolvenzverwalter nur an bereits vom Schuldner begründete Arbeitsverhältnisse, kennt jedoch keinen Kontrahierungszwang des Insolvenzverwalters, also keine Pflicht, Verträge einzugehen. Einen solchen Zwang kann nur der Gesetzgeber anordnen. So entschied es aktuell das Bundesarbeitsgericht (BAG). | 

Der Kläger war bei einem Betten- und Matratzenhersteller mit rund 300 Arbeitnehmern beschäftigt. Dieser kündigte das Arbeitsverhältnis wirksam zum 31.7.19 wegen Betriebsstilllegung. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, noch während der Kündigungsfrist sei ein Betriebsübergang auf die spätere Schuldnerin beschlossen und am 1.8.19 vollzogen worden. Er nahm deshalb die spätere Schuldnerin, die etwa 20 Arbeitnehmer beschäftigte, auf Wiedereinstellung in Anspruch. Gegen eine von der späteren Schuldnerin erklärte vorsorgliche Kündigung erhob er fristgerecht Kündigungsschutzklage. Während des Berufungsverfahrens wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Das Verfahren wurde dadurch unterbrochen. Der Kläger erklärte mit Schriftsatz vom 29.6.20 die Aufnahme des Verfahrens. Der Beklagte widersprach der Aufnahme. Das LAG hat mit Zwischenurteil festgestellt, dass das Verfahren weiterhin unterbrochen ist. 

Die Revision des Klägers hatte vor dem BAG aus prozessualen Gründen Erfolg. Der richterrechtlich entwickelte Wiedereinstellungsanspruch kommt zum Tragen, wenn sich die bei Zugang der Kündigung noch zutreffende Prognose des Arbeitgebers, der Beschäftigungsbedarf werde bei Ablauf der Kündigungsfrist entfallen, als fehlerhaft erweist, etwa, weil es zu einem Betriebsübergang kommt. Zwar besteht ein solcher Anspruch in der Insolvenz nicht, sodass der Rechtsstreit an sich nicht unterbrochen wird. Wird jedoch mit dem Wiedereinstellungsanspruch – wie im vorliegenden Fall – zugleich die Wirksamkeit einer Kündigung angegriffen, führt das zur Unterbrechung auch bezüglich des Streits über die Wiedereinstellung. Umgekehrt hat die Aufnahme des Kündigungsrechtsstreits, für die es genügt, dass bei Obsiegen des Arbeitnehmers Masseverbindlichkeiten entstehen können, auch die Aufnahme des Streits über die Wiedereinstellung zur Folge. 

Quelle | BAG, Urteil vom 25.5.22, 6 AZR 224/21, PM 19/22

Kündigung: Urlaub bei einem anderen Arbeitgeber wird angerechnet

| Der Arbeitnehmer muss sich den ihm während des Kündigungsschutzrechtsstreits von einem anderen Arbeitgeber gewährten Urlaub auf seine Urlaubsansprüche gegen den alten Arbeitgeber anrechnen lassen. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen. Voraussetzung: Der Arbeitnehmer hätte die Pflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen nicht gleichzeitig erfüllen können. Das gilt auch für den vertraglich vereinbarten Urlaub, der den Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt. | 

Eine Verkäuferin hatte nach ihrer fristlosen Kündigung eine Kündigungsschutzklage erhoben. Während des Verfahrens arbeitete sie bei einem anderen Arbeitgeber und nahm dort auch Urlaub. 

Das LAG machte deutlich: Auch bei der Anrechnung des Urlaubs ist eine Gesamtberechnung anhand des im gesamten Anrechnungszeitraum gewährten Urlaubs vorzunehmen. Die Arbeitnehmerin konnte daher nicht einerseits bei dem neuen Arbeitgeber Urlaub nehmen und andererseits beim alten Arbeitgeber für die gleiche Zeit Urlaubsabgeltung verlangen. 

Quelle | LAG Niedersachsen, Urteil vom 2.5.2022, 15 Sa 885/21

Rettungsassistent: Gleiche Arbeit, gleicher Lohn

| Die Differenzierung im Stundenlohn (17 Euro/12 Euro) zwischen „hauptamtlichen“ (Voll- und Teilzeit) und „nebenamtlichen“ Arbeitnehmern (geringfügige Beschäftigung) ist nicht sachlich gerechtfertigt. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) München. | 

Ein als Minijobber beschäftigter Rettungsassistent wehrte sich, weil er fünf Euro weniger als die „hauptamtlichen“ Kollegen verdiene, obwohl er die gleiche Arbeit leiste. Seine Klage vor dem Arbeitsgericht (ArbG) München verlor der Arbeitnehmer zunächst. 

Doch er blieb hartnäckig. Mit Erfolg: Das LAG München sah das nämlich anders als das ArbG: Die Tatsache, dass der Arbeitgeber die „hauptamtlich“ Beschäftigten in den Dienstplan einteilen würde und die „nebenamtlich“ Beschäftigten mitteilen müssten, welche angebotenen Dienste sie übernehmen bzw. wann sie Zeit haben, rechtfertige die unterschiedliche Bezahlung nicht. Hierfür seien keine objektiven Gründe gegeben, die einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens dienen würden und zur Zielerreichung geeignet und erforderlich seien. Auch würde die Unterscheidung nicht dem Zweck der Leistung entsprechen. 

Die Sache ist noch nicht rechtskräftig. Denn der Arbeitgeber hat Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) eingelegt. 

Quelle | LAG München, Urteil vom 19.1.2022, 10 Sa 582/21

Kündigungsschutzklage: Bei gefälschtem Genesenennachweis droht Kündigung

| Die Vorlage eines gefälschten Genesenennachweises anstelle eines tagesaktuellen Corona-Tests oder Impfnachweises kann eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Das hat das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin entschieden und eine Kündigungsschutzklage abgewiesen. | 

Regeln desInfektionsschutzgesetzes

Nach dem Infektionsschutzgesetz (§ 28 b Abs. 1 InfSchG in der vom 24.11.2021 bis 19.3.2022 gültigen Fassung) durften Beschäftigte Arbeitsstätten, in denen physische Kontakte untereinander oder zu Dritten nicht ausgeschlossen werden können, nur nach Vorlage eines Impfnachweises, eines Genesenennachweises oder eines tagesaktuellen Tests im Sinne der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung betreten. 

Das war geschehen

Der als Justizbeschäftigter bei einem Gericht tätige Kläger legte einen Genesenennachweis vor, obwohl bei ihm keine Corona-Erkrankung festgestellt worden war, und erhielt so Zutritt zum Gericht ohne Vorlage eines aktuellen Tests oder Impfnachweises. Nachdem festgestellt wurde, dass es sich bei dem Genesenennachweis um eine Fälschung handelte, erklärte das Land Berlin als Arbeitgeber nach Anhörung des Justizbeschäftigten die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Diese Kündigung ist nach der Entscheidung des ArbG wirksam, weil der erforderliche wichtige Grund für eine außerordentliche Kündigung vorliege. 

Justizbeschäftigter: erkennbar, dass Fälschung Konsequenzen haben würde

Der Arbeitgeber habe einen Zutritt nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 b Abs. 1 InfSchG gewähren dürfen. Den hier geregelten Nachweispflichten komme auch im Hinblick auf den angestrebten Gesundheitsschutz für alle Menschen im Gericht eine erhebliche Bedeutung zu. Deshalb sei die Verwendung eines gefälschten Genesenennachweises zur Umgehung dieser geltenden Nachweispflichten eine erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Rücksichtnahmepflichten. Eine vorherige Abmahnung dieses Sachverhalts sei nicht erforderlich. Es sei für den Kläger als Justizbeschäftigten ohne Weiteres erkennbar gewesen, dass ein solches Verhalten nicht hingenommen werde. Auch im Hinblick auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses von drei Jahren überwiege das arbeitgeberseitige Interesse an einer sofortigen Beendigung. 

Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg eingelegt werden. 

Quelle | ArbG Berlin, Urteil vom 26.4.2022, 58 Ca 12302/21, PM 12/22 vom 30.5.2022

Baurecht

BGH-Entscheidung: Gutgläubiger Erwerb eines gebrauchten Fahrzeugs

| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden: Beruft sich der Erwerber eines gebrauchten Fahrzeugs auf den gutgläubigen Erwerb von einem Nichtberechtigten, muss der bisherige Eigentümer beweisen, dass der Erwerber sich die Zulassungsbescheinigung Teil II (früher: Kraftfahrzeugbrief) nicht hat vorlegen lassen. | 

Das war geschehen

Die Klägerin, eine Gesellschaft italienischen Rechts, die Fahrzeuge in Italien vertreibt, kaufte im März 2019 unter Einschaltung eines Vermittlers ein Fahrzeug von einem Autohaus, bei dem das Fahrzeug stand. Eigentümerin des Fahrzeugs war die Beklagte, die es an das Autohaus verleast hatte und die auch im Besitz der Zulassungsbescheinigung Teil II ist. Nach Zahlung des Kaufpreises von über 30.000 Euro holte der Vermittler Anfang April 2019 das Auto bei dem Autohaus ab und verbrachte es zu der Klägerin nach Italien. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dem Vermittler eine hochwertige Fälschung der Zulassungsbescheinigung Teil II vorgelegt wurde, in der das Autohaus als Halter eingetragen war. Als die Klägerin ein weiteres Fahrzeug von dem Autohaus kaufen wollte, war es geschlossen. Gegen den Geschäftsführer wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Betrugsverdachts in über 100 Fällen eingeleitet. 

Die Entscheidung des BGH

Die Klägerin kann von der Beklagten die Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II verlangen, weil sie Eigentümerin des Fahrzeugs geworden ist. Ursprüngliche Eigentümerin des Fahrzeugs war zwar die Beklagte. Zwischen der Klägerin und dem Autohaus hat aber eine Einigung und Übergabe im Sinne stattgefunden. Weil das Fahrzeug dem Autohaus als Veräußerer nicht gehörte, konnte die Klägerin das Eigentum durch diesen Vorgang allerdings nur gutgläubig erwerben. Dass die Klägerin nicht in gutem Glauben war, muss die Beklagte beweisen. Der Gesetzgeber hat die fehlende Gutgläubigkeit im Verkehrsinteresse bewusst als Ausschließungsgrund ausgestaltet. Derjenige, der sich auf den gutgläubigen Erwerb beruft, muss die Voraussetzungen eines solchen Erwerbs beweisen, nicht aber seine Gutgläubigkeit. 

Mindesterfordernisse für gutgläubigen Erwerb eines gebrauchten Kfz

Diese Beweislastverteilung gilt auch, wenn die fehlende Gutgläubigkeit des Erwerbers – wie hier – darauf gestützt wird, bei dem Erwerb des Fahrzeugs habe die Zulassungsbescheinigung Teil II nicht vorgelegen. Zwar gehört es nach ständiger Rechtsprechung des BGH regelmäßig zu den Mindesterfordernissen für einen gutgläubigen Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs, dass sich der Erwerber die Zulassungsbescheinigung Teil II vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen. Wird dem Erwerber eine gefälschte Bescheinigung vorgelegt, treffen ihn, sofern er die Fälschung nicht erkennen musste und für ihn auch keine anderen Verdachtsmomente vorlagen, keine weiteren Nachforschungspflichten. 

Bisheriger Eigentümer muss Fehlen des guten Glaubens beweisen

Diese Rechtsprechung ist aber nicht so zu verstehen, dass die Vorlage der Zulassungsbescheinigung Teil II von demjenigen zu beweisen wäre, der sich auf den gutgläubigen Erwerb beruft. Denn für die von dem Erwerber zu beweisenden Voraussetzungen des gutgläubigen Erwerbs spielt die Vorlage der Bescheinigung keine Rolle. Sie hat rechtliche Bedeutung nur im Zusammenhang mit dem guten Glauben des Erwerbers; dessen Fehlen muss der gesetzlichen Regelung zufolge der bisherige Eigentümer beweisen. 

Erwerber muss aber darlegen, dass er die Papiere überprüft hat

Allerdings trifft den Erwerber, der sich auf den gutgläubigen Erwerb beruft, regelmäßig eine sog. sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Vorlage und Prüfung der Zulassungsbescheinigung Teil II. Er muss also seinerseits vortragen, wann, wo und durch wen ihm die Bescheinigung vorgelegt worden ist und dass er sie überprüft hat. Dann muss der bisherige Eigentümer beweisen, dass diese Angaben nicht zutreffen. 

Quelle | BGH, Urteil vom 23.9.2022, V ZR 148/21, PM 138/2022

Gesellschafter und Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften: Offenlegung der Jahresabschlüsse 2021: Kein Ordnungsgeldverfahren vor 11.4.2023

| Die Offenlegungsfrist für den Jahresabschluss für 2021 endet bereits am 31.12.2022. Das Bundesamt für Justiz (BfJ) hat nun aber mitgeteilt, dass es vor dem 11.4.2023 kein Ordnungsgeldverfahren einleiten wird. Damit sollen angesichts der anhaltenden Nachwirkungen der Corona-Pandemie die Belange der Beteiligten angemessen berücksichtigt werden. | 

Unternehmensregister wird Bundesanzeiger ablösen

Offenlegungspflichtige Gesellschaften (insbesondere AG, GmbH und GmbH & Co. KG) müssen ihre Jahresabschlüsse spätestens zwölf Monate nach Ablauf des Geschäftsjahrs beim Bundesanzeiger elektronisch einreichen. Jahresabschlüsse sowie weitere Rechnungslegungsunterlagen und Unternehmensberichte sind letztmals für das vor dem 1.1.2022 beginnende Geschäftsjahr beim Bundesanzeiger einzureichen. Nachfolgende Geschäftsjahre sind zur Offenlegung an das Unternehmensregister zu übermitteln. Weitere Informationen hierzu finden Sie unter www.publikations-plattform.de. 

Ordnungsgeld droht

Bei nicht rechtzeitiger oder nicht vollständiger Offenlegung leitet das BfJ ein Ordnungsgeldverfahren ein. Das Unternehmen wird aufgefordert, innerhalb einer sechswöchigen Nachfrist den Offenlegungspflichten nachzukommen. Gleichzeitig wird ein Ordnungsgeld angedroht. 

Beachten Sie | Kleinstkapitalgesellschaften müssen nur ihre Bilanz einreichen (keinen Anhang und keine Gewinn- und Verlustrechnung). Zudem haben sie ein Wahlrecht: Offenlegung oder dauerhafte Hinterlegung. Hinterlegte Bilanzen sind nicht unmittelbar zugänglich; auf Antrag werden sie kostenpflichtig an Dritte übermittelt. 

Quelle | Mitteilung des BfJ unter www.iww.de/s7329

Corona-Pandemie: Kein Schadenersatz wegen Absage einer Messe

| Einer Ausstellerin stehen keine Schadenersatzansprüche wegen der im Februar 2020 erfolgten Verschiebung einer für den 8.3. bis 13.3.2020 geplanten Messe auf den Herbst 2020 sowie der vollständigen Absage dieser Messe am 5.5.2020 zu. Beide Entscheidungen waren im Hinblick auf das sich rasant und nicht prognostizierbar entwickelnde Pandemiegeschehen, der Verantwortung für die Gesundheit der Messeteilnehmer und der erheblichen wirtschaftlichen Interessen rechtmäßig, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. | 

Das war geschehen

Die Klägerin hatte mit der beklagten Messeveranstalterin einen Vertrag über die Teilnahme an der vom 8.3. bis 13.3.2020 geplanten Messe „Light + Building 2020“ geschlossen. Am 24.2.2020 hatte die Beklagte die Messe im Hinblick auf die Verbreitung des Corona-Virus zunächst auf September 2020 verschoben und letztlich am 5.5.2020 ganz abgesagt. Die bereits entrichteten Standgebühren zahlte sie der Klägerin zurück. Diese begehrt nun u. a. Schadenersatz in Höhe von knapp 75.000 Euro und verweist auf bereits vorgenommene Hotelreservierungen, PR-Maßnahmen, Miete des Messestands und statische Berechnungen. Das Landgericht (LG) hatte die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der Klägerin stehe kein Schadenersatzanspruch zu, bestätigte das OLG. 

Festhalten am Vertrag nicht zumutbar

Zu der zunächst vorgenommenen Verschiebung der Messe sei die Beklagte berechtigt gewesen. Ihr sei das Festhalten am ursprünglichen Vertrag nicht zumutbar gewesen. Bis zum 24.2.2020 hätten sich die Umstände, die Grundlage des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags geworden waren, so schwerwiegend geändert, dass die Parteien bei Kenntnis dieser veränderten Umstände den Vertrag nicht mehr mit dem alten Inhalt geschlossen hätten. Die „dynamische Entwicklung des Infektionsgeschehens mit dem Corona-Virus vom Jahreswechsel 2019/2020 bis zu ihrer Entscheidung am 24.2.2022, die dadurch bedingten erheblichen Unsicherheiten für die Durchführbarkeit der Veranstaltung und die Verantwortung für Gesundheit und das Leben aller an der Messe teilnehmenden (...) Personen“ hätten die Beklagte zur Verschiebung um ca. sechs Monate berechtigt. Die Entwicklung des Infektionsgeschehens sei rasant und sich stetig verschärfend verlaufen. 

Behördliches Verbot wäre wahrscheinlich gewesen

Unerheblich sei, dass am 24.2.2020 kein behördlich angeordnetes Verbot der Veranstaltung bestanden habe. Es habe vielmehr ausgereicht, dass ein behördliches Veranstaltungsverbot bei einer ex ante-Prognose hinreichend wahrscheinlich gewesen sei. Dies sei hier der Fall gewesen. Angesichts der Erklärung des Infektionsgeschehens zu einer Pandemie durch die WHO am 11.3.2020, des am 12.3.2020 erfolgten Verbots von Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Personen (wie hier) und des am 14.3.2020 verhängten vollständigen Verbots von Veranstaltungen wäre es allein vom Zufall abhängig gewesen, ob die Messe gerade noch hätte stattfinden können oder nicht. Die Beklagte habe auch in besonderer Weise die Gesundheit der Messeteilnehmer und die Verhinderung der Infektion einer unübersehbaren Zahl an Personen berücksichtigen dürfen. 

Keine Ausnahmegenehmigung möglich

Die endgültige Absage der Messe am 5.5.2020 sei ebenfalls rechtmäßig erfolgt. Nach der damals gültigen Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung hätte die Messe nur mit einer Ausnahmegenehmigung durchgeführt werden können. Diese wäre wohl nicht zu erlangen gewesen. Jedenfalls habe die Lage am 5.5.2020 wegen Störung der Geschäftsgrundlage die Beklagte zu der völligen Beseitigung des Vertragsverhältnisses berechtigt. Am 5.5.2020 sei die Durchführung von Messen bis zum 31.8.2020 verboten gewesen. 

Keine Prognose zu Ausweichtermin möglich, Absage war rechtmäßig

„Die Prognose, ob die Durchführung der Messe zu dem geplanten Ausweichtermin möglich sein würde und wenn ja, in welchem Umfang, (war) für die Beklagte angesichts der sich ständig überschlagenden und beinahe täglich erfolgenden Neueinschätzungen durch die verantwortlichen Politiker, das RKI und die Wissenschaft kaum zu treffen“, begründete das OLG weiter. Angesichts der wirtschaftlichen Interessen einer Vielzahl von Ausstellern und des Umstands, dass die drohenden Schäden mit der Kurzfristigkeit einer Absage immer größer würden, habe die Beklagte die alle zwei Jahre stattfindende Messe absagen dürfen. 

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann die Klägerin die Zulassung der Revision beim BGH begehren. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 7.9.2022, 4 U331/21, PM 73/22

BFH-Entscheidung: Umsatzsteuerpflicht bei 3.000 eBay-Verkäufen

| Veräußert ein Verkäufer auf jährlich mehreren hundert Auktionen Waren über die Internetplattform „eBay“, liegt eine nachhaltige und damit umsatzsteuerrechtlich unternehmerische Tätigkeit vor. Dies hat aktuell der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. | 

Ob die Umsätze eines „privaten“ eBay-Verkäufers der Umsatzsteuer unterliegen, ist mitunter schwierig zu beurteilen und hängt vom Gesamtbild der Verhältnisse ab. Im Streitfall erwarb die Steuerpflichtige bei Haushaltsauflösungen Gegenstände und verkaufte diese über einen Zeitraum von fünf Jahren in ca. 3.000 ebay-Versteigerungen und erzielte Einnahmen von ca. 380.000 Euro. Dies beurteilte der BFH als nachhaltige Tätigkeit im Sinne des Umsatzsteuergesetzes (hier: § 2 Abs. 1 UStG). 

Der BFH hat den Streitfall aber an die Vorinstanz zurückverwiesen. Diese muss nun (bisher fehlende) Feststellungen zur Differenzbesteuerung (nach § 25 a UStG) nachholen.  

Unter gewissen Voraussetzungen können Unternehmer die Differenzbesteuerung anwenden. Diese betrifft typischerweise Waren, die ein Wiederverkäufer von Nicht- oder Kleinunternehmern und damit ohne Umsatzsteuerausweis erworben hat. Die Umsatzbesteuerung ist hier auf die Marge, d. h., auf die Differenz zwischen dem Ein- und Verkaufspreis, beschränkt. 

Interessant an der Entscheidung des BFH ist vor allem, dass die Aufzeichnungspflichten (gemäß § 25 a Abs. 6 S. 1 UStG – insbesondere über Verkaufs- und Einkaufspreise) nicht zu den materiellen Voraussetzungen der Differenzbesteuerung gehören. Ein Verstoß gegen die Aufzeichnungspflichten führt deshalb nicht grundsätzlich zur Versagung der Differenzbesteuerung. Es ist dann vielmehr – ggf. zulasten des Wiederverkäufers – zu schätzen. 

Quelle | BFH, Urteil vom 12.5.2022, V R 19/20, PM Nr. 54/22 vom 10.11.2022

Werbungskosten: Entfernungspauschale: Ein Taxi ist kein öffentliches Verkehrsmittel

| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat aktuell entschieden, dass ein Arbeitnehmer für seine Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte (zumeist dessen üblicher Arbeitsplatz) auch bei Nutzung eines Taxis lediglich Aufwendungen in Höhe der Entfernungspauschale als Werbungskosten absetzen kann. | 

Aufwendungen eines Arbeitnehmers für Wege zwischen seiner Wohnung und seiner ersten Tätigkeitsstätte sind grundsätzlich pauschal in Höhe von 0,30 Euro für jeden Entfernungskilometer (ab dem 21. Kilometer: 0,38 Euro) anzusetzen – und zwar unabhängig davon, welches Verkehrsmittel genutzt wird. 

Beachten Sie | Eine Ausnahme gilt nach dem Einkommensteuergesetz (§ 9 Abs. 2 S. 2 EStG) jedoch bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln. Aufwendungen hierfür können angesetzt werden, soweit sie den im Kalenderjahr insgesamt als Entfernungspauschale abziehbaren Betrag übersteigen. 

Der BFH stellt bei seiner Entscheidung darauf ab, dass der Gesetzgeber bei Einführung der Ausnahmeregelung eine Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln im Linienverkehr (insbesondere Bus und Bahn) und damit ein enges Verständnis des Begriffs des öffentlichen Verkehrsmittels vor Augen hatte. Ein im Gelegenheitsverkehr genutztes Taxi zählt nach Meinung des BFH nicht zu den „öffentlichen Verkehrsmitteln“ im Sinne des Einkommensteuergesetzes, sodass die Ausnahmeregelung hier nicht greift. 

Quelle | BFH, Urteil vom 9.6.2022, VI R 26/20, PM Nr. 50/22 vom 3.11.2022

Inflationsausgleichsgesetz: Das ändert sich zum Jahreswechsel

| Der Bundesrat hat dem Inflationsausgleichsgesetz am 25.11.2022 zugestimmt. Angesichts der hohen Inflation wurden insbesondere das Kindergeld (für das erste, zweite und dritte Kind) und der Grundfreibetrag noch weiter angehoben, als ursprünglich geplant. | 

Grundfreibetrag und Unterhaltshöchstbetrag

Der steuerliche Grundfreibetrag, bis zu dessen Höhe keine Einkommensteuer gezahlt werden muss, steigt zum 1.1.2023 von derzeit 10.347 Euro auf 10.908 Euro. Für das Jahr 2024 erfolgt dann eine Anhebung auf 11.604 Euro. 

Beachten Sie | Der Unterhaltshöchstbetrag entspricht seit dem Jahr 2022 dem Grundfreibetrag. Dies bedeutet für 2022 eine nachträgliche Erhöhung von 9.984 Euro auf 10.347 Euro. 

Kalte Progression

Durch folgende Anpassungen sollen höhere Einkommen – trotz steigender Inflation – auch tatsächlich bei den Bürgern ankommen. Der Effekt der kalten Progression soll ausgeglichen werden. 

Die Tarifeckwerte wurden entsprechend der erwarteten Inflation nach rechts verschoben. Das bedeutet: Der Spitzensteuersatz „greift“ 2023 bei 62.810 Euro, statt bisher bei 58.597 Euro. 2024 wird er dann ab 66.761 Euro beginnen. 

Sehr hohe Einkommen (Reichensteuersatz) ab 277.826 Euro werden von der Anpassung indes ausgenommen. 

Familien und Solidaritätszuschlag

Die Kinderfreibeträge wurden schrittweise von 2022 bis 2024 erhöht (1.1.2022: 8.548 Euro; 1.1.2023: 8.952 Euro; 1.1.2024: 9.312 Euro). 

Beachten Sie | Das Kindergeld wird ab 2023 um monatlich 31 Euro für das erste und zweite Kind erhöht; für das dritte Kind erfolgt eine Erhöhung um 25 Euro. Damit beträgt das Kindergeld dann einheitlich 250 Euro im Monat. Da für das vierte und jedes weitere Kind keine Erhöhung erfolgen wird, bleibt es hier bei 250 Euro. 

Beachten Sie | Um „ein Hineinwachsen“ in den Solidaritätszuschlag zu verhindern, wurde die Freigrenze ab 2023 und 2024 angehoben. Es sollen weiterhin ca. 90 % der Steuerzahler vollständig vom Solidaritätszuschlag entlastet sein. 

Quelle | Inflationsausgleichsgesetz, BR-Drs. 576/22 (B) vom 25.11.2022; Die Bundesregierung: „Inflationsausgleich für 48 Millionen Menschen“ vom 10.11.2022

Jahressteuergesetz 2022: Homeoffice-Pauschale bleibt

| Der Bundestag hat das Jahressteuergesetz (JStG) 2022 am 2.12.2022 verabschiedet. Stimmt auch der Bundesrat in seiner Sitzung am 16.12.2022 zu, werden sowohl bei der Einkommen-, Umsatz- als auch Erbschaft-/Schenkungsteuer zahlreiche Änderungen zu berücksichtigen sein. Im Folgenden werden die Regelungen in Bezug auf die Einkommensteuer – hier die Tätigkeiten in der häuslichen Wohnung – vorgestellt. | 

Tätigkeiten im Arbeitszimmer und in der häuslichen Wohnung

Bislang sind Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer (z. B. Miete und Strom) wie folgt abzugsfähig: Bis zu 1.250 Euro jährlich, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht und ohne Höchstgrenze, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet. 

Homeoffice-Pauschale

Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt (z. B., weil die Tätigkeit im Wohnzimmer ausgeübt wird) oder verzichtet der Steuerpflichtige auf einen Abzug der Aufwendungen, kann ein Abzug für die betrieblich oder beruflich veranlassten Aufwendungen in pauschaler Form erfolgen. Diese im Zuge der Corona-Pandemie eingeführte Homeoffice-Pauschale beträgt derzeit 5 Euro für jeden Kalendertag, an dem der Steuerpflichtige seine gesamte Tätigkeit ausschließlich in der häuslichen Wohnung ausübt; maximal aber 600 Euro im Kalenderjahr. 

Der Abzug soll ab 2023 neu geregelt werden. Soweit der Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung im häuslichen Arbeitszimmer liegt, sollen (abweichend vom Regierungsentwurf) die Aufwendungen auch dann abziehbar sein, wenn für die Betätigung ein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Für Mittelpunktfälle sollen die Aufwendungen damit (wie bisher) in voller Höhe abziehbar bleiben. Anstelle des Abzugs der tatsächlichen Aufwendungen soll aber ein pauschaler Abzug in Höhe von 1.260 Euro möglich sein. Bei dieser Jahrespauschale (Kürzung um 1/12 für jeden vollen Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen nicht vorliegen) handelt es sich um einen personenbezogenen Betrag, weil er sich am Höchstbetrag der Tagespauschale (ab 2023: Erhöhung von 5 Euro auf 6 Euro) orientiert und Steuerpflichtige mit einem häuslichen Arbeitszimmer nicht schlechter gestellt sein sollen als solche, die nur die Tagespauschale abziehen können. 

Liegt der Mittelpunkt der Betätigung nicht im häuslichen Arbeitszimmer, steht den Steuerpflichtigen aber kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung, sollen sie die Tagespauschale abziehen können. Nach der Gesetzesbegründung muss somit künftig nur noch im „Mittelpunktfall“ der Typusbegriff des häuslichen Arbeitszimmers erfüllt sein. Liegen die Voraussetzungen für den Abzug der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht im gesamten Kalenderjahr vor und wird die Jahrespauschale gekürzt, kann für diesen Kürzungszeitraum die Tagespauschale zu gewähren sein. Die Tagespauschale in Höhe von 6 EUR soll auf einen jährlichen Höchstbetrag von 1.260 Euro gedeckelt werden (also maximal 210 Tage im Jahr). 

Beachten Sie | Der Abzug der Tagespauschale ist neben dem Abzug von Fahrtkosten für die Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte oder regelmäßiger Arbeitsstätte nur zulässig, wenn für die Betätigung dauerhaft kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Ein Abzug ist zulässig, wenn zusätzlich zu einer Auswärtstätigkeit die überwiegende Arbeitszeit in der häuslichen Wohnung verrichtet wird. 

Quelle | Jahressteuergesetz 2022 in der Fassung vom 30.11.2022, BT-Drs. 20/4729; Verabschiedung Bundestag am 2.12.2022

Hilfsbereitschaft: Gerissenes Abschleppseil: Wer gezogen wird, haftet

| Bei einem privaten Abschleppvorgang aus Hilfsbereitschaft riss die Abschleppöse beim gezogenen Fahrzeug ab. Infolge der Spannung schleuderte das Seil nach vorn und beschädigt das ziehende Fahrzeug. Wer muss in einem solchen Fall den Schaden begleichen? Das hat jetzt das Amtsgericht (AG) Regensburg entschieden. | 

Im Rechtsstreit ließ sich auch unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen nicht mehr klären, warum die Abschleppverbindung gerissen ist. Ein Fehler des einen oder des anderen Fahrers hatte weder eine Partei vorgetragen noch nachgewiesen. 

Das AG sah keine Haftungsbeschränkung auf grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz. Die Risiken eines solchen Vorgangs seien viel zu groß, als dass man von einem bloßen Gefälligkeitsverhältnis ausgehen könne. Weil beide Fahrer angaben, der Abschleppvorgang sei normal verlaufen, es sei insbesondere nicht zu heftig angefahren worden, ordnete das Gericht den Schadeneintritt für den Ziehenden als ein unabwendbares Ereignis ein. So blieb nur die Betriebsgefahr des geschleppten Fahrzeugs. Das überraschende Ergebnis: 100 Prozent Haftung zulasten des gezogenen Fahrzeugs. 

Quelle | AG Regensburg, Urteil vom 21.7.2022, 9 C 56/22

Immobiliar-Verbraucherdarlehen: (Kein) Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung

| Ein häufiger Streitpunkt, der die Gerichte beschäftigt, ist die von Banken geforderte Vorfälligkeitsentschädigung. Die Durchsetzung des Anspruchs auf Vorfälligkeitsentschädigung seitens der darlehensgebenden Bank setzt auch beim Immobiliar-Verbraucherdarlehensvertrag nicht voraus, dass die für die genaue Berechnung zugrunde zu legenden Größen bereits im Darlehensvertrag präzise definiert sind. Vielmehr genügt es, die wesentlichen Parameter in groben Zügen zu nennen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken. | 

Der Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung ist nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB) ausgeschlossen, wenn im Vertrag die Angaben über die Laufzeit des Vertrags, das Kündigungsrecht des Darlehensnehmers oder die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung unzureichend sind. Welche Angaben zur Berechnung erforderlich sind, ist allerdings weder gesetzlich noch abschließend in der Rechtsprechung geklärt. 

Das OLG hat daher klargestellt: Einer Differenzierung zwischen „Zinsbindungsfrist“ und „rechtlich geschützter Zinserwartung“ bedarf es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. 

Beachten Sie | Das in diesem Verfahren beklagte Kreditinstitut hatte die finanzmathematischen Rahmenbedingungen zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung skizziert und nach Ansicht des OLG sämtliche wesentlichen Parameter dargestellt, die nach allen ernsthaft vertretenen Ansichten gefordert werden. 

Diese sind:

  • der geschuldete Kreditbetrag und die Restlaufzeit bis zum Ende der Zinsbindung,  
  • die Differenz zwischen Darlehenszinssatz und der erzielten Wiederanlagerendite aus den zurückgeflossenen Darlehensmitteln,  
  • die schadensmindernd zu berücksichtigenden ersparten Verwaltungsaufwendungen und die eingesparte Risikomarge sowie  
  • die Abzinsung des auf dieser Grundlage ermittelten Schadens.

Quelle | OLG Stuttgart, Urteil vom 18.5.2022, 9 U 237/21

BGH-Entscheidung: Zulässigkeit einer negativen Bewertung bei eBay

| Bewertungen im Internet haben eine hohe Relevanz: Ob Kaufabsichten, Reisebuchungen oder Arztbesuche – nahezu alles wird anhand von Erfahrungsberichten und Bewertungen „abgecheckt“. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun über die Frage entschieden, unter welchen Voraussetzungen der Verkäufer, der ein Produkt über die Internetplattform eBay verkauft, einen Anspruch gegen den Käufer auf Entfernung einer abgegebenen negativen Bewertung hat. | 

Das war geschehen

Der Beklagte erwarb von der Klägerin über die Internetplattform eBay vier Gelenkbolzenschellen für 19,26 Euro brutto. Davon entfielen 4,90 Euro auf die dem Beklagten in Rechnung gestellten Versandkosten. Der Verkauf erfolgte auf der Grundlage der zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von eBay, denen die Parteien vor dem Geschäft zugestimmt hatten. Dort heißt es auszugsweise unter „§ 8 Bewertungen“, dass der Nutzer verpflichtet ist, in den abgegebenen Bewertungen ausschließlich wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Die von Nutzern abgegebenen Bewertungen müssen sachlich gehalten sein und dürfen keine Schmähkritik enthalten. Nach Erhalt der Ware bewertete der Beklagte das Geschäft in dem von eBay zur Verfügung gestellten Bewertungsprofil der Klägerin mit dem Eintrag „Ware gut,Versandkosten Wucher!!“. 

Bundesgerichtshof: Bewertung muss nicht entfernt werden

Der BGH hat nun entschieden, dass der Klägerin ein Anspruch auf Entfernung der Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ nicht zusteht, auch nicht unter dem vom Berufungsgericht herangezogenen Gesichtspunkt einer (nach-)vertraglichen Nebenpflichtverletzung. Anders, als das Berufungsgericht es gesehen hat, enthält der o. g. § 8 der eBay-AGB über die bei Werturteilen ohnehin allgemein geltende (deliktsrechtliche) Grenze der Schmähkritik hinaus keine strengeren vertraglichen Beschränkungen für die Zulässigkeit von Werturteilen in Bewertungskommentaren. 

Klausel ist nicht eindeutig: Was bedeutet „sachlich“?

Zwar ist der Wortlaut der Klausel nicht eindeutig. Für das Verständnis, dem dort enthaltenen Sachlichkeitsgebot solle gegenüber dem Verbot der Schmähkritik ein eigenständiges Gewicht nicht zukommen, spricht aber bereits der Umstand, dass hier genaue Definitionen zu dem unbestimmten Rechtsbegriff „sachlich“ in den AGB fehlen. Es liegt in diesem Fall im wohlverstandenen Interesse aller Beteiligten, die Zulässigkeit von grundrechtsrelevanten Bewertungen eines getätigten Geschäfts an den gefestigten Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Schmähkritik auszurichten und hierdurch die Anforderungen an die Zulässigkeit von Bewertungskommentaren für die Nutzer und eBay selbst möglichst greifbar und verlässlich zu konturieren. 

Zudem hätte es der gesonderten Erwähnung der Schmähkritikgrenze nicht bedurft, wenn dem Nutzer schon durch die Vorgabe, Bewertungen sachlich zu halten, eine deutlich schärfere Einschränkung hätte auferlegt werden sollen. Außerdem würde man der grundrechtlich verbürgten Meinungsfreiheit des Bewertenden von vornherein ein geringeres Gewicht beimessen als den Grundrechten des Verkäufers, wenn man eine Meinungsäußerung eines Käufers regelmäßig bereits dann als unzulässig einstufe, wenn sie herabsetzend formuliert ist und/oder nicht (vollständig oder überwiegend) auf sachlichen Erwägungen beruht. Eine solche, die grundrechtlichen Wertungen nicht hinreichend berücksichtigende Auslegung entspricht nicht dem an den Interessen der typischerweise beteiligten Verkehrskreise ausgerichteten Verständnis redlicher und verständiger Vertragsparteien. 

Grenze zur Schmähkritik war nicht überschritten

Die Grenze zur Schmähkritik ist durch die Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ nicht überschritten. Wegen seiner das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Wirkung ist der Begriff der Schmähkritik nach der Rechtsprechung des BGH eng auszulegen. Auch eine überzogene, ungerechte oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht, der jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll. 

Kritik in scharfer Form, aber keine Diffamierung

Daran fehlt es hier. Bei der Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ steht eine Diffamierung der Klägerin nicht im Vordergrund. Denn der Beklagte setzt sich – wenn auch in scharfer und möglicherweise überzogener Form – kritisch mit einem Teilbereich der gewerblichen Leistung der Klägerin auseinander, indem er die Höhe der Versandkosten beanstandet. Die Zulässigkeit eines Werturteils hängt nicht davon ab, ob es mit einer Begründung versehen ist. 

Quelle | BGH, Urteil vom 28.9.2022, VIII ZR 319/20, PM 141/22

Fluggastrechte: Trotz Insolvenz Beförderung aus Kulanz: Keine Ansprüche mehr

| Nach einer Insolvenz kulanzweise durchgeführte Beförderungen von Passagieren, die ihre Tickets vor der Insolvenz bezahlt haben, sind als „kostenlos“ im Sinne der EU-Fluggastrechte-VO zu werten. Fluggäste, die kostenlos reisen, haben keine Ansprüche nach der EU-Fluggastrechte-VO. Der bezahlte Flugpreis steht der Wertung als kostenlos nicht entgegen; er wandelt sich nach Insolvenzeröffnung in eine Insolvenzforderung. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat jetzt die landgerichtliche Entscheidung im Ergebnis bestätigt und Ausgleichsansprüche des Klägers abgelehnt. | 

Das war geschehen

Der Kläger buchte bei der Beklagten im April 2019 eine Flugreise von Frankfurt auf die Seychellen. Der Hinflug sollte am 3.1.2020 und der Rückflug am 4.4.2020 erfolgen. Im Dezember 2019 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet. Die Beklagte entschloss sich, aus Kulanz und, um ihren guten Ruf zu wahren, Passagiere mit vor der Insolvenzantragstellung bezahlten Tickets dennoch zu befördern. Der Hinflug wurde aufgrund eines technischen Defekts am Flugzeug um einen Tag verspätet durchgeführt. Den Rückflug buchte die Beklagte wegen der Corona-Pandemie mehrfach um. Vor dem letztlich für den 8.10.2020 in Aussicht gestellten Rückflug der Beklagten organisierte sich der Kläger am 1.8.2020 eine alternative Beförderung. Er begehrte nun Erstattung der Hotelkosten in Höhe von 4.000 Euro für die Zeit vom 4.4. bis 1.8.2020, hälftige Erstattung des Rückflugs und Entschädigung wegen des verzögerten Hinflugs. Das Landgericht (LG) hatte die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. 

Beförderungsanspruch wurde zu Insolvenzforderung

Der Kläger könne keinen Entschädigungsanspruch hinsichtlich des verzögerten Hinflugs und des mehrfach verschobenen Rückflugs nach der EU-Fluggastverordnung geltend machen. Wegen der Insolvenz der Beklagten sei der ursprüngliche Beförderungsanspruch zu einer Insolvenzforderung geworden; es habe nach der Insolvenzeröffnung daher kein durchsetzbarer Anspruch mehr auf Durchführung des Flugs bestanden. Die aus Kulanz gewährte Beförderung sei damit als „kostenlos“ im Sinne der Fluggastrechte-VO einzustufen. Fluggäste, die kostenlos reisten, seien von der Verordnung ausgenommen. Sie könnten keine Ausgleichsansprüche geltend machen. Ausgleichsansprüche, die keinen Vermögensschaden voraussetzten, sondern dem Ausgleich von „Ärgernissen und Unannehmlichkeiten“ dienten, bestünden nur im Fall der Entgeltlichkeit. 

BGH muss entscheiden

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entschiedenen Rechtsfrage hat das OLG die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 20.7.2022, 13 U 280/21, PM 71/22

Ortsübliche Vergleichsmiete: Keine separate Dusche, aber dennoch Duschmöglichkeit

| Das Fehlen einer separaten Dusche kann nicht mit einer fehlenden Duschmöglichkeit gleichgesetzt werden. So hat es das Amtsgericht (AG) Berlin-Mitte entschieden. | 

Es gab Streit um eine Mieterhöhung auf die ortsübliche Vergleichsmiete auf der Grundlage des Berliner Mietspiegels 2019. Im Badezimmer der Wohnung gab es eine Badewanne, in der eine Haltestange und ein Brausekopf montiert waren. Der Mieter behauptete, das Badezimmer verfüge über keine Duschmöglichkeit und widersprach der Mieterhöhung. Der Vermieter erhob Klage. 

Das AG gab ihm Recht. Durch das Fehlen einer separaten Dusche ist das wohnwertmindernde Merkmal „keine Duschmöglichkeit“ nicht erfüllt. Der Mieter mache zwar geltend, ohne Duschwand oder eine sonstige vergleichbare Ausstattung nur die Möglichkeit zu haben, im Sitzen zu duschen. Allerdings könne das Duschen in der Badewanne, auch wenn im Sitzen, nicht mit dem Fehlen einer Duschmöglichkeit gleichgesetzt werden. Denn die Badewanne sei mit einer Haltestange und einem Brausekopf ausgestattet. Das Duschen sei in dieser Form möglich. 

Quelle | AG Berlin-Mitte, Urteil vom 10.2.2022, 21 C 280/20

Testament: Hypothetischer Wille eines dementen Erblassers zugunsten eines früheren Lebenspartners

| Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg hat die Frage entschieden, ob der in einem Testament manifestierte Wille des Erblassers auch für den Fall gelten sollte, dass sich sein Lebensgefährte noch während seiner Demenzerkrankung einem anderen Lebenspartner zuwendet. | 

Der Antragsteller ist der ehemalige Lebensgefährte des Erblassers. Aus dessen mittlerweile geschiedenen früheren Ehe ist eine Tochter hervorgegangen. Der Erblasser hat den Antragsteller und seine Tochter mit Testament vom 5.6.2005 zu Erben eingesetzt. Am 17.10.2016 wurde der Erblasser aufgrund weit fortgeschrittener Demenz in eine Klinik eingeliefert und ab dem 15.11.2016 stationär in einer Pflegeeinrichtung betreut. Am 15.8.2020 heiratete der Antragsteller einen neuen Lebenspartner. Im Jahr 2021 verstarb der Erblasser. 

Die Tochter hat die am 5.6.2005 errichtete letztwillige Verfügung des Erblassers aufgrund eines Motivirrtums angefochten, soweit dort der Antragsteller zum Erben bestimmt ist. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass der Erblasser bei Kenntnis der Tatsache, dass der Antragsteller sich einem neuen Lebensgefährten zuwendet und diesen auch heiratet, sein Testament geändert hätte. Das Amtsgericht (AG) hingegen hat mit angefochtenem Beschluss die für die Erteilung des beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen zugunsten des Antragstellers als festgestellt angesehen. Dem ist das OLG gefolgt. 

Eine Verfügung von Todes wegen, durch die der Erblasser (u. a.) seinen Lebenspartner bedacht hat, sei zwar unwirksam, wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht. Eine Ausnahme gelte aber, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser die Verfügung auch für einen solchen Fall getroffen hätte. Dabei kommt es auf den hypothetischen Willen des Erblassers zur Zeit der Errichtung der Verfügung von Todes wegen an. Nach ausführlicher Würdigung der besonderen Umstände kam das OLG zu dem Schluss, dass vorliegend von einer derartigen Ausnahme auszugehen und die Verfügung noch wirksam sei. 

Quelle | OLG Oldenburg, Beschluss vom 26.9.2022, 3 W 55/22

Nichterfüllung vertraglicher Pflichten: Bau einer Moschee zu langsam: Stadt erhält Grundstück

| Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat einen beklagten muslimischen Verein für Kultur, Bildung und Integration u. a. zur Rückübertragung des Erbbaurechts eines mit einer Moschee bebauten Grundstücks verpflichtet und dessen Begehren auf Übertragung des Eigentums an diesem Grundstück abgewiesen. | 

Das war geschehen

Die Stadt Leinfelden-Echterdingen und der Verein hatten 2014 einen Erbbaurechtsvertrag geschlossen, nach dem die Stadt als Grundstückseigentümerin u. a. eine Rückübertragung des Erbbaurechts bei einer Nichterfüllung vertraglicher Pflichten verlangen kann. Über dieses sog. Heimfallrecht sowie die Ausübung eines Wiederkaufsrechts durch die Stadt streiten die Parteien, nachdem der beklagte Verein als Bauherr seinen vertraglichen Pflichten nicht nachgekommen ist: Der Verein hatte in einem 1. Bauabschnitt die Moschee und ein Kulturhaus nicht fristgerecht bis zum 31.10.2018 – und auch noch nicht bis zum Sommer 2022 – fertiggestellt. Dennoch hatte der Beklagte den vereinbarten Kaufpreis für das Moscheegrundstück in Höhe von über 800.00 Euro bereits 2018 an die Stadt bezahlt. Er wurde aber noch nicht als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Die Stadt übte daraufhin ihr Wiederkaufsrecht aus und beanspruchte auch den Heimfall des Erbbaurechts. 

Landgericht gab der Stadt Recht

In erster Instanz verurteilte das Landgericht (LG) Stuttgart den beklagten Verein auf Übertragung des Erbbaurechts und wies demgegenüber den Anspruch des Vereins auf Übertragung des Eigentums an dem Moscheegrundstück zurück. 

Beide Parteien: Berufung eingelegt

Mit ihren jeweiligen Berufungen machten die Parteien weitergehende Ansprüche geltend. Die Stadt beansprucht Erbbauzinszahlungen sowie einen Nachweis der Versicherung des Moscheebauwerks. Der Verein will nach wie vor die Auflassung und das Eigentum an dem Grundstück, da die Klägerin ihr Wiederkaufsrecht rechtswidrig ausgeübt habe. Dadurch sei der Kulturverein in seinen Grundrechten auf Religionsfreiheit und seinem Eigentum am Gebäude verletzt. 

Nach dem Scheitern der Vergleichsverhandlungen der Parteien hat das OLG die erstinstanzliche Entscheidung zugunsten der Stadt bestätigt und ihr Ansprüche aus dem Erbbaurechtsvertrag zugesprochen. Der Verein muss die Rückübertragung des Erbbaurechts erklären, das Moscheebauwerk bis dahin entsprechend versichern und Erbbauzinsen von über 110.000 Euro nachzahlen. Der Kaufvertrag wird rückabgewickelt und die Stadt bleibt Eigentümerin des Grundstücks. 

Oberlandesgericht: Verein hätte fristgerecht bauen müssen

Das OLG begründet dies damit, dass der Verein seiner vertraglich bindenden Zusage, die Moschee fristgerecht herzustellen, schuldhaft nicht nachgekommen sei. Durch die Kaufpreiszahlung des Vereins seien seine Verpflichtungen – wie z. B. auf Versicherungsschutz des Bauwerks – aus dem dinglichen Erbbaurechtsvertrag nicht fortgefallen, sondern wirkten fort. 

Bei dem Heimfallrecht und dem Wiederkaufsrecht handle es sich um verschiedene Rechte, die die Stadt beide – mit unterschiedlichen Folgen – ausgeübt habe. Insbesondere sei die Vereinbarung über das Wiederkaufsrecht, wenn der Verein nicht rechtzeitig den 1. Bauabschnitt fertigstelle, wirksam. Der Verein habe keinen Anspruch, genau auf dem streitgegenständlichen Grundstück seinen Mitgliedern die Religionsausübung zu ermöglichen. Vielmehr habe er die Bedingungen des Erbbaurechtsvertrags nicht eingehalten und dadurch das Heimfallrecht ausgelöst. Zugleich sei das vorgesehene Wiederkaufsrecht auch nicht unwirksam und entspreche einer angemessenen Vertragsgestaltung, da der Beklagte in diesem Fall einen wirtschaftlichen Ausgleich seiner Verwendungen erhalte. 

Weitere Gerichte müssen entscheiden

Allerdings könne der Verein erst in weiterem Rechtsstreit eine angemessene Entschädigung für die Erhöhung des Grundstückswerts durch seine Aufwendungen geltend machen, um dann an anderer Stelle eine Gebetsmöglichkeit für seine Mitglieder zu schaffen. Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) gegen dieses Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. 

Quelle | OLG Stuttgart, Urteil vom 13.9.2022, 10 U 278/21

Nachbarschaftsstreit: Überschwenken eines Baukrans

| Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat entschieden: Ein durch einen über sein Grundstück schwenkenden Kranarm beeinträchtigter Nachbar hat einen Unterlassungsanspruch. | 

Das war geschehen

Die Eigentümer zweier benachbarter Grundstücke gerieten über den Abbruch und die Neubebauung in Streit. Nach Erhalt der Baugenehmigung für zwei Doppelhäuser und vier Garagen haben die Beklagten Ende 2021 einen 18 Meter hohen Turmdrehkran mit ca. 28 Meter langem Ausleger auf der Grundstücksgrenze aufgestellt. Der Ausleger überschwenkte ohne Vorankündigung mehrfach und für längere Zeit im Frühjahr 2022 – mit und ohne Last – den Luftraum über dem klägerischen Grundstück. In einem Fall blieb der Kran mit schweren Betonfertigteilen an der Oberleitung hängen, die auch das klägerische Grundstück mit Strom versorgte. Dadurch wurde u. a. das Dachgeschoss des Hauses des Klägers erschüttert. 

Landgericht: Überschwenken erlaubt, aber ohne Lasten

Der Kläger beantragte daher, es unverzüglich zu unterlassen, sein Grundstück mit dem Kran zu überschwenken. Das Landgericht (LG) bejahte diesen Anspruch, jedoch nur im Fall eines Überschwenkens mit Lasten. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, der seinen Antrag auf Unterlassung auch eines lastenfreien Schwenkens des Kranarms beim OLG weiterverfolgte. 

Oberlandesgericht: Überschwenken in jedem Fall untersagt

Das OLG sah die Berufung als begründet an und untersagte das Schwenken des Baukrans über dem Grundstück des Klägers bei Ordnungsgeld-Androhung für jeden Fall der Zuwiderhandlung. 

Die Beklagten hätten das im Nachbarrechtsgesetz Baden-Württemberg (NRG BW) auch für das Einschwenken eines Baukrans in den nachbarlichen Luftraum vorgesehene Verfahren nicht eingehalten. Daher könnten sich die Bauherren nicht auf das sog. Hammerschlags- und Leiterrecht (nach § 7 d NRG BW) und eine entsprechende Duldungspflicht des Klägers berufen. Nach den gesetzlichen Vorgaben hätten die Bauherren das Benutzen des Nachbargrundstücks durch Überschwenken des Krans – mit oder ohne Lasten – zwei Wochen vor der Benutzung anzeigen müssen, was unstreitig nicht erfolgt war. Hätte der Kläger dem Überschwenken dann nicht zugestimmt, hätten die Beklagten erst Duldungsklage erheben müssen und auch dann nicht ihr vermeintliches Recht im Wege der Selbsthilfe durchsetzen können. 

Diese Entscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren ist rechtskräftig. Allerdings können die Beklagten noch in einem Hauptsacheverfahren gerichtlich klären lassen, ob ihnen ein Duldungsanspruch auf Überschwenken des Krans gegen den Kläger zusteht. 

Quelle | OLG Stuttgart, Urteil vom 31.8.2022, 4 U 74/22, PM vom 8.9.2022

Youtube-Video: Meinungsfreiheit überstrapaziert: Lehrer erhält fristlose Kündigung

| Das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin hat die fristlose Kündigung eines Lehrers des Landes Berlin als wirksam erachtet, der auf YouTube ein Video veröffentlicht hat, das eine Darstellung des Tores eines Konzentrationslagers mit der Inschrift „IMPFUNG MACHT FREI“ enthielt. | 

Das war geschehen

Der Lehrer hat ein YouTube-Video unter dem Titel „Sie machen Tempo! Und Ich denke…“ veröffentlicht. Am Anfang des Videos wird für etwa drei Sekunden ein Bild eingeblendet, auf dem das Tor eines Konzentrationslagers abgebildet ist. Der Originalschriftzug des Tores „ARBEIT MACHT FREI“ wurde durch den Text „IMPFUNG MACHT FREI“ ersetzt. Es folgt dann eine ebenfalls etwa drei Sekunden lange Einblendung eines Tweets des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder, der eine Ausweitung der Impfangebote ankündigt und in dem er die Aussage „Impfen ist der Weg zur Freiheit“ trifft. Die Einblendungen zu Beginn des Videos werden weder durch Text noch durch mündliche Erklärungen näher erläutert. Abrufbar war das Video unter einem Standbild der ersten Einblendung des Videos. 

Das Land Berlin hat den Lehrer u. a. wegen der Veröffentlichung dieses Videos fristlos, hilfsweise fristgemäß gekündigt. Der Lehrer setze in dem Video das staatliche Werben um eine Impfbereitschaft in der Pandemie mit der Unrechtsherrschaft und dem System der Konzentrationslager gleich. Damit verharmlose er die Unrechtstaten der Nationalsozialisten und missachte die Opfer. Der Lehrer habe seine Schüler aufgefordert, seinen außerdienstlichen Aktivitäten im Internet zu folgen und sich in anderen Videos auch als Lehrer des Landes Berlin vorgestellt. 

Der Lehrer sieht in dem Video hingegen keinen Grund für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Er habe mit dem privaten Video ausschließlich scharfe Kritik an der Äußerung des bayrischen Ministerpräsidenten üben und deutlich machen wollen, dass diese der menschen- und rechtsverachtenden Polemik des Nationalsozialismus nahe komme. Das Video sei durch das Grundrecht auf Meinungsäußerung und Kunstfreiheit gedeckt. 

So sah es das Arbeitsgericht

Das ArbG hat die Kündigungsschutzklage des Lehrers abgewiesen. Eine Auslegung des Inhalts des Videos ergebe nicht nur eine Kritik an der Äußerung des bayrischen Ministerpräsidenten, sondern auch an der allgemeinen, auch vom Land Berlin und der Schulsenatorin getragenen Impfpolitik. Dabei überschreite der Lehrer durch den Vergleich des Bildes mit dem Text „IMPFUNG MACHT FREI“ mit der Impfpolitik das Maß der zulässigen Kritik. Die Kritik des Lehrers sei nicht mehr durch die Grundrechte der Meinungsfreiheit oder Kunstfreiheit gedeckt, sondern stelle eine unzulässige Verharmlosung des Holocausts dar. Eine Weiterbeschäftigung des Lehrers sei aus diesem Grund unzumutbar. 

Quelle | ArbG Berlin, Urteil vom 12.9.2022, 22 Ca 223/22

BFH-Entscheidung: Fahrzeugwerbung: Entgelt ist oft Arbeitslohn

| Nach Meinung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist ein von einem Arbeitgeber an seine Arbeitnehmer gezahltes Entgelt für Werbung des Arbeitgebers auf dem Kennzeichenhalter des privaten Pkw des Arbeitnehmers Arbeitslohn, wenn dem abgeschlossenen „Werbemietvertrag“ kein eigenständiger wirtschaftlicher Gehalt zukommt. | 

Nicht jede Zahlung eines Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer stellt Arbeitslohn dar. Vielmehr kann ein Arbeitgeber mit seinem Arbeitnehmer neben dem Arbeitsvertrag weitere eigenständige Verträge abschließen. Kommt einem gesondert abgeschlossenen Vertrag allerdings kein eigenständiger wirtschaftlicher Gehalt zu, kann es sich insoweit um eine weitere Arbeitslohnzahlung handeln. 

Ein Arbeitgeber hatte mit einem Teil seiner Arbeitnehmer „Werbemietverträge“ geschlossen. Danach verpflichteten sich diese, mit Werbung des Arbeitgebers versehene Kennzeichenhalter an ihren privaten Pkw anzubringen. Dafür erhielten sie jährlich 255 Euro. Der Arbeitgeber behandelte das „Werbeentgelt“ als sonstige Einkünfte gemäß Einkommensteuergesetz (§ 22 Nr. 3 EStG) und behielt daher keine Lohnsteuer ein. Dies war auch für die Arbeitnehmer vorteilhaft, da solche Einkünfte unterhalb eines Betrags von 256 Euro jährlich steuerfrei sind. Das Finanzamt ging aber von einer Lohnzahlung aus und nahm den Arbeitgeber für nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer in Haftung – und zwar zu Recht, wie das FG Münster und der BFH entschieden. Die Zahlungen gehören zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, weil sie durch das Arbeitsverhältnis veranlasst sind und nicht auf einem Sonderrechtsverhältnis „Mietvertrag Werbefläche“ beruhen, da diesem kein eigener wirtschaftlicher Gehalt zukommt. 

Der BFH erachtete insbesondere die folgenden Würdigungen der Vorinstanz nicht nur als möglich, sondern als naheliegend: Dem gesondert abgeschlossenen „Mietvertrag Werbefläche“ kam unter Berücksichtigung der am Markt befindlichen Angebote schon aufgrund seiner Ausgestaltung kein eigener wirtschaftlicher Gehalt zu. Denn die Erzielung einer Werbewirkung war nicht sichergestellt und die Bemessung des Entgelts war offensichtlich an der im Einkommensteuergesetz geregelten Freigrenze orientiert. Der Werbeeffekt war nicht – wie im wirtschaftlichen Geschäftsverkehr üblich – ausschlaggebendes Kriterium für die Bemessung des Entgelts gewesen. Das FG berücksichtigte, dass Verträge ausschließlich mit Mitarbeitern geschlossen wurden und die Laufzeit der Verträge an das Bestehen des Arbeitsverhältnisses geknüpft war. 

Quelle | BFH, Beschluss vom 21.6.2022, VI R 20/20

Kündigungsschutzklage: Private Nutzung eines Firmenwagens: Keine Kündigung ohne Abmahnung

| Vor Ausspruch einer Kündigung ist es oft erforderlich, zunächst eine Abmahnung auszusprechen. Diese geht – in vielen Fällen – der Kündigung als mildestes Mittel vor. Hierauf hat aktuell noch einmal das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern hingewiesen. | 

Der Arbeitgeber hatte in der Vergangenheit die kurzzeitige Nutzung von Firmenfahrzeugen zu privaten Zwecken nach Rücksprache mit dem Vorgesetzten gestattet. Ein Arbeitnehmer hatte dann das Fahrzeug ohne Erlaubnis genutzt, da er in diesem Moment nicht die Möglichkeit hatte, Kontakt zu seinem Vorgesetzten aufzunehmen. 

Der Arbeitgeber hatte das zum Anlass genommen, dem Arbeitnehmer zu kündigen. Dessen Kündigungsschutzklage hatte vor dem LAG Erfolg. Es machte deutlich, dass die Pflichtverletzung hier nicht so groß sei, dass sie eine umgehende Kündigung rechtfertigen würde. Es sei in diesem Fall vielmehr erforderlich gewesen, vor Ausspruch der Kündigung die Pflichtverletzung abzumahnen. 

Quelle | LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 21.6.2022, 5 Sa 245/21

Vorerkrankungen: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt nicht immer für die Entgeltfortzahlung

| Ist der Arbeitnehmer länger als sechs Wochen arbeitsunfähig, reicht die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) nicht aus, um automatisch eine Entgeltfortzahlung zu bekommen. Es darf keine Fortsetzungserkrankung vorliegen, was der Arbeitnehmer beweisen muss. Das entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen. | 

Das war geschehen

Der Kläger war in den Kalenderjahren 2019 und 2020 im erheblichen Umfang arbeitsunfähig erkrankt. Im Zeitraum August bis Dezember 2019 war er an 68 Kalendertagen und im Zeitraum Januar bis August 2020 an 42 Kalendertagen erkrankt. Am 18. August 2020 legte der Kläger eine weitere Erstbescheinigung vor und verlangte eine entsprechende Entgeltfortzahlung. Der beklagte Arbeitgeber hatte jedoch Zweifel, dass eine neue Erkrankung vorlag und verweigerte daher die Entgeltfortzahlung. Dagegen wandte der Kläger ein, er habe für den streitgegenständlichen Zeitraum Erstbescheinigungen vorgelegt, woraus zu ersehen sei, dass Vorerkrankungen nicht vorgelegen hätten. Aus Datenschutzgründen sei er zudem nicht verpflichtet, sämtliche Diagnosen offenzulegen. 

Entgeltfortzahlung nur bei „neuer“ Erkrankung

Das Gericht wies die Klage ab und begründete seine Entscheidung damit, dass die AU keine Angaben zum Bestehen einer Fortsetzungserkrankung enthält. Hintergrund ist, dass die Entgeltfortzahlung entfällt, wenn die Krankheit länger als sechs Wochen andauert. Der Arbeitnehmer hat dagegen weiterhin Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn die erneute Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Erkrankung beruht. 

Aus der Entscheidung folgen diese Grundsätze für die Praxis: Zunächst muss der Arbeitnehmer darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Hierzu kann er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen. 

Arbeitnehmer muss beweisen

Bestreitet der Arbeitgeber das Vorliegen einer neuen Krankheit, muss der Arbeitnehmer die Tatsachen darlegen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung vorgelegen. Um dieser abgestuften Darlegungslast gerecht zu werden, muss der Arbeitnehmer grundsätzlich zu allen Krankheiten im Jahreszeitraum substanziiert vortragen. Er kann nicht eine „Vorauswahl“ treffen und nur zu denjenigen Erkrankungen vortragen, die ihm als möglicherweise einschlägig erscheinen. 

Datenschutz: Gesundheitsdaten dürfen unter bestimmten Voraussetzungen verarbeitet werden

Diese Pflicht berührt zwar das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Arbeitnehmers. Sie ist aber nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) gerechtfertigt. Dort wird die Verarbeitung von Gesundheitsdaten gestattet, wenn sie zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder bei Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit erforderlich ist. 

Quelle | LAG Hessen, Urteil vom 14.2.2022, 10 Sa 898/21

Umsatzsteuer: Betrieb von Geldspielautomaten: Umsatzsteuerpflicht auch nach dem 1.7.2021

| Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten sind auch nach der zum 1.7.2021 in Kraft getretenen Gesetzesänderung für virtuelle Automatenspiele umsatzsteuerpflichtig. So lautet ein Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH). | 

Der BFH hatte bereits mehrfach entschieden, dass Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten umsatzsteuerpflichtig sind. Bis zum 30.6.2021 galt dies unabhängig davon, ob es sich um Umsätze in Spielhallen oder Online-Umsätze (sog. virtuelle Automatenspiele) handelte. 

Zum 1.7.2021 hat der Gesetzgeber die gesetzlichen Grundlagen geändert:

  • Virtuelle Automatenspiele unterliegen seither der Rennwett- und Lotteriesteuer. Sie sind deshalb nach dem Umsatzsteuergesetz (§ 4 Nr. 9 Buchst. b UStG) umsatzsteuerfrei.
    ‍
  • Umsätze in Spielhallen sind hingegen weiterhin umsatzsteuerpflichtig. Für sie fällt demgegenüber auch keine Rennwett- und Lotteriesteuer an.

Hintergrund der Änderung war u. a., dass Online-Angebote hinsichtlich ihrer Spielsucht auslösenden Aspekte anders einzustufen seien als die terrestrischen Angebote (z. B. in Spielhallen). 

Mit seinem Beschluss hat der BFH nun klargestellt, dass diese Ungleichbehandlung zulässig ist. Umsätze in Spielhallen und Online-Umsätze sind aus mehreren Gründen (unterschiedliche Ausschüttungsquoten, unterschiedliche Verfügbarkeit, potenziell größerer Kundenkreis online, unterschiedliche Spielsuchtrisiken) nicht vergleichbar.  

Beachten Sie | Anders als terrestrische Umsätze werden auf elektronischem Weg erbrachte Dienstleistungen aufgrund einer Mehrwertsteuer-Sonderregelung zwingend am Ortdes Leistungsempfängers besteuert. Die Europäische Union hat diese Sonderregelung eingeführt, um sicherzustellen, dass eine Besteuerung solcher Dienstleistungen in der EU erfolgt, wenn sie in der EU verbraucht werden. Dies rechtfertigt, so der BFH, die unterschiedliche Besteuerung von terrestrischen Umsätzen und Online-Umsätzen.  

Quelle | BFH, Beschluss vom 26.9.2022, XI B 9/22 (AdV)

Steuererleichterungen: Umsatzsteuerentlastung für die Gastronomie bis Ende 2023 verlängert

| Die Absenkung der Umsatzsteuer für Speisen in der Gastronomie von 19 % auf 7 % wurde bis zum 31.12.2023 verlängert. Ausgenommen sind allerdings weiterhin Getränke, das heißt, hier gilt der reguläre Umsatzsteuersatz von 19 %. | 

Beachten Sie | Eigentlich wäre die in der Corona-Pandemie eingeführte Stützungsmaßnahme für die Gastronomie zum 31.12.2022 ausgelaufen. Nun sollen auch die Folgen der gestiegenen Energiepreise abgemildert werden. 

Quelle | Achtes Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen vom 24.10.2022, BGBl I 2022, S. 1838

Selbstständige Künstler und Publizisten: Künstlersozialabgabe steigt in 2023 auf 5,0 %

| Der Abgabesatz zur Künstlersozialversicherung wurde um 0,8 % angehoben. Somit liegt er im Jahr 2023 bei 5 %. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat zu der Anpassung Stellung genommen. | 

Der Künstlersozialabgabesatz lag seit 2018 bei 4,2 %. Dies wurde durch zusätzliche Bundesmittel in Höhe von insgesamt 117 Mio. Euro in den Jahren 2021 und 2022 gewährleistet. Wegen der großen wirtschaftlichen Schäden in der Kunst- und Kulturwirtschaft infolge der Corona-Pandemie hätte der Abgabesatz für 2023 eigentlich auf 5,9 % angehoben werden müssen. Durch weitere Bundesmittel (in Höhe von rund 58,9 Mio. Euro) wurde der Anstieg des Abgabesatzes im Jahr 2023 auf 5,0 % begrenzt. 

Über die Künstlersozialversicherung werden über 190.000 selbstständige Künstler und Publizisten als Pflichtversicherte in den Schutz der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung einbezogen. 

Die Künstler und Publizisten tragen, wie abhängig beschäftigte Arbeitnehmer, die Hälfte ihrer Sozialversicherungsbeiträge. Die andere Beitragshälfte wird finanziert durch einen Bundeszuschuss (20 %) und durch die Künstlersozialabgabe der Unternehmen (30 %), die künstlerische und publizistische Leistungen verwerten. 

Quelle | Künstlersozialabgabe-Verordnung 2023, BGBl I 2022, S. 1508; BMAS, „Künstlersozialabgabe künftig bei 5,0 Prozent“, Mitteilung vom 11.8.2022

Strafbare Handlungen: Nutzung einer Großmarkthalle darf widerrufen werden

| Ein Widerruf der Zuweisung von Büroflächen sowie Lkw-Stellplätzen einer Großmarkthalle, die von einer Kommune als öffentliche Einrichtung betrieben wird, wegen begangener Steuerstraftaten, kann rechtmäßig sein. Dies entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH). | 

Der Widerruf müsse die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in den Markthallen bezwecken. Je nach den Umständen des Einzelfalls sei dies auch der Fall, wenn der Zuwendungsnehmer strafbare Handlungen außerhalb der Markthallen und nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem dort ausgeübten Gewerbe begangen habe. Durch die hier verwirklichten Hinterziehungstaten sei die „öffentliche Sicherheit und Ordnung“ auf dem Lebensmittelmarkt erheblich beeinträchtigt worden. Der Widerruf wegen strafbarer Handlungen in einem schwerwiegenden Fall sei rechtmäßig. 

Quelle | Bayerischer VGH, Urteil vom 30.5.2022, 4 ZB 21.2660

Solo-Selbstständige: Corona-Soforthilfen nicht zurückzuzahlen

| Die Bescheide, mit denen die Bezirksregierung Düsseldorf geleistete Corona-Soforthilfen von den Empfängern teilweise zurückgefordert hat, sind rechtswidrig. Den gegen diese Schlussbescheide gerichteten Klagen dreier Zuwendungsempfänger gegen das Land Nordrhein-Westfalen hat das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf jetzt stattgegeben. | 

Als im Frühjahr 2020 kleine Unternehmen und Selbstständige durch verschiedene infektionsschutzrechtliche Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie in wirtschaftliche Notlagen gerieten, schufen Bund und Länder Programme, um kurzfristig Finanzhilfen bereitzustellen. 

Das war geschehen

Solche Soforthilfen erhielten auch die Kläger der heute entschiedenen Verfahren. Der Betreiber eines Düsseldorfer Schnellrestaurants musste ebenso wie die Betreiberin eines Kosmetikstudios aus Remscheid während des Lockdowns im Frühjahr 2020 zeitweise den Betrieb schließen. Ein Steuerberater aus Düsseldorf, der einen Großteil seiner Umsätze durch die Aus-und Fortbildung von Steuerberatern erwirtschaftet, erlitt durch den Wegfall von Präsenzvorträgen Umsatzeinbußen. Nachdem die drei Kläger zunächst aufgrund von Ende März bzw. Anfang April 2020 erlassenen Bewilligungsbescheiden der zuständigen Bezirksregierung Düsseldorf Soforthilfen in Höhe von jeweils 9.000,- Euro erhalten hatten, setzte die Behörde im Rahmen sog. Rückmeldeverfahren später die Höhe der Soforthilfe auf ca. 2.000 Euro fest und forderte etwa 7.000 Euro zurück. 

Auf die Förderpraxis während des Antragsverfahrens kommt es an

Diese Schlussbescheide sind rechtswidrig. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt: Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Schlussbescheide kam es auf die Förderpraxis des Landes während des Antragsverfahrens bis zum Erlass der Bewilligungsbescheide an. Die in den Bewilligungsbescheiden zum Ausdruck gekommene Verwaltungspraxis des Landes stimmte mit den in den Schlussbescheiden getroffenen Festsetzungen nicht überein. Während des Bewilligungsverfahrens durften die Hilfeempfänger aufgrund von Formulierungen in online vom Land bereitgestellten Hinweisen, den Antragsvordrucken und den Zuwendungsbescheiden eher davon ausgehen, dass pandemiebedingte Umsatzausfälle für den Erhalt und das Behaltendürfen der Geldleistungen ausschlaggebend sein sollten. 

Schlussbescheid: Rückforderung basierte auf abweichender Förderpraxis

Demgegenüber stellte das Land bei Erlass der Schlussbescheide auf das Vorliegen eines Liquiditätsengpasses ab, der eine Differenz zwischen den Einnahmen und Ausgaben des Geschäftsbetriebs, also einen Verlust, voraussetzte. Dies ist rechtsfehlerhaft, weil diese Handhabung von der maßgeblichen Förderpraxis abwich. Mit Blick darauf konnte auch die Richtlinie des damaligen Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes NRW vom 31.5.2020, die erstmals eine Definition des Begriffs des Liquiditätsengpasses enthielt, trotz ihres rückwirkenden Inkrafttretens bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Schlussbescheide nicht berücksichtigt werden. 

Missverständliche Formulierung im Bewilligungsbescheid

Abgesehen davon waren die ursprünglichen Bewilligungsbescheide hinsichtlich einer etwaigen Rückerstattungsverpflichtung auch missverständlich formuliert. Insbesondere konnten die Zuwendungsempfänger dem Inhalt der Bescheide nicht verlässlich entnehmen, nach welchen Parametern eine Rückzahlung zu berechnen sei. 

500 weitere Klagen

Beim VG Düsseldorf sind noch weitere ca. 500 Klageverfahren rund um den Komplex der Corona-Soforthilfen anhängig. Wie mit diesen umzugehen ist, wird die Kammer in Kürze entscheiden. In den drei hier entschiedenen Streitigkeiten, die repräsentativ für einen Großteil der weiteren Verfahren sind, hat die Kammer wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Berufung zum Oberverwaltungsgericht (OVG) für das Land Nordrhein-Westfalen zugelassen. 

Quelle | VG Düsseldorf, Urteil vom 16.8.2022, 20 K 7488/20, 20 K 217/21 und 20 K 393/22, PM vom 16.8.2022

Energiepreispauschale und Minijob: Mögliche Steuerpflicht bei der Veranlagung zur Einkommensteuer 2022

| Auch viele Minijobber haben die Energiepreispauschale (EPP) in Höhe von 300 Euro erhalten. Sofern der (originäre) Verdienst vom Arbeitgeber pauschal mit 2 % besteuert wird, musste auf die 300 Euro EPP keine pauschale Steuer abgeführt werden. Bei der Einkommensteuerveranlagung für 2022 kann es aber nach den Ausführungen des Bundesfinanzministeriums (BMF) in gewissen Konstellationen zu einer Steuerpflicht kommen. | 

Bei Arbeitnehmern, die ausschließlich pauschal besteuerten Arbeitslohn aus einer kurzfristigen oder geringfügigen Beschäftigung oder einer Aushilfstätigkeit in der Land- und Forstwirtschaft erzielen und im gesamten Jahr 2022 keine weiteren anspruchsberechtigenden Einkünfte haben, gehört die EPP nicht zu den steuerpflichtigen Einnahmen.  

Wenn neben dem pauschal besteuerten Arbeitslohn weitere anspruchsberechtigende Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb oder aus selbstständiger Arbeit erzielt werden, gehört die EPP zu den sonstigen Einkünften. 

Da die EPP bei pauschal besteuertem Arbeitslohn nach dem Einkommensteuergesetz (§ 40 a EStG) nicht steuerpflichtig ist (§ 119 Abs. 1 S. 2 EStG), wurde sie von den Arbeitgebern nicht steuerpflichtig erfasst. Handelt es sich nun aber z. B. um Steuerpflichtige, die in 2022 zudem Einkünfte aus einer gewerblichen oder selbstständigen Tätigkeit bezogen haben, wird die EPP überdie Einkommensteuerveranlagung steuerpflichtig. Es liegen sonstige Einkünfte (nach § 22 Nr. 3 EStG) vor (vgl. § 119 Abs. 2 EStG). 

Quelle | BMF: FAQs „Energiepreispauschale (EPP)“, unter VIII., Nr. 1, Stand: 22.09.2022

Entlastungen: Energiepreispauschale für Rentner und neue Höchstgrenze für Midijobs ab 2023

| Rentner erhalten Anfang Dezember 2022 eine (steuerpflichtige) Energiepreispauschale von 300 Euro. Zudem wird die Höchstgrenze für eine Beschäftigung im Übergangsbereich (bei den sogenannten Midijobs gelten verminderte Arbeitnehmer-Beiträge zur Sozialversicherung) ab 1.1.2023 von monatlich 1.600 Euro auf 2.000 Euro angehoben. |

Quelle | Gesetz zur Zahlung einer Energiepreispauschale an Renten- und Versorgungsbeziehende und zur Erweiterung des Übergangsbereichs, BR-Drs. 523/22 (B) vom 28.10.2022

Bundesfinanzhof: Erste Tätigkeitsstätte bei Leiharbeitnehmern: Steuerzahlerfreundliche Entscheidung

| Besonders bei Leiharbeitnehmern stellt sich die Frage, ob sie eine (steuerlich ungünstige) erste Tätigkeitsstätte haben – und falls ja, wo diese liegt. Eine der letzten offenen Fragen hat der Bundesfinanzhof (BFH) nun zugunsten der Leiharbeiter entschieden. |

Je nachdem, ob es sich beim Tätigkeitsort um eine Auswärtstätigkeit handelt, hat das u. a. folgende steuerliche Konsequenzen:

Erste Tätigkeitsstätte:

  • Entfernungspauschale (0,30 EUR je Entfernungskilometer zwischen der Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte; ab dem 21. Kilometer werden 0,38 EUR gewährt) 
  • grundsätzlich keine Verpflegungspauschale

Auswärtstätigkeit:

  • "Dienstreisepauschale"(0,30 EUR je gefahrenen Kilometer)  
  • grundsätzlich Verpflegungspauschale je nach Abwesenheitszeiten

Nach der Regelung im Einkommensteuergesetz (§ 9 Abs. 4 S. 1 EStG) ist erste Tätigkeitsstätte die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 Aktiengesetz) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. 

Die Zuordnung erfolgt vorrangig anhand der dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen durch den Arbeitgeber. 

Typische Fälle einer dauerhaften Zuordnung sind im EStG (hier: § 9 Abs. 4 S. 3 ) aufgeführt:

  • unbefristetes Tätigwerden,  
  • Tätigwerden für die Dauer des Dienstverhältnisses,
  • Tätigkeit über einen Zeitraum von mehr als 48 Monaten.

Fehlt eine solche dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegung auf eine Tätigkeitsstätte oder ist sie nicht eindeutig, ist erste Tätigkeitsstätte die betriebliche Einrichtung,

  • an der der Arbeitnehmer dauerhaft,  
  • typischerweise arbeitstäglich oder  
  • je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll.

Für die Frage, ob der Arbeitnehmer einer betrieblichen Einrichtung i. S. des EStG (hier: § 9 Abs. 4 Sätze 1 bis 3) dauerhaft zugeordnet ist, ist das zwischen dem Arbeitgeber (Verleiher) und dem (Leih-)Arbeitnehmer bestehende Arbeitsverhältnis maßgeblich. 

Besteht der Einsatz eines beim Verleiher unbefristet beschäftigten Leiharbeitnehmers bei dem Entleiher in wiederholten, aber befristeten Einsätzen, fehlt es an einer dauerhaften Zuordnung i. S. des EStG (hier: § 9 Abs. 4 S. 3). Und so verhielt es sich auch im aktuellen Streitfall: Der weitere Einsatz des Leiharbeitnehmers beim Verleiher war nämlich davon abhängig, dass dieser nach Ablauf der jeweiligen Frist mit dem Verleiher eine weitere (wiederum befristete) Arbeitnehmerüberlassung vereinbarte. 

Beachten Sie | Ist das Arbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer unbefristet und wird der Leiharbeitnehmer befristet für nicht mehr als 48 Monate bei einem Entleiher eingesetzt, erfolgt die Zuordnung nicht dauerhaft. Eine ungünstige erste Tätigkeitsstätte ergibt sich beim Betrieb des Entleihers nicht. 

Das gilt auch, wenn die Entleihung später (mehrfach) verlängert wird und sich dadurch (rückblickend betrachtet) ein Einsatz von mehr als 48 Monaten für den identischen Entleiher ergeben sollte. 

Quelle | BFH, Urteil vom 12.5.2022, VI R 32/20

Gesetzesvorhaben: Anstieg der Erbschaft-/Schenkungsteuer bei der Übertragung von Immobilien befürchtet

| Die Regelungen der Grundbesitzbewertung sollen an die sogenannte Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Immobilien und der für die Wertermittlung erforderlichen Daten (ImmoWertV) angepasst werden. So steht es im Entwurf für ein Jahressteuergesetz 2022. Da für die Erbschaft- und Schenkungsteuer zumindest im Einzelfall höhere Werte drohen, ist zu prüfen, ob bereits angedachte Übertragungen vorgezogen werden sollen. Denn die Änderungen sollen bereits am Tag nach der Gesetzesverkündung in Kraft treten. | 

Quelle | ImmoWertV vom 14.7.2021, BGBl I 2021, S. 2805; BT-Drs. 20/3879 vom 10.10.2022

Freiwillige Arbeitgeberleistung: Wichtige Informationen zur steuerfreien Inflationsausgleichsprämie

| Seit dem 26.10.2022 können Arbeitgeber ihren Beschäftigten einen Betrag bis zu 3.000 Euro steuer- und abgabenfrei gewähren. Im Folgenden sind einige wichtige Punkte zu der im Einkommensteuergesetz (§ 3 Nr. 11 c EStG)geregelten Inflationsausgleichsprämie aufgeführt. | 

Die Inflationsausgleichsprämie ist eine freiwillige Leistung, die in der Zeit vom 26.10.2022 bis Ende 2024 gewährt werden kann. Es handelt sich bei den 3.000 Euro um einen steuerlichen Freibetrag, der auch in mehreren Teilbeträgen ausgezahlt werden kann. 

Beachten Sie | Begünstigt sind z. B. auch Zahlungen an Minijobber. Da die Zahlung steuer- und beitragsfrei ist, wird sie nicht auf die Minijobgrenze (seit 1.10.2022: 520 Euro monatlich) angerechnet.  

Die Zahlungen müssen zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erfolgen. Nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 8 Abs. 4 EStG) werden Leistungen nur dann zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:

  • Die Leistung wird nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet.  
  • Der Anspruch auf Arbeitslohn wird nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt.
  • Die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung wird nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt.  
  • Bei Wegfall der Leistung wird der Arbeitslohn nicht erhöht.

Nach dem Gesetzeswortlaut sind „in Form von Zuschüssen und Sachbezügen gewährte Leistungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise“ begünstigt. Nach den Ausführungen der Bundesregierung genügt es, wenn der Arbeitgeber bei Gewährung der Prämie deutlich macht, dass diese im Zusammenhang mit der Preissteigerung steht – zum Beispiel durch entsprechenden Hinweis auf dem Überweisungsträger im Rahmen der Lohnabrechnung. 

Quelle | Die Bundesregierung vom 1.11.2022, Gesetz zur temporären Senkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen über das Erdgasnetz, BGBl I 2022, S. 1743

Hinterliegergrundstück: Zufahrt besteht nicht uneingeschränkt

| Der Umfang eines Geh- und Fahrrechts muss sich immer am Einzelfall orientieren und besteht unter Umständen nicht uneingeschränkt. Bei der Zufahrt zu einem Hinterliegergrundstück sind damit gewisse Beeinträchtigungen der Zufahrtsbreite hinzunehmen. Darauf hat das Pfälzische Oberlandesgericht (OLG) in einem Hinweisbeschluss aufmerksam gemacht. | 

Das war geschehen

Ein Mann erwarb ein sog. „Hinterliegergrundstück“, das keinen eigenen Zugang zu einer öffentlichen Straße besitzt. Die Zufahrt zu dem Anwesen und den dazugehörigen fünf Garagen erfolgte ausschließlich über den Hof des benachbarten Grundstücks der Beklagten. Zur Absicherung des Zufahrtsrechts war im Grundbuch des Beklagtengrundstücks ein sog. „Geh- und Fahrrecht“ zugunsten des jeweiligen Eigentümers des Hinterliegergrundstücks eingetragen. Das Hofgelände zwischen den Gebäuden war groß genug, um bequem in alle Garagen hinein- und herauszufahren. 

Dies änderte sich, als die Beklagten auf ihrem Teil des Hofgrundstücks für ihre Mieter zwei Pkw-Stellplätze entlang der Hauswand einrichteten. Waren die Stellplätze belegt, konnten die Garagennutzer nicht mehr wie gewohnt rangieren. Sie mussten gegebenenfalls rückwärts ein- oder ausfahren. Der Nachbar forderte deshalb die Beklagten auf, die Stellplätze zu entfernen und das Geh- und Fahrrecht wieder uneingeschränkt zu gewährleisten. Das in erster Instanz angerufene Landgericht (LG) wies die Klage ab, da die Garagen des Klägers weiterhin erreichbar waren und es nach Ansicht des LG keine Beeinträchtigung des Geh- und Fahrrechts gab. 

Oberlandesgericht: Im Grundbruch eingetragenes Recht nicht konkret

Auf die hiergegen gerichtete Berufung wies das OLG den Kläger in einem sog. Hinweisbeschluss darauf hin, dass es beabsichtigt, seine Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, weil sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Kläger nahm daraufhin die Berufung zurück. 

Zur Begründung führte das OLG aus: Wenn – wie hier – ein eingetragenes Geh- und Fahrrecht im Grundbuch nicht näher konkretisiert ist, können auch andere Umstände herangezogen werden, um den Umfang des Geh- und Fahrrechts festzustellen. Hierzu sind z. B. die Gegebenheiten vor Ort und der Sinn und Zweck des Fahrrechts zu berücksichtigen. Die zwischen den Grundstücken liegende Hofdurchfahrt muss nach Ansicht des OLG jedenfalls breit genug sein, um mit einem üblichen Kraftfahrzeug in einer üblichen Bogenfahrt auch die hinterste der Garagen erreichen zu können. Da nach der Straßenverkehrszulassungsordnung (§ 32 StVZO) die höchstzulässige Breite von Kraftfahrzeugen allgemein 2,55 Meter beträgt, sollte die Zufahrtsbreite mindestens drei Meter betragen. In Höhe des Bogens zu den links gelegenen Garagen sollte die Zufahrt etwas breiter sein. Hier orientierte sich das OLG an der Garagenverordnung (§ 2 Abs. 3 GarVO Rheinland-Pfalz) und hielt eine Breite von mindestens fünf Metern für angemessen. Auch diese Vorgabe war nach den vorgelegten Lichtbildern erfüllt. Das OLG verwies zudem darauf, dass das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 1020 S. 1 BGB) den Berechtigten zur schonenden Ausübung der Grunddienstbarkeit verpflichtet. 

Pkw-Stellfläche ist Ausübung des Eigentumsrechts

In diesem Sinne hat es der Kläger hinzunehmen, dass die Beklagten ihr Eigentumsrecht ausüben und einen Teil ihres Grundstücks als Pkw-Stellfläche nutzen, sofern sein Zufahrtsrecht dadurch nicht mehr als notwendig beeinträchtigt wird. Die damit für ihn und die Garagennutzer verbundene nachteilige Veränderung muss er hinnehmen. 

Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 18.7.2022, 7 U 150/20, PM vom 3.5.2022

Datenschutz: Falschparker dürfen fotografiert und angezeigt werden

| Das Verwaltungsgericht (VG) Ansbach hat jetzt zwei Klagen gegen Verwarnungen des Landesamtes für Datenschutzaufsicht (LDA) stattgegeben, mit denen das LDA die Ablichtung von Falschparkern rügte. | 

Gegenstand der Verwarnungen waren von den Klägern angefertigte Fotoaufnahmen von ordnungswidrig geparkten Fahrzeugen, die die Kläger mitsamt Anzeigen an die zuständige Polizei übersandten. Bei den angezeigten Verstößen handelte es sich z. B. um Parken im absoluten Halteverbot oder ordnungswidriges Parken auf Gehwegen. 

Das VG hat darüber entschieden, ob die Übermittlung der Bildaufnahmen eine rechtmäßige Datenverarbeitung im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) darstellte. Diese setzt voraus, dass die Datenverarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist. 

Die Beteiligten stritten insbesondere um die rechtliche Frage, ob für die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung eine persönliche Betroffenheit des Anzeigenerstatters durch die Parkverstöße erforderlich sei und ob nicht für eine Anzeige die bloße schriftliche oder telefonische Schilderung des Sachverhalts unter Angabe des Fahrzeugkennzeichens genüge, sodass eine Übermittlung von Bildaufnahmen nicht erforderlich sei. 

Problematisch sei nach Ansicht des LDA zudem, dass mit den Fotos oft Daten erhoben würden, die über den reinen Parkvorgang hinausgingen, z. B. bei Ablichtung anderer Fahrzeuge und Personen. Die Kläger bezogen sich auf Hinweise der Polizei ihnen gegenüber, dass die Parksituation zum Beweis durch Fotoaufnahmen möglichst genau dokumentiert werden sollte. Zudem würde die Verfolgung der Ordnungswidrigkeiten durch die Anfertigung von Fotos vereinfacht. 

Die Entscheidungen sind nicht rechtskräftig. Gegen die Urteile kann Antrag auf Zulassung der Berufung zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) gestellt werden. 

Quelle | VG Ansbach, Urteile vom 2.11.2022, AN 14 K 22.00468 und AN 14 K 21.01431, PM vom 3.11.2022

Krankheit: Auf die Körpergröße kommt es nicht an

| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass eine geringe Körpergröße keine Krankheit im Rechtssinne ist. | 

Das war geschehen

Geklagt hatte eine junge Frau aus Bremen, die nach Abschluss des Wachstums eine Körpergröße von nur knapp 1,50 m erreicht hatte. Bei ihrer Krankenkasse beantragte sie die Kostenübernahme für eine operative Beinverlängerung. Dafür sollten Ober- bzw. Unterschenkelknochen durchtrennt und ein Verlängerungssystem implantiert werden, das Knochen und Weichgewebe auf die gewünschte Größe dehnt. Zur Begründung führte die Frau aus, dass sie unter ihrer kleinen Körpergröße psychisch leide. Sie werde von ihrer Umwelt nicht als vollwertig wahrgenommen und sei auch in ihrer Berufswahl eingeschränkt. Für eine Ausbildung als Pilotin sei sie wegen ihrer Körpergröße abgelehnt worden. Ihr Traum sei eine Größe von 1,60 m bis 1,65 m. 

Krankenkasse: kein Krankheitswert

Die Kasse lehnte den Antrag ab, da eine geringe Körpergröße nicht als eine Krankheit zu bewerten sei, die einen Leistungsanspruch auslöse. Demgegenüber hielt die Frau ihre Körpergröße für krankheitswertig, da nur drei Prozent der Frauen so klein seien. Außerdem hätten jedenfalls die psychischen Auswirkungen sehr wohl Krankheitswert. Im Alltag werde sie behindert durch zu hohe Treppenstufen, Stühle, Waschbecken, Spiegel, Schränkte etc. 

Landessozialgericht: keine Leistungspflicht der Krankenkasse

Das LSG hat die Rechtsauffassung der Krankenkasse bestätigt. Es hat sich auf die einhellige Rechtsprechung gestützt, wonach bei einer Frau selbst eine Größe von 1,47 m nicht als regelwidriger Körperzustand und damit nicht als Krankheit im Rechtssinne zu bewerten sei. Alltagsschwierigkeiten könne durch Hilfsmittel und ggf. angepasste Wohneinrichtung begegnet werden. Psychische Beeinträchtigungen seien allein mit therapeutischen Mitteln zu behandeln. Denn ansonsten müssten köperverändernde Eingriffe auf Kosten der Allgemeinheit durchgeführt werden, wenn therapeutische Maßnahmen nicht helfen, weil der Betroffene auf den Eingriff fixiert ist. Auch die Ablehnung für bestimmte Berufe könne keine Leistungspflicht der Kasse auslösen. 

Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 5.7.2022, L 16 KR 183/21, PM vom 18.7.2022

Jugendschutz: Schmerzensgeld wegen Shisha-Abgabe an Minderjährige

| Der Betreiber eines Pubs ist verpflichtet, sich so zu verhalten, dass Körper, Leben und sonstige Rechtsgüter der Gäste nicht verletzt werden. Auf die Wirksamkeit eines beabsichtigten oder abgeschlossenen Vertrags kommt es dabei nicht an. Die ungeprüfte Abgabe einer Shisha an eine Minderjährige verstößt gegen die Bestimmungen des Jugendschutzes. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main bestätigte ein Urteil des Landgerichts (LG), mit dem der Betreiber wegen der erlittenen Kohlenmonoxid-Vergiftung der Minderjährigen zu einer Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 6.400 Euro verurteilt worden war. | 

Das war geschehen

Die Beklagte betreibt einen Pub in Hessen. Die damals minderjährige Klägerin suchte das Lokal auf, um gemeinsam mit ihrer Freundin eine Shisha zu rauchen. Dabei erlitt sie eine Kohlenmonoxid-Vergiftung. Sie litt an Atemnot und Schwindel und wurde zur Erstversorgung in eine Klinik gebracht. Nach mehrtägiger stationärer Behandlung musste die Klägerin mindestens elf kardiologische Termine wahrnehmen. Sie war mehrere Monate zu keinerlei körperlichen Aktivitäten in der Lage. Noch ein Jahr nach dem Vorfall konnte sie keine gesteigerten körperlichen Aktivitäten, wie Sport oder weite Spaziergänge, durchführen. Ob ihre vollständige Leistungsfähigkeit wiederhergestellt werden kann, ist gegenwärtig unklar. 

Die Klägerin verlangte Schmerzensgeld in Höhe von 8.000 Euro, da die Mitarbeiter sie weder nach ihrem Alter gefragt noch eine korrekte Einweisung in die sachgerechte Benutzung der Shisha vorgenommen hätten. Das Landgericht (LG) hatte die Beklagte verurteilt, ein Schmerzensgeld in Höhe von 6.400 Euro zu zahlen. 

Oberlandesgericht: Jugendschutz nicht eingehalten

Die hiergegen gerichtete Berufung hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Die Beklagte habe die sie treffenden Schutz- und Rücksichtspflichten verletzt. Diese Pflichten bestünden unabhängig davon, ob der Vertrag im Hinblick auf die Minderjährigkeit der Klägerin wirksam zustande gekommen sei. Die Beklagte habe eine Pflichtverletzung begangen, da die Mitarbeiter ihres Lokals den Konsum tabakhaltiger Erzeugnisse ohne vorherige Alterskontrolle gestatteten. Sie hätten jedoch die Bestimmungen des Jugendschutzes einhalten müssen. Demnach dürfen in Gaststätten Tabakwaren und andere nikotinhaltige Erzeugnisse und deren Behältnisse an Kinder oder Jugendliche weder abgegeben noch darf ihnen das Rauchen oder der Konsum nikotinhaltiger Produkte gestattet werden. Dies gelte auch für nikotinfreie Erzeugnisse, wie elektronische Zigaretten oder elektronische Shishas. Nach der vom LG durchgeführten Beweisaufnahme stehe fest, dass die Klägerin ohne vorherige Alterskontrolle eine Shisha bestellt und erhalten habe. Ebenfalls sei bewiesen worden, dass die Klägerin einen Krampfanfall erlitten habe. 

Der Umstand, dass die Freundin der Klägerin selbst symptomfrei geblieben sei, stehe dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht entgegen. Es sei vielmehr ohne Weiteres nachvollziehbar, dass mehrere Personen unterschiedlich reagieren können, etwa, weil sie verschieden stark an einer Shisha ziehen, durch einen anderen Schlauch oder eine andere Öffnung mehr Kohlenmonoxid ausgesetzt werden oder die Kohlenmonoxidbelastung unterschiedlich gut vertragen. 

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 11.7.2022, 6 U 148/21, PM 64/22

Modernisierungsmieterhöhung: Keine Aufteilung der Modernisierungskosten nach Gewerken

| Ein häufiger Streitpunkt zwischen Mietern und ihren Vermietern ist die Mieterhöhung nach einer Modernisierung. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mit den formellen Anforderungen an Mieterhöhungserklärungen nach der Durchführung von Modernisierungsmaßnahmen befasst. Es handelt sich um drei von vielen beim BGH anhängiger Verfahren, mit denen Mieter verschiedener Wohnungen in Bremen gegen Mieterhöhungen der Vermieterin vorgehen. | 

Das war geschehen und bisheriger Prozessverlauf

In sämtlichen Verfahren sind die Kläger jeweils Mieter von Wohnungen der Beklagten. Diese erhöhte infolge von Modernisierungen der betreffenden Wohnungen sowie der Gebäude, in denen sich die Wohnungen befinden, die monatlich zu zahlende Grundmiete. Den Mieterhöhungsschreiben war jeweils eine als „Kostenzusammenstellung und Berechnung der Mieterhöhung“ bezeichnete Anlage beigefügt. Diese enthielt u. a. Angaben zu den einzelnen Modernisierungsmaßnahmen, die hierfür jeweils angefallenen Gesamtkosten, den jeweils nach Abzug der Instandhaltungskosten verbleibenden umlagefähigen Modernisierungskostenanteil sowie die sich daraus ergebende Berechnung der jeweiligen Mieterhöhung. Die Kläger halten die Mieterhöhungserklärungen bereits aus formellen Gründen für unwirksam. Sie begehren mit ihren Klagen die Feststellung, dass der Beklagten ein Anspruch auf Zahlung der erhöhten Miete nicht zustehe, und zum Teil zusätzlich die Rückzahlung ihrer Ansicht nach überzahlter Mieten. 

Das Berufungsgericht hat in allen drei Verfahren die Mieterhöhungserklärungen bereits aus formellen Gründen für unwirksam erachtet und den Klagen jeweils stattgegeben. Jedenfalls bei umfassenden und kostenträchtigen Modernisierungsmaßnahmen bzw. solchen, die außerhalb der Wohnung des Mieters vorgenommen würden oder mehrere Gebäude umfassten, sei zur Erfüllung der formellen Anforderungen des hier einschlägigen § 559 b Abs. 1 S. 2 BGB eine weitere Untergliederung der betreffenden Kostenpositionen erforderlich. Das könnte etwa durch eine Aufschlüsselung nach verschiedenen Gewerken, „konkreten Arbeitsabschnitten“ oder „greifbaren Einzelarbeiten“ erfolgen. Nur so könne der Mieter den Kostenansatz des Vermieters auf Plausibilität und Berechtigung im Hinblick auf etwa nicht umlagefähige Instandhaltungskosten prüfen. 

BGH: Gesamtsumme reicht aus – auch für große Baumaßnahmen

Der BGH hat entschieden, dass es zur Erfüllung der formellen Anforderungen der o. g. Vorschrift genügt, wenn ein Vermieter die für eine bestimmte Modernisierungsmaßnahme angefallenen Kosten als Gesamtsumme ausweist und einen seiner Meinung nach in den Gesamtkosten enthaltenen Instandsetzungsteil durch die Angabe einer Quote oder eines bezifferten Betrags kenntlich macht. Eine Aufschlüsselung der für eine bestimmte Modernisierungsmaßnahme entstandenen Gesamtkosten nach den einzelnen angefallenen Gewerken oder anderen Bauleistungsbereichen ist hingegen grundsätzlich auch dann nicht erforderlich, wenn umfangreiche und entsprechend kostenträchtige bauliche Veränderungen oder Maßnahmen außerhalb der betroffenen Wohnung oder an mehreren Gebäuden ausgeführt wurden. 

Der Vermieter kann nach der Durchführung bestimmter Modernisierungsmaßnahmen die jährliche Miete um 11 Prozent (seit 1.1.2019 um 8 Prozent) der für die Wohnung aufgewendeten Kosten erhöhen. Dabei ist die Mieterhöhung in Textform zu erklären und die Erhöhung ist aufgrund der entstandenen Kosten zu berechnen und zu erläutern. Dies dient der Abgrenzung berücksichtigungsfähiger Modernisierungsmaßnahmen von nicht berücksichtigungsfähigen Erhaltungsmaßnamen. Diese formellen Anforderungen bilden das notwendige Gegengewicht zu der dem Vermieter in Abweichung von allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechts eingeräumten Möglichkeit, die Pflicht des Mieters zur Mietzahlung durch einseitige Erklärung zu gestalten. Der Mieter soll in die Lage versetzt werden, Grund und Umfang der Mieterhöhung auf Plausibilität zu prüfen und zu entscheiden, ob Bedarf für eine eingehendere Kontrolle besteht – etwa durch Zuziehung juristisch oder bautechnisch Sachkundiger, durch Einholung weiterer Auskünfte beim Vermieter und/oder durch Einsichtnahme in die Rechnungen und Belege. 

Dennoch dürfen die Hürden für die Mieterhöhungserklärung in formeller Hinsicht nicht zu hoch angesetzt werden. Denn eine Überspannung der Anforderungen könnte dazu führen, dass der Vermieter eine inhaltlich berechtigte Mieterhöhung nicht durchsetzen könnte und ihm der Anreiz zur Durchführung von - vom Gesetzgeber ausdrücklich erwünschten - Modernisierungsmaßnahmen genommen würde. Davon ausgehend ist es in formeller Hinsicht ausreichend, wenn der Vermieter in der Mieterhöhungserklärung die für eine bestimmte Modernisierungsmaßnahme angefallenen Kosten als Gesamtsumme ausweist und einen aus seiner Sicht in den Gesamtkosten enthaltenen Instandsetzungsanteil durch die Angabe einer Quote oder eines bezifferten Betrags kenntlich macht. Welchen Erkenntnisgewinn die vom Berufungsgericht geforderte weitergehende Aufschlüsselung der entstandenen Gesamtkosten nach Gewerken oder vergleichbaren Kriterien dem Mieter vermittelte, ist nicht ersichtlich. Zudem hat das Berufungsgericht nicht hinreichend berücksichtigt, dass dem Mieter zur Klärung verbleibender Unsicherheiten oder zur Kontrolle der Angaben des Vermieters über die Aufwendungen auf ihre sachliche Richtigkeit ein umfassendes Auskunfts- und (Belege-)Einsichtsrecht zusteht. 

Abgrenzung der Modernisierungs- von Erhaltungsmaßnahmen

Ob die vom Vermieter angesetzten Erhöhungsbeträge tatsächlich zutreffend und angemessen sind, betrifft allein die materiell-rechtliche Nachprüfung der Erhöhungserklärung. In deren Rahmen hat der Vermieter die Darlegungs- und Beweislast nicht nur dafür, dass es sich bei den durchgeführten Baumaßnahmen um Modernisierungs- und nicht um Erhaltungsmaßnahmen handelt, sondern auch dafür, dass die zugrunde gelegten Kosten nicht (teilweise) auf der Erhaltung dienende Maßnahmen entfallen sind. Da das Berufungsgericht die erforderlichen Feststellungen bislang nicht getroffen hat, hat der BGH die Berufungsurteile in allen drei Verfahren aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht (LG) Bremen zurückverwiesen. 

Quelle | BGH, Urteile vom 20.7.2022, VIII ZR 337/21, VIII ZR 339/21 und VIII ZR 361/21, PM 114/2022

Erbschaftsteuerbefreiung: Kein Wegfall bei unzumutbarer Selbstnutzung des Familienheims

| Zieht der überlebende Ehepartner aus dem geerbten Familienheim aus, weil ihm dessen weitere Nutzung aus gesundheitlichen Gründen unmöglich oder unzumutbar ist, entfällt die ihm beim Erwerb des Hauses gewährte Erbschaftsteuerbefreiung nicht rückwirkend. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) nun entschieden. | 

Die Klägerin hatte mit ihrem Ehemann ein Einfamilienhaus bewohnt und wurde nach dessen Tod aufgrund Testaments Alleineigentümerin. Nach knapp zwei Jahren veräußerte sie das Haus und zog in eine Eigentumswohnung. Die Klägerin berief sich gegenüber dem Finanzamt und dem Finanzgericht (FG) erfolglos darauf, sie habe wegen einer depressiven Erkrankung, die sich nach dem Tod ihres Ehemanns gerade durch die Umgebung des ehemals gemeinsam bewohnten Hauses verschlechtert habe, dieses auf ärztlichen Rat verlassen. Das FG war der Ansicht, es habe keine zwingenden Gründe für den Auszug gegeben, da der Klägerin nicht die Führung eines Haushalts schlechthin unmöglich gewesen sei. 

Der BFH hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Grundsätzlich setzt die Steuerbefreiung (hier: gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 b Erbschaftsteuergesetz – ErbStG) voraus, dass der Erbe für zehn Jahre das geerbte Familienheim selbst nutzt, es sei denn, er ist aus „zwingenden Gründen“ daran gehindert. „Zwingend“, so der BFH, erfasse nicht nur den Fall der Unmöglichkeit, sondern auch die Unzumutbarkeit der Selbstnutzung des Familienheims. Diese könne auch gegeben sein, wenn der Gesundheitszustand des Erben durch den Verbleib im Familienheim erheblich beeinträchtigt wird. 

Das FG muss deshalb im zweiten Rechtsgang, ggf. mit Hilfe ärztlicher Begutachtung, die geltend gemachte Erkrankung einschließlich Schwere und Verlauf prüfen. 

Quelle | BFH, Urteil vom 1.12.2021, II R 1/21, PM 030/22

Testament: Alleinerbe – auch wenn andere ebenfalls etwas erben

| Auch wenn nach dem Wortlaut eines Testaments mehrere Personen etwas „erben“ sollen, kann die Auslegung ergeben, dass nur eine Person Alleinerbe werden sollte und die übrigen Begünstigten mit Vermächtnissen bedacht werden sollten. Hierfür spricht, wenn die einer Person zugewandten Vermögenswerte aus Sicht des Erblassers den wesentlichen Teil seines Nachlasses darstellen und diese Person nach dem Testament auch für die „Beerdigung und Folgekosten“ verantwortlich zeichnen sollte. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken entschieden. | 

Was war geschehen?

Der Erblasser hatte ein privatschriftliches Testament errichtet. Darin bezeichnete er seine Lebensgefährtin als „Erbe“ für sein Haus. Nach dem weiteren Wortlaut „erbte“ diese auch das Barvermögen. Seine Grundstücke und Anteile daran „vererbe“ der Erblasser seinen Nichten und einem Neffen. Für die Beerdigung und Folgekosten zeichne seine Lebensgefährtin verantwortlich, heißt es in dem Testament weiter. 

Testament nicht eindeutig: Auslegung erforderlich

Der Wortlaut des Testaments sei nicht eindeutig, was zur Auslegung nötige, so das OLG. Dafür, dass der Erblasser die Lebensgefährtin zu seiner Alleinerbin einsetzen wollte, spreche vor allem, dass die ihr ausdrücklich zugewandten Gegenstände das übrige Vermögen in ihrem Wert ganz erheblich übertreffen und vom Erblasser erkennbar als sein wesentlicher Nachlass angesehen wurden. Zudem komme es bei der Entscheidung, ob eine Person als Erbe eingesetzt ist, wesentlich darauf an, wer nach dem Willen des Erblassers den Nachlass regeln und die Nachlassschulden, zu denen auch die Bestattungskosten gehören, tilgen muss. Außerdem komme es darauf an, ob der Bedachte unmittelbar Rechte am Nachlass oder nur Ansprüche gegen andere Bedachte erwerben soll. 

Quelle | OLG Saarbrücken, Beschluss vom 30.3.2022, 5 W 15/22

Testament: Was darf der Erblasser im Hinblick auf Auflagen regeln?

| Der Spielraum des Erblassers für Auflagen ist sehr groß. Sie dürfen – an objektiven Kriterien gemessen – sinnfrei, sogar unsinnig sein, ohne dass dies allein zu einer Unwirksamkeit führt. Der Erblasser kann sich grundsätzlich also bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit Auflagen ausdenken. Sofern sie nicht gegen die guten Sitten verstoßen und den höchstpersönlichen Bereich des durch die Auflagen Beschwerten nicht tangieren, sind sie wirksam. Dem Erblasser muss es im Wege der grundrechtlich geschützten Testierfreiheit möglich sein, die Erbfolge nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten, sodass eine Sittenwidrigkeit nur in besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen angenommen werden kann. Einen solchen schwerwiegenden Ausnahmefall hat das Landgericht (LG) Bochum nun bejaht. | 

Die spätere Erblasserin setzte ihre Tochter und ihre Enkelin in einem notariellen Testament zu ihren Erben ein. Es störte sie wohl eine außereheliche Beziehung der Tochter. Diese war zwar noch „auf dem Papier“ verheiratet, hatte aber einen neuen Lebenspartner gefunden, mit dem sie teilweise in ihrer Wohnung im Haus der Erblasserin zusammenwohnte. Daher verfügte die Erblasserin in ihrem Testament: „Die Erben haben dafür zu sorgen, dass es Herrn M. (Anm.: der Lebenspartner der Tochter) auf Dauer untersagt wird, das Grundstück … zu betreten. Den Erben ist es darüber hinaus untersagt, das Grundstück oder Teile davon an Herrn M. oder dessen Abkömmlinge zu veräußern, zu verschenken oder auf sonstige Weise zu übertragen.“ Die Auflage sicherte die Erblasserin über eine Testamentsvollstreckung ab. Bei einem Verstoß gegen die Auflage sollte der Testamentsvollstrecker die Immobilie verkaufen und eine Hälfte des Erlöses den Erben und die andere Hälfte einer gemeinnützigen Organisation auskehren. 

Die Erben klagten, festzustellen, dass die Auflage nichtig ist. Das LG gab ihnen Recht. 

Quelle | LG Bochum, Urteil vom 29.4.2021, 8 O 486/20

Saunalandschaft: Fliesentauglichkeit: Architekt muss kein Labor beauftragen

| Im Rahmen seiner Aufgaben der Planung muss der Architekt auch die Materialien auswählen, die für die Maßnahme geeignet sind. Auf das Datenblatt eines Baustoffherstellers darf sich der Architekt dabei verlassen. Er muss nicht alle Baustoffe durch ein Labor auf das Vorhandensein der vom Hersteller zugesicherten Angaben prüfen lassen. Das hat jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe festgestellt. | 

Ein Architekt wurde mit den Leistungsphasen 1 bis 8 nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) und mit einem Fliesengewerk bei der Sanierung einer Saunalandschaft beauftragt. Die Fliesen sollten säure- bzw. chemiebeständig sein. Der Architekt wählte ein Fabrikat, das nach dem Datenblatt des Herstellers diese Anforderungen erfüllte. Er legte sie der Ausschreibung zugrunde. Nach Abnahme der Leistungen zeigten sich Ausblühungen und die Fliesen lösten sich ab. Der Betreiber verklagte den Architekten auf Kostenvorschuss wegen Planungs- und Überwachungsfehlern und den Fliesenleger wegen Ausführungsfehlern. 

Das OLG sprach den Architekten mit den eingangs genannten Erwägungen von Planungs- und Überwachungsfehlern frei. Würde man dies anders sehen, wäre die Folge, dass ein Architekt verpflichtet wäre, beinahe alle verwendeten Baustoffe durch ein Labor prüfen zu lassen. Damit wäre aber ein unverhältnismäßiger Aufwand verbunden. 

Die Entscheidung ist rechtskräftig. 

Quelle | OLG Karlsruhe, Beschluss vom 20.9.2021, 4 U 199/20

Haftung: Wenn der Baukran umfällt …

| Ein ordnungsgemäß montierter und auf stabilem Baugrund aufgebauter Kran fällt nicht ohne Weiteres um, auch nicht bei einem Sturm. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. festgestellt. Stürzt ein auf der Baustelle betriebener Turmdrehkran während Bauarbeiten um, spricht deshalb der sog. „Beweis des ersten Anscheins“ für einen Montage- und Aufbaufehler. | 

In solchen Fällen kommen verschiedene Ursachen in Frage, die dann auch über die Haftung entscheiden. Zum „Beweis des ersten Anscheins“ gehören nicht nur die Pflichten des Aufstellers, sondern (je nach Einzelfall) auch, ob sich die Bauüberwachung im Rahmen ihrer eigenen Leistungen von der ordnungsgemäßen Aufstellung überzeugt hat. 

Im Fall des OLG sprach der „Beweis des ersten Anscheins“ für einen Montage- und Aufbaufehler des ausführenden Unternehmens. Denn ein Sicherungsbolzen der Stahlkonstruktion des Krans am Ausleger war falsch montiert. Die Bauüberwachung war insoweit damit bis auf Weiteres außen vor. Die Kontrolle von Sicherungsbolzen am Kran kann der Bauüberwachung nicht zugeordnet werden. 

Die Bauüberwachung wäre eventuell dann in den Fokus des Anscheinsbeweises gerückt, wenn statt des Sicherungsbolzens am Kranausleger das Kranfundament an der falschen Stelle – entgegen der Vorgabe der Bauüberwachung (auf instabilem Baugrund ohne vorherige Prüfung) – ausgeführt worden wäre. 

Quelle | OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 11.7.2022, 29 U 222/19

Werkverträge: Vereinbarungen zur Fälligkeit – das ist möglich

| Vor allem bei einem Werk- oder Architektenvertrag können die Parteien die gesonderte Fälligkeit von Teilleistungen vereinbaren, die nicht am Ende der Vertragsdurchführung stehen, sondern einen Zwischenerfolg darstellen. Solche Vereinbarungen müssen nicht stets ausdrücklich, sondern können durchaus auch stillschweigend getroffen werden. Das hat nun das Kammergericht (KG) in Berlin klargestellt. | 

Eine solche Vereinbarung setzt auch nicht voraus, dass die Parteien kalendermäßig eine Frist oder einen Termin bestimmt haben. Der Fälligkeitszeitpunkt der Teilleistung ist vielmehr durch Auslegung, notfalls mithilfe der gesetzlichen Vermutung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 271 Abs. 1 BGB) zu bestimmen. Besser ist es daher, die Fälligkeit von Teilleistungen – im Zweifel auch ausschließend – ausdrücklich zu regeln. 

Quelle | KG, Urteil vom 26.4.2022, 21 U 1030/20

Lärmimmissionen: Keine Lärmsanierung nach Errichtung eines Buswendeplatzes

| Der Kläger, Eigentümer eines Wohngrundstücks, hat keinen Anspruch gegen den beklagten Landkreis auf Durchführung von Maßnahmen zum Schutz vor Lärmimmissionen, die durch den Betrieb eines Buswendeplatzes in der Nähe seines Grundstücks hervorgerufen werden. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz. |

Das Grundstück des Klägers liegt in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Mischgebiet; allerdings findet sich dort ausschließlich Wohnbebauung. Nachdem im Jahr 2016 die entsprechenden bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen worden waren, wurde für den Öffentlichen Personennahverkehr und den darin integrierten Schülerverkehr in der am Grundstück des Klägers entlangführenden Straße ein Buswendeplatz errichtet. Daraufhin stellte der Kläger bei dem beklagten Landkreis einen Antrag auf Maßnahmen zum Schutz vor den durch den Buswendeplatz verursachten Emissionen. Nachdem sein Antrag erfolglos geblieben war, verfolgte der Kläger sein Begehren auf dem Klageweg weiter.  

Das VG wies die Klage ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die begehrte Lärmsanierung. Zwar sei nach Errichtung des Buswendeplatzes und dem dadurch erhöhten Verkehrsaufkommen durch Busse eine deutliche Lärmsteigerung eingetreten. Jedoch würden die maßgeblichen Beurteilungspegel nicht überschritten. Dies gelte unabhängig davon, ob die Beurteilungspegel für ein Mischgebiet (64 dB (A) am Tag und 54 dB (A) in der Nacht) oder für ein reines oder allgemeines Wohngebiet (59 dB (A) am Tag und 49 dB (A) in der Nacht) anzusetzen seien. Denn ungeachtet der Wirksamkeit der Mischgebietsfestsetzung im Bebauungsplan erreichten die Lärmimmissionen am Wohnhaus des Klägers nach einem von ihm nicht substanziiert angegriffenen schalltechnischen Gutachten lediglich Werte von 55 dB(A) tags und 47 dB (A) nachts. Selbst unter Berücksichtigung der Gesamtbelastung am Grundstück des Klägers erleide dieser keine Gesundheits- oder übermäßigen Eigentumsbeeinträchtigungen, die trotz Einhaltung der Immissionsgrenzwerte ausnahmsweise zu einem Lärmsanierungsanspruch führen könnten. Die vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) insoweit entwickelte Zumutbarkeitsschwelle liege nämlich bei hier nicht erreichten Werten von mindestens 67 dB (A) tags und 57 dB (A) nachts. 

Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 21.7.2022, 4 K 46/22.KO, PM 27/22

Kündigungsschutzklage: Redakteurin: Kündigung wegen Vorwurf antisemitischer Äußerung?

| Das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin hat die Kündigung einer Redakteurin des Senders Deutsche Welle für unwirksam erklärt. Die Redakteurin hatte sich bereits vor ihrem Arbeitsverhältnis antisemitisch geäußert. | 

Kündigungsschutzklage war erfolgreich

Der Sender hat zur Begründung der Kündigung geltend gemacht, die Redakteurin habe sich mehrfach israelfeindlich und antisemitisch in anderen Medien geäußert. Dies widerspreche den Grundsätzen der Deutschen Welle, wie sie ausdrücklich in Guidelines und Positionspapieren festgehalten seien. Das ArbG hat jedoch der Kündigungsschutzklage stattgegeben und den Sender zur Weiterbeschäftigung der Redakteurin verurteilt. 

Es bestand noch kein Vertragsverhältnis

Das ArbG: Antisemitische Äußerungen könnten ein Grund für eine außerordentliche Kündigung sein. Wenn es nicht um Äußerungen im Rahmen der Arbeit für den Sender gehe, könne hierin eine Verletzung von Loyalitätspflichten liegen. Soweit es aber um Äußerungen gehe, die vor Bestehen eines Vertragsverhältnisses zum Sender erfolgt seien, fehle es mangels bestehenden Vertrags zu dieser Zeit an einer für eine verhaltensbedingte Kündigung erforderlichen Vertragspflichtverletzung. 

Personalrat wurde nicht hinzugezogen

Eine personenbedingte Kündigung hatte die Beklagte nicht ausgesprochen und dazu auch nicht ihren Personalrat beteiligt. Auch bei Äußerungen während einer vorherigen Beschäftigung auf Honorarbasis könne nicht ohne Weiteres ein „Durchschlagen“ als Pflichtverletzung auf ein späteres Arbeitsverhältnis angenommen werden. Zudem müsse jeweils eine Bewertung der Umstände des Einzelfalls unter Beachtung des Zusammenhangs von Äußerungen erfolgen. 

Redakteurin hatte sich distanziert

Wenn man berücksichtige, dass die Redakteurin sich in einer für die Öffentlichkeit bestimmten Erklärung von früheren Äußerungen distanziert habe und keine Abmahnung vorliege, sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der beiderseitigen Interessen zumutbar. Im Hinblick hierauf könne keine negative Prognose für ein künftig zu erwartendes Fehlverhalten gestellt werden. 

Weder Abmahnung noch Fristwahrung

Unabhängig hiervon sei für die außerordentliche Kündigung die Frist von zwei Wochen ab Kenntnis der maßgeblichen Umstände nicht eingehalten. In Bezug auf die gegenüber der klagenden Redakteurin erhobenen Vorwürfe erschließe sich die Erforderlichkeit der vorherigen zweimonatigen Untersuchung nicht, von der der Sender ausgegangen war. 

Quelle | ArbG Berlin, Urteil vom 5.9.2022, 22 Ca 1647/22, PM 28/22 vom 3.11.2022

Gesetzlich festgelegte Höchstdauer: Verlängerung einer Arbeitnehmerüberlassung durch Tarifvertrag

| Bei einer vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung kann in einem Tarifvertrag der Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche abweichend von der gesetzlich zulässigen Dauer von 18 Monaten eine andere Überlassungshöchstdauer vereinbart werden. Diese ist auch für den überlassenen Arbeitnehmer und dessen Arbeitgeber (Verleiher) unabhängig von deren Tarifgebundenheit maßgebend. So entschied es nun das Bundesarbeitsgericht (BAG). | 

Der Kläger war der Beklagten ab Mai 2017 für knapp 24 Monate als Leiharbeitnehmer überlassen. Die Beklagte ist Mitglied im Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e. V. (Südwestmetall). In ihrem Unternehmen galt daher der zwischen Südwestmetall und der Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) geschlossene „Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit“. DerTarifvertrag regelt unter anderem, dass die Dauer einer Arbeitnehmerüberlassung 48 Monate nicht überschreiten darf. Der Kläger will mit seiner Klage festgestellt wissen, dass zwischen ihm und der Beklagten (Entleiherin) aufgrund Überschreitung der gesetzlichen Höchstüberlassungsdauer kraft Gesetzes (hier: § 9 Abs. 1 Nr. 1 b, § 10 Abs. 1 S. 1 Gesetz zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung (AÜG)) ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen sei. Der Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit gelte für ihn mangels Mitgliedschaft in der IG Metall nicht. Zudem sei die dem Tarifvertrag zugrunde liegende Regelung (hier: § 1 Abs. 1 b S. 3 AÜG) verfassungswidrig. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. 

Die Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Südwestmetall und IG Metall konnten die Überlassungshöchstdauer für den Einsatz von Leiharbeitnehmern bei der Beklagten durch Tarifvertrag mit Wirkung auch für den Kläger und dessen Arbeitgeberin (Verleiherin) verlängern. Bei § 1 Abs. 1 b S. 3 AÜG handelt es sich um eine vom Gesetzgeber außerhalb des Tarifvertragsgesetzes vorgesehene Regelungsermächtigung, die den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche nicht nur gestattet, die Überlassungshöchstdauer abweichend von § 1 Abs. 1 b S. 1 AÜG verbindlich für tarifgebundene Entleihunternehmen, sondern auch für Verleiher und Leiharbeitnehmer mittels Tarifvertrag zu regeln, ohne dass es auf deren Tarifgebundenheit ankommt. Die gesetzliche Regelung ist unionsrechts- und verfassungskonform. Die vereinbarte Höchstüberlassungsdauer von 48 Monaten hält sich im Rahmen der gesetzlichen Regelungsbefugnis. 

Quelle | BAG, Urteil vom 14.9.2022, 4 AZR 83/21, PM 37/22

Corona-Kontaktperson: Behördlich angeordnete Quarantäne während des Urlaubs

| Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gerichtet, um die Frage klären zu lassen, ob aus dem Unionsrecht die Verpflichtung des Arbeitgebers abzuleiten ist, einem Arbeitnehmer bezahlten Erholungsurlaub nachzugewähren, der zwar während des Urlaubs selbst nicht erkrankt ist, in dieser Zeit aber eine behördlich angeordnete häusliche Quarantäne einzuhalten hatte. | 

Der Kläger ist seit 1993 bei der Beklagten als Schlosser beschäftigt. Auf seinen Antrag bewilligte ihm die Beklagte acht Tage Erholungsurlaub für die Zeit vom 12. bis zum 21.10.2020. Mit Bescheid vom 14.10.2020 ordnete die Stadt Hagen die Absonderung des Klägers in häusliche Quarantäne für die Zeit vom 9. bis zum 21.10.2020 an, weil er zu einer mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizierten Person Kontakt hatte. Für die Zeit der Quarantäne war es dem Kläger untersagt, seine Wohnung ohne ausdrückliche Zustimmung des Gesundheitsamts zu verlassen und Besuch von haushaltsfremden Personen zu empfangen. Die Beklagte belastete das Urlaubskonto des Klägers mit acht Tagen und zahlte ihm das Urlaubsentgelt. 

Der Kläger hat die auf Wiedergutschrift der Urlaubstage auf seinem Urlaubskonto gerichtete Klage darauf gestützt, es sei ihm nicht möglich gewesen, seinen Urlaub selbstbestimmt zu gestalten. Die Situation bei einer Quarantäneanordnung sei der infolge einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vergleichbar. Der Arbeitgeber müsse ihm deshalb entsprechend dem Bundesurlaubsgesetz (hier: § 9 BurlG), dem zufolge ärztlich attestierte Krankheitszeiten während des Urlaubs nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden dürfen, nachgewähren. 

Das Landesarbeitsgericht (LAG) ist dieser Auffassung gefolgt und hat der Klage stattgegeben. Für das BAG ist die Frage entscheidungserheblich: Steht es mit europäischem Recht im Einklang, wenn vom Arbeitgeber bewilligter Jahresurlaub, der sich mit einer nach Urlaubsbewilligung behördlich angeordneten häuslichen Quarantäne zeitlich überschneidet, nach nationalem Recht nicht nachzugewähren ist, weil der betroffene Arbeitnehmer selbst nicht krank war? Diese Frage muss nun der EuGH beantworten. 

Quelle | BAG, Beschluss vom 16.8.2022, 9 AZR 76/22 (A), PM 30/22 vom 16.8.2022

Infektionsschutzgesetz: Keine Pflicht, ungeimpftes Pflegepersonal in Seniorenheim zu beschäftigen

| Die Corona-Pandemie wird in vielerlei Hinsicht die Gerichte noch längere Zeit beschäftigen. Besonders im Arbeitsrecht birgt die Pandemie – zum Beispiel mit Quarantäneregelungen und teilweiser Impfpflicht – ein hohes Streitpotenzial. Das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) hat jetzt in zwei Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz die Anträge von in der Pflege tätigen Klägern abgewiesen. Diese werden von ihrer Arbeitgeberin nicht mehr in deren Seniorenheim eingesetzt. Daher verlangten die Kläger durch Eilanträge, dass sie zunächst weiter beschäftigt werden müssten. | 

Die Kläger haben sich nicht gegen SARS-CoV-2 impfen lassen. Die Betreiberin des Seniorenheims hatte sie seit dem 16.3.2022 freigestellt. Dies begründete sie mit der seit 15.3.2022 bestehenden Pflicht nach dem Infektionsschutzgesetz (§ 20 a IfG), wonach Personen, die in Einrichtungen zur Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen arbeiten, über einen Impfnachweis oder z. B. einen Genesenennachweis verfügen müssen. Hiergegen hatten die Kläger in Eilverfahren bei dem Arbeitsgericht (ArbG) Gießen geklagt. 

Das Arbeitsgericht (ArbG) Gießen hatte die Anträge abgewiesen. Das LAG als Berufungsgericht hat diese Urteile nun bestätigt. Die Arbeitnehmer hätten keinen Anspruch darauf, in ihrem Arbeitsverhältnis beschäftigt zu werden. Der erforderliche Impfnachweis wirke wie eine berufliche Tätigkeitsvoraussetzung. Bei der Abwägung der Interessen habe die Arbeitgeberin die Arbeitnehmer freistellen dürfen. Das schützenswerte Interesse der Bewohnerinnen und Bewohner des Seniorenheims, vor einer Gefährdung ihrer Gesundheit und ihres Lebens bewahrt zu werden, überwiege das Interesse der Pflegekräfte, ihre Tätigkeit ausüben zu können. 

Beachten Sie | Die Entscheidungen des LAG sind rechtskräftig. Eine Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) ist in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht möglich. 

Quelle | Hessisches LAG, Urteile vom 11.8.2022, 5 SaGa 728/22 und 7 SaGa 729/22

Sonderregelung: Erleichterter Zugang zum Kurzarbeitergeld bis 31.12.2022 verlängert

| Mit der Verordnung zur Änderung der Kurzarbeitergeldzugangsverordnung wurden die Zugangserleichterungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld für weitere drei Monate bis zum 31.12.2022 verlängert. |

Es reicht weiterhin aus, wenn mindestens 10 % der Beschäftigten von Arbeitsausfall betroffen sind. Sonst muss mindestens ein Drittel der Beschäftigten betroffen sein.

Beschäftigte müssen auch keine Minusstunden aufbauen, bevor Kurzarbeitergeld gezahlt werden kann. 

Beachten Sie | Damit Sonderregelungen für das Kurzarbeitergeld weiterhin durch eine Verordnung erlassen werden können, hat der Bundestag die entsprechende Verordnungsermächtigung bis 30.6.2023 verlängert (Billigung durch Bundesrat am 7.10.2022). Damit können Zugangserleichterungen auch über den Jahreswechsel hinaus verlängert werden. 

Quelle | BMAS vom 16.9.2022 „Erleichtertes Kurzarbeitergeld“; Deutscher Bundestag vom 29.9.2022 „Vereinfachter Zugang zum Kurzarbeitergeld wird verlängert“; BR-Drs. 475/22 (B) vom 7.10.2022; Verordnung zur Änderung der Kurzarbeitergeldzugangsverordnung, BGBl I 2022, S. 1507

Gewerberaummiete: Kakerlaken im Bekleidungsgeschäft: 30 Prozent Mietminderung möglich

| Tritt Ungeziefer wiederholt in einem Bekleidungsgeschäft auf, stellt dies einen erheblichen Mangel dar. Das kann zu einer Minderung von mindestens 30 Prozent führen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe. | 

In den angemieteten Räumen beobachteten verschiedene Kunden immer wieder Kakerlaken, z. B. in einer Umkleidekabine oder einem Schrank. Das stellt einen Mangel der Mietsache dar, so das OLG. Es führte dazu aus, dass bei der Bemessung der Minderungsquote zu berücksichtigen sei, dass Kunden in Bekleidungsgeschäften nicht damit rechnen müssen, mit Ungeziefer konfrontiert zu werden. Dies wirke sich negativ auf den Ruf des Geschäfts aus, vor allem, wenn es sich – wie hier – in einer Kleinstadt befinde. So etwas spreche sich schnell herum. Außerdem seien Fraßschäden an den Bekleidungsgegenständen möglich. 

Folge: Der wirtschaftliche Wert des Geschäfts sei ummindestens 30 Prozent gemindert. Das Argument des Vermieters, die Tiere hätten nicht in die Räume gelangen können, wären Fenster und Türen richtig verschlossen gewesen, hatte beim OLG keinen Erfolg. 

Quelle | OLG Karlsruhe, Urteil vom 21.6.2022, 9 U 112/19

Wettbewerb: Werbeaussage „klimaneutral“ muss nicht irreführend sein

| Das Landgericht (LG) Kleve hat jetzt festgestellt, dass die Werbeaussage „klimaneutral“ nicht irreführend ist, wenn sie zum einen gegenüber einem Fachpublikum erfolgt und zum anderen die Einsparung durch bloße Kompensation geschieht. | 

Das war geschehen

Ein Unternehmen, die Beklagte, stellt Produkte aus Fruchtgummi und Lakritz für Endkunden her. Es warb in der Lebensmittel-Zeitung mit der Aussage: „Seit 2021 produziert … alle Produkte klimaneutral.“ Das Ziel wird jedoch nicht durch Einsparung, sondern durch CO2-Kompensation erreicht. Die Klägerin hielt dies für wettbewerbswidrig. Begründung: Es fehle ein aufklärender Hinweis. 

So sieht es das Landgericht

Dieser Ansicht folgte das LG Kleve nicht. Es wies die Klage daher ab. Entscheidend sei: Die Lebensmittel-Zeitung richte sich überwiegend an ein Fachpublikum. Der Kläger habe sich zwar darauf berufen, die Lebensmittel-Zeitung könne auch von Verbrauchern gelesen werden. Dies sei aber für den angesprochenen Verkehrskreis unerheblich. Denn die Lebensmittel-Zeitung ist nicht auf Verbraucher ausgerichtet. Daher sei es auch nicht zu berücksichtigen, dass die von der Beklagten produzierten Endprodukte, die in Form einer teilweise abgebildeten Verpackungstüte in der Werbung wiedergegeben sind, zum Konsum durch den Endverbraucher bestimmt sind. 

Auch inhaltlich sah das LG kein Fehlverhalten. Denn die o. g. Werbeaussage ist wahr. „Klimaneutral“ sei nicht identisch mit „emissionsfrei“. Klimaneutralität könne auch über Kompensation erreicht werden. Eine Täuschung über die Herstellung sei damit nicht verbunden. Denn dem von der Werbung angesprochenen Fachpublikum sei dies bekannt. 

Werbung richtete sich nicht an den Endverbraucher

Der Anspruch besteht auch nicht im Hinblick auf das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (§ 5 a Abs. 2 UWG) in der bis zum 27.5.2022 geltenden Fassung, denn die beanstandete Werbung richtet sich nicht an Verbraucher. Soweit die von der Beklagten produzierten Endprodukte, die in Form einer teilweise abgebildeten Verpackungstüte in der Werbung wiedergegeben sind, zum Konsum durch den Endverbraucher bestimmt sind, ist dies unerheblich, denn die beanstandete Werbeanzeige in der Lebensmittel-Zeitung richtete sich nicht an den Endverbraucher, sondern an den Handel. 

Quelle | LG Kleve, Urteil vom 22.6.2022, 8 O 44/21

Wettbewerbsrecht: Öffnung einer Filiale in Outlet-Center an Feriensonntagen nicht wettbewerbswidrig

| Das Pfälzische Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken hat dieBerufung in einem Verfahren hinsichtlich der Öffnung einer Filiale derBeklagten in einem Factory-Outlet-Center zurückgewiesen. Es hat dabeiklargestellt, dass darin keine unlautere Wettbewerbshandlung liegt. |

 

Mietvertrag sahSonntagsöffnungen in den Ferien vor

Die Beklagte ist ein Damenbekleidungsunternehmen, das u.a.am dortigen Standort eine Filiale besitzt. Ihr Ladenlokal hat sie von derBetreiberin des Factory-Outlet-Centers angemietet. Nach den Bestimmungen desMietvertrags ist sie ihrer Vermieterin gegenüber zur Öffnung des Geschäfts anden in Rede stehenden Feriensonntagen verpflichtet.

 

Mitbewerberin klagte

Die Klägerin, die an mehreren Standorten in der Pfalz und inBaden Einzelhandelsgeschäfte gleichsam u.a. für Damenbekleidung betreibt, hatdie Auffassung vertreten, im Öffnen der Outlet-Center-Filiale durch dieBeklagte an den Feriensonntagen sei eine unlautere geschäftliche Handlung zusehen, die Letztere zu unterlassen habe. Die Gestattung der erweitertenSonntagsöffnung zugunsten von Verkaufsstellen im näheren Einzugsgebiet desFlughafens sei rechtswidrig. Die Klägerin hat den Erlass einerUnterlassungsverpflichtung gegen die Beklagte hinsichtlich der Öffnung anbestimmten Sonntagen begehrt, daneben die gerichtliche Feststellung möglicherSchadenersatzansprüche und Auskunft über Öffnungszeiten an bestimmten Sonntagenin der Vergangenheit.

 

Schon das Landgericht (LG) Zweibrücken hatte die Klageabgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin blieb nun erfolglos.

 

Regierungsverordnungmaßgeblich

Das OLG: Das LG hat zutreffend entschieden, dass dieFeriensonntagsöffnungen der Filiale der Beklagten im Outlet-Center gegenwärtigkeine unlautere Wettbewerbshandlung zum Nachteil von Mitbewerbern darstellten.Eine Legitimation der Feriensonntagsöffnungen als wettbewerbliches Verhaltenergebe sich aus der dies ausdrücklich gestattenden Regierungsverordnung.

 

RechtstreuesVerhalten nicht zu sanktionieren

Eine für die Zulässigkeit einer Richtervorlage an denVerfassungsgerichtshof zwingend erforderliche sichere Überzeugung von derVerfassungswidrigkeit der Ermächtigungsgrundlage (LadenöffnungsgesetzRheinland-Pfalz) habe das OLG nicht gewonnen. Ferner habe die nachträglicheVeränderung der für den Erlass der Landesverordnung bestimmend gewesenentatsächlichen Verhältnisse (Einstellung des Verkehrsflugbetriebs) nichtautomatisch zum Wegfall der Verordnung geführt. Hinzu trete, dass sich dieBeklagte an das geschriebene Recht halte und sich damit rechtstreu verhalte.Sie müsse die Gewissheit haben, dafür nicht – auch nicht auf die Zivilklageeines Wettbewerbers hin – sanktioniert zu werden.

 

Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH)zugelassen.

 

Quelle | OLG Zweibrücken, Urteil vom 4.8.2022, 4 U 202/21

Wettbewerb: Werbeaussage„klimaneutral“ muss nicht irreführend sein

 

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Einnahmen-Überschussrechnung: Umsatzsteuer kein durchlaufender Posten

| Das Finanzgericht (FG) Hamburg hat kürzlich die bisherige Sichtweise bzw. Handhabung bestätigt: Bei der Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschussrechnung sind vom Unternehmer vereinnahmte und verausgabte Umsatzsteuerbeträge keine durchlaufenden Posten. Es handelt sich hierbei vielmehr um in die Gewinnermittlung einzubeziehende Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben. | 

Quelle | FG Hamburg, Urteil vom 10.6.2022, 2 K 55/21

Steuervergünstigung: Erschütterung des für eine private Pkw-Nutzung sprechenden Anscheinsbeweises

| Einer der häufigsten Streitpunkte zwischen Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung sind betrieblich genutzte Pkw und ihre steuerliche Einordnung. Der für die Privatnutzung eines betrieblichen Pkw sprechende Anscheinsbeweis kann auch auf andere Weise als durch das Vorhandensein eines in Status und Gebrauchswert vergleichbaren Pkw im Privatvermögen erschüttert werden. Dies hat aktuell das Finanzgericht (FG) Münster entschieden. | 

Das war passiert

Zum Haushalt der verheirateten Steuerpflichtigen gehörten in den Streitjahren 2015 und 2016 zwei volljährige Kinder. Im Privatvermögen hielten sie im Streitzeitraum (teilweise nacheinander) insgesamt drei Kleinwagen, die in erster Linie von den Kindern genutzt wurden. Der Ehemann unterhielt auf dem Grundstück, auf dem sich auch das Wohnhaus der Familie befand, einen Gartenbaubetrieb. Hauptberuflich war er aber anderweitig als Arbeitnehmer beschäftigt, wobei der Weg zur Arbeitsstätte nur rund zwei Kilometer betrug. Die Ehefrau arbeitete neben 20 weiteren Arbeitnehmern bzw. Aushilfen auf Mini-Job-Basis im Betrieb ihres Ehemanns. 

Dienstwagen ohne Fahrtenbuchführung

Im Betriebsvermögen hielt der Ehemann neben einem dem Vorarbeiter zugeordneten Dienstwagen einen BMW X3 und ab Februar 2015 einen Ford Ranger, für die keine Fahrtenbücher geführt wurden. Für den BMW versteuerte er die Privatnutzung nach der Ein-Prozent-Regelung. Für den Ford Ranger setzte er keinen privaten Nutzungsanteil an. 

Finanzamt: Privatnutzung des Ford Ranger

Demgegenüber wandte das Finanzamt auch für den Ford Ranger die Ein-Prozent-Regelung an, da die privaten Fahrzeuge in Status und Gebrauchswert nicht mit diesem Pkw vergleichbar seien und nicht allen Familienmitgliedern jederzeit ein Fahrzeug zur privaten Nutzung zur Verfügung gestanden habe. 

Die Eheleute machten geltend, dass der Ford Ranger den Mitarbeitern des Betriebs arbeitstäglich permanent als Zugmaschine zur Verfügung stehen müsse. Aufgrund des Verschmutzungszustands sei es lebensfremd, dieses Fahrzeug an Wochenenden für Familienfahrten zu nutzen. Hierfür bleibe wegen der geringen jährlichen Fahrleistung von durchschnittlich 8.900 km auch kein Raum. 

Das FG Münster gelangte letztlich zu der Überzeugung, dass der Ford Ranger in den Streitjahren nicht privat genutzt wurde. 

Beweis des ersten Anscheins: Wenn Fahrzeug zur Verfügung steht, dann privat genutzt

Nach der allgemeinen Lebenserfahrung werden betriebliche Fahrzeuge, die zu privaten Zwecken zur Verfügung stehen, auch tatsächlich privat genutzt. Dafür spricht der Beweis des ersten Anscheins. Ein solcher Anscheinsbeweis kann jedoch (wie im Streitfall) erschüttert werden.  

Zwar handelt es sich bei dem Ford Ranger um ein Fahrzeug, das sich typischerweise auch für eine Privatnutzung eignet. Auch der ebenfalls privat genutzte betriebliche BMW X3 konnte den Anscheinsbeweis nicht erschüttern. Denn er stand wegen der betrieblichen Nutzung nicht vollumfänglich für Privatfahrten zur Verfügung. 

Letztlich hat sich das FG aber gegen den Beweis des ersten Anscheins und damit gegen eine Privatnutzung ausgesprochen – und zwar insbesondere aus folgenden Gründen:  

Es ist nachvollziehbar, dass der Ford Ranger aufgrund seiner Zugkraft permanent im Betrieb eingesetzt wurde. Darüber hinaus konnte der Ehemann den Pkw nicht den ganzen (Arbeits-)Tag über selbst nutzen, da er in den normalen Arbeitszeiten seiner Angestelltentätigkeit nachgegangen ist. Hierdurch war die Möglichkeit einer Privatnutzung erheblich eingeschränkt. 

Ferner berücksichtigte das FG Münster, dass beide Eheleute für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wegen der kurzen Entfernungen keinen Pkw benötigten. 

Beachten Sie | Den Anscheinsbeweis zu entkräften, ist alles andere als einfach. Hier kommt es in der Praxis auf den Einzelfall an. Wollen Steuerpflichtige die Ein-Prozent-Regelung vermeiden, sind sie mit der Führung eines (ordnungsgemäßen) Fahrtenbuchs auf der sicheren Seite. 

Quelle | FG Münster, Urteil vom 16.8.2022, 6 K 2688/19 E, PM Nr. 18 vom 15.9.2022, Rev. zugelassen

Energetische Gebäudesanierung: Kosten für den Energieberater sind nicht auf mehrere Jahre zu verteilen

| Energiesparmaßnahmen an und in Gebäuden sind zurzeit gefragt, wie nie. Steuerpflichtige, die ihre Immobilie zu eigenen Wohnzwecken nutzen, können eine Steuerermäßigung für durchgeführte energetische Maßnahmen nach dem Einkommensteuergesetz (§ 35 c EStG) im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung beantragen. Das Finanzministerium (FinMin) Schleswig-Holstein hat nun darauf hingewiesen, wie die Kosten für den Energieberater zu berücksichtigen sind. | 

Voraussetzungen

Die Steuerermäßigung setzt u. a. voraus, dass das Objekt bei Durchführung der Maßnahme älter als zehn Jahre ist. Maßgebend ist der Herstellungsbeginn. 

Je begünstigtem Objekt beträgt der Höchstbetrag der Steuerermäßigung 40.000 Euro. Die Steuerermäßigung wird über drei Jahre verteilt: Im Kalenderjahr des Abschlusses der energetischen Maßnahme und im nächsten Kalenderjahr können jeweils 7 % der Aufwendungen (max. 14.000 Euro jährlich) und im dritten Jahr 6 % der Aufwendungen (max. 12.000 Euro) von der Steuerschuld abgezogen werden. 

Kosten für den Energieberater

Kosten für den Energieberater sind in Höhe von 50 % der Aufwendungen im Jahr des Abschlusses der Maßnahme zu berücksichtigen und nicht auf drei Jahre zu verteilen. Die Kosten sind vom Höchstbetrag der Steuerermäßigung (40.000 Euro) und damit auch vom Höchstbetrag der Steuerermäßigung im Kalenderjahr des Abschlusses der Maßnahmen und im nächsten Kalenderjahr (je 14.000 Euro) und im übernächsten Kalenderjahr (12.000 Euro) umfasst. 

Beispiel

Aufwendungen für energetische Maßnahmen in 2021: 175.000 Euro, Kosten für den Energieberater: 10.000 Euro

       2021:   7 % von 175.000 Euro =12.250 Euro,
                    aufzufüllen mit den Kosten der Energieberatung in Höhe von 1.750 Euro bis 14.000 Euro

       2022:   wie 2021 (7 %) = 12.250 Euro

       2023:   6 % von 175.000 Euro =10.500 Euro

Folge: Es werden nur 1.750 Euro der Energieberatung berücksichtigt, obwohl der Gesamtabzugsbetrag (36.750 Euro) noch 3.250 Euro unter dem objektbezogenen Höchstbetrag liegt.

Quelle | FinMin Schleswig-Holstein, ESt-Kurzinformation Nr. 2022/1 vom 3.1.2022, VI 306 - S 2296 c - 001

Steuerregeln: Steuerguide für Influencer

| Influencer können häufig von ihren Einnahmen ihren Lebensunterhalt bestreiten und erzielen mitunter hohe Einkommen. Damit werden sie unter Umständen steuerpflichtig. Das Finanzministerium (FinMin) Baden-Württemberg hat in einem Steuerguide mit zielgruppengerechter Ansprache die wichtigsten Steuerregeln für Influencer zusammengestellt. Der Steuerguide, der unter www.iww.de/s6972 heruntergeladen werden kann, gibt einen kurzen Überblick darüber, welche Steuerarten für Influencer infrage kommen können und ob Betroffene ihre Tätigkeit beim Finanzamt anzeigen müssen. |

Quelle | OLG Stuttgart, Urteil vom 24.8.2022, 4 U 13/22

Lebensversicherung: Fristbeginn des Widerspruchs „ab Erhalt der Unterlagen“

| Eine Widerspruchsbelehrung zu einem Lebensversicherungsvertrag, die für den Beginn des Fristenlaufs für den Widerspruch auf „den Erhalt“ der Unterlagen abstellt, ist ausreichend. So entschied es jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Dresden. | 

Die Begründung des OLG: Ohne dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen kennen muss, wird er nach seinem maßgeblichen Empfängerhorizont die Belehrung so verstehen, dass die Frist durch den Zugang der genannten Unterlagen in Gang gesetzt wird und 14 Tage später am gleichen Wochentag abläuft. Die Belehrung vermittelt insbesondere nicht den falschen Eindruck, der Tag des Zugangs des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen zähle mit. 

Quelle | OLG Dresden, Beschluss vom 6.1.2022, 4 U 2394/21

Flugverspätung: Ausgleichsanspruch für Fluggäste bei verspäteten Anschlussflügen unterschiedlicher Airlines

 

| Der Ausgleichsanspruch für Fluggäste wegen großer Verspätung gilt auch bei einem Flug mit direkten Anschlussflügen, bei dem die Flüge von unterschiedlichen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden. Wurden die Flüge von einem Reisebüro kombiniert, das einen Gesamtpreis in Rechnung gestellt und einen einheitlichen Flugschein ausgegeben hat, ist unerheblich, dass zwischen den Luftfahrtunternehmen keine rechtliche Beziehung besteht. So hat es der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden. | 

Das war geschehen

Ein Fluggast erwarb über ein Reisebüro einen elektronischen Flugschein über drei Flüge für die Strecke von Stuttgart nach Kansas City. Der erste Flug, von Stuttgart nach Zürich, wurde von Swiss International Air Lines durchgeführt, während die beiden Flüge von Zürich nach Philadelphia und von Philadelphia nach Kansas City von American Airlines durchgeführt wurden. Auf den Bordkarten für diese Flüge war die Nummer des elektronischen Flugscheins verzeichnet. Außerdem war auf dem Flugschein American Airlines als Dienstleistungserbringerin angegeben und der Flugschein war mit einer einheitlichen Buchungsnummer für die gesamte Strecke versehen. Darüber hinaus stellte das Reisebüro eine Rechnung aus, die einen Gesamtpreis für die gesamte Strecke sowie für den Rückflug auswies. 

Die Flüge von Stuttgart nach Zürich und von Zürich nach Philadelphia fanden planmäßig statt. Der Flug von Philadelphia nach Kansas City dagegen war bei der Ankunft um mehr als vier Stunden verspätet. Vor den deutschen Gerichten klagte flightright, eine Gesellschaft für Rechtshilfe für Fluggäste, an die die durch diese Verspätung entstandenen Ansprüche abgetreten worden waren, gegen American Airlines auf eine Ausgleichszahlung von 600 Euro nach der Verordnung Nr. 261/2004 über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen. Der mit der Sache befasste Bundesgerichtshof (BGH) hat dem EuGH Fragen zur Auslegung dieser Verordnung vorgelegt. 

So sieht es der Europäische Gerichtshof

Der EuGH entschied: Der Begriff „direkte Anschlussflüge“ erfasst einen Beförderungsvorgang mit Ausgangspunkt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union,

  • der aus mehreren Flügen besteht,  
  • die von unterschiedlichen, nicht durch eine rechtliche Beziehung miteinander verbundenen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden,  
  • wenn diese Flüge von einem Reisebüro zusammengefasst wurden,  
  • das für diesen Vorgang einen Gesamtpreis in Rechnung gestellt und
  • einen einheitlichen Flugschein ausgegeben hat.

Der EuGH weist darauf hin, dass der Begriff „direkte Anschlussflüge“ so zu verstehen ist, dass er zwei oder mehr Flüge bezeichnet, die für die Zwecke des in der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Ausgleichsanspruchs von Fluggästen eine Gesamtheit darstellen. Eine solche Gesamtheit liegt vor, wenn die Flüge Gegenstand einer einzigen Buchung waren. 

Beförderungsvorgang beruhte auf einer einzigen Buchung

Hier verfügte der Fluggast über einen Flugschein, der einen Beleg dafür darstellte, dass die Buchung der gesamten Reise von Stuttgart nach Kansas City von einem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert worden war. Bei einem solchen Beförderungsvorgang ist davon auszugehen, dass er auf einer einzigen Buchung beruht, sodass es sich um „direkte Anschlussflüge“ handelt. Die Flüge, um die es hier ging, wurden von unterschiedlichen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt, zwischen denen keine rechtliche Beziehung bestand. Der EuGH stellte fest, dass die Verordnung über Ausgleichsleistungen für Fluggäste keine Bestimmung enthält, wonach die Einstufung als Flug mit direkten Anschlussflügen davon abhängt, dass eine besondere rechtliche Beziehung zwischen den ausführenden Luftfahrtunternehmen besteht, die die einzelnen Flüge, aus denen sich der Flug zusammensetzt, durchführen. Eine solche zusätzliche Bedingung würde dem Ziel der Sicherstellung eines hohen Schutzniveaus für Fluggäste zuwiderlaufen, da dadurch namentlich deren Ausgleichsanspruch bei großer Verspätung ihres Flugs beschränkt werden könnte. 

Quelle | EuGH, Urteil vom 6.10.2022, C-436/21

Hassrede: Nachholung im Prozess: unterlassene Anhörung vor Löschung eines Posts bei Facebook

| Hassrede oder freie Meinungsäußerung? Das beschäftigt häufig die Gerichte. Nach einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (BGH) sind die Regelungen in den Nutzungsbedingungen unwirksam, die Facebook in einem Fall der Hassrede eine Befugnis zur Löschung dieses Posts einräumen. Sie sehen kein Verfahren vor, aufgrund dessen der betroffene Nutzer über die Entfernung umgehend informiert, ihm der Grund dafür mitgeteilt und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung eingeräumt wird, woran sich eine neue Entscheidung mit der Möglichkeit der Wiederfreischaltung des Posts anschließt. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat nun entschieden, dass die fehlende Anhörung seitens der Beklagten im Verfahren nachgeholt werden kann. Außerdem hat es entschieden: Wenn die Anhörung zu keiner anderen Bewertung führt, kann der betroffene Nutzer dann nicht die Wiederfreischaltung des Posts beanspruchen. Das Löschungsrecht ergebe sich in diesem Fall bei einem vertragswidrigen Post aus dem Nutzungsvertrag. | 

Das war geschehen

Die Beklagte ist in Deutschland Vertragspartnerin der Nutzer von Facebook. Der Kläger stimmte den im April 2018 geänderten Nutzungsbedingungen der Beklagten zu. Im November 2018 postete er im Zusammenhangmit einem Artikel über die gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Afghanen in einer Flüchtlingsunterkunft, in deren Verlauf diese untereinander Messer eingesetzt hatten, u. a.: „Solange diese sich gegenseitig abstechen ist es doch o. k. Ist jemand anderer Meinung? Messer-Emoji“. Die Beklagte löschte diesen Beitrag und sperrte außerdem vorübergehend Teilfunktionen des klägerischen Kontos. Der Kläger begehrte daraufhin vor dem Landgericht (LG) unter anderem die Freischaltung des gelöschten Beitrags. Das LG hat die Klage abgewiesen. 

Berufungsinstanz: Kein Anspruch auf Wiederfreischaltung

Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Wiederfreischaltung des gelöschten Posts. Der Post sei zwar eine Meinungsäußerung. Er verstoße aber gegen die über die Nutzungsbedingungen einbezogenen Bestimmungen in den Gemeinschaftsstandards zur Hassrede. Der Begriff der Hassrede sei hinreichend transparent und in den Regelungen selbst definiert worden. Erfasst würden u. a.„Angriffe durch eine gewalttätige und entmenschlichende Sprache, durch Aussagen über Minderwertigkeit und durch Aufrufe, Personen auszuschließen und zu isolieren“. Die Beklagte sei auch berechtigt, ein Verbot von Hassrede vorzusehen, „durch das auch nicht strafbare oder rechtsverletzende Meinungsäußerungen erfasst werden“. Sie dürfe den Nutzern ihres Netzwerks bestimmte Kommunikationsstandards vorgeben, die über die strafrechtlichen Vorgaben hinausgingen. Die Verhaltensregeln sollten einen Kodex für „einen respektvollen Umgang miteinander“ enthalten. 

Post entspricht den Merkmalen von Hassrede

Hier verstehe der flüchtige Leser die Äußerung so, dass es dem Kläger „gleichgültig ist bzw. er es in Ordnung finde, wenn afghanische Flüchtlinge sich gegenseitig abstechen“. Dies unterfalle dem Bereich der Hassrede. 

Bundesgerichtshof: Regelungen zum Löschen von Posts unwirksam

Soweit die Löschung des Posts erfolgte, ohne den Kläger umgehend zu informieren und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme mit anschließender Neuentscheidung zu gegeben, könne die Beklagte sich zwar nicht auf ihre Regelungen zum Entfernungs- und Sperrvorbehalt berufen. Diese seien gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) unwirksam. 

Anhörung erfolgte nachträglich im Prozess

Die Beklagte sei aber zur Löschung unmittelbar aus dem Nutzungsvertrag berechtigt. Die Verfahrensanforderungen zur Information des Betroffenen über die Löschung ergäben sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung. Durch die Unwirksamkeit der Klausel über den Entfernungs- und Sperrvorbehalt sei im vertraglichen Gefüge eine Lücke entstanden, die im Wege der Auslegung zu schließen sei. Über diese ergänzende Vertragsauslegung sei die Beklagte verpflichtet, den Nutzer über die Entfernung eines Beitrags zu informieren und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme und Neuentscheidung zu geben. Dies sei im Rahmen des hiesigen Prozesses nachgeholt worden. Der anfängliche Anhörungsfehler sei damit nachträglich geheilt worden. 

Grundsätzliche Bedeutung: BGH muss klären

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Das OLG hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum BGH u. a. hinsichtlich des dargestellten Antrags auf Wiederherstellung des gelöschten Artikels zugelassen. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 30.6.2022, 16 U 229/20, PM 54/22

Mietende: Ohne Vorenthaltung gibt es keine Nutzungsentschädigung

| Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 546 a BGB) kann der Vermieter als Entschädigung die vereinbarte Miete oder die Miete verlangen, die für vergleichbare Sachen ortsüblich ist, wenn der Mieter die Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses nicht zurückgibt. Voraussetzung: Der Mieter muss die Mietsache dem Vermieter „vorenthalten“. Die Mietsache wird jedoch nicht vorenthalten, wenn der Vermieter – wie hier – das Fehlen des erforderlichen Rücknahmewillens bekundet, etwa dadurch, dass er die angebotene Rückgabe ablehnt oder zu erkennen gibt, dass er das Mietverhältnis als nicht beendet ansieht. So hat es nun das Landgericht (LG) Berlin entschieden. | 

Das LG Berlin „kassierte“ damit eine Entscheidung des Amtsgerichts (AG), das anderer Auffassung war und sich gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) gestellt hatte. 

Quelle | LG Berlin, Urteil vom 22.3.2022, 67 T 13/22

Erwartete Kostensteigerungen: Betriebskostenvorauszahlungen dürfen nicht ohne Weiteres erhöht werden

| Die Mietvertragsparteien können wirksam formularvertraglich vereinbaren, dass ein beiderseitiges Anpassungsrecht der Betriebskostenhöhe durch zugangsbedürftige Erklärung bei Kostenänderungen aufgrund von geänderten Bezugspreisen besteht. Insoweit kommt es aber darauf an, ob sich der Vermieter auch bei entsprechenden Kostensteigerungen eine Erhöhung der Vorauszahlung mietvertraglich zusätzlich vorbehalten hat. So sieht es das Amtsgericht (AG) Hamburg. | 

Der Vermieter einer Wohnung verlangte vom Mieter bei einer Betriebskostennachforderung von 11,52 Euro eine Erhöhung der monatlichen Vorauszahlungen um 45,40 Euro. Er begründete die Erhöhung mit nicht näher spezifizierten erwarteten Kostensteigerungen. Das wollte der Mieter nicht mitmachen. Auch dem AG Hamburg genügt das nicht. Die entsprechende Erklärung genüge nicht den Anforderungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 560 Abs. 4 BGB), da dieses ausdrücklich auf das Ergebnis einer Betriebskostenabrechnung abstelle. 

Quelle | AG Hamburg, Urteil vom 27.6.22, 49 C 13/22

Nutzungsuntersagung: Kommen Ratten, müssen Mieter gehen

| Kommt es in einem Wohnhaus zu einem Rattenbefall und beruht dieser auf baulichen Mängeln, kann eine Nutzungsuntersagung ergehen. Das hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg entschieden. | 

Die Bauaufsicht hatte im Mehrfamilienhaus des Klägers erheblichen Rattenbefall und erhebliche Defekte an der dortigen baulichen Substanz festgestellt. Zudem bestand eine erhöhte Gesundheitsgefährdung für die Mieter. Die Behörde untersagte daraufhin die Nutzung aller Wohnungen. Sie erklärte die Wohnungen für sämtliche Mieter als unbewohnbar. Deren Widerspruch wurde zurückgewiesen. Später wurde die Nutzungsuntersagung aufgehoben, da kein Rattenbefall mehr vorlag und es ihn wohl in zwei Wohnungen auch nie gegeben hatte. 

Das OVG hielt die Nutzungsuntersagung trotzdem für rechtmäßig. Unerheblich sei, dass später kein Rattenbefall mehr vorhanden war. Entscheidend sei nämlich die sog. „ex-ante-Prognose“, also die Prognose zum Zeitpunkt der Entscheidung – selbst, wenn sie sich später als falsch herausstellt. Die betreffenden Räumlichkeiten genügten außerdem nicht den Anforderungen der Niedersächsischen Bauordnung. Löcher in Wänden und Decken ließen einen fortlaufenden Rattenbefall befürchten, so das OVG. 

Quelle | OVG Lüneburg, Beschluss vom 14.3.2022, 1 LA 127/21

Inhaltsirrtum: Wenn die Erbausschlagung missglückt…

| Ein Irrtum über die Person desjenigen, dem die Ausschlagung der Erbschaft zugutekommt, berechtigt nicht zur Anfechtung. Es handelt sich dabei lediglich um einen unbeachtlichen Motivirrtum. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Hamm. | 

Die Kinder der Ehefrau des Erblassers hatten das Erbe mit dem Ziel ausgeschlagen, die Alleinerbenstellung der Mutter zu erreichen. Sie hatten dabei aber verkannt, dass sich dann noch die Frage nach anderen gesetzlichen Erben der ersten und zweiten Ordnung stellt. Die auf diese Erkenntnis folgende Anfechtung der Erbausschlagung hat das OLG zurückgewiesen. 

Man kann aber auch anderer Meinung sein. So hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf entschieden, dass ein zur Anfechtung berechtigender Inhaltsirrtum vorliegt, wenn der (auch rechtskundig beratene) Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen, sondern wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt. 

Beachten Sie | Bei Erbausschlagungen ist also stets Vorsicht geboten. 

Quelle | OLG Hamm, Urteil vom 21.4.2022, 15 W 51/19; OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 21.9.2017, 3 Wx 173/17 und vom 12.3.2019, 3 Wx 166/17

Leistungskürzung: So ist die Abrechnung von Stundenlohnarbeiten zu prüfen

| Bei der Rechnungsprüfung von Stundenlohnarbeiten oder Zeithonoraren wird oft darüber gestritten, ob der abgerechnete Zeitaufwand tatsächlich erforderlich war. Das Oberlandesgericht (OLG) Köln hat dazu nun wichtige Grundsätze aufgestellt. | 

Im Fall des OLG ging es um die Abrechnung von Handschachtungen (z. B. „Zwischentransport der Handschachtung in Schubkarre und Aufladen auf Fahrzeug“). Der Auftraggeber kürzte die Zahl der abgerechneten Stunden, der Auftragnehmer klagte.

Das OLG hat sich zwar nur allgemein geäußert. Seine Ausführungen können aber im Rahmen der Bauüberwachung bei der Rechnungsprüfung nützlich sein:

  • Zum einen muss die Rechnungskürzung konkrete, einzelfallbezogene Angaben enthalten, aus denen die konkreten Kürzungsgründe hervorgehen.  
  • Zum anderen muss der Auftraggeber Anhaltspunkte schildern, dass der abgerechnete Zeitaufwand keiner wirtschaftlichen Leistungsausführung entspricht.

Das OLG: An die fachlichen Anforderungen zur Begründung der Kürzung dürfen keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Es genügen Kürzungsgründe, die der Rechnungssteller auf ihre Richtigkeit überprüfen und somit darauf eingehen kann.

Quelle | OLG Köln, Urteil vom 16.12.2021, 7 U 12/20

Honorarvereinbarungen: Mindestsätze der HOAI 2013 bei Verträgen zwischen Privatpersonen weiter anwendbar

| Die Mindestsätze der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI 2013) können in einem laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen weiter als verbindliches Preisrecht anzuwenden sein. Folge: Aufstockungsklagen können Erfolg haben. So entschied es der Bundesgerichtshof (BGH). | 

Der BGH: Deutschland hat mit dem verbindlichen Preisrecht der HOAI 2013 zwar gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie verstoßen. Trotzdem kann sich ein Planer grundsätzlich auf eine bestehende nationale Rechtsvorschrift (hier: HOAI 2013) berufen, solange diese weiterhin im Land gültig und im Verhältnis der Parteien anwendbar ist. Die EU-Dienstleistungsrichtlinie muss zunächst in nationales Recht umgesetzt werden, um bei Verträgen zwischen Privatpersonen zu gelten. Das war aber erst mit der HOAI 2021 erfolgt. Nach den o. g. Maßgaben ist die HOAI 2013 folglich bei Verträgen zwischen Privaten weiterhin anwendbar (Vertragsabschluss bis 31.12.2020). 

Im konkreten Fall hatte ein Planer im Jahr 2016 einen Vertrag abgeschlossen, der ein Pauschalhonorar enthielt. Zu diesem Zeitpunkt galt die HOAI 2013. Das vereinbarte Pauschalhonorar lag unter dem Mindestsatz. Der Planer klagte die Differenz zum Mindestsatz ein. Es ging immerhin um 102.934,59 Euro. Diese Aufstockungsklage hatte Erfolg. 

Quelle | BGH, Urteil vom 2.6.2022, VII ZR 174/19

Unvollständige Grundlagenermittlung: Architekt haftet nicht für entgangene Steuervergünstigungen

| Ein mit der Grundlagenermittlung und Entwurfsplanung beauftragter Architekt muss seinen Auftraggeber über ein denkmalschutzrechtliches Genehmigungserfordernis aufklären. Zweck dieser Pflicht ist es, den Bauherrn in die Lage zu versetzen, die Realisierungschancen des Vorhabens einschätzen zu können. Nicht zum Schutzzweck der Verpflichtung gehört dagegen, den Bauherrn vor etwaigen Steuerschäden im Zusammenhang mit bestehenden Genehmigungserfordernissen zu bewahren. Der Bauherr kann deshalb bei unvollständiger Grundlagenermittlung nicht Ersatz entgangener steuerlicher Vergünstigungen beanspruchen. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. hat die Berufung der Bauherren zurückgewiesen. |

Das war geschehen

Die Bauherren beabsichtigten, eine Dachgeschosswohnung im Frankfurter Westend zu sanieren und beauftragten einen Architekten mit Architektenleistungen. Dieser klagte vor dem Landgericht (LG) ausstehendes Honorar ein. Die Bauherren beriefen sich dagegen u.a. auf Schadenersatzansprüche gegen den Architekten, da fälschlich erklärt worden sei, dass denkmalschutzrechtliche Gesichtspunkte beim Innenausbau unbeachtlich seien. Tatsächlich hätten sie bei richtiger Aufklärung das gesamte Bauvorhaben im Wege einer Sonderabschreibung nach dem Einkommensteuergesetz (§ 7 h EStG) fördern lassen können. Ihnen sei wegen der falschen Aufklärung damit ein Steuerschaden in Höhe von gut 5.000 Euro entstanden. 

So sahen es die Gerichte

Das LG hatte dem Architekten ausstehendes Honorar zugesprochen und den Schadenersatzanspruch der beklagten Bauherren wegen entgangener Steuervergünstigungen abgewiesen. Die Berufung der Bauherren hiergegen hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. 

Der Architekt habe zwar pflichtwidrig nicht über die denkmalschutzrechtliche Genehmigungsbedürftigkeit aufgeklärt, begründet das OLG seine Entscheidung. Auch im Rahmen der hier beauftragten Grundlagenermittlung und Entwurfsplanung müsse ein Architekt über die Genehmigungsbedürftigkeit eines Bauvorhabens vollständig und richtig informieren. Die Entwurfsplanung müsse zudem genehmigungsfähig erstellt werden. Dabei komme es nicht darauf an, ob bei der Beauftragung der Bauherr zum Ausdruck gebracht habe, bestimmte steuerliche Vergünstigungen in Anspruch nehmen zu wollen. 

Es fehle aber am Zurechnungszusammenhang zwischen dieser Pflichtverletzung und dem behaupteten Steuerschaden. Grundsätzlich hafte der Vertragspartner bei einer Pflichtverletzung nur für Schäden, die bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Pflichten gerade verhindert werden sollen. Dieser Schutzzweckzusammenhang liegt hier nicht vor. Die ordnungsgemäße Grundlagenermittlung betreffe zwar auch wirtschaftliche Folgen eines Bauvorhabens. Sie solle den Bauherrn über die erwarteten Kosten informieren, damit er sich auf einer geeigneten Grundlage für die Durchführung des Vorhabens entscheiden kann. Es bestehe aber keine allgemeine Verpflichtung des Architekten, in jeder Hinsicht die Vermögensinteressen des Bauherrn wahrzunehmen. Die Ermittlung der Genehmigungsbedürftigkeit betreffe nicht die wirtschaftlichen Fragen des Bauvorhabens, sondern diene dazu, die Realisierungschancen einschätzen zu können. „Sie zielt – jedenfalls ohne weitere Vereinbarung oder besondere Umstände – nicht darauf, dem Besteller die Möglichkeit steuerlicher Vergünstigungen zu erschließen“, betont das OLG. Solche Vergünstigungen seien vielmehr allein ein „Reflex der Genehmigung“. 

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar. 

Quelle | OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 25.4.2022, 29 U 185/20, PM 53/22

Entlassungen: Wenn der Arbeitgeber von den Sozialauswahlkriterien abweicht, die er dem Betriebsrat mitgeteilt hat…

| Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat im Rahmen der Konsultation schriftlich über die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer unterrichten. Was aber, wenn er beabsichtigt, in wesentlichem Umfang von den Kriterien der Sozialauswahl abzuweichen, die er dem Betriebsrat bei Einleitung des Konsultationsverfahrens mitgeteilt hat? Dann muss er dies nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Düsseldorfdem Betriebsrat mitteilen. | 

Unterlässt er dies, ist eine nach den veränderten Kriterien für die Sozialauswahl ausgesprochene Kündigung wegen Verletzung der Unterrichtungspflicht unwirksam. 

Geklagt hatte ein Flugkapitän, der mehr als 15 Jahre bei einer Fluggesellschaft mit über 2.000 Mitarbeitern beschäftigt war. Somit konnte eine Kündigung nur aus wichtigem Grund erfolgen. Die Fluggesellschaft wollte als wirtschaftliche Maßnahmen eine Flottenreduzierung, Stationsschließungen und die Neustrukturierung des Streckennetzes vornehmen. Dementsprechend sollte das Personal reduziert werden. 

Unter anderem, weil das Gericht weder eine ordnungsgemäße Anhörung der Personalvertretung noch eine hinreichende Darstellung des betriebsbedingten Kündigungsgrundes feststellen konnte, war die Kündigung unwirksam. 

Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 24.3.2022, 13 Sa 998/21

Gleichbehandlungsgrundsatz: Betroffener muss wie ein vergleichbarer Mitarbeiter gestellt werden

| Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz erfasst auch freiwillige aktienorientierte Vergütungsbestandteile in Form sogenannter Phantom Shares. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg. | 

Die Parteien stritten zweitinstanzlich u. a. über aktienorientierte Vergütungsbestandteile des Arbeitnehmers (Klägers). Der Arbeitnehmer meinte, sie stünden ihm – wie vergleichbaren Mitarbeitern auch – zu, während der Arbeitgeber (Beklagter) ihm diese verweigerte. 

Das OLG befand, dass der Arbeitnehmer einen solchen Anspruch hatte. Da ihm dieser zu Unrecht verweigert worden war, müsse er so gestellt werden, wie vergleichbare Mitarbeitende der entsprechenden Führungsebene. Werde aber die beanspruchte Zuteilung solcher Phantom Shares entsprechend den Regelungen des Performance Phantom Share Plans über die damit verfolgte personenbezogene Ziel- und Zwecksetzung durch Zeitablauf unmöglich, komme als Sekundäranspruch ein Schadenersatzanspruch in Betracht. 

Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.10.2021, 7 Sa 26/21

Betriebsübergang: Widerspruchsfrist greift nicht bei unvollständiger Information des Arbeitgebers

| Die Monatsfrist des § 613 a Abs. 6 S. 1 BGB zum Widerspruch gegen den Übergang eines Arbeitsverhältnisses infolge Betriebsübergangs beginnt nicht nur bei fehlerhafter Information des Arbeitnehmers nicht zu laufen, sondern auch nicht bei unvollständiger Information. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf. | 

Geht es um die rechtlich schwierig zu beurteilende (Weiter-)Geltung eines Tarifvertrags beim Erwerber und ist dieser Umstand für die Ausübung des Widerspruchsrechts ersichtlich von Bedeutung, müssen der Betriebsveräußerer und/oder der Betriebserwerber sich hierzu ausdrücklich und in einer für Nichtjuristen verständlichen Weise erklären. Danach konnte das Unterrichtungsschreiben des Arbeitgebers die o. g. Widerspruchsfrist nicht in Gang setzen, weil die dort enthaltenen Informationen teilweise – wenn auch nicht notwendig falsch – so doch zumindest unklar und unvollständig waren. Ihm ließ sich vor allem nicht entnehmen, ob ein bestimmter Tarifvertrag im Fall des Übergangs des Arbeitsverhältnisses gelten sollte oder nicht.  

Dieser Umstand ist so bedeutend, dass er als relevantes Kriterium für einen möglichen Widerspruch des Klägers gegen einen Übergang seines Arbeitsverhältnisses in Betracht kam. 

Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 26.7.2022, 8 Sa 68/20

Änderungskündigung: Elternzeit schützt nicht vor Kündigung

| Eine Arbeitnehmerin hat sich erfolglos gegen eine während der Elternzeit aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochenen Änderungskündigung gewandt. Das Integrationsamt hatte der Kündigung zugestimmt. Dabei bleib es auch nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Berlin-Brandenburg. | 

Durch die Änderung sollte das Arbeitsverhältnis zu den Bedingungen und mit den Aufgaben durchgeführt werden, die die Arbeitnehmerin vor Zuweisung des nach Behauptung der Arbeitgeberin weggefallenen anderweitigen Arbeitsplatzes innehatte. Bei einer Änderungskündigung handelt es sich nämlich um eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses – verbunden mit dem gleichzeitigen Angebot, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Arbeitsbedingungen fortzusetzen. 

Der ursprüngliche Arbeitsplatz der Arbeitnehmerin sei durch eine zulässige unternehmerische Entscheidung weggefallen. Eine Beschäftigung zu den bisherigen Bedingungen sei nicht mehr möglich. Deshalb habe die Arbeitgeberin nach der Zustimmung des Integrationsamts der Arbeitnehmerin auch während der Elternzeit kündigen und ihr anbieten dürfen, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedingungen fortzusetzen. 

Da die Arbeitnehmerin das Änderungsangebot abgelehnt hat, wurde das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung beendet. 

Quelle | LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5.7.2022, 16 Sa 1750/21, PM 15/22 vom 6.7.2022

Markenrechtsstreit: Markenverletzung durch Angebot von „The-Dog-Face“-Tierkleidung

| Zwischen den Zeichen „The North Face“ und „The Dog Face“ besteht keine Verwechslungsgefahr. Da die Marke „The North Face“ jedoch in erheblichem Maß bekannt ist, wird der Verkehr trotz der erkennbar unterschiedlichen Bedeutung von „Dog“ und „North“ die Zeichen gedanklich miteinander verknüpfen. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat der Antragsgegnerin eines markenrechtlichen Rechtsstreits die Verwendung des Zeichens „The Dog Face“ im Zusammenhang mit Tierbekleidung untersagt. | 

Das war geschehen

Die Antragstellerin ist Inhaberin der Marke „The North Face“, die u. a. für Bekleidung eingetragen ist. Die Antragsgegnerin vertreibt online Bekleidung für Tiere und kennzeichnet diese mit „The Dog Face“. Im Eilverfahren geltend gemachten Unterlassungsansprüche der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin hatte das Landgericht (LG) abgewiesen. 

Die hiergegen gerichtete Beschwerde hatte vor dem OLG nun Erfolg. Die Antragstellerin könne von der Antragsgegnerin verlangen, dass sie ihre Tierbekleidungsprodukte nicht mit „The Dog Face“ kennzeichnet, stellte das OLG fest. Die Marke „The North Face“ sei eine bekannte Marke. Sie sei einem bedeutenden Teil des Publikums bekannt. 

Zeichenähnlichkeit durch Wortfolge

Die Antragsgegnerin benutze diese Marke in rechtsverletzender Weise, da die Verkehrskreise das Zeichen „The Dog Face“ gedanklich mit „The North Face“ verknüpften. Nicht erforderlich sei dabei, dass zwischen den Zeichen Verwechslungsgefahr bestehe. An dieser würde es hier fehlen. Es liege aber Zeichenähnlichkeit vor. Die Wortfolge „The Dog Face“ lehne sich erkennbar an die Marke „The North Face“ an. Da die Marke der Antragstellerin in erheblichem Maß bekannt sei und durch intensive Benutzung ein hohes Maß an Unterscheidungskraft besitze, verknüpfe der Verkehr trotz der unterschiedlichen Bedeutung von „Dog“ und „North“ das Zeichen der Antragsgegnerin mit der Marke der Antragstellerin. Dies gelte auch, da eine gewisse Warenähnlichkeit zwischen Outdoor-Bekleidung und Tierbekleidung bestehe. Insoweit genüge es, „dass das Publikum glauben könnte, die betreffenden Waren stammten aus demselben oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen“. Es liege die Vermutung nahe, dass die angesprochenen Verkehrskreise annehmen, die Antragstellerin habe ihr Bekleidungssortiment auf Hundebekleidung erweitert, etwa um es „dem sporttreibenden Hundebesitzer zu ermöglichen, seinen Outdoor-Sport im Partnerlook mit dem Tier zu betreiben“. 

Markenwertschätzung sollte ausgenutzt werden

Die Zeichenverwendung beeinträchtige auch die Marke der Antragstellerin. Die Antragsgegnerin lehne sich mit dem Zeichen an die bekannte Marke der Antragstellerin an, um deren Wertschätzung für ihren Absatz auszunutzen. 

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 28.6.2022, 6 W32/22, PM 57/22

Rückforderungen: NRW unterliegt im Rechtsstreit um die Rückzahlung von Corona-Soforthilfen

| Die Bescheide, mit denen die Bezirksregierung Düsseldorf geleistete Corona-Soforthilfen von den Empfängern teilweise zurückgefordert hat, sind rechtswidrig. Das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf hat den Klagen von drei Zuwendungsempfängern gegen das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) stattgegeben. | 

Das war geschehen

Infolge von Ende März bzw. Anfang April 2020 erlassenen Bewilligungsbescheiden der zuständigen Bezirksregierung Düsseldorf erhielten die Kläger zunächst Soforthilfen in Höhe von jeweils 9.000 Euro. Im Zuge von Rückmeldeverfahren setzte die Behörde die Höhe der Soforthilfe später auf ca.2.000 Euro fest und forderte demzufolge rund 7.000 Euro zurück. Das VG Düsseldorf hat nun entschieden, dass diese Schlussbescheide rechtswidrig sind. 

Die in den Bewilligungsbescheiden zum Ausdruck gekommene Verwaltungspraxis des Landes stimmte mit den in den Schlussbescheiden getroffenen Festsetzungen nicht überein. Während des Bewilligungsverfahrens durften die Hilfeempfänger aufgrund der Formulierungen in den Hinweisen, den Antragsvordrucken und den Zuwendungsbescheiden davon ausgehen, dass pandemiebedingte Umsatzausfälle für den Erhalt und das Behalten der Geldleistungen ausschlaggebend sein sollten. 

Demgegenüber stellte das Land bei den Schlussbescheiden auf einen Liquiditätsengpass ab, der eine Differenz zwischen den Einnahmen und Ausgaben des Geschäftsbetriebs, also einen Verlust, voraussetzte. Dies ist nach Ansicht des VG Düsseldorf jedoch rechtsfehlerhaft, weil diese Handhabung von der maßgeblichen Förderpraxis abwich. 

Richtlinie: Definition eines Liquiditätsengpasses

Die Richtlinie des damaligen Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes NRW (MWIKE.NRW) vom 31.5.2020 enthielt erstmals eine Definition des Liquiditätsengpasses. Trotz ihres rückwirkenden Inkrafttretens wurde sie bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Schlussbescheide vom VG Düsseldorf nicht berücksichtigt. 

Abgesehen davon, so das VG Düsseldorf, waren die Bewilligungsbescheide hinsichtlich einer etwaigen Rückerstattungsverpflichtung auch missverständlich formuliert. So war nicht klar ersichtlich, nach welchen Parametern eine Rückzahlung zu berechnen ist. 

Bereits 500 Verfahren

Beachten Sie | Mitte August 2022 waren etwa 500 Klageverfahren rund um den Komplex der Corona-Soforthilfen beim VG Düsseldorf anhängig. In den drei entschiedenen Verfahren, die repräsentativ für einen Großteil der weiteren Verfahren sind, wurde die Berufung zum Oberverwaltungsgericht (OVG) für das Land NRW zugelassen. 

Quelle | VG Düsseldorf, Urteile vom 16.8.2022, 20 K 7488/20, 20 K 217/21 und 20 K 393/22; PM vom 16.8.2022

Bundesarbeitsgericht: Einführung elektronischer Zeiterfassung: Müssen alle nun „zurück zur Stechuhr“?

| Der Arbeitgeber ist nach dem Arbeitsschutzgesetz (hier: § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG) verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Aufgrund dieser gesetzlichen Pflicht kann der Betriebsrat die Einführung eines Systems der (elektronischen) Arbeitszeiterfassung im Betrieb nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen. Ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht besteht nur, wenn und soweit die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich geregelt ist. Das hat jetzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. | 

Das war geschehen

Der antragstellende Betriebsrat und die Arbeitgeberinnen, die eine vollstationäre Wohneinrichtung als gemeinsamen Betrieb unterhalten, schlossen im Jahr 2018 eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit. Zeitgleich verhandelten sie über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung. Eine Einigung hierüber kam nicht zustande. Auf Antrag des Betriebsrats setzte das Arbeitsgericht (ArbG) eine Einigungsstelle zum Thema „Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung einer elektronischen Zeiterfassung“ ein. Nachdem die Arbeitgeberinnen deren Zuständigkeit gerügt hatten, leitete der Betriebsrat dieses Beschlussverfahren ein. Er hat die Feststellung begehrt, dass ihm ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems zusteht. 

So entschieden die Instanzen

Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen hatte vor dem BAG Erfolg. Der Betriebsrat muss in sozialen Angelegenheiten nur mitbestimmen, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Bei unionsrechtskonformer Auslegung des Arbeitsschutzgesetzes (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG) ist der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. Dies schließt ein – ggf. mithilfe der Einigungsstelle durchsetzbares – Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung aus. 

Weitreichende Folgen

Und nun? Müssen alle Arbeitnehmer „zurück zur Stechuhr“? Da das BAG keine Gesetzgebungskompetenz hat, ergibt sich daraus zunächst kein sofortiger Handlungsbedarf der Arbeitgeber. Hier muss auf eine gesetzliche Vorgabe gewartet werden. Bisher hat der deutsche Gesetzgeber auf die Vorgabe des EuGH noch nicht reagiert. Dies wird er aber tun müssen. Fraglich ist dabei, wie dies umgesetzt werden kann. So sollen auch künftig flexible Arbeitszeitmodelle (z. B. Vertrauensarbeitszeit) möglich sein. Auch darf der bürokratische Aufwand nicht zu hoch werden, um die Produktivität der Arbeitnehmer nicht einzuschränken. Fragen von Homeoffice, Überstunden, etc. sind zu beantworten. Das Bundesarbeitsministerium teilte dazu mit, dass die weitere Vorgehensweise geprüft werde. Mit schnellen Ergebnissen ist wohl vorerst nicht zu rechnen. Gleichwohl sollte sich jeder Arbeitgeber bereits jetzt Gedanken darüber machen, wie er eine entsprechende Dokumentation vornehmen könnte. 

Quelle | BAG, Beschluss vom 13.9.2022, 1 ABR 22/21, PM 35/2

Ampel-Koalition: Drittes Entlastungspaket auf den Weg gebracht

| Wegen steigender Energie- und Nahrungsmittelpreise hat die Ampel-Koalition im September 2022 ein drittes Entlastungspaket geschnürt. Insbesondere steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Aspekte werden vorgestellt. | 

Zahlungen für Rentner und Studenten

Rentner sollen zum 1.12.2022 eine einmalige Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro erhalten. Die Pauschale ist einkommensteuerpflichtig. Je niedriger die Rente und die weiteren Einkünfte sind, desto höher ist somit die absolute Entlastung. Die Auszahlung erfolgt über die Deutsche Rentenversicherung. 

Eine entsprechende Einmalzahlung soll es auch für die Versorgungsempfänger des Bundes geben. 

Studenten und Fachschüler sollen einmalig 200 Euro erhalten. 

Midijobs

Die Höchstgrenze für eine Beschäftigung im Übergangsbereich – hier gelten verminderte Arbeitnehmer-Beiträge zur Sozialversicherung – wurde bereits mit Wirkung ab dem 1.10.2022 von monatlich 1.300 Euro auf 1.600 Euro angehoben. Diese Höchstgrenze soll ab dem 1.1.2023 auf 2.000 Euro steigen. 

Dadurch sollen Arbeitnehmer in diesem Lohnbereich um ca. 1,3 Mrd. Euro jährlich entlastet werden, da sie weniger Sozialversicherungsbeiträge zahlen. 

Umsatzsteuer

Die Absenkung der Umsatzsteuer für Speisen in der Gastronomie von 19 % auf 7 % soll verlängert werden, um diese Branche zu entlasten und die Inflation nicht weiter zu befeuern. 

Vom 1.10.2022 bis zum 31.3.2024 soll auch für den Gasverbrauch der ermäßigte Steuersatz von 7 % gelten. 

Weitere Maßnahmen im Überblick

Ab dem 1.1.2023 soll das Kindergeld um monatlich 18 Euro für das erste und zweite Kind erhöht werden; für das dritte Kind sind 12 Euro geplant. 

Um eine Steuererhöhung wegen der Inflation zu verhindern (kalte Progression), sollen die Tarifeckwerte angepasst werden. 

Der Bund ist bereit, bei zusätzlichen Zahlungen der Arbeitgeber an ihre Arbeitnehmer einen Betrag von bis zu 3.000 Euro von der Steuer und den Sozialversicherungsabgaben zu befreien. 

Kurzarbeitergeld

Die Sonderregelungen sollen über den 30.9.2022 hinaus verlängert werden. 

Für energieintensive Unternehmen, die gestiegene Energiekosten nicht weitergeben können, soll ein Programm aufgelegt werden. Unterstützung sollen Unternehmen bei Investitionen in Effizienz- und Substitutionsmaßnahmen erhalten. Bestehende Programme (z. B. das KfW-Sonderprogramm UBR 2022) sollen bis zum 31.12.2022 verlängert werden. 

Beachten Sie | Die beschlossenen Maßnahmen unterliegen in einzelnen Aspekten der Zustimmungspflicht weiterer politischer Gremien und es können Änderungen eintreten. 

Quelle | Ergebnis des Koalitionsausschusses vom 3.9.2022: Maßnahmenpaket des Bundes zur Sicherung einer bezahlbaren Energieversorgung und zur Stärkung der Einkommen; zur Kindergelderhöhung für das dritte Kind: BMF-Referentenentwurf für ein Inflationsausgleichsgesetz mit Stand vom 6.9.2022

Rechtsstreit: Einvernehmliche Erledigung: Doch keine Entscheidung zur Verfassungswidrigkeit der Abgeltungsteuer

| Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen hält die Abgeltungsteuer für verfassungswidrig und hatte sie dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Prüfung vorgelegt. Doch eine Entscheidung wird es vorerst nicht geben. | 

In dem Streitfall hat das Finanzamt inzwischen die Einkommensteuerbescheide geändert und dem Klageantrag des Steuerpflichtigen (u. a. Erfassung der ihm zugerechneten Provisionseinnahmen bei einem Dritten) entsprochen. Daraufhin haben das Finanzamt und der Steuerpflichtige den Rechtsstreit einvernehmlich für erledigt erklärt. Somit ist die Vorlage des FG gegenstandslos geworden. 

Quelle | FG Niedersachsen, Beschluss vom 10.8.2022, 7 K120/21, Newsletter vom 17.8.2022

Jubiläumsveranstaltung: Nachträgliche Lohnsteuerpauschalierung führt nicht zur Sozialversicherungspflicht

| Die anlässlich einer Jubiläumsveranstaltung erzielten Einnahmen sind nach einer Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen auch dann nicht dem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsentgelt zuzurechnen, wenn sie erst nach dem 28.2. des Folgejahres nachträglich pauschal besteuert werden. Da die Revision anhängig ist, muss nun das Bundessozialgericht (BSG) entscheiden. | 

Das war geschehen

Ein Arbeitgeber hatte am 5.9.2015 anlässlich eines Firmenjubiläums eine Betriebsveranstaltung durchgeführt. Es entstanden Kosten von rund 214.500 Euro (einschl. Umsatzsteuer). Bei der Lohnsteueranmeldung für September 2015 vom 8.10.2015 berücksichtigte der Arbeitgeber diese Kosten zunächst nicht. 

Am 31.3.2016 übermittelte der Arbeitgeber dem Finanzamt dann eine korrigierte Lohnsteueranmeldung. Mit dieser meldete er die Lohnsteuer auf den Arbeitslohn aus Anlass der Betriebsveranstaltung mit einem pauschalen Steuersatz von 25 % gemäß Einkommensteuergesetz (§ 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) an, soweit er den Freibetrag in Höhe von 110 Euro je Teilnehmer überstieg. Auf den Betrag führte er keine Sozialversicherungsbeiträge ab.  

Betriebsprüfung: Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen

Nach einer Betriebsprüfung wurden dann Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von ca. 60.050 Euro nachgefordert. Die Begründung: Nach der Sozialversicherungsentgeltverordnung (§ 1 Abs. 1 S. 2SvEV) sind die dort genannten Einnahmen, Zuwendungen und Leistungen nur dann nicht dem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsentgelt zuzurechnen, wenn sie vom Arbeitgeber tatsächlich lohnsteuerfrei belassen oder pauschal besteuert worden sind. 

Eine unzutreffende steuer- und beitragsfreie Behandlung könne grundsätzlich nur bis zur Erstellung der Lohnsteuerbescheinigung – also längstens bis Ende Februar des Folgejahrs – durch eine nachträgliche Pauschalbesteuerung geändert werden. 

Gerichtliche Instanzen widersprechen

Das Sozialgericht (SG) Oldenburg und das LSG Niedersachsen-Bremen sahen das aber anders. 

Zwar vertreten die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung die Auffassung, eine nachträgliche Pauschalbesteuerung könne stets nur bis zur Erstellung der Lohnsteuerbescheinigung, also längstens biszum 28.2. des Folgejahrs, geltend gemacht werden. Aber diese Ansicht findet nach Meinung des LSG keine hinreichende Stütze im Gesetz. Insbesondere ist diese zeitliche Grenze nicht dem Einkommensteuergesetz (hier: § 41 b EStG  – „Abschluss des Lohnsteuerabzugs“) zu entnehmen.

 Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24.3.2022, L 12 BA 3/20, Rev. BSG, B 12 BA 3/22 R, Spitzenorganisationen der Sozialversicherung im Besprechungsergebnis vom 20.4.2016, TOP 5

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Lohnsteuer: Führungskräftefeier: privilegierte Betriebsveranstaltung?

| Nach Ansicht des Finanzgerichts (FG) Köln ist die pauschale Besteuerung (Steuersatz von 25 %) für Betriebsveranstaltungen nicht auf Veranstaltungen anzuwenden, die nicht allen Betriebsangehörigen offenstehen (hier: Vorstands- bzw. Führungskräfte-Weihnachtsfeier). | 

Zuwendungen des Arbeitgebers an seinen Arbeitnehmer und dessen Begleitpersonen anlässlich von Veranstaltungen auf betrieblicher Ebene mit gesellschaftlichem Charakter (Betriebsveranstaltung) führen zu Arbeitslohn. Soweit solche Zuwendungen den Betrag von 110 Euro je Betriebsveranstaltung und teilnehmendem Arbeitnehmer nicht übersteigen, gehören sie jedoch nicht zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, wenn die Teilnahme an der Betriebsveranstaltung allen Angehörigen des Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. 

Ungeklärt ist die Frage, ob eine „Betriebsveranstaltung“ auch bei einem geschlossenen Kreis (z. B. Vorstands- und Führungskräftefeiern) vorliegt. Dann kann zwar kein Freibetrag von 110 Euro gewährt werden, aber es wäre eine Lohnsteuerpauschalierung nach dem Einkommensteuergesetz (§ 40 Abs. 2S. 1 Nr. 2 EStG) mit 25 % möglich. 

Beachten Sie | Da bislang noch keine Entscheidung des Bundesfinanzhofs zu der Frage ergangen ist, ob eine Lohnsteuerpauschalierung auch für Betriebsveranstaltungen gilt, die nicht allen Betriebsangehörigen offenstehen, hat das FG die Revision zugelassen, die inzwischen anhängig ist. 

Quelle | FG Köln, Urteil vom 27.1.22, 6 K 2175/20, Rev. BFH, VI R 5/22

Nachbarrecht: Schuldrechtliches Wegerecht ist nicht kündbar

| Bei einem zugunsten von Bewohnern eines Nachbargrundstücks schuldrechtlich begründeten Wegerecht darf dieses nicht gekündigt und ohne Zustimmung der Nachbarn nicht aufgehoben werden. So entschied es nun das Landgericht (LG) Aachen. |

Wegerecht vereinbart

Immobilienkäufer vereinbarten mit den Verkäufern ein Wegerecht zugunsten der Nachbarn. Die Käufer verpflichteten sich, einen neben dem Haus und über den Hof verlaufenden Weg weiter zu dulden, offenzuhalten, zu unterhalten und die Benutzung durch die jeweiligen Bewohner der benachbarten Mittelwohnung zu gestatten und diese Pflicht an Rechtsnachfolger zu übergeben. Eine einseitige Beendigung durch die Käufer war ausgeschlossen. Die Käufer kündigten später das Wegerecht und verlangten Herausgabe des Gartentorschlüssels sowie festzustellen, dass sie nicht verpflichtet sind, den Zugang zu ihrem Grundstück für die Nachbarn zu erhalten. 

Amtsgericht: Kündigung unwirksam

Vor dem Amtsgericht (AG) hatten die Käufer keinen Erfolg. Auch die Berufung blieb erfolglos. Das Wegerecht ist durch den Kaufvertrag als echter Vertrag zugunsten der Nachbarn wirksam eingeräumt worden. Dass ein eigenes Leistungsrecht und somit ein echter Vertrag zugunsten Dritter vorliegt, war dem Vertragszweck zu entnehmen. Der Zustand, dass die beklagten Nachbarn ihren Garten auch über das Grundstück der Käufer verlassen konnten, sollte aufrechterhalten und auch an Rechtsnachfolger weitergegeben werden. Damit sollten die Nachbarn begünstigt und berechtigt werden, das schuldrechtlich begründete Wegerecht durchzusetzen. 

Der o. g. Kündigungsausschluss sei auch wirksam, so das LG. Denn § 544 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ist nicht anwendbar. Vorliegend sei nämlich kein Mietvertrag über 30 Jahre gegeben, sondern ein Leihvertrag. Dieser kennt keine Bindungsgrenze. Selbst, wenn § 544 BGB mittelbar anzuwenden sei, wäre der Bindungszeitraum (30 Jahre) hier noch nicht abgelaufen. 

Quelle | LG Aachen, Urteil vom 5.8.2021, 3 S 2/21

Unfallversicherungsschutz: Psychische Folgen eines Unfalls

| Nach den Allgemeinen Bedingungen der Unfallversicherung (AUB 2008) sind krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen vom Versicherungsschutz ausgenommen, auch wenn sie Unfallfolgen sind. Für diesen Leistungsausschluss ist es unerheblich, ob sich die psychischen Reaktionen als medizinisch nicht nachvollziehbare Fehlverarbeitung darstellen, hat nun das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main entschieden und Ansprüche wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung nach einer Armverletzung zurückgewiesen. | 

Der Kläger ist bei der Beklagten unfallversichert (Invaliditätsgrundsumme: 25.000 Euro). Einbezogen wurden die AUB 2008. Vom Versicherungsschutz ausgenommen sind „krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, auch wenn diese durch den Unfall verursacht wurden“. 

Der Kläger macht gegenüber der Beklagten Leistungen wegen unfallbedingter Invalidität geltend. Er beruft sich auf einen Unfall, bei dem er seinen rechten Ellenbogen an einem Heizkörper angestoßen habe mit einer anschließenden großflächigen Infektion des betroffenen Arms. Durch die Armverletzung sei es zu einer posttraumatischen Belastungsstörung gekommen. Die Beklagte verweist auf ihren Leistungsausschluss für psychische Reaktionen.

Das Landgericht (LG) hatte die Beklagte wegen festgestellter Dauerfolgen am Arm zur Zahlung von 12.500 Euro verurteilt und Ansprüche wegen krankhafter Veränderungen der Psyche zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Dem Kläger stünde wegen des vereinbarten Leistungsausschlusses für psychische Reaktionen keine weitere Invaliditätsleistung zu. Auch nach den Behauptungen des Klägers habe nicht der Anstoß an den Heizkörper selbst oder die daraus resultierende Entzündungsreaktion unmittelbar zu einer Veränderung der Hirnstruktur geführt. Er berufe sich vielmehr selbst auf eine posttraumatische Belastungsstörung als Folge der Funktionseinschränkungen am Arm. 

Ob diese psychische Reaktion auf das körperliche Geschehen nachvollziehbar sei, könne offenbleiben. Der Ausschlusstatbestand erfasse nicht nur „Fehlverarbeitungen“. Es bestehe vielmehr schon dann kein Versicherungsschutz, wenn die Störung des Körpers „rein psychisch-reaktiver Natur ist“, wie hier. Der Ausschluss knüpfe an objektiv fassbare Vorgänge an. Es sei mit dem Wortlaut der Klausel kaum vereinbar, auf das Kriterium der„medizinischen Nachvollziehbarkeit“ abzustellen, da dieses auf eine Ursachenbetrachtung abziele, ob der Unfall mehr oder weniger zwangsläufig bzw. regelmäßig und unvermeidbar psychische Beschwerden der aufgetretenen Art hervorrufen konnte. Nach der Klausel seien jedoch psychische Reaktionen auch dann ausgeschlossen, „wenn diese durch einen Unfall verursacht wurden“. 

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Das Nichtzulassungsverfahren läuft vor dem Bundesgerichtshof (BGH) unter dem Aktenzeichen IV ZR 302/22. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 13.7.2022, 7 U88/21, PM 74/22

Geschlechtszugehörigkeit: Deutsche Bahn: Keine Diskriminierung nicht-binärer Personen

| Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat die Vertriebstochter des größten deutschen Bahnkonzerns verpflichtet, es ab dem 1.1.2023 zu unterlassen, die klagende Person nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit zu diskriminieren, indem diese bei der Nutzung von Angeboten des Unternehmens zwingend eine Anrede als „Herr“ oder „Frau“ angeben muss. | 

Das war geschehen

Die Beklagte ist Vertriebstochter der Deutschen Bahn. Die klagende Person besitzt eine nicht-binäre Geschlechtsidentität. Die Person ist Inhaberin einer BahnCard und wird in diesbezüglichen Schreiben sowie Newslettern der Beklagten mit der unzutreffenden Bezeichnung „Herr“ adressiert. Auch beim Online-Fahrkartenverkauf der Beklagten ist es zwingend erforderlich, zwischen einer Anrede als „Frau“ oder „Herr“ auszuwählen. Die klagende Person ist der Ansicht, ihr stünden Unterlassungsansprüche sowie ein Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 5.000 Euro gegen die Beklagte zu, da deren Verhalten diskriminierend sei. 

Landgericht: Unterlassungsanspruch ja, Entschädigung nein

Das Landgericht (LG) hatte den Unterlassungsansprüchen der klagenden Person stattgegeben, Entschädigungsansprüche allerdings abgewiesen. 

Oberlandesgericht: Unterlassungsanspruch ja, Entschädigungsanspruch ja

Nun hat das OLG die Unterlassungsansprüche der klagenden Person bestätigt, dabei allerdings der Beklagten hinsichtlich des Unterlassungsgebots bezüglich der Nutzung von Angeboten der Beklagten eine Umstellungsfrist bis zum Jahresende eingeräumt. Zudem hat es eine Entschädigung von 1.000 Euro zugesprochen. Die klagende Person könne wegen einer unmittelbaren Benachteiligung aus Gründen des Geschlechts und der sexuellen Identität bei der Begründung und Durchführung von zivilrechtlichen Schuldverhältnissen im Massenverkehr Unterlassung verlangen. Das Merkmal der Begründung eines Schuldverhältnisses sei dabei weit auszulegen und nicht nur auf konkrete Vertragsanbahnungen zu beziehen. Es umfasse auch die Verhinderung geschäftlicher Kontakte, wenn nicht-binäre Personen gezwungen würden, für einen Online-Vertragsschluss zwingend die Anrede „Herr“ oder „Frau“ auszuwählen.

Allerdings hat das OLG der Beklagten eine Umstellungsfrist bis zum Jahresende von gut sechs Monaten eingeräumt. Dies bezieht sich vor allem auf die Nutzung des von der Beklagten zur Verfügung gestellten allgemeinen Buchungssystems für Online-Fahrkarten, das sich nicht nur an die klagende Person richtet. Das OLG hat die Frist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit im Hinblick auf den für die Anpassung nötigen Aufwand bemessen. 

Umstellung ohne Übergangsfrist technisch möglich

Keine Umstellungsfrist hat das OLG gewährt, soweit sich der Unterlassungsanspruch der klagenden Person auf das Ausstellen von Fahrkarten, Schreiben des Kundenservice, Werbung und gespeicherte personenbezogene Daten bezieht. In der diesbezüglichen individuellen Kommunikation sei es für die Beklagte technisch realisierbar und auch im Hinblick auf den Aufwand zumutbar, dem Unterlassungsanspruch ohne Übergangsfrist zu entsprechen. 

Benachteiligungsverbot: 1.000 Euro Entschädigung

Das OLG hat der klagenden Person zudem wegen der Verletzung des Benachteiligungsverbots eine Geldentschädigung in Höhe von 1.000 Euro zugesprochen. Denn die klagende Person habe infolge der Verletzung des Benachteiligungsverbots einen immateriellen Schaden erlitten. Sie erlebe „die Zuschreibung von Männlichkeit“ seitens der Beklagten als Angriff auf die eigene Person, die zu deutlichen psychischen Belastungen führe. Die Entschädigung sei angemessen, da sie der klagenden Person Genugtuung für die durch die Benachteiligung zugefügte Herabsetzung und Zurücksetzung verschaffe. Abzuwägen seien dabei die Bedeutung und Tragweite der Benachteiligung für die klagende Person einerseits und die Beweggründe der Beklagten andererseits. Die Benachteiligungen für die klagende Person sei hier als so massiv zu bewerten, dass sie nicht auf andere Weise als durch Geldzahlung befriedigend ausgeglichen werden könnten. Zugunsten der Bahn sei aber zu berücksichtigen, dass keine individuellen Benachteiligungshandlungen erfolgt seien. 

IT-Systeme sind umzustellen

Zudem handele es sich bei der Frage der Anerkennung der Persönlichkeitsrechte von Menschen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität um eine neuere gesellschaftliche Entwicklung, die selbst in der Gleichbehandlungsrichtlinie aus dem Jahr 2004 (RL 2004/11/EG) noch keinen Niederschlag gefunden habe. So sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte bei Einführung ihrer Software in Bezug auf den Online-Ticketkauf bewusst oder absichtlich zur Benachteiligung nicht-binärer Personen eine geschlechtsneutrale Erwerbsoption ausgespart habe. Allerdings habe die Beklagte ihre IT-Systeme im Unterschied zu anderen großen Unternehmen bislang nicht angepasst. Zudem sei ihr vorzuhalten, dass sie gerade in der individuellen Kommunikation mit der klagenden Person – so etwa hinsichtlich der BahnCard – nach wie vor eine unzutreffende männliche Anrede verwende. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 21.6.2022, 9 U92/20, PM 50/22 vom 21.6.2022

Grobe Fahrlässigkeit: Regressanspruch eines Gebäudeversicherers gegen die Mieter

| Wird eine Mietsache beschädigt, kann die Gebäudeversicherung vom Mieter nur Regress verlangen, wenn der Mieter den Schaden grob fahrlässig verursacht hat. So entschied es nun das Landgericht (LG) Oldenburg. 

Bei dem Versuch des Mieters, einen in dem angemieteten Wohnhaus vorhandenen Kamin wieder zu entflammen, entstand ein Brand. Im Zuge dieses Versuchs griff der Mieter auf Brennspiritus zurück, wobei der konkrete Einsatz des Spiritus streitig ist. Die Mieterin, die nichteheliche Lebenspartnerin des Mieters, war am Entfachen des Kamins nicht unmittelbar beteiligt. Sie hatte zuvor den Brennspiritus gekauft. Neben dem Kamin lagerten beide eine Flasche Brennspiritus, als der Brand ausbrach. Ein Ermittlungsverfahren gegen den Mieter wurde eingestellt. 

Wichtig: Steht fest, dass nur einer der Mieter den Schaden grob fahrlässig verursacht hat, kann die Gebäudeversicherung gleichwohl Regress gegen alle aus dem Mietvertrag haftenden Mitmieter nehmen. 

Quelle | LG Oldenburg, Urteil vom 22.6.2021, 16 O 4029/20

BGH-Entscheidung: Vermieter darf Mieterhöhung reduzieren

| Der Vermieter ist berechtigt, innerhalb eines Mieterhöhungsverfahrens sein formell ordnungsgemäßes vorprozessuales Erhöhungsverlangen nachträglich zu ermäßigen – etwa mit Erhebung der Zustimmungsklage. Das hat nun der Bundesgerichtshof (BGH) klargestellt. | 

Im Fall des BGH hatte die Vermieterin zunächst eine Erhöhung von 65 Euro monatlich verlangt, im Rahmen der Klage auf Zustimmung zum Mieterhöhungsverlangen aber nur noch rund 45 Euro begehrt. Sie hatte auf werterhöhende Wohnmerkmale im Prozess verzichtet. Die Mieter waren der Meinung, die Vermieterin hätte erst vorgerichtlich ein neues Mieterhöhungsverlangen zustellen müssen. 

Das sah der BGH nicht so. Einer nochmaligen – den Lauf der im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 558 b Abs. 1, 2 BGB) geregelten Fristen von Neuem auslösenden – Erklärung und Begründung bedarf es hierfür nach Ansicht des BGH nicht. 

Quelle | BGH, Urteil vom 6.4.22, VIII ZR 219/20

Erbschaft: Vermächtnisnehmer ist nicht am Verfahren zur Ernennung des Testamentsvollstreckers zu beteiligen

| Der Vermächtnisnehmer ist an dem Verfahren des Nachlassgerichts zur Ernennung des Testamentsvollstreckers und zur Erteilung des Testamentsvollstreckerzeugnisses nicht zu beteiligen. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf. | 

Der Vermächtnisnehmer war durch letztwillige Verfügung des Erblassers mit zwei Vermächtnissen bedacht worden. Das eine Vermächtnis räumt ihm das lebenslange Recht ein, eine Wohnung des Erblassers sowie ein zu dieser Wohnung gehörendes Zimmer unentgeltlich zu bewohnen. Das zweite Vermächtnis bezieht sich auf die Wohnungseinrichtung nebst dem dazugehörigen Hausrat. Der Erblasser hatte zudem einen Testamentsvollstrecker berufen. Das notariell beurkundete Testament sieht dazu eine Abwicklungsvollstreckung sowie nach erfolgter Erbauseinandersetzung eine daran anschließende Dauervollstreckung vor, diese allerdings befristet. 

Das Amtsgericht (AG) führt den Vorgang über die Ernennung des Testamentsvollstreckers und die Erteilung des Testamentsvollstreckerzeugnisses. Der Vermächtnisnehmer möchte an beiden Verfahren beteiligt werden und begehrt, die betreffenden Akten des Nachlassgerichts einzusehen. 

Nach Ansicht des OLG ist er aber nicht zu beteiligen. Das Gesetz (hier: § 345 des „Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit“ – FamFG) liste für verschiedene Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit abschließend die Personen auf, die von Amts wegen oder auf Antrag hinzugezogen werden müssen und die das Gericht darüber hinaus am Verfahren beteiligen kann. 

Das Verfahren zur Ernennung eines Testamentsvollstreckers und zur Erteilung des Testamentsvollstreckerzeugnisses sei in Absatz 3 der o. g. Vorschrift geregelt. An jenem Verfahren sei der Testamentsvollstrecker zwingend beteiligt. Daneben könne das Gericht die Erben und einen etwaigen Mitvollstrecker hinzuziehen. Auf ihren Antrag hin seien diese Personen zu beteiligen. Ein Recht auf Einsicht in die Testamentsvollstreckerakte könne sich zwar ergeben, wenn und soweit ein berechtigtes Interesse an der Einsicht glaubhaft gemacht werden kann. Der Vermächtnisnehmer habe hier aber weder dargelegt noch sei sonst ersichtlich, inwieweit es ihm die Akteneinsicht erleichtern könnte, seinen Anspruch aus den beiden Vermächtnissen durchzusetzen. 

Quelle | OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4.4.22, I-3 Wx 86/21

10-jährige Haltefrist: Erbschaftsteuerbefreiung für ein Familienheim

| Ein Erbe verliert nicht die Erbschaftsteuerbefreiung für ein Familienheim, wenn ihm die eigene Nutzung des Familienheims aus gesundheitlichen Gründen unmöglich oder unzumutbar ist. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) jetzt entschieden. | 

Die Klägerin hatte das von ihrem Vater ererbte Einfamilienhaus zunächst selbst bewohnt, war aber bereits nach sieben Jahren ausgezogen. Im Anschluss wurde das Haus abgerissen. Die Klägerin machte gegenüber dem Finanzamt und dem Finanzgericht (FG) erfolglos geltend, sie habe sich angesichts ihres Gesundheitszustands kaum noch in dem Haus bewegen und deshalb ohne fremde Hilfe dort nicht mehr leben können. Das FG war der Ansicht, das sei kein zwingender Grund für den Auszug, da sich die Klägerin fremder Hilfe hätte bedienen können. 

Der BFH hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Grundsätzlich setzt die Steuerbefreiung gemäß Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz (§ 13 Abs. 1 Nr. 4 c ErbStG) voraus, dass der Erbe für zehn Jahre das geerbte Familienheim selbst nutzt, es sei denn, er ist aus „zwingenden Gründen“ daran gehindert. „Zwingend“, so der BFH, erfasse nicht nur den Fall der Unmöglichkeit, sondern auch die Unzumutbarkeit der Selbstnutzung des Familienheims. Reine Zweckmäßigkeitserwägungen, wie etwa die Unwirtschaftlichkeit einer Sanierung, genügten zwar nicht. Anders liege es, wenn der Erbe aus gesundheitlichen Gründen für eine Fortnutzung des Familienheims so erheblicher Unterstützung bedürfe, dass nicht mehr von einer selbstständigen Haushaltsführung zu sprechen sei. Das FG muss deshalb unter Mitwirkung der Klägerin das Ausmaß ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen prüfen. 

Quelle | BFH, Urteil vom 1.12.21, II R 18/20, PM 28/22 vom 7.7.2022

Honorarvertrag: Bauhandwerkersicherung: Unternehmer muss nur schlüssig darlegen

| Bauunternehmer können von ihrem Auftraggeber Sicherheit für das gesamte noch nicht gezahlte Honorar verlangen. So steht es im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 650 f BGB). Sie können kündigen, wenn der Bauherr die Sicherheit nicht innerhalb einer angemessenen Frist stellt. Ihr Sicherungsverlangen ist berechtigt, wenn sie den Anspruch schlüssig darlegen. Ob die erforderlichen Annahmen dann auch tatsächlich zutreffen, ist jedoch nicht im Sicherungsverfahren zu klären. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Celle klargestellt. | 

Das war geschehen

Ein Bauplaner war mit Architektenleistungen beauftragt worden. Dann zerstritten sich Auftragnehmer und Auftraggeber. Die Situation eskalierte. Der Auftraggeber kündigte den Planervertrag außerordentlich aus wichtigem Grund und verlangte zu viel gezahltes Honorar zurück. Der Planer erhob Widerklage und forderte den Auftraggeber auf, ihm eine Sicherheit zu stellen. Darüber hinaus machte er geltend, dass ihm ein Honorar auf Grundlage der Mindestsätze gemäß der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) oberhalb des vereinbarten Pauschalhonorars zustehe. 

So entschied das Oberlandesgericht

Das OLG gab dem Planer Recht. Seine Darlegungen zur Höhe der Sicherheit (unter Berücksichtigung erhaltener Abschlagszahlungen) seien ausreichend gewesen. Im Sicherheitenprozess stehe im Vordergrund, dem Unternehmer zu einer schnellen Sicherheit zu verhelfen. Rechtlich anspruchsvolle Fragen seien dort dagegen nicht aufzuklären. Als solche gelten die Fragen, ob sich die Höhe der Vergütung nach dem Preisrecht der HOAI oder nach der Honorarvereinbarung richte, und ob die Angaben zur Honorarzone und zu den anrechenbaren Kosten zutreffen. 

Quelle | OLG Celle, Urteil vom 27.4.2022, 14 U 96/19

Abgabenstreit: Keine Ausbaubeiträge für ungenutzte Grundstücke, die nicht an einer Verkehrsanlage angrenzen

| Das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz hat jetzt entschieden: Die Erhebung von wiederkehrenden Beiträgen für Grundstücke, die keinen Zugang bzw. keine Zufahrt zu einer Verkehrsanlage haben und auch nicht genutzt werden, scheidet aus. Dies gilt auch, wenn die Eigentümer dieses Grundstücks und des Anliegergrundstücks identisch sind. | 

Das war geschehen

Die Klägerin ist Eigentümerin zweier Grundstücke, von dem eines unmittelbar an eine Straße ihrer Gemeinde angrenzt. Direkt hinter diesem Grundstück befindet sich das zweite Grundstück, das weder eine Zufahrt oder Zuwegung zu einer Straße hat noch unmittelbar über das vordere Grundstück der Klägerin angefahren werden kann. Dieses Grundstück wird von der Klägerin nicht genutzt; Wiese und Sträucher wachsen dort wild. 

Die beklagte Gemeinde erhob im Jahr 2019 wiederkehrende Ausbaubeiträge für beide Grundstücke. Nachdem der hiergegen erhobene Widerspruch der Klägerin keinen Erfolg hatte, verfolgte sie ihr Begehren im Klageweg weiter.

Hinterliegergrundstück nicht genutzt: keine Beiträge

Die Klage hatte in Bezug auf das Hinterliegergrundstück Erfolg. Während das an die Straße angrenzende Grundstück der Klägerin ohne Weiteres beitragspflichtig sei, hätten, so das VG, für das dahinterliegende Grundstück keine Beiträge erhoben werden dürfen. Zwar sei ein Hinterliegergrundstück, das im (Mit)Eigentum derselben Person stehe, wie das selbstständig bebaubare Anliegergrundstück, beitragspflichtig, wenn es zusammen mit diesem einheitlich genutzt werde oder tatsächlich eine Zufahrt zu der Anbaustraße besitze. Von einer einheitlichen Nutzung sei aber nur auszugehen, wenn ein Eigentümer sein Hinterliegergrundstück als private Grünfläche (Hausgarten mit Nebengebäude) für das mit einem Wohnhaus bebaute Anliegergrundstück nutze. Dies sei bei dem Hinterliegergrundstück der Klägerin jedoch nicht der Fall. Es werde überhaupt nicht genutzt. Beide Parzellen seien durch einen Maschendrahtzaun voneinander getrennt, sodass sie nicht einheitlich umfriedet seien. Eine Gartennutzung finde ausschließlich auf der Fläche südwestlich des Wohnhauses der Klägerin auf dem Anliegergrundstück statt. 

Gegen die Entscheidung steht den Beteiligten die Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz zu. 

Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 21.2.2022, 4 K 1019/21.KO, PM 18/22

Schwarzarbeit: Leistungsempfänger wegen Betrugs verurteilt

| Schwarzarbeit lohnt sich nicht – noch dazu, wenn man gleichzeitig Arbeitslosengeld II kassiert. Das musste ein 48-Jähriger vor dem Amtsgericht (AG) Dessau-Roßlau erfahren. Er wurde zu neun Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Um die Aussetzung der Strafe nicht zu gefährden, hat er nun für die Dauer von zwei Jahren Zeit, sich zu bewähren. | 

Die Bediensteten des Hauptzollamts Magdeburg – Finanzkontrolle Schwarzarbeit Dessau – ermittelten, dass der Mann zwischen November 2017 und November 2018 eine selbstständige Tätigkeit ausübte und dabei im genannten Zeitraum ein Einkommen von über 20.400 Euro erzielte. Zur Verschleierung seiner Aktivitäten gründete der Unternehmer zwei Limited Unternehmen (britische Kapitalgesellschaften) in Großbritannien. Zusätzlich war der Verurteilte auf Geringfügigkeitsbasis tätig. Der Sachverhalt wurde im Zuge einer Geschäftsunterlagenprüfung nach dem Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz - SchwarzArbG) bei einem Auftraggeber bekannt. 

Während der Zeit der Selbstständigkeit bezog er von Oktober 2017 bis August 2018 zu Unrecht Arbeitslosengeld II in Höhe von 7.400 Euro. Er verschwieg pflichtwidrig gegenüber dem Jobcenter Dessau-Roßlau die Ausübung seiner selbstständigen Tätigkeit und das erzielte Einkommen hieraus. Lediglich die geringfügige Tätigkeit und das daraus stammende Einkommen zeigte er beim Jobcenter an. Damit erfüllte der Mann nach Ansicht des Gerichts den Tatbestand des Betrugs (strafbar nach § 263 Strafgesetzbuch – StGB). Diese Vorschrift sieht im Fall des Betrugs eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vor. 

Das Urteil ist bereits rechtskräftig. Neben der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung muss der Verurteilte den verursachten Schaden wiedergutmachen. 

Quelle | Hauptzollamt Magdeburg, PM vom 1.7.2022

Kündigungsschutzverfahren: Kein Wiedereinstellungsanspruch in der Insolvenz

| In der Insolvenz des Arbeitgebers besteht kein Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers. Ist ein solcher Anspruch vor Insolvenzeröffnung bereits gegenüber entstanden, erlischt er mit Insolvenzeröffnung. Die Insolvenzordnung bindet den Insolvenzverwalter nur an bereits vom Schuldner begründete Arbeitsverhältnisse, kennt jedoch keinen Kontrahierungszwang des Insolvenzverwalters, also keine Pflicht, Verträge einzugehen. Einen solchen Zwang kann nur der Gesetzgeber anordnen. So entschied es aktuell das Bundesarbeitsgericht (BAG). | 

Der Kläger war bei einem Betten- und Matratzenhersteller mit rund 300 Arbeitnehmern beschäftigt. Dieser kündigte das Arbeitsverhältnis wirksam zum 31.7.19 wegen Betriebsstilllegung. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, noch während der Kündigungsfrist sei ein Betriebsübergang auf die spätere Schuldnerin beschlossen und am 1.8.19 vollzogen worden. Er nahm deshalb die spätere Schuldnerin, die etwa 20 Arbeitnehmer beschäftigte, auf Wiedereinstellung in Anspruch. Gegen eine von der späteren Schuldnerin erklärte vorsorgliche Kündigung erhob er fristgerecht Kündigungsschutzklage. Während des Berufungsverfahrens wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Das Verfahren wurde dadurch unterbrochen. Der Kläger erklärte mit Schriftsatz vom 29.6.20 die Aufnahme des Verfahrens. Der Beklagte widersprach der Aufnahme. Das LAG hat mit Zwischenurteil festgestellt, dass das Verfahren weiterhin unterbrochen ist. 

Die Revision des Klägers hatte vor dem BAG aus prozessualen Gründen Erfolg. Der richterrechtlich entwickelte Wiedereinstellungsanspruch kommt zum Tragen, wenn sich die bei Zugang der Kündigung noch zutreffende Prognose des Arbeitgebers, der Beschäftigungsbedarf werde bei Ablauf der Kündigungsfrist entfallen, als fehlerhaft erweist, etwa, weil es zu einem Betriebsübergang kommt. Zwar besteht ein solcher Anspruch in der Insolvenz nicht, sodass der Rechtsstreit an sich nicht unterbrochen wird. Wird jedoch mit dem Wiedereinstellungsanspruch – wie im vorliegenden Fall – zugleich die Wirksamkeit einer Kündigung angegriffen, führt das zur Unterbrechung auch bezüglich des Streits über die Wiedereinstellung. Umgekehrt hat die Aufnahme des Kündigungsrechtsstreits, für die es genügt, dass bei Obsiegen des Arbeitnehmers Masseverbindlichkeiten entstehen können, auch die Aufnahme des Streits über die Wiedereinstellung zur Folge. 

Quelle | BAG, Urteil vom 25.5.22, 6 AZR 224/21, PM 19/22

Kündigung: Urlaub bei einem anderen Arbeitgeber wird angerechnet

| Der Arbeitnehmer muss sich den ihm während des Kündigungsschutzrechtsstreits von einem anderen Arbeitgeber gewährten Urlaub auf seine Urlaubsansprüche gegen den alten Arbeitgeber anrechnen lassen. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen. Voraussetzung: Der Arbeitnehmer hätte die Pflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen nicht gleichzeitig erfüllen können. Das gilt auch für den vertraglich vereinbarten Urlaub, der den Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt. | 

Eine Verkäuferin hatte nach ihrer fristlosen Kündigung eine Kündigungsschutzklage erhoben. Während des Verfahrens arbeitete sie bei einem anderen Arbeitgeber und nahm dort auch Urlaub. 

Das LAG machte deutlich: Auch bei der Anrechnung des Urlaubs ist eine Gesamtberechnung anhand des im gesamten Anrechnungszeitraum gewährten Urlaubs vorzunehmen. Die Arbeitnehmerin konnte daher nicht einerseits bei dem neuen Arbeitgeber Urlaub nehmen und andererseits beim alten Arbeitgeber für die gleiche Zeit Urlaubsabgeltung verlangen. 

Quelle | LAG Niedersachsen, Urteil vom 2.5.2022, 15 Sa 885/21

Rettungsassistent: Gleiche Arbeit, gleicher Lohn

| Die Differenzierung im Stundenlohn (17 Euro/12 Euro) zwischen „hauptamtlichen“ (Voll- und Teilzeit) und „nebenamtlichen“ Arbeitnehmern (geringfügige Beschäftigung) ist nicht sachlich gerechtfertigt. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) München. | 

Ein als Minijobber beschäftigter Rettungsassistent wehrte sich, weil er fünf Euro weniger als die „hauptamtlichen“ Kollegen verdiene, obwohl er die gleiche Arbeit leiste. Seine Klage vor dem Arbeitsgericht (ArbG) München verlor der Arbeitnehmer zunächst. 

Doch er blieb hartnäckig. Mit Erfolg: Das LAG München sah das nämlich anders als das ArbG: Die Tatsache, dass der Arbeitgeber die „hauptamtlich“ Beschäftigten in den Dienstplan einteilen würde und die „nebenamtlich“ Beschäftigten mitteilen müssten, welche angebotenen Dienste sie übernehmen bzw. wann sie Zeit haben, rechtfertige die unterschiedliche Bezahlung nicht. Hierfür seien keine objektiven Gründe gegeben, die einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens dienen würden und zur Zielerreichung geeignet und erforderlich seien. Auch würde die Unterscheidung nicht dem Zweck der Leistung entsprechen. 

Die Sache ist noch nicht rechtskräftig. Denn der Arbeitgeber hat Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) eingelegt. 

Quelle | LAG München, Urteil vom 19.1.2022, 10 Sa 582/21

Kündigungsschutzklage: Bei gefälschtem Genesenennachweis droht Kündigung

| Die Vorlage eines gefälschten Genesenennachweises anstelle eines tagesaktuellen Corona-Tests oder Impfnachweises kann eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Das hat das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin entschieden und eine Kündigungsschutzklage abgewiesen. | 

Regeln desInfektionsschutzgesetzes

Nach dem Infektionsschutzgesetz (§ 28 b Abs. 1 InfSchG in der vom 24.11.2021 bis 19.3.2022 gültigen Fassung) durften Beschäftigte Arbeitsstätten, in denen physische Kontakte untereinander oder zu Dritten nicht ausgeschlossen werden können, nur nach Vorlage eines Impfnachweises, eines Genesenennachweises oder eines tagesaktuellen Tests im Sinne der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung betreten. 

Das war geschehen

Der als Justizbeschäftigter bei einem Gericht tätige Kläger legte einen Genesenennachweis vor, obwohl bei ihm keine Corona-Erkrankung festgestellt worden war, und erhielt so Zutritt zum Gericht ohne Vorlage eines aktuellen Tests oder Impfnachweises. Nachdem festgestellt wurde, dass es sich bei dem Genesenennachweis um eine Fälschung handelte, erklärte das Land Berlin als Arbeitgeber nach Anhörung des Justizbeschäftigten die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Diese Kündigung ist nach der Entscheidung des ArbG wirksam, weil der erforderliche wichtige Grund für eine außerordentliche Kündigung vorliege. 

Justizbeschäftigter: erkennbar, dass Fälschung Konsequenzen haben würde

Der Arbeitgeber habe einen Zutritt nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 b Abs. 1 InfSchG gewähren dürfen. Den hier geregelten Nachweispflichten komme auch im Hinblick auf den angestrebten Gesundheitsschutz für alle Menschen im Gericht eine erhebliche Bedeutung zu. Deshalb sei die Verwendung eines gefälschten Genesenennachweises zur Umgehung dieser geltenden Nachweispflichten eine erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Rücksichtnahmepflichten. Eine vorherige Abmahnung dieses Sachverhalts sei nicht erforderlich. Es sei für den Kläger als Justizbeschäftigten ohne Weiteres erkennbar gewesen, dass ein solches Verhalten nicht hingenommen werde. Auch im Hinblick auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses von drei Jahren überwiege das arbeitgeberseitige Interesse an einer sofortigen Beendigung. 

Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg eingelegt werden. 

Quelle | ArbG Berlin, Urteil vom 26.4.2022, 58 Ca 12302/21, PM 12/22 vom 30.5.2022

Erbrecht

BGH-Entscheidung: Gutgläubiger Erwerb eines gebrauchten Fahrzeugs

| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden: Beruft sich der Erwerber eines gebrauchten Fahrzeugs auf den gutgläubigen Erwerb von einem Nichtberechtigten, muss der bisherige Eigentümer beweisen, dass der Erwerber sich die Zulassungsbescheinigung Teil II (früher: Kraftfahrzeugbrief) nicht hat vorlegen lassen. | 

Das war geschehen

Die Klägerin, eine Gesellschaft italienischen Rechts, die Fahrzeuge in Italien vertreibt, kaufte im März 2019 unter Einschaltung eines Vermittlers ein Fahrzeug von einem Autohaus, bei dem das Fahrzeug stand. Eigentümerin des Fahrzeugs war die Beklagte, die es an das Autohaus verleast hatte und die auch im Besitz der Zulassungsbescheinigung Teil II ist. Nach Zahlung des Kaufpreises von über 30.000 Euro holte der Vermittler Anfang April 2019 das Auto bei dem Autohaus ab und verbrachte es zu der Klägerin nach Italien. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dem Vermittler eine hochwertige Fälschung der Zulassungsbescheinigung Teil II vorgelegt wurde, in der das Autohaus als Halter eingetragen war. Als die Klägerin ein weiteres Fahrzeug von dem Autohaus kaufen wollte, war es geschlossen. Gegen den Geschäftsführer wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Betrugsverdachts in über 100 Fällen eingeleitet. 

Die Entscheidung des BGH

Die Klägerin kann von der Beklagten die Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II verlangen, weil sie Eigentümerin des Fahrzeugs geworden ist. Ursprüngliche Eigentümerin des Fahrzeugs war zwar die Beklagte. Zwischen der Klägerin und dem Autohaus hat aber eine Einigung und Übergabe im Sinne stattgefunden. Weil das Fahrzeug dem Autohaus als Veräußerer nicht gehörte, konnte die Klägerin das Eigentum durch diesen Vorgang allerdings nur gutgläubig erwerben. Dass die Klägerin nicht in gutem Glauben war, muss die Beklagte beweisen. Der Gesetzgeber hat die fehlende Gutgläubigkeit im Verkehrsinteresse bewusst als Ausschließungsgrund ausgestaltet. Derjenige, der sich auf den gutgläubigen Erwerb beruft, muss die Voraussetzungen eines solchen Erwerbs beweisen, nicht aber seine Gutgläubigkeit. 

Mindesterfordernisse für gutgläubigen Erwerb eines gebrauchten Kfz

Diese Beweislastverteilung gilt auch, wenn die fehlende Gutgläubigkeit des Erwerbers – wie hier – darauf gestützt wird, bei dem Erwerb des Fahrzeugs habe die Zulassungsbescheinigung Teil II nicht vorgelegen. Zwar gehört es nach ständiger Rechtsprechung des BGH regelmäßig zu den Mindesterfordernissen für einen gutgläubigen Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs, dass sich der Erwerber die Zulassungsbescheinigung Teil II vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen. Wird dem Erwerber eine gefälschte Bescheinigung vorgelegt, treffen ihn, sofern er die Fälschung nicht erkennen musste und für ihn auch keine anderen Verdachtsmomente vorlagen, keine weiteren Nachforschungspflichten. 

Bisheriger Eigentümer muss Fehlen des guten Glaubens beweisen

Diese Rechtsprechung ist aber nicht so zu verstehen, dass die Vorlage der Zulassungsbescheinigung Teil II von demjenigen zu beweisen wäre, der sich auf den gutgläubigen Erwerb beruft. Denn für die von dem Erwerber zu beweisenden Voraussetzungen des gutgläubigen Erwerbs spielt die Vorlage der Bescheinigung keine Rolle. Sie hat rechtliche Bedeutung nur im Zusammenhang mit dem guten Glauben des Erwerbers; dessen Fehlen muss der gesetzlichen Regelung zufolge der bisherige Eigentümer beweisen. 

Erwerber muss aber darlegen, dass er die Papiere überprüft hat

Allerdings trifft den Erwerber, der sich auf den gutgläubigen Erwerb beruft, regelmäßig eine sog. sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Vorlage und Prüfung der Zulassungsbescheinigung Teil II. Er muss also seinerseits vortragen, wann, wo und durch wen ihm die Bescheinigung vorgelegt worden ist und dass er sie überprüft hat. Dann muss der bisherige Eigentümer beweisen, dass diese Angaben nicht zutreffen. 

Quelle | BGH, Urteil vom 23.9.2022, V ZR 148/21, PM 138/2022

Gesellschafter und Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften: Offenlegung der Jahresabschlüsse 2021: Kein Ordnungsgeldverfahren vor 11.4.2023

| Die Offenlegungsfrist für den Jahresabschluss für 2021 endet bereits am 31.12.2022. Das Bundesamt für Justiz (BfJ) hat nun aber mitgeteilt, dass es vor dem 11.4.2023 kein Ordnungsgeldverfahren einleiten wird. Damit sollen angesichts der anhaltenden Nachwirkungen der Corona-Pandemie die Belange der Beteiligten angemessen berücksichtigt werden. | 

Unternehmensregister wird Bundesanzeiger ablösen

Offenlegungspflichtige Gesellschaften (insbesondere AG, GmbH und GmbH & Co. KG) müssen ihre Jahresabschlüsse spätestens zwölf Monate nach Ablauf des Geschäftsjahrs beim Bundesanzeiger elektronisch einreichen. Jahresabschlüsse sowie weitere Rechnungslegungsunterlagen und Unternehmensberichte sind letztmals für das vor dem 1.1.2022 beginnende Geschäftsjahr beim Bundesanzeiger einzureichen. Nachfolgende Geschäftsjahre sind zur Offenlegung an das Unternehmensregister zu übermitteln. Weitere Informationen hierzu finden Sie unter www.publikations-plattform.de. 

Ordnungsgeld droht

Bei nicht rechtzeitiger oder nicht vollständiger Offenlegung leitet das BfJ ein Ordnungsgeldverfahren ein. Das Unternehmen wird aufgefordert, innerhalb einer sechswöchigen Nachfrist den Offenlegungspflichten nachzukommen. Gleichzeitig wird ein Ordnungsgeld angedroht. 

Beachten Sie | Kleinstkapitalgesellschaften müssen nur ihre Bilanz einreichen (keinen Anhang und keine Gewinn- und Verlustrechnung). Zudem haben sie ein Wahlrecht: Offenlegung oder dauerhafte Hinterlegung. Hinterlegte Bilanzen sind nicht unmittelbar zugänglich; auf Antrag werden sie kostenpflichtig an Dritte übermittelt. 

Quelle | Mitteilung des BfJ unter www.iww.de/s7329

Corona-Pandemie: Kein Schadenersatz wegen Absage einer Messe

| Einer Ausstellerin stehen keine Schadenersatzansprüche wegen der im Februar 2020 erfolgten Verschiebung einer für den 8.3. bis 13.3.2020 geplanten Messe auf den Herbst 2020 sowie der vollständigen Absage dieser Messe am 5.5.2020 zu. Beide Entscheidungen waren im Hinblick auf das sich rasant und nicht prognostizierbar entwickelnde Pandemiegeschehen, der Verantwortung für die Gesundheit der Messeteilnehmer und der erheblichen wirtschaftlichen Interessen rechtmäßig, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. | 

Das war geschehen

Die Klägerin hatte mit der beklagten Messeveranstalterin einen Vertrag über die Teilnahme an der vom 8.3. bis 13.3.2020 geplanten Messe „Light + Building 2020“ geschlossen. Am 24.2.2020 hatte die Beklagte die Messe im Hinblick auf die Verbreitung des Corona-Virus zunächst auf September 2020 verschoben und letztlich am 5.5.2020 ganz abgesagt. Die bereits entrichteten Standgebühren zahlte sie der Klägerin zurück. Diese begehrt nun u. a. Schadenersatz in Höhe von knapp 75.000 Euro und verweist auf bereits vorgenommene Hotelreservierungen, PR-Maßnahmen, Miete des Messestands und statische Berechnungen. Das Landgericht (LG) hatte die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der Klägerin stehe kein Schadenersatzanspruch zu, bestätigte das OLG. 

Festhalten am Vertrag nicht zumutbar

Zu der zunächst vorgenommenen Verschiebung der Messe sei die Beklagte berechtigt gewesen. Ihr sei das Festhalten am ursprünglichen Vertrag nicht zumutbar gewesen. Bis zum 24.2.2020 hätten sich die Umstände, die Grundlage des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags geworden waren, so schwerwiegend geändert, dass die Parteien bei Kenntnis dieser veränderten Umstände den Vertrag nicht mehr mit dem alten Inhalt geschlossen hätten. Die „dynamische Entwicklung des Infektionsgeschehens mit dem Corona-Virus vom Jahreswechsel 2019/2020 bis zu ihrer Entscheidung am 24.2.2022, die dadurch bedingten erheblichen Unsicherheiten für die Durchführbarkeit der Veranstaltung und die Verantwortung für Gesundheit und das Leben aller an der Messe teilnehmenden (...) Personen“ hätten die Beklagte zur Verschiebung um ca. sechs Monate berechtigt. Die Entwicklung des Infektionsgeschehens sei rasant und sich stetig verschärfend verlaufen. 

Behördliches Verbot wäre wahrscheinlich gewesen

Unerheblich sei, dass am 24.2.2020 kein behördlich angeordnetes Verbot der Veranstaltung bestanden habe. Es habe vielmehr ausgereicht, dass ein behördliches Veranstaltungsverbot bei einer ex ante-Prognose hinreichend wahrscheinlich gewesen sei. Dies sei hier der Fall gewesen. Angesichts der Erklärung des Infektionsgeschehens zu einer Pandemie durch die WHO am 11.3.2020, des am 12.3.2020 erfolgten Verbots von Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Personen (wie hier) und des am 14.3.2020 verhängten vollständigen Verbots von Veranstaltungen wäre es allein vom Zufall abhängig gewesen, ob die Messe gerade noch hätte stattfinden können oder nicht. Die Beklagte habe auch in besonderer Weise die Gesundheit der Messeteilnehmer und die Verhinderung der Infektion einer unübersehbaren Zahl an Personen berücksichtigen dürfen. 

Keine Ausnahmegenehmigung möglich

Die endgültige Absage der Messe am 5.5.2020 sei ebenfalls rechtmäßig erfolgt. Nach der damals gültigen Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung hätte die Messe nur mit einer Ausnahmegenehmigung durchgeführt werden können. Diese wäre wohl nicht zu erlangen gewesen. Jedenfalls habe die Lage am 5.5.2020 wegen Störung der Geschäftsgrundlage die Beklagte zu der völligen Beseitigung des Vertragsverhältnisses berechtigt. Am 5.5.2020 sei die Durchführung von Messen bis zum 31.8.2020 verboten gewesen. 

Keine Prognose zu Ausweichtermin möglich, Absage war rechtmäßig

„Die Prognose, ob die Durchführung der Messe zu dem geplanten Ausweichtermin möglich sein würde und wenn ja, in welchem Umfang, (war) für die Beklagte angesichts der sich ständig überschlagenden und beinahe täglich erfolgenden Neueinschätzungen durch die verantwortlichen Politiker, das RKI und die Wissenschaft kaum zu treffen“, begründete das OLG weiter. Angesichts der wirtschaftlichen Interessen einer Vielzahl von Ausstellern und des Umstands, dass die drohenden Schäden mit der Kurzfristigkeit einer Absage immer größer würden, habe die Beklagte die alle zwei Jahre stattfindende Messe absagen dürfen. 

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann die Klägerin die Zulassung der Revision beim BGH begehren. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 7.9.2022, 4 U331/21, PM 73/22

BFH-Entscheidung: Umsatzsteuerpflicht bei 3.000 eBay-Verkäufen

| Veräußert ein Verkäufer auf jährlich mehreren hundert Auktionen Waren über die Internetplattform „eBay“, liegt eine nachhaltige und damit umsatzsteuerrechtlich unternehmerische Tätigkeit vor. Dies hat aktuell der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. | 

Ob die Umsätze eines „privaten“ eBay-Verkäufers der Umsatzsteuer unterliegen, ist mitunter schwierig zu beurteilen und hängt vom Gesamtbild der Verhältnisse ab. Im Streitfall erwarb die Steuerpflichtige bei Haushaltsauflösungen Gegenstände und verkaufte diese über einen Zeitraum von fünf Jahren in ca. 3.000 ebay-Versteigerungen und erzielte Einnahmen von ca. 380.000 Euro. Dies beurteilte der BFH als nachhaltige Tätigkeit im Sinne des Umsatzsteuergesetzes (hier: § 2 Abs. 1 UStG). 

Der BFH hat den Streitfall aber an die Vorinstanz zurückverwiesen. Diese muss nun (bisher fehlende) Feststellungen zur Differenzbesteuerung (nach § 25 a UStG) nachholen.  

Unter gewissen Voraussetzungen können Unternehmer die Differenzbesteuerung anwenden. Diese betrifft typischerweise Waren, die ein Wiederverkäufer von Nicht- oder Kleinunternehmern und damit ohne Umsatzsteuerausweis erworben hat. Die Umsatzbesteuerung ist hier auf die Marge, d. h., auf die Differenz zwischen dem Ein- und Verkaufspreis, beschränkt. 

Interessant an der Entscheidung des BFH ist vor allem, dass die Aufzeichnungspflichten (gemäß § 25 a Abs. 6 S. 1 UStG – insbesondere über Verkaufs- und Einkaufspreise) nicht zu den materiellen Voraussetzungen der Differenzbesteuerung gehören. Ein Verstoß gegen die Aufzeichnungspflichten führt deshalb nicht grundsätzlich zur Versagung der Differenzbesteuerung. Es ist dann vielmehr – ggf. zulasten des Wiederverkäufers – zu schätzen. 

Quelle | BFH, Urteil vom 12.5.2022, V R 19/20, PM Nr. 54/22 vom 10.11.2022

Werbungskosten: Entfernungspauschale: Ein Taxi ist kein öffentliches Verkehrsmittel

| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat aktuell entschieden, dass ein Arbeitnehmer für seine Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte (zumeist dessen üblicher Arbeitsplatz) auch bei Nutzung eines Taxis lediglich Aufwendungen in Höhe der Entfernungspauschale als Werbungskosten absetzen kann. | 

Aufwendungen eines Arbeitnehmers für Wege zwischen seiner Wohnung und seiner ersten Tätigkeitsstätte sind grundsätzlich pauschal in Höhe von 0,30 Euro für jeden Entfernungskilometer (ab dem 21. Kilometer: 0,38 Euro) anzusetzen – und zwar unabhängig davon, welches Verkehrsmittel genutzt wird. 

Beachten Sie | Eine Ausnahme gilt nach dem Einkommensteuergesetz (§ 9 Abs. 2 S. 2 EStG) jedoch bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln. Aufwendungen hierfür können angesetzt werden, soweit sie den im Kalenderjahr insgesamt als Entfernungspauschale abziehbaren Betrag übersteigen. 

Der BFH stellt bei seiner Entscheidung darauf ab, dass der Gesetzgeber bei Einführung der Ausnahmeregelung eine Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln im Linienverkehr (insbesondere Bus und Bahn) und damit ein enges Verständnis des Begriffs des öffentlichen Verkehrsmittels vor Augen hatte. Ein im Gelegenheitsverkehr genutztes Taxi zählt nach Meinung des BFH nicht zu den „öffentlichen Verkehrsmitteln“ im Sinne des Einkommensteuergesetzes, sodass die Ausnahmeregelung hier nicht greift. 

Quelle | BFH, Urteil vom 9.6.2022, VI R 26/20, PM Nr. 50/22 vom 3.11.2022

Inflationsausgleichsgesetz: Das ändert sich zum Jahreswechsel

| Der Bundesrat hat dem Inflationsausgleichsgesetz am 25.11.2022 zugestimmt. Angesichts der hohen Inflation wurden insbesondere das Kindergeld (für das erste, zweite und dritte Kind) und der Grundfreibetrag noch weiter angehoben, als ursprünglich geplant. | 

Grundfreibetrag und Unterhaltshöchstbetrag

Der steuerliche Grundfreibetrag, bis zu dessen Höhe keine Einkommensteuer gezahlt werden muss, steigt zum 1.1.2023 von derzeit 10.347 Euro auf 10.908 Euro. Für das Jahr 2024 erfolgt dann eine Anhebung auf 11.604 Euro. 

Beachten Sie | Der Unterhaltshöchstbetrag entspricht seit dem Jahr 2022 dem Grundfreibetrag. Dies bedeutet für 2022 eine nachträgliche Erhöhung von 9.984 Euro auf 10.347 Euro. 

Kalte Progression

Durch folgende Anpassungen sollen höhere Einkommen – trotz steigender Inflation – auch tatsächlich bei den Bürgern ankommen. Der Effekt der kalten Progression soll ausgeglichen werden. 

Die Tarifeckwerte wurden entsprechend der erwarteten Inflation nach rechts verschoben. Das bedeutet: Der Spitzensteuersatz „greift“ 2023 bei 62.810 Euro, statt bisher bei 58.597 Euro. 2024 wird er dann ab 66.761 Euro beginnen. 

Sehr hohe Einkommen (Reichensteuersatz) ab 277.826 Euro werden von der Anpassung indes ausgenommen. 

Familien und Solidaritätszuschlag

Die Kinderfreibeträge wurden schrittweise von 2022 bis 2024 erhöht (1.1.2022: 8.548 Euro; 1.1.2023: 8.952 Euro; 1.1.2024: 9.312 Euro). 

Beachten Sie | Das Kindergeld wird ab 2023 um monatlich 31 Euro für das erste und zweite Kind erhöht; für das dritte Kind erfolgt eine Erhöhung um 25 Euro. Damit beträgt das Kindergeld dann einheitlich 250 Euro im Monat. Da für das vierte und jedes weitere Kind keine Erhöhung erfolgen wird, bleibt es hier bei 250 Euro. 

Beachten Sie | Um „ein Hineinwachsen“ in den Solidaritätszuschlag zu verhindern, wurde die Freigrenze ab 2023 und 2024 angehoben. Es sollen weiterhin ca. 90 % der Steuerzahler vollständig vom Solidaritätszuschlag entlastet sein. 

Quelle | Inflationsausgleichsgesetz, BR-Drs. 576/22 (B) vom 25.11.2022; Die Bundesregierung: „Inflationsausgleich für 48 Millionen Menschen“ vom 10.11.2022

Jahressteuergesetz 2022: Homeoffice-Pauschale bleibt

| Der Bundestag hat das Jahressteuergesetz (JStG) 2022 am 2.12.2022 verabschiedet. Stimmt auch der Bundesrat in seiner Sitzung am 16.12.2022 zu, werden sowohl bei der Einkommen-, Umsatz- als auch Erbschaft-/Schenkungsteuer zahlreiche Änderungen zu berücksichtigen sein. Im Folgenden werden die Regelungen in Bezug auf die Einkommensteuer – hier die Tätigkeiten in der häuslichen Wohnung – vorgestellt. | 

Tätigkeiten im Arbeitszimmer und in der häuslichen Wohnung

Bislang sind Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer (z. B. Miete und Strom) wie folgt abzugsfähig: Bis zu 1.250 Euro jährlich, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht und ohne Höchstgrenze, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet. 

Homeoffice-Pauschale

Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt (z. B., weil die Tätigkeit im Wohnzimmer ausgeübt wird) oder verzichtet der Steuerpflichtige auf einen Abzug der Aufwendungen, kann ein Abzug für die betrieblich oder beruflich veranlassten Aufwendungen in pauschaler Form erfolgen. Diese im Zuge der Corona-Pandemie eingeführte Homeoffice-Pauschale beträgt derzeit 5 Euro für jeden Kalendertag, an dem der Steuerpflichtige seine gesamte Tätigkeit ausschließlich in der häuslichen Wohnung ausübt; maximal aber 600 Euro im Kalenderjahr. 

Der Abzug soll ab 2023 neu geregelt werden. Soweit der Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung im häuslichen Arbeitszimmer liegt, sollen (abweichend vom Regierungsentwurf) die Aufwendungen auch dann abziehbar sein, wenn für die Betätigung ein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Für Mittelpunktfälle sollen die Aufwendungen damit (wie bisher) in voller Höhe abziehbar bleiben. Anstelle des Abzugs der tatsächlichen Aufwendungen soll aber ein pauschaler Abzug in Höhe von 1.260 Euro möglich sein. Bei dieser Jahrespauschale (Kürzung um 1/12 für jeden vollen Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen nicht vorliegen) handelt es sich um einen personenbezogenen Betrag, weil er sich am Höchstbetrag der Tagespauschale (ab 2023: Erhöhung von 5 Euro auf 6 Euro) orientiert und Steuerpflichtige mit einem häuslichen Arbeitszimmer nicht schlechter gestellt sein sollen als solche, die nur die Tagespauschale abziehen können. 

Liegt der Mittelpunkt der Betätigung nicht im häuslichen Arbeitszimmer, steht den Steuerpflichtigen aber kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung, sollen sie die Tagespauschale abziehen können. Nach der Gesetzesbegründung muss somit künftig nur noch im „Mittelpunktfall“ der Typusbegriff des häuslichen Arbeitszimmers erfüllt sein. Liegen die Voraussetzungen für den Abzug der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht im gesamten Kalenderjahr vor und wird die Jahrespauschale gekürzt, kann für diesen Kürzungszeitraum die Tagespauschale zu gewähren sein. Die Tagespauschale in Höhe von 6 EUR soll auf einen jährlichen Höchstbetrag von 1.260 Euro gedeckelt werden (also maximal 210 Tage im Jahr). 

Beachten Sie | Der Abzug der Tagespauschale ist neben dem Abzug von Fahrtkosten für die Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte oder regelmäßiger Arbeitsstätte nur zulässig, wenn für die Betätigung dauerhaft kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Ein Abzug ist zulässig, wenn zusätzlich zu einer Auswärtstätigkeit die überwiegende Arbeitszeit in der häuslichen Wohnung verrichtet wird. 

Quelle | Jahressteuergesetz 2022 in der Fassung vom 30.11.2022, BT-Drs. 20/4729; Verabschiedung Bundestag am 2.12.2022

Hilfsbereitschaft: Gerissenes Abschleppseil: Wer gezogen wird, haftet

| Bei einem privaten Abschleppvorgang aus Hilfsbereitschaft riss die Abschleppöse beim gezogenen Fahrzeug ab. Infolge der Spannung schleuderte das Seil nach vorn und beschädigt das ziehende Fahrzeug. Wer muss in einem solchen Fall den Schaden begleichen? Das hat jetzt das Amtsgericht (AG) Regensburg entschieden. | 

Im Rechtsstreit ließ sich auch unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen nicht mehr klären, warum die Abschleppverbindung gerissen ist. Ein Fehler des einen oder des anderen Fahrers hatte weder eine Partei vorgetragen noch nachgewiesen. 

Das AG sah keine Haftungsbeschränkung auf grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz. Die Risiken eines solchen Vorgangs seien viel zu groß, als dass man von einem bloßen Gefälligkeitsverhältnis ausgehen könne. Weil beide Fahrer angaben, der Abschleppvorgang sei normal verlaufen, es sei insbesondere nicht zu heftig angefahren worden, ordnete das Gericht den Schadeneintritt für den Ziehenden als ein unabwendbares Ereignis ein. So blieb nur die Betriebsgefahr des geschleppten Fahrzeugs. Das überraschende Ergebnis: 100 Prozent Haftung zulasten des gezogenen Fahrzeugs. 

Quelle | AG Regensburg, Urteil vom 21.7.2022, 9 C 56/22

Immobiliar-Verbraucherdarlehen: (Kein) Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung

| Ein häufiger Streitpunkt, der die Gerichte beschäftigt, ist die von Banken geforderte Vorfälligkeitsentschädigung. Die Durchsetzung des Anspruchs auf Vorfälligkeitsentschädigung seitens der darlehensgebenden Bank setzt auch beim Immobiliar-Verbraucherdarlehensvertrag nicht voraus, dass die für die genaue Berechnung zugrunde zu legenden Größen bereits im Darlehensvertrag präzise definiert sind. Vielmehr genügt es, die wesentlichen Parameter in groben Zügen zu nennen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken. | 

Der Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung ist nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB) ausgeschlossen, wenn im Vertrag die Angaben über die Laufzeit des Vertrags, das Kündigungsrecht des Darlehensnehmers oder die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung unzureichend sind. Welche Angaben zur Berechnung erforderlich sind, ist allerdings weder gesetzlich noch abschließend in der Rechtsprechung geklärt. 

Das OLG hat daher klargestellt: Einer Differenzierung zwischen „Zinsbindungsfrist“ und „rechtlich geschützter Zinserwartung“ bedarf es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. 

Beachten Sie | Das in diesem Verfahren beklagte Kreditinstitut hatte die finanzmathematischen Rahmenbedingungen zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung skizziert und nach Ansicht des OLG sämtliche wesentlichen Parameter dargestellt, die nach allen ernsthaft vertretenen Ansichten gefordert werden. 

Diese sind:

  • der geschuldete Kreditbetrag und die Restlaufzeit bis zum Ende der Zinsbindung,  
  • die Differenz zwischen Darlehenszinssatz und der erzielten Wiederanlagerendite aus den zurückgeflossenen Darlehensmitteln,  
  • die schadensmindernd zu berücksichtigenden ersparten Verwaltungsaufwendungen und die eingesparte Risikomarge sowie  
  • die Abzinsung des auf dieser Grundlage ermittelten Schadens.

Quelle | OLG Stuttgart, Urteil vom 18.5.2022, 9 U 237/21

BGH-Entscheidung: Zulässigkeit einer negativen Bewertung bei eBay

| Bewertungen im Internet haben eine hohe Relevanz: Ob Kaufabsichten, Reisebuchungen oder Arztbesuche – nahezu alles wird anhand von Erfahrungsberichten und Bewertungen „abgecheckt“. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun über die Frage entschieden, unter welchen Voraussetzungen der Verkäufer, der ein Produkt über die Internetplattform eBay verkauft, einen Anspruch gegen den Käufer auf Entfernung einer abgegebenen negativen Bewertung hat. | 

Das war geschehen

Der Beklagte erwarb von der Klägerin über die Internetplattform eBay vier Gelenkbolzenschellen für 19,26 Euro brutto. Davon entfielen 4,90 Euro auf die dem Beklagten in Rechnung gestellten Versandkosten. Der Verkauf erfolgte auf der Grundlage der zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von eBay, denen die Parteien vor dem Geschäft zugestimmt hatten. Dort heißt es auszugsweise unter „§ 8 Bewertungen“, dass der Nutzer verpflichtet ist, in den abgegebenen Bewertungen ausschließlich wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Die von Nutzern abgegebenen Bewertungen müssen sachlich gehalten sein und dürfen keine Schmähkritik enthalten. Nach Erhalt der Ware bewertete der Beklagte das Geschäft in dem von eBay zur Verfügung gestellten Bewertungsprofil der Klägerin mit dem Eintrag „Ware gut,Versandkosten Wucher!!“. 

Bundesgerichtshof: Bewertung muss nicht entfernt werden

Der BGH hat nun entschieden, dass der Klägerin ein Anspruch auf Entfernung der Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ nicht zusteht, auch nicht unter dem vom Berufungsgericht herangezogenen Gesichtspunkt einer (nach-)vertraglichen Nebenpflichtverletzung. Anders, als das Berufungsgericht es gesehen hat, enthält der o. g. § 8 der eBay-AGB über die bei Werturteilen ohnehin allgemein geltende (deliktsrechtliche) Grenze der Schmähkritik hinaus keine strengeren vertraglichen Beschränkungen für die Zulässigkeit von Werturteilen in Bewertungskommentaren. 

Klausel ist nicht eindeutig: Was bedeutet „sachlich“?

Zwar ist der Wortlaut der Klausel nicht eindeutig. Für das Verständnis, dem dort enthaltenen Sachlichkeitsgebot solle gegenüber dem Verbot der Schmähkritik ein eigenständiges Gewicht nicht zukommen, spricht aber bereits der Umstand, dass hier genaue Definitionen zu dem unbestimmten Rechtsbegriff „sachlich“ in den AGB fehlen. Es liegt in diesem Fall im wohlverstandenen Interesse aller Beteiligten, die Zulässigkeit von grundrechtsrelevanten Bewertungen eines getätigten Geschäfts an den gefestigten Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Schmähkritik auszurichten und hierdurch die Anforderungen an die Zulässigkeit von Bewertungskommentaren für die Nutzer und eBay selbst möglichst greifbar und verlässlich zu konturieren. 

Zudem hätte es der gesonderten Erwähnung der Schmähkritikgrenze nicht bedurft, wenn dem Nutzer schon durch die Vorgabe, Bewertungen sachlich zu halten, eine deutlich schärfere Einschränkung hätte auferlegt werden sollen. Außerdem würde man der grundrechtlich verbürgten Meinungsfreiheit des Bewertenden von vornherein ein geringeres Gewicht beimessen als den Grundrechten des Verkäufers, wenn man eine Meinungsäußerung eines Käufers regelmäßig bereits dann als unzulässig einstufe, wenn sie herabsetzend formuliert ist und/oder nicht (vollständig oder überwiegend) auf sachlichen Erwägungen beruht. Eine solche, die grundrechtlichen Wertungen nicht hinreichend berücksichtigende Auslegung entspricht nicht dem an den Interessen der typischerweise beteiligten Verkehrskreise ausgerichteten Verständnis redlicher und verständiger Vertragsparteien. 

Grenze zur Schmähkritik war nicht überschritten

Die Grenze zur Schmähkritik ist durch die Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ nicht überschritten. Wegen seiner das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Wirkung ist der Begriff der Schmähkritik nach der Rechtsprechung des BGH eng auszulegen. Auch eine überzogene, ungerechte oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht, der jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll. 

Kritik in scharfer Form, aber keine Diffamierung

Daran fehlt es hier. Bei der Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ steht eine Diffamierung der Klägerin nicht im Vordergrund. Denn der Beklagte setzt sich – wenn auch in scharfer und möglicherweise überzogener Form – kritisch mit einem Teilbereich der gewerblichen Leistung der Klägerin auseinander, indem er die Höhe der Versandkosten beanstandet. Die Zulässigkeit eines Werturteils hängt nicht davon ab, ob es mit einer Begründung versehen ist. 

Quelle | BGH, Urteil vom 28.9.2022, VIII ZR 319/20, PM 141/22

Fluggastrechte: Trotz Insolvenz Beförderung aus Kulanz: Keine Ansprüche mehr

| Nach einer Insolvenz kulanzweise durchgeführte Beförderungen von Passagieren, die ihre Tickets vor der Insolvenz bezahlt haben, sind als „kostenlos“ im Sinne der EU-Fluggastrechte-VO zu werten. Fluggäste, die kostenlos reisen, haben keine Ansprüche nach der EU-Fluggastrechte-VO. Der bezahlte Flugpreis steht der Wertung als kostenlos nicht entgegen; er wandelt sich nach Insolvenzeröffnung in eine Insolvenzforderung. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat jetzt die landgerichtliche Entscheidung im Ergebnis bestätigt und Ausgleichsansprüche des Klägers abgelehnt. | 

Das war geschehen

Der Kläger buchte bei der Beklagten im April 2019 eine Flugreise von Frankfurt auf die Seychellen. Der Hinflug sollte am 3.1.2020 und der Rückflug am 4.4.2020 erfolgen. Im Dezember 2019 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet. Die Beklagte entschloss sich, aus Kulanz und, um ihren guten Ruf zu wahren, Passagiere mit vor der Insolvenzantragstellung bezahlten Tickets dennoch zu befördern. Der Hinflug wurde aufgrund eines technischen Defekts am Flugzeug um einen Tag verspätet durchgeführt. Den Rückflug buchte die Beklagte wegen der Corona-Pandemie mehrfach um. Vor dem letztlich für den 8.10.2020 in Aussicht gestellten Rückflug der Beklagten organisierte sich der Kläger am 1.8.2020 eine alternative Beförderung. Er begehrte nun Erstattung der Hotelkosten in Höhe von 4.000 Euro für die Zeit vom 4.4. bis 1.8.2020, hälftige Erstattung des Rückflugs und Entschädigung wegen des verzögerten Hinflugs. Das Landgericht (LG) hatte die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. 

Beförderungsanspruch wurde zu Insolvenzforderung

Der Kläger könne keinen Entschädigungsanspruch hinsichtlich des verzögerten Hinflugs und des mehrfach verschobenen Rückflugs nach der EU-Fluggastverordnung geltend machen. Wegen der Insolvenz der Beklagten sei der ursprüngliche Beförderungsanspruch zu einer Insolvenzforderung geworden; es habe nach der Insolvenzeröffnung daher kein durchsetzbarer Anspruch mehr auf Durchführung des Flugs bestanden. Die aus Kulanz gewährte Beförderung sei damit als „kostenlos“ im Sinne der Fluggastrechte-VO einzustufen. Fluggäste, die kostenlos reisten, seien von der Verordnung ausgenommen. Sie könnten keine Ausgleichsansprüche geltend machen. Ausgleichsansprüche, die keinen Vermögensschaden voraussetzten, sondern dem Ausgleich von „Ärgernissen und Unannehmlichkeiten“ dienten, bestünden nur im Fall der Entgeltlichkeit. 

BGH muss entscheiden

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entschiedenen Rechtsfrage hat das OLG die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 20.7.2022, 13 U 280/21, PM 71/22

Ortsübliche Vergleichsmiete: Keine separate Dusche, aber dennoch Duschmöglichkeit

| Das Fehlen einer separaten Dusche kann nicht mit einer fehlenden Duschmöglichkeit gleichgesetzt werden. So hat es das Amtsgericht (AG) Berlin-Mitte entschieden. | 

Es gab Streit um eine Mieterhöhung auf die ortsübliche Vergleichsmiete auf der Grundlage des Berliner Mietspiegels 2019. Im Badezimmer der Wohnung gab es eine Badewanne, in der eine Haltestange und ein Brausekopf montiert waren. Der Mieter behauptete, das Badezimmer verfüge über keine Duschmöglichkeit und widersprach der Mieterhöhung. Der Vermieter erhob Klage. 

Das AG gab ihm Recht. Durch das Fehlen einer separaten Dusche ist das wohnwertmindernde Merkmal „keine Duschmöglichkeit“ nicht erfüllt. Der Mieter mache zwar geltend, ohne Duschwand oder eine sonstige vergleichbare Ausstattung nur die Möglichkeit zu haben, im Sitzen zu duschen. Allerdings könne das Duschen in der Badewanne, auch wenn im Sitzen, nicht mit dem Fehlen einer Duschmöglichkeit gleichgesetzt werden. Denn die Badewanne sei mit einer Haltestange und einem Brausekopf ausgestattet. Das Duschen sei in dieser Form möglich. 

Quelle | AG Berlin-Mitte, Urteil vom 10.2.2022, 21 C 280/20

Testament: Hypothetischer Wille eines dementen Erblassers zugunsten eines früheren Lebenspartners

| Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg hat die Frage entschieden, ob der in einem Testament manifestierte Wille des Erblassers auch für den Fall gelten sollte, dass sich sein Lebensgefährte noch während seiner Demenzerkrankung einem anderen Lebenspartner zuwendet. | 

Der Antragsteller ist der ehemalige Lebensgefährte des Erblassers. Aus dessen mittlerweile geschiedenen früheren Ehe ist eine Tochter hervorgegangen. Der Erblasser hat den Antragsteller und seine Tochter mit Testament vom 5.6.2005 zu Erben eingesetzt. Am 17.10.2016 wurde der Erblasser aufgrund weit fortgeschrittener Demenz in eine Klinik eingeliefert und ab dem 15.11.2016 stationär in einer Pflegeeinrichtung betreut. Am 15.8.2020 heiratete der Antragsteller einen neuen Lebenspartner. Im Jahr 2021 verstarb der Erblasser. 

Die Tochter hat die am 5.6.2005 errichtete letztwillige Verfügung des Erblassers aufgrund eines Motivirrtums angefochten, soweit dort der Antragsteller zum Erben bestimmt ist. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass der Erblasser bei Kenntnis der Tatsache, dass der Antragsteller sich einem neuen Lebensgefährten zuwendet und diesen auch heiratet, sein Testament geändert hätte. Das Amtsgericht (AG) hingegen hat mit angefochtenem Beschluss die für die Erteilung des beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen zugunsten des Antragstellers als festgestellt angesehen. Dem ist das OLG gefolgt. 

Eine Verfügung von Todes wegen, durch die der Erblasser (u. a.) seinen Lebenspartner bedacht hat, sei zwar unwirksam, wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht. Eine Ausnahme gelte aber, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser die Verfügung auch für einen solchen Fall getroffen hätte. Dabei kommt es auf den hypothetischen Willen des Erblassers zur Zeit der Errichtung der Verfügung von Todes wegen an. Nach ausführlicher Würdigung der besonderen Umstände kam das OLG zu dem Schluss, dass vorliegend von einer derartigen Ausnahme auszugehen und die Verfügung noch wirksam sei. 

Quelle | OLG Oldenburg, Beschluss vom 26.9.2022, 3 W 55/22

Nichterfüllung vertraglicher Pflichten: Bau einer Moschee zu langsam: Stadt erhält Grundstück

| Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat einen beklagten muslimischen Verein für Kultur, Bildung und Integration u. a. zur Rückübertragung des Erbbaurechts eines mit einer Moschee bebauten Grundstücks verpflichtet und dessen Begehren auf Übertragung des Eigentums an diesem Grundstück abgewiesen. | 

Das war geschehen

Die Stadt Leinfelden-Echterdingen und der Verein hatten 2014 einen Erbbaurechtsvertrag geschlossen, nach dem die Stadt als Grundstückseigentümerin u. a. eine Rückübertragung des Erbbaurechts bei einer Nichterfüllung vertraglicher Pflichten verlangen kann. Über dieses sog. Heimfallrecht sowie die Ausübung eines Wiederkaufsrechts durch die Stadt streiten die Parteien, nachdem der beklagte Verein als Bauherr seinen vertraglichen Pflichten nicht nachgekommen ist: Der Verein hatte in einem 1. Bauabschnitt die Moschee und ein Kulturhaus nicht fristgerecht bis zum 31.10.2018 – und auch noch nicht bis zum Sommer 2022 – fertiggestellt. Dennoch hatte der Beklagte den vereinbarten Kaufpreis für das Moscheegrundstück in Höhe von über 800.00 Euro bereits 2018 an die Stadt bezahlt. Er wurde aber noch nicht als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Die Stadt übte daraufhin ihr Wiederkaufsrecht aus und beanspruchte auch den Heimfall des Erbbaurechts. 

Landgericht gab der Stadt Recht

In erster Instanz verurteilte das Landgericht (LG) Stuttgart den beklagten Verein auf Übertragung des Erbbaurechts und wies demgegenüber den Anspruch des Vereins auf Übertragung des Eigentums an dem Moscheegrundstück zurück. 

Beide Parteien: Berufung eingelegt

Mit ihren jeweiligen Berufungen machten die Parteien weitergehende Ansprüche geltend. Die Stadt beansprucht Erbbauzinszahlungen sowie einen Nachweis der Versicherung des Moscheebauwerks. Der Verein will nach wie vor die Auflassung und das Eigentum an dem Grundstück, da die Klägerin ihr Wiederkaufsrecht rechtswidrig ausgeübt habe. Dadurch sei der Kulturverein in seinen Grundrechten auf Religionsfreiheit und seinem Eigentum am Gebäude verletzt. 

Nach dem Scheitern der Vergleichsverhandlungen der Parteien hat das OLG die erstinstanzliche Entscheidung zugunsten der Stadt bestätigt und ihr Ansprüche aus dem Erbbaurechtsvertrag zugesprochen. Der Verein muss die Rückübertragung des Erbbaurechts erklären, das Moscheebauwerk bis dahin entsprechend versichern und Erbbauzinsen von über 110.000 Euro nachzahlen. Der Kaufvertrag wird rückabgewickelt und die Stadt bleibt Eigentümerin des Grundstücks. 

Oberlandesgericht: Verein hätte fristgerecht bauen müssen

Das OLG begründet dies damit, dass der Verein seiner vertraglich bindenden Zusage, die Moschee fristgerecht herzustellen, schuldhaft nicht nachgekommen sei. Durch die Kaufpreiszahlung des Vereins seien seine Verpflichtungen – wie z. B. auf Versicherungsschutz des Bauwerks – aus dem dinglichen Erbbaurechtsvertrag nicht fortgefallen, sondern wirkten fort. 

Bei dem Heimfallrecht und dem Wiederkaufsrecht handle es sich um verschiedene Rechte, die die Stadt beide – mit unterschiedlichen Folgen – ausgeübt habe. Insbesondere sei die Vereinbarung über das Wiederkaufsrecht, wenn der Verein nicht rechtzeitig den 1. Bauabschnitt fertigstelle, wirksam. Der Verein habe keinen Anspruch, genau auf dem streitgegenständlichen Grundstück seinen Mitgliedern die Religionsausübung zu ermöglichen. Vielmehr habe er die Bedingungen des Erbbaurechtsvertrags nicht eingehalten und dadurch das Heimfallrecht ausgelöst. Zugleich sei das vorgesehene Wiederkaufsrecht auch nicht unwirksam und entspreche einer angemessenen Vertragsgestaltung, da der Beklagte in diesem Fall einen wirtschaftlichen Ausgleich seiner Verwendungen erhalte. 

Weitere Gerichte müssen entscheiden

Allerdings könne der Verein erst in weiterem Rechtsstreit eine angemessene Entschädigung für die Erhöhung des Grundstückswerts durch seine Aufwendungen geltend machen, um dann an anderer Stelle eine Gebetsmöglichkeit für seine Mitglieder zu schaffen. Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) gegen dieses Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. 

Quelle | OLG Stuttgart, Urteil vom 13.9.2022, 10 U 278/21

Nachbarschaftsstreit: Überschwenken eines Baukrans

| Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat entschieden: Ein durch einen über sein Grundstück schwenkenden Kranarm beeinträchtigter Nachbar hat einen Unterlassungsanspruch. | 

Das war geschehen

Die Eigentümer zweier benachbarter Grundstücke gerieten über den Abbruch und die Neubebauung in Streit. Nach Erhalt der Baugenehmigung für zwei Doppelhäuser und vier Garagen haben die Beklagten Ende 2021 einen 18 Meter hohen Turmdrehkran mit ca. 28 Meter langem Ausleger auf der Grundstücksgrenze aufgestellt. Der Ausleger überschwenkte ohne Vorankündigung mehrfach und für längere Zeit im Frühjahr 2022 – mit und ohne Last – den Luftraum über dem klägerischen Grundstück. In einem Fall blieb der Kran mit schweren Betonfertigteilen an der Oberleitung hängen, die auch das klägerische Grundstück mit Strom versorgte. Dadurch wurde u. a. das Dachgeschoss des Hauses des Klägers erschüttert. 

Landgericht: Überschwenken erlaubt, aber ohne Lasten

Der Kläger beantragte daher, es unverzüglich zu unterlassen, sein Grundstück mit dem Kran zu überschwenken. Das Landgericht (LG) bejahte diesen Anspruch, jedoch nur im Fall eines Überschwenkens mit Lasten. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, der seinen Antrag auf Unterlassung auch eines lastenfreien Schwenkens des Kranarms beim OLG weiterverfolgte. 

Oberlandesgericht: Überschwenken in jedem Fall untersagt

Das OLG sah die Berufung als begründet an und untersagte das Schwenken des Baukrans über dem Grundstück des Klägers bei Ordnungsgeld-Androhung für jeden Fall der Zuwiderhandlung. 

Die Beklagten hätten das im Nachbarrechtsgesetz Baden-Württemberg (NRG BW) auch für das Einschwenken eines Baukrans in den nachbarlichen Luftraum vorgesehene Verfahren nicht eingehalten. Daher könnten sich die Bauherren nicht auf das sog. Hammerschlags- und Leiterrecht (nach § 7 d NRG BW) und eine entsprechende Duldungspflicht des Klägers berufen. Nach den gesetzlichen Vorgaben hätten die Bauherren das Benutzen des Nachbargrundstücks durch Überschwenken des Krans – mit oder ohne Lasten – zwei Wochen vor der Benutzung anzeigen müssen, was unstreitig nicht erfolgt war. Hätte der Kläger dem Überschwenken dann nicht zugestimmt, hätten die Beklagten erst Duldungsklage erheben müssen und auch dann nicht ihr vermeintliches Recht im Wege der Selbsthilfe durchsetzen können. 

Diese Entscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren ist rechtskräftig. Allerdings können die Beklagten noch in einem Hauptsacheverfahren gerichtlich klären lassen, ob ihnen ein Duldungsanspruch auf Überschwenken des Krans gegen den Kläger zusteht. 

Quelle | OLG Stuttgart, Urteil vom 31.8.2022, 4 U 74/22, PM vom 8.9.2022

Youtube-Video: Meinungsfreiheit überstrapaziert: Lehrer erhält fristlose Kündigung

| Das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin hat die fristlose Kündigung eines Lehrers des Landes Berlin als wirksam erachtet, der auf YouTube ein Video veröffentlicht hat, das eine Darstellung des Tores eines Konzentrationslagers mit der Inschrift „IMPFUNG MACHT FREI“ enthielt. | 

Das war geschehen

Der Lehrer hat ein YouTube-Video unter dem Titel „Sie machen Tempo! Und Ich denke…“ veröffentlicht. Am Anfang des Videos wird für etwa drei Sekunden ein Bild eingeblendet, auf dem das Tor eines Konzentrationslagers abgebildet ist. Der Originalschriftzug des Tores „ARBEIT MACHT FREI“ wurde durch den Text „IMPFUNG MACHT FREI“ ersetzt. Es folgt dann eine ebenfalls etwa drei Sekunden lange Einblendung eines Tweets des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder, der eine Ausweitung der Impfangebote ankündigt und in dem er die Aussage „Impfen ist der Weg zur Freiheit“ trifft. Die Einblendungen zu Beginn des Videos werden weder durch Text noch durch mündliche Erklärungen näher erläutert. Abrufbar war das Video unter einem Standbild der ersten Einblendung des Videos. 

Das Land Berlin hat den Lehrer u. a. wegen der Veröffentlichung dieses Videos fristlos, hilfsweise fristgemäß gekündigt. Der Lehrer setze in dem Video das staatliche Werben um eine Impfbereitschaft in der Pandemie mit der Unrechtsherrschaft und dem System der Konzentrationslager gleich. Damit verharmlose er die Unrechtstaten der Nationalsozialisten und missachte die Opfer. Der Lehrer habe seine Schüler aufgefordert, seinen außerdienstlichen Aktivitäten im Internet zu folgen und sich in anderen Videos auch als Lehrer des Landes Berlin vorgestellt. 

Der Lehrer sieht in dem Video hingegen keinen Grund für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Er habe mit dem privaten Video ausschließlich scharfe Kritik an der Äußerung des bayrischen Ministerpräsidenten üben und deutlich machen wollen, dass diese der menschen- und rechtsverachtenden Polemik des Nationalsozialismus nahe komme. Das Video sei durch das Grundrecht auf Meinungsäußerung und Kunstfreiheit gedeckt. 

So sah es das Arbeitsgericht

Das ArbG hat die Kündigungsschutzklage des Lehrers abgewiesen. Eine Auslegung des Inhalts des Videos ergebe nicht nur eine Kritik an der Äußerung des bayrischen Ministerpräsidenten, sondern auch an der allgemeinen, auch vom Land Berlin und der Schulsenatorin getragenen Impfpolitik. Dabei überschreite der Lehrer durch den Vergleich des Bildes mit dem Text „IMPFUNG MACHT FREI“ mit der Impfpolitik das Maß der zulässigen Kritik. Die Kritik des Lehrers sei nicht mehr durch die Grundrechte der Meinungsfreiheit oder Kunstfreiheit gedeckt, sondern stelle eine unzulässige Verharmlosung des Holocausts dar. Eine Weiterbeschäftigung des Lehrers sei aus diesem Grund unzumutbar. 

Quelle | ArbG Berlin, Urteil vom 12.9.2022, 22 Ca 223/22

BFH-Entscheidung: Fahrzeugwerbung: Entgelt ist oft Arbeitslohn

| Nach Meinung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist ein von einem Arbeitgeber an seine Arbeitnehmer gezahltes Entgelt für Werbung des Arbeitgebers auf dem Kennzeichenhalter des privaten Pkw des Arbeitnehmers Arbeitslohn, wenn dem abgeschlossenen „Werbemietvertrag“ kein eigenständiger wirtschaftlicher Gehalt zukommt. | 

Nicht jede Zahlung eines Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer stellt Arbeitslohn dar. Vielmehr kann ein Arbeitgeber mit seinem Arbeitnehmer neben dem Arbeitsvertrag weitere eigenständige Verträge abschließen. Kommt einem gesondert abgeschlossenen Vertrag allerdings kein eigenständiger wirtschaftlicher Gehalt zu, kann es sich insoweit um eine weitere Arbeitslohnzahlung handeln. 

Ein Arbeitgeber hatte mit einem Teil seiner Arbeitnehmer „Werbemietverträge“ geschlossen. Danach verpflichteten sich diese, mit Werbung des Arbeitgebers versehene Kennzeichenhalter an ihren privaten Pkw anzubringen. Dafür erhielten sie jährlich 255 Euro. Der Arbeitgeber behandelte das „Werbeentgelt“ als sonstige Einkünfte gemäß Einkommensteuergesetz (§ 22 Nr. 3 EStG) und behielt daher keine Lohnsteuer ein. Dies war auch für die Arbeitnehmer vorteilhaft, da solche Einkünfte unterhalb eines Betrags von 256 Euro jährlich steuerfrei sind. Das Finanzamt ging aber von einer Lohnzahlung aus und nahm den Arbeitgeber für nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer in Haftung – und zwar zu Recht, wie das FG Münster und der BFH entschieden. Die Zahlungen gehören zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, weil sie durch das Arbeitsverhältnis veranlasst sind und nicht auf einem Sonderrechtsverhältnis „Mietvertrag Werbefläche“ beruhen, da diesem kein eigener wirtschaftlicher Gehalt zukommt. 

Der BFH erachtete insbesondere die folgenden Würdigungen der Vorinstanz nicht nur als möglich, sondern als naheliegend: Dem gesondert abgeschlossenen „Mietvertrag Werbefläche“ kam unter Berücksichtigung der am Markt befindlichen Angebote schon aufgrund seiner Ausgestaltung kein eigener wirtschaftlicher Gehalt zu. Denn die Erzielung einer Werbewirkung war nicht sichergestellt und die Bemessung des Entgelts war offensichtlich an der im Einkommensteuergesetz geregelten Freigrenze orientiert. Der Werbeeffekt war nicht – wie im wirtschaftlichen Geschäftsverkehr üblich – ausschlaggebendes Kriterium für die Bemessung des Entgelts gewesen. Das FG berücksichtigte, dass Verträge ausschließlich mit Mitarbeitern geschlossen wurden und die Laufzeit der Verträge an das Bestehen des Arbeitsverhältnisses geknüpft war. 

Quelle | BFH, Beschluss vom 21.6.2022, VI R 20/20

Kündigungsschutzklage: Private Nutzung eines Firmenwagens: Keine Kündigung ohne Abmahnung

| Vor Ausspruch einer Kündigung ist es oft erforderlich, zunächst eine Abmahnung auszusprechen. Diese geht – in vielen Fällen – der Kündigung als mildestes Mittel vor. Hierauf hat aktuell noch einmal das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern hingewiesen. | 

Der Arbeitgeber hatte in der Vergangenheit die kurzzeitige Nutzung von Firmenfahrzeugen zu privaten Zwecken nach Rücksprache mit dem Vorgesetzten gestattet. Ein Arbeitnehmer hatte dann das Fahrzeug ohne Erlaubnis genutzt, da er in diesem Moment nicht die Möglichkeit hatte, Kontakt zu seinem Vorgesetzten aufzunehmen. 

Der Arbeitgeber hatte das zum Anlass genommen, dem Arbeitnehmer zu kündigen. Dessen Kündigungsschutzklage hatte vor dem LAG Erfolg. Es machte deutlich, dass die Pflichtverletzung hier nicht so groß sei, dass sie eine umgehende Kündigung rechtfertigen würde. Es sei in diesem Fall vielmehr erforderlich gewesen, vor Ausspruch der Kündigung die Pflichtverletzung abzumahnen. 

Quelle | LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 21.6.2022, 5 Sa 245/21

Vorerkrankungen: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt nicht immer für die Entgeltfortzahlung

| Ist der Arbeitnehmer länger als sechs Wochen arbeitsunfähig, reicht die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) nicht aus, um automatisch eine Entgeltfortzahlung zu bekommen. Es darf keine Fortsetzungserkrankung vorliegen, was der Arbeitnehmer beweisen muss. Das entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen. | 

Das war geschehen

Der Kläger war in den Kalenderjahren 2019 und 2020 im erheblichen Umfang arbeitsunfähig erkrankt. Im Zeitraum August bis Dezember 2019 war er an 68 Kalendertagen und im Zeitraum Januar bis August 2020 an 42 Kalendertagen erkrankt. Am 18. August 2020 legte der Kläger eine weitere Erstbescheinigung vor und verlangte eine entsprechende Entgeltfortzahlung. Der beklagte Arbeitgeber hatte jedoch Zweifel, dass eine neue Erkrankung vorlag und verweigerte daher die Entgeltfortzahlung. Dagegen wandte der Kläger ein, er habe für den streitgegenständlichen Zeitraum Erstbescheinigungen vorgelegt, woraus zu ersehen sei, dass Vorerkrankungen nicht vorgelegen hätten. Aus Datenschutzgründen sei er zudem nicht verpflichtet, sämtliche Diagnosen offenzulegen. 

Entgeltfortzahlung nur bei „neuer“ Erkrankung

Das Gericht wies die Klage ab und begründete seine Entscheidung damit, dass die AU keine Angaben zum Bestehen einer Fortsetzungserkrankung enthält. Hintergrund ist, dass die Entgeltfortzahlung entfällt, wenn die Krankheit länger als sechs Wochen andauert. Der Arbeitnehmer hat dagegen weiterhin Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn die erneute Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Erkrankung beruht. 

Aus der Entscheidung folgen diese Grundsätze für die Praxis: Zunächst muss der Arbeitnehmer darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Hierzu kann er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen. 

Arbeitnehmer muss beweisen

Bestreitet der Arbeitgeber das Vorliegen einer neuen Krankheit, muss der Arbeitnehmer die Tatsachen darlegen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung vorgelegen. Um dieser abgestuften Darlegungslast gerecht zu werden, muss der Arbeitnehmer grundsätzlich zu allen Krankheiten im Jahreszeitraum substanziiert vortragen. Er kann nicht eine „Vorauswahl“ treffen und nur zu denjenigen Erkrankungen vortragen, die ihm als möglicherweise einschlägig erscheinen. 

Datenschutz: Gesundheitsdaten dürfen unter bestimmten Voraussetzungen verarbeitet werden

Diese Pflicht berührt zwar das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Arbeitnehmers. Sie ist aber nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) gerechtfertigt. Dort wird die Verarbeitung von Gesundheitsdaten gestattet, wenn sie zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder bei Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit erforderlich ist. 

Quelle | LAG Hessen, Urteil vom 14.2.2022, 10 Sa 898/21

Umsatzsteuer: Betrieb von Geldspielautomaten: Umsatzsteuerpflicht auch nach dem 1.7.2021

| Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten sind auch nach der zum 1.7.2021 in Kraft getretenen Gesetzesänderung für virtuelle Automatenspiele umsatzsteuerpflichtig. So lautet ein Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH). | 

Der BFH hatte bereits mehrfach entschieden, dass Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten umsatzsteuerpflichtig sind. Bis zum 30.6.2021 galt dies unabhängig davon, ob es sich um Umsätze in Spielhallen oder Online-Umsätze (sog. virtuelle Automatenspiele) handelte. 

Zum 1.7.2021 hat der Gesetzgeber die gesetzlichen Grundlagen geändert:

  • Virtuelle Automatenspiele unterliegen seither der Rennwett- und Lotteriesteuer. Sie sind deshalb nach dem Umsatzsteuergesetz (§ 4 Nr. 9 Buchst. b UStG) umsatzsteuerfrei.
    ‍
  • Umsätze in Spielhallen sind hingegen weiterhin umsatzsteuerpflichtig. Für sie fällt demgegenüber auch keine Rennwett- und Lotteriesteuer an.

Hintergrund der Änderung war u. a., dass Online-Angebote hinsichtlich ihrer Spielsucht auslösenden Aspekte anders einzustufen seien als die terrestrischen Angebote (z. B. in Spielhallen). 

Mit seinem Beschluss hat der BFH nun klargestellt, dass diese Ungleichbehandlung zulässig ist. Umsätze in Spielhallen und Online-Umsätze sind aus mehreren Gründen (unterschiedliche Ausschüttungsquoten, unterschiedliche Verfügbarkeit, potenziell größerer Kundenkreis online, unterschiedliche Spielsuchtrisiken) nicht vergleichbar.  

Beachten Sie | Anders als terrestrische Umsätze werden auf elektronischem Weg erbrachte Dienstleistungen aufgrund einer Mehrwertsteuer-Sonderregelung zwingend am Ortdes Leistungsempfängers besteuert. Die Europäische Union hat diese Sonderregelung eingeführt, um sicherzustellen, dass eine Besteuerung solcher Dienstleistungen in der EU erfolgt, wenn sie in der EU verbraucht werden. Dies rechtfertigt, so der BFH, die unterschiedliche Besteuerung von terrestrischen Umsätzen und Online-Umsätzen.  

Quelle | BFH, Beschluss vom 26.9.2022, XI B 9/22 (AdV)

Steuererleichterungen: Umsatzsteuerentlastung für die Gastronomie bis Ende 2023 verlängert

| Die Absenkung der Umsatzsteuer für Speisen in der Gastronomie von 19 % auf 7 % wurde bis zum 31.12.2023 verlängert. Ausgenommen sind allerdings weiterhin Getränke, das heißt, hier gilt der reguläre Umsatzsteuersatz von 19 %. | 

Beachten Sie | Eigentlich wäre die in der Corona-Pandemie eingeführte Stützungsmaßnahme für die Gastronomie zum 31.12.2022 ausgelaufen. Nun sollen auch die Folgen der gestiegenen Energiepreise abgemildert werden. 

Quelle | Achtes Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen vom 24.10.2022, BGBl I 2022, S. 1838

Selbstständige Künstler und Publizisten: Künstlersozialabgabe steigt in 2023 auf 5,0 %

| Der Abgabesatz zur Künstlersozialversicherung wurde um 0,8 % angehoben. Somit liegt er im Jahr 2023 bei 5 %. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat zu der Anpassung Stellung genommen. | 

Der Künstlersozialabgabesatz lag seit 2018 bei 4,2 %. Dies wurde durch zusätzliche Bundesmittel in Höhe von insgesamt 117 Mio. Euro in den Jahren 2021 und 2022 gewährleistet. Wegen der großen wirtschaftlichen Schäden in der Kunst- und Kulturwirtschaft infolge der Corona-Pandemie hätte der Abgabesatz für 2023 eigentlich auf 5,9 % angehoben werden müssen. Durch weitere Bundesmittel (in Höhe von rund 58,9 Mio. Euro) wurde der Anstieg des Abgabesatzes im Jahr 2023 auf 5,0 % begrenzt. 

Über die Künstlersozialversicherung werden über 190.000 selbstständige Künstler und Publizisten als Pflichtversicherte in den Schutz der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung einbezogen. 

Die Künstler und Publizisten tragen, wie abhängig beschäftigte Arbeitnehmer, die Hälfte ihrer Sozialversicherungsbeiträge. Die andere Beitragshälfte wird finanziert durch einen Bundeszuschuss (20 %) und durch die Künstlersozialabgabe der Unternehmen (30 %), die künstlerische und publizistische Leistungen verwerten. 

Quelle | Künstlersozialabgabe-Verordnung 2023, BGBl I 2022, S. 1508; BMAS, „Künstlersozialabgabe künftig bei 5,0 Prozent“, Mitteilung vom 11.8.2022

Strafbare Handlungen: Nutzung einer Großmarkthalle darf widerrufen werden

| Ein Widerruf der Zuweisung von Büroflächen sowie Lkw-Stellplätzen einer Großmarkthalle, die von einer Kommune als öffentliche Einrichtung betrieben wird, wegen begangener Steuerstraftaten, kann rechtmäßig sein. Dies entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH). | 

Der Widerruf müsse die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in den Markthallen bezwecken. Je nach den Umständen des Einzelfalls sei dies auch der Fall, wenn der Zuwendungsnehmer strafbare Handlungen außerhalb der Markthallen und nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem dort ausgeübten Gewerbe begangen habe. Durch die hier verwirklichten Hinterziehungstaten sei die „öffentliche Sicherheit und Ordnung“ auf dem Lebensmittelmarkt erheblich beeinträchtigt worden. Der Widerruf wegen strafbarer Handlungen in einem schwerwiegenden Fall sei rechtmäßig. 

Quelle | Bayerischer VGH, Urteil vom 30.5.2022, 4 ZB 21.2660

Solo-Selbstständige: Corona-Soforthilfen nicht zurückzuzahlen

| Die Bescheide, mit denen die Bezirksregierung Düsseldorf geleistete Corona-Soforthilfen von den Empfängern teilweise zurückgefordert hat, sind rechtswidrig. Den gegen diese Schlussbescheide gerichteten Klagen dreier Zuwendungsempfänger gegen das Land Nordrhein-Westfalen hat das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf jetzt stattgegeben. | 

Als im Frühjahr 2020 kleine Unternehmen und Selbstständige durch verschiedene infektionsschutzrechtliche Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie in wirtschaftliche Notlagen gerieten, schufen Bund und Länder Programme, um kurzfristig Finanzhilfen bereitzustellen. 

Das war geschehen

Solche Soforthilfen erhielten auch die Kläger der heute entschiedenen Verfahren. Der Betreiber eines Düsseldorfer Schnellrestaurants musste ebenso wie die Betreiberin eines Kosmetikstudios aus Remscheid während des Lockdowns im Frühjahr 2020 zeitweise den Betrieb schließen. Ein Steuerberater aus Düsseldorf, der einen Großteil seiner Umsätze durch die Aus-und Fortbildung von Steuerberatern erwirtschaftet, erlitt durch den Wegfall von Präsenzvorträgen Umsatzeinbußen. Nachdem die drei Kläger zunächst aufgrund von Ende März bzw. Anfang April 2020 erlassenen Bewilligungsbescheiden der zuständigen Bezirksregierung Düsseldorf Soforthilfen in Höhe von jeweils 9.000,- Euro erhalten hatten, setzte die Behörde im Rahmen sog. Rückmeldeverfahren später die Höhe der Soforthilfe auf ca. 2.000 Euro fest und forderte etwa 7.000 Euro zurück. 

Auf die Förderpraxis während des Antragsverfahrens kommt es an

Diese Schlussbescheide sind rechtswidrig. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt: Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Schlussbescheide kam es auf die Förderpraxis des Landes während des Antragsverfahrens bis zum Erlass der Bewilligungsbescheide an. Die in den Bewilligungsbescheiden zum Ausdruck gekommene Verwaltungspraxis des Landes stimmte mit den in den Schlussbescheiden getroffenen Festsetzungen nicht überein. Während des Bewilligungsverfahrens durften die Hilfeempfänger aufgrund von Formulierungen in online vom Land bereitgestellten Hinweisen, den Antragsvordrucken und den Zuwendungsbescheiden eher davon ausgehen, dass pandemiebedingte Umsatzausfälle für den Erhalt und das Behaltendürfen der Geldleistungen ausschlaggebend sein sollten. 

Schlussbescheid: Rückforderung basierte auf abweichender Förderpraxis

Demgegenüber stellte das Land bei Erlass der Schlussbescheide auf das Vorliegen eines Liquiditätsengpasses ab, der eine Differenz zwischen den Einnahmen und Ausgaben des Geschäftsbetriebs, also einen Verlust, voraussetzte. Dies ist rechtsfehlerhaft, weil diese Handhabung von der maßgeblichen Förderpraxis abwich. Mit Blick darauf konnte auch die Richtlinie des damaligen Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes NRW vom 31.5.2020, die erstmals eine Definition des Begriffs des Liquiditätsengpasses enthielt, trotz ihres rückwirkenden Inkrafttretens bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Schlussbescheide nicht berücksichtigt werden. 

Missverständliche Formulierung im Bewilligungsbescheid

Abgesehen davon waren die ursprünglichen Bewilligungsbescheide hinsichtlich einer etwaigen Rückerstattungsverpflichtung auch missverständlich formuliert. Insbesondere konnten die Zuwendungsempfänger dem Inhalt der Bescheide nicht verlässlich entnehmen, nach welchen Parametern eine Rückzahlung zu berechnen sei. 

500 weitere Klagen

Beim VG Düsseldorf sind noch weitere ca. 500 Klageverfahren rund um den Komplex der Corona-Soforthilfen anhängig. Wie mit diesen umzugehen ist, wird die Kammer in Kürze entscheiden. In den drei hier entschiedenen Streitigkeiten, die repräsentativ für einen Großteil der weiteren Verfahren sind, hat die Kammer wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Berufung zum Oberverwaltungsgericht (OVG) für das Land Nordrhein-Westfalen zugelassen. 

Quelle | VG Düsseldorf, Urteil vom 16.8.2022, 20 K 7488/20, 20 K 217/21 und 20 K 393/22, PM vom 16.8.2022

Energiepreispauschale und Minijob: Mögliche Steuerpflicht bei der Veranlagung zur Einkommensteuer 2022

| Auch viele Minijobber haben die Energiepreispauschale (EPP) in Höhe von 300 Euro erhalten. Sofern der (originäre) Verdienst vom Arbeitgeber pauschal mit 2 % besteuert wird, musste auf die 300 Euro EPP keine pauschale Steuer abgeführt werden. Bei der Einkommensteuerveranlagung für 2022 kann es aber nach den Ausführungen des Bundesfinanzministeriums (BMF) in gewissen Konstellationen zu einer Steuerpflicht kommen. | 

Bei Arbeitnehmern, die ausschließlich pauschal besteuerten Arbeitslohn aus einer kurzfristigen oder geringfügigen Beschäftigung oder einer Aushilfstätigkeit in der Land- und Forstwirtschaft erzielen und im gesamten Jahr 2022 keine weiteren anspruchsberechtigenden Einkünfte haben, gehört die EPP nicht zu den steuerpflichtigen Einnahmen.  

Wenn neben dem pauschal besteuerten Arbeitslohn weitere anspruchsberechtigende Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb oder aus selbstständiger Arbeit erzielt werden, gehört die EPP zu den sonstigen Einkünften. 

Da die EPP bei pauschal besteuertem Arbeitslohn nach dem Einkommensteuergesetz (§ 40 a EStG) nicht steuerpflichtig ist (§ 119 Abs. 1 S. 2 EStG), wurde sie von den Arbeitgebern nicht steuerpflichtig erfasst. Handelt es sich nun aber z. B. um Steuerpflichtige, die in 2022 zudem Einkünfte aus einer gewerblichen oder selbstständigen Tätigkeit bezogen haben, wird die EPP überdie Einkommensteuerveranlagung steuerpflichtig. Es liegen sonstige Einkünfte (nach § 22 Nr. 3 EStG) vor (vgl. § 119 Abs. 2 EStG). 

Quelle | BMF: FAQs „Energiepreispauschale (EPP)“, unter VIII., Nr. 1, Stand: 22.09.2022

Entlastungen: Energiepreispauschale für Rentner und neue Höchstgrenze für Midijobs ab 2023

| Rentner erhalten Anfang Dezember 2022 eine (steuerpflichtige) Energiepreispauschale von 300 Euro. Zudem wird die Höchstgrenze für eine Beschäftigung im Übergangsbereich (bei den sogenannten Midijobs gelten verminderte Arbeitnehmer-Beiträge zur Sozialversicherung) ab 1.1.2023 von monatlich 1.600 Euro auf 2.000 Euro angehoben. |

Quelle | Gesetz zur Zahlung einer Energiepreispauschale an Renten- und Versorgungsbeziehende und zur Erweiterung des Übergangsbereichs, BR-Drs. 523/22 (B) vom 28.10.2022

Bundesfinanzhof: Erste Tätigkeitsstätte bei Leiharbeitnehmern: Steuerzahlerfreundliche Entscheidung

| Besonders bei Leiharbeitnehmern stellt sich die Frage, ob sie eine (steuerlich ungünstige) erste Tätigkeitsstätte haben – und falls ja, wo diese liegt. Eine der letzten offenen Fragen hat der Bundesfinanzhof (BFH) nun zugunsten der Leiharbeiter entschieden. |

Je nachdem, ob es sich beim Tätigkeitsort um eine Auswärtstätigkeit handelt, hat das u. a. folgende steuerliche Konsequenzen:

Erste Tätigkeitsstätte:

  • Entfernungspauschale (0,30 EUR je Entfernungskilometer zwischen der Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte; ab dem 21. Kilometer werden 0,38 EUR gewährt) 
  • grundsätzlich keine Verpflegungspauschale

Auswärtstätigkeit:

  • "Dienstreisepauschale"(0,30 EUR je gefahrenen Kilometer)  
  • grundsätzlich Verpflegungspauschale je nach Abwesenheitszeiten

Nach der Regelung im Einkommensteuergesetz (§ 9 Abs. 4 S. 1 EStG) ist erste Tätigkeitsstätte die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 Aktiengesetz) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. 

Die Zuordnung erfolgt vorrangig anhand der dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen durch den Arbeitgeber. 

Typische Fälle einer dauerhaften Zuordnung sind im EStG (hier: § 9 Abs. 4 S. 3 ) aufgeführt:

  • unbefristetes Tätigwerden,  
  • Tätigwerden für die Dauer des Dienstverhältnisses,
  • Tätigkeit über einen Zeitraum von mehr als 48 Monaten.

Fehlt eine solche dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegung auf eine Tätigkeitsstätte oder ist sie nicht eindeutig, ist erste Tätigkeitsstätte die betriebliche Einrichtung,

  • an der der Arbeitnehmer dauerhaft,  
  • typischerweise arbeitstäglich oder  
  • je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll.

Für die Frage, ob der Arbeitnehmer einer betrieblichen Einrichtung i. S. des EStG (hier: § 9 Abs. 4 Sätze 1 bis 3) dauerhaft zugeordnet ist, ist das zwischen dem Arbeitgeber (Verleiher) und dem (Leih-)Arbeitnehmer bestehende Arbeitsverhältnis maßgeblich. 

Besteht der Einsatz eines beim Verleiher unbefristet beschäftigten Leiharbeitnehmers bei dem Entleiher in wiederholten, aber befristeten Einsätzen, fehlt es an einer dauerhaften Zuordnung i. S. des EStG (hier: § 9 Abs. 4 S. 3). Und so verhielt es sich auch im aktuellen Streitfall: Der weitere Einsatz des Leiharbeitnehmers beim Verleiher war nämlich davon abhängig, dass dieser nach Ablauf der jeweiligen Frist mit dem Verleiher eine weitere (wiederum befristete) Arbeitnehmerüberlassung vereinbarte. 

Beachten Sie | Ist das Arbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer unbefristet und wird der Leiharbeitnehmer befristet für nicht mehr als 48 Monate bei einem Entleiher eingesetzt, erfolgt die Zuordnung nicht dauerhaft. Eine ungünstige erste Tätigkeitsstätte ergibt sich beim Betrieb des Entleihers nicht. 

Das gilt auch, wenn die Entleihung später (mehrfach) verlängert wird und sich dadurch (rückblickend betrachtet) ein Einsatz von mehr als 48 Monaten für den identischen Entleiher ergeben sollte. 

Quelle | BFH, Urteil vom 12.5.2022, VI R 32/20

Gesetzesvorhaben: Anstieg der Erbschaft-/Schenkungsteuer bei der Übertragung von Immobilien befürchtet

| Die Regelungen der Grundbesitzbewertung sollen an die sogenannte Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Immobilien und der für die Wertermittlung erforderlichen Daten (ImmoWertV) angepasst werden. So steht es im Entwurf für ein Jahressteuergesetz 2022. Da für die Erbschaft- und Schenkungsteuer zumindest im Einzelfall höhere Werte drohen, ist zu prüfen, ob bereits angedachte Übertragungen vorgezogen werden sollen. Denn die Änderungen sollen bereits am Tag nach der Gesetzesverkündung in Kraft treten. | 

Quelle | ImmoWertV vom 14.7.2021, BGBl I 2021, S. 2805; BT-Drs. 20/3879 vom 10.10.2022

Freiwillige Arbeitgeberleistung: Wichtige Informationen zur steuerfreien Inflationsausgleichsprämie

| Seit dem 26.10.2022 können Arbeitgeber ihren Beschäftigten einen Betrag bis zu 3.000 Euro steuer- und abgabenfrei gewähren. Im Folgenden sind einige wichtige Punkte zu der im Einkommensteuergesetz (§ 3 Nr. 11 c EStG)geregelten Inflationsausgleichsprämie aufgeführt. | 

Die Inflationsausgleichsprämie ist eine freiwillige Leistung, die in der Zeit vom 26.10.2022 bis Ende 2024 gewährt werden kann. Es handelt sich bei den 3.000 Euro um einen steuerlichen Freibetrag, der auch in mehreren Teilbeträgen ausgezahlt werden kann. 

Beachten Sie | Begünstigt sind z. B. auch Zahlungen an Minijobber. Da die Zahlung steuer- und beitragsfrei ist, wird sie nicht auf die Minijobgrenze (seit 1.10.2022: 520 Euro monatlich) angerechnet.  

Die Zahlungen müssen zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erfolgen. Nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 8 Abs. 4 EStG) werden Leistungen nur dann zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:

  • Die Leistung wird nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet.  
  • Der Anspruch auf Arbeitslohn wird nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt.
  • Die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung wird nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt.  
  • Bei Wegfall der Leistung wird der Arbeitslohn nicht erhöht.

Nach dem Gesetzeswortlaut sind „in Form von Zuschüssen und Sachbezügen gewährte Leistungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise“ begünstigt. Nach den Ausführungen der Bundesregierung genügt es, wenn der Arbeitgeber bei Gewährung der Prämie deutlich macht, dass diese im Zusammenhang mit der Preissteigerung steht – zum Beispiel durch entsprechenden Hinweis auf dem Überweisungsträger im Rahmen der Lohnabrechnung. 

Quelle | Die Bundesregierung vom 1.11.2022, Gesetz zur temporären Senkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen über das Erdgasnetz, BGBl I 2022, S. 1743

Hinterliegergrundstück: Zufahrt besteht nicht uneingeschränkt

| Der Umfang eines Geh- und Fahrrechts muss sich immer am Einzelfall orientieren und besteht unter Umständen nicht uneingeschränkt. Bei der Zufahrt zu einem Hinterliegergrundstück sind damit gewisse Beeinträchtigungen der Zufahrtsbreite hinzunehmen. Darauf hat das Pfälzische Oberlandesgericht (OLG) in einem Hinweisbeschluss aufmerksam gemacht. | 

Das war geschehen

Ein Mann erwarb ein sog. „Hinterliegergrundstück“, das keinen eigenen Zugang zu einer öffentlichen Straße besitzt. Die Zufahrt zu dem Anwesen und den dazugehörigen fünf Garagen erfolgte ausschließlich über den Hof des benachbarten Grundstücks der Beklagten. Zur Absicherung des Zufahrtsrechts war im Grundbuch des Beklagtengrundstücks ein sog. „Geh- und Fahrrecht“ zugunsten des jeweiligen Eigentümers des Hinterliegergrundstücks eingetragen. Das Hofgelände zwischen den Gebäuden war groß genug, um bequem in alle Garagen hinein- und herauszufahren. 

Dies änderte sich, als die Beklagten auf ihrem Teil des Hofgrundstücks für ihre Mieter zwei Pkw-Stellplätze entlang der Hauswand einrichteten. Waren die Stellplätze belegt, konnten die Garagennutzer nicht mehr wie gewohnt rangieren. Sie mussten gegebenenfalls rückwärts ein- oder ausfahren. Der Nachbar forderte deshalb die Beklagten auf, die Stellplätze zu entfernen und das Geh- und Fahrrecht wieder uneingeschränkt zu gewährleisten. Das in erster Instanz angerufene Landgericht (LG) wies die Klage ab, da die Garagen des Klägers weiterhin erreichbar waren und es nach Ansicht des LG keine Beeinträchtigung des Geh- und Fahrrechts gab. 

Oberlandesgericht: Im Grundbruch eingetragenes Recht nicht konkret

Auf die hiergegen gerichtete Berufung wies das OLG den Kläger in einem sog. Hinweisbeschluss darauf hin, dass es beabsichtigt, seine Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, weil sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Kläger nahm daraufhin die Berufung zurück. 

Zur Begründung führte das OLG aus: Wenn – wie hier – ein eingetragenes Geh- und Fahrrecht im Grundbuch nicht näher konkretisiert ist, können auch andere Umstände herangezogen werden, um den Umfang des Geh- und Fahrrechts festzustellen. Hierzu sind z. B. die Gegebenheiten vor Ort und der Sinn und Zweck des Fahrrechts zu berücksichtigen. Die zwischen den Grundstücken liegende Hofdurchfahrt muss nach Ansicht des OLG jedenfalls breit genug sein, um mit einem üblichen Kraftfahrzeug in einer üblichen Bogenfahrt auch die hinterste der Garagen erreichen zu können. Da nach der Straßenverkehrszulassungsordnung (§ 32 StVZO) die höchstzulässige Breite von Kraftfahrzeugen allgemein 2,55 Meter beträgt, sollte die Zufahrtsbreite mindestens drei Meter betragen. In Höhe des Bogens zu den links gelegenen Garagen sollte die Zufahrt etwas breiter sein. Hier orientierte sich das OLG an der Garagenverordnung (§ 2 Abs. 3 GarVO Rheinland-Pfalz) und hielt eine Breite von mindestens fünf Metern für angemessen. Auch diese Vorgabe war nach den vorgelegten Lichtbildern erfüllt. Das OLG verwies zudem darauf, dass das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 1020 S. 1 BGB) den Berechtigten zur schonenden Ausübung der Grunddienstbarkeit verpflichtet. 

Pkw-Stellfläche ist Ausübung des Eigentumsrechts

In diesem Sinne hat es der Kläger hinzunehmen, dass die Beklagten ihr Eigentumsrecht ausüben und einen Teil ihres Grundstücks als Pkw-Stellfläche nutzen, sofern sein Zufahrtsrecht dadurch nicht mehr als notwendig beeinträchtigt wird. Die damit für ihn und die Garagennutzer verbundene nachteilige Veränderung muss er hinnehmen. 

Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 18.7.2022, 7 U 150/20, PM vom 3.5.2022

Datenschutz: Falschparker dürfen fotografiert und angezeigt werden

| Das Verwaltungsgericht (VG) Ansbach hat jetzt zwei Klagen gegen Verwarnungen des Landesamtes für Datenschutzaufsicht (LDA) stattgegeben, mit denen das LDA die Ablichtung von Falschparkern rügte. | 

Gegenstand der Verwarnungen waren von den Klägern angefertigte Fotoaufnahmen von ordnungswidrig geparkten Fahrzeugen, die die Kläger mitsamt Anzeigen an die zuständige Polizei übersandten. Bei den angezeigten Verstößen handelte es sich z. B. um Parken im absoluten Halteverbot oder ordnungswidriges Parken auf Gehwegen. 

Das VG hat darüber entschieden, ob die Übermittlung der Bildaufnahmen eine rechtmäßige Datenverarbeitung im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) darstellte. Diese setzt voraus, dass die Datenverarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist. 

Die Beteiligten stritten insbesondere um die rechtliche Frage, ob für die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung eine persönliche Betroffenheit des Anzeigenerstatters durch die Parkverstöße erforderlich sei und ob nicht für eine Anzeige die bloße schriftliche oder telefonische Schilderung des Sachverhalts unter Angabe des Fahrzeugkennzeichens genüge, sodass eine Übermittlung von Bildaufnahmen nicht erforderlich sei. 

Problematisch sei nach Ansicht des LDA zudem, dass mit den Fotos oft Daten erhoben würden, die über den reinen Parkvorgang hinausgingen, z. B. bei Ablichtung anderer Fahrzeuge und Personen. Die Kläger bezogen sich auf Hinweise der Polizei ihnen gegenüber, dass die Parksituation zum Beweis durch Fotoaufnahmen möglichst genau dokumentiert werden sollte. Zudem würde die Verfolgung der Ordnungswidrigkeiten durch die Anfertigung von Fotos vereinfacht. 

Die Entscheidungen sind nicht rechtskräftig. Gegen die Urteile kann Antrag auf Zulassung der Berufung zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) gestellt werden. 

Quelle | VG Ansbach, Urteile vom 2.11.2022, AN 14 K 22.00468 und AN 14 K 21.01431, PM vom 3.11.2022

Krankheit: Auf die Körpergröße kommt es nicht an

| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass eine geringe Körpergröße keine Krankheit im Rechtssinne ist. | 

Das war geschehen

Geklagt hatte eine junge Frau aus Bremen, die nach Abschluss des Wachstums eine Körpergröße von nur knapp 1,50 m erreicht hatte. Bei ihrer Krankenkasse beantragte sie die Kostenübernahme für eine operative Beinverlängerung. Dafür sollten Ober- bzw. Unterschenkelknochen durchtrennt und ein Verlängerungssystem implantiert werden, das Knochen und Weichgewebe auf die gewünschte Größe dehnt. Zur Begründung führte die Frau aus, dass sie unter ihrer kleinen Körpergröße psychisch leide. Sie werde von ihrer Umwelt nicht als vollwertig wahrgenommen und sei auch in ihrer Berufswahl eingeschränkt. Für eine Ausbildung als Pilotin sei sie wegen ihrer Körpergröße abgelehnt worden. Ihr Traum sei eine Größe von 1,60 m bis 1,65 m. 

Krankenkasse: kein Krankheitswert

Die Kasse lehnte den Antrag ab, da eine geringe Körpergröße nicht als eine Krankheit zu bewerten sei, die einen Leistungsanspruch auslöse. Demgegenüber hielt die Frau ihre Körpergröße für krankheitswertig, da nur drei Prozent der Frauen so klein seien. Außerdem hätten jedenfalls die psychischen Auswirkungen sehr wohl Krankheitswert. Im Alltag werde sie behindert durch zu hohe Treppenstufen, Stühle, Waschbecken, Spiegel, Schränkte etc. 

Landessozialgericht: keine Leistungspflicht der Krankenkasse

Das LSG hat die Rechtsauffassung der Krankenkasse bestätigt. Es hat sich auf die einhellige Rechtsprechung gestützt, wonach bei einer Frau selbst eine Größe von 1,47 m nicht als regelwidriger Körperzustand und damit nicht als Krankheit im Rechtssinne zu bewerten sei. Alltagsschwierigkeiten könne durch Hilfsmittel und ggf. angepasste Wohneinrichtung begegnet werden. Psychische Beeinträchtigungen seien allein mit therapeutischen Mitteln zu behandeln. Denn ansonsten müssten köperverändernde Eingriffe auf Kosten der Allgemeinheit durchgeführt werden, wenn therapeutische Maßnahmen nicht helfen, weil der Betroffene auf den Eingriff fixiert ist. Auch die Ablehnung für bestimmte Berufe könne keine Leistungspflicht der Kasse auslösen. 

Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 5.7.2022, L 16 KR 183/21, PM vom 18.7.2022

Jugendschutz: Schmerzensgeld wegen Shisha-Abgabe an Minderjährige

| Der Betreiber eines Pubs ist verpflichtet, sich so zu verhalten, dass Körper, Leben und sonstige Rechtsgüter der Gäste nicht verletzt werden. Auf die Wirksamkeit eines beabsichtigten oder abgeschlossenen Vertrags kommt es dabei nicht an. Die ungeprüfte Abgabe einer Shisha an eine Minderjährige verstößt gegen die Bestimmungen des Jugendschutzes. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main bestätigte ein Urteil des Landgerichts (LG), mit dem der Betreiber wegen der erlittenen Kohlenmonoxid-Vergiftung der Minderjährigen zu einer Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 6.400 Euro verurteilt worden war. | 

Das war geschehen

Die Beklagte betreibt einen Pub in Hessen. Die damals minderjährige Klägerin suchte das Lokal auf, um gemeinsam mit ihrer Freundin eine Shisha zu rauchen. Dabei erlitt sie eine Kohlenmonoxid-Vergiftung. Sie litt an Atemnot und Schwindel und wurde zur Erstversorgung in eine Klinik gebracht. Nach mehrtägiger stationärer Behandlung musste die Klägerin mindestens elf kardiologische Termine wahrnehmen. Sie war mehrere Monate zu keinerlei körperlichen Aktivitäten in der Lage. Noch ein Jahr nach dem Vorfall konnte sie keine gesteigerten körperlichen Aktivitäten, wie Sport oder weite Spaziergänge, durchführen. Ob ihre vollständige Leistungsfähigkeit wiederhergestellt werden kann, ist gegenwärtig unklar. 

Die Klägerin verlangte Schmerzensgeld in Höhe von 8.000 Euro, da die Mitarbeiter sie weder nach ihrem Alter gefragt noch eine korrekte Einweisung in die sachgerechte Benutzung der Shisha vorgenommen hätten. Das Landgericht (LG) hatte die Beklagte verurteilt, ein Schmerzensgeld in Höhe von 6.400 Euro zu zahlen. 

Oberlandesgericht: Jugendschutz nicht eingehalten

Die hiergegen gerichtete Berufung hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Die Beklagte habe die sie treffenden Schutz- und Rücksichtspflichten verletzt. Diese Pflichten bestünden unabhängig davon, ob der Vertrag im Hinblick auf die Minderjährigkeit der Klägerin wirksam zustande gekommen sei. Die Beklagte habe eine Pflichtverletzung begangen, da die Mitarbeiter ihres Lokals den Konsum tabakhaltiger Erzeugnisse ohne vorherige Alterskontrolle gestatteten. Sie hätten jedoch die Bestimmungen des Jugendschutzes einhalten müssen. Demnach dürfen in Gaststätten Tabakwaren und andere nikotinhaltige Erzeugnisse und deren Behältnisse an Kinder oder Jugendliche weder abgegeben noch darf ihnen das Rauchen oder der Konsum nikotinhaltiger Produkte gestattet werden. Dies gelte auch für nikotinfreie Erzeugnisse, wie elektronische Zigaretten oder elektronische Shishas. Nach der vom LG durchgeführten Beweisaufnahme stehe fest, dass die Klägerin ohne vorherige Alterskontrolle eine Shisha bestellt und erhalten habe. Ebenfalls sei bewiesen worden, dass die Klägerin einen Krampfanfall erlitten habe. 

Der Umstand, dass die Freundin der Klägerin selbst symptomfrei geblieben sei, stehe dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht entgegen. Es sei vielmehr ohne Weiteres nachvollziehbar, dass mehrere Personen unterschiedlich reagieren können, etwa, weil sie verschieden stark an einer Shisha ziehen, durch einen anderen Schlauch oder eine andere Öffnung mehr Kohlenmonoxid ausgesetzt werden oder die Kohlenmonoxidbelastung unterschiedlich gut vertragen. 

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 11.7.2022, 6 U 148/21, PM 64/22

Modernisierungsmieterhöhung: Keine Aufteilung der Modernisierungskosten nach Gewerken

| Ein häufiger Streitpunkt zwischen Mietern und ihren Vermietern ist die Mieterhöhung nach einer Modernisierung. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mit den formellen Anforderungen an Mieterhöhungserklärungen nach der Durchführung von Modernisierungsmaßnahmen befasst. Es handelt sich um drei von vielen beim BGH anhängiger Verfahren, mit denen Mieter verschiedener Wohnungen in Bremen gegen Mieterhöhungen der Vermieterin vorgehen. | 

Das war geschehen und bisheriger Prozessverlauf

In sämtlichen Verfahren sind die Kläger jeweils Mieter von Wohnungen der Beklagten. Diese erhöhte infolge von Modernisierungen der betreffenden Wohnungen sowie der Gebäude, in denen sich die Wohnungen befinden, die monatlich zu zahlende Grundmiete. Den Mieterhöhungsschreiben war jeweils eine als „Kostenzusammenstellung und Berechnung der Mieterhöhung“ bezeichnete Anlage beigefügt. Diese enthielt u. a. Angaben zu den einzelnen Modernisierungsmaßnahmen, die hierfür jeweils angefallenen Gesamtkosten, den jeweils nach Abzug der Instandhaltungskosten verbleibenden umlagefähigen Modernisierungskostenanteil sowie die sich daraus ergebende Berechnung der jeweiligen Mieterhöhung. Die Kläger halten die Mieterhöhungserklärungen bereits aus formellen Gründen für unwirksam. Sie begehren mit ihren Klagen die Feststellung, dass der Beklagten ein Anspruch auf Zahlung der erhöhten Miete nicht zustehe, und zum Teil zusätzlich die Rückzahlung ihrer Ansicht nach überzahlter Mieten. 

Das Berufungsgericht hat in allen drei Verfahren die Mieterhöhungserklärungen bereits aus formellen Gründen für unwirksam erachtet und den Klagen jeweils stattgegeben. Jedenfalls bei umfassenden und kostenträchtigen Modernisierungsmaßnahmen bzw. solchen, die außerhalb der Wohnung des Mieters vorgenommen würden oder mehrere Gebäude umfassten, sei zur Erfüllung der formellen Anforderungen des hier einschlägigen § 559 b Abs. 1 S. 2 BGB eine weitere Untergliederung der betreffenden Kostenpositionen erforderlich. Das könnte etwa durch eine Aufschlüsselung nach verschiedenen Gewerken, „konkreten Arbeitsabschnitten“ oder „greifbaren Einzelarbeiten“ erfolgen. Nur so könne der Mieter den Kostenansatz des Vermieters auf Plausibilität und Berechtigung im Hinblick auf etwa nicht umlagefähige Instandhaltungskosten prüfen. 

BGH: Gesamtsumme reicht aus – auch für große Baumaßnahmen

Der BGH hat entschieden, dass es zur Erfüllung der formellen Anforderungen der o. g. Vorschrift genügt, wenn ein Vermieter die für eine bestimmte Modernisierungsmaßnahme angefallenen Kosten als Gesamtsumme ausweist und einen seiner Meinung nach in den Gesamtkosten enthaltenen Instandsetzungsteil durch die Angabe einer Quote oder eines bezifferten Betrags kenntlich macht. Eine Aufschlüsselung der für eine bestimmte Modernisierungsmaßnahme entstandenen Gesamtkosten nach den einzelnen angefallenen Gewerken oder anderen Bauleistungsbereichen ist hingegen grundsätzlich auch dann nicht erforderlich, wenn umfangreiche und entsprechend kostenträchtige bauliche Veränderungen oder Maßnahmen außerhalb der betroffenen Wohnung oder an mehreren Gebäuden ausgeführt wurden. 

Der Vermieter kann nach der Durchführung bestimmter Modernisierungsmaßnahmen die jährliche Miete um 11 Prozent (seit 1.1.2019 um 8 Prozent) der für die Wohnung aufgewendeten Kosten erhöhen. Dabei ist die Mieterhöhung in Textform zu erklären und die Erhöhung ist aufgrund der entstandenen Kosten zu berechnen und zu erläutern. Dies dient der Abgrenzung berücksichtigungsfähiger Modernisierungsmaßnahmen von nicht berücksichtigungsfähigen Erhaltungsmaßnamen. Diese formellen Anforderungen bilden das notwendige Gegengewicht zu der dem Vermieter in Abweichung von allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechts eingeräumten Möglichkeit, die Pflicht des Mieters zur Mietzahlung durch einseitige Erklärung zu gestalten. Der Mieter soll in die Lage versetzt werden, Grund und Umfang der Mieterhöhung auf Plausibilität zu prüfen und zu entscheiden, ob Bedarf für eine eingehendere Kontrolle besteht – etwa durch Zuziehung juristisch oder bautechnisch Sachkundiger, durch Einholung weiterer Auskünfte beim Vermieter und/oder durch Einsichtnahme in die Rechnungen und Belege. 

Dennoch dürfen die Hürden für die Mieterhöhungserklärung in formeller Hinsicht nicht zu hoch angesetzt werden. Denn eine Überspannung der Anforderungen könnte dazu führen, dass der Vermieter eine inhaltlich berechtigte Mieterhöhung nicht durchsetzen könnte und ihm der Anreiz zur Durchführung von - vom Gesetzgeber ausdrücklich erwünschten - Modernisierungsmaßnahmen genommen würde. Davon ausgehend ist es in formeller Hinsicht ausreichend, wenn der Vermieter in der Mieterhöhungserklärung die für eine bestimmte Modernisierungsmaßnahme angefallenen Kosten als Gesamtsumme ausweist und einen aus seiner Sicht in den Gesamtkosten enthaltenen Instandsetzungsanteil durch die Angabe einer Quote oder eines bezifferten Betrags kenntlich macht. Welchen Erkenntnisgewinn die vom Berufungsgericht geforderte weitergehende Aufschlüsselung der entstandenen Gesamtkosten nach Gewerken oder vergleichbaren Kriterien dem Mieter vermittelte, ist nicht ersichtlich. Zudem hat das Berufungsgericht nicht hinreichend berücksichtigt, dass dem Mieter zur Klärung verbleibender Unsicherheiten oder zur Kontrolle der Angaben des Vermieters über die Aufwendungen auf ihre sachliche Richtigkeit ein umfassendes Auskunfts- und (Belege-)Einsichtsrecht zusteht. 

Abgrenzung der Modernisierungs- von Erhaltungsmaßnahmen

Ob die vom Vermieter angesetzten Erhöhungsbeträge tatsächlich zutreffend und angemessen sind, betrifft allein die materiell-rechtliche Nachprüfung der Erhöhungserklärung. In deren Rahmen hat der Vermieter die Darlegungs- und Beweislast nicht nur dafür, dass es sich bei den durchgeführten Baumaßnahmen um Modernisierungs- und nicht um Erhaltungsmaßnahmen handelt, sondern auch dafür, dass die zugrunde gelegten Kosten nicht (teilweise) auf der Erhaltung dienende Maßnahmen entfallen sind. Da das Berufungsgericht die erforderlichen Feststellungen bislang nicht getroffen hat, hat der BGH die Berufungsurteile in allen drei Verfahren aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht (LG) Bremen zurückverwiesen. 

Quelle | BGH, Urteile vom 20.7.2022, VIII ZR 337/21, VIII ZR 339/21 und VIII ZR 361/21, PM 114/2022

Erbschaftsteuerbefreiung: Kein Wegfall bei unzumutbarer Selbstnutzung des Familienheims

| Zieht der überlebende Ehepartner aus dem geerbten Familienheim aus, weil ihm dessen weitere Nutzung aus gesundheitlichen Gründen unmöglich oder unzumutbar ist, entfällt die ihm beim Erwerb des Hauses gewährte Erbschaftsteuerbefreiung nicht rückwirkend. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) nun entschieden. | 

Die Klägerin hatte mit ihrem Ehemann ein Einfamilienhaus bewohnt und wurde nach dessen Tod aufgrund Testaments Alleineigentümerin. Nach knapp zwei Jahren veräußerte sie das Haus und zog in eine Eigentumswohnung. Die Klägerin berief sich gegenüber dem Finanzamt und dem Finanzgericht (FG) erfolglos darauf, sie habe wegen einer depressiven Erkrankung, die sich nach dem Tod ihres Ehemanns gerade durch die Umgebung des ehemals gemeinsam bewohnten Hauses verschlechtert habe, dieses auf ärztlichen Rat verlassen. Das FG war der Ansicht, es habe keine zwingenden Gründe für den Auszug gegeben, da der Klägerin nicht die Führung eines Haushalts schlechthin unmöglich gewesen sei. 

Der BFH hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Grundsätzlich setzt die Steuerbefreiung (hier: gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 b Erbschaftsteuergesetz – ErbStG) voraus, dass der Erbe für zehn Jahre das geerbte Familienheim selbst nutzt, es sei denn, er ist aus „zwingenden Gründen“ daran gehindert. „Zwingend“, so der BFH, erfasse nicht nur den Fall der Unmöglichkeit, sondern auch die Unzumutbarkeit der Selbstnutzung des Familienheims. Diese könne auch gegeben sein, wenn der Gesundheitszustand des Erben durch den Verbleib im Familienheim erheblich beeinträchtigt wird. 

Das FG muss deshalb im zweiten Rechtsgang, ggf. mit Hilfe ärztlicher Begutachtung, die geltend gemachte Erkrankung einschließlich Schwere und Verlauf prüfen. 

Quelle | BFH, Urteil vom 1.12.2021, II R 1/21, PM 030/22

Testament: Alleinerbe – auch wenn andere ebenfalls etwas erben

| Auch wenn nach dem Wortlaut eines Testaments mehrere Personen etwas „erben“ sollen, kann die Auslegung ergeben, dass nur eine Person Alleinerbe werden sollte und die übrigen Begünstigten mit Vermächtnissen bedacht werden sollten. Hierfür spricht, wenn die einer Person zugewandten Vermögenswerte aus Sicht des Erblassers den wesentlichen Teil seines Nachlasses darstellen und diese Person nach dem Testament auch für die „Beerdigung und Folgekosten“ verantwortlich zeichnen sollte. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken entschieden. | 

Was war geschehen?

Der Erblasser hatte ein privatschriftliches Testament errichtet. Darin bezeichnete er seine Lebensgefährtin als „Erbe“ für sein Haus. Nach dem weiteren Wortlaut „erbte“ diese auch das Barvermögen. Seine Grundstücke und Anteile daran „vererbe“ der Erblasser seinen Nichten und einem Neffen. Für die Beerdigung und Folgekosten zeichne seine Lebensgefährtin verantwortlich, heißt es in dem Testament weiter. 

Testament nicht eindeutig: Auslegung erforderlich

Der Wortlaut des Testaments sei nicht eindeutig, was zur Auslegung nötige, so das OLG. Dafür, dass der Erblasser die Lebensgefährtin zu seiner Alleinerbin einsetzen wollte, spreche vor allem, dass die ihr ausdrücklich zugewandten Gegenstände das übrige Vermögen in ihrem Wert ganz erheblich übertreffen und vom Erblasser erkennbar als sein wesentlicher Nachlass angesehen wurden. Zudem komme es bei der Entscheidung, ob eine Person als Erbe eingesetzt ist, wesentlich darauf an, wer nach dem Willen des Erblassers den Nachlass regeln und die Nachlassschulden, zu denen auch die Bestattungskosten gehören, tilgen muss. Außerdem komme es darauf an, ob der Bedachte unmittelbar Rechte am Nachlass oder nur Ansprüche gegen andere Bedachte erwerben soll. 

Quelle | OLG Saarbrücken, Beschluss vom 30.3.2022, 5 W 15/22

Testament: Was darf der Erblasser im Hinblick auf Auflagen regeln?

| Der Spielraum des Erblassers für Auflagen ist sehr groß. Sie dürfen – an objektiven Kriterien gemessen – sinnfrei, sogar unsinnig sein, ohne dass dies allein zu einer Unwirksamkeit führt. Der Erblasser kann sich grundsätzlich also bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit Auflagen ausdenken. Sofern sie nicht gegen die guten Sitten verstoßen und den höchstpersönlichen Bereich des durch die Auflagen Beschwerten nicht tangieren, sind sie wirksam. Dem Erblasser muss es im Wege der grundrechtlich geschützten Testierfreiheit möglich sein, die Erbfolge nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten, sodass eine Sittenwidrigkeit nur in besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen angenommen werden kann. Einen solchen schwerwiegenden Ausnahmefall hat das Landgericht (LG) Bochum nun bejaht. | 

Die spätere Erblasserin setzte ihre Tochter und ihre Enkelin in einem notariellen Testament zu ihren Erben ein. Es störte sie wohl eine außereheliche Beziehung der Tochter. Diese war zwar noch „auf dem Papier“ verheiratet, hatte aber einen neuen Lebenspartner gefunden, mit dem sie teilweise in ihrer Wohnung im Haus der Erblasserin zusammenwohnte. Daher verfügte die Erblasserin in ihrem Testament: „Die Erben haben dafür zu sorgen, dass es Herrn M. (Anm.: der Lebenspartner der Tochter) auf Dauer untersagt wird, das Grundstück … zu betreten. Den Erben ist es darüber hinaus untersagt, das Grundstück oder Teile davon an Herrn M. oder dessen Abkömmlinge zu veräußern, zu verschenken oder auf sonstige Weise zu übertragen.“ Die Auflage sicherte die Erblasserin über eine Testamentsvollstreckung ab. Bei einem Verstoß gegen die Auflage sollte der Testamentsvollstrecker die Immobilie verkaufen und eine Hälfte des Erlöses den Erben und die andere Hälfte einer gemeinnützigen Organisation auskehren. 

Die Erben klagten, festzustellen, dass die Auflage nichtig ist. Das LG gab ihnen Recht. 

Quelle | LG Bochum, Urteil vom 29.4.2021, 8 O 486/20

Saunalandschaft: Fliesentauglichkeit: Architekt muss kein Labor beauftragen

| Im Rahmen seiner Aufgaben der Planung muss der Architekt auch die Materialien auswählen, die für die Maßnahme geeignet sind. Auf das Datenblatt eines Baustoffherstellers darf sich der Architekt dabei verlassen. Er muss nicht alle Baustoffe durch ein Labor auf das Vorhandensein der vom Hersteller zugesicherten Angaben prüfen lassen. Das hat jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe festgestellt. | 

Ein Architekt wurde mit den Leistungsphasen 1 bis 8 nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) und mit einem Fliesengewerk bei der Sanierung einer Saunalandschaft beauftragt. Die Fliesen sollten säure- bzw. chemiebeständig sein. Der Architekt wählte ein Fabrikat, das nach dem Datenblatt des Herstellers diese Anforderungen erfüllte. Er legte sie der Ausschreibung zugrunde. Nach Abnahme der Leistungen zeigten sich Ausblühungen und die Fliesen lösten sich ab. Der Betreiber verklagte den Architekten auf Kostenvorschuss wegen Planungs- und Überwachungsfehlern und den Fliesenleger wegen Ausführungsfehlern. 

Das OLG sprach den Architekten mit den eingangs genannten Erwägungen von Planungs- und Überwachungsfehlern frei. Würde man dies anders sehen, wäre die Folge, dass ein Architekt verpflichtet wäre, beinahe alle verwendeten Baustoffe durch ein Labor prüfen zu lassen. Damit wäre aber ein unverhältnismäßiger Aufwand verbunden. 

Die Entscheidung ist rechtskräftig. 

Quelle | OLG Karlsruhe, Beschluss vom 20.9.2021, 4 U 199/20

Haftung: Wenn der Baukran umfällt …

| Ein ordnungsgemäß montierter und auf stabilem Baugrund aufgebauter Kran fällt nicht ohne Weiteres um, auch nicht bei einem Sturm. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. festgestellt. Stürzt ein auf der Baustelle betriebener Turmdrehkran während Bauarbeiten um, spricht deshalb der sog. „Beweis des ersten Anscheins“ für einen Montage- und Aufbaufehler. | 

In solchen Fällen kommen verschiedene Ursachen in Frage, die dann auch über die Haftung entscheiden. Zum „Beweis des ersten Anscheins“ gehören nicht nur die Pflichten des Aufstellers, sondern (je nach Einzelfall) auch, ob sich die Bauüberwachung im Rahmen ihrer eigenen Leistungen von der ordnungsgemäßen Aufstellung überzeugt hat. 

Im Fall des OLG sprach der „Beweis des ersten Anscheins“ für einen Montage- und Aufbaufehler des ausführenden Unternehmens. Denn ein Sicherungsbolzen der Stahlkonstruktion des Krans am Ausleger war falsch montiert. Die Bauüberwachung war insoweit damit bis auf Weiteres außen vor. Die Kontrolle von Sicherungsbolzen am Kran kann der Bauüberwachung nicht zugeordnet werden. 

Die Bauüberwachung wäre eventuell dann in den Fokus des Anscheinsbeweises gerückt, wenn statt des Sicherungsbolzens am Kranausleger das Kranfundament an der falschen Stelle – entgegen der Vorgabe der Bauüberwachung (auf instabilem Baugrund ohne vorherige Prüfung) – ausgeführt worden wäre. 

Quelle | OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 11.7.2022, 29 U 222/19

Werkverträge: Vereinbarungen zur Fälligkeit – das ist möglich

| Vor allem bei einem Werk- oder Architektenvertrag können die Parteien die gesonderte Fälligkeit von Teilleistungen vereinbaren, die nicht am Ende der Vertragsdurchführung stehen, sondern einen Zwischenerfolg darstellen. Solche Vereinbarungen müssen nicht stets ausdrücklich, sondern können durchaus auch stillschweigend getroffen werden. Das hat nun das Kammergericht (KG) in Berlin klargestellt. | 

Eine solche Vereinbarung setzt auch nicht voraus, dass die Parteien kalendermäßig eine Frist oder einen Termin bestimmt haben. Der Fälligkeitszeitpunkt der Teilleistung ist vielmehr durch Auslegung, notfalls mithilfe der gesetzlichen Vermutung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 271 Abs. 1 BGB) zu bestimmen. Besser ist es daher, die Fälligkeit von Teilleistungen – im Zweifel auch ausschließend – ausdrücklich zu regeln. 

Quelle | KG, Urteil vom 26.4.2022, 21 U 1030/20

Lärmimmissionen: Keine Lärmsanierung nach Errichtung eines Buswendeplatzes

| Der Kläger, Eigentümer eines Wohngrundstücks, hat keinen Anspruch gegen den beklagten Landkreis auf Durchführung von Maßnahmen zum Schutz vor Lärmimmissionen, die durch den Betrieb eines Buswendeplatzes in der Nähe seines Grundstücks hervorgerufen werden. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz. |

Das Grundstück des Klägers liegt in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Mischgebiet; allerdings findet sich dort ausschließlich Wohnbebauung. Nachdem im Jahr 2016 die entsprechenden bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen worden waren, wurde für den Öffentlichen Personennahverkehr und den darin integrierten Schülerverkehr in der am Grundstück des Klägers entlangführenden Straße ein Buswendeplatz errichtet. Daraufhin stellte der Kläger bei dem beklagten Landkreis einen Antrag auf Maßnahmen zum Schutz vor den durch den Buswendeplatz verursachten Emissionen. Nachdem sein Antrag erfolglos geblieben war, verfolgte der Kläger sein Begehren auf dem Klageweg weiter.  

Das VG wies die Klage ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die begehrte Lärmsanierung. Zwar sei nach Errichtung des Buswendeplatzes und dem dadurch erhöhten Verkehrsaufkommen durch Busse eine deutliche Lärmsteigerung eingetreten. Jedoch würden die maßgeblichen Beurteilungspegel nicht überschritten. Dies gelte unabhängig davon, ob die Beurteilungspegel für ein Mischgebiet (64 dB (A) am Tag und 54 dB (A) in der Nacht) oder für ein reines oder allgemeines Wohngebiet (59 dB (A) am Tag und 49 dB (A) in der Nacht) anzusetzen seien. Denn ungeachtet der Wirksamkeit der Mischgebietsfestsetzung im Bebauungsplan erreichten die Lärmimmissionen am Wohnhaus des Klägers nach einem von ihm nicht substanziiert angegriffenen schalltechnischen Gutachten lediglich Werte von 55 dB(A) tags und 47 dB (A) nachts. Selbst unter Berücksichtigung der Gesamtbelastung am Grundstück des Klägers erleide dieser keine Gesundheits- oder übermäßigen Eigentumsbeeinträchtigungen, die trotz Einhaltung der Immissionsgrenzwerte ausnahmsweise zu einem Lärmsanierungsanspruch führen könnten. Die vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) insoweit entwickelte Zumutbarkeitsschwelle liege nämlich bei hier nicht erreichten Werten von mindestens 67 dB (A) tags und 57 dB (A) nachts. 

Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 21.7.2022, 4 K 46/22.KO, PM 27/22

Kündigungsschutzklage: Redakteurin: Kündigung wegen Vorwurf antisemitischer Äußerung?

| Das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin hat die Kündigung einer Redakteurin des Senders Deutsche Welle für unwirksam erklärt. Die Redakteurin hatte sich bereits vor ihrem Arbeitsverhältnis antisemitisch geäußert. | 

Kündigungsschutzklage war erfolgreich

Der Sender hat zur Begründung der Kündigung geltend gemacht, die Redakteurin habe sich mehrfach israelfeindlich und antisemitisch in anderen Medien geäußert. Dies widerspreche den Grundsätzen der Deutschen Welle, wie sie ausdrücklich in Guidelines und Positionspapieren festgehalten seien. Das ArbG hat jedoch der Kündigungsschutzklage stattgegeben und den Sender zur Weiterbeschäftigung der Redakteurin verurteilt. 

Es bestand noch kein Vertragsverhältnis

Das ArbG: Antisemitische Äußerungen könnten ein Grund für eine außerordentliche Kündigung sein. Wenn es nicht um Äußerungen im Rahmen der Arbeit für den Sender gehe, könne hierin eine Verletzung von Loyalitätspflichten liegen. Soweit es aber um Äußerungen gehe, die vor Bestehen eines Vertragsverhältnisses zum Sender erfolgt seien, fehle es mangels bestehenden Vertrags zu dieser Zeit an einer für eine verhaltensbedingte Kündigung erforderlichen Vertragspflichtverletzung. 

Personalrat wurde nicht hinzugezogen

Eine personenbedingte Kündigung hatte die Beklagte nicht ausgesprochen und dazu auch nicht ihren Personalrat beteiligt. Auch bei Äußerungen während einer vorherigen Beschäftigung auf Honorarbasis könne nicht ohne Weiteres ein „Durchschlagen“ als Pflichtverletzung auf ein späteres Arbeitsverhältnis angenommen werden. Zudem müsse jeweils eine Bewertung der Umstände des Einzelfalls unter Beachtung des Zusammenhangs von Äußerungen erfolgen. 

Redakteurin hatte sich distanziert

Wenn man berücksichtige, dass die Redakteurin sich in einer für die Öffentlichkeit bestimmten Erklärung von früheren Äußerungen distanziert habe und keine Abmahnung vorliege, sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der beiderseitigen Interessen zumutbar. Im Hinblick hierauf könne keine negative Prognose für ein künftig zu erwartendes Fehlverhalten gestellt werden. 

Weder Abmahnung noch Fristwahrung

Unabhängig hiervon sei für die außerordentliche Kündigung die Frist von zwei Wochen ab Kenntnis der maßgeblichen Umstände nicht eingehalten. In Bezug auf die gegenüber der klagenden Redakteurin erhobenen Vorwürfe erschließe sich die Erforderlichkeit der vorherigen zweimonatigen Untersuchung nicht, von der der Sender ausgegangen war. 

Quelle | ArbG Berlin, Urteil vom 5.9.2022, 22 Ca 1647/22, PM 28/22 vom 3.11.2022

Gesetzlich festgelegte Höchstdauer: Verlängerung einer Arbeitnehmerüberlassung durch Tarifvertrag

| Bei einer vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung kann in einem Tarifvertrag der Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche abweichend von der gesetzlich zulässigen Dauer von 18 Monaten eine andere Überlassungshöchstdauer vereinbart werden. Diese ist auch für den überlassenen Arbeitnehmer und dessen Arbeitgeber (Verleiher) unabhängig von deren Tarifgebundenheit maßgebend. So entschied es nun das Bundesarbeitsgericht (BAG). | 

Der Kläger war der Beklagten ab Mai 2017 für knapp 24 Monate als Leiharbeitnehmer überlassen. Die Beklagte ist Mitglied im Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e. V. (Südwestmetall). In ihrem Unternehmen galt daher der zwischen Südwestmetall und der Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) geschlossene „Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit“. DerTarifvertrag regelt unter anderem, dass die Dauer einer Arbeitnehmerüberlassung 48 Monate nicht überschreiten darf. Der Kläger will mit seiner Klage festgestellt wissen, dass zwischen ihm und der Beklagten (Entleiherin) aufgrund Überschreitung der gesetzlichen Höchstüberlassungsdauer kraft Gesetzes (hier: § 9 Abs. 1 Nr. 1 b, § 10 Abs. 1 S. 1 Gesetz zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung (AÜG)) ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen sei. Der Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit gelte für ihn mangels Mitgliedschaft in der IG Metall nicht. Zudem sei die dem Tarifvertrag zugrunde liegende Regelung (hier: § 1 Abs. 1 b S. 3 AÜG) verfassungswidrig. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. 

Die Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Südwestmetall und IG Metall konnten die Überlassungshöchstdauer für den Einsatz von Leiharbeitnehmern bei der Beklagten durch Tarifvertrag mit Wirkung auch für den Kläger und dessen Arbeitgeberin (Verleiherin) verlängern. Bei § 1 Abs. 1 b S. 3 AÜG handelt es sich um eine vom Gesetzgeber außerhalb des Tarifvertragsgesetzes vorgesehene Regelungsermächtigung, die den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche nicht nur gestattet, die Überlassungshöchstdauer abweichend von § 1 Abs. 1 b S. 1 AÜG verbindlich für tarifgebundene Entleihunternehmen, sondern auch für Verleiher und Leiharbeitnehmer mittels Tarifvertrag zu regeln, ohne dass es auf deren Tarifgebundenheit ankommt. Die gesetzliche Regelung ist unionsrechts- und verfassungskonform. Die vereinbarte Höchstüberlassungsdauer von 48 Monaten hält sich im Rahmen der gesetzlichen Regelungsbefugnis. 

Quelle | BAG, Urteil vom 14.9.2022, 4 AZR 83/21, PM 37/22

Corona-Kontaktperson: Behördlich angeordnete Quarantäne während des Urlaubs

| Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gerichtet, um die Frage klären zu lassen, ob aus dem Unionsrecht die Verpflichtung des Arbeitgebers abzuleiten ist, einem Arbeitnehmer bezahlten Erholungsurlaub nachzugewähren, der zwar während des Urlaubs selbst nicht erkrankt ist, in dieser Zeit aber eine behördlich angeordnete häusliche Quarantäne einzuhalten hatte. | 

Der Kläger ist seit 1993 bei der Beklagten als Schlosser beschäftigt. Auf seinen Antrag bewilligte ihm die Beklagte acht Tage Erholungsurlaub für die Zeit vom 12. bis zum 21.10.2020. Mit Bescheid vom 14.10.2020 ordnete die Stadt Hagen die Absonderung des Klägers in häusliche Quarantäne für die Zeit vom 9. bis zum 21.10.2020 an, weil er zu einer mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizierten Person Kontakt hatte. Für die Zeit der Quarantäne war es dem Kläger untersagt, seine Wohnung ohne ausdrückliche Zustimmung des Gesundheitsamts zu verlassen und Besuch von haushaltsfremden Personen zu empfangen. Die Beklagte belastete das Urlaubskonto des Klägers mit acht Tagen und zahlte ihm das Urlaubsentgelt. 

Der Kläger hat die auf Wiedergutschrift der Urlaubstage auf seinem Urlaubskonto gerichtete Klage darauf gestützt, es sei ihm nicht möglich gewesen, seinen Urlaub selbstbestimmt zu gestalten. Die Situation bei einer Quarantäneanordnung sei der infolge einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vergleichbar. Der Arbeitgeber müsse ihm deshalb entsprechend dem Bundesurlaubsgesetz (hier: § 9 BurlG), dem zufolge ärztlich attestierte Krankheitszeiten während des Urlaubs nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden dürfen, nachgewähren. 

Das Landesarbeitsgericht (LAG) ist dieser Auffassung gefolgt und hat der Klage stattgegeben. Für das BAG ist die Frage entscheidungserheblich: Steht es mit europäischem Recht im Einklang, wenn vom Arbeitgeber bewilligter Jahresurlaub, der sich mit einer nach Urlaubsbewilligung behördlich angeordneten häuslichen Quarantäne zeitlich überschneidet, nach nationalem Recht nicht nachzugewähren ist, weil der betroffene Arbeitnehmer selbst nicht krank war? Diese Frage muss nun der EuGH beantworten. 

Quelle | BAG, Beschluss vom 16.8.2022, 9 AZR 76/22 (A), PM 30/22 vom 16.8.2022

Infektionsschutzgesetz: Keine Pflicht, ungeimpftes Pflegepersonal in Seniorenheim zu beschäftigen

| Die Corona-Pandemie wird in vielerlei Hinsicht die Gerichte noch längere Zeit beschäftigen. Besonders im Arbeitsrecht birgt die Pandemie – zum Beispiel mit Quarantäneregelungen und teilweiser Impfpflicht – ein hohes Streitpotenzial. Das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) hat jetzt in zwei Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz die Anträge von in der Pflege tätigen Klägern abgewiesen. Diese werden von ihrer Arbeitgeberin nicht mehr in deren Seniorenheim eingesetzt. Daher verlangten die Kläger durch Eilanträge, dass sie zunächst weiter beschäftigt werden müssten. | 

Die Kläger haben sich nicht gegen SARS-CoV-2 impfen lassen. Die Betreiberin des Seniorenheims hatte sie seit dem 16.3.2022 freigestellt. Dies begründete sie mit der seit 15.3.2022 bestehenden Pflicht nach dem Infektionsschutzgesetz (§ 20 a IfG), wonach Personen, die in Einrichtungen zur Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen arbeiten, über einen Impfnachweis oder z. B. einen Genesenennachweis verfügen müssen. Hiergegen hatten die Kläger in Eilverfahren bei dem Arbeitsgericht (ArbG) Gießen geklagt. 

Das Arbeitsgericht (ArbG) Gießen hatte die Anträge abgewiesen. Das LAG als Berufungsgericht hat diese Urteile nun bestätigt. Die Arbeitnehmer hätten keinen Anspruch darauf, in ihrem Arbeitsverhältnis beschäftigt zu werden. Der erforderliche Impfnachweis wirke wie eine berufliche Tätigkeitsvoraussetzung. Bei der Abwägung der Interessen habe die Arbeitgeberin die Arbeitnehmer freistellen dürfen. Das schützenswerte Interesse der Bewohnerinnen und Bewohner des Seniorenheims, vor einer Gefährdung ihrer Gesundheit und ihres Lebens bewahrt zu werden, überwiege das Interesse der Pflegekräfte, ihre Tätigkeit ausüben zu können. 

Beachten Sie | Die Entscheidungen des LAG sind rechtskräftig. Eine Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) ist in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht möglich. 

Quelle | Hessisches LAG, Urteile vom 11.8.2022, 5 SaGa 728/22 und 7 SaGa 729/22

Sonderregelung: Erleichterter Zugang zum Kurzarbeitergeld bis 31.12.2022 verlängert

| Mit der Verordnung zur Änderung der Kurzarbeitergeldzugangsverordnung wurden die Zugangserleichterungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld für weitere drei Monate bis zum 31.12.2022 verlängert. |

Es reicht weiterhin aus, wenn mindestens 10 % der Beschäftigten von Arbeitsausfall betroffen sind. Sonst muss mindestens ein Drittel der Beschäftigten betroffen sein.

Beschäftigte müssen auch keine Minusstunden aufbauen, bevor Kurzarbeitergeld gezahlt werden kann. 

Beachten Sie | Damit Sonderregelungen für das Kurzarbeitergeld weiterhin durch eine Verordnung erlassen werden können, hat der Bundestag die entsprechende Verordnungsermächtigung bis 30.6.2023 verlängert (Billigung durch Bundesrat am 7.10.2022). Damit können Zugangserleichterungen auch über den Jahreswechsel hinaus verlängert werden. 

Quelle | BMAS vom 16.9.2022 „Erleichtertes Kurzarbeitergeld“; Deutscher Bundestag vom 29.9.2022 „Vereinfachter Zugang zum Kurzarbeitergeld wird verlängert“; BR-Drs. 475/22 (B) vom 7.10.2022; Verordnung zur Änderung der Kurzarbeitergeldzugangsverordnung, BGBl I 2022, S. 1507

Gewerberaummiete: Kakerlaken im Bekleidungsgeschäft: 30 Prozent Mietminderung möglich

| Tritt Ungeziefer wiederholt in einem Bekleidungsgeschäft auf, stellt dies einen erheblichen Mangel dar. Das kann zu einer Minderung von mindestens 30 Prozent führen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe. | 

In den angemieteten Räumen beobachteten verschiedene Kunden immer wieder Kakerlaken, z. B. in einer Umkleidekabine oder einem Schrank. Das stellt einen Mangel der Mietsache dar, so das OLG. Es führte dazu aus, dass bei der Bemessung der Minderungsquote zu berücksichtigen sei, dass Kunden in Bekleidungsgeschäften nicht damit rechnen müssen, mit Ungeziefer konfrontiert zu werden. Dies wirke sich negativ auf den Ruf des Geschäfts aus, vor allem, wenn es sich – wie hier – in einer Kleinstadt befinde. So etwas spreche sich schnell herum. Außerdem seien Fraßschäden an den Bekleidungsgegenständen möglich. 

Folge: Der wirtschaftliche Wert des Geschäfts sei ummindestens 30 Prozent gemindert. Das Argument des Vermieters, die Tiere hätten nicht in die Räume gelangen können, wären Fenster und Türen richtig verschlossen gewesen, hatte beim OLG keinen Erfolg. 

Quelle | OLG Karlsruhe, Urteil vom 21.6.2022, 9 U 112/19

Wettbewerb: Werbeaussage „klimaneutral“ muss nicht irreführend sein

| Das Landgericht (LG) Kleve hat jetzt festgestellt, dass die Werbeaussage „klimaneutral“ nicht irreführend ist, wenn sie zum einen gegenüber einem Fachpublikum erfolgt und zum anderen die Einsparung durch bloße Kompensation geschieht. | 

Das war geschehen

Ein Unternehmen, die Beklagte, stellt Produkte aus Fruchtgummi und Lakritz für Endkunden her. Es warb in der Lebensmittel-Zeitung mit der Aussage: „Seit 2021 produziert … alle Produkte klimaneutral.“ Das Ziel wird jedoch nicht durch Einsparung, sondern durch CO2-Kompensation erreicht. Die Klägerin hielt dies für wettbewerbswidrig. Begründung: Es fehle ein aufklärender Hinweis. 

So sieht es das Landgericht

Dieser Ansicht folgte das LG Kleve nicht. Es wies die Klage daher ab. Entscheidend sei: Die Lebensmittel-Zeitung richte sich überwiegend an ein Fachpublikum. Der Kläger habe sich zwar darauf berufen, die Lebensmittel-Zeitung könne auch von Verbrauchern gelesen werden. Dies sei aber für den angesprochenen Verkehrskreis unerheblich. Denn die Lebensmittel-Zeitung ist nicht auf Verbraucher ausgerichtet. Daher sei es auch nicht zu berücksichtigen, dass die von der Beklagten produzierten Endprodukte, die in Form einer teilweise abgebildeten Verpackungstüte in der Werbung wiedergegeben sind, zum Konsum durch den Endverbraucher bestimmt sind. 

Auch inhaltlich sah das LG kein Fehlverhalten. Denn die o. g. Werbeaussage ist wahr. „Klimaneutral“ sei nicht identisch mit „emissionsfrei“. Klimaneutralität könne auch über Kompensation erreicht werden. Eine Täuschung über die Herstellung sei damit nicht verbunden. Denn dem von der Werbung angesprochenen Fachpublikum sei dies bekannt. 

Werbung richtete sich nicht an den Endverbraucher

Der Anspruch besteht auch nicht im Hinblick auf das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (§ 5 a Abs. 2 UWG) in der bis zum 27.5.2022 geltenden Fassung, denn die beanstandete Werbung richtet sich nicht an Verbraucher. Soweit die von der Beklagten produzierten Endprodukte, die in Form einer teilweise abgebildeten Verpackungstüte in der Werbung wiedergegeben sind, zum Konsum durch den Endverbraucher bestimmt sind, ist dies unerheblich, denn die beanstandete Werbeanzeige in der Lebensmittel-Zeitung richtete sich nicht an den Endverbraucher, sondern an den Handel. 

Quelle | LG Kleve, Urteil vom 22.6.2022, 8 O 44/21

Wettbewerbsrecht: Öffnung einer Filiale in Outlet-Center an Feriensonntagen nicht wettbewerbswidrig

| Das Pfälzische Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken hat dieBerufung in einem Verfahren hinsichtlich der Öffnung einer Filiale derBeklagten in einem Factory-Outlet-Center zurückgewiesen. Es hat dabeiklargestellt, dass darin keine unlautere Wettbewerbshandlung liegt. |

 

Mietvertrag sahSonntagsöffnungen in den Ferien vor

Die Beklagte ist ein Damenbekleidungsunternehmen, das u.a.am dortigen Standort eine Filiale besitzt. Ihr Ladenlokal hat sie von derBetreiberin des Factory-Outlet-Centers angemietet. Nach den Bestimmungen desMietvertrags ist sie ihrer Vermieterin gegenüber zur Öffnung des Geschäfts anden in Rede stehenden Feriensonntagen verpflichtet.

 

Mitbewerberin klagte

Die Klägerin, die an mehreren Standorten in der Pfalz und inBaden Einzelhandelsgeschäfte gleichsam u.a. für Damenbekleidung betreibt, hatdie Auffassung vertreten, im Öffnen der Outlet-Center-Filiale durch dieBeklagte an den Feriensonntagen sei eine unlautere geschäftliche Handlung zusehen, die Letztere zu unterlassen habe. Die Gestattung der erweitertenSonntagsöffnung zugunsten von Verkaufsstellen im näheren Einzugsgebiet desFlughafens sei rechtswidrig. Die Klägerin hat den Erlass einerUnterlassungsverpflichtung gegen die Beklagte hinsichtlich der Öffnung anbestimmten Sonntagen begehrt, daneben die gerichtliche Feststellung möglicherSchadenersatzansprüche und Auskunft über Öffnungszeiten an bestimmten Sonntagenin der Vergangenheit.

 

Schon das Landgericht (LG) Zweibrücken hatte die Klageabgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin blieb nun erfolglos.

 

Regierungsverordnungmaßgeblich

Das OLG: Das LG hat zutreffend entschieden, dass dieFeriensonntagsöffnungen der Filiale der Beklagten im Outlet-Center gegenwärtigkeine unlautere Wettbewerbshandlung zum Nachteil von Mitbewerbern darstellten.Eine Legitimation der Feriensonntagsöffnungen als wettbewerbliches Verhaltenergebe sich aus der dies ausdrücklich gestattenden Regierungsverordnung.

 

RechtstreuesVerhalten nicht zu sanktionieren

Eine für die Zulässigkeit einer Richtervorlage an denVerfassungsgerichtshof zwingend erforderliche sichere Überzeugung von derVerfassungswidrigkeit der Ermächtigungsgrundlage (LadenöffnungsgesetzRheinland-Pfalz) habe das OLG nicht gewonnen. Ferner habe die nachträglicheVeränderung der für den Erlass der Landesverordnung bestimmend gewesenentatsächlichen Verhältnisse (Einstellung des Verkehrsflugbetriebs) nichtautomatisch zum Wegfall der Verordnung geführt. Hinzu trete, dass sich dieBeklagte an das geschriebene Recht halte und sich damit rechtstreu verhalte.Sie müsse die Gewissheit haben, dafür nicht – auch nicht auf die Zivilklageeines Wettbewerbers hin – sanktioniert zu werden.

 

Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH)zugelassen.

 

Quelle | OLG Zweibrücken, Urteil vom 4.8.2022, 4 U 202/21

Wettbewerb: Werbeaussage„klimaneutral“ muss nicht irreführend sein

 

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Einnahmen-Überschussrechnung: Umsatzsteuer kein durchlaufender Posten

| Das Finanzgericht (FG) Hamburg hat kürzlich die bisherige Sichtweise bzw. Handhabung bestätigt: Bei der Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschussrechnung sind vom Unternehmer vereinnahmte und verausgabte Umsatzsteuerbeträge keine durchlaufenden Posten. Es handelt sich hierbei vielmehr um in die Gewinnermittlung einzubeziehende Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben. | 

Quelle | FG Hamburg, Urteil vom 10.6.2022, 2 K 55/21

Steuervergünstigung: Erschütterung des für eine private Pkw-Nutzung sprechenden Anscheinsbeweises

| Einer der häufigsten Streitpunkte zwischen Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung sind betrieblich genutzte Pkw und ihre steuerliche Einordnung. Der für die Privatnutzung eines betrieblichen Pkw sprechende Anscheinsbeweis kann auch auf andere Weise als durch das Vorhandensein eines in Status und Gebrauchswert vergleichbaren Pkw im Privatvermögen erschüttert werden. Dies hat aktuell das Finanzgericht (FG) Münster entschieden. | 

Das war passiert

Zum Haushalt der verheirateten Steuerpflichtigen gehörten in den Streitjahren 2015 und 2016 zwei volljährige Kinder. Im Privatvermögen hielten sie im Streitzeitraum (teilweise nacheinander) insgesamt drei Kleinwagen, die in erster Linie von den Kindern genutzt wurden. Der Ehemann unterhielt auf dem Grundstück, auf dem sich auch das Wohnhaus der Familie befand, einen Gartenbaubetrieb. Hauptberuflich war er aber anderweitig als Arbeitnehmer beschäftigt, wobei der Weg zur Arbeitsstätte nur rund zwei Kilometer betrug. Die Ehefrau arbeitete neben 20 weiteren Arbeitnehmern bzw. Aushilfen auf Mini-Job-Basis im Betrieb ihres Ehemanns. 

Dienstwagen ohne Fahrtenbuchführung

Im Betriebsvermögen hielt der Ehemann neben einem dem Vorarbeiter zugeordneten Dienstwagen einen BMW X3 und ab Februar 2015 einen Ford Ranger, für die keine Fahrtenbücher geführt wurden. Für den BMW versteuerte er die Privatnutzung nach der Ein-Prozent-Regelung. Für den Ford Ranger setzte er keinen privaten Nutzungsanteil an. 

Finanzamt: Privatnutzung des Ford Ranger

Demgegenüber wandte das Finanzamt auch für den Ford Ranger die Ein-Prozent-Regelung an, da die privaten Fahrzeuge in Status und Gebrauchswert nicht mit diesem Pkw vergleichbar seien und nicht allen Familienmitgliedern jederzeit ein Fahrzeug zur privaten Nutzung zur Verfügung gestanden habe. 

Die Eheleute machten geltend, dass der Ford Ranger den Mitarbeitern des Betriebs arbeitstäglich permanent als Zugmaschine zur Verfügung stehen müsse. Aufgrund des Verschmutzungszustands sei es lebensfremd, dieses Fahrzeug an Wochenenden für Familienfahrten zu nutzen. Hierfür bleibe wegen der geringen jährlichen Fahrleistung von durchschnittlich 8.900 km auch kein Raum. 

Das FG Münster gelangte letztlich zu der Überzeugung, dass der Ford Ranger in den Streitjahren nicht privat genutzt wurde. 

Beweis des ersten Anscheins: Wenn Fahrzeug zur Verfügung steht, dann privat genutzt

Nach der allgemeinen Lebenserfahrung werden betriebliche Fahrzeuge, die zu privaten Zwecken zur Verfügung stehen, auch tatsächlich privat genutzt. Dafür spricht der Beweis des ersten Anscheins. Ein solcher Anscheinsbeweis kann jedoch (wie im Streitfall) erschüttert werden.  

Zwar handelt es sich bei dem Ford Ranger um ein Fahrzeug, das sich typischerweise auch für eine Privatnutzung eignet. Auch der ebenfalls privat genutzte betriebliche BMW X3 konnte den Anscheinsbeweis nicht erschüttern. Denn er stand wegen der betrieblichen Nutzung nicht vollumfänglich für Privatfahrten zur Verfügung. 

Letztlich hat sich das FG aber gegen den Beweis des ersten Anscheins und damit gegen eine Privatnutzung ausgesprochen – und zwar insbesondere aus folgenden Gründen:  

Es ist nachvollziehbar, dass der Ford Ranger aufgrund seiner Zugkraft permanent im Betrieb eingesetzt wurde. Darüber hinaus konnte der Ehemann den Pkw nicht den ganzen (Arbeits-)Tag über selbst nutzen, da er in den normalen Arbeitszeiten seiner Angestelltentätigkeit nachgegangen ist. Hierdurch war die Möglichkeit einer Privatnutzung erheblich eingeschränkt. 

Ferner berücksichtigte das FG Münster, dass beide Eheleute für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wegen der kurzen Entfernungen keinen Pkw benötigten. 

Beachten Sie | Den Anscheinsbeweis zu entkräften, ist alles andere als einfach. Hier kommt es in der Praxis auf den Einzelfall an. Wollen Steuerpflichtige die Ein-Prozent-Regelung vermeiden, sind sie mit der Führung eines (ordnungsgemäßen) Fahrtenbuchs auf der sicheren Seite. 

Quelle | FG Münster, Urteil vom 16.8.2022, 6 K 2688/19 E, PM Nr. 18 vom 15.9.2022, Rev. zugelassen

Energetische Gebäudesanierung: Kosten für den Energieberater sind nicht auf mehrere Jahre zu verteilen

| Energiesparmaßnahmen an und in Gebäuden sind zurzeit gefragt, wie nie. Steuerpflichtige, die ihre Immobilie zu eigenen Wohnzwecken nutzen, können eine Steuerermäßigung für durchgeführte energetische Maßnahmen nach dem Einkommensteuergesetz (§ 35 c EStG) im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung beantragen. Das Finanzministerium (FinMin) Schleswig-Holstein hat nun darauf hingewiesen, wie die Kosten für den Energieberater zu berücksichtigen sind. | 

Voraussetzungen

Die Steuerermäßigung setzt u. a. voraus, dass das Objekt bei Durchführung der Maßnahme älter als zehn Jahre ist. Maßgebend ist der Herstellungsbeginn. 

Je begünstigtem Objekt beträgt der Höchstbetrag der Steuerermäßigung 40.000 Euro. Die Steuerermäßigung wird über drei Jahre verteilt: Im Kalenderjahr des Abschlusses der energetischen Maßnahme und im nächsten Kalenderjahr können jeweils 7 % der Aufwendungen (max. 14.000 Euro jährlich) und im dritten Jahr 6 % der Aufwendungen (max. 12.000 Euro) von der Steuerschuld abgezogen werden. 

Kosten für den Energieberater

Kosten für den Energieberater sind in Höhe von 50 % der Aufwendungen im Jahr des Abschlusses der Maßnahme zu berücksichtigen und nicht auf drei Jahre zu verteilen. Die Kosten sind vom Höchstbetrag der Steuerermäßigung (40.000 Euro) und damit auch vom Höchstbetrag der Steuerermäßigung im Kalenderjahr des Abschlusses der Maßnahmen und im nächsten Kalenderjahr (je 14.000 Euro) und im übernächsten Kalenderjahr (12.000 Euro) umfasst. 

Beispiel

Aufwendungen für energetische Maßnahmen in 2021: 175.000 Euro, Kosten für den Energieberater: 10.000 Euro

       2021:   7 % von 175.000 Euro =12.250 Euro,
                    aufzufüllen mit den Kosten der Energieberatung in Höhe von 1.750 Euro bis 14.000 Euro

       2022:   wie 2021 (7 %) = 12.250 Euro

       2023:   6 % von 175.000 Euro =10.500 Euro

Folge: Es werden nur 1.750 Euro der Energieberatung berücksichtigt, obwohl der Gesamtabzugsbetrag (36.750 Euro) noch 3.250 Euro unter dem objektbezogenen Höchstbetrag liegt.

Quelle | FinMin Schleswig-Holstein, ESt-Kurzinformation Nr. 2022/1 vom 3.1.2022, VI 306 - S 2296 c - 001

Steuerregeln: Steuerguide für Influencer

| Influencer können häufig von ihren Einnahmen ihren Lebensunterhalt bestreiten und erzielen mitunter hohe Einkommen. Damit werden sie unter Umständen steuerpflichtig. Das Finanzministerium (FinMin) Baden-Württemberg hat in einem Steuerguide mit zielgruppengerechter Ansprache die wichtigsten Steuerregeln für Influencer zusammengestellt. Der Steuerguide, der unter www.iww.de/s6972 heruntergeladen werden kann, gibt einen kurzen Überblick darüber, welche Steuerarten für Influencer infrage kommen können und ob Betroffene ihre Tätigkeit beim Finanzamt anzeigen müssen. |

Quelle | OLG Stuttgart, Urteil vom 24.8.2022, 4 U 13/22

Lebensversicherung: Fristbeginn des Widerspruchs „ab Erhalt der Unterlagen“

| Eine Widerspruchsbelehrung zu einem Lebensversicherungsvertrag, die für den Beginn des Fristenlaufs für den Widerspruch auf „den Erhalt“ der Unterlagen abstellt, ist ausreichend. So entschied es jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Dresden. | 

Die Begründung des OLG: Ohne dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen kennen muss, wird er nach seinem maßgeblichen Empfängerhorizont die Belehrung so verstehen, dass die Frist durch den Zugang der genannten Unterlagen in Gang gesetzt wird und 14 Tage später am gleichen Wochentag abläuft. Die Belehrung vermittelt insbesondere nicht den falschen Eindruck, der Tag des Zugangs des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen zähle mit. 

Quelle | OLG Dresden, Beschluss vom 6.1.2022, 4 U 2394/21

Flugverspätung: Ausgleichsanspruch für Fluggäste bei verspäteten Anschlussflügen unterschiedlicher Airlines

 

| Der Ausgleichsanspruch für Fluggäste wegen großer Verspätung gilt auch bei einem Flug mit direkten Anschlussflügen, bei dem die Flüge von unterschiedlichen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden. Wurden die Flüge von einem Reisebüro kombiniert, das einen Gesamtpreis in Rechnung gestellt und einen einheitlichen Flugschein ausgegeben hat, ist unerheblich, dass zwischen den Luftfahrtunternehmen keine rechtliche Beziehung besteht. So hat es der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden. | 

Das war geschehen

Ein Fluggast erwarb über ein Reisebüro einen elektronischen Flugschein über drei Flüge für die Strecke von Stuttgart nach Kansas City. Der erste Flug, von Stuttgart nach Zürich, wurde von Swiss International Air Lines durchgeführt, während die beiden Flüge von Zürich nach Philadelphia und von Philadelphia nach Kansas City von American Airlines durchgeführt wurden. Auf den Bordkarten für diese Flüge war die Nummer des elektronischen Flugscheins verzeichnet. Außerdem war auf dem Flugschein American Airlines als Dienstleistungserbringerin angegeben und der Flugschein war mit einer einheitlichen Buchungsnummer für die gesamte Strecke versehen. Darüber hinaus stellte das Reisebüro eine Rechnung aus, die einen Gesamtpreis für die gesamte Strecke sowie für den Rückflug auswies. 

Die Flüge von Stuttgart nach Zürich und von Zürich nach Philadelphia fanden planmäßig statt. Der Flug von Philadelphia nach Kansas City dagegen war bei der Ankunft um mehr als vier Stunden verspätet. Vor den deutschen Gerichten klagte flightright, eine Gesellschaft für Rechtshilfe für Fluggäste, an die die durch diese Verspätung entstandenen Ansprüche abgetreten worden waren, gegen American Airlines auf eine Ausgleichszahlung von 600 Euro nach der Verordnung Nr. 261/2004 über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen. Der mit der Sache befasste Bundesgerichtshof (BGH) hat dem EuGH Fragen zur Auslegung dieser Verordnung vorgelegt. 

So sieht es der Europäische Gerichtshof

Der EuGH entschied: Der Begriff „direkte Anschlussflüge“ erfasst einen Beförderungsvorgang mit Ausgangspunkt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union,

  • der aus mehreren Flügen besteht,  
  • die von unterschiedlichen, nicht durch eine rechtliche Beziehung miteinander verbundenen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden,  
  • wenn diese Flüge von einem Reisebüro zusammengefasst wurden,  
  • das für diesen Vorgang einen Gesamtpreis in Rechnung gestellt und
  • einen einheitlichen Flugschein ausgegeben hat.

Der EuGH weist darauf hin, dass der Begriff „direkte Anschlussflüge“ so zu verstehen ist, dass er zwei oder mehr Flüge bezeichnet, die für die Zwecke des in der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Ausgleichsanspruchs von Fluggästen eine Gesamtheit darstellen. Eine solche Gesamtheit liegt vor, wenn die Flüge Gegenstand einer einzigen Buchung waren. 

Beförderungsvorgang beruhte auf einer einzigen Buchung

Hier verfügte der Fluggast über einen Flugschein, der einen Beleg dafür darstellte, dass die Buchung der gesamten Reise von Stuttgart nach Kansas City von einem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert worden war. Bei einem solchen Beförderungsvorgang ist davon auszugehen, dass er auf einer einzigen Buchung beruht, sodass es sich um „direkte Anschlussflüge“ handelt. Die Flüge, um die es hier ging, wurden von unterschiedlichen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt, zwischen denen keine rechtliche Beziehung bestand. Der EuGH stellte fest, dass die Verordnung über Ausgleichsleistungen für Fluggäste keine Bestimmung enthält, wonach die Einstufung als Flug mit direkten Anschlussflügen davon abhängt, dass eine besondere rechtliche Beziehung zwischen den ausführenden Luftfahrtunternehmen besteht, die die einzelnen Flüge, aus denen sich der Flug zusammensetzt, durchführen. Eine solche zusätzliche Bedingung würde dem Ziel der Sicherstellung eines hohen Schutzniveaus für Fluggäste zuwiderlaufen, da dadurch namentlich deren Ausgleichsanspruch bei großer Verspätung ihres Flugs beschränkt werden könnte. 

Quelle | EuGH, Urteil vom 6.10.2022, C-436/21

Hassrede: Nachholung im Prozess: unterlassene Anhörung vor Löschung eines Posts bei Facebook

| Hassrede oder freie Meinungsäußerung? Das beschäftigt häufig die Gerichte. Nach einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (BGH) sind die Regelungen in den Nutzungsbedingungen unwirksam, die Facebook in einem Fall der Hassrede eine Befugnis zur Löschung dieses Posts einräumen. Sie sehen kein Verfahren vor, aufgrund dessen der betroffene Nutzer über die Entfernung umgehend informiert, ihm der Grund dafür mitgeteilt und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung eingeräumt wird, woran sich eine neue Entscheidung mit der Möglichkeit der Wiederfreischaltung des Posts anschließt. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat nun entschieden, dass die fehlende Anhörung seitens der Beklagten im Verfahren nachgeholt werden kann. Außerdem hat es entschieden: Wenn die Anhörung zu keiner anderen Bewertung führt, kann der betroffene Nutzer dann nicht die Wiederfreischaltung des Posts beanspruchen. Das Löschungsrecht ergebe sich in diesem Fall bei einem vertragswidrigen Post aus dem Nutzungsvertrag. | 

Das war geschehen

Die Beklagte ist in Deutschland Vertragspartnerin der Nutzer von Facebook. Der Kläger stimmte den im April 2018 geänderten Nutzungsbedingungen der Beklagten zu. Im November 2018 postete er im Zusammenhangmit einem Artikel über die gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Afghanen in einer Flüchtlingsunterkunft, in deren Verlauf diese untereinander Messer eingesetzt hatten, u. a.: „Solange diese sich gegenseitig abstechen ist es doch o. k. Ist jemand anderer Meinung? Messer-Emoji“. Die Beklagte löschte diesen Beitrag und sperrte außerdem vorübergehend Teilfunktionen des klägerischen Kontos. Der Kläger begehrte daraufhin vor dem Landgericht (LG) unter anderem die Freischaltung des gelöschten Beitrags. Das LG hat die Klage abgewiesen. 

Berufungsinstanz: Kein Anspruch auf Wiederfreischaltung

Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Wiederfreischaltung des gelöschten Posts. Der Post sei zwar eine Meinungsäußerung. Er verstoße aber gegen die über die Nutzungsbedingungen einbezogenen Bestimmungen in den Gemeinschaftsstandards zur Hassrede. Der Begriff der Hassrede sei hinreichend transparent und in den Regelungen selbst definiert worden. Erfasst würden u. a.„Angriffe durch eine gewalttätige und entmenschlichende Sprache, durch Aussagen über Minderwertigkeit und durch Aufrufe, Personen auszuschließen und zu isolieren“. Die Beklagte sei auch berechtigt, ein Verbot von Hassrede vorzusehen, „durch das auch nicht strafbare oder rechtsverletzende Meinungsäußerungen erfasst werden“. Sie dürfe den Nutzern ihres Netzwerks bestimmte Kommunikationsstandards vorgeben, die über die strafrechtlichen Vorgaben hinausgingen. Die Verhaltensregeln sollten einen Kodex für „einen respektvollen Umgang miteinander“ enthalten. 

Post entspricht den Merkmalen von Hassrede

Hier verstehe der flüchtige Leser die Äußerung so, dass es dem Kläger „gleichgültig ist bzw. er es in Ordnung finde, wenn afghanische Flüchtlinge sich gegenseitig abstechen“. Dies unterfalle dem Bereich der Hassrede. 

Bundesgerichtshof: Regelungen zum Löschen von Posts unwirksam

Soweit die Löschung des Posts erfolgte, ohne den Kläger umgehend zu informieren und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme mit anschließender Neuentscheidung zu gegeben, könne die Beklagte sich zwar nicht auf ihre Regelungen zum Entfernungs- und Sperrvorbehalt berufen. Diese seien gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) unwirksam. 

Anhörung erfolgte nachträglich im Prozess

Die Beklagte sei aber zur Löschung unmittelbar aus dem Nutzungsvertrag berechtigt. Die Verfahrensanforderungen zur Information des Betroffenen über die Löschung ergäben sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung. Durch die Unwirksamkeit der Klausel über den Entfernungs- und Sperrvorbehalt sei im vertraglichen Gefüge eine Lücke entstanden, die im Wege der Auslegung zu schließen sei. Über diese ergänzende Vertragsauslegung sei die Beklagte verpflichtet, den Nutzer über die Entfernung eines Beitrags zu informieren und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme und Neuentscheidung zu geben. Dies sei im Rahmen des hiesigen Prozesses nachgeholt worden. Der anfängliche Anhörungsfehler sei damit nachträglich geheilt worden. 

Grundsätzliche Bedeutung: BGH muss klären

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Das OLG hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum BGH u. a. hinsichtlich des dargestellten Antrags auf Wiederherstellung des gelöschten Artikels zugelassen. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 30.6.2022, 16 U 229/20, PM 54/22

Mietende: Ohne Vorenthaltung gibt es keine Nutzungsentschädigung

| Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 546 a BGB) kann der Vermieter als Entschädigung die vereinbarte Miete oder die Miete verlangen, die für vergleichbare Sachen ortsüblich ist, wenn der Mieter die Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses nicht zurückgibt. Voraussetzung: Der Mieter muss die Mietsache dem Vermieter „vorenthalten“. Die Mietsache wird jedoch nicht vorenthalten, wenn der Vermieter – wie hier – das Fehlen des erforderlichen Rücknahmewillens bekundet, etwa dadurch, dass er die angebotene Rückgabe ablehnt oder zu erkennen gibt, dass er das Mietverhältnis als nicht beendet ansieht. So hat es nun das Landgericht (LG) Berlin entschieden. | 

Das LG Berlin „kassierte“ damit eine Entscheidung des Amtsgerichts (AG), das anderer Auffassung war und sich gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) gestellt hatte. 

Quelle | LG Berlin, Urteil vom 22.3.2022, 67 T 13/22

Erwartete Kostensteigerungen: Betriebskostenvorauszahlungen dürfen nicht ohne Weiteres erhöht werden

| Die Mietvertragsparteien können wirksam formularvertraglich vereinbaren, dass ein beiderseitiges Anpassungsrecht der Betriebskostenhöhe durch zugangsbedürftige Erklärung bei Kostenänderungen aufgrund von geänderten Bezugspreisen besteht. Insoweit kommt es aber darauf an, ob sich der Vermieter auch bei entsprechenden Kostensteigerungen eine Erhöhung der Vorauszahlung mietvertraglich zusätzlich vorbehalten hat. So sieht es das Amtsgericht (AG) Hamburg. | 

Der Vermieter einer Wohnung verlangte vom Mieter bei einer Betriebskostennachforderung von 11,52 Euro eine Erhöhung der monatlichen Vorauszahlungen um 45,40 Euro. Er begründete die Erhöhung mit nicht näher spezifizierten erwarteten Kostensteigerungen. Das wollte der Mieter nicht mitmachen. Auch dem AG Hamburg genügt das nicht. Die entsprechende Erklärung genüge nicht den Anforderungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 560 Abs. 4 BGB), da dieses ausdrücklich auf das Ergebnis einer Betriebskostenabrechnung abstelle. 

Quelle | AG Hamburg, Urteil vom 27.6.22, 49 C 13/22

Nutzungsuntersagung: Kommen Ratten, müssen Mieter gehen

| Kommt es in einem Wohnhaus zu einem Rattenbefall und beruht dieser auf baulichen Mängeln, kann eine Nutzungsuntersagung ergehen. Das hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg entschieden. | 

Die Bauaufsicht hatte im Mehrfamilienhaus des Klägers erheblichen Rattenbefall und erhebliche Defekte an der dortigen baulichen Substanz festgestellt. Zudem bestand eine erhöhte Gesundheitsgefährdung für die Mieter. Die Behörde untersagte daraufhin die Nutzung aller Wohnungen. Sie erklärte die Wohnungen für sämtliche Mieter als unbewohnbar. Deren Widerspruch wurde zurückgewiesen. Später wurde die Nutzungsuntersagung aufgehoben, da kein Rattenbefall mehr vorlag und es ihn wohl in zwei Wohnungen auch nie gegeben hatte. 

Das OVG hielt die Nutzungsuntersagung trotzdem für rechtmäßig. Unerheblich sei, dass später kein Rattenbefall mehr vorhanden war. Entscheidend sei nämlich die sog. „ex-ante-Prognose“, also die Prognose zum Zeitpunkt der Entscheidung – selbst, wenn sie sich später als falsch herausstellt. Die betreffenden Räumlichkeiten genügten außerdem nicht den Anforderungen der Niedersächsischen Bauordnung. Löcher in Wänden und Decken ließen einen fortlaufenden Rattenbefall befürchten, so das OVG. 

Quelle | OVG Lüneburg, Beschluss vom 14.3.2022, 1 LA 127/21

Inhaltsirrtum: Wenn die Erbausschlagung missglückt…

| Ein Irrtum über die Person desjenigen, dem die Ausschlagung der Erbschaft zugutekommt, berechtigt nicht zur Anfechtung. Es handelt sich dabei lediglich um einen unbeachtlichen Motivirrtum. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Hamm. | 

Die Kinder der Ehefrau des Erblassers hatten das Erbe mit dem Ziel ausgeschlagen, die Alleinerbenstellung der Mutter zu erreichen. Sie hatten dabei aber verkannt, dass sich dann noch die Frage nach anderen gesetzlichen Erben der ersten und zweiten Ordnung stellt. Die auf diese Erkenntnis folgende Anfechtung der Erbausschlagung hat das OLG zurückgewiesen. 

Man kann aber auch anderer Meinung sein. So hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf entschieden, dass ein zur Anfechtung berechtigender Inhaltsirrtum vorliegt, wenn der (auch rechtskundig beratene) Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen, sondern wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt. 

Beachten Sie | Bei Erbausschlagungen ist also stets Vorsicht geboten. 

Quelle | OLG Hamm, Urteil vom 21.4.2022, 15 W 51/19; OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 21.9.2017, 3 Wx 173/17 und vom 12.3.2019, 3 Wx 166/17

Leistungskürzung: So ist die Abrechnung von Stundenlohnarbeiten zu prüfen

| Bei der Rechnungsprüfung von Stundenlohnarbeiten oder Zeithonoraren wird oft darüber gestritten, ob der abgerechnete Zeitaufwand tatsächlich erforderlich war. Das Oberlandesgericht (OLG) Köln hat dazu nun wichtige Grundsätze aufgestellt. | 

Im Fall des OLG ging es um die Abrechnung von Handschachtungen (z. B. „Zwischentransport der Handschachtung in Schubkarre und Aufladen auf Fahrzeug“). Der Auftraggeber kürzte die Zahl der abgerechneten Stunden, der Auftragnehmer klagte.

Das OLG hat sich zwar nur allgemein geäußert. Seine Ausführungen können aber im Rahmen der Bauüberwachung bei der Rechnungsprüfung nützlich sein:

  • Zum einen muss die Rechnungskürzung konkrete, einzelfallbezogene Angaben enthalten, aus denen die konkreten Kürzungsgründe hervorgehen.  
  • Zum anderen muss der Auftraggeber Anhaltspunkte schildern, dass der abgerechnete Zeitaufwand keiner wirtschaftlichen Leistungsausführung entspricht.

Das OLG: An die fachlichen Anforderungen zur Begründung der Kürzung dürfen keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Es genügen Kürzungsgründe, die der Rechnungssteller auf ihre Richtigkeit überprüfen und somit darauf eingehen kann.

Quelle | OLG Köln, Urteil vom 16.12.2021, 7 U 12/20

Honorarvereinbarungen: Mindestsätze der HOAI 2013 bei Verträgen zwischen Privatpersonen weiter anwendbar

| Die Mindestsätze der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI 2013) können in einem laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen weiter als verbindliches Preisrecht anzuwenden sein. Folge: Aufstockungsklagen können Erfolg haben. So entschied es der Bundesgerichtshof (BGH). | 

Der BGH: Deutschland hat mit dem verbindlichen Preisrecht der HOAI 2013 zwar gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie verstoßen. Trotzdem kann sich ein Planer grundsätzlich auf eine bestehende nationale Rechtsvorschrift (hier: HOAI 2013) berufen, solange diese weiterhin im Land gültig und im Verhältnis der Parteien anwendbar ist. Die EU-Dienstleistungsrichtlinie muss zunächst in nationales Recht umgesetzt werden, um bei Verträgen zwischen Privatpersonen zu gelten. Das war aber erst mit der HOAI 2021 erfolgt. Nach den o. g. Maßgaben ist die HOAI 2013 folglich bei Verträgen zwischen Privaten weiterhin anwendbar (Vertragsabschluss bis 31.12.2020). 

Im konkreten Fall hatte ein Planer im Jahr 2016 einen Vertrag abgeschlossen, der ein Pauschalhonorar enthielt. Zu diesem Zeitpunkt galt die HOAI 2013. Das vereinbarte Pauschalhonorar lag unter dem Mindestsatz. Der Planer klagte die Differenz zum Mindestsatz ein. Es ging immerhin um 102.934,59 Euro. Diese Aufstockungsklage hatte Erfolg. 

Quelle | BGH, Urteil vom 2.6.2022, VII ZR 174/19

Unvollständige Grundlagenermittlung: Architekt haftet nicht für entgangene Steuervergünstigungen

| Ein mit der Grundlagenermittlung und Entwurfsplanung beauftragter Architekt muss seinen Auftraggeber über ein denkmalschutzrechtliches Genehmigungserfordernis aufklären. Zweck dieser Pflicht ist es, den Bauherrn in die Lage zu versetzen, die Realisierungschancen des Vorhabens einschätzen zu können. Nicht zum Schutzzweck der Verpflichtung gehört dagegen, den Bauherrn vor etwaigen Steuerschäden im Zusammenhang mit bestehenden Genehmigungserfordernissen zu bewahren. Der Bauherr kann deshalb bei unvollständiger Grundlagenermittlung nicht Ersatz entgangener steuerlicher Vergünstigungen beanspruchen. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. hat die Berufung der Bauherren zurückgewiesen. |

Das war geschehen

Die Bauherren beabsichtigten, eine Dachgeschosswohnung im Frankfurter Westend zu sanieren und beauftragten einen Architekten mit Architektenleistungen. Dieser klagte vor dem Landgericht (LG) ausstehendes Honorar ein. Die Bauherren beriefen sich dagegen u.a. auf Schadenersatzansprüche gegen den Architekten, da fälschlich erklärt worden sei, dass denkmalschutzrechtliche Gesichtspunkte beim Innenausbau unbeachtlich seien. Tatsächlich hätten sie bei richtiger Aufklärung das gesamte Bauvorhaben im Wege einer Sonderabschreibung nach dem Einkommensteuergesetz (§ 7 h EStG) fördern lassen können. Ihnen sei wegen der falschen Aufklärung damit ein Steuerschaden in Höhe von gut 5.000 Euro entstanden. 

So sahen es die Gerichte

Das LG hatte dem Architekten ausstehendes Honorar zugesprochen und den Schadenersatzanspruch der beklagten Bauherren wegen entgangener Steuervergünstigungen abgewiesen. Die Berufung der Bauherren hiergegen hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. 

Der Architekt habe zwar pflichtwidrig nicht über die denkmalschutzrechtliche Genehmigungsbedürftigkeit aufgeklärt, begründet das OLG seine Entscheidung. Auch im Rahmen der hier beauftragten Grundlagenermittlung und Entwurfsplanung müsse ein Architekt über die Genehmigungsbedürftigkeit eines Bauvorhabens vollständig und richtig informieren. Die Entwurfsplanung müsse zudem genehmigungsfähig erstellt werden. Dabei komme es nicht darauf an, ob bei der Beauftragung der Bauherr zum Ausdruck gebracht habe, bestimmte steuerliche Vergünstigungen in Anspruch nehmen zu wollen. 

Es fehle aber am Zurechnungszusammenhang zwischen dieser Pflichtverletzung und dem behaupteten Steuerschaden. Grundsätzlich hafte der Vertragspartner bei einer Pflichtverletzung nur für Schäden, die bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Pflichten gerade verhindert werden sollen. Dieser Schutzzweckzusammenhang liegt hier nicht vor. Die ordnungsgemäße Grundlagenermittlung betreffe zwar auch wirtschaftliche Folgen eines Bauvorhabens. Sie solle den Bauherrn über die erwarteten Kosten informieren, damit er sich auf einer geeigneten Grundlage für die Durchführung des Vorhabens entscheiden kann. Es bestehe aber keine allgemeine Verpflichtung des Architekten, in jeder Hinsicht die Vermögensinteressen des Bauherrn wahrzunehmen. Die Ermittlung der Genehmigungsbedürftigkeit betreffe nicht die wirtschaftlichen Fragen des Bauvorhabens, sondern diene dazu, die Realisierungschancen einschätzen zu können. „Sie zielt – jedenfalls ohne weitere Vereinbarung oder besondere Umstände – nicht darauf, dem Besteller die Möglichkeit steuerlicher Vergünstigungen zu erschließen“, betont das OLG. Solche Vergünstigungen seien vielmehr allein ein „Reflex der Genehmigung“. 

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar. 

Quelle | OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 25.4.2022, 29 U 185/20, PM 53/22

Entlassungen: Wenn der Arbeitgeber von den Sozialauswahlkriterien abweicht, die er dem Betriebsrat mitgeteilt hat…

| Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat im Rahmen der Konsultation schriftlich über die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer unterrichten. Was aber, wenn er beabsichtigt, in wesentlichem Umfang von den Kriterien der Sozialauswahl abzuweichen, die er dem Betriebsrat bei Einleitung des Konsultationsverfahrens mitgeteilt hat? Dann muss er dies nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Düsseldorfdem Betriebsrat mitteilen. | 

Unterlässt er dies, ist eine nach den veränderten Kriterien für die Sozialauswahl ausgesprochene Kündigung wegen Verletzung der Unterrichtungspflicht unwirksam. 

Geklagt hatte ein Flugkapitän, der mehr als 15 Jahre bei einer Fluggesellschaft mit über 2.000 Mitarbeitern beschäftigt war. Somit konnte eine Kündigung nur aus wichtigem Grund erfolgen. Die Fluggesellschaft wollte als wirtschaftliche Maßnahmen eine Flottenreduzierung, Stationsschließungen und die Neustrukturierung des Streckennetzes vornehmen. Dementsprechend sollte das Personal reduziert werden. 

Unter anderem, weil das Gericht weder eine ordnungsgemäße Anhörung der Personalvertretung noch eine hinreichende Darstellung des betriebsbedingten Kündigungsgrundes feststellen konnte, war die Kündigung unwirksam. 

Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 24.3.2022, 13 Sa 998/21

Gleichbehandlungsgrundsatz: Betroffener muss wie ein vergleichbarer Mitarbeiter gestellt werden

| Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz erfasst auch freiwillige aktienorientierte Vergütungsbestandteile in Form sogenannter Phantom Shares. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg. | 

Die Parteien stritten zweitinstanzlich u. a. über aktienorientierte Vergütungsbestandteile des Arbeitnehmers (Klägers). Der Arbeitnehmer meinte, sie stünden ihm – wie vergleichbaren Mitarbeitern auch – zu, während der Arbeitgeber (Beklagter) ihm diese verweigerte. 

Das OLG befand, dass der Arbeitnehmer einen solchen Anspruch hatte. Da ihm dieser zu Unrecht verweigert worden war, müsse er so gestellt werden, wie vergleichbare Mitarbeitende der entsprechenden Führungsebene. Werde aber die beanspruchte Zuteilung solcher Phantom Shares entsprechend den Regelungen des Performance Phantom Share Plans über die damit verfolgte personenbezogene Ziel- und Zwecksetzung durch Zeitablauf unmöglich, komme als Sekundäranspruch ein Schadenersatzanspruch in Betracht. 

Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.10.2021, 7 Sa 26/21

Betriebsübergang: Widerspruchsfrist greift nicht bei unvollständiger Information des Arbeitgebers

| Die Monatsfrist des § 613 a Abs. 6 S. 1 BGB zum Widerspruch gegen den Übergang eines Arbeitsverhältnisses infolge Betriebsübergangs beginnt nicht nur bei fehlerhafter Information des Arbeitnehmers nicht zu laufen, sondern auch nicht bei unvollständiger Information. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf. | 

Geht es um die rechtlich schwierig zu beurteilende (Weiter-)Geltung eines Tarifvertrags beim Erwerber und ist dieser Umstand für die Ausübung des Widerspruchsrechts ersichtlich von Bedeutung, müssen der Betriebsveräußerer und/oder der Betriebserwerber sich hierzu ausdrücklich und in einer für Nichtjuristen verständlichen Weise erklären. Danach konnte das Unterrichtungsschreiben des Arbeitgebers die o. g. Widerspruchsfrist nicht in Gang setzen, weil die dort enthaltenen Informationen teilweise – wenn auch nicht notwendig falsch – so doch zumindest unklar und unvollständig waren. Ihm ließ sich vor allem nicht entnehmen, ob ein bestimmter Tarifvertrag im Fall des Übergangs des Arbeitsverhältnisses gelten sollte oder nicht.  

Dieser Umstand ist so bedeutend, dass er als relevantes Kriterium für einen möglichen Widerspruch des Klägers gegen einen Übergang seines Arbeitsverhältnisses in Betracht kam. 

Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 26.7.2022, 8 Sa 68/20

Änderungskündigung: Elternzeit schützt nicht vor Kündigung

| Eine Arbeitnehmerin hat sich erfolglos gegen eine während der Elternzeit aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochenen Änderungskündigung gewandt. Das Integrationsamt hatte der Kündigung zugestimmt. Dabei bleib es auch nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Berlin-Brandenburg. | 

Durch die Änderung sollte das Arbeitsverhältnis zu den Bedingungen und mit den Aufgaben durchgeführt werden, die die Arbeitnehmerin vor Zuweisung des nach Behauptung der Arbeitgeberin weggefallenen anderweitigen Arbeitsplatzes innehatte. Bei einer Änderungskündigung handelt es sich nämlich um eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses – verbunden mit dem gleichzeitigen Angebot, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Arbeitsbedingungen fortzusetzen. 

Der ursprüngliche Arbeitsplatz der Arbeitnehmerin sei durch eine zulässige unternehmerische Entscheidung weggefallen. Eine Beschäftigung zu den bisherigen Bedingungen sei nicht mehr möglich. Deshalb habe die Arbeitgeberin nach der Zustimmung des Integrationsamts der Arbeitnehmerin auch während der Elternzeit kündigen und ihr anbieten dürfen, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedingungen fortzusetzen. 

Da die Arbeitnehmerin das Änderungsangebot abgelehnt hat, wurde das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung beendet. 

Quelle | LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5.7.2022, 16 Sa 1750/21, PM 15/22 vom 6.7.2022

Markenrechtsstreit: Markenverletzung durch Angebot von „The-Dog-Face“-Tierkleidung

| Zwischen den Zeichen „The North Face“ und „The Dog Face“ besteht keine Verwechslungsgefahr. Da die Marke „The North Face“ jedoch in erheblichem Maß bekannt ist, wird der Verkehr trotz der erkennbar unterschiedlichen Bedeutung von „Dog“ und „North“ die Zeichen gedanklich miteinander verknüpfen. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat der Antragsgegnerin eines markenrechtlichen Rechtsstreits die Verwendung des Zeichens „The Dog Face“ im Zusammenhang mit Tierbekleidung untersagt. | 

Das war geschehen

Die Antragstellerin ist Inhaberin der Marke „The North Face“, die u. a. für Bekleidung eingetragen ist. Die Antragsgegnerin vertreibt online Bekleidung für Tiere und kennzeichnet diese mit „The Dog Face“. Im Eilverfahren geltend gemachten Unterlassungsansprüche der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin hatte das Landgericht (LG) abgewiesen. 

Die hiergegen gerichtete Beschwerde hatte vor dem OLG nun Erfolg. Die Antragstellerin könne von der Antragsgegnerin verlangen, dass sie ihre Tierbekleidungsprodukte nicht mit „The Dog Face“ kennzeichnet, stellte das OLG fest. Die Marke „The North Face“ sei eine bekannte Marke. Sie sei einem bedeutenden Teil des Publikums bekannt. 

Zeichenähnlichkeit durch Wortfolge

Die Antragsgegnerin benutze diese Marke in rechtsverletzender Weise, da die Verkehrskreise das Zeichen „The Dog Face“ gedanklich mit „The North Face“ verknüpften. Nicht erforderlich sei dabei, dass zwischen den Zeichen Verwechslungsgefahr bestehe. An dieser würde es hier fehlen. Es liege aber Zeichenähnlichkeit vor. Die Wortfolge „The Dog Face“ lehne sich erkennbar an die Marke „The North Face“ an. Da die Marke der Antragstellerin in erheblichem Maß bekannt sei und durch intensive Benutzung ein hohes Maß an Unterscheidungskraft besitze, verknüpfe der Verkehr trotz der unterschiedlichen Bedeutung von „Dog“ und „North“ das Zeichen der Antragsgegnerin mit der Marke der Antragstellerin. Dies gelte auch, da eine gewisse Warenähnlichkeit zwischen Outdoor-Bekleidung und Tierbekleidung bestehe. Insoweit genüge es, „dass das Publikum glauben könnte, die betreffenden Waren stammten aus demselben oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen“. Es liege die Vermutung nahe, dass die angesprochenen Verkehrskreise annehmen, die Antragstellerin habe ihr Bekleidungssortiment auf Hundebekleidung erweitert, etwa um es „dem sporttreibenden Hundebesitzer zu ermöglichen, seinen Outdoor-Sport im Partnerlook mit dem Tier zu betreiben“. 

Markenwertschätzung sollte ausgenutzt werden

Die Zeichenverwendung beeinträchtige auch die Marke der Antragstellerin. Die Antragsgegnerin lehne sich mit dem Zeichen an die bekannte Marke der Antragstellerin an, um deren Wertschätzung für ihren Absatz auszunutzen. 

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 28.6.2022, 6 W32/22, PM 57/22

Rückforderungen: NRW unterliegt im Rechtsstreit um die Rückzahlung von Corona-Soforthilfen

| Die Bescheide, mit denen die Bezirksregierung Düsseldorf geleistete Corona-Soforthilfen von den Empfängern teilweise zurückgefordert hat, sind rechtswidrig. Das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf hat den Klagen von drei Zuwendungsempfängern gegen das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) stattgegeben. | 

Das war geschehen

Infolge von Ende März bzw. Anfang April 2020 erlassenen Bewilligungsbescheiden der zuständigen Bezirksregierung Düsseldorf erhielten die Kläger zunächst Soforthilfen in Höhe von jeweils 9.000 Euro. Im Zuge von Rückmeldeverfahren setzte die Behörde die Höhe der Soforthilfe später auf ca.2.000 Euro fest und forderte demzufolge rund 7.000 Euro zurück. Das VG Düsseldorf hat nun entschieden, dass diese Schlussbescheide rechtswidrig sind. 

Die in den Bewilligungsbescheiden zum Ausdruck gekommene Verwaltungspraxis des Landes stimmte mit den in den Schlussbescheiden getroffenen Festsetzungen nicht überein. Während des Bewilligungsverfahrens durften die Hilfeempfänger aufgrund der Formulierungen in den Hinweisen, den Antragsvordrucken und den Zuwendungsbescheiden davon ausgehen, dass pandemiebedingte Umsatzausfälle für den Erhalt und das Behalten der Geldleistungen ausschlaggebend sein sollten. 

Demgegenüber stellte das Land bei den Schlussbescheiden auf einen Liquiditätsengpass ab, der eine Differenz zwischen den Einnahmen und Ausgaben des Geschäftsbetriebs, also einen Verlust, voraussetzte. Dies ist nach Ansicht des VG Düsseldorf jedoch rechtsfehlerhaft, weil diese Handhabung von der maßgeblichen Förderpraxis abwich. 

Richtlinie: Definition eines Liquiditätsengpasses

Die Richtlinie des damaligen Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes NRW (MWIKE.NRW) vom 31.5.2020 enthielt erstmals eine Definition des Liquiditätsengpasses. Trotz ihres rückwirkenden Inkrafttretens wurde sie bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Schlussbescheide vom VG Düsseldorf nicht berücksichtigt. 

Abgesehen davon, so das VG Düsseldorf, waren die Bewilligungsbescheide hinsichtlich einer etwaigen Rückerstattungsverpflichtung auch missverständlich formuliert. So war nicht klar ersichtlich, nach welchen Parametern eine Rückzahlung zu berechnen ist. 

Bereits 500 Verfahren

Beachten Sie | Mitte August 2022 waren etwa 500 Klageverfahren rund um den Komplex der Corona-Soforthilfen beim VG Düsseldorf anhängig. In den drei entschiedenen Verfahren, die repräsentativ für einen Großteil der weiteren Verfahren sind, wurde die Berufung zum Oberverwaltungsgericht (OVG) für das Land NRW zugelassen. 

Quelle | VG Düsseldorf, Urteile vom 16.8.2022, 20 K 7488/20, 20 K 217/21 und 20 K 393/22; PM vom 16.8.2022

Bundesarbeitsgericht: Einführung elektronischer Zeiterfassung: Müssen alle nun „zurück zur Stechuhr“?

| Der Arbeitgeber ist nach dem Arbeitsschutzgesetz (hier: § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG) verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Aufgrund dieser gesetzlichen Pflicht kann der Betriebsrat die Einführung eines Systems der (elektronischen) Arbeitszeiterfassung im Betrieb nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen. Ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht besteht nur, wenn und soweit die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich geregelt ist. Das hat jetzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. | 

Das war geschehen

Der antragstellende Betriebsrat und die Arbeitgeberinnen, die eine vollstationäre Wohneinrichtung als gemeinsamen Betrieb unterhalten, schlossen im Jahr 2018 eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit. Zeitgleich verhandelten sie über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung. Eine Einigung hierüber kam nicht zustande. Auf Antrag des Betriebsrats setzte das Arbeitsgericht (ArbG) eine Einigungsstelle zum Thema „Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung einer elektronischen Zeiterfassung“ ein. Nachdem die Arbeitgeberinnen deren Zuständigkeit gerügt hatten, leitete der Betriebsrat dieses Beschlussverfahren ein. Er hat die Feststellung begehrt, dass ihm ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems zusteht. 

So entschieden die Instanzen

Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen hatte vor dem BAG Erfolg. Der Betriebsrat muss in sozialen Angelegenheiten nur mitbestimmen, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Bei unionsrechtskonformer Auslegung des Arbeitsschutzgesetzes (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG) ist der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. Dies schließt ein – ggf. mithilfe der Einigungsstelle durchsetzbares – Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung aus. 

Weitreichende Folgen

Und nun? Müssen alle Arbeitnehmer „zurück zur Stechuhr“? Da das BAG keine Gesetzgebungskompetenz hat, ergibt sich daraus zunächst kein sofortiger Handlungsbedarf der Arbeitgeber. Hier muss auf eine gesetzliche Vorgabe gewartet werden. Bisher hat der deutsche Gesetzgeber auf die Vorgabe des EuGH noch nicht reagiert. Dies wird er aber tun müssen. Fraglich ist dabei, wie dies umgesetzt werden kann. So sollen auch künftig flexible Arbeitszeitmodelle (z. B. Vertrauensarbeitszeit) möglich sein. Auch darf der bürokratische Aufwand nicht zu hoch werden, um die Produktivität der Arbeitnehmer nicht einzuschränken. Fragen von Homeoffice, Überstunden, etc. sind zu beantworten. Das Bundesarbeitsministerium teilte dazu mit, dass die weitere Vorgehensweise geprüft werde. Mit schnellen Ergebnissen ist wohl vorerst nicht zu rechnen. Gleichwohl sollte sich jeder Arbeitgeber bereits jetzt Gedanken darüber machen, wie er eine entsprechende Dokumentation vornehmen könnte. 

Quelle | BAG, Beschluss vom 13.9.2022, 1 ABR 22/21, PM 35/2

Ampel-Koalition: Drittes Entlastungspaket auf den Weg gebracht

| Wegen steigender Energie- und Nahrungsmittelpreise hat die Ampel-Koalition im September 2022 ein drittes Entlastungspaket geschnürt. Insbesondere steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Aspekte werden vorgestellt. | 

Zahlungen für Rentner und Studenten

Rentner sollen zum 1.12.2022 eine einmalige Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro erhalten. Die Pauschale ist einkommensteuerpflichtig. Je niedriger die Rente und die weiteren Einkünfte sind, desto höher ist somit die absolute Entlastung. Die Auszahlung erfolgt über die Deutsche Rentenversicherung. 

Eine entsprechende Einmalzahlung soll es auch für die Versorgungsempfänger des Bundes geben. 

Studenten und Fachschüler sollen einmalig 200 Euro erhalten. 

Midijobs

Die Höchstgrenze für eine Beschäftigung im Übergangsbereich – hier gelten verminderte Arbeitnehmer-Beiträge zur Sozialversicherung – wurde bereits mit Wirkung ab dem 1.10.2022 von monatlich 1.300 Euro auf 1.600 Euro angehoben. Diese Höchstgrenze soll ab dem 1.1.2023 auf 2.000 Euro steigen. 

Dadurch sollen Arbeitnehmer in diesem Lohnbereich um ca. 1,3 Mrd. Euro jährlich entlastet werden, da sie weniger Sozialversicherungsbeiträge zahlen. 

Umsatzsteuer

Die Absenkung der Umsatzsteuer für Speisen in der Gastronomie von 19 % auf 7 % soll verlängert werden, um diese Branche zu entlasten und die Inflation nicht weiter zu befeuern. 

Vom 1.10.2022 bis zum 31.3.2024 soll auch für den Gasverbrauch der ermäßigte Steuersatz von 7 % gelten. 

Weitere Maßnahmen im Überblick

Ab dem 1.1.2023 soll das Kindergeld um monatlich 18 Euro für das erste und zweite Kind erhöht werden; für das dritte Kind sind 12 Euro geplant. 

Um eine Steuererhöhung wegen der Inflation zu verhindern (kalte Progression), sollen die Tarifeckwerte angepasst werden. 

Der Bund ist bereit, bei zusätzlichen Zahlungen der Arbeitgeber an ihre Arbeitnehmer einen Betrag von bis zu 3.000 Euro von der Steuer und den Sozialversicherungsabgaben zu befreien. 

Kurzarbeitergeld

Die Sonderregelungen sollen über den 30.9.2022 hinaus verlängert werden. 

Für energieintensive Unternehmen, die gestiegene Energiekosten nicht weitergeben können, soll ein Programm aufgelegt werden. Unterstützung sollen Unternehmen bei Investitionen in Effizienz- und Substitutionsmaßnahmen erhalten. Bestehende Programme (z. B. das KfW-Sonderprogramm UBR 2022) sollen bis zum 31.12.2022 verlängert werden. 

Beachten Sie | Die beschlossenen Maßnahmen unterliegen in einzelnen Aspekten der Zustimmungspflicht weiterer politischer Gremien und es können Änderungen eintreten. 

Quelle | Ergebnis des Koalitionsausschusses vom 3.9.2022: Maßnahmenpaket des Bundes zur Sicherung einer bezahlbaren Energieversorgung und zur Stärkung der Einkommen; zur Kindergelderhöhung für das dritte Kind: BMF-Referentenentwurf für ein Inflationsausgleichsgesetz mit Stand vom 6.9.2022

Rechtsstreit: Einvernehmliche Erledigung: Doch keine Entscheidung zur Verfassungswidrigkeit der Abgeltungsteuer

| Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen hält die Abgeltungsteuer für verfassungswidrig und hatte sie dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Prüfung vorgelegt. Doch eine Entscheidung wird es vorerst nicht geben. | 

In dem Streitfall hat das Finanzamt inzwischen die Einkommensteuerbescheide geändert und dem Klageantrag des Steuerpflichtigen (u. a. Erfassung der ihm zugerechneten Provisionseinnahmen bei einem Dritten) entsprochen. Daraufhin haben das Finanzamt und der Steuerpflichtige den Rechtsstreit einvernehmlich für erledigt erklärt. Somit ist die Vorlage des FG gegenstandslos geworden. 

Quelle | FG Niedersachsen, Beschluss vom 10.8.2022, 7 K120/21, Newsletter vom 17.8.2022

Jubiläumsveranstaltung: Nachträgliche Lohnsteuerpauschalierung führt nicht zur Sozialversicherungspflicht

| Die anlässlich einer Jubiläumsveranstaltung erzielten Einnahmen sind nach einer Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen auch dann nicht dem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsentgelt zuzurechnen, wenn sie erst nach dem 28.2. des Folgejahres nachträglich pauschal besteuert werden. Da die Revision anhängig ist, muss nun das Bundessozialgericht (BSG) entscheiden. | 

Das war geschehen

Ein Arbeitgeber hatte am 5.9.2015 anlässlich eines Firmenjubiläums eine Betriebsveranstaltung durchgeführt. Es entstanden Kosten von rund 214.500 Euro (einschl. Umsatzsteuer). Bei der Lohnsteueranmeldung für September 2015 vom 8.10.2015 berücksichtigte der Arbeitgeber diese Kosten zunächst nicht. 

Am 31.3.2016 übermittelte der Arbeitgeber dem Finanzamt dann eine korrigierte Lohnsteueranmeldung. Mit dieser meldete er die Lohnsteuer auf den Arbeitslohn aus Anlass der Betriebsveranstaltung mit einem pauschalen Steuersatz von 25 % gemäß Einkommensteuergesetz (§ 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG) an, soweit er den Freibetrag in Höhe von 110 Euro je Teilnehmer überstieg. Auf den Betrag führte er keine Sozialversicherungsbeiträge ab.  

Betriebsprüfung: Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen

Nach einer Betriebsprüfung wurden dann Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von ca. 60.050 Euro nachgefordert. Die Begründung: Nach der Sozialversicherungsentgeltverordnung (§ 1 Abs. 1 S. 2SvEV) sind die dort genannten Einnahmen, Zuwendungen und Leistungen nur dann nicht dem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsentgelt zuzurechnen, wenn sie vom Arbeitgeber tatsächlich lohnsteuerfrei belassen oder pauschal besteuert worden sind. 

Eine unzutreffende steuer- und beitragsfreie Behandlung könne grundsätzlich nur bis zur Erstellung der Lohnsteuerbescheinigung – also längstens bis Ende Februar des Folgejahrs – durch eine nachträgliche Pauschalbesteuerung geändert werden. 

Gerichtliche Instanzen widersprechen

Das Sozialgericht (SG) Oldenburg und das LSG Niedersachsen-Bremen sahen das aber anders. 

Zwar vertreten die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung die Auffassung, eine nachträgliche Pauschalbesteuerung könne stets nur bis zur Erstellung der Lohnsteuerbescheinigung, also längstens biszum 28.2. des Folgejahrs, geltend gemacht werden. Aber diese Ansicht findet nach Meinung des LSG keine hinreichende Stütze im Gesetz. Insbesondere ist diese zeitliche Grenze nicht dem Einkommensteuergesetz (hier: § 41 b EStG  – „Abschluss des Lohnsteuerabzugs“) zu entnehmen.

 Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24.3.2022, L 12 BA 3/20, Rev. BSG, B 12 BA 3/22 R, Spitzenorganisationen der Sozialversicherung im Besprechungsergebnis vom 20.4.2016, TOP 5

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Lohnsteuer: Führungskräftefeier: privilegierte Betriebsveranstaltung?

| Nach Ansicht des Finanzgerichts (FG) Köln ist die pauschale Besteuerung (Steuersatz von 25 %) für Betriebsveranstaltungen nicht auf Veranstaltungen anzuwenden, die nicht allen Betriebsangehörigen offenstehen (hier: Vorstands- bzw. Führungskräfte-Weihnachtsfeier). | 

Zuwendungen des Arbeitgebers an seinen Arbeitnehmer und dessen Begleitpersonen anlässlich von Veranstaltungen auf betrieblicher Ebene mit gesellschaftlichem Charakter (Betriebsveranstaltung) führen zu Arbeitslohn. Soweit solche Zuwendungen den Betrag von 110 Euro je Betriebsveranstaltung und teilnehmendem Arbeitnehmer nicht übersteigen, gehören sie jedoch nicht zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, wenn die Teilnahme an der Betriebsveranstaltung allen Angehörigen des Betriebs oder eines Betriebsteils offensteht. 

Ungeklärt ist die Frage, ob eine „Betriebsveranstaltung“ auch bei einem geschlossenen Kreis (z. B. Vorstands- und Führungskräftefeiern) vorliegt. Dann kann zwar kein Freibetrag von 110 Euro gewährt werden, aber es wäre eine Lohnsteuerpauschalierung nach dem Einkommensteuergesetz (§ 40 Abs. 2S. 1 Nr. 2 EStG) mit 25 % möglich. 

Beachten Sie | Da bislang noch keine Entscheidung des Bundesfinanzhofs zu der Frage ergangen ist, ob eine Lohnsteuerpauschalierung auch für Betriebsveranstaltungen gilt, die nicht allen Betriebsangehörigen offenstehen, hat das FG die Revision zugelassen, die inzwischen anhängig ist. 

Quelle | FG Köln, Urteil vom 27.1.22, 6 K 2175/20, Rev. BFH, VI R 5/22

Nachbarrecht: Schuldrechtliches Wegerecht ist nicht kündbar

| Bei einem zugunsten von Bewohnern eines Nachbargrundstücks schuldrechtlich begründeten Wegerecht darf dieses nicht gekündigt und ohne Zustimmung der Nachbarn nicht aufgehoben werden. So entschied es nun das Landgericht (LG) Aachen. |

Wegerecht vereinbart

Immobilienkäufer vereinbarten mit den Verkäufern ein Wegerecht zugunsten der Nachbarn. Die Käufer verpflichteten sich, einen neben dem Haus und über den Hof verlaufenden Weg weiter zu dulden, offenzuhalten, zu unterhalten und die Benutzung durch die jeweiligen Bewohner der benachbarten Mittelwohnung zu gestatten und diese Pflicht an Rechtsnachfolger zu übergeben. Eine einseitige Beendigung durch die Käufer war ausgeschlossen. Die Käufer kündigten später das Wegerecht und verlangten Herausgabe des Gartentorschlüssels sowie festzustellen, dass sie nicht verpflichtet sind, den Zugang zu ihrem Grundstück für die Nachbarn zu erhalten. 

Amtsgericht: Kündigung unwirksam

Vor dem Amtsgericht (AG) hatten die Käufer keinen Erfolg. Auch die Berufung blieb erfolglos. Das Wegerecht ist durch den Kaufvertrag als echter Vertrag zugunsten der Nachbarn wirksam eingeräumt worden. Dass ein eigenes Leistungsrecht und somit ein echter Vertrag zugunsten Dritter vorliegt, war dem Vertragszweck zu entnehmen. Der Zustand, dass die beklagten Nachbarn ihren Garten auch über das Grundstück der Käufer verlassen konnten, sollte aufrechterhalten und auch an Rechtsnachfolger weitergegeben werden. Damit sollten die Nachbarn begünstigt und berechtigt werden, das schuldrechtlich begründete Wegerecht durchzusetzen. 

Der o. g. Kündigungsausschluss sei auch wirksam, so das LG. Denn § 544 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ist nicht anwendbar. Vorliegend sei nämlich kein Mietvertrag über 30 Jahre gegeben, sondern ein Leihvertrag. Dieser kennt keine Bindungsgrenze. Selbst, wenn § 544 BGB mittelbar anzuwenden sei, wäre der Bindungszeitraum (30 Jahre) hier noch nicht abgelaufen. 

Quelle | LG Aachen, Urteil vom 5.8.2021, 3 S 2/21

Unfallversicherungsschutz: Psychische Folgen eines Unfalls

| Nach den Allgemeinen Bedingungen der Unfallversicherung (AUB 2008) sind krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen vom Versicherungsschutz ausgenommen, auch wenn sie Unfallfolgen sind. Für diesen Leistungsausschluss ist es unerheblich, ob sich die psychischen Reaktionen als medizinisch nicht nachvollziehbare Fehlverarbeitung darstellen, hat nun das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main entschieden und Ansprüche wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung nach einer Armverletzung zurückgewiesen. | 

Der Kläger ist bei der Beklagten unfallversichert (Invaliditätsgrundsumme: 25.000 Euro). Einbezogen wurden die AUB 2008. Vom Versicherungsschutz ausgenommen sind „krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, auch wenn diese durch den Unfall verursacht wurden“. 

Der Kläger macht gegenüber der Beklagten Leistungen wegen unfallbedingter Invalidität geltend. Er beruft sich auf einen Unfall, bei dem er seinen rechten Ellenbogen an einem Heizkörper angestoßen habe mit einer anschließenden großflächigen Infektion des betroffenen Arms. Durch die Armverletzung sei es zu einer posttraumatischen Belastungsstörung gekommen. Die Beklagte verweist auf ihren Leistungsausschluss für psychische Reaktionen.

Das Landgericht (LG) hatte die Beklagte wegen festgestellter Dauerfolgen am Arm zur Zahlung von 12.500 Euro verurteilt und Ansprüche wegen krankhafter Veränderungen der Psyche zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Dem Kläger stünde wegen des vereinbarten Leistungsausschlusses für psychische Reaktionen keine weitere Invaliditätsleistung zu. Auch nach den Behauptungen des Klägers habe nicht der Anstoß an den Heizkörper selbst oder die daraus resultierende Entzündungsreaktion unmittelbar zu einer Veränderung der Hirnstruktur geführt. Er berufe sich vielmehr selbst auf eine posttraumatische Belastungsstörung als Folge der Funktionseinschränkungen am Arm. 

Ob diese psychische Reaktion auf das körperliche Geschehen nachvollziehbar sei, könne offenbleiben. Der Ausschlusstatbestand erfasse nicht nur „Fehlverarbeitungen“. Es bestehe vielmehr schon dann kein Versicherungsschutz, wenn die Störung des Körpers „rein psychisch-reaktiver Natur ist“, wie hier. Der Ausschluss knüpfe an objektiv fassbare Vorgänge an. Es sei mit dem Wortlaut der Klausel kaum vereinbar, auf das Kriterium der„medizinischen Nachvollziehbarkeit“ abzustellen, da dieses auf eine Ursachenbetrachtung abziele, ob der Unfall mehr oder weniger zwangsläufig bzw. regelmäßig und unvermeidbar psychische Beschwerden der aufgetretenen Art hervorrufen konnte. Nach der Klausel seien jedoch psychische Reaktionen auch dann ausgeschlossen, „wenn diese durch einen Unfall verursacht wurden“. 

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Das Nichtzulassungsverfahren läuft vor dem Bundesgerichtshof (BGH) unter dem Aktenzeichen IV ZR 302/22. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 13.7.2022, 7 U88/21, PM 74/22

Geschlechtszugehörigkeit: Deutsche Bahn: Keine Diskriminierung nicht-binärer Personen

| Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat die Vertriebstochter des größten deutschen Bahnkonzerns verpflichtet, es ab dem 1.1.2023 zu unterlassen, die klagende Person nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit zu diskriminieren, indem diese bei der Nutzung von Angeboten des Unternehmens zwingend eine Anrede als „Herr“ oder „Frau“ angeben muss. | 

Das war geschehen

Die Beklagte ist Vertriebstochter der Deutschen Bahn. Die klagende Person besitzt eine nicht-binäre Geschlechtsidentität. Die Person ist Inhaberin einer BahnCard und wird in diesbezüglichen Schreiben sowie Newslettern der Beklagten mit der unzutreffenden Bezeichnung „Herr“ adressiert. Auch beim Online-Fahrkartenverkauf der Beklagten ist es zwingend erforderlich, zwischen einer Anrede als „Frau“ oder „Herr“ auszuwählen. Die klagende Person ist der Ansicht, ihr stünden Unterlassungsansprüche sowie ein Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 5.000 Euro gegen die Beklagte zu, da deren Verhalten diskriminierend sei. 

Landgericht: Unterlassungsanspruch ja, Entschädigung nein

Das Landgericht (LG) hatte den Unterlassungsansprüchen der klagenden Person stattgegeben, Entschädigungsansprüche allerdings abgewiesen. 

Oberlandesgericht: Unterlassungsanspruch ja, Entschädigungsanspruch ja

Nun hat das OLG die Unterlassungsansprüche der klagenden Person bestätigt, dabei allerdings der Beklagten hinsichtlich des Unterlassungsgebots bezüglich der Nutzung von Angeboten der Beklagten eine Umstellungsfrist bis zum Jahresende eingeräumt. Zudem hat es eine Entschädigung von 1.000 Euro zugesprochen. Die klagende Person könne wegen einer unmittelbaren Benachteiligung aus Gründen des Geschlechts und der sexuellen Identität bei der Begründung und Durchführung von zivilrechtlichen Schuldverhältnissen im Massenverkehr Unterlassung verlangen. Das Merkmal der Begründung eines Schuldverhältnisses sei dabei weit auszulegen und nicht nur auf konkrete Vertragsanbahnungen zu beziehen. Es umfasse auch die Verhinderung geschäftlicher Kontakte, wenn nicht-binäre Personen gezwungen würden, für einen Online-Vertragsschluss zwingend die Anrede „Herr“ oder „Frau“ auszuwählen.

Allerdings hat das OLG der Beklagten eine Umstellungsfrist bis zum Jahresende von gut sechs Monaten eingeräumt. Dies bezieht sich vor allem auf die Nutzung des von der Beklagten zur Verfügung gestellten allgemeinen Buchungssystems für Online-Fahrkarten, das sich nicht nur an die klagende Person richtet. Das OLG hat die Frist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit im Hinblick auf den für die Anpassung nötigen Aufwand bemessen. 

Umstellung ohne Übergangsfrist technisch möglich

Keine Umstellungsfrist hat das OLG gewährt, soweit sich der Unterlassungsanspruch der klagenden Person auf das Ausstellen von Fahrkarten, Schreiben des Kundenservice, Werbung und gespeicherte personenbezogene Daten bezieht. In der diesbezüglichen individuellen Kommunikation sei es für die Beklagte technisch realisierbar und auch im Hinblick auf den Aufwand zumutbar, dem Unterlassungsanspruch ohne Übergangsfrist zu entsprechen. 

Benachteiligungsverbot: 1.000 Euro Entschädigung

Das OLG hat der klagenden Person zudem wegen der Verletzung des Benachteiligungsverbots eine Geldentschädigung in Höhe von 1.000 Euro zugesprochen. Denn die klagende Person habe infolge der Verletzung des Benachteiligungsverbots einen immateriellen Schaden erlitten. Sie erlebe „die Zuschreibung von Männlichkeit“ seitens der Beklagten als Angriff auf die eigene Person, die zu deutlichen psychischen Belastungen führe. Die Entschädigung sei angemessen, da sie der klagenden Person Genugtuung für die durch die Benachteiligung zugefügte Herabsetzung und Zurücksetzung verschaffe. Abzuwägen seien dabei die Bedeutung und Tragweite der Benachteiligung für die klagende Person einerseits und die Beweggründe der Beklagten andererseits. Die Benachteiligungen für die klagende Person sei hier als so massiv zu bewerten, dass sie nicht auf andere Weise als durch Geldzahlung befriedigend ausgeglichen werden könnten. Zugunsten der Bahn sei aber zu berücksichtigen, dass keine individuellen Benachteiligungshandlungen erfolgt seien. 

IT-Systeme sind umzustellen

Zudem handele es sich bei der Frage der Anerkennung der Persönlichkeitsrechte von Menschen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität um eine neuere gesellschaftliche Entwicklung, die selbst in der Gleichbehandlungsrichtlinie aus dem Jahr 2004 (RL 2004/11/EG) noch keinen Niederschlag gefunden habe. So sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte bei Einführung ihrer Software in Bezug auf den Online-Ticketkauf bewusst oder absichtlich zur Benachteiligung nicht-binärer Personen eine geschlechtsneutrale Erwerbsoption ausgespart habe. Allerdings habe die Beklagte ihre IT-Systeme im Unterschied zu anderen großen Unternehmen bislang nicht angepasst. Zudem sei ihr vorzuhalten, dass sie gerade in der individuellen Kommunikation mit der klagenden Person – so etwa hinsichtlich der BahnCard – nach wie vor eine unzutreffende männliche Anrede verwende. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 21.6.2022, 9 U92/20, PM 50/22 vom 21.6.2022

Grobe Fahrlässigkeit: Regressanspruch eines Gebäudeversicherers gegen die Mieter

| Wird eine Mietsache beschädigt, kann die Gebäudeversicherung vom Mieter nur Regress verlangen, wenn der Mieter den Schaden grob fahrlässig verursacht hat. So entschied es nun das Landgericht (LG) Oldenburg. 

Bei dem Versuch des Mieters, einen in dem angemieteten Wohnhaus vorhandenen Kamin wieder zu entflammen, entstand ein Brand. Im Zuge dieses Versuchs griff der Mieter auf Brennspiritus zurück, wobei der konkrete Einsatz des Spiritus streitig ist. Die Mieterin, die nichteheliche Lebenspartnerin des Mieters, war am Entfachen des Kamins nicht unmittelbar beteiligt. Sie hatte zuvor den Brennspiritus gekauft. Neben dem Kamin lagerten beide eine Flasche Brennspiritus, als der Brand ausbrach. Ein Ermittlungsverfahren gegen den Mieter wurde eingestellt. 

Wichtig: Steht fest, dass nur einer der Mieter den Schaden grob fahrlässig verursacht hat, kann die Gebäudeversicherung gleichwohl Regress gegen alle aus dem Mietvertrag haftenden Mitmieter nehmen. 

Quelle | LG Oldenburg, Urteil vom 22.6.2021, 16 O 4029/20

BGH-Entscheidung: Vermieter darf Mieterhöhung reduzieren

| Der Vermieter ist berechtigt, innerhalb eines Mieterhöhungsverfahrens sein formell ordnungsgemäßes vorprozessuales Erhöhungsverlangen nachträglich zu ermäßigen – etwa mit Erhebung der Zustimmungsklage. Das hat nun der Bundesgerichtshof (BGH) klargestellt. | 

Im Fall des BGH hatte die Vermieterin zunächst eine Erhöhung von 65 Euro monatlich verlangt, im Rahmen der Klage auf Zustimmung zum Mieterhöhungsverlangen aber nur noch rund 45 Euro begehrt. Sie hatte auf werterhöhende Wohnmerkmale im Prozess verzichtet. Die Mieter waren der Meinung, die Vermieterin hätte erst vorgerichtlich ein neues Mieterhöhungsverlangen zustellen müssen. 

Das sah der BGH nicht so. Einer nochmaligen – den Lauf der im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 558 b Abs. 1, 2 BGB) geregelten Fristen von Neuem auslösenden – Erklärung und Begründung bedarf es hierfür nach Ansicht des BGH nicht. 

Quelle | BGH, Urteil vom 6.4.22, VIII ZR 219/20

Erbschaft: Vermächtnisnehmer ist nicht am Verfahren zur Ernennung des Testamentsvollstreckers zu beteiligen

| Der Vermächtnisnehmer ist an dem Verfahren des Nachlassgerichts zur Ernennung des Testamentsvollstreckers und zur Erteilung des Testamentsvollstreckerzeugnisses nicht zu beteiligen. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf. | 

Der Vermächtnisnehmer war durch letztwillige Verfügung des Erblassers mit zwei Vermächtnissen bedacht worden. Das eine Vermächtnis räumt ihm das lebenslange Recht ein, eine Wohnung des Erblassers sowie ein zu dieser Wohnung gehörendes Zimmer unentgeltlich zu bewohnen. Das zweite Vermächtnis bezieht sich auf die Wohnungseinrichtung nebst dem dazugehörigen Hausrat. Der Erblasser hatte zudem einen Testamentsvollstrecker berufen. Das notariell beurkundete Testament sieht dazu eine Abwicklungsvollstreckung sowie nach erfolgter Erbauseinandersetzung eine daran anschließende Dauervollstreckung vor, diese allerdings befristet. 

Das Amtsgericht (AG) führt den Vorgang über die Ernennung des Testamentsvollstreckers und die Erteilung des Testamentsvollstreckerzeugnisses. Der Vermächtnisnehmer möchte an beiden Verfahren beteiligt werden und begehrt, die betreffenden Akten des Nachlassgerichts einzusehen. 

Nach Ansicht des OLG ist er aber nicht zu beteiligen. Das Gesetz (hier: § 345 des „Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit“ – FamFG) liste für verschiedene Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit abschließend die Personen auf, die von Amts wegen oder auf Antrag hinzugezogen werden müssen und die das Gericht darüber hinaus am Verfahren beteiligen kann. 

Das Verfahren zur Ernennung eines Testamentsvollstreckers und zur Erteilung des Testamentsvollstreckerzeugnisses sei in Absatz 3 der o. g. Vorschrift geregelt. An jenem Verfahren sei der Testamentsvollstrecker zwingend beteiligt. Daneben könne das Gericht die Erben und einen etwaigen Mitvollstrecker hinzuziehen. Auf ihren Antrag hin seien diese Personen zu beteiligen. Ein Recht auf Einsicht in die Testamentsvollstreckerakte könne sich zwar ergeben, wenn und soweit ein berechtigtes Interesse an der Einsicht glaubhaft gemacht werden kann. Der Vermächtnisnehmer habe hier aber weder dargelegt noch sei sonst ersichtlich, inwieweit es ihm die Akteneinsicht erleichtern könnte, seinen Anspruch aus den beiden Vermächtnissen durchzusetzen. 

Quelle | OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4.4.22, I-3 Wx 86/21

10-jährige Haltefrist: Erbschaftsteuerbefreiung für ein Familienheim

| Ein Erbe verliert nicht die Erbschaftsteuerbefreiung für ein Familienheim, wenn ihm die eigene Nutzung des Familienheims aus gesundheitlichen Gründen unmöglich oder unzumutbar ist. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) jetzt entschieden. | 

Die Klägerin hatte das von ihrem Vater ererbte Einfamilienhaus zunächst selbst bewohnt, war aber bereits nach sieben Jahren ausgezogen. Im Anschluss wurde das Haus abgerissen. Die Klägerin machte gegenüber dem Finanzamt und dem Finanzgericht (FG) erfolglos geltend, sie habe sich angesichts ihres Gesundheitszustands kaum noch in dem Haus bewegen und deshalb ohne fremde Hilfe dort nicht mehr leben können. Das FG war der Ansicht, das sei kein zwingender Grund für den Auszug, da sich die Klägerin fremder Hilfe hätte bedienen können. 

Der BFH hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Grundsätzlich setzt die Steuerbefreiung gemäß Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz (§ 13 Abs. 1 Nr. 4 c ErbStG) voraus, dass der Erbe für zehn Jahre das geerbte Familienheim selbst nutzt, es sei denn, er ist aus „zwingenden Gründen“ daran gehindert. „Zwingend“, so der BFH, erfasse nicht nur den Fall der Unmöglichkeit, sondern auch die Unzumutbarkeit der Selbstnutzung des Familienheims. Reine Zweckmäßigkeitserwägungen, wie etwa die Unwirtschaftlichkeit einer Sanierung, genügten zwar nicht. Anders liege es, wenn der Erbe aus gesundheitlichen Gründen für eine Fortnutzung des Familienheims so erheblicher Unterstützung bedürfe, dass nicht mehr von einer selbstständigen Haushaltsführung zu sprechen sei. Das FG muss deshalb unter Mitwirkung der Klägerin das Ausmaß ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen prüfen. 

Quelle | BFH, Urteil vom 1.12.21, II R 18/20, PM 28/22 vom 7.7.2022

Honorarvertrag: Bauhandwerkersicherung: Unternehmer muss nur schlüssig darlegen

| Bauunternehmer können von ihrem Auftraggeber Sicherheit für das gesamte noch nicht gezahlte Honorar verlangen. So steht es im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 650 f BGB). Sie können kündigen, wenn der Bauherr die Sicherheit nicht innerhalb einer angemessenen Frist stellt. Ihr Sicherungsverlangen ist berechtigt, wenn sie den Anspruch schlüssig darlegen. Ob die erforderlichen Annahmen dann auch tatsächlich zutreffen, ist jedoch nicht im Sicherungsverfahren zu klären. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Celle klargestellt. | 

Das war geschehen

Ein Bauplaner war mit Architektenleistungen beauftragt worden. Dann zerstritten sich Auftragnehmer und Auftraggeber. Die Situation eskalierte. Der Auftraggeber kündigte den Planervertrag außerordentlich aus wichtigem Grund und verlangte zu viel gezahltes Honorar zurück. Der Planer erhob Widerklage und forderte den Auftraggeber auf, ihm eine Sicherheit zu stellen. Darüber hinaus machte er geltend, dass ihm ein Honorar auf Grundlage der Mindestsätze gemäß der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) oberhalb des vereinbarten Pauschalhonorars zustehe. 

So entschied das Oberlandesgericht

Das OLG gab dem Planer Recht. Seine Darlegungen zur Höhe der Sicherheit (unter Berücksichtigung erhaltener Abschlagszahlungen) seien ausreichend gewesen. Im Sicherheitenprozess stehe im Vordergrund, dem Unternehmer zu einer schnellen Sicherheit zu verhelfen. Rechtlich anspruchsvolle Fragen seien dort dagegen nicht aufzuklären. Als solche gelten die Fragen, ob sich die Höhe der Vergütung nach dem Preisrecht der HOAI oder nach der Honorarvereinbarung richte, und ob die Angaben zur Honorarzone und zu den anrechenbaren Kosten zutreffen. 

Quelle | OLG Celle, Urteil vom 27.4.2022, 14 U 96/19

Abgabenstreit: Keine Ausbaubeiträge für ungenutzte Grundstücke, die nicht an einer Verkehrsanlage angrenzen

| Das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz hat jetzt entschieden: Die Erhebung von wiederkehrenden Beiträgen für Grundstücke, die keinen Zugang bzw. keine Zufahrt zu einer Verkehrsanlage haben und auch nicht genutzt werden, scheidet aus. Dies gilt auch, wenn die Eigentümer dieses Grundstücks und des Anliegergrundstücks identisch sind. | 

Das war geschehen

Die Klägerin ist Eigentümerin zweier Grundstücke, von dem eines unmittelbar an eine Straße ihrer Gemeinde angrenzt. Direkt hinter diesem Grundstück befindet sich das zweite Grundstück, das weder eine Zufahrt oder Zuwegung zu einer Straße hat noch unmittelbar über das vordere Grundstück der Klägerin angefahren werden kann. Dieses Grundstück wird von der Klägerin nicht genutzt; Wiese und Sträucher wachsen dort wild. 

Die beklagte Gemeinde erhob im Jahr 2019 wiederkehrende Ausbaubeiträge für beide Grundstücke. Nachdem der hiergegen erhobene Widerspruch der Klägerin keinen Erfolg hatte, verfolgte sie ihr Begehren im Klageweg weiter.

Hinterliegergrundstück nicht genutzt: keine Beiträge

Die Klage hatte in Bezug auf das Hinterliegergrundstück Erfolg. Während das an die Straße angrenzende Grundstück der Klägerin ohne Weiteres beitragspflichtig sei, hätten, so das VG, für das dahinterliegende Grundstück keine Beiträge erhoben werden dürfen. Zwar sei ein Hinterliegergrundstück, das im (Mit)Eigentum derselben Person stehe, wie das selbstständig bebaubare Anliegergrundstück, beitragspflichtig, wenn es zusammen mit diesem einheitlich genutzt werde oder tatsächlich eine Zufahrt zu der Anbaustraße besitze. Von einer einheitlichen Nutzung sei aber nur auszugehen, wenn ein Eigentümer sein Hinterliegergrundstück als private Grünfläche (Hausgarten mit Nebengebäude) für das mit einem Wohnhaus bebaute Anliegergrundstück nutze. Dies sei bei dem Hinterliegergrundstück der Klägerin jedoch nicht der Fall. Es werde überhaupt nicht genutzt. Beide Parzellen seien durch einen Maschendrahtzaun voneinander getrennt, sodass sie nicht einheitlich umfriedet seien. Eine Gartennutzung finde ausschließlich auf der Fläche südwestlich des Wohnhauses der Klägerin auf dem Anliegergrundstück statt. 

Gegen die Entscheidung steht den Beteiligten die Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz zu. 

Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 21.2.2022, 4 K 1019/21.KO, PM 18/22

Schwarzarbeit: Leistungsempfänger wegen Betrugs verurteilt

| Schwarzarbeit lohnt sich nicht – noch dazu, wenn man gleichzeitig Arbeitslosengeld II kassiert. Das musste ein 48-Jähriger vor dem Amtsgericht (AG) Dessau-Roßlau erfahren. Er wurde zu neun Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Um die Aussetzung der Strafe nicht zu gefährden, hat er nun für die Dauer von zwei Jahren Zeit, sich zu bewähren. | 

Die Bediensteten des Hauptzollamts Magdeburg – Finanzkontrolle Schwarzarbeit Dessau – ermittelten, dass der Mann zwischen November 2017 und November 2018 eine selbstständige Tätigkeit ausübte und dabei im genannten Zeitraum ein Einkommen von über 20.400 Euro erzielte. Zur Verschleierung seiner Aktivitäten gründete der Unternehmer zwei Limited Unternehmen (britische Kapitalgesellschaften) in Großbritannien. Zusätzlich war der Verurteilte auf Geringfügigkeitsbasis tätig. Der Sachverhalt wurde im Zuge einer Geschäftsunterlagenprüfung nach dem Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz - SchwarzArbG) bei einem Auftraggeber bekannt. 

Während der Zeit der Selbstständigkeit bezog er von Oktober 2017 bis August 2018 zu Unrecht Arbeitslosengeld II in Höhe von 7.400 Euro. Er verschwieg pflichtwidrig gegenüber dem Jobcenter Dessau-Roßlau die Ausübung seiner selbstständigen Tätigkeit und das erzielte Einkommen hieraus. Lediglich die geringfügige Tätigkeit und das daraus stammende Einkommen zeigte er beim Jobcenter an. Damit erfüllte der Mann nach Ansicht des Gerichts den Tatbestand des Betrugs (strafbar nach § 263 Strafgesetzbuch – StGB). Diese Vorschrift sieht im Fall des Betrugs eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vor. 

Das Urteil ist bereits rechtskräftig. Neben der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung muss der Verurteilte den verursachten Schaden wiedergutmachen. 

Quelle | Hauptzollamt Magdeburg, PM vom 1.7.2022

Kündigungsschutzverfahren: Kein Wiedereinstellungsanspruch in der Insolvenz

| In der Insolvenz des Arbeitgebers besteht kein Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers. Ist ein solcher Anspruch vor Insolvenzeröffnung bereits gegenüber entstanden, erlischt er mit Insolvenzeröffnung. Die Insolvenzordnung bindet den Insolvenzverwalter nur an bereits vom Schuldner begründete Arbeitsverhältnisse, kennt jedoch keinen Kontrahierungszwang des Insolvenzverwalters, also keine Pflicht, Verträge einzugehen. Einen solchen Zwang kann nur der Gesetzgeber anordnen. So entschied es aktuell das Bundesarbeitsgericht (BAG). | 

Der Kläger war bei einem Betten- und Matratzenhersteller mit rund 300 Arbeitnehmern beschäftigt. Dieser kündigte das Arbeitsverhältnis wirksam zum 31.7.19 wegen Betriebsstilllegung. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, noch während der Kündigungsfrist sei ein Betriebsübergang auf die spätere Schuldnerin beschlossen und am 1.8.19 vollzogen worden. Er nahm deshalb die spätere Schuldnerin, die etwa 20 Arbeitnehmer beschäftigte, auf Wiedereinstellung in Anspruch. Gegen eine von der späteren Schuldnerin erklärte vorsorgliche Kündigung erhob er fristgerecht Kündigungsschutzklage. Während des Berufungsverfahrens wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Das Verfahren wurde dadurch unterbrochen. Der Kläger erklärte mit Schriftsatz vom 29.6.20 die Aufnahme des Verfahrens. Der Beklagte widersprach der Aufnahme. Das LAG hat mit Zwischenurteil festgestellt, dass das Verfahren weiterhin unterbrochen ist. 

Die Revision des Klägers hatte vor dem BAG aus prozessualen Gründen Erfolg. Der richterrechtlich entwickelte Wiedereinstellungsanspruch kommt zum Tragen, wenn sich die bei Zugang der Kündigung noch zutreffende Prognose des Arbeitgebers, der Beschäftigungsbedarf werde bei Ablauf der Kündigungsfrist entfallen, als fehlerhaft erweist, etwa, weil es zu einem Betriebsübergang kommt. Zwar besteht ein solcher Anspruch in der Insolvenz nicht, sodass der Rechtsstreit an sich nicht unterbrochen wird. Wird jedoch mit dem Wiedereinstellungsanspruch – wie im vorliegenden Fall – zugleich die Wirksamkeit einer Kündigung angegriffen, führt das zur Unterbrechung auch bezüglich des Streits über die Wiedereinstellung. Umgekehrt hat die Aufnahme des Kündigungsrechtsstreits, für die es genügt, dass bei Obsiegen des Arbeitnehmers Masseverbindlichkeiten entstehen können, auch die Aufnahme des Streits über die Wiedereinstellung zur Folge. 

Quelle | BAG, Urteil vom 25.5.22, 6 AZR 224/21, PM 19/22

Kündigung: Urlaub bei einem anderen Arbeitgeber wird angerechnet

| Der Arbeitnehmer muss sich den ihm während des Kündigungsschutzrechtsstreits von einem anderen Arbeitgeber gewährten Urlaub auf seine Urlaubsansprüche gegen den alten Arbeitgeber anrechnen lassen. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen. Voraussetzung: Der Arbeitnehmer hätte die Pflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen nicht gleichzeitig erfüllen können. Das gilt auch für den vertraglich vereinbarten Urlaub, der den Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt. | 

Eine Verkäuferin hatte nach ihrer fristlosen Kündigung eine Kündigungsschutzklage erhoben. Während des Verfahrens arbeitete sie bei einem anderen Arbeitgeber und nahm dort auch Urlaub. 

Das LAG machte deutlich: Auch bei der Anrechnung des Urlaubs ist eine Gesamtberechnung anhand des im gesamten Anrechnungszeitraum gewährten Urlaubs vorzunehmen. Die Arbeitnehmerin konnte daher nicht einerseits bei dem neuen Arbeitgeber Urlaub nehmen und andererseits beim alten Arbeitgeber für die gleiche Zeit Urlaubsabgeltung verlangen. 

Quelle | LAG Niedersachsen, Urteil vom 2.5.2022, 15 Sa 885/21

Rettungsassistent: Gleiche Arbeit, gleicher Lohn

| Die Differenzierung im Stundenlohn (17 Euro/12 Euro) zwischen „hauptamtlichen“ (Voll- und Teilzeit) und „nebenamtlichen“ Arbeitnehmern (geringfügige Beschäftigung) ist nicht sachlich gerechtfertigt. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) München. | 

Ein als Minijobber beschäftigter Rettungsassistent wehrte sich, weil er fünf Euro weniger als die „hauptamtlichen“ Kollegen verdiene, obwohl er die gleiche Arbeit leiste. Seine Klage vor dem Arbeitsgericht (ArbG) München verlor der Arbeitnehmer zunächst. 

Doch er blieb hartnäckig. Mit Erfolg: Das LAG München sah das nämlich anders als das ArbG: Die Tatsache, dass der Arbeitgeber die „hauptamtlich“ Beschäftigten in den Dienstplan einteilen würde und die „nebenamtlich“ Beschäftigten mitteilen müssten, welche angebotenen Dienste sie übernehmen bzw. wann sie Zeit haben, rechtfertige die unterschiedliche Bezahlung nicht. Hierfür seien keine objektiven Gründe gegeben, die einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens dienen würden und zur Zielerreichung geeignet und erforderlich seien. Auch würde die Unterscheidung nicht dem Zweck der Leistung entsprechen. 

Die Sache ist noch nicht rechtskräftig. Denn der Arbeitgeber hat Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) eingelegt. 

Quelle | LAG München, Urteil vom 19.1.2022, 10 Sa 582/21

Kündigungsschutzklage: Bei gefälschtem Genesenennachweis droht Kündigung

| Die Vorlage eines gefälschten Genesenennachweises anstelle eines tagesaktuellen Corona-Tests oder Impfnachweises kann eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Das hat das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin entschieden und eine Kündigungsschutzklage abgewiesen. | 

Regeln desInfektionsschutzgesetzes

Nach dem Infektionsschutzgesetz (§ 28 b Abs. 1 InfSchG in der vom 24.11.2021 bis 19.3.2022 gültigen Fassung) durften Beschäftigte Arbeitsstätten, in denen physische Kontakte untereinander oder zu Dritten nicht ausgeschlossen werden können, nur nach Vorlage eines Impfnachweises, eines Genesenennachweises oder eines tagesaktuellen Tests im Sinne der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung betreten. 

Das war geschehen

Der als Justizbeschäftigter bei einem Gericht tätige Kläger legte einen Genesenennachweis vor, obwohl bei ihm keine Corona-Erkrankung festgestellt worden war, und erhielt so Zutritt zum Gericht ohne Vorlage eines aktuellen Tests oder Impfnachweises. Nachdem festgestellt wurde, dass es sich bei dem Genesenennachweis um eine Fälschung handelte, erklärte das Land Berlin als Arbeitgeber nach Anhörung des Justizbeschäftigten die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Diese Kündigung ist nach der Entscheidung des ArbG wirksam, weil der erforderliche wichtige Grund für eine außerordentliche Kündigung vorliege. 

Justizbeschäftigter: erkennbar, dass Fälschung Konsequenzen haben würde

Der Arbeitgeber habe einen Zutritt nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 b Abs. 1 InfSchG gewähren dürfen. Den hier geregelten Nachweispflichten komme auch im Hinblick auf den angestrebten Gesundheitsschutz für alle Menschen im Gericht eine erhebliche Bedeutung zu. Deshalb sei die Verwendung eines gefälschten Genesenennachweises zur Umgehung dieser geltenden Nachweispflichten eine erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Rücksichtnahmepflichten. Eine vorherige Abmahnung dieses Sachverhalts sei nicht erforderlich. Es sei für den Kläger als Justizbeschäftigten ohne Weiteres erkennbar gewesen, dass ein solches Verhalten nicht hingenommen werde. Auch im Hinblick auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses von drei Jahren überwiege das arbeitgeberseitige Interesse an einer sofortigen Beendigung. 

Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg eingelegt werden. 

Quelle | ArbG Berlin, Urteil vom 26.4.2022, 58 Ca 12302/21, PM 12/22 vom 30.5.2022

Mietrecht

BGH-Entscheidung: Gutgläubiger Erwerb eines gebrauchten Fahrzeugs

| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden: Beruft sich der Erwerber eines gebrauchten Fahrzeugs auf den gutgläubigen Erwerb von einem Nichtberechtigten, muss der bisherige Eigentümer beweisen, dass der Erwerber sich die Zulassungsbescheinigung Teil II (früher: Kraftfahrzeugbrief) nicht hat vorlegen lassen. | 

Das war geschehen

Die Klägerin, eine Gesellschaft italienischen Rechts, die Fahrzeuge in Italien vertreibt, kaufte im März 2019 unter Einschaltung eines Vermittlers ein Fahrzeug von einem Autohaus, bei dem das Fahrzeug stand. Eigentümerin des Fahrzeugs war die Beklagte, die es an das Autohaus verleast hatte und die auch im Besitz der Zulassungsbescheinigung Teil II ist. Nach Zahlung des Kaufpreises von über 30.000 Euro holte der Vermittler Anfang April 2019 das Auto bei dem Autohaus ab und verbrachte es zu der Klägerin nach Italien. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dem Vermittler eine hochwertige Fälschung der Zulassungsbescheinigung Teil II vorgelegt wurde, in der das Autohaus als Halter eingetragen war. Als die Klägerin ein weiteres Fahrzeug von dem Autohaus kaufen wollte, war es geschlossen. Gegen den Geschäftsführer wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Betrugsverdachts in über 100 Fällen eingeleitet. 

Die Entscheidung des BGH

Die Klägerin kann von der Beklagten die Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II verlangen, weil sie Eigentümerin des Fahrzeugs geworden ist. Ursprüngliche Eigentümerin des Fahrzeugs war zwar die Beklagte. Zwischen der Klägerin und dem Autohaus hat aber eine Einigung und Übergabe im Sinne stattgefunden. Weil das Fahrzeug dem Autohaus als Veräußerer nicht gehörte, konnte die Klägerin das Eigentum durch diesen Vorgang allerdings nur gutgläubig erwerben. Dass die Klägerin nicht in gutem Glauben war, muss die Beklagte beweisen. Der Gesetzgeber hat die fehlende Gutgläubigkeit im Verkehrsinteresse bewusst als Ausschließungsgrund ausgestaltet. Derjenige, der sich auf den gutgläubigen Erwerb beruft, muss die Voraussetzungen eines solchen Erwerbs beweisen, nicht aber seine Gutgläubigkeit. 

Mindesterfordernisse für gutgläubigen Erwerb eines gebrauchten Kfz

Diese Beweislastverteilung gilt auch, wenn die fehlende Gutgläubigkeit des Erwerbers – wie hier – darauf gestützt wird, bei dem Erwerb des Fahrzeugs habe die Zulassungsbescheinigung Teil II nicht vorgelegen. Zwar gehört es nach ständiger Rechtsprechung des BGH regelmäßig zu den Mindesterfordernissen für einen gutgläubigen Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs, dass sich der Erwerber die Zulassungsbescheinigung Teil II vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen. Wird dem Erwerber eine gefälschte Bescheinigung vorgelegt, treffen ihn, sofern er die Fälschung nicht erkennen musste und für ihn auch keine anderen Verdachtsmomente vorlagen, keine weiteren Nachforschungspflichten. 

Bisheriger Eigentümer muss Fehlen des guten Glaubens beweisen

Diese Rechtsprechung ist aber nicht so zu verstehen, dass die Vorlage der Zulassungsbescheinigung Teil II von demjenigen zu beweisen wäre, der sich auf den gutgläubigen Erwerb beruft. Denn für die von dem Erwerber zu beweisenden Voraussetzungen des gutgläubigen Erwerbs spielt die Vorlage der Bescheinigung keine Rolle. Sie hat rechtliche Bedeutung nur im Zusammenhang mit dem guten Glauben des Erwerbers; dessen Fehlen muss der gesetzlichen Regelung zufolge der bisherige Eigentümer beweisen. 

Erwerber muss aber darlegen, dass er die Papiere überprüft hat

Allerdings trifft den Erwerber, der sich auf den gutgläubigen Erwerb beruft, regelmäßig eine sog. sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Vorlage und Prüfung der Zulassungsbescheinigung Teil II. Er muss also seinerseits vortragen, wann, wo und durch wen ihm die Bescheinigung vorgelegt worden ist und dass er sie überprüft hat. Dann muss der bisherige Eigentümer beweisen, dass diese Angaben nicht zutreffen. 

Quelle | BGH, Urteil vom 23.9.2022, V ZR 148/21, PM 138/2022

Gesellschafter und Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften: Offenlegung der Jahresabschlüsse 2021: Kein Ordnungsgeldverfahren vor 11.4.2023

| Die Offenlegungsfrist für den Jahresabschluss für 2021 endet bereits am 31.12.2022. Das Bundesamt für Justiz (BfJ) hat nun aber mitgeteilt, dass es vor dem 11.4.2023 kein Ordnungsgeldverfahren einleiten wird. Damit sollen angesichts der anhaltenden Nachwirkungen der Corona-Pandemie die Belange der Beteiligten angemessen berücksichtigt werden. | 

Unternehmensregister wird Bundesanzeiger ablösen

Offenlegungspflichtige Gesellschaften (insbesondere AG, GmbH und GmbH & Co. KG) müssen ihre Jahresabschlüsse spätestens zwölf Monate nach Ablauf des Geschäftsjahrs beim Bundesanzeiger elektronisch einreichen. Jahresabschlüsse sowie weitere Rechnungslegungsunterlagen und Unternehmensberichte sind letztmals für das vor dem 1.1.2022 beginnende Geschäftsjahr beim Bundesanzeiger einzureichen. Nachfolgende Geschäftsjahre sind zur Offenlegung an das Unternehmensregister zu übermitteln. Weitere Informationen hierzu finden Sie unter www.publikations-plattform.de. 

Ordnungsgeld droht

Bei nicht rechtzeitiger oder nicht vollständiger Offenlegung leitet das BfJ ein Ordnungsgeldverfahren ein. Das Unternehmen wird aufgefordert, innerhalb einer sechswöchigen Nachfrist den Offenlegungspflichten nachzukommen. Gleichzeitig wird ein Ordnungsgeld angedroht. 

Beachten Sie | Kleinstkapitalgesellschaften müssen nur ihre Bilanz einreichen (keinen Anhang und keine Gewinn- und Verlustrechnung). Zudem haben sie ein Wahlrecht: Offenlegung oder dauerhafte Hinterlegung. Hinterlegte Bilanzen sind nicht unmittelbar zugänglich; auf Antrag werden sie kostenpflichtig an Dritte übermittelt. 

Quelle | Mitteilung des BfJ unter www.iww.de/s7329

Corona-Pandemie: Kein Schadenersatz wegen Absage einer Messe

| Einer Ausstellerin stehen keine Schadenersatzansprüche wegen der im Februar 2020 erfolgten Verschiebung einer für den 8.3. bis 13.3.2020 geplanten Messe auf den Herbst 2020 sowie der vollständigen Absage dieser Messe am 5.5.2020 zu. Beide Entscheidungen waren im Hinblick auf das sich rasant und nicht prognostizierbar entwickelnde Pandemiegeschehen, der Verantwortung für die Gesundheit der Messeteilnehmer und der erheblichen wirtschaftlichen Interessen rechtmäßig, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. | 

Das war geschehen

Die Klägerin hatte mit der beklagten Messeveranstalterin einen Vertrag über die Teilnahme an der vom 8.3. bis 13.3.2020 geplanten Messe „Light + Building 2020“ geschlossen. Am 24.2.2020 hatte die Beklagte die Messe im Hinblick auf die Verbreitung des Corona-Virus zunächst auf September 2020 verschoben und letztlich am 5.5.2020 ganz abgesagt. Die bereits entrichteten Standgebühren zahlte sie der Klägerin zurück. Diese begehrt nun u. a. Schadenersatz in Höhe von knapp 75.000 Euro und verweist auf bereits vorgenommene Hotelreservierungen, PR-Maßnahmen, Miete des Messestands und statische Berechnungen. Das Landgericht (LG) hatte die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der Klägerin stehe kein Schadenersatzanspruch zu, bestätigte das OLG. 

Festhalten am Vertrag nicht zumutbar

Zu der zunächst vorgenommenen Verschiebung der Messe sei die Beklagte berechtigt gewesen. Ihr sei das Festhalten am ursprünglichen Vertrag nicht zumutbar gewesen. Bis zum 24.2.2020 hätten sich die Umstände, die Grundlage des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags geworden waren, so schwerwiegend geändert, dass die Parteien bei Kenntnis dieser veränderten Umstände den Vertrag nicht mehr mit dem alten Inhalt geschlossen hätten. Die „dynamische Entwicklung des Infektionsgeschehens mit dem Corona-Virus vom Jahreswechsel 2019/2020 bis zu ihrer Entscheidung am 24.2.2022, die dadurch bedingten erheblichen Unsicherheiten für die Durchführbarkeit der Veranstaltung und die Verantwortung für Gesundheit und das Leben aller an der Messe teilnehmenden (...) Personen“ hätten die Beklagte zur Verschiebung um ca. sechs Monate berechtigt. Die Entwicklung des Infektionsgeschehens sei rasant und sich stetig verschärfend verlaufen. 

Behördliches Verbot wäre wahrscheinlich gewesen

Unerheblich sei, dass am 24.2.2020 kein behördlich angeordnetes Verbot der Veranstaltung bestanden habe. Es habe vielmehr ausgereicht, dass ein behördliches Veranstaltungsverbot bei einer ex ante-Prognose hinreichend wahrscheinlich gewesen sei. Dies sei hier der Fall gewesen. Angesichts der Erklärung des Infektionsgeschehens zu einer Pandemie durch die WHO am 11.3.2020, des am 12.3.2020 erfolgten Verbots von Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Personen (wie hier) und des am 14.3.2020 verhängten vollständigen Verbots von Veranstaltungen wäre es allein vom Zufall abhängig gewesen, ob die Messe gerade noch hätte stattfinden können oder nicht. Die Beklagte habe auch in besonderer Weise die Gesundheit der Messeteilnehmer und die Verhinderung der Infektion einer unübersehbaren Zahl an Personen berücksichtigen dürfen. 

Keine Ausnahmegenehmigung möglich

Die endgültige Absage der Messe am 5.5.2020 sei ebenfalls rechtmäßig erfolgt. Nach der damals gültigen Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung hätte die Messe nur mit einer Ausnahmegenehmigung durchgeführt werden können. Diese wäre wohl nicht zu erlangen gewesen. Jedenfalls habe die Lage am 5.5.2020 wegen Störung der Geschäftsgrundlage die Beklagte zu der völligen Beseitigung des Vertragsverhältnisses berechtigt. Am 5.5.2020 sei die Durchführung von Messen bis zum 31.8.2020 verboten gewesen. 

Keine Prognose zu Ausweichtermin möglich, Absage war rechtmäßig

„Die Prognose, ob die Durchführung der Messe zu dem geplanten Ausweichtermin möglich sein würde und wenn ja, in welchem Umfang, (war) für die Beklagte angesichts der sich ständig überschlagenden und beinahe täglich erfolgenden Neueinschätzungen durch die verantwortlichen Politiker, das RKI und die Wissenschaft kaum zu treffen“, begründete das OLG weiter. Angesichts der wirtschaftlichen Interessen einer Vielzahl von Ausstellern und des Umstands, dass die drohenden Schäden mit der Kurzfristigkeit einer Absage immer größer würden, habe die Beklagte die alle zwei Jahre stattfindende Messe absagen dürfen. 

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann die Klägerin die Zulassung der Revision beim BGH begehren. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 7.9.2022, 4 U331/21, PM 73/22

BFH-Entscheidung: Umsatzsteuerpflicht bei 3.000 eBay-Verkäufen

| Veräußert ein Verkäufer auf jährlich mehreren hundert Auktionen Waren über die Internetplattform „eBay“, liegt eine nachhaltige und damit umsatzsteuerrechtlich unternehmerische Tätigkeit vor. Dies hat aktuell der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. | 

Ob die Umsätze eines „privaten“ eBay-Verkäufers der Umsatzsteuer unterliegen, ist mitunter schwierig zu beurteilen und hängt vom Gesamtbild der Verhältnisse ab. Im Streitfall erwarb die Steuerpflichtige bei Haushaltsauflösungen Gegenstände und verkaufte diese über einen Zeitraum von fünf Jahren in ca. 3.000 ebay-Versteigerungen und erzielte Einnahmen von ca. 380.000 Euro. Dies beurteilte der BFH als nachhaltige Tätigkeit im Sinne des Umsatzsteuergesetzes (hier: § 2 Abs. 1 UStG). 

Der BFH hat den Streitfall aber an die Vorinstanz zurückverwiesen. Diese muss nun (bisher fehlende) Feststellungen zur Differenzbesteuerung (nach § 25 a UStG) nachholen.  

Unter gewissen Voraussetzungen können Unternehmer die Differenzbesteuerung anwenden. Diese betrifft typischerweise Waren, die ein Wiederverkäufer von Nicht- oder Kleinunternehmern und damit ohne Umsatzsteuerausweis erworben hat. Die Umsatzbesteuerung ist hier auf die Marge, d. h., auf die Differenz zwischen dem Ein- und Verkaufspreis, beschränkt. 

Interessant an der Entscheidung des BFH ist vor allem, dass die Aufzeichnungspflichten (gemäß § 25 a Abs. 6 S. 1 UStG – insbesondere über Verkaufs- und Einkaufspreise) nicht zu den materiellen Voraussetzungen der Differenzbesteuerung gehören. Ein Verstoß gegen die Aufzeichnungspflichten führt deshalb nicht grundsätzlich zur Versagung der Differenzbesteuerung. Es ist dann vielmehr – ggf. zulasten des Wiederverkäufers – zu schätzen. 

Quelle | BFH, Urteil vom 12.5.2022, V R 19/20, PM Nr. 54/22 vom 10.11.2022

Werbungskosten: Entfernungspauschale: Ein Taxi ist kein öffentliches Verkehrsmittel

| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat aktuell entschieden, dass ein Arbeitnehmer für seine Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte (zumeist dessen üblicher Arbeitsplatz) auch bei Nutzung eines Taxis lediglich Aufwendungen in Höhe der Entfernungspauschale als Werbungskosten absetzen kann. | 

Aufwendungen eines Arbeitnehmers für Wege zwischen seiner Wohnung und seiner ersten Tätigkeitsstätte sind grundsätzlich pauschal in Höhe von 0,30 Euro für jeden Entfernungskilometer (ab dem 21. Kilometer: 0,38 Euro) anzusetzen – und zwar unabhängig davon, welches Verkehrsmittel genutzt wird. 

Beachten Sie | Eine Ausnahme gilt nach dem Einkommensteuergesetz (§ 9 Abs. 2 S. 2 EStG) jedoch bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln. Aufwendungen hierfür können angesetzt werden, soweit sie den im Kalenderjahr insgesamt als Entfernungspauschale abziehbaren Betrag übersteigen. 

Der BFH stellt bei seiner Entscheidung darauf ab, dass der Gesetzgeber bei Einführung der Ausnahmeregelung eine Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln im Linienverkehr (insbesondere Bus und Bahn) und damit ein enges Verständnis des Begriffs des öffentlichen Verkehrsmittels vor Augen hatte. Ein im Gelegenheitsverkehr genutztes Taxi zählt nach Meinung des BFH nicht zu den „öffentlichen Verkehrsmitteln“ im Sinne des Einkommensteuergesetzes, sodass die Ausnahmeregelung hier nicht greift. 

Quelle | BFH, Urteil vom 9.6.2022, VI R 26/20, PM Nr. 50/22 vom 3.11.2022

Inflationsausgleichsgesetz: Das ändert sich zum Jahreswechsel

| Der Bundesrat hat dem Inflationsausgleichsgesetz am 25.11.2022 zugestimmt. Angesichts der hohen Inflation wurden insbesondere das Kindergeld (für das erste, zweite und dritte Kind) und der Grundfreibetrag noch weiter angehoben, als ursprünglich geplant. | 

Grundfreibetrag und Unterhaltshöchstbetrag

Der steuerliche Grundfreibetrag, bis zu dessen Höhe keine Einkommensteuer gezahlt werden muss, steigt zum 1.1.2023 von derzeit 10.347 Euro auf 10.908 Euro. Für das Jahr 2024 erfolgt dann eine Anhebung auf 11.604 Euro. 

Beachten Sie | Der Unterhaltshöchstbetrag entspricht seit dem Jahr 2022 dem Grundfreibetrag. Dies bedeutet für 2022 eine nachträgliche Erhöhung von 9.984 Euro auf 10.347 Euro. 

Kalte Progression

Durch folgende Anpassungen sollen höhere Einkommen – trotz steigender Inflation – auch tatsächlich bei den Bürgern ankommen. Der Effekt der kalten Progression soll ausgeglichen werden. 

Die Tarifeckwerte wurden entsprechend der erwarteten Inflation nach rechts verschoben. Das bedeutet: Der Spitzensteuersatz „greift“ 2023 bei 62.810 Euro, statt bisher bei 58.597 Euro. 2024 wird er dann ab 66.761 Euro beginnen. 

Sehr hohe Einkommen (Reichensteuersatz) ab 277.826 Euro werden von der Anpassung indes ausgenommen. 

Familien und Solidaritätszuschlag

Die Kinderfreibeträge wurden schrittweise von 2022 bis 2024 erhöht (1.1.2022: 8.548 Euro; 1.1.2023: 8.952 Euro; 1.1.2024: 9.312 Euro). 

Beachten Sie | Das Kindergeld wird ab 2023 um monatlich 31 Euro für das erste und zweite Kind erhöht; für das dritte Kind erfolgt eine Erhöhung um 25 Euro. Damit beträgt das Kindergeld dann einheitlich 250 Euro im Monat. Da für das vierte und jedes weitere Kind keine Erhöhung erfolgen wird, bleibt es hier bei 250 Euro. 

Beachten Sie | Um „ein Hineinwachsen“ in den Solidaritätszuschlag zu verhindern, wurde die Freigrenze ab 2023 und 2024 angehoben. Es sollen weiterhin ca. 90 % der Steuerzahler vollständig vom Solidaritätszuschlag entlastet sein. 

Quelle | Inflationsausgleichsgesetz, BR-Drs. 576/22 (B) vom 25.11.2022; Die Bundesregierung: „Inflationsausgleich für 48 Millionen Menschen“ vom 10.11.2022

Jahressteuergesetz 2022: Homeoffice-Pauschale bleibt

| Der Bundestag hat das Jahressteuergesetz (JStG) 2022 am 2.12.2022 verabschiedet. Stimmt auch der Bundesrat in seiner Sitzung am 16.12.2022 zu, werden sowohl bei der Einkommen-, Umsatz- als auch Erbschaft-/Schenkungsteuer zahlreiche Änderungen zu berücksichtigen sein. Im Folgenden werden die Regelungen in Bezug auf die Einkommensteuer – hier die Tätigkeiten in der häuslichen Wohnung – vorgestellt. | 

Tätigkeiten im Arbeitszimmer und in der häuslichen Wohnung

Bislang sind Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer (z. B. Miete und Strom) wie folgt abzugsfähig: Bis zu 1.250 Euro jährlich, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht und ohne Höchstgrenze, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet. 

Homeoffice-Pauschale

Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt (z. B., weil die Tätigkeit im Wohnzimmer ausgeübt wird) oder verzichtet der Steuerpflichtige auf einen Abzug der Aufwendungen, kann ein Abzug für die betrieblich oder beruflich veranlassten Aufwendungen in pauschaler Form erfolgen. Diese im Zuge der Corona-Pandemie eingeführte Homeoffice-Pauschale beträgt derzeit 5 Euro für jeden Kalendertag, an dem der Steuerpflichtige seine gesamte Tätigkeit ausschließlich in der häuslichen Wohnung ausübt; maximal aber 600 Euro im Kalenderjahr. 

Der Abzug soll ab 2023 neu geregelt werden. Soweit der Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung im häuslichen Arbeitszimmer liegt, sollen (abweichend vom Regierungsentwurf) die Aufwendungen auch dann abziehbar sein, wenn für die Betätigung ein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Für Mittelpunktfälle sollen die Aufwendungen damit (wie bisher) in voller Höhe abziehbar bleiben. Anstelle des Abzugs der tatsächlichen Aufwendungen soll aber ein pauschaler Abzug in Höhe von 1.260 Euro möglich sein. Bei dieser Jahrespauschale (Kürzung um 1/12 für jeden vollen Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen nicht vorliegen) handelt es sich um einen personenbezogenen Betrag, weil er sich am Höchstbetrag der Tagespauschale (ab 2023: Erhöhung von 5 Euro auf 6 Euro) orientiert und Steuerpflichtige mit einem häuslichen Arbeitszimmer nicht schlechter gestellt sein sollen als solche, die nur die Tagespauschale abziehen können. 

Liegt der Mittelpunkt der Betätigung nicht im häuslichen Arbeitszimmer, steht den Steuerpflichtigen aber kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung, sollen sie die Tagespauschale abziehen können. Nach der Gesetzesbegründung muss somit künftig nur noch im „Mittelpunktfall“ der Typusbegriff des häuslichen Arbeitszimmers erfüllt sein. Liegen die Voraussetzungen für den Abzug der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht im gesamten Kalenderjahr vor und wird die Jahrespauschale gekürzt, kann für diesen Kürzungszeitraum die Tagespauschale zu gewähren sein. Die Tagespauschale in Höhe von 6 EUR soll auf einen jährlichen Höchstbetrag von 1.260 Euro gedeckelt werden (also maximal 210 Tage im Jahr). 

Beachten Sie | Der Abzug der Tagespauschale ist neben dem Abzug von Fahrtkosten für die Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte oder regelmäßiger Arbeitsstätte nur zulässig, wenn für die Betätigung dauerhaft kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Ein Abzug ist zulässig, wenn zusätzlich zu einer Auswärtstätigkeit die überwiegende Arbeitszeit in der häuslichen Wohnung verrichtet wird. 

Quelle | Jahressteuergesetz 2022 in der Fassung vom 30.11.2022, BT-Drs. 20/4729; Verabschiedung Bundestag am 2.12.2022

Hilfsbereitschaft: Gerissenes Abschleppseil: Wer gezogen wird, haftet

| Bei einem privaten Abschleppvorgang aus Hilfsbereitschaft riss die Abschleppöse beim gezogenen Fahrzeug ab. Infolge der Spannung schleuderte das Seil nach vorn und beschädigt das ziehende Fahrzeug. Wer muss in einem solchen Fall den Schaden begleichen? Das hat jetzt das Amtsgericht (AG) Regensburg entschieden. | 

Im Rechtsstreit ließ sich auch unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen nicht mehr klären, warum die Abschleppverbindung gerissen ist. Ein Fehler des einen oder des anderen Fahrers hatte weder eine Partei vorgetragen noch nachgewiesen. 

Das AG sah keine Haftungsbeschränkung auf grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz. Die Risiken eines solchen Vorgangs seien viel zu groß, als dass man von einem bloßen Gefälligkeitsverhältnis ausgehen könne. Weil beide Fahrer angaben, der Abschleppvorgang sei normal verlaufen, es sei insbesondere nicht zu heftig angefahren worden, ordnete das Gericht den Schadeneintritt für den Ziehenden als ein unabwendbares Ereignis ein. So blieb nur die Betriebsgefahr des geschleppten Fahrzeugs. Das überraschende Ergebnis: 100 Prozent Haftung zulasten des gezogenen Fahrzeugs. 

Quelle | AG Regensburg, Urteil vom 21.7.2022, 9 C 56/22

Immobiliar-Verbraucherdarlehen: (Kein) Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung

| Ein häufiger Streitpunkt, der die Gerichte beschäftigt, ist die von Banken geforderte Vorfälligkeitsentschädigung. Die Durchsetzung des Anspruchs auf Vorfälligkeitsentschädigung seitens der darlehensgebenden Bank setzt auch beim Immobiliar-Verbraucherdarlehensvertrag nicht voraus, dass die für die genaue Berechnung zugrunde zu legenden Größen bereits im Darlehensvertrag präzise definiert sind. Vielmehr genügt es, die wesentlichen Parameter in groben Zügen zu nennen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken. | 

Der Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung ist nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB) ausgeschlossen, wenn im Vertrag die Angaben über die Laufzeit des Vertrags, das Kündigungsrecht des Darlehensnehmers oder die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung unzureichend sind. Welche Angaben zur Berechnung erforderlich sind, ist allerdings weder gesetzlich noch abschließend in der Rechtsprechung geklärt. 

Das OLG hat daher klargestellt: Einer Differenzierung zwischen „Zinsbindungsfrist“ und „rechtlich geschützter Zinserwartung“ bedarf es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. 

Beachten Sie | Das in diesem Verfahren beklagte Kreditinstitut hatte die finanzmathematischen Rahmenbedingungen zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung skizziert und nach Ansicht des OLG sämtliche wesentlichen Parameter dargestellt, die nach allen ernsthaft vertretenen Ansichten gefordert werden. 

Diese sind:

  • der geschuldete Kreditbetrag und die Restlaufzeit bis zum Ende der Zinsbindung,  
  • die Differenz zwischen Darlehenszinssatz und der erzielten Wiederanlagerendite aus den zurückgeflossenen Darlehensmitteln,  
  • die schadensmindernd zu berücksichtigenden ersparten Verwaltungsaufwendungen und die eingesparte Risikomarge sowie  
  • die Abzinsung des auf dieser Grundlage ermittelten Schadens.

Quelle | OLG Stuttgart, Urteil vom 18.5.2022, 9 U 237/21

BGH-Entscheidung: Zulässigkeit einer negativen Bewertung bei eBay

| Bewertungen im Internet haben eine hohe Relevanz: Ob Kaufabsichten, Reisebuchungen oder Arztbesuche – nahezu alles wird anhand von Erfahrungsberichten und Bewertungen „abgecheckt“. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun über die Frage entschieden, unter welchen Voraussetzungen der Verkäufer, der ein Produkt über die Internetplattform eBay verkauft, einen Anspruch gegen den Käufer auf Entfernung einer abgegebenen negativen Bewertung hat. | 

Das war geschehen

Der Beklagte erwarb von der Klägerin über die Internetplattform eBay vier Gelenkbolzenschellen für 19,26 Euro brutto. Davon entfielen 4,90 Euro auf die dem Beklagten in Rechnung gestellten Versandkosten. Der Verkauf erfolgte auf der Grundlage der zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von eBay, denen die Parteien vor dem Geschäft zugestimmt hatten. Dort heißt es auszugsweise unter „§ 8 Bewertungen“, dass der Nutzer verpflichtet ist, in den abgegebenen Bewertungen ausschließlich wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Die von Nutzern abgegebenen Bewertungen müssen sachlich gehalten sein und dürfen keine Schmähkritik enthalten. Nach Erhalt der Ware bewertete der Beklagte das Geschäft in dem von eBay zur Verfügung gestellten Bewertungsprofil der Klägerin mit dem Eintrag „Ware gut,Versandkosten Wucher!!“. 

Bundesgerichtshof: Bewertung muss nicht entfernt werden

Der BGH hat nun entschieden, dass der Klägerin ein Anspruch auf Entfernung der Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ nicht zusteht, auch nicht unter dem vom Berufungsgericht herangezogenen Gesichtspunkt einer (nach-)vertraglichen Nebenpflichtverletzung. Anders, als das Berufungsgericht es gesehen hat, enthält der o. g. § 8 der eBay-AGB über die bei Werturteilen ohnehin allgemein geltende (deliktsrechtliche) Grenze der Schmähkritik hinaus keine strengeren vertraglichen Beschränkungen für die Zulässigkeit von Werturteilen in Bewertungskommentaren. 

Klausel ist nicht eindeutig: Was bedeutet „sachlich“?

Zwar ist der Wortlaut der Klausel nicht eindeutig. Für das Verständnis, dem dort enthaltenen Sachlichkeitsgebot solle gegenüber dem Verbot der Schmähkritik ein eigenständiges Gewicht nicht zukommen, spricht aber bereits der Umstand, dass hier genaue Definitionen zu dem unbestimmten Rechtsbegriff „sachlich“ in den AGB fehlen. Es liegt in diesem Fall im wohlverstandenen Interesse aller Beteiligten, die Zulässigkeit von grundrechtsrelevanten Bewertungen eines getätigten Geschäfts an den gefestigten Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Schmähkritik auszurichten und hierdurch die Anforderungen an die Zulässigkeit von Bewertungskommentaren für die Nutzer und eBay selbst möglichst greifbar und verlässlich zu konturieren. 

Zudem hätte es der gesonderten Erwähnung der Schmähkritikgrenze nicht bedurft, wenn dem Nutzer schon durch die Vorgabe, Bewertungen sachlich zu halten, eine deutlich schärfere Einschränkung hätte auferlegt werden sollen. Außerdem würde man der grundrechtlich verbürgten Meinungsfreiheit des Bewertenden von vornherein ein geringeres Gewicht beimessen als den Grundrechten des Verkäufers, wenn man eine Meinungsäußerung eines Käufers regelmäßig bereits dann als unzulässig einstufe, wenn sie herabsetzend formuliert ist und/oder nicht (vollständig oder überwiegend) auf sachlichen Erwägungen beruht. Eine solche, die grundrechtlichen Wertungen nicht hinreichend berücksichtigende Auslegung entspricht nicht dem an den Interessen der typischerweise beteiligten Verkehrskreise ausgerichteten Verständnis redlicher und verständiger Vertragsparteien. 

Grenze zur Schmähkritik war nicht überschritten

Die Grenze zur Schmähkritik ist durch die Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ nicht überschritten. Wegen seiner das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Wirkung ist der Begriff der Schmähkritik nach der Rechtsprechung des BGH eng auszulegen. Auch eine überzogene, ungerechte oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht, der jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll. 

Kritik in scharfer Form, aber keine Diffamierung

Daran fehlt es hier. Bei der Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ steht eine Diffamierung der Klägerin nicht im Vordergrund. Denn der Beklagte setzt sich – wenn auch in scharfer und möglicherweise überzogener Form – kritisch mit einem Teilbereich der gewerblichen Leistung der Klägerin auseinander, indem er die Höhe der Versandkosten beanstandet. Die Zulässigkeit eines Werturteils hängt nicht davon ab, ob es mit einer Begründung versehen ist. 

Quelle | BGH, Urteil vom 28.9.2022, VIII ZR 319/20, PM 141/22

Fluggastrechte: Trotz Insolvenz Beförderung aus Kulanz: Keine Ansprüche mehr

| Nach einer Insolvenz kulanzweise durchgeführte Beförderungen von Passagieren, die ihre Tickets vor der Insolvenz bezahlt haben, sind als „kostenlos“ im Sinne der EU-Fluggastrechte-VO zu werten. Fluggäste, die kostenlos reisen, haben keine Ansprüche nach der EU-Fluggastrechte-VO. Der bezahlte Flugpreis steht der Wertung als kostenlos nicht entgegen; er wandelt sich nach Insolvenzeröffnung in eine Insolvenzforderung. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat jetzt die landgerichtliche Entscheidung im Ergebnis bestätigt und Ausgleichsansprüche des Klägers abgelehnt. | 

Das war geschehen

Der Kläger buchte bei der Beklagten im April 2019 eine Flugreise von Frankfurt auf die Seychellen. Der Hinflug sollte am 3.1.2020 und der Rückflug am 4.4.2020 erfolgen. Im Dezember 2019 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet. Die Beklagte entschloss sich, aus Kulanz und, um ihren guten Ruf zu wahren, Passagiere mit vor der Insolvenzantragstellung bezahlten Tickets dennoch zu befördern. Der Hinflug wurde aufgrund eines technischen Defekts am Flugzeug um einen Tag verspätet durchgeführt. Den Rückflug buchte die Beklagte wegen der Corona-Pandemie mehrfach um. Vor dem letztlich für den 8.10.2020 in Aussicht gestellten Rückflug der Beklagten organisierte sich der Kläger am 1.8.2020 eine alternative Beförderung. Er begehrte nun Erstattung der Hotelkosten in Höhe von 4.000 Euro für die Zeit vom 4.4. bis 1.8.2020, hälftige Erstattung des Rückflugs und Entschädigung wegen des verzögerten Hinflugs. Das Landgericht (LG) hatte die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. 

Beförderungsanspruch wurde zu Insolvenzforderung

Der Kläger könne keinen Entschädigungsanspruch hinsichtlich des verzögerten Hinflugs und des mehrfach verschobenen Rückflugs nach der EU-Fluggastverordnung geltend machen. Wegen der Insolvenz der Beklagten sei der ursprüngliche Beförderungsanspruch zu einer Insolvenzforderung geworden; es habe nach der Insolvenzeröffnung daher kein durchsetzbarer Anspruch mehr auf Durchführung des Flugs bestanden. Die aus Kulanz gewährte Beförderung sei damit als „kostenlos“ im Sinne der Fluggastrechte-VO einzustufen. Fluggäste, die kostenlos reisten, seien von der Verordnung ausgenommen. Sie könnten keine Ausgleichsansprüche geltend machen. Ausgleichsansprüche, die keinen Vermögensschaden voraussetzten, sondern dem Ausgleich von „Ärgernissen und Unannehmlichkeiten“ dienten, bestünden nur im Fall der Entgeltlichkeit. 

BGH muss entscheiden

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entschiedenen Rechtsfrage hat das OLG die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 20.7.2022, 13 U 280/21, PM 71/22

Ortsübliche Vergleichsmiete: Keine separate Dusche, aber dennoch Duschmöglichkeit

| Das Fehlen einer separaten Dusche kann nicht mit einer fehlenden Duschmöglichkeit gleichgesetzt werden. So hat es das Amtsgericht (AG) Berlin-Mitte entschieden. | 

Es gab Streit um eine Mieterhöhung auf die ortsübliche Vergleichsmiete auf der Grundlage des Berliner Mietspiegels 2019. Im Badezimmer der Wohnung gab es eine Badewanne, in der eine Haltestange und ein Brausekopf montiert waren. Der Mieter behauptete, das Badezimmer verfüge über keine Duschmöglichkeit und widersprach der Mieterhöhung. Der Vermieter erhob Klage. 

Das AG gab ihm Recht. Durch das Fehlen einer separaten Dusche ist das wohnwertmindernde Merkmal „keine Duschmöglichkeit“ nicht erfüllt. Der Mieter mache zwar geltend, ohne Duschwand oder eine sonstige vergleichbare Ausstattung nur die Möglichkeit zu haben, im Sitzen zu duschen. Allerdings könne das Duschen in der Badewanne, auch wenn im Sitzen, nicht mit dem Fehlen einer Duschmöglichkeit gleichgesetzt werden. Denn die Badewanne sei mit einer Haltestange und einem Brausekopf ausgestattet. Das Duschen sei in dieser Form möglich. 

Quelle | AG Berlin-Mitte, Urteil vom 10.2.2022, 21 C 280/20

Testament: Hypothetischer Wille eines dementen Erblassers zugunsten eines früheren Lebenspartners

| Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg hat die Frage entschieden, ob der in einem Testament manifestierte Wille des Erblassers auch für den Fall gelten sollte, dass sich sein Lebensgefährte noch während seiner Demenzerkrankung einem anderen Lebenspartner zuwendet. | 

Der Antragsteller ist der ehemalige Lebensgefährte des Erblassers. Aus dessen mittlerweile geschiedenen früheren Ehe ist eine Tochter hervorgegangen. Der Erblasser hat den Antragsteller und seine Tochter mit Testament vom 5.6.2005 zu Erben eingesetzt. Am 17.10.2016 wurde der Erblasser aufgrund weit fortgeschrittener Demenz in eine Klinik eingeliefert und ab dem 15.11.2016 stationär in einer Pflegeeinrichtung betreut. Am 15.8.2020 heiratete der Antragsteller einen neuen Lebenspartner. Im Jahr 2021 verstarb der Erblasser. 

Die Tochter hat die am 5.6.2005 errichtete letztwillige Verfügung des Erblassers aufgrund eines Motivirrtums angefochten, soweit dort der Antragsteller zum Erben bestimmt ist. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass der Erblasser bei Kenntnis der Tatsache, dass der Antragsteller sich einem neuen Lebensgefährten zuwendet und diesen auch heiratet, sein Testament geändert hätte. Das Amtsgericht (AG) hingegen hat mit angefochtenem Beschluss die für die Erteilung des beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen zugunsten des Antragstellers als festgestellt angesehen. Dem ist das OLG gefolgt. 

Eine Verfügung von Todes wegen, durch die der Erblasser (u. a.) seinen Lebenspartner bedacht hat, sei zwar unwirksam, wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht. Eine Ausnahme gelte aber, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser die Verfügung auch für einen solchen Fall getroffen hätte. Dabei kommt es auf den hypothetischen Willen des Erblassers zur Zeit der Errichtung der Verfügung von Todes wegen an. Nach ausführlicher Würdigung der besonderen Umstände kam das OLG zu dem Schluss, dass vorliegend von einer derartigen Ausnahme auszugehen und die Verfügung noch wirksam sei. 

Quelle | OLG Oldenburg, Beschluss vom 26.9.2022, 3 W 55/22

Nichterfüllung vertraglicher Pflichten: Bau einer Moschee zu langsam: Stadt erhält Grundstück

| Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat einen beklagten muslimischen Verein für Kultur, Bildung und Integration u. a. zur Rückübertragung des Erbbaurechts eines mit einer Moschee bebauten Grundstücks verpflichtet und dessen Begehren auf Übertragung des Eigentums an diesem Grundstück abgewiesen. | 

Das war geschehen

Die Stadt Leinfelden-Echterdingen und der Verein hatten 2014 einen Erbbaurechtsvertrag geschlossen, nach dem die Stadt als Grundstückseigentümerin u. a. eine Rückübertragung des Erbbaurechts bei einer Nichterfüllung vertraglicher Pflichten verlangen kann. Über dieses sog. Heimfallrecht sowie die Ausübung eines Wiederkaufsrechts durch die Stadt streiten die Parteien, nachdem der beklagte Verein als Bauherr seinen vertraglichen Pflichten nicht nachgekommen ist: Der Verein hatte in einem 1. Bauabschnitt die Moschee und ein Kulturhaus nicht fristgerecht bis zum 31.10.2018 – und auch noch nicht bis zum Sommer 2022 – fertiggestellt. Dennoch hatte der Beklagte den vereinbarten Kaufpreis für das Moscheegrundstück in Höhe von über 800.00 Euro bereits 2018 an die Stadt bezahlt. Er wurde aber noch nicht als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Die Stadt übte daraufhin ihr Wiederkaufsrecht aus und beanspruchte auch den Heimfall des Erbbaurechts. 

Landgericht gab der Stadt Recht

In erster Instanz verurteilte das Landgericht (LG) Stuttgart den beklagten Verein auf Übertragung des Erbbaurechts und wies demgegenüber den Anspruch des Vereins auf Übertragung des Eigentums an dem Moscheegrundstück zurück. 

Beide Parteien: Berufung eingelegt

Mit ihren jeweiligen Berufungen machten die Parteien weitergehende Ansprüche geltend. Die Stadt beansprucht Erbbauzinszahlungen sowie einen Nachweis der Versicherung des Moscheebauwerks. Der Verein will nach wie vor die Auflassung und das Eigentum an dem Grundstück, da die Klägerin ihr Wiederkaufsrecht rechtswidrig ausgeübt habe. Dadurch sei der Kulturverein in seinen Grundrechten auf Religionsfreiheit und seinem Eigentum am Gebäude verletzt. 

Nach dem Scheitern der Vergleichsverhandlungen der Parteien hat das OLG die erstinstanzliche Entscheidung zugunsten der Stadt bestätigt und ihr Ansprüche aus dem Erbbaurechtsvertrag zugesprochen. Der Verein muss die Rückübertragung des Erbbaurechts erklären, das Moscheebauwerk bis dahin entsprechend versichern und Erbbauzinsen von über 110.000 Euro nachzahlen. Der Kaufvertrag wird rückabgewickelt und die Stadt bleibt Eigentümerin des Grundstücks. 

Oberlandesgericht: Verein hätte fristgerecht bauen müssen

Das OLG begründet dies damit, dass der Verein seiner vertraglich bindenden Zusage, die Moschee fristgerecht herzustellen, schuldhaft nicht nachgekommen sei. Durch die Kaufpreiszahlung des Vereins seien seine Verpflichtungen – wie z. B. auf Versicherungsschutz des Bauwerks – aus dem dinglichen Erbbaurechtsvertrag nicht fortgefallen, sondern wirkten fort. 

Bei dem Heimfallrecht und dem Wiederkaufsrecht handle es sich um verschiedene Rechte, die die Stadt beide – mit unterschiedlichen Folgen – ausgeübt habe. Insbesondere sei die Vereinbarung über das Wiederkaufsrecht, wenn der Verein nicht rechtzeitig den 1. Bauabschnitt fertigstelle, wirksam. Der Verein habe keinen Anspruch, genau auf dem streitgegenständlichen Grundstück seinen Mitgliedern die Religionsausübung zu ermöglichen. Vielmehr habe er die Bedingungen des Erbbaurechtsvertrags nicht eingehalten und dadurch das Heimfallrecht ausgelöst. Zugleich sei das vorgesehene Wiederkaufsrecht auch nicht unwirksam und entspreche einer angemessenen Vertragsgestaltung, da der Beklagte in diesem Fall einen wirtschaftlichen Ausgleich seiner Verwendungen erhalte. 

Weitere Gerichte müssen entscheiden

Allerdings könne der Verein erst in weiterem Rechtsstreit eine angemessene Entschädigung für die Erhöhung des Grundstückswerts durch seine Aufwendungen geltend machen, um dann an anderer Stelle eine Gebetsmöglichkeit für seine Mitglieder zu schaffen. Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) gegen dieses Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. 

Quelle | OLG Stuttgart, Urteil vom 13.9.2022, 10 U 278/21

Nachbarschaftsstreit: Überschwenken eines Baukrans

| Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat entschieden: Ein durch einen über sein Grundstück schwenkenden Kranarm beeinträchtigter Nachbar hat einen Unterlassungsanspruch. | 

Das war geschehen

Die Eigentümer zweier benachbarter Grundstücke gerieten über den Abbruch und die Neubebauung in Streit. Nach Erhalt der Baugenehmigung für zwei Doppelhäuser und vier Garagen haben die Beklagten Ende 2021 einen 18 Meter hohen Turmdrehkran mit ca. 28 Meter langem Ausleger auf der Grundstücksgrenze aufgestellt. Der Ausleger überschwenkte ohne Vorankündigung mehrfach und für längere Zeit im Frühjahr 2022 – mit und ohne Last – den Luftraum über dem klägerischen Grundstück. In einem Fall blieb der Kran mit schweren Betonfertigteilen an der Oberleitung hängen, die auch das klägerische Grundstück mit Strom versorgte. Dadurch wurde u. a. das Dachgeschoss des Hauses des Klägers erschüttert. 

Landgericht: Überschwenken erlaubt, aber ohne Lasten

Der Kläger beantragte daher, es unverzüglich zu unterlassen, sein Grundstück mit dem Kran zu überschwenken. Das Landgericht (LG) bejahte diesen Anspruch, jedoch nur im Fall eines Überschwenkens mit Lasten. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, der seinen Antrag auf Unterlassung auch eines lastenfreien Schwenkens des Kranarms beim OLG weiterverfolgte. 

Oberlandesgericht: Überschwenken in jedem Fall untersagt

Das OLG sah die Berufung als begründet an und untersagte das Schwenken des Baukrans über dem Grundstück des Klägers bei Ordnungsgeld-Androhung für jeden Fall der Zuwiderhandlung. 

Die Beklagten hätten das im Nachbarrechtsgesetz Baden-Württemberg (NRG BW) auch für das Einschwenken eines Baukrans in den nachbarlichen Luftraum vorgesehene Verfahren nicht eingehalten. Daher könnten sich die Bauherren nicht auf das sog. Hammerschlags- und Leiterrecht (nach § 7 d NRG BW) und eine entsprechende Duldungspflicht des Klägers berufen. Nach den gesetzlichen Vorgaben hätten die Bauherren das Benutzen des Nachbargrundstücks durch Überschwenken des Krans – mit oder ohne Lasten – zwei Wochen vor der Benutzung anzeigen müssen, was unstreitig nicht erfolgt war. Hätte der Kläger dem Überschwenken dann nicht zugestimmt, hätten die Beklagten erst Duldungsklage erheben müssen und auch dann nicht ihr vermeintliches Recht im Wege der Selbsthilfe durchsetzen können. 

Diese Entscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren ist rechtskräftig. Allerdings können die Beklagten noch in einem Hauptsacheverfahren gerichtlich klären lassen, ob ihnen ein Duldungsanspruch auf Überschwenken des Krans gegen den Kläger zusteht. 

Quelle | OLG Stuttgart, Urteil vom 31.8.2022, 4 U 74/22, PM vom 8.9.2022

Youtube-Video: Meinungsfreiheit überstrapaziert: Lehrer erhält fristlose Kündigung

| Das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin hat die fristlose Kündigung eines Lehrers des Landes Berlin als wirksam erachtet, der auf YouTube ein Video veröffentlicht hat, das eine Darstellung des Tores eines Konzentrationslagers mit der Inschrift „IMPFUNG MACHT FREI“ enthielt. | 

Das war geschehen

Der Lehrer hat ein YouTube-Video unter dem Titel „Sie machen Tempo! Und Ich denke…“ veröffentlicht. Am Anfang des Videos wird für etwa drei Sekunden ein Bild eingeblendet, auf dem das Tor eines Konzentrationslagers abgebildet ist. Der Originalschriftzug des Tores „ARBEIT MACHT FREI“ wurde durch den Text „IMPFUNG MACHT FREI“ ersetzt. Es folgt dann eine ebenfalls etwa drei Sekunden lange Einblendung eines Tweets des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder, der eine Ausweitung der Impfangebote ankündigt und in dem er die Aussage „Impfen ist der Weg zur Freiheit“ trifft. Die Einblendungen zu Beginn des Videos werden weder durch Text noch durch mündliche Erklärungen näher erläutert. Abrufbar war das Video unter einem Standbild der ersten Einblendung des Videos. 

Das Land Berlin hat den Lehrer u. a. wegen der Veröffentlichung dieses Videos fristlos, hilfsweise fristgemäß gekündigt. Der Lehrer setze in dem Video das staatliche Werben um eine Impfbereitschaft in der Pandemie mit der Unrechtsherrschaft und dem System der Konzentrationslager gleich. Damit verharmlose er die Unrechtstaten der Nationalsozialisten und missachte die Opfer. Der Lehrer habe seine Schüler aufgefordert, seinen außerdienstlichen Aktivitäten im Internet zu folgen und sich in anderen Videos auch als Lehrer des Landes Berlin vorgestellt. 

Der Lehrer sieht in dem Video hingegen keinen Grund für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Er habe mit dem privaten Video ausschließlich scharfe Kritik an der Äußerung des bayrischen Ministerpräsidenten üben und deutlich machen wollen, dass diese der menschen- und rechtsverachtenden Polemik des Nationalsozialismus nahe komme. Das Video sei durch das Grundrecht auf Meinungsäußerung und Kunstfreiheit gedeckt. 

So sah es das Arbeitsgericht

Das ArbG hat die Kündigungsschutzklage des Lehrers abgewiesen. Eine Auslegung des Inhalts des Videos ergebe nicht nur eine Kritik an der Äußerung des bayrischen Ministerpräsidenten, sondern auch an der allgemeinen, auch vom Land Berlin und der Schulsenatorin getragenen Impfpolitik. Dabei überschreite der Lehrer durch den Vergleich des Bildes mit dem Text „IMPFUNG MACHT FREI“ mit der Impfpolitik das Maß der zulässigen Kritik. Die Kritik des Lehrers sei nicht mehr durch die Grundrechte der Meinungsfreiheit oder Kunstfreiheit gedeckt, sondern stelle eine unzulässige Verharmlosung des Holocausts dar. Eine Weiterbeschäftigung des Lehrers sei aus diesem Grund unzumutbar. 

Quelle | ArbG Berlin, Urteil vom 12.9.2022, 22 Ca 223/22

BFH-Entscheidung: Fahrzeugwerbung: Entgelt ist oft Arbeitslohn

| Nach Meinung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist ein von einem Arbeitgeber an seine Arbeitnehmer gezahltes Entgelt für Werbung des Arbeitgebers auf dem Kennzeichenhalter des privaten Pkw des Arbeitnehmers Arbeitslohn, wenn dem abgeschlossenen „Werbemietvertrag“ kein eigenständiger wirtschaftlicher Gehalt zukommt. | 

Nicht jede Zahlung eines Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer stellt Arbeitslohn dar. Vielmehr kann ein Arbeitgeber mit seinem Arbeitnehmer neben dem Arbeitsvertrag weitere eigenständige Verträge abschließen. Kommt einem gesondert abgeschlossenen Vertrag allerdings kein eigenständiger wirtschaftlicher Gehalt zu, kann es sich insoweit um eine weitere Arbeitslohnzahlung handeln. 

Ein Arbeitgeber hatte mit einem Teil seiner Arbeitnehmer „Werbemietverträge“ geschlossen. Danach verpflichteten sich diese, mit Werbung des Arbeitgebers versehene Kennzeichenhalter an ihren privaten Pkw anzubringen. Dafür erhielten sie jährlich 255 Euro. Der Arbeitgeber behandelte das „Werbeentgelt“ als sonstige Einkünfte gemäß Einkommensteuergesetz (§ 22 Nr. 3 EStG) und behielt daher keine Lohnsteuer ein. Dies war auch für die Arbeitnehmer vorteilhaft, da solche Einkünfte unterhalb eines Betrags von 256 Euro jährlich steuerfrei sind. Das Finanzamt ging aber von einer Lohnzahlung aus und nahm den Arbeitgeber für nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer in Haftung – und zwar zu Recht, wie das FG Münster und der BFH entschieden. Die Zahlungen gehören zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, weil sie durch das Arbeitsverhältnis veranlasst sind und nicht auf einem Sonderrechtsverhältnis „Mietvertrag Werbefläche“ beruhen, da diesem kein eigener wirtschaftlicher Gehalt zukommt. 

Der BFH erachtete insbesondere die folgenden Würdigungen der Vorinstanz nicht nur als möglich, sondern als naheliegend: Dem gesondert abgeschlossenen „Mietvertrag Werbefläche“ kam unter Berücksichtigung der am Markt befindlichen Angebote schon aufgrund seiner Ausgestaltung kein eigener wirtschaftlicher Gehalt zu. Denn die Erzielung einer Werbewirkung war nicht sichergestellt und die Bemessung des Entgelts war offensichtlich an der im Einkommensteuergesetz geregelten Freigrenze orientiert. Der Werbeeffekt war nicht – wie im wirtschaftlichen Geschäftsverkehr üblich – ausschlaggebendes Kriterium für die Bemessung des Entgelts gewesen. Das FG berücksichtigte, dass Verträge ausschließlich mit Mitarbeitern geschlossen wurden und die Laufzeit der Verträge an das Bestehen des Arbeitsverhältnisses geknüpft war. 

Quelle | BFH, Beschluss vom 21.6.2022, VI R 20/20

Kündigungsschutzklage: Private Nutzung eines Firmenwagens: Keine Kündigung ohne Abmahnung

| Vor Ausspruch einer Kündigung ist es oft erforderlich, zunächst eine Abmahnung auszusprechen. Diese geht – in vielen Fällen – der Kündigung als mildestes Mittel vor. Hierauf hat aktuell noch einmal das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern hingewiesen. | 

Der Arbeitgeber hatte in der Vergangenheit die kurzzeitige Nutzung von Firmenfahrzeugen zu privaten Zwecken nach Rücksprache mit dem Vorgesetzten gestattet. Ein Arbeitnehmer hatte dann das Fahrzeug ohne Erlaubnis genutzt, da er in diesem Moment nicht die Möglichkeit hatte, Kontakt zu seinem Vorgesetzten aufzunehmen. 

Der Arbeitgeber hatte das zum Anlass genommen, dem Arbeitnehmer zu kündigen. Dessen Kündigungsschutzklage hatte vor dem LAG Erfolg. Es machte deutlich, dass die Pflichtverletzung hier nicht so groß sei, dass sie eine umgehende Kündigung rechtfertigen würde. Es sei in diesem Fall vielmehr erforderlich gewesen, vor Ausspruch der Kündigung die Pflichtverletzung abzumahnen. 

Quelle | LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 21.6.2022, 5 Sa 245/21

Vorerkrankungen: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt nicht immer für die Entgeltfortzahlung

| Ist der Arbeitnehmer länger als sechs Wochen arbeitsunfähig, reicht die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) nicht aus, um automatisch eine Entgeltfortzahlung zu bekommen. Es darf keine Fortsetzungserkrankung vorliegen, was der Arbeitnehmer beweisen muss. Das entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen. | 

Das war geschehen

Der Kläger war in den Kalenderjahren 2019 und 2020 im erheblichen Umfang arbeitsunfähig erkrankt. Im Zeitraum August bis Dezember 2019 war er an 68 Kalendertagen und im Zeitraum Januar bis August 2020 an 42 Kalendertagen erkrankt. Am 18. August 2020 legte der Kläger eine weitere Erstbescheinigung vor und verlangte eine entsprechende Entgeltfortzahlung. Der beklagte Arbeitgeber hatte jedoch Zweifel, dass eine neue Erkrankung vorlag und verweigerte daher die Entgeltfortzahlung. Dagegen wandte der Kläger ein, er habe für den streitgegenständlichen Zeitraum Erstbescheinigungen vorgelegt, woraus zu ersehen sei, dass Vorerkrankungen nicht vorgelegen hätten. Aus Datenschutzgründen sei er zudem nicht verpflichtet, sämtliche Diagnosen offenzulegen. 

Entgeltfortzahlung nur bei „neuer“ Erkrankung

Das Gericht wies die Klage ab und begründete seine Entscheidung damit, dass die AU keine Angaben zum Bestehen einer Fortsetzungserkrankung enthält. Hintergrund ist, dass die Entgeltfortzahlung entfällt, wenn die Krankheit länger als sechs Wochen andauert. Der Arbeitnehmer hat dagegen weiterhin Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn die erneute Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Erkrankung beruht. 

Aus der Entscheidung folgen diese Grundsätze für die Praxis: Zunächst muss der Arbeitnehmer darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Hierzu kann er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen. 

Arbeitnehmer muss beweisen

Bestreitet der Arbeitgeber das Vorliegen einer neuen Krankheit, muss der Arbeitnehmer die Tatsachen darlegen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung vorgelegen. Um dieser abgestuften Darlegungslast gerecht zu werden, muss der Arbeitnehmer grundsätzlich zu allen Krankheiten im Jahreszeitraum substanziiert vortragen. Er kann nicht eine „Vorauswahl“ treffen und nur zu denjenigen Erkrankungen vortragen, die ihm als möglicherweise einschlägig erscheinen. 

Datenschutz: Gesundheitsdaten dürfen unter bestimmten Voraussetzungen verarbeitet werden

Diese Pflicht berührt zwar das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Arbeitnehmers. Sie ist aber nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) gerechtfertigt. Dort wird die Verarbeitung von Gesundheitsdaten gestattet, wenn sie zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder bei Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit erforderlich ist. 

Quelle | LAG Hessen, Urteil vom 14.2.2022, 10 Sa 898/21

Umsatzsteuer: Betrieb von Geldspielautomaten: Umsatzsteuerpflicht auch nach dem 1.7.2021

| Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten sind auch nach der zum 1.7.2021 in Kraft getretenen Gesetzesänderung für virtuelle Automatenspiele umsatzsteuerpflichtig. So lautet ein Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH). | 

Der BFH hatte bereits mehrfach entschieden, dass Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten umsatzsteuerpflichtig sind. Bis zum 30.6.2021 galt dies unabhängig davon, ob es sich um Umsätze in Spielhallen oder Online-Umsätze (sog. virtuelle Automatenspiele) handelte. 

Zum 1.7.2021 hat der Gesetzgeber die gesetzlichen Grundlagen geändert:

  • Virtuelle Automatenspiele unterliegen seither der Rennwett- und Lotteriesteuer. Sie sind deshalb nach dem Umsatzsteuergesetz (§ 4 Nr. 9 Buchst. b UStG) umsatzsteuerfrei.
    ‍
  • Umsätze in Spielhallen sind hingegen weiterhin umsatzsteuerpflichtig. Für sie fällt demgegenüber auch keine Rennwett- und Lotteriesteuer an.

Hintergrund der Änderung war u. a., dass Online-Angebote hinsichtlich ihrer Spielsucht auslösenden Aspekte anders einzustufen seien als die terrestrischen Angebote (z. B. in Spielhallen). 

Mit seinem Beschluss hat der BFH nun klargestellt, dass diese Ungleichbehandlung zulässig ist. Umsätze in Spielhallen und Online-Umsätze sind aus mehreren Gründen (unterschiedliche Ausschüttungsquoten, unterschiedliche Verfügbarkeit, potenziell größerer Kundenkreis online, unterschiedliche Spielsuchtrisiken) nicht vergleichbar.  

Beachten Sie | Anders als terrestrische Umsätze werden auf elektronischem Weg erbrachte Dienstleistungen aufgrund einer Mehrwertsteuer-Sonderregelung zwingend am Ortdes Leistungsempfängers besteuert. Die Europäische Union hat diese Sonderregelung eingeführt, um sicherzustellen, dass eine Besteuerung solcher Dienstleistungen in der EU erfolgt, wenn sie in der EU verbraucht werden. Dies rechtfertigt, so der BFH, die unterschiedliche Besteuerung von terrestrischen Umsätzen und Online-Umsätzen.  

Quelle | BFH, Beschluss vom 26.9.2022, XI B 9/22 (AdV)

Steuererleichterungen: Umsatzsteuerentlastung für die Gastronomie bis Ende 2023 verlängert

| Die Absenkung der Umsatzsteuer für Speisen in der Gastronomie von 19 % auf 7 % wurde bis zum 31.12.2023 verlängert. Ausgenommen sind allerdings weiterhin Getränke, das heißt, hier gilt der reguläre Umsatzsteuersatz von 19 %. | 

Beachten Sie | Eigentlich wäre die in der Corona-Pandemie eingeführte Stützungsmaßnahme für die Gastronomie zum 31.12.2022 ausgelaufen. Nun sollen auch die Folgen der gestiegenen Energiepreise abgemildert werden. 

Quelle | Achtes Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen vom 24.10.2022, BGBl I 2022, S. 1838

Selbstständige Künstler und Publizisten: Künstlersozialabgabe steigt in 2023 auf 5,0 %

| Der Abgabesatz zur Künstlersozialversicherung wurde um 0,8 % angehoben. Somit liegt er im Jahr 2023 bei 5 %. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat zu der Anpassung Stellung genommen. | 

Der Künstlersozialabgabesatz lag seit 2018 bei 4,2 %. Dies wurde durch zusätzliche Bundesmittel in Höhe von insgesamt 117 Mio. Euro in den Jahren 2021 und 2022 gewährleistet. Wegen der großen wirtschaftlichen Schäden in der Kunst- und Kulturwirtschaft infolge der Corona-Pandemie hätte der Abgabesatz für 2023 eigentlich auf 5,9 % angehoben werden müssen. Durch weitere Bundesmittel (in Höhe von rund 58,9 Mio. Euro) wurde der Anstieg des Abgabesatzes im Jahr 2023 auf 5,0 % begrenzt. 

Über die Künstlersozialversicherung werden über 190.000 selbstständige Künstler und Publizisten als Pflichtversicherte in den Schutz der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung einbezogen. 

Die Künstler und Publizisten tragen, wie abhängig beschäftigte Arbeitnehmer, die Hälfte ihrer Sozialversicherungsbeiträge. Die andere Beitragshälfte wird finanziert durch einen Bundeszuschuss (20 %) und durch die Künstlersozialabgabe der Unternehmen (30 %), die künstlerische und publizistische Leistungen verwerten. 

Quelle | Künstlersozialabgabe-Verordnung 2023, BGBl I 2022, S. 1508; BMAS, „Künstlersozialabgabe künftig bei 5,0 Prozent“, Mitteilung vom 11.8.2022

Strafbare Handlungen: Nutzung einer Großmarkthalle darf widerrufen werden

| Ein Widerruf der Zuweisung von Büroflächen sowie Lkw-Stellplätzen einer Großmarkthalle, die von einer Kommune als öffentliche Einrichtung betrieben wird, wegen begangener Steuerstraftaten, kann rechtmäßig sein. Dies entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH). | 

Der Widerruf müsse die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in den Markthallen bezwecken. Je nach den Umständen des Einzelfalls sei dies auch der Fall, wenn der Zuwendungsnehmer strafbare Handlungen außerhalb der Markthallen und nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem dort ausgeübten Gewerbe begangen habe. Durch die hier verwirklichten Hinterziehungstaten sei die „öffentliche Sicherheit und Ordnung“ auf dem Lebensmittelmarkt erheblich beeinträchtigt worden. Der Widerruf wegen strafbarer Handlungen in einem schwerwiegenden Fall sei rechtmäßig. 

Quelle | Bayerischer VGH, Urteil vom 30.5.2022, 4 ZB 21.2660

Solo-Selbstständige: Corona-Soforthilfen nicht zurückzuzahlen

| Die Bescheide, mit denen die Bezirksregierung Düsseldorf geleistete Corona-Soforthilfen von den Empfängern teilweise zurückgefordert hat, sind rechtswidrig. Den gegen diese Schlussbescheide gerichteten Klagen dreier Zuwendungsempfänger gegen das Land Nordrhein-Westfalen hat das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf jetzt stattgegeben. | 

Als im Frühjahr 2020 kleine Unternehmen und Selbstständige durch verschiedene infektionsschutzrechtliche Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie in wirtschaftliche Notlagen gerieten, schufen Bund und Länder Programme, um kurzfristig Finanzhilfen bereitzustellen. 

Das war geschehen

Solche Soforthilfen erhielten auch die Kläger der heute entschiedenen Verfahren. Der Betreiber eines Düsseldorfer Schnellrestaurants musste ebenso wie die Betreiberin eines Kosmetikstudios aus Remscheid während des Lockdowns im Frühjahr 2020 zeitweise den Betrieb schließen. Ein Steuerberater aus Düsseldorf, der einen Großteil seiner Umsätze durch die Aus-und Fortbildung von Steuerberatern erwirtschaftet, erlitt durch den Wegfall von Präsenzvorträgen Umsatzeinbußen. Nachdem die drei Kläger zunächst aufgrund von Ende März bzw. Anfang April 2020 erlassenen Bewilligungsbescheiden der zuständigen Bezirksregierung Düsseldorf Soforthilfen in Höhe von jeweils 9.000,- Euro erhalten hatten, setzte die Behörde im Rahmen sog. Rückmeldeverfahren später die Höhe der Soforthilfe auf ca. 2.000 Euro fest und forderte etwa 7.000 Euro zurück. 

Auf die Förderpraxis während des Antragsverfahrens kommt es an

Diese Schlussbescheide sind rechtswidrig. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt: Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Schlussbescheide kam es auf die Förderpraxis des Landes während des Antragsverfahrens bis zum Erlass der Bewilligungsbescheide an. Die in den Bewilligungsbescheiden zum Ausdruck gekommene Verwaltungspraxis des Landes stimmte mit den in den Schlussbescheiden getroffenen Festsetzungen nicht überein. Während des Bewilligungsverfahrens durften die Hilfeempfänger aufgrund von Formulierungen in online vom Land bereitgestellten Hinweisen, den Antragsvordrucken und den Zuwendungsbescheiden eher davon ausgehen, dass pandemiebedingte Umsatzausfälle für den Erhalt und das Behaltendürfen der Geldleistungen ausschlaggebend sein sollten. 

Schlussbescheid: Rückforderung basierte auf abweichender Förderpraxis

Demgegenüber stellte das Land bei Erlass der Schlussbescheide auf das Vorliegen eines Liquiditätsengpasses ab, der eine Differenz zwischen den Einnahmen und Ausgaben des Geschäftsbetriebs, also einen Verlust, voraussetzte. Dies ist rechtsfehlerhaft, weil diese Handhabung von der maßgeblichen Förderpraxis abwich. Mit Blick darauf konnte auch die Richtlinie des damaligen Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes NRW vom 31.5.2020, die erstmals eine Definition des Begriffs des Liquiditätsengpasses enthielt, trotz ihres rückwirkenden Inkrafttretens bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Schlussbescheide nicht berücksichtigt werden. 

Missverständliche Formulierung im Bewilligungsbescheid

Abgesehen davon waren die ursprünglichen Bewilligungsbescheide hinsichtlich einer etwaigen Rückerstattungsverpflichtung auch missverständlich formuliert. Insbesondere konnten die Zuwendungsempfänger dem Inhalt der Bescheide nicht verlässlich entnehmen, nach welchen Parametern eine Rückzahlung zu berechnen sei. 

500 weitere Klagen

Beim VG Düsseldorf sind noch weitere ca. 500 Klageverfahren rund um den Komplex der Corona-Soforthilfen anhängig. Wie mit diesen umzugehen ist, wird die Kammer in Kürze entscheiden. In den drei hier entschiedenen Streitigkeiten, die repräsentativ für einen Großteil der weiteren Verfahren sind, hat die Kammer wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Berufung zum Oberverwaltungsgericht (OVG) für das Land Nordrhein-Westfalen zugelassen. 

Quelle | VG Düsseldorf, Urteil vom 16.8.2022, 20 K 7488/20, 20 K 217/21 und 20 K 393/22, PM vom 16.8.2022

Energiepreispauschale und Minijob: Mögliche Steuerpflicht bei der Veranlagung zur Einkommensteuer 2022

| Auch viele Minijobber haben die Energiepreispauschale (EPP) in Höhe von 300 Euro erhalten. Sofern der (originäre) Verdienst vom Arbeitgeber pauschal mit 2 % besteuert wird, musste auf die 300 Euro EPP keine pauschale Steuer abgeführt werden. Bei der Einkommensteuerveranlagung für 2022 kann es aber nach den Ausführungen des Bundesfinanzministeriums (BMF) in gewissen Konstellationen zu einer Steuerpflicht kommen. | 

Bei Arbeitnehmern, die ausschließlich pauschal besteuerten Arbeitslohn aus einer kurzfristigen oder geringfügigen Beschäftigung oder einer Aushilfstätigkeit in der Land- und Forstwirtschaft erzielen und im gesamten Jahr 2022 keine weiteren anspruchsberechtigenden Einkünfte haben, gehört die EPP nicht zu den steuerpflichtigen Einnahmen.  

Wenn neben dem pauschal besteuerten Arbeitslohn weitere anspruchsberechtigende Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb oder aus selbstständiger Arbeit erzielt werden, gehört die EPP zu den sonstigen Einkünften. 

Da die EPP bei pauschal besteuertem Arbeitslohn nach dem Einkommensteuergesetz (§ 40 a EStG) nicht steuerpflichtig ist (§ 119 Abs. 1 S. 2 EStG), wurde sie von den Arbeitgebern nicht steuerpflichtig erfasst. Handelt es sich nun aber z. B. um Steuerpflichtige, die in 2022 zudem Einkünfte aus einer gewerblichen oder selbstständigen Tätigkeit bezogen haben, wird die EPP überdie Einkommensteuerveranlagung steuerpflichtig. Es liegen sonstige Einkünfte (nach § 22 Nr. 3 EStG) vor (vgl. § 119 Abs. 2 EStG). 

Quelle | BMF: FAQs „Energiepreispauschale (EPP)“, unter VIII., Nr. 1, Stand: 22.09.2022

Entlastungen: Energiepreispauschale für Rentner und neue Höchstgrenze für Midijobs ab 2023

| Rentner erhalten Anfang Dezember 2022 eine (steuerpflichtige) Energiepreispauschale von 300 Euro. Zudem wird die Höchstgrenze für eine Beschäftigung im Übergangsbereich (bei den sogenannten Midijobs gelten verminderte Arbeitnehmer-Beiträge zur Sozialversicherung) ab 1.1.2023 von monatlich 1.600 Euro auf 2.000 Euro angehoben. |

Quelle | Gesetz zur Zahlung einer Energiepreispauschale an Renten- und Versorgungsbeziehende und zur Erweiterung des Übergangsbereichs, BR-Drs. 523/22 (B) vom 28.10.2022

Bundesfinanzhof: Erste Tätigkeitsstätte bei Leiharbeitnehmern: Steuerzahlerfreundliche Entscheidung

| Besonders bei Leiharbeitnehmern stellt sich die Frage, ob sie eine (steuerlich ungünstige) erste Tätigkeitsstätte haben – und falls ja, wo diese liegt. Eine der letzten offenen Fragen hat der Bundesfinanzhof (BFH) nun zugunsten der Leiharbeiter entschieden. |

Je nachdem, ob es sich beim Tätigkeitsort um eine Auswärtstätigkeit handelt, hat das u. a. folgende steuerliche Konsequenzen:

Erste Tätigkeitsstätte:

  • Entfernungspauschale (0,30 EUR je Entfernungskilometer zwischen der Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte; ab dem 21. Kilometer werden 0,38 EUR gewährt) 
  • grundsätzlich keine Verpflegungspauschale

Auswärtstätigkeit:

  • "Dienstreisepauschale"(0,30 EUR je gefahrenen Kilometer)  
  • grundsätzlich Verpflegungspauschale je nach Abwesenheitszeiten

Nach der Regelung im Einkommensteuergesetz (§ 9 Abs. 4 S. 1 EStG) ist erste Tätigkeitsstätte die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 Aktiengesetz) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. 

Die Zuordnung erfolgt vorrangig anhand der dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen durch den Arbeitgeber. 

Typische Fälle einer dauerhaften Zuordnung sind im EStG (hier: § 9 Abs. 4 S. 3 ) aufgeführt:

  • unbefristetes Tätigwerden,  
  • Tätigwerden für die Dauer des Dienstverhältnisses,
  • Tätigkeit über einen Zeitraum von mehr als 48 Monaten.

Fehlt eine solche dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegung auf eine Tätigkeitsstätte oder ist sie nicht eindeutig, ist erste Tätigkeitsstätte die betriebliche Einrichtung,

  • an der der Arbeitnehmer dauerhaft,  
  • typischerweise arbeitstäglich oder  
  • je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll.

Für die Frage, ob der Arbeitnehmer einer betrieblichen Einrichtung i. S. des EStG (hier: § 9 Abs. 4 Sätze 1 bis 3) dauerhaft zugeordnet ist, ist das zwischen dem Arbeitgeber (Verleiher) und dem (Leih-)Arbeitnehmer bestehende Arbeitsverhältnis maßgeblich. 

Besteht der Einsatz eines beim Verleiher unbefristet beschäftigten Leiharbeitnehmers bei dem Entleiher in wiederholten, aber befristeten Einsätzen, fehlt es an einer dauerhaften Zuordnung i. S. des EStG (hier: § 9 Abs. 4 S. 3). Und so verhielt es sich auch im aktuellen Streitfall: Der weitere Einsatz des Leiharbeitnehmers beim Verleiher war nämlich davon abhängig, dass dieser nach Ablauf der jeweiligen Frist mit dem Verleiher eine weitere (wiederum befristete) Arbeitnehmerüberlassung vereinbarte. 

Beachten Sie | Ist das Arbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer unbefristet und wird der Leiharbeitnehmer befristet für nicht mehr als 48 Monate bei einem Entleiher eingesetzt, erfolgt die Zuordnung nicht dauerhaft. Eine ungünstige erste Tätigkeitsstätte ergibt sich beim Betrieb des Entleihers nicht. 

Das gilt auch, wenn die Entleihung später (mehrfach) verlängert wird und sich dadurch (rückblickend betrachtet) ein Einsatz von mehr als 48 Monaten für den identischen Entleiher ergeben sollte. 

Quelle | BFH, Urteil vom 12.5.2022, VI R 32/20

Gesetzesvorhaben: Anstieg der Erbschaft-/Schenkungsteuer bei der Übertragung von Immobilien befürchtet

| Die Regelungen der Grundbesitzbewertung sollen an die sogenannte Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Immobilien und der für die Wertermittlung erforderlichen Daten (ImmoWertV) angepasst werden. So steht es im Entwurf für ein Jahressteuergesetz 2022. Da für die Erbschaft- und Schenkungsteuer zumindest im Einzelfall höhere Werte drohen, ist zu prüfen, ob bereits angedachte Übertragungen vorgezogen werden sollen. Denn die Änderungen sollen bereits am Tag nach der Gesetzesverkündung in Kraft treten. | 

Quelle | ImmoWertV vom 14.7.2021, BGBl I 2021, S. 2805; BT-Drs. 20/3879 vom 10.10.2022

Freiwillige Arbeitgeberleistung: Wichtige Informationen zur steuerfreien Inflationsausgleichsprämie

| Seit dem 26.10.2022 können Arbeitgeber ihren Beschäftigten einen Betrag bis zu 3.000 Euro steuer- und abgabenfrei gewähren. Im Folgenden sind einige wichtige Punkte zu der im Einkommensteuergesetz (§ 3 Nr. 11 c EStG)geregelten Inflationsausgleichsprämie aufgeführt. | 

Die Inflationsausgleichsprämie ist eine freiwillige Leistung, die in der Zeit vom 26.10.2022 bis Ende 2024 gewährt werden kann. Es handelt sich bei den 3.000 Euro um einen steuerlichen Freibetrag, der auch in mehreren Teilbeträgen ausgezahlt werden kann. 

Beachten Sie | Begünstigt sind z. B. auch Zahlungen an Minijobber. Da die Zahlung steuer- und beitragsfrei ist, wird sie nicht auf die Minijobgrenze (seit 1.10.2022: 520 Euro monatlich) angerechnet.  

Die Zahlungen müssen zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erfolgen. Nach dem Einkommensteuergesetz (hier: § 8 Abs. 4 EStG) werden Leistungen nur dann zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:

  • Die Leistung wird nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet.  
  • Der Anspruch auf Arbeitslohn wird nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt.
  • Die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung wird nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt.  
  • Bei Wegfall der Leistung wird der Arbeitslohn nicht erhöht.

Nach dem Gesetzeswortlaut sind „in Form von Zuschüssen und Sachbezügen gewährte Leistungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise“ begünstigt. Nach den Ausführungen der Bundesregierung genügt es, wenn der Arbeitgeber bei Gewährung der Prämie deutlich macht, dass diese im Zusammenhang mit der Preissteigerung steht – zum Beispiel durch entsprechenden Hinweis auf dem Überweisungsträger im Rahmen der Lohnabrechnung. 

Quelle | Die Bundesregierung vom 1.11.2022, Gesetz zur temporären Senkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen über das Erdgasnetz, BGBl I 2022, S. 1743

Hinterliegergrundstück: Zufahrt besteht nicht uneingeschränkt

| Der Umfang eines Geh- und Fahrrechts muss sich immer am Einzelfall orientieren und besteht unter Umständen nicht uneingeschränkt. Bei der Zufahrt zu einem Hinterliegergrundstück sind damit gewisse Beeinträchtigungen der Zufahrtsbreite hinzunehmen. Darauf hat das Pfälzische Oberlandesgericht (OLG) in einem Hinweisbeschluss aufmerksam gemacht. | 

Das war geschehen

Ein Mann erwarb ein sog. „Hinterliegergrundstück“, das keinen eigenen Zugang zu einer öffentlichen Straße besitzt. Die Zufahrt zu dem Anwesen und den dazugehörigen fünf Garagen erfolgte ausschließlich über den Hof des benachbarten Grundstücks der Beklagten. Zur Absicherung des Zufahrtsrechts war im Grundbuch des Beklagtengrundstücks ein sog. „Geh- und Fahrrecht“ zugunsten des jeweiligen Eigentümers des Hinterliegergrundstücks eingetragen. Das Hofgelände zwischen den Gebäuden war groß genug, um bequem in alle Garagen hinein- und herauszufahren. 

Dies änderte sich, als die Beklagten auf ihrem Teil des Hofgrundstücks für ihre Mieter zwei Pkw-Stellplätze entlang der Hauswand einrichteten. Waren die Stellplätze belegt, konnten die Garagennutzer nicht mehr wie gewohnt rangieren. Sie mussten gegebenenfalls rückwärts ein- oder ausfahren. Der Nachbar forderte deshalb die Beklagten auf, die Stellplätze zu entfernen und das Geh- und Fahrrecht wieder uneingeschränkt zu gewährleisten. Das in erster Instanz angerufene Landgericht (LG) wies die Klage ab, da die Garagen des Klägers weiterhin erreichbar waren und es nach Ansicht des LG keine Beeinträchtigung des Geh- und Fahrrechts gab. 

Oberlandesgericht: Im Grundbruch eingetragenes Recht nicht konkret

Auf die hiergegen gerichtete Berufung wies das OLG den Kläger in einem sog. Hinweisbeschluss darauf hin, dass es beabsichtigt, seine Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, weil sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Kläger nahm daraufhin die Berufung zurück. 

Zur Begründung führte das OLG aus: Wenn – wie hier – ein eingetragenes Geh- und Fahrrecht im Grundbuch nicht näher konkretisiert ist, können auch andere Umstände herangezogen werden, um den Umfang des Geh- und Fahrrechts festzustellen. Hierzu sind z. B. die Gegebenheiten vor Ort und der Sinn und Zweck des Fahrrechts zu berücksichtigen. Die zwischen den Grundstücken liegende Hofdurchfahrt muss nach Ansicht des OLG jedenfalls breit genug sein, um mit einem üblichen Kraftfahrzeug in einer üblichen Bogenfahrt auch die hinterste der Garagen erreichen zu können. Da nach der Straßenverkehrszulassungsordnung (§ 32 StVZO) die höchstzulässige Breite von Kraftfahrzeugen allgemein 2,55 Meter beträgt, sollte die Zufahrtsbreite mindestens drei Meter betragen. In Höhe des Bogens zu den links gelegenen Garagen sollte die Zufahrt etwas breiter sein. Hier orientierte sich das OLG an der Garagenverordnung (§ 2 Abs. 3 GarVO Rheinland-Pfalz) und hielt eine Breite von mindestens fünf Metern für angemessen. Auch diese Vorgabe war nach den vorgelegten Lichtbildern erfüllt. Das OLG verwies zudem darauf, dass das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 1020 S. 1 BGB) den Berechtigten zur schonenden Ausübung der Grunddienstbarkeit verpflichtet. 

Pkw-Stellfläche ist Ausübung des Eigentumsrechts

In diesem Sinne hat es der Kläger hinzunehmen, dass die Beklagten ihr Eigentumsrecht ausüben und einen Teil ihres Grundstücks als Pkw-Stellfläche nutzen, sofern sein Zufahrtsrecht dadurch nicht mehr als notwendig beeinträchtigt wird. Die damit für ihn und die Garagennutzer verbundene nachteilige Veränderung muss er hinnehmen. 

Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 18.7.2022, 7 U 150/20, PM vom 3.5.2022

Datenschutz: Falschparker dürfen fotografiert und angezeigt werden

| Das Verwaltungsgericht (VG) Ansbach hat jetzt zwei Klagen gegen Verwarnungen des Landesamtes für Datenschutzaufsicht (LDA) stattgegeben, mit denen das LDA die Ablichtung von Falschparkern rügte. | 

Gegenstand der Verwarnungen waren von den Klägern angefertigte Fotoaufnahmen von ordnungswidrig geparkten Fahrzeugen, die die Kläger mitsamt Anzeigen an die zuständige Polizei übersandten. Bei den angezeigten Verstößen handelte es sich z. B. um Parken im absoluten Halteverbot oder ordnungswidriges Parken auf Gehwegen. 

Das VG hat darüber entschieden, ob die Übermittlung der Bildaufnahmen eine rechtmäßige Datenverarbeitung im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) darstellte. Diese setzt voraus, dass die Datenverarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist. 

Die Beteiligten stritten insbesondere um die rechtliche Frage, ob für die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung eine persönliche Betroffenheit des Anzeigenerstatters durch die Parkverstöße erforderlich sei und ob nicht für eine Anzeige die bloße schriftliche oder telefonische Schilderung des Sachverhalts unter Angabe des Fahrzeugkennzeichens genüge, sodass eine Übermittlung von Bildaufnahmen nicht erforderlich sei. 

Problematisch sei nach Ansicht des LDA zudem, dass mit den Fotos oft Daten erhoben würden, die über den reinen Parkvorgang hinausgingen, z. B. bei Ablichtung anderer Fahrzeuge und Personen. Die Kläger bezogen sich auf Hinweise der Polizei ihnen gegenüber, dass die Parksituation zum Beweis durch Fotoaufnahmen möglichst genau dokumentiert werden sollte. Zudem würde die Verfolgung der Ordnungswidrigkeiten durch die Anfertigung von Fotos vereinfacht. 

Die Entscheidungen sind nicht rechtskräftig. Gegen die Urteile kann Antrag auf Zulassung der Berufung zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) gestellt werden. 

Quelle | VG Ansbach, Urteile vom 2.11.2022, AN 14 K 22.00468 und AN 14 K 21.01431, PM vom 3.11.2022

Krankheit: Auf die Körpergröße kommt es nicht an

| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass eine geringe Körpergröße keine Krankheit im Rechtssinne ist. | 

Das war geschehen

Geklagt hatte eine junge Frau aus Bremen, die nach Abschluss des Wachstums eine Körpergröße von nur knapp 1,50 m erreicht hatte. Bei ihrer Krankenkasse beantragte sie die Kostenübernahme für eine operative Beinverlängerung. Dafür sollten Ober- bzw. Unterschenkelknochen durchtrennt und ein Verlängerungssystem implantiert werden, das Knochen und Weichgewebe auf die gewünschte Größe dehnt. Zur Begründung führte die Frau aus, dass sie unter ihrer kleinen Körpergröße psychisch leide. Sie werde von ihrer Umwelt nicht als vollwertig wahrgenommen und sei auch in ihrer Berufswahl eingeschränkt. Für eine Ausbildung als Pilotin sei sie wegen ihrer Körpergröße abgelehnt worden. Ihr Traum sei eine Größe von 1,60 m bis 1,65 m. 

Krankenkasse: kein Krankheitswert

Die Kasse lehnte den Antrag ab, da eine geringe Körpergröße nicht als eine Krankheit zu bewerten sei, die einen Leistungsanspruch auslöse. Demgegenüber hielt die Frau ihre Körpergröße für krankheitswertig, da nur drei Prozent der Frauen so klein seien. Außerdem hätten jedenfalls die psychischen Auswirkungen sehr wohl Krankheitswert. Im Alltag werde sie behindert durch zu hohe Treppenstufen, Stühle, Waschbecken, Spiegel, Schränkte etc. 

Landessozialgericht: keine Leistungspflicht der Krankenkasse

Das LSG hat die Rechtsauffassung der Krankenkasse bestätigt. Es hat sich auf die einhellige Rechtsprechung gestützt, wonach bei einer Frau selbst eine Größe von 1,47 m nicht als regelwidriger Körperzustand und damit nicht als Krankheit im Rechtssinne zu bewerten sei. Alltagsschwierigkeiten könne durch Hilfsmittel und ggf. angepasste Wohneinrichtung begegnet werden. Psychische Beeinträchtigungen seien allein mit therapeutischen Mitteln zu behandeln. Denn ansonsten müssten köperverändernde Eingriffe auf Kosten der Allgemeinheit durchgeführt werden, wenn therapeutische Maßnahmen nicht helfen, weil der Betroffene auf den Eingriff fixiert ist. Auch die Ablehnung für bestimmte Berufe könne keine Leistungspflicht der Kasse auslösen. 

Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 5.7.2022, L 16 KR 183/21, PM vom 18.7.2022

Jugendschutz: Schmerzensgeld wegen Shisha-Abgabe an Minderjährige

| Der Betreiber eines Pubs ist verpflichtet, sich so zu verhalten, dass Körper, Leben und sonstige Rechtsgüter der Gäste nicht verletzt werden. Auf die Wirksamkeit eines beabsichtigten oder abgeschlossenen Vertrags kommt es dabei nicht an. Die ungeprüfte Abgabe einer Shisha an eine Minderjährige verstößt gegen die Bestimmungen des Jugendschutzes. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main bestätigte ein Urteil des Landgerichts (LG), mit dem der Betreiber wegen der erlittenen Kohlenmonoxid-Vergiftung der Minderjährigen zu einer Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 6.400 Euro verurteilt worden war. | 

Das war geschehen

Die Beklagte betreibt einen Pub in Hessen. Die damals minderjährige Klägerin suchte das Lokal auf, um gemeinsam mit ihrer Freundin eine Shisha zu rauchen. Dabei erlitt sie eine Kohlenmonoxid-Vergiftung. Sie litt an Atemnot und Schwindel und wurde zur Erstversorgung in eine Klinik gebracht. Nach mehrtägiger stationärer Behandlung musste die Klägerin mindestens elf kardiologische Termine wahrnehmen. Sie war mehrere Monate zu keinerlei körperlichen Aktivitäten in der Lage. Noch ein Jahr nach dem Vorfall konnte sie keine gesteigerten körperlichen Aktivitäten, wie Sport oder weite Spaziergänge, durchführen. Ob ihre vollständige Leistungsfähigkeit wiederhergestellt werden kann, ist gegenwärtig unklar. 

Die Klägerin verlangte Schmerzensgeld in Höhe von 8.000 Euro, da die Mitarbeiter sie weder nach ihrem Alter gefragt noch eine korrekte Einweisung in die sachgerechte Benutzung der Shisha vorgenommen hätten. Das Landgericht (LG) hatte die Beklagte verurteilt, ein Schmerzensgeld in Höhe von 6.400 Euro zu zahlen. 

Oberlandesgericht: Jugendschutz nicht eingehalten

Die hiergegen gerichtete Berufung hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Die Beklagte habe die sie treffenden Schutz- und Rücksichtspflichten verletzt. Diese Pflichten bestünden unabhängig davon, ob der Vertrag im Hinblick auf die Minderjährigkeit der Klägerin wirksam zustande gekommen sei. Die Beklagte habe eine Pflichtverletzung begangen, da die Mitarbeiter ihres Lokals den Konsum tabakhaltiger Erzeugnisse ohne vorherige Alterskontrolle gestatteten. Sie hätten jedoch die Bestimmungen des Jugendschutzes einhalten müssen. Demnach dürfen in Gaststätten Tabakwaren und andere nikotinhaltige Erzeugnisse und deren Behältnisse an Kinder oder Jugendliche weder abgegeben noch darf ihnen das Rauchen oder der Konsum nikotinhaltiger Produkte gestattet werden. Dies gelte auch für nikotinfreie Erzeugnisse, wie elektronische Zigaretten oder elektronische Shishas. Nach der vom LG durchgeführten Beweisaufnahme stehe fest, dass die Klägerin ohne vorherige Alterskontrolle eine Shisha bestellt und erhalten habe. Ebenfalls sei bewiesen worden, dass die Klägerin einen Krampfanfall erlitten habe. 

Der Umstand, dass die Freundin der Klägerin selbst symptomfrei geblieben sei, stehe dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht entgegen. Es sei vielmehr ohne Weiteres nachvollziehbar, dass mehrere Personen unterschiedlich reagieren können, etwa, weil sie verschieden stark an einer Shisha ziehen, durch einen anderen Schlauch oder eine andere Öffnung mehr Kohlenmonoxid ausgesetzt werden oder die Kohlenmonoxidbelastung unterschiedlich gut vertragen. 

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 11.7.2022, 6 U 148/21, PM 64/22

Modernisierungsmieterhöhung: Keine Aufteilung der Modernisierungskosten nach Gewerken

| Ein häufiger Streitpunkt zwischen Mietern und ihren Vermietern ist die Mieterhöhung nach einer Modernisierung. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mit den formellen Anforderungen an Mieterhöhungserklärungen nach der Durchführung von Modernisierungsmaßnahmen befasst. Es handelt sich um drei von vielen beim BGH anhängiger Verfahren, mit denen Mieter verschiedener Wohnungen in Bremen gegen Mieterhöhungen der Vermieterin vorgehen. | 

Das war geschehen und bisheriger Prozessverlauf

In sämtlichen Verfahren sind die Kläger jeweils Mieter von Wohnungen der Beklagten. Diese erhöhte infolge von Modernisierungen der betreffenden Wohnungen sowie der Gebäude, in denen sich die Wohnungen befinden, die monatlich zu zahlende Grundmiete. Den Mieterhöhungsschreiben war jeweils eine als „Kostenzusammenstellung und Berechnung der Mieterhöhung“ bezeichnete Anlage beigefügt. Diese enthielt u. a. Angaben zu den einzelnen Modernisierungsmaßnahmen, die hierfür jeweils angefallenen Gesamtkosten, den jeweils nach Abzug der Instandhaltungskosten verbleibenden umlagefähigen Modernisierungskostenanteil sowie die sich daraus ergebende Berechnung der jeweiligen Mieterhöhung. Die Kläger halten die Mieterhöhungserklärungen bereits aus formellen Gründen für unwirksam. Sie begehren mit ihren Klagen die Feststellung, dass der Beklagten ein Anspruch auf Zahlung der erhöhten Miete nicht zustehe, und zum Teil zusätzlich die Rückzahlung ihrer Ansicht nach überzahlter Mieten. 

Das Berufungsgericht hat in allen drei Verfahren die Mieterhöhungserklärungen bereits aus formellen Gründen für unwirksam erachtet und den Klagen jeweils stattgegeben. Jedenfalls bei umfassenden und kostenträchtigen Modernisierungsmaßnahmen bzw. solchen, die außerhalb der Wohnung des Mieters vorgenommen würden oder mehrere Gebäude umfassten, sei zur Erfüllung der formellen Anforderungen des hier einschlägigen § 559 b Abs. 1 S. 2 BGB eine weitere Untergliederung der betreffenden Kostenpositionen erforderlich. Das könnte etwa durch eine Aufschlüsselung nach verschiedenen Gewerken, „konkreten Arbeitsabschnitten“ oder „greifbaren Einzelarbeiten“ erfolgen. Nur so könne der Mieter den Kostenansatz des Vermieters auf Plausibilität und Berechtigung im Hinblick auf etwa nicht umlagefähige Instandhaltungskosten prüfen. 

BGH: Gesamtsumme reicht aus – auch für große Baumaßnahmen

Der BGH hat entschieden, dass es zur Erfüllung der formellen Anforderungen der o. g. Vorschrift genügt, wenn ein Vermieter die für eine bestimmte Modernisierungsmaßnahme angefallenen Kosten als Gesamtsumme ausweist und einen seiner Meinung nach in den Gesamtkosten enthaltenen Instandsetzungsteil durch die Angabe einer Quote oder eines bezifferten Betrags kenntlich macht. Eine Aufschlüsselung der für eine bestimmte Modernisierungsmaßnahme entstandenen Gesamtkosten nach den einzelnen angefallenen Gewerken oder anderen Bauleistungsbereichen ist hingegen grundsätzlich auch dann nicht erforderlich, wenn umfangreiche und entsprechend kostenträchtige bauliche Veränderungen oder Maßnahmen außerhalb der betroffenen Wohnung oder an mehreren Gebäuden ausgeführt wurden. 

Der Vermieter kann nach der Durchführung bestimmter Modernisierungsmaßnahmen die jährliche Miete um 11 Prozent (seit 1.1.2019 um 8 Prozent) der für die Wohnung aufgewendeten Kosten erhöhen. Dabei ist die Mieterhöhung in Textform zu erklären und die Erhöhung ist aufgrund der entstandenen Kosten zu berechnen und zu erläutern. Dies dient der Abgrenzung berücksichtigungsfähiger Modernisierungsmaßnahmen von nicht berücksichtigungsfähigen Erhaltungsmaßnamen. Diese formellen Anforderungen bilden das notwendige Gegengewicht zu der dem Vermieter in Abweichung von allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechts eingeräumten Möglichkeit, die Pflicht des Mieters zur Mietzahlung durch einseitige Erklärung zu gestalten. Der Mieter soll in die Lage versetzt werden, Grund und Umfang der Mieterhöhung auf Plausibilität zu prüfen und zu entscheiden, ob Bedarf für eine eingehendere Kontrolle besteht – etwa durch Zuziehung juristisch oder bautechnisch Sachkundiger, durch Einholung weiterer Auskünfte beim Vermieter und/oder durch Einsichtnahme in die Rechnungen und Belege. 

Dennoch dürfen die Hürden für die Mieterhöhungserklärung in formeller Hinsicht nicht zu hoch angesetzt werden. Denn eine Überspannung der Anforderungen könnte dazu führen, dass der Vermieter eine inhaltlich berechtigte Mieterhöhung nicht durchsetzen könnte und ihm der Anreiz zur Durchführung von - vom Gesetzgeber ausdrücklich erwünschten - Modernisierungsmaßnahmen genommen würde. Davon ausgehend ist es in formeller Hinsicht ausreichend, wenn der Vermieter in der Mieterhöhungserklärung die für eine bestimmte Modernisierungsmaßnahme angefallenen Kosten als Gesamtsumme ausweist und einen aus seiner Sicht in den Gesamtkosten enthaltenen Instandsetzungsanteil durch die Angabe einer Quote oder eines bezifferten Betrags kenntlich macht. Welchen Erkenntnisgewinn die vom Berufungsgericht geforderte weitergehende Aufschlüsselung der entstandenen Gesamtkosten nach Gewerken oder vergleichbaren Kriterien dem Mieter vermittelte, ist nicht ersichtlich. Zudem hat das Berufungsgericht nicht hinreichend berücksichtigt, dass dem Mieter zur Klärung verbleibender Unsicherheiten oder zur Kontrolle der Angaben des Vermieters über die Aufwendungen auf ihre sachliche Richtigkeit ein umfassendes Auskunfts- und (Belege-)Einsichtsrecht zusteht. 

Abgrenzung der Modernisierungs- von Erhaltungsmaßnahmen

Ob die vom Vermieter angesetzten Erhöhungsbeträge tatsächlich zutreffend und angemessen sind, betrifft allein die materiell-rechtliche Nachprüfung der Erhöhungserklärung. In deren Rahmen hat der Vermieter die Darlegungs- und Beweislast nicht nur dafür, dass es sich bei den durchgeführten Baumaßnahmen um Modernisierungs- und nicht um Erhaltungsmaßnahmen handelt, sondern auch dafür, dass die zugrunde gelegten Kosten nicht (teilweise) auf der Erhaltung dienende Maßnahmen entfallen sind. Da das Berufungsgericht die erforderlichen Feststellungen bislang nicht getroffen hat, hat der BGH die Berufungsurteile in allen drei Verfahren aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht (LG) Bremen zurückverwiesen. 

Quelle | BGH, Urteile vom 20.7.2022, VIII ZR 337/21, VIII ZR 339/21 und VIII ZR 361/21, PM 114/2022

Erbschaftsteuerbefreiung: Kein Wegfall bei unzumutbarer Selbstnutzung des Familienheims

| Zieht der überlebende Ehepartner aus dem geerbten Familienheim aus, weil ihm dessen weitere Nutzung aus gesundheitlichen Gründen unmöglich oder unzumutbar ist, entfällt die ihm beim Erwerb des Hauses gewährte Erbschaftsteuerbefreiung nicht rückwirkend. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) nun entschieden. | 

Die Klägerin hatte mit ihrem Ehemann ein Einfamilienhaus bewohnt und wurde nach dessen Tod aufgrund Testaments Alleineigentümerin. Nach knapp zwei Jahren veräußerte sie das Haus und zog in eine Eigentumswohnung. Die Klägerin berief sich gegenüber dem Finanzamt und dem Finanzgericht (FG) erfolglos darauf, sie habe wegen einer depressiven Erkrankung, die sich nach dem Tod ihres Ehemanns gerade durch die Umgebung des ehemals gemeinsam bewohnten Hauses verschlechtert habe, dieses auf ärztlichen Rat verlassen. Das FG war der Ansicht, es habe keine zwingenden Gründe für den Auszug gegeben, da der Klägerin nicht die Führung eines Haushalts schlechthin unmöglich gewesen sei. 

Der BFH hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Grundsätzlich setzt die Steuerbefreiung (hier: gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 b Erbschaftsteuergesetz – ErbStG) voraus, dass der Erbe für zehn Jahre das geerbte Familienheim selbst nutzt, es sei denn, er ist aus „zwingenden Gründen“ daran gehindert. „Zwingend“, so der BFH, erfasse nicht nur den Fall der Unmöglichkeit, sondern auch die Unzumutbarkeit der Selbstnutzung des Familienheims. Diese könne auch gegeben sein, wenn der Gesundheitszustand des Erben durch den Verbleib im Familienheim erheblich beeinträchtigt wird. 

Das FG muss deshalb im zweiten Rechtsgang, ggf. mit Hilfe ärztlicher Begutachtung, die geltend gemachte Erkrankung einschließlich Schwere und Verlauf prüfen. 

Quelle | BFH, Urteil vom 1.12.2021, II R 1/21, PM 030/22

Testament: Alleinerbe – auch wenn andere ebenfalls etwas erben

| Auch wenn nach dem Wortlaut eines Testaments mehrere Personen etwas „erben“ sollen, kann die Auslegung ergeben, dass nur eine Person Alleinerbe werden sollte und die übrigen Begünstigten mit Vermächtnissen bedacht werden sollten. Hierfür spricht, wenn die einer Person zugewandten Vermögenswerte aus Sicht des Erblassers den wesentlichen Teil seines Nachlasses darstellen und diese Person nach dem Testament auch für die „Beerdigung und Folgekosten“ verantwortlich zeichnen sollte. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken entschieden. | 

Was war geschehen?

Der Erblasser hatte ein privatschriftliches Testament errichtet. Darin bezeichnete er seine Lebensgefährtin als „Erbe“ für sein Haus. Nach dem weiteren Wortlaut „erbte“ diese auch das Barvermögen. Seine Grundstücke und Anteile daran „vererbe“ der Erblasser seinen Nichten und einem Neffen. Für die Beerdigung und Folgekosten zeichne seine Lebensgefährtin verantwortlich, heißt es in dem Testament weiter. 

Testament nicht eindeutig: Auslegung erforderlich

Der Wortlaut des Testaments sei nicht eindeutig, was zur Auslegung nötige, so das OLG. Dafür, dass der Erblasser die Lebensgefährtin zu seiner Alleinerbin einsetzen wollte, spreche vor allem, dass die ihr ausdrücklich zugewandten Gegenstände das übrige Vermögen in ihrem Wert ganz erheblich übertreffen und vom Erblasser erkennbar als sein wesentlicher Nachlass angesehen wurden. Zudem komme es bei der Entscheidung, ob eine Person als Erbe eingesetzt ist, wesentlich darauf an, wer nach dem Willen des Erblassers den Nachlass regeln und die Nachlassschulden, zu denen auch die Bestattungskosten gehören, tilgen muss. Außerdem komme es darauf an, ob der Bedachte unmittelbar Rechte am Nachlass oder nur Ansprüche gegen andere Bedachte erwerben soll. 

Quelle | OLG Saarbrücken, Beschluss vom 30.3.2022, 5 W 15/22

Testament: Was darf der Erblasser im Hinblick auf Auflagen regeln?

| Der Spielraum des Erblassers für Auflagen ist sehr groß. Sie dürfen – an objektiven Kriterien gemessen – sinnfrei, sogar unsinnig sein, ohne dass dies allein zu einer Unwirksamkeit führt. Der Erblasser kann sich grundsätzlich also bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit Auflagen ausdenken. Sofern sie nicht gegen die guten Sitten verstoßen und den höchstpersönlichen Bereich des durch die Auflagen Beschwerten nicht tangieren, sind sie wirksam. Dem Erblasser muss es im Wege der grundrechtlich geschützten Testierfreiheit möglich sein, die Erbfolge nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten, sodass eine Sittenwidrigkeit nur in besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen angenommen werden kann. Einen solchen schwerwiegenden Ausnahmefall hat das Landgericht (LG) Bochum nun bejaht. | 

Die spätere Erblasserin setzte ihre Tochter und ihre Enkelin in einem notariellen Testament zu ihren Erben ein. Es störte sie wohl eine außereheliche Beziehung der Tochter. Diese war zwar noch „auf dem Papier“ verheiratet, hatte aber einen neuen Lebenspartner gefunden, mit dem sie teilweise in ihrer Wohnung im Haus der Erblasserin zusammenwohnte. Daher verfügte die Erblasserin in ihrem Testament: „Die Erben haben dafür zu sorgen, dass es Herrn M. (Anm.: der Lebenspartner der Tochter) auf Dauer untersagt wird, das Grundstück … zu betreten. Den Erben ist es darüber hinaus untersagt, das Grundstück oder Teile davon an Herrn M. oder dessen Abkömmlinge zu veräußern, zu verschenken oder auf sonstige Weise zu übertragen.“ Die Auflage sicherte die Erblasserin über eine Testamentsvollstreckung ab. Bei einem Verstoß gegen die Auflage sollte der Testamentsvollstrecker die Immobilie verkaufen und eine Hälfte des Erlöses den Erben und die andere Hälfte einer gemeinnützigen Organisation auskehren. 

Die Erben klagten, festzustellen, dass die Auflage nichtig ist. Das LG gab ihnen Recht. 

Quelle | LG Bochum, Urteil vom 29.4.2021, 8 O 486/20

Saunalandschaft: Fliesentauglichkeit: Architekt muss kein Labor beauftragen

| Im Rahmen seiner Aufgaben der Planung muss der Architekt auch die Materialien auswählen, die für die Maßnahme geeignet sind. Auf das Datenblatt eines Baustoffherstellers darf sich der Architekt dabei verlassen. Er muss nicht alle Baustoffe durch ein Labor auf das Vorhandensein der vom Hersteller zugesicherten Angaben prüfen lassen. Das hat jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe festgestellt. | 

Ein Architekt wurde mit den Leistungsphasen 1 bis 8 nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) und mit einem Fliesengewerk bei der Sanierung einer Saunalandschaft beauftragt. Die Fliesen sollten säure- bzw. chemiebeständig sein. Der Architekt wählte ein Fabrikat, das nach dem Datenblatt des Herstellers diese Anforderungen erfüllte. Er legte sie der Ausschreibung zugrunde. Nach Abnahme der Leistungen zeigten sich Ausblühungen und die Fliesen lösten sich ab. Der Betreiber verklagte den Architekten auf Kostenvorschuss wegen Planungs- und Überwachungsfehlern und den Fliesenleger wegen Ausführungsfehlern. 

Das OLG sprach den Architekten mit den eingangs genannten Erwägungen von Planungs- und Überwachungsfehlern frei. Würde man dies anders sehen, wäre die Folge, dass ein Architekt verpflichtet wäre, beinahe alle verwendeten Baustoffe durch ein Labor prüfen zu lassen. Damit wäre aber ein unverhältnismäßiger Aufwand verbunden. 

Die Entscheidung ist rechtskräftig. 

Quelle | OLG Karlsruhe, Beschluss vom 20.9.2021, 4 U 199/20

Haftung: Wenn der Baukran umfällt …

| Ein ordnungsgemäß montierter und auf stabilem Baugrund aufgebauter Kran fällt nicht ohne Weiteres um, auch nicht bei einem Sturm. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. festgestellt. Stürzt ein auf der Baustelle betriebener Turmdrehkran während Bauarbeiten um, spricht deshalb der sog. „Beweis des ersten Anscheins“ für einen Montage- und Aufbaufehler. | 

In solchen Fällen kommen verschiedene Ursachen in Frage, die dann auch über die Haftung entscheiden. Zum „Beweis des ersten Anscheins“ gehören nicht nur die Pflichten des Aufstellers, sondern (je nach Einzelfall) auch, ob sich die Bauüberwachung im Rahmen ihrer eigenen Leistungen von der ordnungsgemäßen Aufstellung überzeugt hat. 

Im Fall des OLG sprach der „Beweis des ersten Anscheins“ für einen Montage- und Aufbaufehler des ausführenden Unternehmens. Denn ein Sicherungsbolzen der Stahlkonstruktion des Krans am Ausleger war falsch montiert. Die Bauüberwachung war insoweit damit bis auf Weiteres außen vor. Die Kontrolle von Sicherungsbolzen am Kran kann der Bauüberwachung nicht zugeordnet werden. 

Die Bauüberwachung wäre eventuell dann in den Fokus des Anscheinsbeweises gerückt, wenn statt des Sicherungsbolzens am Kranausleger das Kranfundament an der falschen Stelle – entgegen der Vorgabe der Bauüberwachung (auf instabilem Baugrund ohne vorherige Prüfung) – ausgeführt worden wäre. 

Quelle | OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 11.7.2022, 29 U 222/19

Werkverträge: Vereinbarungen zur Fälligkeit – das ist möglich

| Vor allem bei einem Werk- oder Architektenvertrag können die Parteien die gesonderte Fälligkeit von Teilleistungen vereinbaren, die nicht am Ende der Vertragsdurchführung stehen, sondern einen Zwischenerfolg darstellen. Solche Vereinbarungen müssen nicht stets ausdrücklich, sondern können durchaus auch stillschweigend getroffen werden. Das hat nun das Kammergericht (KG) in Berlin klargestellt. | 

Eine solche Vereinbarung setzt auch nicht voraus, dass die Parteien kalendermäßig eine Frist oder einen Termin bestimmt haben. Der Fälligkeitszeitpunkt der Teilleistung ist vielmehr durch Auslegung, notfalls mithilfe der gesetzlichen Vermutung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 271 Abs. 1 BGB) zu bestimmen. Besser ist es daher, die Fälligkeit von Teilleistungen – im Zweifel auch ausschließend – ausdrücklich zu regeln. 

Quelle | KG, Urteil vom 26.4.2022, 21 U 1030/20

Lärmimmissionen: Keine Lärmsanierung nach Errichtung eines Buswendeplatzes

| Der Kläger, Eigentümer eines Wohngrundstücks, hat keinen Anspruch gegen den beklagten Landkreis auf Durchführung von Maßnahmen zum Schutz vor Lärmimmissionen, die durch den Betrieb eines Buswendeplatzes in der Nähe seines Grundstücks hervorgerufen werden. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz. |

Das Grundstück des Klägers liegt in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Mischgebiet; allerdings findet sich dort ausschließlich Wohnbebauung. Nachdem im Jahr 2016 die entsprechenden bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen worden waren, wurde für den Öffentlichen Personennahverkehr und den darin integrierten Schülerverkehr in der am Grundstück des Klägers entlangführenden Straße ein Buswendeplatz errichtet. Daraufhin stellte der Kläger bei dem beklagten Landkreis einen Antrag auf Maßnahmen zum Schutz vor den durch den Buswendeplatz verursachten Emissionen. Nachdem sein Antrag erfolglos geblieben war, verfolgte der Kläger sein Begehren auf dem Klageweg weiter.  

Das VG wies die Klage ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die begehrte Lärmsanierung. Zwar sei nach Errichtung des Buswendeplatzes und dem dadurch erhöhten Verkehrsaufkommen durch Busse eine deutliche Lärmsteigerung eingetreten. Jedoch würden die maßgeblichen Beurteilungspegel nicht überschritten. Dies gelte unabhängig davon, ob die Beurteilungspegel für ein Mischgebiet (64 dB (A) am Tag und 54 dB (A) in der Nacht) oder für ein reines oder allgemeines Wohngebiet (59 dB (A) am Tag und 49 dB (A) in der Nacht) anzusetzen seien. Denn ungeachtet der Wirksamkeit der Mischgebietsfestsetzung im Bebauungsplan erreichten die Lärmimmissionen am Wohnhaus des Klägers nach einem von ihm nicht substanziiert angegriffenen schalltechnischen Gutachten lediglich Werte von 55 dB(A) tags und 47 dB (A) nachts. Selbst unter Berücksichtigung der Gesamtbelastung am Grundstück des Klägers erleide dieser keine Gesundheits- oder übermäßigen Eigentumsbeeinträchtigungen, die trotz Einhaltung der Immissionsgrenzwerte ausnahmsweise zu einem Lärmsanierungsanspruch führen könnten. Die vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) insoweit entwickelte Zumutbarkeitsschwelle liege nämlich bei hier nicht erreichten Werten von mindestens 67 dB (A) tags und 57 dB (A) nachts. 

Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 21.7.2022, 4 K 46/22.KO, PM 27/22

Kündigungsschutzklage: Redakteurin: Kündigung wegen Vorwurf antisemitischer Äußerung?

| Das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin hat die Kündigung einer Redakteurin des Senders Deutsche Welle für unwirksam erklärt. Die Redakteurin hatte sich bereits vor ihrem Arbeitsverhältnis antisemitisch geäußert. | 

Kündigungsschutzklage war erfolgreich

Der Sender hat zur Begründung der Kündigung geltend gemacht, die Redakteurin habe sich mehrfach israelfeindlich und antisemitisch in anderen Medien geäußert. Dies widerspreche den Grundsätzen der Deutschen Welle, wie sie ausdrücklich in Guidelines und Positionspapieren festgehalten seien. Das ArbG hat jedoch der Kündigungsschutzklage stattgegeben und den Sender zur Weiterbeschäftigung der Redakteurin verurteilt. 

Es bestand noch kein Vertragsverhältnis

Das ArbG: Antisemitische Äußerungen könnten ein Grund für eine außerordentliche Kündigung sein. Wenn es nicht um Äußerungen im Rahmen der Arbeit für den Sender gehe, könne hierin eine Verletzung von Loyalitätspflichten liegen. Soweit es aber um Äußerungen gehe, die vor Bestehen eines Vertragsverhältnisses zum Sender erfolgt seien, fehle es mangels bestehenden Vertrags zu dieser Zeit an einer für eine verhaltensbedingte Kündigung erforderlichen Vertragspflichtverletzung. 

Personalrat wurde nicht hinzugezogen

Eine personenbedingte Kündigung hatte die Beklagte nicht ausgesprochen und dazu auch nicht ihren Personalrat beteiligt. Auch bei Äußerungen während einer vorherigen Beschäftigung auf Honorarbasis könne nicht ohne Weiteres ein „Durchschlagen“ als Pflichtverletzung auf ein späteres Arbeitsverhältnis angenommen werden. Zudem müsse jeweils eine Bewertung der Umstände des Einzelfalls unter Beachtung des Zusammenhangs von Äußerungen erfolgen. 

Redakteurin hatte sich distanziert

Wenn man berücksichtige, dass die Redakteurin sich in einer für die Öffentlichkeit bestimmten Erklärung von früheren Äußerungen distanziert habe und keine Abmahnung vorliege, sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der beiderseitigen Interessen zumutbar. Im Hinblick hierauf könne keine negative Prognose für ein künftig zu erwartendes Fehlverhalten gestellt werden. 

Weder Abmahnung noch Fristwahrung

Unabhängig hiervon sei für die außerordentliche Kündigung die Frist von zwei Wochen ab Kenntnis der maßgeblichen Umstände nicht eingehalten. In Bezug auf die gegenüber der klagenden Redakteurin erhobenen Vorwürfe erschließe sich die Erforderlichkeit der vorherigen zweimonatigen Untersuchung nicht, von der der Sender ausgegangen war. 

Quelle | ArbG Berlin, Urteil vom 5.9.2022, 22 Ca 1647/22, PM 28/22 vom 3.11.2022

Gesetzlich festgelegte Höchstdauer: Verlängerung einer Arbeitnehmerüberlassung durch Tarifvertrag

| Bei einer vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung kann in einem Tarifvertrag der Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche abweichend von der gesetzlich zulässigen Dauer von 18 Monaten eine andere Überlassungshöchstdauer vereinbart werden. Diese ist auch für den überlassenen Arbeitnehmer und dessen Arbeitgeber (Verleiher) unabhängig von deren Tarifgebundenheit maßgebend. So entschied es nun das Bundesarbeitsgericht (BAG). | 

Der Kläger war der Beklagten ab Mai 2017 für knapp 24 Monate als Leiharbeitnehmer überlassen. Die Beklagte ist Mitglied im Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e. V. (Südwestmetall). In ihrem Unternehmen galt daher der zwischen Südwestmetall und der Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) geschlossene „Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit“. DerTarifvertrag regelt unter anderem, dass die Dauer einer Arbeitnehmerüberlassung 48 Monate nicht überschreiten darf. Der Kläger will mit seiner Klage festgestellt wissen, dass zwischen ihm und der Beklagten (Entleiherin) aufgrund Überschreitung der gesetzlichen Höchstüberlassungsdauer kraft Gesetzes (hier: § 9 Abs. 1 Nr. 1 b, § 10 Abs. 1 S. 1 Gesetz zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung (AÜG)) ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen sei. Der Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit gelte für ihn mangels Mitgliedschaft in der IG Metall nicht. Zudem sei die dem Tarifvertrag zugrunde liegende Regelung (hier: § 1 Abs. 1 b S. 3 AÜG) verfassungswidrig. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. 

Die Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Südwestmetall und IG Metall konnten die Überlassungshöchstdauer für den Einsatz von Leiharbeitnehmern bei der Beklagten durch Tarifvertrag mit Wirkung auch für den Kläger und dessen Arbeitgeberin (Verleiherin) verlängern. Bei § 1 Abs. 1 b S. 3 AÜG handelt es sich um eine vom Gesetzgeber außerhalb des Tarifvertragsgesetzes vorgesehene Regelungsermächtigung, die den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche nicht nur gestattet, die Überlassungshöchstdauer abweichend von § 1 Abs. 1 b S. 1 AÜG verbindlich für tarifgebundene Entleihunternehmen, sondern auch für Verleiher und Leiharbeitnehmer mittels Tarifvertrag zu regeln, ohne dass es auf deren Tarifgebundenheit ankommt. Die gesetzliche Regelung ist unionsrechts- und verfassungskonform. Die vereinbarte Höchstüberlassungsdauer von 48 Monaten hält sich im Rahmen der gesetzlichen Regelungsbefugnis. 

Quelle | BAG, Urteil vom 14.9.2022, 4 AZR 83/21, PM 37/22

Corona-Kontaktperson: Behördlich angeordnete Quarantäne während des Urlaubs

| Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gerichtet, um die Frage klären zu lassen, ob aus dem Unionsrecht die Verpflichtung des Arbeitgebers abzuleiten ist, einem Arbeitnehmer bezahlten Erholungsurlaub nachzugewähren, der zwar während des Urlaubs selbst nicht erkrankt ist, in dieser Zeit aber eine behördlich angeordnete häusliche Quarantäne einzuhalten hatte. | 

Der Kläger ist seit 1993 bei der Beklagten als Schlosser beschäftigt. Auf seinen Antrag bewilligte ihm die Beklagte acht Tage Erholungsurlaub für die Zeit vom 12. bis zum 21.10.2020. Mit Bescheid vom 14.10.2020 ordnete die Stadt Hagen die Absonderung des Klägers in häusliche Quarantäne für die Zeit vom 9. bis zum 21.10.2020 an, weil er zu einer mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizierten Person Kontakt hatte. Für die Zeit der Quarantäne war es dem Kläger untersagt, seine Wohnung ohne ausdrückliche Zustimmung des Gesundheitsamts zu verlassen und Besuch von haushaltsfremden Personen zu empfangen. Die Beklagte belastete das Urlaubskonto des Klägers mit acht Tagen und zahlte ihm das Urlaubsentgelt. 

Der Kläger hat die auf Wiedergutschrift der Urlaubstage auf seinem Urlaubskonto gerichtete Klage darauf gestützt, es sei ihm nicht möglich gewesen, seinen Urlaub selbstbestimmt zu gestalten. Die Situation bei einer Quarantäneanordnung sei der infolge einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vergleichbar. Der Arbeitgeber müsse ihm deshalb entsprechend dem Bundesurlaubsgesetz (hier: § 9 BurlG), dem zufolge ärztlich attestierte Krankheitszeiten während des Urlaubs nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden dürfen, nachgewähren. 

Das Landesarbeitsgericht (LAG) ist dieser Auffassung gefolgt und hat der Klage stattgegeben. Für das BAG ist die Frage entscheidungserheblich: Steht es mit europäischem Recht im Einklang, wenn vom Arbeitgeber bewilligter Jahresurlaub, der sich mit einer nach Urlaubsbewilligung behördlich angeordneten häuslichen Quarantäne zeitlich überschneidet, nach nationalem Recht nicht nachzugewähren ist, weil der betroffene Arbeitnehmer selbst nicht krank war? Diese Frage muss nun der EuGH beantworten. 

Quelle | BAG, Beschluss vom 16.8.2022, 9 AZR 76/22 (A), PM 30/22 vom 16.8.2022

Infektionsschutzgesetz: Keine Pflicht, ungeimpftes Pflegepersonal in Seniorenheim zu beschäftigen

| Die Corona-Pandemie wird in vielerlei Hinsicht die Gerichte noch längere Zeit beschäftigen. Besonders im Arbeitsrecht birgt die Pandemie – zum Beispiel mit Quarantäneregelungen und teilweiser Impfpflicht – ein hohes Streitpotenzial. Das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) hat jetzt in zwei Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz die Anträge von in der Pflege tätigen Klägern abgewiesen. Diese werden von ihrer Arbeitgeberin nicht mehr in deren Seniorenheim eingesetzt. Daher verlangten die Kläger durch Eilanträge, dass sie zunächst weiter beschäftigt werden müssten. | 

Die Kläger haben sich nicht gegen SARS-CoV-2 impfen lassen. Die Betreiberin des Seniorenheims hatte sie seit dem 16.3.2022 freigestellt. Dies begründete sie mit der seit 15.3.2022 bestehenden Pflicht nach dem Infektionsschutzgesetz (§ 20 a IfG), wonach Personen, die in Einrichtungen zur Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen arbeiten, über einen Impfnachweis oder z. B. einen Genesenennachweis verfügen müssen. Hiergegen hatten die Kläger in Eilverfahren bei dem Arbeitsgericht (ArbG) Gießen geklagt. 

Das Arbeitsgericht (ArbG) Gießen hatte die Anträge abgewiesen. Das LAG als Berufungsgericht hat diese Urteile nun bestätigt. Die Arbeitnehmer hätten keinen Anspruch darauf, in ihrem Arbeitsverhältnis beschäftigt zu werden. Der erforderliche Impfnachweis wirke wie eine berufliche Tätigkeitsvoraussetzung. Bei der Abwägung der Interessen habe die Arbeitgeberin die Arbeitnehmer freistellen dürfen. Das schützenswerte Interesse der Bewohnerinnen und Bewohner des Seniorenheims, vor einer Gefährdung ihrer Gesundheit und ihres Lebens bewahrt zu werden, überwiege das Interesse der Pflegekräfte, ihre Tätigkeit ausüben zu können. 

Beachten Sie | Die Entscheidungen des LAG sind rechtskräftig. Eine Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) ist in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht möglich. 

Quelle | Hessisches LAG, Urteile vom 11.8.2022, 5 SaGa 728/22 und 7 SaGa 729/22

Sonderregelung: Erleichterter Zugang zum Kurzarbeitergeld bis 31.12.2022 verlängert

| Mit der Verordnung zur Änderung der Kurzarbeitergeldzugangsverordnung wurden die Zugangserleichterungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld für weitere drei Monate bis zum 31.12.2022 verlängert. |

Es reicht weiterhin aus, wenn mindestens 10 % der Beschäftigten von Arbeitsausfall betroffen sind. Sonst muss mindestens ein Drittel der Beschäftigten betroffen sein.

Beschäftigte müssen auch keine Minusstunden aufbauen, bevor Kurzarbeitergeld gezahlt werden kann. 

Beachten Sie | Damit Sonderregelungen für das Kurzarbeitergeld weiterhin durch eine Verordnung erlassen werden können, hat der Bundestag die entsprechende Verordnungsermächtigung bis 30.6.2023 verlängert (Billigung durch Bundesrat am 7.10.2022). Damit können Zugangserleichterungen auch über den Jahreswechsel hinaus verlängert werden. 

Quelle | BMAS vom 16.9.2022 „Erleichtertes Kurzarbeitergeld“; Deutscher Bundestag vom 29.9.2022 „Vereinfachter Zugang zum Kurzarbeitergeld wird verlängert“; BR-Drs. 475/22 (B) vom 7.10.2022; Verordnung zur Änderung der Kurzarbeitergeldzugangsverordnung, BGBl I 2022, S. 1507

Gewerberaummiete: Kakerlaken im Bekleidungsgeschäft: 30 Prozent Mietminderung möglich

| Tritt Ungeziefer wiederholt in einem Bekleidungsgeschäft auf, stellt dies einen erheblichen Mangel dar. Das kann zu einer Minderung von mindestens 30 Prozent führen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe. | 

In den angemieteten Räumen beobachteten verschiedene Kunden immer wieder Kakerlaken, z. B. in einer Umkleidekabine oder einem Schrank. Das stellt einen Mangel der Mietsache dar, so das OLG. Es führte dazu aus, dass bei der Bemessung der Minderungsquote zu berücksichtigen sei, dass Kunden in Bekleidungsgeschäften nicht damit rechnen müssen, mit Ungeziefer konfrontiert zu werden. Dies wirke sich negativ auf den Ruf des Geschäfts aus, vor allem, wenn es sich – wie hier – in einer Kleinstadt befinde. So etwas spreche sich schnell herum. Außerdem seien Fraßschäden an den Bekleidungsgegenständen möglich. 

Folge: Der wirtschaftliche Wert des Geschäfts sei ummindestens 30 Prozent gemindert. Das Argument des Vermieters, die Tiere hätten nicht in die Räume gelangen können, wären Fenster und Türen richtig verschlossen gewesen, hatte beim OLG keinen Erfolg. 

Quelle | OLG Karlsruhe, Urteil vom 21.6.2022, 9 U 112/19

Wettbewerb: Werbeaussage „klimaneutral“ muss nicht irreführend sein

| Das Landgericht (LG) Kleve hat jetzt festgestellt, dass die Werbeaussage „klimaneutral“ nicht irreführend ist, wenn sie zum einen gegenüber einem Fachpublikum erfolgt und zum anderen die Einsparung durch bloße Kompensation geschieht. | 

Das war geschehen

Ein Unternehmen, die Beklagte, stellt Produkte aus Fruchtgummi und Lakritz für Endkunden her. Es warb in der Lebensmittel-Zeitung mit der Aussage: „Seit 2021 produziert … alle Produkte klimaneutral.“ Das Ziel wird jedoch nicht durch Einsparung, sondern durch CO2-Kompensation erreicht. Die Klägerin hielt dies für wettbewerbswidrig. Begründung: Es fehle ein aufklärender Hinweis. 

So sieht es das Landgericht

Dieser Ansicht folgte das LG Kleve nicht. Es wies die Klage daher ab. Entscheidend sei: Die Lebensmittel-Zeitung richte sich überwiegend an ein Fachpublikum. Der Kläger habe sich zwar darauf berufen, die Lebensmittel-Zeitung könne auch von Verbrauchern gelesen werden. Dies sei aber für den angesprochenen Verkehrskreis unerheblich. Denn die Lebensmittel-Zeitung ist nicht auf Verbraucher ausgerichtet. Daher sei es auch nicht zu berücksichtigen, dass die von der Beklagten produzierten Endprodukte, die in Form einer teilweise abgebildeten Verpackungstüte in der Werbung wiedergegeben sind, zum Konsum durch den Endverbraucher bestimmt sind. 

Auch inhaltlich sah das LG kein Fehlverhalten. Denn die o. g. Werbeaussage ist wahr. „Klimaneutral“ sei nicht identisch mit „emissionsfrei“. Klimaneutralität könne auch über Kompensation erreicht werden. Eine Täuschung über die Herstellung sei damit nicht verbunden. Denn dem von der Werbung angesprochenen Fachpublikum sei dies bekannt. 

Werbung richtete sich nicht an den Endverbraucher

Der Anspruch besteht auch nicht im Hinblick auf das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (§ 5 a Abs. 2 UWG) in der bis zum 27.5.2022 geltenden Fassung, denn die beanstandete Werbung richtet sich nicht an Verbraucher. Soweit die von der Beklagten produzierten Endprodukte, die in Form einer teilweise abgebildeten Verpackungstüte in der Werbung wiedergegeben sind, zum Konsum durch den Endverbraucher bestimmt sind, ist dies unerheblich, denn die beanstandete Werbeanzeige in der Lebensmittel-Zeitung richtete sich nicht an den Endverbraucher, sondern an den Handel. 

Quelle | LG Kleve, Urteil vom 22.6.2022, 8 O 44/21

Wettbewerbsrecht: Öffnung einer Filiale in Outlet-Center an Feriensonntagen nicht wettbewerbswidrig

| Das Pfälzische Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken hat dieBerufung in einem Verfahren hinsichtlich der Öffnung einer Filiale derBeklagten in einem Factory-Outlet-Center zurückgewiesen. Es hat dabeiklargestellt, dass darin keine unlautere Wettbewerbshandlung liegt. |

 

Mietvertrag sahSonntagsöffnungen in den Ferien vor

Die Beklagte ist ein Damenbekleidungsunternehmen, das u.a.am dortigen Standort eine Filiale besitzt. Ihr Ladenlokal hat sie von derBetreiberin des Factory-Outlet-Centers angemietet. Nach den Bestimmungen desMietvertrags ist sie ihrer Vermieterin gegenüber zur Öffnung des Geschäfts anden in Rede stehenden Feriensonntagen verpflichtet.

 

Mitbewerberin klagte

Die Klägerin, die an mehreren Standorten in der Pfalz und inBaden Einzelhandelsgeschäfte gleichsam u.a. für Damenbekleidung betreibt, hatdie Auffassung vertreten, im Öffnen der Outlet-Center-Filiale durch dieBeklagte an den Feriensonntagen sei eine unlautere geschäftliche Handlung zusehen, die Letztere zu unterlassen habe. Die Gestattung der erweitertenSonntagsöffnung zugunsten von Verkaufsstellen im näheren Einzugsgebiet desFlughafens sei rechtswidrig. Die Klägerin hat den Erlass einerUnterlassungsverpflichtung gegen die Beklagte hinsichtlich der Öffnung anbestimmten Sonntagen begehrt, daneben die gerichtliche Feststellung möglicherSchadenersatzansprüche und Auskunft über Öffnungszeiten an bestimmten Sonntagenin der Vergangenheit.

 

Schon das Landgericht (LG) Zweibrücken hatte die Klageabgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin blieb nun erfolglos.

 

Regierungsverordnungmaßgeblich

Das OLG: Das LG hat zutreffend entschieden, dass dieFeriensonntagsöffnungen der Filiale der Beklagten im Outlet-Center gegenwärtigkeine unlautere Wettbewerbshandlung zum Nachteil von Mitbewerbern darstellten.Eine Legitimation der Feriensonntagsöffnungen als wettbewerbliches Verhaltenergebe sich aus der dies ausdrücklich gestattenden Regierungsverordnung.

 

RechtstreuesVerhalten nicht zu sanktionieren

Eine für die Zulässigkeit einer Richtervorlage an denVerfassungsgerichtshof zwingend erforderliche sichere Überzeugung von derVerfassungswidrigkeit der Ermächtigungsgrundlage (LadenöffnungsgesetzRheinland-Pfalz) habe das OLG nicht gewonnen. Ferner habe die nachträglicheVeränderung der für den Erlass der Landesverordnung bestimmend gewesenentatsächlichen Verhältnisse (Einstellung des Verkehrsflugbetriebs) nichtautomatisch zum Wegfall der Verordnung geführt. Hinzu trete, dass sich dieBeklagte an das geschriebene Recht halte und sich damit rechtstreu verhalte.Sie müsse die Gewissheit haben, dafür nicht – auch nicht auf die Zivilklageeines Wettbewerbers hin – sanktioniert zu werden.

 

Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH)zugelassen.

 

Quelle | OLG Zweibrücken, Urteil vom 4.8.2022, 4 U 202/21

Wettbewerb: Werbeaussage„klimaneutral“ muss nicht irreführend sein

 

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Einnahmen-Überschussrechnung: Umsatzsteuer kein durchlaufender Posten

| Das Finanzgericht (FG) Hamburg hat kürzlich die bisherige Sichtweise bzw. Handhabung bestätigt: Bei der Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschussrechnung sind vom Unternehmer vereinnahmte und verausgabte Umsatzsteuerbeträge keine durchlaufenden Posten. Es handelt sich hierbei vielmehr um in die Gewinnermittlung einzubeziehende Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben. | 

Quelle | FG Hamburg, Urteil vom 10.6.2022, 2 K 55/21

Steuervergünstigung: Erschütterung des für eine private Pkw-Nutzung sprechenden Anscheinsbeweises

| Einer der häufigsten Streitpunkte zwischen Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung sind betrieblich genutzte Pkw und ihre steuerliche Einordnung. Der für die Privatnutzung eines betrieblichen Pkw sprechende Anscheinsbeweis kann auch auf andere Weise als durch das Vorhandensein eines in Status und Gebrauchswert vergleichbaren Pkw im Privatvermögen erschüttert werden. Dies hat aktuell das Finanzgericht (FG) Münster entschieden. | 

Das war passiert

Zum Haushalt der verheirateten Steuerpflichtigen gehörten in den Streitjahren 2015 und 2016 zwei volljährige Kinder. Im Privatvermögen hielten sie im Streitzeitraum (teilweise nacheinander) insgesamt drei Kleinwagen, die in erster Linie von den Kindern genutzt wurden. Der Ehemann unterhielt auf dem Grundstück, auf dem sich auch das Wohnhaus der Familie befand, einen Gartenbaubetrieb. Hauptberuflich war er aber anderweitig als Arbeitnehmer beschäftigt, wobei der Weg zur Arbeitsstätte nur rund zwei Kilometer betrug. Die Ehefrau arbeitete neben 20 weiteren Arbeitnehmern bzw. Aushilfen auf Mini-Job-Basis im Betrieb ihres Ehemanns. 

Dienstwagen ohne Fahrtenbuchführung

Im Betriebsvermögen hielt der Ehemann neben einem dem Vorarbeiter zugeordneten Dienstwagen einen BMW X3 und ab Februar 2015 einen Ford Ranger, für die keine Fahrtenbücher geführt wurden. Für den BMW versteuerte er die Privatnutzung nach der Ein-Prozent-Regelung. Für den Ford Ranger setzte er keinen privaten Nutzungsanteil an. 

Finanzamt: Privatnutzung des Ford Ranger

Demgegenüber wandte das Finanzamt auch für den Ford Ranger die Ein-Prozent-Regelung an, da die privaten Fahrzeuge in Status und Gebrauchswert nicht mit diesem Pkw vergleichbar seien und nicht allen Familienmitgliedern jederzeit ein Fahrzeug zur privaten Nutzung zur Verfügung gestanden habe. 

Die Eheleute machten geltend, dass der Ford Ranger den Mitarbeitern des Betriebs arbeitstäglich permanent als Zugmaschine zur Verfügung stehen müsse. Aufgrund des Verschmutzungszustands sei es lebensfremd, dieses Fahrzeug an Wochenenden für Familienfahrten zu nutzen. Hierfür bleibe wegen der geringen jährlichen Fahrleistung von durchschnittlich 8.900 km auch kein Raum. 

Das FG Münster gelangte letztlich zu der Überzeugung, dass der Ford Ranger in den Streitjahren nicht privat genutzt wurde. 

Beweis des ersten Anscheins: Wenn Fahrzeug zur Verfügung steht, dann privat genutzt

Nach der allgemeinen Lebenserfahrung werden betriebliche Fahrzeuge, die zu privaten Zwecken zur Verfügung stehen, auch tatsächlich privat genutzt. Dafür spricht der Beweis des ersten Anscheins. Ein solcher Anscheinsbeweis kann jedoch (wie im Streitfall) erschüttert werden.  

Zwar handelt es sich bei dem Ford Ranger um ein Fahrzeug, das sich typischerweise auch für eine Privatnutzung eignet. Auch der ebenfalls privat genutzte betriebliche BMW X3 konnte den Anscheinsbeweis nicht erschüttern. Denn er stand wegen der betrieblichen Nutzung nicht vollumfänglich für Privatfahrten zur Verfügung. 

Letztlich hat sich das FG aber gegen den Beweis des ersten Anscheins und damit gegen eine Privatnutzung ausgesprochen – und zwar insbesondere aus folgenden Gründen:  

Es ist nachvollziehbar, dass der Ford Ranger aufgrund seiner Zugkraft permanent im Betrieb eingesetzt wurde. Darüber hinaus konnte der Ehemann den Pkw nicht den ganzen (Arbeits-)Tag über selbst nutzen, da er in den normalen Arbeitszeiten seiner Angestelltentätigkeit nachgegangen ist. Hierdurch war die Möglichkeit einer Privatnutzung erheblich eingeschränkt. 

Ferner berücksichtigte das FG Münster, dass beide Eheleute für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wegen der kurzen Entfernungen keinen Pkw benötigten. 

Beachten Sie | Den Anscheinsbeweis zu entkräften, ist alles andere als einfach. Hier kommt es in der Praxis auf den Einzelfall an. Wollen Steuerpflichtige die Ein-Prozent-Regelung vermeiden, sind sie mit der Führung eines (ordnungsgemäßen) Fahrtenbuchs auf der sicheren Seite. 

Quelle | FG Münster, Urteil vom 16.8.2022, 6 K 2688/19 E, PM Nr. 18 vom 15.9.2022, Rev. zugelassen

Energetische Gebäudesanierung: Kosten für den Energieberater sind nicht auf mehrere Jahre zu verteilen

| Energiesparmaßnahmen an und in Gebäuden sind zurzeit gefragt, wie nie. Steuerpflichtige, die ihre Immobilie zu eigenen Wohnzwecken nutzen, können eine Steuerermäßigung für durchgeführte energetische Maßnahmen nach dem Einkommensteuergesetz (§ 35 c EStG) im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung beantragen. Das Finanzministerium (FinMin) Schleswig-Holstein hat nun darauf hingewiesen, wie die Kosten für den Energieberater zu berücksichtigen sind. | 

Voraussetzungen

Die Steuerermäßigung setzt u. a. voraus, dass das Objekt bei Durchführung der Maßnahme älter als zehn Jahre ist. Maßgebend ist der Herstellungsbeginn. 

Je begünstigtem Objekt beträgt der Höchstbetrag der Steuerermäßigung 40.000 Euro. Die Steuerermäßigung wird über drei Jahre verteilt: Im Kalenderjahr des Abschlusses der energetischen Maßnahme und im nächsten Kalenderjahr können jeweils 7 % der Aufwendungen (max. 14.000 Euro jährlich) und im dritten Jahr 6 % der Aufwendungen (max. 12.000 Euro) von der Steuerschuld abgezogen werden. 

Kosten für den Energieberater

Kosten für den Energieberater sind in Höhe von 50 % der Aufwendungen im Jahr des Abschlusses der Maßnahme zu berücksichtigen und nicht auf drei Jahre zu verteilen. Die Kosten sind vom Höchstbetrag der Steuerermäßigung (40.000 Euro) und damit auch vom Höchstbetrag der Steuerermäßigung im Kalenderjahr des Abschlusses der Maßnahmen und im nächsten Kalenderjahr (je 14.000 Euro) und im übernächsten Kalenderjahr (12.000 Euro) umfasst. 

Beispiel

Aufwendungen für energetische Maßnahmen in 2021: 175.000 Euro, Kosten für den Energieberater: 10.000 Euro

       2021:   7 % von 175.000 Euro =12.250 Euro,
                    aufzufüllen mit den Kosten der Energieberatung in Höhe von 1.750 Euro bis 14.000 Euro

       2022:   wie 2021 (7 %) = 12.250 Euro

       2023:   6 % von 175.000 Euro =10.500 Euro

Folge: Es werden nur 1.750 Euro der Energieberatung berücksichtigt, obwohl der Gesamtabzugsbetrag (36.750 Euro) noch 3.250 Euro unter dem objektbezogenen Höchstbetrag liegt.

Quelle | FinMin Schleswig-Holstein, ESt-Kurzinformation Nr. 2022/1 vom 3.1.2022, VI 306 - S 2296 c - 001

Steuerregeln: Steuerguide für Influencer

| Influencer können häufig von ihren Einnahmen ihren Lebensunterhalt bestreiten und erzielen mitunter hohe Einkommen. Damit werden sie unter Umständen steuerpflichtig. Das Finanzministerium (FinMin) Baden-Württemberg hat in einem Steuerguide mit zielgruppengerechter Ansprache die wichtigsten Steuerregeln für Influencer zusammengestellt. Der Steuerguide, der unter www.iww.de/s6972 heruntergeladen werden kann, gibt einen kurzen Überblick darüber, welche Steuerarten für Influencer infrage kommen können und ob Betroffene ihre Tätigkeit beim Finanzamt anzeigen müssen. |

Quelle | OLG Stuttgart, Urteil vom 24.8.2022, 4 U 13/22

Lebensversicherung: Fristbeginn des Widerspruchs „ab Erhalt der Unterlagen“

| Eine Widerspruchsbelehrung zu einem Lebensversicherungsvertrag, die für den Beginn des Fristenlaufs für den Widerspruch auf „den Erhalt“ der Unterlagen abstellt, ist ausreichend. So entschied es jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Dresden. | 

Die Begründung des OLG: Ohne dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen kennen muss, wird er nach seinem maßgeblichen Empfängerhorizont die Belehrung so verstehen, dass die Frist durch den Zugang der genannten Unterlagen in Gang gesetzt wird und 14 Tage später am gleichen Wochentag abläuft. Die Belehrung vermittelt insbesondere nicht den falschen Eindruck, der Tag des Zugangs des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen zähle mit. 

Quelle | OLG Dresden, Beschluss vom 6.1.2022, 4 U 2394/21

Flugverspätung: Ausgleichsanspruch für Fluggäste bei verspäteten Anschlussflügen unterschiedlicher Airlines

 

| Der Ausgleichsanspruch für Fluggäste wegen großer Verspätung gilt auch bei einem Flug mit direkten Anschlussflügen, bei dem die Flüge von unterschiedlichen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden. Wurden die Flüge von einem Reisebüro kombiniert, das einen Gesamtpreis in Rechnung gestellt und einen einheitlichen Flugschein ausgegeben hat, ist unerheblich, dass zwischen den Luftfahrtunternehmen keine rechtliche Beziehung besteht. So hat es der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden. | 

Das war geschehen

Ein Fluggast erwarb über ein Reisebüro einen elektronischen Flugschein über drei Flüge für die Strecke von Stuttgart nach Kansas City. Der erste Flug, von Stuttgart nach Zürich, wurde von Swiss International Air Lines durchgeführt, während die beiden Flüge von Zürich nach Philadelphia und von Philadelphia nach Kansas City von American Airlines durchgeführt wurden. Auf den Bordkarten für diese Flüge war die Nummer des elektronischen Flugscheins verzeichnet. Außerdem war auf dem Flugschein American Airlines als Dienstleistungserbringerin angegeben und der Flugschein war mit einer einheitlichen Buchungsnummer für die gesamte Strecke versehen. Darüber hinaus stellte das Reisebüro eine Rechnung aus, die einen Gesamtpreis für die gesamte Strecke sowie für den Rückflug auswies. 

Die Flüge von Stuttgart nach Zürich und von Zürich nach Philadelphia fanden planmäßig statt. Der Flug von Philadelphia nach Kansas City dagegen war bei der Ankunft um mehr als vier Stunden verspätet. Vor den deutschen Gerichten klagte flightright, eine Gesellschaft für Rechtshilfe für Fluggäste, an die die durch diese Verspätung entstandenen Ansprüche abgetreten worden waren, gegen American Airlines auf eine Ausgleichszahlung von 600 Euro nach der Verordnung Nr. 261/2004 über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen. Der mit der Sache befasste Bundesgerichtshof (BGH) hat dem EuGH Fragen zur Auslegung dieser Verordnung vorgelegt. 

So sieht es der Europäische Gerichtshof

Der EuGH entschied: Der Begriff „direkte Anschlussflüge“ erfasst einen Beförderungsvorgang mit Ausgangspunkt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union,

  • der aus mehreren Flügen besteht,  
  • die von unterschiedlichen, nicht durch eine rechtliche Beziehung miteinander verbundenen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden,  
  • wenn diese Flüge von einem Reisebüro zusammengefasst wurden,  
  • das für diesen Vorgang einen Gesamtpreis in Rechnung gestellt und
  • einen einheitlichen Flugschein ausgegeben hat.

Der EuGH weist darauf hin, dass der Begriff „direkte Anschlussflüge“ so zu verstehen ist, dass er zwei oder mehr Flüge bezeichnet, die für die Zwecke des in der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Ausgleichsanspruchs von Fluggästen eine Gesamtheit darstellen. Eine solche Gesamtheit liegt vor, wenn die Flüge Gegenstand einer einzigen Buchung waren. 

Beförderungsvorgang beruhte auf einer einzigen Buchung

Hier verfügte der Fluggast über einen Flugschein, der einen Beleg dafür darstellte, dass die Buchung der gesamten Reise von Stuttgart nach Kansas City von einem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert worden war. Bei einem solchen Beförderungsvorgang ist davon auszugehen, dass er auf einer einzigen Buchung beruht, sodass es sich um „direkte Anschlussflüge“ handelt. Die Flüge, um die es hier ging, wurden von unterschiedlichen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt, zwischen denen keine rechtliche Beziehung bestand. Der EuGH stellte fest, dass die Verordnung über Ausgleichsleistungen für Fluggäste keine Bestimmung enthält, wonach die Einstufung als Flug mit direkten Anschlussflügen davon abhängt, dass eine besondere rechtliche Beziehung zwischen den ausführenden Luftfahrtunternehmen besteht, die die einzelnen Flüge, aus denen sich der Flug zusammensetzt, durchführen. Eine solche zusätzliche Bedingung würde dem Ziel der Sicherstellung eines hohen Schutzniveaus für Fluggäste zuwiderlaufen, da dadurch namentlich deren Ausgleichsanspruch bei großer Verspätung ihres Flugs beschränkt werden könnte. 

Quelle | EuGH, Urteil vom 6.10.2022, C-436/21

Hassrede: Nachholung im Prozess: unterlassene Anhörung vor Löschung eines Posts bei Facebook

| Hassrede oder freie Meinungsäußerung? Das beschäftigt häufig die Gerichte. Nach einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (BGH) sind die Regelungen in den Nutzungsbedingungen unwirksam, die Facebook in einem Fall der Hassrede eine Befugnis zur Löschung dieses Posts einräumen. Sie sehen kein Verfahren vor, aufgrund dessen der betroffene Nutzer über die Entfernung umgehend informiert, ihm der Grund dafür mitgeteilt und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung eingeräumt wird, woran sich eine neue Entscheidung mit der Möglichkeit der Wiederfreischaltung des Posts anschließt. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat nun entschieden, dass die fehlende Anhörung seitens der Beklagten im Verfahren nachgeholt werden kann. Außerdem hat es entschieden: Wenn die Anhörung zu keiner anderen Bewertung führt, kann der betroffene Nutzer dann nicht die Wiederfreischaltung des Posts beanspruchen. Das Löschungsrecht ergebe sich in diesem Fall bei einem vertragswidrigen Post aus dem Nutzungsvertrag. | 

Das war geschehen

Die Beklagte ist in Deutschland Vertragspartnerin der Nutzer von Facebook. Der Kläger stimmte den im April 2018 geänderten Nutzungsbedingungen der Beklagten zu. Im November 2018 postete er im Zusammenhangmit einem Artikel über die gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Afghanen in einer Flüchtlingsunterkunft, in deren Verlauf diese untereinander Messer eingesetzt hatten, u. a.: „Solange diese sich gegenseitig abstechen ist es doch o. k. Ist jemand anderer Meinung? Messer-Emoji“. Die Beklagte löschte diesen Beitrag und sperrte außerdem vorübergehend Teilfunktionen des klägerischen Kontos. Der Kläger begehrte daraufhin vor dem Landgericht (LG) unter anderem die Freischaltung des gelöschten Beitrags. Das LG hat die Klage abgewiesen. 

Berufungsinstanz: Kein Anspruch auf Wiederfreischaltung

Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Wiederfreischaltung des gelöschten Posts. Der Post sei zwar eine Meinungsäußerung. Er verstoße aber gegen die über die Nutzungsbedingungen einbezogenen Bestimmungen in den Gemeinschaftsstandards zur Hassrede. Der Begriff der Hassrede sei hinreichend transparent und in den Regelungen selbst definiert worden. Erfasst würden u. a.„Angriffe durch eine gewalttätige und entmenschlichende Sprache, durch Aussagen über Minderwertigkeit und durch Aufrufe, Personen auszuschließen und zu isolieren“. Die Beklagte sei auch berechtigt, ein Verbot von Hassrede vorzusehen, „durch das auch nicht strafbare oder rechtsverletzende Meinungsäußerungen erfasst werden“. Sie dürfe den Nutzern ihres Netzwerks bestimmte Kommunikationsstandards vorgeben, die über die strafrechtlichen Vorgaben hinausgingen. Die Verhaltensregeln sollten einen Kodex für „einen respektvollen Umgang miteinander“ enthalten. 

Post entspricht den Merkmalen von Hassrede

Hier verstehe der flüchtige Leser die Äußerung so, dass es dem Kläger „gleichgültig ist bzw. er es in Ordnung finde, wenn afghanische Flüchtlinge sich gegenseitig abstechen“. Dies unterfalle dem Bereich der Hassrede. 

Bundesgerichtshof: Regelungen zum Löschen von Posts unwirksam

Soweit die Löschung des Posts erfolgte, ohne den Kläger umgehend zu informieren und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme mit anschließender Neuentscheidung zu gegeben, könne die Beklagte sich zwar nicht auf ihre Regelungen zum Entfernungs- und Sperrvorbehalt berufen. Diese seien gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) unwirksam. 

Anhörung erfolgte nachträglich im Prozess

Die Beklagte sei aber zur Löschung unmittelbar aus dem Nutzungsvertrag berechtigt. Die Verfahrensanforderungen zur Information des Betroffenen über die Löschung ergäben sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung. Durch die Unwirksamkeit der Klausel über den Entfernungs- und Sperrvorbehalt sei im vertraglichen Gefüge eine Lücke entstanden, die im Wege der Auslegung zu schließen sei. Über diese ergänzende Vertragsauslegung sei die Beklagte verpflichtet, den Nutzer über die Entfernung eines Beitrags zu informieren und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme und Neuentscheidung zu geben. Dies sei im Rahmen des hiesigen Prozesses nachgeholt worden. Der anfängliche Anhörungsfehler sei damit nachträglich geheilt worden. 

Grundsätzliche Bedeutung: BGH muss klären

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Das OLG hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum BGH u. a. hinsichtlich des dargestellten Antrags auf Wiederherstellung des gelöschten Artikels zugelassen. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 30.6.2022, 16 U 229/20, PM 54/22

Mietende: Ohne Vorenthaltung gibt es keine Nutzungsentschädigung

| Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 546 a BGB) kann der Vermieter als Entschädigung die vereinbarte Miete oder die Miete verlangen, die für vergleichbare Sachen ortsüblich ist, wenn der Mieter die Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses nicht zurückgibt. Voraussetzung: Der Mieter muss die Mietsache dem Vermieter „vorenthalten“. Die Mietsache wird jedoch nicht vorenthalten, wenn der Vermieter – wie hier – das Fehlen des erforderlichen Rücknahmewillens bekundet, etwa dadurch, dass er die angebotene Rückgabe ablehnt oder zu erkennen gibt, dass er das Mietverhältnis als nicht beendet ansieht. So hat es nun das Landgericht (LG) Berlin entschieden. | 

Das LG Berlin „kassierte“ damit eine Entscheidung des Amtsgerichts (AG), das anderer Auffassung war und sich gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) gestellt hatte. 

Quelle | LG Berlin, Urteil vom 22.3.2022, 67 T 13/22

Erwartete Kostensteigerungen: Betriebskostenvorauszahlungen dürfen nicht ohne Weiteres erhöht werden

| Die Mietvertragsparteien können wirksam formularvertraglich vereinbaren, dass ein beiderseitiges Anpassungsrecht der Betriebskostenhöhe durch zugangsbedürftige Erklärung bei Kostenänderungen aufgrund von geänderten Bezugspreisen besteht. Insoweit kommt es aber darauf an, ob sich der Vermieter auch bei entsprechenden Kostensteigerungen eine Erhöhung der Vorauszahlung mietvertraglich zusätzlich vorbehalten hat. So sieht es das Amtsgericht (AG) Hamburg. | 

Der Vermieter einer Wohnung verlangte vom Mieter bei einer Betriebskostennachforderung von 11,52 Euro eine Erhöhung der monatlichen Vorauszahlungen um 45,40 Euro. Er begründete die Erhöhung mit nicht näher spezifizierten erwarteten Kostensteigerungen. Das wollte der Mieter nicht mitmachen. Auch dem AG Hamburg genügt das nicht. Die entsprechende Erklärung genüge nicht den Anforderungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 560 Abs. 4 BGB), da dieses ausdrücklich auf das Ergebnis einer Betriebskostenabrechnung abstelle. 

Quelle | AG Hamburg, Urteil vom 27.6.22, 49 C 13/22

Nutzungsuntersagung: Kommen Ratten, müssen Mieter gehen

| Kommt es in einem Wohnhaus zu einem Rattenbefall und beruht dieser auf baulichen Mängeln, kann eine Nutzungsuntersagung ergehen. Das hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg entschieden. | 

Die Bauaufsicht hatte im Mehrfamilienhaus des Klägers erheblichen Rattenbefall und erhebliche Defekte an der dortigen baulichen Substanz festgestellt. Zudem bestand eine erhöhte Gesundheitsgefährdung für die Mieter. Die Behörde untersagte daraufhin die Nutzung aller Wohnungen. Sie erklärte die Wohnungen für sämtliche Mieter als unbewohnbar. Deren Widerspruch wurde zurückgewiesen. Später wurde die Nutzungsuntersagung aufgehoben, da kein Rattenbefall mehr vorlag und es ihn wohl in zwei Wohnungen auch nie gegeben hatte. 

Das OVG hielt die Nutzungsuntersagung trotzdem für rechtmäßig. Unerheblich sei, dass später kein Rattenbefall mehr vorhanden war. Entscheidend sei nämlich die sog. „ex-ante-Prognose“, also die Prognose zum Zeitpunkt der Entscheidung – selbst, wenn sie sich später als falsch herausstellt. Die betreffenden Räumlichkeiten genügten außerdem nicht den Anforderungen der Niedersächsischen Bauordnung. Löcher in Wänden und Decken ließen einen fortlaufenden Rattenbefall befürchten, so das OVG. 

Quelle | OVG Lüneburg, Beschluss vom 14.3.2022, 1 LA 127/21

Inhaltsirrtum: Wenn die Erbausschlagung missglückt…

| Ein Irrtum über die Person desjenigen, dem die Ausschlagung der Erbschaft zugutekommt, berechtigt nicht zur Anfechtung. Es handelt sich dabei lediglich um einen unbeachtlichen Motivirrtum. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Hamm. | 

Die Kinder der Ehefrau des Erblassers hatten das Erbe mit dem Ziel ausgeschlagen, die Alleinerbenstellung der Mutter zu erreichen. Sie hatten dabei aber verkannt, dass sich dann noch die Frage nach anderen gesetzlichen Erben der ersten und zweiten Ordnung stellt. Die auf diese Erkenntnis folgende Anfechtung der Erbausschlagung hat das OLG zurückgewiesen. 

Man kann aber auch anderer Meinung sein. So hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf entschieden, dass ein zur Anfechtung berechtigender Inhaltsirrtum vorliegt, wenn der (auch rechtskundig beratene) Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen, sondern wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt. 

Beachten Sie | Bei Erbausschlagungen ist also stets Vorsicht geboten. 

Quelle | OLG Hamm, Urteil vom 21.4.2022, 15 W 51/19; OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 21.9.2017, 3 Wx 173/17 und vom 12.3.2019, 3 Wx 166/17

Leistungskürzung: So ist die Abrechnung von Stundenlohnarbeiten zu prüfen

| Bei der Rechnungsprüfung von Stundenlohnarbeiten oder Zeithonoraren wird oft darüber gestritten, ob der abgerechnete Zeitaufwand tatsächlich erforderlich war. Das Oberlandesgericht (OLG) Köln hat dazu nun wichtige Grundsätze aufgestellt. | 

Im Fall des OLG ging es um die Abrechnung von Handschachtungen (z. B. „Zwischentransport der Handschachtung in Schubkarre und Aufladen auf Fahrzeug“). Der Auftraggeber kürzte die Zahl der abgerechneten Stunden, der Auftragnehmer klagte.

Das OLG hat sich zwar nur allgemein geäußert. Seine Ausführungen können aber im Rahmen der Bauüberwachung bei der Rechnungsprüfung nützlich sein:

  • Zum einen muss die Rechnungskürzung konkrete, einzelfallbezogene Angaben enthalten, aus denen die konkreten Kürzungsgründe hervorgehen.  
  • Zum anderen muss der Auftraggeber Anhaltspunkte schildern, dass der abgerechnete Zeitaufwand keiner wirtschaftlichen Leistungsausführung entspricht.

Das OLG: An die fachlichen Anforderungen zur Begründung der Kürzung dürfen keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Es genügen Kürzungsgründe, die der Rechnungssteller auf ihre Richtigkeit überprüfen und somit darauf eingehen kann.

Quelle | OLG Köln, Urteil vom 16.12.2021, 7 U 12/20

Honorarvereinbarungen: Mindestsätze der HOAI 2013 bei Verträgen zwischen Privatpersonen weiter anwendbar

| Die Mindestsätze der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI 2013) können in einem laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen weiter als verbindliches Preisrecht anzuwenden sein. Folge: Aufstockungsklagen können Erfolg haben. So entschied es der Bundesgerichtshof (BGH). | 

Der BGH: Deutschland hat mit dem verbindlichen Preisrecht der HOAI 2013 zwar gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie verstoßen. Trotzdem kann sich ein Planer grundsätzlich auf eine bestehende nationale Rechtsvorschrift (hier: HOAI 2013) berufen, solange diese weiterhin im Land gültig und im Verhältnis der Parteien anwendbar ist. Die EU-Dienstleistungsrichtlinie muss zunächst in nationales Recht umgesetzt werden, um bei Verträgen zwischen Privatpersonen zu gelten. Das war aber erst mit der HOAI 2021 erfolgt. Nach den o. g. Maßgaben ist die HOAI 2013 folglich bei Verträgen zwischen Privaten weiterhin anwendbar (Vertragsabschluss bis 31.12.2020). 

Im konkreten Fall hatte ein Planer im Jahr 2016 einen Vertrag abgeschlossen, der ein Pauschalhonorar enthielt. Zu diesem Zeitpunkt galt die HOAI 2013. Das vereinbarte Pauschalhonorar lag unter dem Mindestsatz. Der Planer klagte die Differenz zum Mindestsatz ein. Es ging immerhin um 102.934,59 Euro. Diese Aufstockungsklage hatte Erfolg. 

Quelle | BGH, Urteil vom 2.6.2022, VII ZR 174/19

Unvollständige Grundlagenermittlung: Architekt haftet nicht für entgangene Steuervergünstigungen

| Ein mit der Grundlagenermittlung und Entwurfsplanung beauftragter Architekt muss seinen Auftraggeber über ein denkmalschutzrechtliches Genehmigungserfordernis aufklären. Zweck dieser Pflicht ist es, den Bauherrn in die Lage zu versetzen, die Realisierungschancen des Vorhabens einschätzen zu können. Nicht zum Schutzzweck der Verpflichtung gehört dagegen, den Bauherrn vor etwaigen Steuerschäden im Zusammenhang mit bestehenden Genehmigungserfordernissen zu bewahren. Der Bauherr kann deshalb bei unvollständiger Grundlagenermittlung nicht Ersatz entgangener steuerlicher Vergünstigungen beanspruchen. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. hat die Berufung der Bauherren zurückgewiesen. |

Das war geschehen

Die Bauherren beabsichtigten, eine Dachgeschosswohnung im Frankfurter Westend zu sanieren und beauftragten einen Architekten mit Architektenleistungen. Dieser klagte vor dem Landgericht (LG) ausstehendes Honorar ein. Die Bauherren beriefen sich dagegen u.a. auf Schadenersatzansprüche gegen den Architekten, da fälschlich erklärt worden sei, dass denkmalschutzrechtliche Gesichtspunkte beim Innenausbau unbeachtlich seien. Tatsächlich hätten sie bei richtiger Aufklärung das gesamte Bauvorhaben im Wege einer Sonderabschreibung nach dem Einkommensteuergesetz (§ 7 h EStG) fördern lassen können. Ihnen sei wegen der falschen Aufklärung damit ein Steuerschaden in Höhe von gut 5.000 Euro entstanden. 

So sahen es die Gerichte

Das LG hatte dem Architekten ausstehendes Honorar zugesprochen und den Schadenersatzanspruch der beklagten Bauherren wegen entgangener Steuervergünstigungen abgewiesen. Die Berufung der Bauherren hiergegen hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. 

Der Architekt habe zwar pflichtwidrig nicht über die denkmalschutzrechtliche Genehmigungsbedürftigkeit aufgeklärt, begründet das OLG seine Entscheidung. Auch im Rahmen der hier beauftragten Grundlagenermittlung und Entwurfsplanung müsse ein Architekt über die Genehmigungsbedürftigkeit eines Bauvorhabens vollständig und richtig informieren. Die Entwurfsplanung müsse zudem genehmigungsfähig erstellt werden. Dabei komme es nicht darauf an, ob bei der Beauftragung der Bauherr zum Ausdruck gebracht habe, bestimmte steuerliche Vergünstigungen in Anspruch nehmen zu wollen. 

Es fehle aber am Zurechnungszusammenhang zwischen dieser Pflichtverletzung und dem behaupteten Steuerschaden. Grundsätzlich hafte der Vertragspartner bei einer Pflichtverletzung nur für Schäden, die bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Pflichten gerade verhindert werden sollen. Dieser Schutzzweckzusammenhang liegt hier nicht vor. Die ordnungsgemäße Grundlagenermittlung betreffe zwar auch wirtschaftliche Folgen eines Bauvorhabens. Sie solle den Bauherrn über die erwarteten Kosten informieren, damit er sich auf einer geeigneten Grundlage für die Durchführung des Vorhabens entscheiden kann. Es bestehe aber keine allgemeine Verpflichtung des Architekten, in jeder Hinsicht die Vermögensinteressen des Bauherrn wahrzunehmen. Die Ermittlung der Genehmigungsbedürftigkeit betreffe nicht die wirtschaftlichen Fragen des Bauvorhabens, sondern diene dazu, die Realisierungschancen einschätzen zu können. „Sie zielt – jedenfalls ohne weitere Vereinbarung oder besondere Umstände – nicht darauf, dem Besteller die Möglichkeit steuerlicher Vergünstigungen zu erschließen“, betont das OLG. Solche Vergünstigungen seien vielmehr allein ein „Reflex der Genehmigung“. 

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar. 

Quelle | OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 25.4.2022, 29 U 185/20, PM 53/22

Entlassungen: Wenn der Arbeitgeber von den Sozialauswahlkriterien abweicht, die er dem Betriebsrat mitgeteilt hat…

| Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat im Rahmen der Konsultation schriftlich über die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer unterrichten. Was aber, wenn er beabsichtigt, in wesentlichem Umfang von den Kriterien der Sozialauswahl abzuweichen, die er dem Betriebsrat bei Einleitung des Konsultationsverfahrens mitgeteilt hat? Dann muss er dies nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Düsseldorfdem Betriebsrat mitteilen. | 

Unterlässt er dies, ist eine nach den veränderten Kriterien für die Sozialauswahl ausgesprochene Kündigung wegen Verletzung der Unterrichtungspflicht unwirksam. 

Geklagt hatte ein Flugkapitän, der mehr als 15 Jahre bei einer Fluggesellschaft mit über 2.000 Mitarbeitern beschäftigt war. Somit konnte eine Kündigung nur aus wichtigem Grund erfolgen. Die Fluggesellschaft wollte als wirtschaftliche Maßnahmen eine Flottenreduzierung, Stationsschließungen und die Neustrukturierung des Streckennetzes vornehmen. Dementsprechend sollte das Personal reduziert werden. 

Unter anderem, weil das Gericht weder eine ordnungsgemäße Anhörung der Personalvertretung noch eine hinreichende Darstellung des betriebsbedingten Kündigungsgrundes feststellen konnte, war die Kündigung unwirksam. 

Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 24.3.2022, 13 Sa 998/21

Gleichbehandlungsgrundsatz: Betroffener muss wie ein vergleichbarer Mitarbeiter gestellt werden

| Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz erfasst auch freiwillige aktienorientierte Vergütungsbestandteile in Form sogenannter Phantom Shares. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg. | 

Die Parteien stritten zweitinstanzlich u. a. über aktienorientierte Vergütungsbestandteile des Arbeitnehmers (Klägers). Der Arbeitnehmer meinte, sie stünden ihm – wie vergleichbaren Mitarbeitern auch – zu, während der Arbeitgeber (Beklagter) ihm diese verweigerte. 

Das OLG befand, dass der Arbeitnehmer einen solchen Anspruch hatte. Da ihm dieser zu Unrecht verweigert worden war, müsse er so gestellt werden, wie vergleichbare Mitarbeitende der entsprechenden Führungsebene. Werde aber die beanspruchte Zuteilung solcher Phantom Shares entsprechend den Regelungen des Performance Phantom Share Plans über die damit verfolgte personenbezogene Ziel- und Zwecksetzung durch Zeitablauf unmöglich, komme als Sekundäranspruch ein Schadenersatzanspruch in Betracht. 

Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.10.2021, 7 Sa 26/21

Betriebsübergang: Widerspruchsfrist greift nicht bei unvollständiger Information des Arbeitgebers

| Die Monatsfrist des § 613 a Abs. 6 S. 1 BGB zum Widerspruch gegen den Übergang eines Arbeitsverhältnisses infolge Betriebsübergangs beginnt nicht nur bei fehlerhafter Information des Arbeitnehmers nicht zu laufen, sondern auch nicht bei unvollständiger Information. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf. | 

Geht es um die rechtlich schwierig zu beurteilende (Weiter-)Geltung eines Tarifvertrags beim Erwerber und ist dieser Umstand für die Ausübung des Widerspruchsrechts ersichtlich von Bedeutung, müssen der Betriebsveräußerer und/oder der Betriebserwerber sich hierzu ausdrücklich und in einer für Nichtjuristen verständlichen Weise erklären. Danach konnte das Unterrichtungsschreiben des Arbeitgebers die o. g. Widerspruchsfrist nicht in Gang setzen, weil die dort enthaltenen Informationen teilweise – wenn auch nicht notwendig falsch – so doch zumindest unklar und unvollständig waren. Ihm ließ sich vor allem nicht entnehmen, ob ein bestimmter Tarifvertrag im Fall des Übergangs des Arbeitsverhältnisses gelten sollte oder nicht.  

Dieser Umstand ist so bedeutend, dass er als relevantes Kriterium für einen möglichen Widerspruch des Klägers gegen einen Übergang seines Arbeitsverhältnisses in Betracht kam. 

Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 26.7.2022, 8 Sa 68/20

Änderungskündigung: Elternzeit schützt nicht vor Kündigung

| Eine Arbeitnehmerin hat sich erfolglos gegen eine während der Elternzeit aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochenen Änderungskündigung gewandt. Das Integrationsamt hatte der Kündigung zugestimmt. Dabei bleib es auch nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Berlin-Brandenburg. | 

Durch die Änderung sollte das Arbeitsverhältnis zu den Bedingungen und mit den Aufgaben durchgeführt werden, die die Arbeitnehmerin vor Zuweisung des nach Behauptung der Arbeitgeberin weggefallenen anderweitigen Arbeitsplatzes innehatte. Bei einer Änderungskündigung handelt es sich nämlich um eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses – verbunden mit dem gleichzeitigen Angebot, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Arbeitsbedingungen fortzusetzen. 

Der ursprüngliche Arbeitsplatz der Arbeitnehmerin sei durch eine zulässige unternehmerische Entscheidung weggefallen. Eine Beschäftigung zu den bisherigen Bedingungen sei nicht mehr möglich. Deshalb habe die Arbeitgeberin nach der Zustimmung des Integrationsamts der Arbeitnehmerin auch während der Elternzeit kündigen und ihr anbieten dürfen, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedingungen fortzusetzen. 

Da die Arbeitnehmerin das Änderungsangebot abgelehnt hat, wurde das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung beendet. 

Quelle | LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5.7.2022, 16 Sa 1750/21, PM 15/22 vom 6.7.2022

Markenrechtsstreit: Markenverletzung durch Angebot von „The-Dog-Face“-Tierkleidung

| Zwischen den Zeichen „The North Face“ und „The Dog Face“ besteht keine Verwechslungsgefahr. Da die Marke „The North Face“ jedoch in erheblichem Maß bekannt ist, wird der Verkehr trotz der erkennbar unterschiedlichen Bedeutung von „Dog“ und „North“ die Zeichen gedanklich miteinander verknüpfen. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat der Antragsgegnerin eines markenrechtlichen Rechtsstreits die Verwendung des Zeichens „The Dog Face“ im Zusammenhang mit Tierbekleidung untersagt. | 

Das war geschehen

Die Antragstellerin ist Inhaberin der Marke „The North Face“, die u. a. für Bekleidung eingetragen ist. Die Antragsgegnerin vertreibt online Bekleidung für Tiere und kennzeichnet diese mit „The Dog Face“. Im Eilverfahren geltend gemachten Unterlassungsansprüche der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin hatte das Landgericht (LG) abgewiesen. 

Die hiergegen gerichtete Beschwerde hatte vor dem OLG nun Erfolg. Die Antragstellerin könne von der Antragsgegnerin verlangen, dass sie ihre Tierbekleidungsprodukte nicht mit „The Dog Face“ kennzeichnet, stellte das OLG fest. Die Marke „The North Face“ sei eine bekannte Marke. Sie sei einem bedeutenden Teil des Publikums bekannt. 

Zeichenähnlichkeit durch Wortfolge

Die Antragsgegnerin benutze diese Marke in rechtsverletzender Weise, da die Verkehrskreise das Zeichen „The Dog Face“ gedanklich mit „The North Face“ verknüpften. Nicht erforderlich sei dabei, dass zwischen den Zeichen Verwechslungsgefahr bestehe. An dieser würde es hier fehlen. Es liege aber Zeichenähnlichkeit vor. Die Wortfolge „The Dog Face“ lehne sich erkennbar an die Marke „The North Face“ an. Da die Marke der Antragstellerin in erheblichem Maß bekannt sei und durch intensive Benutzung ein hohes Maß an Unterscheidungskraft besitze, verknüpfe der Verkehr trotz der unterschiedlichen Bedeutung von „Dog“ und „North“ das Zeichen der Antragsgegnerin mit der Marke der Antragstellerin. Dies gelte auch, da eine gewisse Warenähnlichkeit zwischen Outdoor-Bekleidung und Tierbekleidung bestehe. Insoweit genüge es, „da